Johannes Scherr
Größenwahn
Johannes Scherr

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König Jan der Gerechte.

»Alles schon dagewesen!« Jawohl, weiser Rabbi; aber du hättest noch beifügen sollen: Und alles kommt wieder!

Sprach's und lehnte sich müde in den Stuhl zurück. Denn ich hatte die Mitternacht herangemacht ob der Lesung eines alten Büchleins in klein Quart, also betitelt: »Wahrhafftige Historie, wie das Evangelium zu Münster angefangen, und darnach durch die Wydderteuffer verstöret, wider auffgehört hat. Darzu die gantze Handlung derselbigen buben, vom ansang bis zum ende, beydes in geistlichen und weltlichen stücken fleyssig beschriben.« Durch Henricum Dorpium, Monasteriensem. 1536.

Unzweifelhaft die älteste Erzählung vom Beginn, Verlauf und Ausgang des wiedertäuferisch-kommunistischen Greuels, so in den Jahren 1533–35 zu Münster in Westfalen gespielt hat. Die älteste und erste zusammenhängende gedruckte Erzählung, meine ich. Denn zerstreute und oberflächliche Botschaften von dem Greuelspiel waren schon während der Dauer desselben in Form verschiedener »Newer zeittungen« in die Welt gegangen. Besagter Heinrich Dorp oder Dorpius, welcher aus seinem lutherisch-orthodox-steifen Halskragen heraus die ebenso lehr- als betrübsame Geschichte erzählt hat oder erzählt haben soll, ist eigentlich eine etwas mythische Figur. Er nennt sich einen Münsterer und war doch keiner, und er will sich das Ansehen eines Augenzeugen geben und war auch keiner. Wie stark zu vermuten steht, ist er nur der Hampel- oder Strohmann des hessischen Predigers Dietrich Fabricius gewesen, welcher, was jener berichtet, zu einem guten Teile mit eigenen Augen gesehen hat.Vgl. C. A. Cornelius: »Berichte der Augenzeugen über das münsterische Wiedertäuferreich,« Geschichtsquellen des Bistums Münster, Band 2 (1853), Vorrede, XI f. Dieses verdienstliche Sammelwerk enthält eine ganze Reihe von Aktenstücken, unter andern auch die protokollarischen Bekenntnisse Jans van Leyden, Knipperdollincks, Krechtings und anderer Wiedertäufer. Sodann in vollständigem Druck die »Summarische ertzelungk und bericht der wiederdope und wat sich binnen der stat Monster zugetragen im jair MDV«. Dies ist der hochwichtige, geradezu unbezahlbare Bericht eines Augenzeugen, des Bürgers und Schreiners Heinrich Gresbeck zu Münster. Seine Erzählung füllt in der Corneliusschen Sammlung 214 Oktavseiten, und der Herausgeber hat ihn treffend also gekennzeichnet (Vorrede, 72): »Gresbeck ist ein Mann aus dem Volke, ungebildet, aber verständig, bürgerlich gesinnt, von lebhaftem Geist, ein aufmerksamer Beobachter, voll des behaglichen münsterischen Humors. Sein Buch ist originell, keine Spur einer nachbessernden Hand bemerkbar; er schreibt, wie er sprechen würde.« Neben den Aktenstücken, neben Dorp und Gresbeck nimmt Hermann von Kerssenbroik mit seiner im Jahre 1573 vollendeten »Anabaptici furoris Monasterium inclitam Westphaliae metropolim evertentis historica narratio« (nur auszugsweise, kritiklos und schlecht gedruckt bei Mencken, »Script. rer. german.«, III, während die 1771 gedruckte Verdeutschung ebenso wenig taugt) eine vorragende Stelle ein unter den quellenmäßigen Auskunftgebern über die Wiedertäufern zu Münster. L. Rante hat derselben bekanntlich das 9. Kapitel des 5. Buches seiner Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation gewidmet (Sämtl. Werke, III, 361 f.), Karl Hase das 3. Heft seiner »Neuen Propheten« (2. Aufl.), C. A. Cornelius ein eigenes Geschichtswerk (»Gesch. d. münst. Aufruhrs«), von welchem aber der 3. und wichtigste Band zur Stunde noch aussteht. Ich brauche kaum zu sagen, daß ich alles wesentliche meiner Darstellung durchweg den Quellen entnommen habe und mich demnach vorzugsweise stütze auf die Akten und Protokolle, auf Gresbeck, Dorpius, Kerssenbroik und Lambert (»Tumultum anabapticarum liber unus,« Basil. 1548). Uns jedoch kann es einerlei sein, ob der Verfasser des Büchleins Fabricius oder Dorpius hieß. Denn der unbestreitbare Wert dieses Schriftstückes als einer historischen Hauptquelle bleibt dadurch ganz unberührt. Zumal uns die Mittel geboten sind, den Verfasser zu kontrollieren.

Wie jedermann weiß, ist das kulturgeschichtliche Merkmal des Zeitalters der Reformation dieses gewesen, daß gegenüber der Phantastik des Mittelalters der gesunde Menschenverstand wieder zu Ehren zu kommen begann. Freilich nur erst schüchtern genug, aber doch immerhin so, daß die mittelalterliche Phantasiewillkür, obzwar höchst widerwillig, halb und halb einräumen mußte, es gäbe so etwas wie Logik, Einmaleins und Naturgesetz in der Welt. Daß über all diesem und anderem Gesundmenschenverständigen die theologische Fiktion, das jüdisch-christliche Dogma, in unantastbarer Herrlichkeit und Herrschaft thronen bleiben müßte, hat bekanntlich die sogenannte Reformation nicht von fern anzuzweifeln gewagt. Sie begnügte sich, dem Riesenpopanz statt des römischen Messegewandes die evangelische Prädikantenkutte anzuziehen. Doch war schon hiermit eine teilweise Ernüchterung von dem tollen Glaubensrausche des Mittelalters angebahnt oder sogar vollzogen. Um so mehr mußte es dann die Menschen von damals verblüffen, als mitten in ihre redlichen Bemühungen, statt immerfort zu phantasieren, zu fabulieren und zu delirieren, wieder einmal zu denken, zu beobachten und zu rechnen, die Wiedertäuferei mit einem wahnwitzigen Satze hineinsprang und erklärte, sie sei willens und imstande, das Märchen von der absoluten Gleichheit der Menschen zu verwirklichen und den Traum von einem Eden auf Erden zu einer sozialpolitischen Tatsache zu machen. Sie ist dann auch mit der ganzen Rücksichts- und Furchtlosigkeit, welche der fixen Idee zu eigen, an die Ausführung ihres Programms gegangen.

Kein Wunder, daß diese toll-phantastische, diese grellbunte, diese zwischen dem Lächerlichen und dem Furchtbaren schwankende Episode der Reformationsgeschichte zur dichterischen Behandlung gereizt hat. Auch eine Oper machte man ja daraus und zwar mit gutem Grunde, denn der Jan Vockelson war von der Natur ganz auf das Maß eines Opernhelden zugeschnitten. Von Poeten haben sich insbesondere zwei deutsche mit Erfolg seiner angenommen: Spindler und Hamerling. Spindlers »König von Zion« (1837) ist meines Erachtens das bedeutendste Werk dieses Novellisten, welcher, so er nicht das Unglück gehabt hätte, ein Deutscher zu sein, von den Deutschen hochgehalten werden müßte und würde. Der genannte historische Roman gehört mit zu dem Besten, was überhaupt in dieser Gattung geschrieben worden ist. Spindler hat darin das geschichtliche Charakterbild des dämonischen Schneidergesellen gut getroffen. Hamerling seinerseits machte in seinem formschönen, anschaulich-malerischen Hexametergedicht »Der König von Sion« (1869) den Versuch, seinen Helden in die Sphäre freier Kunstschöpfung zu erheben. Ich kann aber nicht finden, daß dieser Versuch sonderlich gelungen wäre. Selbstverständlich will ich dem Dichter das Recht nicht bestreiten, mit einer historischen Figur die Freiheiten sich herauszunehmen, welche ihm zur Erreichung seines ästhetischen Zweckes erforderlich scheinen. Aber die Sache ist, daß Jan Bockelson als die geschichtliche Gestalt, welche er nun einmal ist, der Idealisierung – ich meine der wirklichen, nicht bloß opernhaft-äußerlichen – durchaus widerstrebt. Dieser Mischmasch von Komödiant und Fanatiker, von Lüstling und Henkersknecht, von Narr und Bösewicht erregt keine ästhetische Teilnahme. Aus diesem weltgeschichtlichen Putschinell, in welchem der Dämon widerlich mit dem Affen sich verband, ist kein Held zu machen. Schon darum nicht, weil ihm, während er vorn eine heroische Grimasse schneidet, der Zopf des Lächerlichen hinten hängt und weil in alle die Orakel des Propheten, in alle die Phantasmen des Wolkenkuckucksheimers, in alle die Wutschreie des Tyrannen etwas wie das Gekicher der Selbstpersiflage hineinklingt.

1.

In der Natur, im Menschenleben, in der Geschichte wird mitunter aus Kleinstem Größtes und wächst das Unscheinbare zum Ungeheuren empor. Seefahrer wissen, daß nicht selten aus einer am Horizont auftauchenden Wolkenflocke, welche der Schiffspassagier gar nicht bemerkt oder wenigstens nicht beachtet, binnen etlichen Stunden ein höchst bedrohliches Sturmgewölke werden kann. Kriminalisten haben häufig in Erfahrung gebracht, daß ein Mörder seine spätere Laufbahn schon als kleiner Junge begann, indem er zum Spaße Käfern die Flügel ausriß oder Vögeln die Augen ausstach. Das gedankenlos-grausame Kinderspiel war das erste Glied einer Kette, deren letzter Ring vielleicht ein Vater- oder Muttermord. Der Kreuzgalgen, an welchen man in einem verachteten Winkel des römischen Weltreichs einen armen verketzerten Reiseprediger gehangen, wird zum Glaubenssymbol eines neuen Weltalters. Gutenberg hat zur Stunde, wo er seine erste Letternreihe in eine Holztafel schneidet, nicht die entfernteste Ahnung, daß er damit vom schlichten Handwerker zum Kulturheros sich aufschwinge. Aus dem Teekessel Watts zischt die Zauberformel, welche den titanischen Sohn vom Feuer und Wasser zum Sklaven der Menschen zähmt. Hinwiederum ist aus dem kleinen Windei der Petrus-In-Rom-Fabel das riesige, Erde und Himmel verfinsternde Papstphantom geschlüpft und hat ein vorgebliches Grab auf einem der Felsenhügel von Jerusalem – den Anlaß gegeben zur hunderttausendfältigen Schlächterei der Kreuzzüge.

