Johannes Scherr
Brunhild
Johannes Scherr

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4. Verkauft und gekauft.

Auf dem von zwei reich vergoldeten Karyatiden getragenen Marmorgesimse des Kamins brennt eine aus Silber getriebene dreiarmige Lampe und erhellt ein Schlafgemach, welches mit anmutvoller Pracht auszuschmücken und zum Empfange der Hochgeliebten herzurichten, zärtliche Fürsorge und künstlerisch gebildete Einbildungskraft gewetteifert haben.

Aber die Augen Brunhilds schweifen gleichgültig über alle diese Liebeserweise des Mannes hin, dem sie heute mittels eines frostigen Kopfnickens vor dem Altar zum Weibe sich gelobt hat.

Im vollen Brautstaat, das Myrtenreis noch im Haare, liegt sie, den Rücken der von einem maurischen Hufeisenbogen überwölbten Nische zugewandt, in welcher hinter einer Wolke von dunkelroter Seidendraperie die weißen Atlaspfühle des Brautbettes hervorschimmern, in einem Lehnstuhl, den Blick starr auf einen mächtigen Spiegel geheftet, der ihre Gestalt voll widerspiegelt.

Ihr Antlitz ist bleich bis zur Fahlheit, und zu dieser Blässe steht das düstere Feuer der großen dunkeln Augen, steht das Fieberrot der trotzig zusammengepreßten Lippen in einem unheimlichen Kontrast. Zuweilen hebt sich ihre Brust unter dem weißen Spitzenkleid, und da legt sie die schöne schlanke Hand darauf, wie um den Sturm der Gefühle, die da drinnen ihre Wogen schlagen, niederzupressen.

Dann wendet sie, als ob ihr Spiegelbild ihren Widerwillen erregte, mit einer Gebärde der Ungeduld den Blick vom Spiegel ab, steht auf und geht an das hohe Bogenfenster, dessen Doppelflügel geöffnet sind.

Aus den Blumenbeeten drunten hauchen Veilchen und Hyazinthen ihren Duft zu der schönen, bleichen, dämonisch bewegten Braut empor. Sie achtet nicht darauf. Teilnahmlos tauchen ihre Augen in die laue, mondhelle, leise atmende Frühlingsnacht. Fernher klingt das Singen stürzender Gletscherbäche. Wie in träumerischem Kosen plätschert das leichte Wellengekräusel des Sees an dem Ufersaum des Parkes. Weithin über die prächtige Wasserfläche zittert ein silberner Strahl, der Widerschein der Mondsichel, die in der dunkelblauen Wölbung der Himmelsglocke über dem Hochgebirge schwebt. Ihr geisterhaftes Licht rieselt auf einen Bergkoloß von höchster Mächtigkeit nieder, welcher jenseits des Sees, gerade dem Fenster des Brautgemachs gegenüber, hinter vielfach abgestuften Vorbergen seine furchtbar schroffen, schwarzen, eisumpanzerten Felsenglieder hoch in die Lüfte hebt. Mechanisch fällt ihr Blick auf die finstere Bergmajestät, mechanisch haftet er an den beiden blendend weißen Firnschneeflächen, welche an der Scheitelkrone des dunkeln Riesen wie zwei Diamanten funkeln.

Ihre Seele ist weit von hier, ist daheim im nie zwar geliebten, jetzt aber gehaßten Vaterhause, zur Stunde, wo ihr Vater, händeringend, Angstschweiß auf der Stirne, flehend zu ihr gesagt hatte: »Es kostet dir nur ein Wort, nur ein Ja, um mich vom Bettelstab, um mich von Schmach und Selbstmord zu retten!« Und sie hatte dieses Wort gesprochen, hatte dieses Ja gegeben, dem Manne gegeben, welchem schon in dem Moment, als sie zuerst ihn gesehen, ihr Herz stürmisch entgegengeschlagen und welchen, so wollte es ihr infernalischer Stolz, sie töten möchte, könnte, müßte, weil ein tückisch Verhängnis ihm gestattet hatte, so um sie zu werben, so sie zu erwerben.

Die schweren Sammetgardinen, welche die Türe des Zimmers verbargen, wurden zurückgeschlagen, und die stattliche Gestalt des Bräutigams erschien auf der Schwelle. Siegfrieds Mund lächelte, aber dennoch lag eine leichte Wolke von Ungewißheit und Sorge auf seinem offenen, mannhaft schönen Gesicht. Er blieb einen Augenblick zögernd stehen, den Blick zu der am Fenster stehenden und in sich versunkenen Braut hinübersendend. Dann schritt er geräuschlos über den weichen Teppich, trat ihr zur Seite und legte sanft seinen rechten Arm um die prächtige schlanke Gestalt.

Sie wandte das schöne Haupt zu ihm um und blickte ihn an, so kalt, so abweisend, so verachtungsvoll, als hätte sie sich auf diesen gefürchteten Moment seit lange mühsam, aber mit Erfolg vorbereitet. Er hielt ihren Blick aus, und als nun sein Auge so lieb und gut und zärtlich auf ihr ruhte, als sie seinen Atem auf ihrer Wange fühlte und sein Arm mit zarter Schonung sie gegen seine Brust hinzog, da schrie es in ihr auf: »Ich liebe dich, Mann!« und das Jauchzen und Frohlocken ihrer Seele machte sie unwillkürlich die Arme erheben, um sie dem Bräutigam heiß um den Nacken zu schlagen.

