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Das herrschende Ethos, seine Formulierung in einem großen Teile der sogenannten deutschen, faktisch einer einseitig preußischen Philosophie und – weithin – auch unser Schulsystem unterstützen die geschilderte Arbeitsüberschätzung, rechtfertigen sie, ja geben ihr eine Art göttlicher Weihe. Schon seit Kant – bei Leibniz, der noch ganz innerhalb der großen christlich=antiken Tradition der europäischen Philosophie steht, findet sich noch keine Spur davon – steht der Hauptstrom des deutschen theoretischen wie moralischen Denkens unter einer so mächtigen Suggestion maßlosester Überschätzung des konstruktiven Tätigkeitsvermögens und Tätigkeitsrechtes des menschlichen Geistes, daß selbst das Bewußtsein der Partikularität und Enge der historischen und volksmäßigen Wurzeln des Geistes dieser Philosophie (nicht ihrer einzelnen Argumente) ihren Vertretern völlig fehlt – so sehr fehlt, daß sie ganz ehrlich und naiv meinen, sie sei ein Produkt der »reinen« Vernunft selbst. Welch beispiellose Naivität gehört dazu, die so klare als tiefe Analogie zu übersehen, die schon bei Kant zwischen den einfachsten Grundelementen seiner Lehre und dem inneren Aufbau des preußischen Staates als eines einzigartigen, historischen Sondergebilde besteht! Was war dem heroischen preußischen Staate zu seiner so mächtig formenden und prägenden Tätigkeit »gegeben?« Kein schon in sich gegliedertes Volk mit eigenem Gesamtbewußtsein, mit eigenem Kulturwillen, mit einheitlichen Sitten, religiösen Glaubenseinstellungen – kurz mit allem, was zu einem Volke und was zu einem Volke gehört. Ein Haufen sehr verschiedener Stämme ohne natürliche Verbindung mit einer sehr dienstbereiten, fremde Formprägungen leicht aufnehmbaren Unterschicht stark slawischer Durchsetzung war »gegeben«. Alles andere, was später »Preußen« hieß, haben seine großen Fürsten, Könige, ihre Offiziere und Staatsdiener, hat der »Staat« konstruiert und erzeugt. Was ist für Kant dem »Verstande« und seiner nach apriorischen Formgesetzen konstruierenden und ordnenden Tätigkeit (Spontaneität) »gegeben«? Nach seinem berühmten Satze – dem Grundirrtum seiner ganzen Philosophie – daß alles, was in der Welt der gegenständlichen Erfahrung an »Verbindung, Einheit, Ordnung und Verknüpfung« aller Art enthalten sei, nicht »gegeben« sein könne, sondern vom konstruktiven Tun des Verstandes hinzugetan und hineingelegt sein müsse: Ein Chaos von Empfindungen in der Theorie und ein Chaos von Triebimpulsen innerhalb der praktischen Welt. O, wie sehr gleicht doch dieses »Chaos« dem, was dem preußischen Staate »gegeben« war! O, wie sehr gleicht doch dieser halbvergottete, der Natur »seine Gesetze vorschreibende Verstand« mit seinen 12 Kategorien dem seit altersher halbvergotteten, alles »vorschreibenden« preußischen Staate selbst – mit den Schematas seiner Bürokratie! Ist es heute, wo wir wisse, daß es das von Kant supponierte zwiefache »Chaos« gar nicht gibt, ja wesensmäßig nicht geben kann, noch erlaubt, diese Ähnlichkeit für einen »Zufall« zu halten? Credat Judaeus Apella! Wenn Kant im Gange seiner theoretischen Deduktion später den Satz, es sei der Staat das höchste irdische Gut, aus seiner praktischen Vernunftlehre ableitet, bei der Begründung dieser aber seine theoretische Vernunftkritik voraussetzt, so war natürlich der historisch=psychologische Gang der Entfaltung seiner Ideen der umgekehrte. Seine theoretische Vernunft – sie ist eine Art in das Innere des Menschen verlegter, verdünnter und sublimierter preußischer Staat, und seine Philosophie ist eine Art Universalisierung und Metaphysizierung des historischen Ursprunges und des Geistes des preußischen Staates – zum Ursprung der Welt. Es gibt in mir – wie sicher auch in Ihnen – eine Art künstlerische Freude über diese tiefe Harmonie einer Philosophie, eines Charakters und des Staates, in dem diese Philosophie und dieser Charakter emporwuchsen. Und gewiß macht diese Harmonie die Denkerfigur Kants nicht kleiner, sondern eher noch größer und bewundernswerter. Aber über dieser künstlerischen Freude dürfen wir nicht übersehen, daß eben dieselbe Harmonie auch das sichtbarste Zeichen ist für die innere Partikularität und Enge des durch die konkreten historischen Lebensbedingungen des großen Denkers gebundenen Geistes dieser Philosophie, eine Enge – die es allein schon ausschließt, sie für ein Ergebnis »reiner Vernunft« zu halten, ja die es schon ganz und gar ausschließt, sie zum Fundament der Bildung und Erziehung des deutschen Geistes überhaupt zu machen. Was sollen Thüringer, Rheinländer, Süddeutsche mit dieser in metaphysische Ausdrücke gefaßten Geschichte Altpreußens?