Bei all diesem und vielem Ähnlichen müssen wir uns, wie jedermann wissen könnte, wohl hüten, den Maßstab der Bildung und Anschauung unserer eigenen Zeit in Anwendung zu bringen. Allerdings war und ist der Mensch in seinem Wesen immer derselbe, aber seine Vorstellungen und Gefühle, seine Bedürfnisse und seine Leidenschaften, seine Tugenden und seine Laster, seine Weisheit und seine Narrheit tragen die Färbung der verschiedenen Entwicklungsstufen der Menschheit. Wenn wir heute vornehm oder mitleidig auf die Ketzer- und Judenschlachten unserer Vorfahren zurückblicken, so werden unsere Nachfahren nicht weniger vornehm oder mitleidig auf die Börsenschlachten der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zurückschauen. War denn der Hexenwahn unserer Altvorderen toller als die Spitzederei unserer Zeitgenossen? Die Formen und Formeln des menschlichen Aberglaubens wechseln, der Aberglaube selbst bleibt. Steht in der ganzen unendlichen Liste mittelalterlicher Kretinismen etwas Kretinischeres verzeichnet als die Erscheinung der »Mutter Gottes von Lourdes« in unseren Tagen? Nein! Aber brauchen wir uns darum etwa zum voraus vor unseren Nachkommen zu schämen? Behüte! Wir wissen ja, daß auch sie ihre Spitzedereien, Muttergottesschnurren und Unfehlbarkeitssimpeleien haben werden, obzwar vielleicht in andern Formen und Farben. Das wird jedoch der ganze Unterschied sein; denn die Dummheit währet ewiglich.

Damit soll, wohlgemerkt! nur gesagt sein, daß der rastlose und unbezwingliche Hang und Drang des Menschen, die Schranken der Endlichkeit und Wirklichkeit zu durchbrechen, immer und immerfort der menschlichen Phantasterei und dem Aberglauben freien Raum schaffen wird. Der Sache nach gerade so, wie es zum Beispiel zur Reformationszeit geschah.

Da ist um das Jahr 1521 am theologisch beschränkten Horizont der europäischen Menschheit eine kleine Wahnwolke aufgestiegen, welche in ihrem Schoße den Sturm der Wiedertäuferei barg. Man hätte meinen sollen, in dem wüsten Wirrsal von theologischem Gezänke, wie es dazumal hundertstimmig durcheinander zeterte, wäre es auf einen absonderlichen Einfall mehr oder weniger nicht angekommen. Allein das im Handumdrehen aus einer Ketzerei zu einer richtigen Orthodoxie gewordene Luthertum war nicht gewillt, zu dulden, daß andere Leute auch ketzerische Einfälle hätten, und ging daher sehr entschieden gegen die wiedertäuferischen »Propheten von Zwickau« vor. Die beiden Wahne platzten aufeinander mit jener Wut, wie sie den innerhalb der »Religion der Liebe« ausgefochtenen priesterlichen Hahnenkämpfen von jeher eigen gewesen ist. Hierbei wurde das paulisch-augustinisch-lutherische Dogma von der Rechtfertigung durch den Glauben schrecklich strapaziert. Aus der Prämisse desselben zogen nämlich die Brüder Zwickauer den Schluß, daß die Kindertaufe ein höchst verdammlicher, des höllischen Feuers werter Greuel sei. Denn wie sollte der »alleinseligmachende Glaube« in der Seele eines Säuglings zum Bewußtsein kommen? Also fort mit der Kindertaufe, welche eine frevelhafte Entweihung des Sakramentes ist. Nur Erwachsene können und sollen das »Bad der Wiedergeburt« empfangen und demnach kommt zur »Wiedertaufe« ihr alle, die ihr des Heiles eurer Seelen versichert und in den Bund der wirklich und wahrhaft Wiedergeborenen aufgenommen sein wollt! Dagegen nun aber die Herren Reformatoren und ihre Anhänger: Ruchlose anabaptistische Ketzerei! Schon darum, weil, wer ein Kind ungetauft sterben läßt, die ewige Verdammnis desselben mitverschuldet. Ergo: die Wiedertäuferei muß mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.

Man sieht, an frommem Eifer hat es weder hüben noch drüben gefehlt, sondern nur an einem bißchen Vernunft. Aber diese Heidin hat ja glücklicherweise mit den Mysterien der Dogmatik zu keiner Zeit etwas zu schaffen gehabt.

Es bedurfte nur weniger Jahre, um den Anabaptismus aus einer dogmatischen Schnurrpfeiferei zu einer sozialpolitischen Tatsache von weltgeschichtlicher Bedeutung zu machen. Woher dies? Daher, daß die Wiedertäuferei rasch zum Vereinigungspunkte von sektiererischen Regungen und Strebungen wurde, welche, aus dem Mittelalter herabgekommen, jetzt, inmitten einer allgemeinen Gärung der Gemüter, zu neuen und kühnen Lebensäußerungen sich erhoben, zu Versuchen, nicht allein das kirchliche Dasein dogmatisch und liturgisch zu reformieren, sondern auch die Gesellschaft politisch und sozial-radikal umzugestalten und auf Erden ein angebliches Gottesreich, ein apokalyptisches Wolkenkuckucksheim aufzurichten. Die begehrlichen Phantasmen der Gütergemeinschaft und der Vielweiberei hatten ja, wie jedermann weiß, namentlich in der mittelalterlichen Sekte der »Apostelbrüder« schon bedenklich gespukt und zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts hatte der bedeutendste Häuptling dieser Ketzer, Fra Dolcino, mittels Schwertesgewalt dieses kommunistische Evangelium in Oberitalien zu verwirklichen gesucht. Es trat demnach in der Wiedertäuferei, wie sie sich in dem Trauerspiele von Münster zu ihren äußersten Konsequenzen zugespitzt hat, nur ein alter, am Feuer der Reformation neu aufgekochter Wahnwitz zutage, und wie bei derartigen Erscheinungen überhaupt, geschah es auch hier, daß mit naiven Schwärmern und aufrichtigen Fanatikern leichtfertige Genüßlinge und berechnende Halunken zu ungeheuerlichem Tun sich verbanden.

2.

Der guten Stadt Münster in Westfalen, welche sich heutzutage rühmt, einer der Hauptsitze römischer Finsternis zu sein, würde man es nicht ansehen, daß vorzeiten innerhalb ihrer Mauern die Jakobiner der Reformation, die Wiedertäufer, ein Feuer angezündet haben, welches in grellster, wildester Flackerglut emporgelodert ist. So hoch und so rot, daß die entsetzten Bewohner der »roten Erde« vor der unerträglichen Blendung eine Zuflucht im mittelalterlichen Klosterdunkel suchten, aus welchem ihre Nachkommen bis auf den heutigen Tag noch nicht wieder sich herausgewagt haben.

Wundersamer Kontrast, daß gerade auf diesem Stücke deutschen Bodens, auf dem die beharrungszähesten, konservativsten Menschen wachsen, der tollgewordene Geist der Revolution des sechzehnten Jahrhunderts seine wütendsten Fratzen schnitt. Aber freilich, die guten Münsterer machten den wüsten Wirbeltanz nur mit, welchen Fremde aufspielten und vortanzten. Immerhin bleibt es denkwürdig, daß die Wiedertäufer, deren Fanatismus und Energie durch die grausame, von seiten der römischen und protestantischen Pfaffheit, der geistlichen und weltlichen Machthaber über sie verhängte Verfolgung zur Siedhitze gebracht worden, diese Stadt zur Stätte ihrer weltgeschichtlichen Orgie wählten, welche der Sache der Reformation bekanntlich unberechenbaren Schaden zugefügt hat. Der unselige Ausgang des Bauernkrieges, einer durchaus berechtigten Bewegung, hatte dargetan, daß die Zeit des Volkes noch nicht gekommen war. Das Trauerspiel von Münster aber war in seinem ganzen Verlaufe nur allzusehr geeignet, das Verhalten der Fürsten, Junker und Pfaffen gegen die besiegten Bauern, das heißt, gegen das »Volk« von damals, scheinbar vollständig zu rechtfertigen. Es ist und bleibt eben immer die alte Geschichte, daß es nämlich keine ärgeren Feinde und Schädiger der Freiheit und des Vorschrittes gibt als die leichtfertigen und liederlichen Gaukler und Schwätzer, welche die Wahnträume ihres eigenen verbrannten Gehirns der urteilslosen Menge als wünschenswerte und leicht zu verwirklichende Möglichkeiten vorlügen.

Es ist auch sehr charakteristisch für das zu Münster anhebende Wiedertäuferstück, daß in der Genesis desselben ein emanzipiertes, das heißt zuchtloses Weib vorkommt, die Frau des aus Leipzig übergesiedelten Syndikus Wiggers. Neben andern Männern lockte sie auch den lutherischen Prediger Bernhart Rothmann in das Netz ihrer buhlerischen Künste. Der genannte Prädikant, ein begabter und humanistisch gebildeter Mann, war die Seele der protestantischen Partei der Stadt, welche zu Anfang des Jahres 1533 so sehr das Übergewicht über den katholisch gebliebenen Teil der Bürgerschaft erlangt hatte, daß der Fürstbischof von Münster und Osnabrück, Graf Franz von Waldeck, am 13. Februar förmlich und feierlich einen Vertrag mit der Stadtgemeinde einging, kraft dessen das evangelische Bekenntnis in Münster frei gepredigt und geübt werden durfte. Item sollten den Evangelischen sechs Kirchen eingeräumt werden, der Dom dagegen sollte dem römisch-katholischen Kult verbleiben, wie auch dem Domkapitel alle seine Besitzungen und Rechte vorbehalten blieben und die Stadt ihrerseits gelobte, dem Fürstbischof als ihrem rechten Herrn hold, treu und gewärtig zu sein und zu bleiben. Dieses Abkommen stellte sich freilich bald als ein bloßer und zwar sehr gebrechlicher Waffenstillstand heraus und war das erste Symptom des bevorstehenden Bruches die Erneuerung des Rates der Stadt, aus welcher Behörde die patrizischen und katholischen Elemente durch kleinbürgerliche und eifrig-protestantische verdrängt wurden, deren Eifer jedoch gar bald auch nicht mehr eifrig genug befunden ward. Wer mitschwindeln will in einem so recht ins schwindeln gekommenen Schwindel, darf keinen Augenblick innehalten und stillstehen, sondern muß mit Maul und Fuß stets bei der Hand sein, seine lieben Mitschwindler zu überschwindeln.