Aber sie tat es nicht. Sie fand in ihrem Hochmut die Kraft, die übermenschliche Kraft, es nicht zu tun. Sie hatte sich eine Rolle vorgebildet, die Unselige, und diese Rolle mußte gespielt werden. Doch nein, es war nicht etwas künstlich Zurechtgemachtes, das sie zu handeln trieb, wie sie handelte. Es war vielmehr ihr eigenstes Wesen, ihre von früh auf genährte, nahezu an den Wahnsinn streifende Verschrobenheit, Verdrehtheit und Verbildung, ihre Genialitätsaffektation – die Schwaben haben dafür einen viel derberen, aber auch viel bezeichnenderen Ausdruck – ihre Großweibssucht, die ihr zur Natur gewordene Unnatur.

Der Zornschrei des sterbenden Talbot: »Unsinn, du siegst!« ist ja der unaufhörlich und unzählig oft wiederkehrende Grundbaß in der großen Narrensymphonie des Lebens.

Mit einer Stimme, deren leises Beben seine tiefe Empfindung verriet, sagte Siegfried: »Und so hätten gütige Götter doch vollendet, was in den Sternen geschrieben stand – Brunhild ist das Weib Siegfrieds geworden.«

»Das Weib?« entgegnete sie schneidend, mit einer herbspröden Bewegung seinem Arme sich entziehend. »Die Ware, wollen Sie sagen, mein Herr! Man hat mich verkauft, und man hat mich gekauft, das ist alles.«

Hoch aufgerichtet stand sie ihm gegenüber. Ihre Augen sprühten Feuer, und ihre Schönheit war die der Meduse.

Ein dunkles Rot überfuhr Siegfrieds Wangen und Stirne, und seine Lippe bäumte sich zornig empor. Aber er bezwang sich, wie denn – faselnde Psychologen mögen sagen, was sie wollen – im Sinne der Vernunft der Mann immer weit mehr sich zu bezwingen, zu bezähmen und zu beherrschen weiß als das Weib.

»Brunhild,« sagte er mild und freundlich, »bedenke, was du tust! Diese Stunde schließt unsere ganze Zukunft in sich.«

»Ich habe alles bedacht,« gab sie zurück, »nur nicht, wie sich die Sklavin ihrem Besitzer gegenüber anzustellen hat. Aber,« fügte sie mit unbeschreiblich höhnischer Betonung hinzu, »darum brauche ich mir wohl keine Sorge zu machen. Der Käufer wird schon wissen, daß und wie er über die Ware verfügen kann und will.«

Den Augen des schwerbeleidigten Mannes entfunkelte ein Zornblitz, und seinem Munde entfuhr ein halbunterdrückter Fluch. Aber Siegfried von Lindenberg war allzeit, in der Studentenkneipe wie auf der Rednerbühne der Volksversammlungen, auf dem Schlachtfelde wie im Kerker, ein Gentleman gewesen, und er war es auch jetzt.

Obzwar im Innersten aufgestürmt und empört, wußte er sich zu zwingen und zu stimmen, um gemessenen Tones die Törin zu fragen:

»Brunhild, ist das Ihr letztes Wort?«

»Ja.«

Ohne Heftigkeit, aber fest faßte er ihre Hand und zog sie ans Fenster.

»Fräulein von Hohenauf, sehen Sie dort drüben am Scheitel des Schreckhorns die zwei so nahe beisammenhängenden und doch ewig getrennten Schneewolken?«

»Was soll das, mein Herr?«

»Das Volk nennt die beiden Schneeflocken dort die zwei verdammten Seelen und erzählt eine schaurige Sage von ihnen. Sehen Sie genau hin! Das Bild unserer Zukunft steht vor Ihren Augen.«

»Sie dichten, mein Herr.«

»Nein, ich prophezeie. Wir werden als zwei verdammte Seelen nebeneinander stehen, und doch hätten wir mitsammen zwei selige sein können. Sie hätten mich – o, mit wie wenig Mühe! zum glücklichsten Manne gemacht und ich, für welchen Frauen, so schön wie Sie, das Leben und mehr als das Leben hingegeben hätten, ich würde Sie wie eine Mutter geehrt, wie eine Schwester beschützt, wie eine Tochter behütet und wie eine Geliebte geliebt haben. – Vorbei!«

Er ließ ihre Hand los, trat zurück und sagte noch mit einer tiefen Verbeugung: »Ich habe die Ehre, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen. Morgen werde ich Ihnen meine Ansichten mitteilen und die Ihrigen entgegennehmen, wie wir unser Nebeneinanderleben möglichst wenig unbehaglich einrichten können. Für heute nur noch dies eine: Fräulein Brunhild von Hohenauf, Sie haben mich einen Käufer, Ihren Käufer, gescholten. Wohlan, jetzt und immer verschmäht der Käufer, über die Ware zu verfügen.«

Damit ging er, und als er gegangen, brach ihre Stärke, ihr Stolz, ihr Wahnwitz doch zusammen. Vernichtet sank sie auf einen Stuhl, und die unnatürliche, ja frevelhafte Gespanntheit ihres Wesens suchte und fand einen vulkanisch-heftigen Ausbruch in krampfhaftem Schluchzen.


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