Der Bernhart Rothmann hat das auch erfahren, obzwar ihn auch noch ein anderes Motiv auf den Schmutzweg der Wiedertäuferei getrieben haben mag. Denn des armen Hahnreis Wiggers wundersames Weib – »conjugem mirabilem« hat ein Zeitgenosse die Frau genannt – hatte es ihm angetan, so daß er, nachdem ihr Gatte gelegentlich gestorben, sich mit ihr verheiratete. Die Katholiken in Münster sagten freisam, die notorisch buhlerische Frau hätte, von wilder Leidenschaft für Rothmann entbrannt, ihrem ersten Gatten Gift gemischt. Allein dies Gerede vermochte gegen die große Popularität, deren Rothmann bei seinen Glaubensgenossen sich erfreute, nicht aufzukommen: die Protestanten strömten scharenweise zu seiner Hochzeit, glückwünschend und geschenkebringend. Trotzdem durchsickerte das Giftgerücht allmählich die öffentliche Meinung dergestalt, daß der Prädikant merkte, sein Ruf müßte in den Augen ehrenfester Männer und sittsamer Frauen doch einen Ölflecken bekommen haben, und nun schien es ihm geraten, diese Makel dadurch abzuwischen oder auszubrennen, daß er sich von der evangelischen Lehre, wie Luther und Melanchthon sie verstanden und verkündigten, allmählich den weitergehenden reformistischen Doktrinen und Forderungen anschloß. Er wollte, wenn ich so sagen soll, die bewiesene Gemütsschwäche im Glaubensfeuer des Fanatismus härten. Die Wiedertäuferei lag aber in der Luft der Zeit, und bald sollte es kund werden, daß der Oberprädikant von Münster dieselbe in vollen Zügen eingeatmet habe. Zunächst erklärte er sich in drastischer Weise gegen die lutherische Abendmahlslehre. Dorp erzählt: »Er brach semel in eine grose breite schüssel, gos wein darauff, und nachdem er die wort des Herrn vom nachtmal dazu gesprochen hatt, hies er die, so des Sakraments begerten, zugreiffen und essen.« Hiervon erhielt der Mann den Spitznamen Stutenbernt, das ist Semmelbernhart, weil die Semmeln im Münsterer Platt Stuten heißen. Dann weigerte er sich der Kindertaufe und schalt dieselbe einen »Greuel vor Gott«. Gegen das Ende des Jahres 1533 zu war der Stutenbernt schon ein so richtiger Wiedertäufer, als nur jemals einer im Buche gestanden hat, und seine Beredsamkeit verlockte mehr und mehr den großen Haufen auf den Irrweg, welchen er selber eingeschlagen und auf welchem er in dem Mann einer reichen Frau, in dem Tuchhändler Bernt Knipperdollinck, einen gleich heftig ausschreitenden Mitwanderer gefunden hatte.

Knipperdollinck, berichtet uns Gresbeck, »was ein treist und ein stolt man, könne und drieste was er von sinnen«. Weit in der Welt herumgekommen, hatte er zahlreiche Verbindungen mit Wiedertäufern angeknüpft, und sein behagliches Haus wurde die erste Heimat der Wiedertäuferei in seiner Vaterstadt. Ohne irgendwie durch geistige Begabung hervorzuragen, besaß er jene halb brutale, halb launige Sprechweise, welche der Menge gefällt. Offen wie sein Haus war auch seine Hand, welche ja nicht durch eigene Arbeit gefüllt zu werden brauchte, und es kam ihm nie auf ein paar Kannen mehr an, um die Kehlen seiner Bewunderer gehörig anzufeuchten. Für Wirtshauspolitik hatte er ein nicht gemeines Talent, und maßen er sich seinen lieben Mitbürgern als einen ganz und gar selbstlosen Biedermann aufzuspielen wußte, so hatte er die Mehrzahl derselben bald in den Taschen seiner Pluderhosen. Der Mann war übrigens vom Ehrgeize verzehrt und gehörte zu jener doppelt gefährlichen Klasse von Fanatikern, welche mit dem Fanatismus eine gewisse Schalkheit verbinden und, unfähig, die erste Rolle in einem Revolutionsdrama durchzuführen, in der zweiten oder dritten sich um so breiter und furchtbarer zu machen suchen. Solche Gesellen, mit einer ausgesprochenen Idiosynkrasie gegen alle geregelte Tätigkeit, gegen alle Arbeit behaftet, wollen um jeden Preis mittun, mitregieren. Sie meinen es auch anfangs nicht so übel, aber schließlich kommen sie, weil ohne allen sittlichen Halt, ganz leicht dazu, jeden, welcher nicht ihrer Meinung zu sein sich untersteht, in aller Gemütlichkeit totzuschlagen. Selbstverständlich versäumen sie auch nie, ihren eigenen höchst persönlichen Gelüsten und Ansprüchen das mit den Schlag- und Stichworten des Tages gleißend gestickte Mäntelchen der Zeitmode umzuhängen. Zur Zeit der französischen Terroristen wäre Bernt Knipperdollinck ein wütender Anhänger Marats gewesen und hätte »Liberté, égalité et fraternité ou la mort!« gebrüllt; zur Zeit Luthers war er der »Schwertträger«, das ist der Oberhenker des Jan Bockelson und brüllte: »Die Wiedertaufe und das Reich Gottes oder Tod allen Ungläubigen!« Das hatte noch den nicht gering anzuschlagenden Vorteil, daß die Knipperdollinckerei sich den Anschein eines religiösen Apostolates geben konnte, was natürlich auf die gläubige Dummheit die gehörige Wirkung übte. Daß diese nach Wundern und Zeichen lechzende gläubige Dummheit in Münster dazumal massenhaft vorhanden gewesen, untersteht gar keinem Zweifel. Das will sagen, daß nicht nur eine Anzahl, sondern die ungeheure Mehrheit der Münsterer Wiedertäufer in gutem Glauben das neue Evangelium hin- und annahm. Der ehrliche Gresbeck bezeugt das so: »Ein deil von den wiederdopers meinden anders nicht, al dat die Propheten deten und sachten, dat hedden sie von Got, dat in dat Got openbairt.«

An »Propheten« aber war fürwahr kein Mangel. Sowie es kund geworden, daß die anabaptistische Schwarmgeisterei durch Knipperdollincks und des Stutenbernts Bemühungen in Münster festen Fuß gefaßt hätte, konnte man das biblische Wort: »Wo ein Aas liegt, da sammeln sich die Geier« – auf die Stadt anwenden. Wiedertäuferische Pilger wallfuhren von allen Seiten herbei, und namentlich wurde Münster ein Wanderziel für die Bekenner der Wiedertaufe in Holland und Friesland. Sie kamen immer zahlreicher, nachdem die Tatsache, daß die ersten Ankömmlinge durch die Fürsorge Knipperdollincks und Rothmanns gar gastlich beherbergt und beköstigt worden, ihre Wirkung getan hatte. Mit zu den ersten Einwanderern gehörten Jan Bockelson und ein gewisser Gerit. Sie langten, von dem Oberpropheten der holländischen Wiedertäufer als »Apostel« entsandt, am 13. Januar 1534 in Münster an. Unlange darauf machte sich dieser Oberprophet, Jan Matthys, seines Zeichens ein Bäcker zu Harlem, allerhöchst eigenfüßig nach dem westfälischen Wiedertäufer-Zion auf den Weg und brachte seine junge schöne Frau Divara oder Diewer mit, eine Blondine mit feurigen Blauaugen und einer weißen Sammethaut, nur ein bißchen zu holländisch-plastisch geformt, eine Schönheit also von jenem Schlage, wie sie Rubens später so gern gemalt hat.

Jan Matthys, welcher sich die blonde Divara in vorweggenommener mormonischer Weise »angesiegelt« hatte, während seine rechtmäßige Ehefrau noch lebte, muß allem nach einer jener Fanatiker gewesen sein, welche an den Lügendunst, den sie andern vormachen, selber fest glauben und ebenso bereit sind, für ihren Wahn zu sterben als andere dafür sterben zu machen. Ein richtiger, das heißt, ein aufrichtiger Petroliker von damals demnach. Wenn seinem Jünger Bockelson zu glauben, war Matthys der Mann, welcher zuerst den Geist der Rebellion und des Blutes in die Wiedertäuferei gebracht hat. In einem seiner Verhöre hat nämlich der Exkönig von Zion seinen Meister als den bezeichnet, »der anfencklich den gebruich des schwertz und gewallt widder die obricheit have ingefort und gefurdert«. Wie in anderem ließ jedoch der Jünger den Meister auch hierin bald weit hinter sich. Bockelson systematisierte die wilden Instinkte des fanatischen Bäckers von Harlem, er brachte Methode in den grausamen und wollüstigen Größenwahn der Wiedertäuferei.

Wer war nun dieser Mensch? Dem Protokolle seines am 25. Juli 1535 zu Dülmen bestandenen Verhörs zufolge hat er über seine Persönlichkeit folgende Auskunft gegeben. Er war zu Leiden in Holland geboren und aufgefüttert (»upgefuedet«). Dem Unterschulzen Bockel zu Soevenhagen bei Leiden hat bei Lebzeiten von dessen Ehefrau die leibeigene Magd Alit den Jungen geboren. Der Vater scheint für den Bankert nach Möglichkeit gesorgt zu haben. Jan ging zu Leiden in die Schule und lernte dann die Schneiderei (»dat snider ampt«). Seine Wanderschaft als Schneidergeselle führte ihn nach England und Flandern. Heimgekehrt, ließ er sich dann in seiner Geburtsstadt nieder. Aber sein Sinn war nicht bei der Elle, der Schere, der Nadel und dem Bügeleisen. Die Unrast der Zeit war auch in den Schneider gefahren. Er fühlte sich zu Besserem, zu Höherem bestimmt und verfolgte dann richtig diese seine Bestimmung, welche ihn höher und immer höher hinaufführte: auf das Theater, auf die Prophetenkanzel, auf einen Schwindelthron und schließlich auf das Schafott. Als der hübsche und gewandte Bursche, welcher er war, gewann er die Zuneigung der wohlhabenden Witwe eines Schiffmanns, heiratete sie und fing mit den ihm zugebrachten Mitteln ein kaufmännisch Gewerbe an. In dessen Betreibung tat er weite Reisen nach dem Norden zu bis gen Lübeck, südwärts bis nach Lissabon. War aber, scheint es, ein schlechter Handelsmann, kam nicht vorwärts in seinem Geschäfte, sondern entschieden zurück. Fing daher ein anderes an, tat das Wirtshaus »In den drei Häringen« in einer Vorstadt von Leiden auf und sorgte mittels allerhand Schnurrpfeiferei dafür, daß es lustig herging in dieser Pintenschenke. Er spielte den Wirt ganz vortrefflich, denn er war ja ein geborener Komödiant. Daher tat er sich auch bald hervor unter den »Rederijkern« von Leiden und machte in der dortigen »Kamer van Rethorika«, das heißt, in der Gilde der Leidener Reimschmiede, Deklamatoren und Liebhabertheaterspieler, eine vortretende Figur. Hier, unter den »Gesellen van den Spele«, mag er sich die Bühnensicherheit, den theatralischen Schick und Takt erworben haben, womit er später den Propheten, den König, den Märtyrer agierte. Denn dieser Mann spielte alles, und gerade daraus erklärt sich ja sein blendender Erfolg. Die Menschen und die Völker wollen schlechterdings, daß man ihnen etwas vorgaukle; vermöge ihrer Erbsünde, das heißt, vermöge ihrer angeborenen Nichtswürdigkeit lieben sie die Lüge und den Schein und hassen sie die Wahrheit und das Wesen. Wer sie verblenden kann, der hat sie. Außer seiner Vervollkommnung als Komödiant trug Jan aus der Leidener Rederijker-Kammer noch etwas davon, die religiöse Oppositionsstimmung, wie sie ja in diesen niederländischen Meistersingerschulen schon frühzeitig daheim gewesen war. Gar keine Frage, Bockelson ist von der religiösen An- und Aufspannung der Zeit ebenfalls stark ergriffen gewesen, und seine ungezügelte Phantasie mußte an den wiedertäuferisch-chiliastischen Träumereien und Wahngebilden großes Wohlgefallen finden. Er, der lustige Schenkwirt, vertiefte sich in die Lesung der Traktate des wiedertäuferischen Orakelers Melchior Hofmann aus Schwäbisch-Hall, eignete sich auch den Inhalt der Bibel an und gelangte auf dem Wege solcher Studien glücklich zum »Gnadendurchbruch«. Einmal so weit pilgerte er zum Jan Matthys nach Harlem und empfing zur Herbstzeit von 1533 von diesem Propheten die Wiedertaufe und das Apostelamt. Ob er von vornherein gewillt gewesen, dasselbe zur Unterlage zeitlichen Gedeihens zu machen, ob er seine neugebackene Gottseligkeit aus demselben Gesichtspunkte betrachtet habe, aus welchem hundert Jahre später der holländische Nationaldichter Jakob Cats die seinige ansah, indem er reimte:

»Es ist das beste Tun, des Lobes wert, auf Erden
Gottselig sein und auch dabei noch reich zu werden« –

wer möchte das bestimmt bejahen oder verneinen? Aber gewiß ist, daß in dem angehenden Propheten, welcher Weib und Kind verließ, um nach Münster zu wandern, eine maßlose Eitelkeit wühlte und eine heiße Ehrsucht gor, welche, bis zum Größenwahnsinn gesteigert und verbunden mit den entzügelten Gelüsten einer wilden Sinnlichkeit, den Mann vorwärts spornte auf seiner verderblichen Bahn.

Die Natur hatte ihm die Mittel verliehen, die Eingebungen seiner Phantasie zu verwirklichen und den Forderungen seiner Leidenschaften genugzutun. Noch nicht ganz fünfundzwanzigjährig, stand er in der Blüte seiner Männlichkeit. Schlank, stattlich und schmiegsam von Gestalt und von anmutiger Gesichtsbildung besaß er jenen einschmeichelnden und zugleich beherrschenden Blick, welcher den Frauen so wohlgefällt. Überhaupt, die Weiber hatte er weg. Hatte sie so sehr weg, daß ihm seine verlassene Ehefrau auch dann noch, als sie erfahren, daß der vielseitige Treulose nicht weniger als fünfzehn andere sich angesiegelt habe, eine innige Zuneigung bewahrte. Wer aber die Weiber hat, der braucht sich um die Männer nicht sehr zu sorgen, maßen die bessere Hälfte der Menschheit die schlechtere von selber nachzieht. Es war und ist daher ganz in der Ordnung, daß namentlich Religionenstifter und Propheten ihr Absehen zunächst auf das schönere und, wie gesagt, bessere Geschlecht richteten und richten. Auch unser Jan tat so, und es ist zweifellos, daß sein Auftreten und Gebaren in der Frauenwelt von Münster für das wiedertäuferische Kredo reißende Propaganda machten. Alles zusammengehalten, muß man daher in dem Schneider von Leiden einen Mann erkennen, dessen ganze Persönlichkeit, dessen Gaben und Talente über das menschliche Durchschnittsmittelmaß beträchtlich emporragten. Einer seiner redlichsten und urteilsfähigsten Zeitgenossen, der um 1545 verstorbene Chronist Sebastian Frank, hat von dem Wiedertäuferkönig gesagt, daß er »von Angesicht, Person, Gestalt, Vernunft ein redsprech, rathweiß, anschlegig, an Behendigkeit, unerschrockenem stolzen Gemüt, von künen Taten und Anschlegen ein edel wohlgeschickt und wunderbarlich Mann sei gewesen«. Das hieß nun freilich den Mund sehr voll nehmen und ist dabei in Anschlag zu bringen, daß Frank ein abgesagter Feind des rasch zum unduldsamen und verfolgungssüchtigen Dogmatismus verknöcherten Luthertums war. Aber ein genialer Schwindler war Jan Bockelson schon, das läßt sich nicht bestreiten. Er mag wohl auch vom Schmerze der Kreatur im Innersten angefaßt und vom Weh seiner Zeit lebhaft ergriffen gewesen sein. Aber über allem seinem Fühlen, Denken und Tun schwebte doch immer bestimmend und beherrschend das Gauklerisch-Eitle seiner Natur, die Sucht, um jeden Preis eine glänzende Rolle zu spielen, die Wut, zu herrschen, zu schwelgen und, wenn nötig, zu morden. Vielleicht kennzeichnet man ihn am treffendsten, wenn man ihn den Lassalle des 16. Jahrhunderts nennt.

3.

Die Wiedertäuferei war eine mit Blut und Feuer geschriebene Glosse zu dem in der sogenannten Weltgeschichte bekanntlich unzählig oft wiederkehrenden Thema: »Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage«. Der Anabaptismus hat das religiöse Prinzip der Reformation ins Mystische, Schwärmerische, Fanatische hinaufgeschwindelt und alles Ernstes gefordert, daß die apokalyptisch-tollen Träume von einem »tausendjährigen Reiche der Heiligen« verwirklicht werden müßten. In politischer und sozialer Beziehung war die Wiedertäuferei vorweggenommener Maratismus und Babeufismus; denn sie ging darauf aus, die Gesellschaft in einen wüsten Trümmerhaufen zu verwandeln, um auf solcher Grundlage eine phantastisch-kommunistische Schreckensherrschaft mit Gütergemeinschaft, Vielweiberei und allem sonstigen Zubehör eines »menschenwürdigen Daseins« aufzurichten. Laßt uns zusehen, wie das auf der roten Erde für eine Weile gelungen ist, und welchen Verlauf und Ausgang das Abenteuer hatte.

Schon in den ersten Wochen des Jahres 1534 zeigte die alte Stadt Münster eine wesentlich veränderte Physiognomie, Eine Menge von fremden Gesichtern machte sich in den Gassen bemerkbar. Man sah auffallend viele in Grau und Schwarz gekleidete Männer, und man sah auch viele Frauen, welche, statt die in Münster bräuchlichen Kopftücher (»hoevet doich«) zu tragen, die Kapuzen ihrer »Muschen« über die Haare gezogen hatten. Allwo diese Männer und Frauen sich begegneten, faßten sie sich bei den Händen, küßten sich auf den Mund und der oder die Küssende sagte: »Lieber Bruder (oder: Liebe Schwester), der Friede Gottes sei mit dir!« Worauf der oder die Geküßte: »Amen!« Das war die Losung und das Erkennungszeichen der Wiedergetauften.

Denn das Werk der Wiedertaufe war bereits in vollem Gang und Zug. Die Predigten des Meisters Jan Matthys und seines Lieblingsapostels Jan Bockelson hatten mächtig gewirkt. Die beiden Propheten predigten aber auch, wie der jetzt vollständig verschwarmgeisterte Stutenbernt an die Wiedertäufer der umliegenden Ortschaften schrieb, »das Wort Gottes mit unglaublicher Lieblichkeit«. Was wunders, daß die Frauenwelt solcher »Lieblichkeit« nicht zu widerstehen vermochte? Zunächst ergriff der heilige Veitstanz die »Bräute Christi«. Die Nonnen von Sankt-Aegidi nämlich und darauf auch die von Overat verspürten einen unwiderstehlichen Drang nach der Wiedertaufe und nebenbei auch nach der Ehe, deren Beschwernisse – sagt unser Augenzeuge naiv – sie ja nicht kannten. Die fromme Neugier trieb mehr und mehr der Frauen und Mädchen in die wiedertäuferischen Konventikel, und den Frauen und Mädchen folgten mählich Männer und Jünglinge. Denn so ist die Ordnung der Natur, daß, wo Gänse und Gänschen vorhanden, es niemals an älteren und jüngeren Gänserichen fehlen wird. Noch hatten die Wiedertäufer lange nicht die Mehrheit in der Stadt, aber ihr Weizen war doch in saftigem Wachsen. Schon war es so weit, daß innerhalb der Ringmauern von Münster das Ansehen und die Befehle des Bischofs, des rechtmäßigen Landesherrn, mißachtet werden konnten. Die Bemühungen des Rates, der Wiedertäufern Abbruch und Einhalt zu tun, fielen ebenfalls ganz kläglich aus. Der Versuch, mittels Herbeiziehung des hessischen Prädikanten Dietrich Fabricius, die Protestanten Münsters im orthodoxen Luthertume zu steifen, mißlang völlig. Weiber schalten den Hessen: »Der kann nicht einmal münsterisch reden!« und halbwüchsige Mädelchen wußten auf offenem Markte mit Anspielung auf die lutherische, durch Fabricus vertretene Abendmahlslehre Spottreden zu führen von »dem hessischen Gotte, so da essbar sei«. Allnächtlich gingen die wiedertäuferischen Buße- und Bekehrungsrufe durch die Gassen, und am 7. Februar liefen Wiedertäufer und Wiedertäuferinnen in der Stadt herum, fistulierend: »Wehe, dreimal wehe! Tut Buße und nehmt die Taufe, so ihr der Rache des Herrn entgehen wollt; denn sein Tag naht eilends heran.« Ein Schneider, welcher es seinem Kollegen Bockelson gleichzutun sich abzappelte, sah den himmlischen Vater in den Wolken und schrie wie besessen den Leuten zu, »sie sollten sich unzögerlich taufen lassen, falls sie der ewigen Pein entgehen wollten«. Schon am folgenden Tage wurde auch offenbar, daß die Lehre des Bäckers von Harlem, gegen dem wiedertäuferischen Heile widerstrebende Obrigkeiten sei mit Gewalt vorzugehen, auf fruchtbaren Boden gefallen war. Denn an diesem achten Februartage brachen die Wiedertäufer in offene Rottierung aus. Sie sammelten sich auf dem Marktplätze, bemächtigten sich des Rathauses und nahmen die dort aufbewahrten Warenvorräte weg. Knipperdollinck erging sich in visionären Rasereien und die Versammelten erhitzten sich gegenseitig mehr und mehr. Es sah ganz so aus, als wollten die Wiedertäufer schon heute gewaltsam der Stadt sich bemächtigen. Der Versuch unterblieb indessen, denn die beiden Jane, die Propheten, welche hinter den Kulissen die Drähte, an welchen die rottierenden Marionetten befestigt waren, leiteten, waren »klug wie die Schlangen«, das heißt, sie entschieden, der Tag, »die Tenne vom Unkraute zu reinigen«, sei noch nicht gekommen. Sie hatten ja eingesehen, daß sie aus der Minderzahl erst zur Mehrzahl werden müßten.

Die Mehrzahl der Bewohnerschaft von Münster, den Rat inbegriffen, handelte an diesem Tage ebenso töricht, unschlüssig und feig, wie in unserer Zeit am 18. März 1871 die ungeheure Mehrheit der Bewohnerschaft von Paris gehandelt hat. Wie an diesem Märztage die Pariser Kommunisten mit Leichtigkeit hätten erdrückt werden können, gerade so an jenem Februartage die Münsterer Fanatiker. Hier wie dort war man dumm und lässig genug, das Feuer nicht auszutreten, und dort wie hier wurde dasselbe dann zu einer verheerenden Brunst.

Schon waren die gegen das wiedertäuferische Unwesen gestimmten Bürger in Wehr und Waffen getreten, schon war auf Anordnung des Rates der Marktplatz abgesperrt und mit Geschützen umstellt, schon hatte auch der Bischof von seinem Schlosse zu Telgte Botschaft hereingesandt, daß er mit seinen Reisigen der Bürgerschaft zur Hilfe zu kommen im Begriffe sei, kurz, alles war zu einem tüchtigen Schlage bereit, als einer jener zu aller Zeit vorkommenden Vermittler, welche einen unwiderstehlichen Kitzel fühlen, Weiß und Schwarz zu einem unersprießlichen Grau zusammenzumantschen, dazwischen trat. Diesmal war der Mantscher jener hessische Prädikant Fabricius, welcher, um sich im ganzen Glanze christlicher Liebe und Versöhnlichkeit sehen zu lassen, die Nichtwiedertäufer zu bestimmen suchte und wußte, Frieden zu halten. Daß er damit durchdrang, dürfte einen oder wohl den Hauptgrund darin gehabt haben, daß etliche Mitglieder des Rates der Wiedertäuferei schon heimlich zugeneigt waren und andere die Besorgnis hegten, der Ausbruch des Kampfes zwischen den Bürgern von Münster könnte dem Bischof Gelegenheit geben, der Stadt sich zu bemächtigen, was alle protestantisch Gesinnten verhindert sehen wollten. Genug, die Gunst des Tages und der Stunde wurde schmählich verpaßt, an die Stelle energischen Handelns trat schwächliches Verhandeln und dieses führte zu einem Kompromiß, kraft dessen die Glaubensfreiheit innerhalb der Stadt gewährleistet und bestimmt wurde, daß niemand in seinem Gewissen und in seinem Besitze gestört werden, und daß männiglich der Gewaltsamkeit entsagen und der Obrigkeit gehorchen solle. Der Fürstbischof hatte, vor dem Tore angelangt, dasselbe verschlossen gefunden und mit seinen Reitern wieder hingehen müssen, woher er gekommen.

Natürlich war das nur ein ganz fauler Friede, der ausschließlich den Wiedertäufern zugute kommen konnte. Die Domherren und andere katholische Patrizier wußten wohl warum, als sie sich nach dem achten Februar von dannen huben. Auch die Wiedertäufer wußten warum, als sie dazumal eine Schrift ausgeben ließen, worin sie sagten: »Unsere Angesichter wurden schön von Farbe«. Sie fühlten ihre Stärke, und daß bei ihnen, bei welchen der Mut war, bald auch die Macht sein würde. Den geschlossenen Frieden betrachteten sie als einen Waffenstillstand, welchen sie gerade so lange einhalten wollten, als sie mußten. Sie waren der Zukunft, der nächsten schon gewiß. Ekstatische Weiber schrien auf den Gassen »Mirakel! Mirakel!« und hüpften dazu, »als wollten sie fliegen«. Kinder taten weissagende Mäuler auf und sangen: »Niemals ist auf Erden größere Freude gewesen!« Der Unsinn marschierte prächtig.

4.

Noch in demselben Monat Februar von 1534 kam die Gewalt in Münster von Rechts wegen, sozusagen, in die Hände der Wiedertäufer und konnte das um so leichter geschehen, als ja von den angesessenen Bürgern eine immer größere Zahl der Vaterstadt den Rücken kehrte. An Ersatz fehlte es aber nicht: für jeden auswandernden Münsterer kamen mindestens drei fremde Zuzügler herein. Denn der Stutenbernt hatte in die Nähe und in die Ferne einen »Posaunenruf« ausgehen lassen, daß männiglich und weibiglich, so da des zeitlichen und ewigen Heiles froh werden wollte, sich aufmachen sollte zu den Gezelten Israels, zu wohnen in dem neuen Jerusalem. Das zog. So etwas brauchte man ja der heiligen und der unheiligen Gesindelschaft nur zu sagen. Das Menschenspülicht strömte nur so zu den Toren herein: Männer, die ihrer Weiber, und Weiber, die ihrer Männer überdrüssig waren, fühlten plötzlich ein Lechzen nach dem zu Münster quillenden Brunnen der göttlichen Gnade. Mädchen, welche die Wiedertaufe als ein Patent auf Männer betrachteten, kamen auch. Leibeigene, deren es dazumal auf der roten Erde noch kaum weniger viele gab, als es heutzutage daselbst Geisteigene gibt, suchten in dem neuen Jerusalem die Freiheit, die sie meinten. Auch viele ganz ehrliche Enthusiasten waren unter den Einwanderern. Sie wähnten alles Ernstes, in Münster müßten alle die Blütenträume von Freiheit, Glück und Heiligkeit, welche der Zeitschwarmgeist ausgeheckt hatte, ihre früchtereiche Erfüllung finden. Einer der Einwanderer dieses Schlages war der Pfarrherr von Gildhausen, Bernt Krechting, welcher Seelenhirt einen ganzen Trupp seiner »Schafe« mitbrachte und den wir bald in der Vorderreihe der wildesten Fanatiker erblicken werden. Die Masse der Zuzügler bestand jedoch aus Holländern und Friesen, und es ist merkwürdig, zu sehen, wie das angestammte Phlegma dieser Leute durch den Dämon religiöser Wut zur heftigsten Gärung um- und aufgerührt wurde.

Selbstverständlich hatten alle diese Fremdlinge keine Spur von heimatlichem Gefühle für die Stadt und kümmerte es sie nicht im geringsten, was für ein Unheil sie über dieselbe heraufführen halfen. Sie lebten und webten nur in den fixen Ideen, in den Wahngebilden ihrer Sekte, soweit sie nämlich ehrliche Narren und nicht kalkulierende Gauner waren, und ihr ganzes Gebaren bietet eins der erstaunlichsten, erschrecklichsten Beispiele, wie ursprünglich rein innerliche Mächte in der Äußerlichkeit des Daseins sich gestalten und formen.

Zeitig im Februar muß die gemeldete Umwandlung der Bevölkerung von Münster schon weit vorgeschritten gewesen sein. Denn nur dadurch wurde die Fastnacht möglich, wie sie diesmal in der Stadt rumorte und rasaunte. Ungehindert vom machtlosen Rate erhoben sich die Wiedertäufer zur Zerstörung der »Götzentempel«. Die Klöster wurden ausgeraubt, der schöne Dom im Innern ganz verwüstet. Die neuen Heiligen zerschlugen und zerschnitten die Statuen und Bilder der alten, zerschmissen die Reliquienkasten und die Messegeräte, stampften auf den Hostien herum, zertrümmerten Orgeln und Uhren. Im Dome wurde getrunken, gesungen und gesprungen. Die helle vorweggenommene Karmagnole von 1793! Ganz so, wie es zur Zeit des wüsten »Désse-de-la-raison«-Spektakels in den Kirchen von Paris herging, so in den Kirchen von Münster im Februar 1534. Und damit eine weitere Parallele zwischen dem zerstörerischen Wahnwitz des sechzehnten und dem des achtzehnten Jahrhunderts nicht fehlte, tat Knipperdollinck, was die Schreckensmänner von 1793 mit dem Straßburger Münsterturm bekanntlich auch tun wollten, das heißt, er forderte und ordnete an, daß die Spitzen der Kirchentürme abgetragen würden, maßen die Zeit gekommen, allwo das Hohe erniedrigt und das Niedrige erhöht werden müßte. O, arme Vernunft, wann wird einmal deine Zeit kommen? Weltrichterin Historia gibt zur Antwort: Nun und nimmer! Denn die Dummheit währet ewiglich und der Gemeinheit und der Bosheit ist kein Ende.

Die Fastenzeit brachte in Münster keine Ernüchterung, bewahre! Sie stellte im Gegenteil das Regiment der Wiedertäufer förmlich fest. Auf den 23. Februar fiel die Erneuerungswahl des städtischen Rates, woraufhin die Propheten die Losung gegeben hatten: »Wählt nicht wie bislang nach dem Gelüste des Fleisches, sondern nach der Eingebung des Geistes.« Der Geist, nämlich der des souveränen Unverstandes, gab denn auch richtig den Münsterern ein, zu Mitgliedern des Rates lauter Wiedertäufer zu küren und zu Bürgermeistern den Knipperdollinck und einen gewissen Kipenbroick, eine wiedergetaufte Null, wie es scheint.

Der lustige, lärmende Bernt wäre demnach der Gebieter von Münster gewesen, so er nicht zwei Herren über sich gehabt hätte, die beiden Jane, den Matthys und den Bockelson. Gresbeck meldet sehr richtig: »Dieselbe twe Propheten weren die obersten mit den Bürgermeistern und raet in der stat Monster«, das heißt eben nur: Bürgermeister und Rat taten, was die Propheten ihnen einbliesen.

Zuvörderst wieder eine schnöde Gewalttat: die Austreibung aller, welche die freche Botschaft der Wiedertäuferei nicht annehmen wollten, also die Verjagung von Bürgern und Bürgerinnen aus Haus und Heim, aus Besitz und Recht. Es terroristelte und kommunistelte schon ganz offen und wurden die wüsten Leidenschaften mehr und mehr entstammt durch die Gewißheit, daß der Fürstbischof dem Unwesen in seiner Stadt nicht länger untätig zusehen wollte. Man wußte, daß er die Fürsten, Prälaten und Reichsstädte den Rhein auf und ab und bis ins Reich hinein zu freundnachbarlichem Aufsehen gemahnt, daß er von seiten katholischer wie lutherischer Fürsten Unterstützung zugesagt erhalten, daß er in seinen Stiften die Vasallen aufgeboten, Landsknechte angeworben, Geschütz und anderes Kriegszeug angeschafft hätte und nach also bewerkstelligter Rüstung jetzo heranzöge, um die Stadt einzuschließen und zu belagern.

Freitag, den 27. Februar lief des Morgens bei heftigem Windwehen und Schneetreiben Jan Matthys durch die Stadt, rufend: »Bekehret euch, ihr Ungläubigen! Das Schwert Gottes ist über euren Häuptern!« Etwas später hielten die Wiedertäufer in Wehr und Waffen ein Konventikel auf dem Rathaus ab. Der Oberprophet dämmerte eine Weile vor sich hin, wie schlafend. Dann fuhr er auf und schrie: »Hinweg mit den Kindern Esaus, das Erbe gehört den Söhnen Jakobs! Hinweg mit den Gottlosen, welche sich der Taufe weigern, aus der Stadt, damit durch den Verkehr mit ihnen das Volk Gottes nicht bemakelt werde!«

Und sofort begann das erbarmungslose Werk der Austreibung aller, welche ihr Gewissen höher hielten denn ihre Heimstätte und Habe. Es gab aber viele, welche dachten: Der Gescheitere gibt nach! und diese Realpolitiker gingen nach dem Marktplatze, wo die Wiedertäuferbonzen den Prozeß der Wiedergeburt sehr beförderlich abmachten, indem sie die Willigen aus einem vor ihnen stehenden Wassereimer tauften. Wer sich nicht zu der elenden Posse herbeiließ, mußte fort. Bewaffnete Fanatiker brachen in die Häuser der Widerstrebenden ein, rissen die Insassen heraus und trieben alle, Männer und Frauen, Greise und Kinder, Gesunde und Kranke, unter Mutwill und Mißhandlung zu den Toren hinaus, nachdem sie ihnen unter den Wölbungen derselben noch alle in der Eile etwa zusammengerafften und mitgeschleppten Habseligkeiten entrissen hatten. Arm und bloß, viele darunter halbnackt und barfüßig, stieß man sie in den Schnee und das Unwetter hinaus. Auch der Rache des Bischofs in die Arme. Denn unter den Ausgetriebenen befanden sich notorische Protestanten und diese ließ Franz von Waldeck, dessen Herzenshärte nicht geringer war als die der Wiedertäufer, greifen, wo man sie traf, und ohne weiteres hinrichten. Als die Kunde hiervon nach Münster gelangte, nahmen die wenigen Lutheraner, welche sich noch in der Stadt zu verbergen oder sonst zu halten gewußt hatten, die Wiedertaufe, um also, da sie ja doch draußen dem bischöflichen Galgen nicht entgehen könnten, wenigstens drinnen vor dem Schwerte der Wiedertäufer gesichert zu sein. Daß dieses Schwert zum Zuschlagen sehr bereit war, konnte keinem Zweifel unterstellt werden. Hatte doch vor dem Austreibungstag der rabiate Bäcker von Harlem bei einer vertraulichen Beratung der Führer den Vorschlag gemacht, alle »Gottlosen«, das heißt, alle Papisten und Lutheraner in Masse abzuschlachten, damit »ein christliches Gemeinwesen hergestellt würde, welches dem himmlischen Vater ungestört dienen könnte«. Geradeso wollten Marat und Komp. später mit den Royalisten und Konstitutionellen aufgeräumt wissen zugunsten der »einen und unteilbaren Republik«. Die menschliche Narrheit und Wut wechseln nur die Stichwörter, das ist alles.

Der Sinn des 27. Februars ist übrigens klar: die Wiedertäufer wollten nicht nur die Herren der Stadt sein, sondern sie wollten auch die ganze Bewohnerschaft derselben zu Mitschuldigen haben. Nur solche, nur unsühnbar Kompromittierte, so folgerten sie ganz richtig, würden bereit sein, gemeinsam mit ihnen den Kampf auf Leben und Tod zu bestehen, welchen sie rasch herankommen sahen. Trafen doch schon am 28. Februar etliche Truppen des Bischofs vor der Stadt ein, und hob alsbald die Umschließung der Mauern an. Nach und nach bildeten sich dann um die Stadt her fünf Lager, in welche die bischöfliche Streitmacht verteilt war. Münster war aber den damaligen Belagerungsmitteln gegenüber eine sehr feste und wohlverwahrte Stadt. Die Wiedertäufer müssen sich ihrerseits, wie aus allem hervorgeht, beizeiten zum heftigsten Widerstände gerüstet haben, namentlich auch mittels der Einbringung von Lebensmitteln. Münster wurde jetzt ein Heerlager. Dem Gedanken der Verteidigung mußte alles untergeordnet werden und dienlich sein. So hätte man wenigstens glauben sollen. Die belagerte Stadt bietet aber darum ein ganz eigentümliches Schauspiel dar, weil, während ein äußerer Feind ihre Wälle beschießt und bestürmt, in ihrem Innern ein unerhörtes Narrenstück aufgeführt wird.

5.

Pöbelhaftigkeit war und blieb das oberste Kennzeichen des ganzen widerwärtigen Wiedertäuferrummels und in zwei Merkmalen offenbarte sich zuvörderst diese gemeine Pöbelnatur. Das eine war das brutale Wüten gegen die in Münster vorgefundenen Kunstschätze, wie gegen die Werkzeuge und Errungenschaften der Wissenschaft: die Werke der westfälischen Malerschule und die kostbare Langensche Bibliothek wurden von den Barbaren den Flammen überliefert. Überall und allzeit ist der Jakobinismus, ob ein religiöser oder politischer, kulturfeindlich aufgetreten. Das zweite Merkmal der in Münster herrschenden Pöbelei war die sklavenhafte Niedertracht, womit sich die urteilslose Menge der ihr auferlegten Tyrannei fügte.

Zuvörderst wurde diese gehandhabt durch den Gatten der schönen Divara. Jan Matthys befand sich unbedingt im Besitze der obersten Autorität, und seine Orakeleien waren Gesetze, welche außer ihm selbst niemand ungestraft übertreten durfte. Soweit ein Urteil über ihn möglich, war er ein betrogener Betrüger und glaubte an den von ihm gepredigten Unsinn. Auch ein mutiger Mann ist er gewesen und hat, hierbei von Knipperdollinck energisch unterstützt, der Verteidigung der Stadt einen nachhaltigen Impuls gegeben. Die Bastionen, Bollwerke und Wälle wurden rasch ausgebessert und verstärkt, eine Pulvermühle ward eingerichtet, die ganze wehrfähige Mannschaft teilte man in Rotten und Fähnlein, unterstellte sie kriegskundigen Hauptleuten und wies ihnen Quartiere und Posten an. Auch eine bewaffnete Weiberschar organisierte man, wie denn gar vieles in dieser wiedertäuferischen Wirtschaft an das Treiben der Pariser Kommunisten von 1871 erinnert. Und warum auch nicht? Die Prinzipien und Motive waren ja da und dort dieselben, nur daß für die Kommunisten von 1534 die »Hypothese Gott« noch kein »überwundener Standpunkt« wie für die von 1871. Auch die Kinder richtete man in dem belagerten Münster zur Leistung kleiner kriegerischer Dienste ab. Die Glocken nahm man von den Türmen und goß sie zu Falkaunen, Notschlangen und Scharfmetzen um. Kühne Streifscharen benutzten die immer noch mangelhafte Einschließung der Stadt, um hinauszufallen und von da und dort Munition, Vieh und sonstige Lebensmittel hereinzubringen.

Und maßen wir eine Gemeinde von lauter Heiligen und Wiedergeborenen, von eitel Brüdern und Schwestern sind, so laßt den fluchwürdigen Brauch des Sondereigentums unter uns abgetan sein. Uns sei alles gemein, wenigstens zur Nutznießung. Ihr Reichen, heraus mit eurem sündhaften Mammon, heraus bei Todesstrafe! Liefert euer Gold und Silber, eure Schmucksachen, eure Barschaften und Kapitalienbriefe auf dem Rathause ab, bei Todesstrafe! Leert aus eure Privatsäckel in die Kasse der Allgemeinheit, bei Todesstrafe! Alles sei uns gemein und so auch das Essen und Trinken. Laßt unsere Brüder Zimmerleute und Schreiner große Tafeln aufschlagen auf dem Domhof, auf dem Marktplatz und wo sonst ein passender Ort. Daran setzen wir uns zu liebchristlichen Brüder- und Schwestermahlzeiten und soll jeder und jede ohne Murren essen und trinken, was ihnen vorgesetzt wird, und dazu hören wir ein Kapitel aus dem alten Testament vorlesen und stimmen zum Anfang und zum Ende einen Psalm an. Und also geschehe es; denn so will es Gott und will es sein Prophet Jan Matthys.

Man sieht, das »tausendjährige Reich« machte sich. Schon war der Raub auf der Tagesordnung, und es fehlten jetzt nur noch der Mord und die Unzucht. Sie sollten nicht lange auf sich warten lassen, um das heilige Trifolium vollzumachen, dem »himmlischen Vater« ein Wohlgefallen. Denn bekanntlich haben es die Menschen von jeher so einzurichten gewußt, daß sie die von ihnen verübten Schändlichkeiten ihren Göttern in die Schuhe zu schieben verstanden. Freilich, die Götter, welche sich die Menschen machten und machen, waren und sind auch danach. Man kann sich ja leicht vorstellen, was dabei herauskommen konnte und kann, wenn das Wort: »Wie der Mensch, so sein Gott« – zur Wirklichkeit wurde und wird.

So ging der Winter herum und zur Osterzeit trat die Wiedertäufern in eine neue Phase, indem der Jan von Leiden den Jan von Harlem in der Stelle des leitenden Propheten ersetzte.

Und das ging so zu. Am Tage vor dem Osterfeste war Jan Matthys mit der schönen Divara bei einer Hochzeit (»brueloft«) und waren die Gäste fröhlich im Herrn. Da – wir wollen unsern wackern Augenzeugen in seinem naiven Platt erzählen lassen – »do qwam Johan Matthias des doepers geist an und sat euer lanck und schlogh die hende tho hoep und schlogh dat hoevet up und nieder und was in grotem suechten, recht wie dat hei sterven sol. Die andern, die bei inne setten, schwiegen stil und sagen sein bedrief an. Tho dem lesten wert hei widder up wacken und sachte mit einem suchten: ›O, lieve vader, nicht wie ick wil, mehr wo du wilt!‹ und stunt up und gav ein ieder die hant und kusde einen ieder für den munt und sacht: ›Goddes frede sei mit iw al!‹ und is enwech gegain mit seiner frawen.« Der von Gresbeck erwähnte »Täufersgeist«, welcher über den Propheten gekommen war, hatte ihm ohne Zweifel eingegeben, es sei jetzt die passende Zeit, die Gemeinde der Heiligen von der unbequemen Umschließung zu befreien. Am folgenden Tage »prophetierte« er, der himmlische Vater habe ihm aufgegeben und befohlen, die Feinde hinwegzutreiben. Er »was ein groet langh man und hadde einen groten schwarten Bart« und neben seiner Körperlänge und seinem großen Bart hatte er auch den Tollmut der fixen Idee. So nahm er denn einen langen Spieß, und gefolgt von »ten oder twentigh« Mitnarren, fiel er zum Ludgertor hinaus ins bischöfliche Lager. Von den Wällen herab sah man mit geziemender Spannung und Andacht dem Verlaufe des Narrenstreiches zu. Dieser Verlauf war, wie er sein mußte. Die »frummen« Landsknechte gingen ganz rücksichtslos mit dem heiligen Manne um. Derselbe wurde nämlich von ihnen »mit einer spiesen doerstecken und do hewen ime die lansknecht den kop af und heuwen in do in hondert stucker und schmeten sik darmede«. Also die Landsknechte spielten mit den Körperfetzen des in Stücke gehauenen Propheten Fangball, sozusagen. Eine üble Erfüllung der Befreiungsprophezeiung das! Bohrte der Speerstoß, welcher dem Jan Matthys durch den Leib gegangen, nicht zugleich auch ein bißchen den Wiedertäuferdippel? Behüte! Dadurch wäre ja unser Greuelspiel um seine Peripetie und um seine Katastrophe gekommen und das durfte doch nicht sein.

Übrigens war ja für den verhauenen Oberpropheten sofort ein Ersatzmann bei der Hand, welcher das Zeug und den Willen besaß, den Brüdern und Schwestern von der Wiedertaufe noch ganz andere Tänze aufzuspielen, als ihnen der arme Matthys gegeigt hatte. Schade, daß wir so wenig davon wissen, was alles während der Aufführung des Münsterer Wiedertäuferdramas hinter den Kulissen vorgegangen. Wüßten wir mehr davon, so konnten wir wahrscheinlich sagen, daß der »doepers geist«, welcher dem Bäcker von Harlem sein verrücktes Unternehmen eingeblasen, eigentlich Jan Bockelson geheißen habe. Denn das steht wohl mit Bestimmtheit zu vermuten, daß der heilige Bäcker dem heiligen Schneider im Wege gewesen war – erstens als Oberprophet und zweitens als Eheherr der schönen Bierbrauerstochter Divara.

»Do woert Johan von Leiden der overste prophet und was do prophet alleine«, meldet Gresbeck. Ja, der weiland Schneidergesell und Drei-Häringe-Wirt sprang rasch genug in die Lücke, welche das Verschwinden seines Meisters verursacht hatte. Zunächst trat er auf als Tröster der betrübten Gemeinde der Heiligen und hielt an die auf dem Kirchhofe bei den grauen Mönchen versammelte eine Predigt, worin er bewies, daß »Got iss mechtiger, dan Johan Matthias was«. Item, daß Gott wohl wieder einen Propheten erwecken könne und werde, um durch dessen Mund seinen Willen kundzutun. Hierauf tat er durch Mitteilung eines prophetischen Gesichtes, welches ihn, Jan von Leiden, den Tod seines Meisters habe voraussehen lassen, den Gläubigen dar, daß der neue Prophet allbereits gefunden sei und zwar in seiner eigenen liebwertesten Person.

Natürlich fand er Glauben, inbrünstigen, inbrünstigsten, wie solchen jeder Gaukler findet, falls er mit der gehörigen Zuversicht und Unverschämtheit auftritt. Von diesem Tage an war Bockelson tatsächlich der Herr und Gebieter von Münster.

Bevor er nun sein Herrscherspiel anhob und in großem Stile zu gaukeln begann, tat er, was andere Religionenstifter und Propheten unter ähnlichen Umständen auch getan haben, das heißt, er hüllte sich in geheimnisvolles Schweigen, weil »Gott ihm den Mund verschlossen«, und zog sich in beschauliche Einsamkeit zurück, um »Rat zu halten mit dem Geiste«. Der »Geist«, nämlich des Unsinns und der Lüge, ist ja bekanntlich in solchen Fällen immer bei der Hand mit seinen Ratschlägen. Diesmal gab er dem Propheten ein, das ganze Regiment in Münster müßte auf biblischem Fuße eingerichtet werden. Nach Pfingsten dann berief Jan, aus seiner Zurückgezogenheit und seinem Schweigen wiederum heraustretend, die Versammlung des heiligen Volkes und offenbarte, daß die bislang in Kraft gewesene Verfassung der Stadt samt dem bestehenden Rate abzutun und eine neue, nach dem Muster der israelitischen zugeschnittene, einzuführen sei. Die Bewohnerschaft von Münster sei das neue Volk Israel, folglich in zwölf Stämme einzuteilen und von zwölf Ältesten zu regieren. Zugleich bezeichnete der Prophet diese zwölf Ältesten. Der Stutenbernt seinerseits tat dann sein Prädikantenmaul weit auf, lobpries die neue Einrichtung und erklärte dieselbe für einen unmittelbaren Ausfluß vom Willen des himmlischen Vaters. Widerspricht jemand? Behüte! Also einstimmig angenommen. Der bekannte souveräne Volkswille hat sich unwiderstehlich kundgegeben.

Im stillen freilich werden gewiß viele Nein abgegeben worden sein. Wie die echten Münsterer von dieser Nachäffung des alten Testaments dachten, verrät unser Augenzeuge, indem er trocken meldet: »Die boeswichters, die rechte wiederdoepers, sie wolden allein hern sein.«

Alles fügte sich knechtschaffen dem neuen Gebieter und seinen Kreaturen, zu einer solchen war jetzt auch der gewesene Bürgermeister Knipperdollinck herabgesunken. Es klingt fast wie diabolischer Hohn, wenn unlange nach Verkündigung der neuen Verfassung der Prophet die Offenbarung von sich gab, es sei des himmlischen Vaters Wille, daß das frühere Oberhaupt des Gemeinwesens fortan der »Schwertträger in Israel« sein solle, das heißt, der Scharfrichter, wobei zu bedenken, mit welcher grenzenlosen Verachtung dazumal dieses Amt angesehen war. Knipperdollinck fügte sich, vielleicht in der Voraussicht, daß die Stelle des Henkers in dem gottseligen Wiedertäuferstaate bald die zweitoberste sein werde.

Gesetze und Verordnungen ergingen nun in alttestamentlichem Sinn und Gewande. Die zwölf Ältesten nahmen es anfänglich ganz ernst mit ihrer Stellung und Autorität, mußten jedoch bald innewerden, daß in dem neuen Israel nur ein Wille gelte, der des Propheten, dessen willfährige Werkzeuge sie dann geworden sind. Selbstverständlich ließ der Prophet das Scheinbild der Volkssouveränität, wie sich dasselbe in den Versammlungen der Gemeinde ausgebildet hatte, bestehen. Auch dieser Gaukler verstand es, was vor und nach ihm so viele Gaukler verstanden haben, der Menge weiszumachen, sie regierte sich selbst, während sie doch in Wahrheit der absoluten Willkür ihrer zeitweiligen, je nach den Umständen theokratisch oder demokratisch gaukelnden Despoten untertan war. So rechte Musterbilder von solchem Despotismus waren Jan von Leiden und Napoleon III.; jener handhabte die theokratische, dieser die demokratische Blendwerksmaschinerie sehr geschickt, solange es eben ging. Denn gar zu lange kann und darf so eine Komödie nicht währen, weil die Leute wieder eine andere haben wollen, eine neue, neuere, neueste und so fort bis an das Ende der Tage.

6.

Man lebte also zu Münster vergnüglich im Herrn. Für das leibliche Brot sorgte der Kommunismus, für das geistige der Prophet. Die Belagerung kam nicht so recht vom Fleck. Es wurde eigentlich gegenseitig mehr auf einander gehöhnt, gescholten und geflucht als geschossen, gehauen und gestochen. Der Herr Fürstbischof war kein General und seine Bundesgenossen unterstützten ihn nur saumselig. Es fehlte ihm auch an Geld, weshalb seine Landsknechte gelegentlich meuterten und überhaupt zum Fechten nicht sehr aufgelegt waren. Das Kriegshandwerk von dazumal ist ja in der Regel mit erstaunlicher Bequemlichkeit, Weitschweifigkeit und Schneckenhaftigkeit betrieben worden.

Maßen wir demnach da drinnen in Münster vorderhand in aller Sicherheit unsern alttestamentlichen Gelüsten nachgehen können und die untröstliche junge Witib Divara sehr reizend ist und wir der herrschende Prophet von Gottes Gnaden sind, so laßt uns ein neues Gebot offenbaren zur Ehre des himmlischen Vaters.

Und er tat so, der heilige Mann. Denn er begehrete heftig nach der schönen Divara und hatte doch schon der Eheweiber zwei: eins dort unten zu Leiden in Holland und ein zweites hier oben in Münster, eine gewesene Magd Knipperdollincks, so der Prophet unlange zuvor sich angesiegelt hatte. Da mußte nun wieder einmal der gute »himmlische Vater« helfend eingreifen.

Im heißen Julimond trat der Prophet hervor mit der Offenbarung: »Fürohin soll ein Mann nicht gebunden sein an ein Weib, sondern mag so viel Weiber, als er will, zur Ehe nehmen. Der bisherige Ehestand soll als heidnisch abgetan sein. Wachset und mehret euch! Das ist der Wille des Herrn.« Der Stutenbernt und noch etliche Prädikanten wagten doch eine schüchterne Einsprache gegen die Ungeheuerlichkeit der Vielweiberei. Aber der gelüstige Jan schwur, der himmlische Vater habe durch seinen Mund gesprochen, und sie fügten sich und sprachen in der Volksversammlung dafür. Das »souveräne« Volk sagte natürlich Ja und Amen dazu, »Do heft der duvel gelacht«, bemerkt Gresbeck.

Der Teufel, ja, der konnte lachen zu dieser Zurückführung patriarchalisch-biblischer Barbarei. Wer aber nicht dazu lachte, das war der wackere Schmied und frühere Aldermann Mollenhöck. Dem empörte sich das deutschehrbare Gemüt gegen die fromme Affenschande der alttestamentlichen Vielweiberei und er beschloß, den Anlaß zu einem Versuche zu benutzen, seine Vaterstadt von der ganzen Wiedertäuferunfläterei reinzufegen. Aber das Glück war wider ihn. Es war des Unsinns und Unheils noch nicht genug geschehen. Der Dippelhaber war noch nicht reif zum abmähen. Jedenfalls war Mollenhöck nicht der richtige Mähder. Zwar brachte er einen Trupp von Bewaffneten zusammen und es gelang ihm, in der 30. Julinacht den Hauptgaukler Jan und noch andere Häuptlinge der Wiedertäuferei in seine Gewalt zu bringen. Aber dann versäumte er es, noch in der Nacht der beherrschenden Punkte in der Stadt sich zu bemächtigen, sowie mit den Gefangenen kurzen, kürzesten Prozeß zu machen, wie alsbald einer mit ihm selbst gemacht werden sollte. Denn bei Tagesanbruch eilten die fremden Eindringlinge zu den Waffen, befreiten ihren Propheten und dessen Apostel und nahmen ihrerseits den armen Schmied und dessen Genossen gefangen. Die Unternehmer des ungeschickt geführten Aufstandes wurden am nächsten Tage von den »Ältesten« kurzweg zum Tode verurteilt. Man band sie an die Bäume auf dem Domhofe, den Schützen zum Ziele. »Wer Gott einen Dienst tun will, schieße zu!« rief der Prophet aus. Nachdem 25 Opfer erschossen worden, fand man, es sei schade um das Pulver, und das Schwert arbeite wohlfeiler. Der »Schwertträger« Knipperdollinck trat jetzt in Funktion.

Er hat an den folgenden Tagen 66 der Besiegten geköpft, wobei ihm der Prophet selber beistand, indem er es nicht unter seiner Würde fand, etliche der dem Tode geweihten Männer allerhöchsteigenhändig zu enthaupten. Man sieht, schon ging auch hier, wie so häufig in der Geschichte, mit der Bestie Wollust die Zwillingsbestie Grausamkeit eifrig Hand in Hand.

Was die Bestie Nr. 1 angeht, so mußten die armen Frauen in Münster jetzt bitterlich erfahren, wie der Tanz ausgeht, wenn Weiber sich beikommen lassen, auf der abschüssigen Bahn der Schwärmerei und Unsitte den Männern hintendrein- oder gar voranzutanzen. Niemals wieder sind im zivilisierten Abendlande die Frauen einer solchen Entwürdigung und Sklaverei unterworfen gewesen, wie sie es dazumal im neuen Reiche Israel zu Münster waren.

Die Ehe – und nur die monogamische kann eine rechte Ehe sein – ist der Grundpfeiler aller menschlichen Gesittung und sie ist auch die Bürgschaft des einzigen wirklichen Glückes, welches dem Menschen gegönnt wird. Darum erhellt die wüste Zerstörungswut und Barbarei des Kommunismus schon klärlich daraus, daß er die Ehe verneint, seinem ganzen Wesen nach sie verneinen muß und auch bekanntlich in alter und neuer Zeit sie verneint und die Vielweiberei und Weibergemeinschaft proklamiert hat.

So tat er auch im Hochsommer von 1534 zu Münster. Die Ehe wurde da, was sie während und unmittelbar nach der Schreckenszeit der Revolution (1793-99) in Paris auch gewesen ist, ein zuchtloses Zu- und Voneinanderlaufen, eine schandbare Prostitution. Mittels der schwersten Bedrohungen, Strafen und Mißhandlungen wurden Frauen und Mädchen gezwungen, alles das Schmachvolle und Unerträgliche zu leiden, was die Vielweiberei mit sich brachte. Entging doch Knipperdollincks rechtmäßige Ehefrau, die den lärmenden Bernt reich gemacht hatte, nur mit knapper Not der Köpfung, weil sie sich geweigert hatte, ihre Kleider mit einer der Nebenfrauen ihres Mannes zu teilen. Ältere Frauen mußten ihren Tyrannen jüngere Kebsen selber zuführen. Verzweiflung und Tod im Herzen, mußten sie für ihre Nebenbuhlerinnen freundliche Worte und Blicke und für den Haremsgebieter ein unterwürfiges Lächeln haben. Und immer weiter stürmte die Verwilderung und schließlich ins Widernatürlich-Schnöde hinein. Denn auch Kinder, unreife Mädchen von dreizehn, zwölf, elf Jahren und noch jüngere wurden gezwungen, »Männer zu nehmen«. Gresbeck bezeugt den Greuel: »Als nu alle frowenluede in der stat Monster moesten menne nemmen, so sint up dat leste gewest kleine megdekens, dieselbe moisten ock menne nemmen. Dieselbe medekens waren alt eilf, twelf oder druttehn iair (ick en doer so iunck nicht schriben, als die medekens waren). Sie weren noch linder und weren noch nicht tho oeren jaren khomen, dat sie nicht wichber en weren. So mosten dieselve medekens ouck menne nemmen, wiewol dat sie tho klein weren und weren noch kinder. So hebben die boeswichters die kleine medekens so lange gehat mit ihrem boesen willen, dat sie die medekens mit einander verdorben, und hadden innen dat lief therbrocken. Und ein teils megdekens sint gestorven, dat sie weren verdorven.« Und das alles geschah »im Namen Gottes«!

Der Oberwüstling von Prophet brachte es binnen kurzem dazu, in seinem Harem fünfzehn »Ehefrauen« zu vereinigen.

Bei so erwecklich alttestamentlich-orientalischen Zuständen war es ganz in der Ordnung, daß unser neues Israel unter anderem Biblischen auch seine Judith haben wollte. War da nämlich eine junge und vermutlich auch hübsche Friesin, Hilla Feicken geheißen, so nach Münster gekommen, allda ihrer Seele Heil zu suchen. Die hatte einmal aus der Bibel das Kapitel vorlesen gehört, allwo geschrieben steht, wie die Judith von Bethulia dem armen Holofernes getan haben soll, um ihre Vaterstadt von der Belagerung zu ledigen. Sofort war ihr Entschluß gefaßt, dem neuen Holofernes, dem belagernden Fürstbischof, mitzuspielen, wie die Bethulierin dem assyrischen General mitgespielt hatte. Sie mochte wohl vernommen haben, daß Franz von Waldeck seiner Bischöflichkeit ungeachtet kein Verächter schöner Weiber war. Der Prophet und der Schwertträger, denen sie ihre Absicht mitteilte, bestärkten sie natürlich sehr darin. Wie sie den Holofernesmord zuwege bringen wollte, ist unklar geblieben. Man sprach von einem kunstvoll gearbeiteten, mit feinstem Gifte durchtränkten Hemde, das sie dem Kirchenfürsten habe zum Geschenke machen wollen. Aber dieses Nessushemd ist kaum weniger mythisch als jenes der griechischen Mythologie. Tatsache dagegen ist, daß dem Fürstbischofe von Münster aus der Anschlag verraten worden, und daß demnach die schöne Hilla Feicken, als sie möglichst prächtig herausgeputzt am sechzehnten Brachmonatstag aus der belagerten Stadt ging, bei den Vorposten abgefaßt, vor den Bischof geführt und sehr summarisch prozessiert wurde. Man folterte sie und sie gestand, was »der Geist und gotterfüllte Männer ihr eingegeben hätten«. Man schlug dann der vergeckten Judith – »ein iunck sonderlich koennes mensch, eines Hollenders wief« nennt sie unser Augenzeuge – ohne Umstände den Kopf ab.

Dem Holofernes von Bischof war demnach auf dem Wege frommen Meuchelmordes nicht beizukommen. Zum Troste für das neue Israel wollten auch den Belagerern ihre Anschläge auf die Stadt lange nicht glücken. Schon Freitags vor Pfingsten (22. Mai) hatte die Beschießung begonnen. Aber sie fleckte nicht, indem die Belagerten die an den Mauern und Wällen angerichteten Schäden immer rasch wieder ausbesserten. Sie wehrten sich überhaupt mannhaft, die Heiligen von der Wiedertaufe, das muß man ihnen lassen. Am 28. August hob wieder eine dreitägige heftige Beschießung an als die Vorbereitung zu einer allgemeinen Bestürmung, welche am 31. auf vier Stadttore zugleich gerichtet wurde. Aber auch dieser gewaltige Sturm, auf welchen der im Dienste der Stadt gestandene Landsknecht Spieß ein Lied gemacht hat, das anhebt mit der Strophe:

»Hort, lieben Herrn, ein new gedicht,
Was der Bischof von Münster hat ausgericht
Mit seinen Thumpfaffen,
Die Stadt Münster machen zunicht,
Aber sie kunten nichts schaffen –«;

auch dieser Sturm ging fehl und wurde unter großen Verlusten der Angreifer vollständig abgeschlagen.

Der Prophet hat sich an diesem Tage wacker gehalten. Er scheute die Gefahr nicht, ritt umher, war überall, wo es zu ordnen und zu ermutigen galt. Nachdem die Angreifer zurückgewichen, sammelten sich die Wiedertäufer auf dem Markte, Jan ordnete die Scharen zu einer Triumphalprozession, führte diese durch die Stadt und rief seinen Gläubigen zu: »Liebe Brüder, haben wir nicht einen starken Gott? Der hat uns geholfen. Laßt uns nun fröhlich sein und dem Vater danken!«

Diese Siegesfeier war das Vorspiel zu einer neuen Haupt- und Staatsaktion der Wiedertäuferei. Der weiland Schneider und Häringswirt wollte König werden und ward es.

7.

Ja, der Dippelhaber schoß in volle Ähren. Denn wenn einmal die fanatisierte Menge irgendwo und irgendwann, volkstümlich zu reden, an einem Gaukler so recht den Narren gefressen hat, so ist kein Aufhalten: die Narrheit muß zum Delirium werden, da hilft nichts dagegen.

Es war unlange nach dem 31. August, als eine der Marionetten des Schneiders von Leiden, der Halbkretin Dusentschuer, ein verlumpter Goldschmied aus Warendorf, die Ältesten und das Volk von Israel auf den Marktplatz berief und mit entsprechendem Gebärdenspiel eine lange Rede tat, deren kurzer Unsinn war, der himmlische Vater habe ihm geoffenbart, Jan von Leiden, der Gottesmann, sollte und müßte König sein, und zwar nicht allein König zu Münster, sondern König über den ganzen Erdboden. Item, er sollte sitzen auf dem Stuhle Davids, bis der himmlische Vater das Reich wieder von ihm fordern würde.

Nachdem Dusentschuer also »prophetiert« hatte, hub sich Jan Bockelson von seinem Sitze und begann zu rufen und sprach: »Ja, schon hierbevor ist auch mir solches offenbaret worden. Aber ich danke dem himmlischen Vater, daß er einen andern erwählet, solches der Gemeinde kund zu machen.«

Es geschah doch etzliches Kopfschütteln und Murmeln in Israel über dieses absonderliche Orakel. Allein die augenscheinlich abgekartete Komödie ging trotzdem lustig weiter. Die Bonzen, Rothmann voran, traten eifrig für das Bockelsonsche Königtum in die Schranken, natürlich unter der gewiß vorher vereinbarten Bedingung, daß die Bonzenschaft bei dem Geschäfte nicht zu kurz käme. Widerspruch wurde nicht laut in der Gemeinde, und sie sagte schließlich ja. Der Gaukler von König forderte dann die Gemeinde auf, zum himmlischen Vater um ein gut »Hausgesinde« für ihn, den »König der Gerechtigkeit«, zu beten, maßen er nicht allein sein könne im »Allerheiligsten«. Dann trat Rothmann wieder hervor, zu sagen, daß der himmlische Vater dies Gebet schon erhört habe. Damit brachte er ein Papier vor, worauf die Namen derer, welche das Haus- und Hofgesinde des Königs Jan bilden sollten, verzeichnet waren. Hatte sich selber natürlich nicht vergessen, der Bonze. War er nämlich zum »Worthalter« ernannt, so eine Art von Premierminister gleichsam. Knipperdollinck wurde, ohne aufzuhören, Schwertträger zu sein, Statthalter, Tilebecke Hofmeister, Krechting Kanzler. Die übrigen bisherigen »Ältesten« brachte man im »Geheimen Rate« unter oder machte sie zu Kriegsobersten.

Der also erhöhte Schneider und Bierzapfer nahm den volltönenden Titel an: »Johann von Gottes Gnaden, aus Kraft des königlichen Reiches in dem neuen Tempel Gottes ein Diener der Gerechtigkeit«. Häufiger hieß er: »Johann der Gerechte, König im neuen Zion«. Auf den Goldmünzen, die er schlagen ließ, stand auf der einen Seite: »Das Wort ist Fleisch geworden und wohnet in uns« – und auf der andern: »Im Reich Gottes ein König aufgericht über alles, ein Gott, ein Glaube, eine Taufe Gottes.« Recht schneidermäßig trat des Mannes Eitelkeit hervor in der prunkhaften Ausstaffierung seiner Königsmaskerade. Ein Hofstaat mit buntestem Kleider- und Schmuckluxus wurde eingerichtet, mit umständlichem Zeremoniell und in möglichst alttestamentlichem Stile. König Jan sollte thronen, wie, bildete man sich ein, König Salomo gethront hatte. Die schöne, nur, wie schon gemeldet, etwas zu plastische Divara, wurde zur gesalbten Königin erhoben und blieb die Favoritsultanin des neuen Sultans, der aber sehr darauf aus war, sein in der ehemaligen Propstei eingerichtetes Harem fortwährend mit den schönsten Jungfrauen der Stadt zu bereichern, bis er, wie bereits notiert worden, der Frauen fünfzehn oder gar sechzehn hatte. Die armen Geschöpfe! Der Sultan forderte ein ganz sklavisches Bezeigen von ihnen. Wurde zur Tafel geblasen, so mußten sie, so der König in den Speisesaal trat, ihm entgegengehen, vor ihm niederknien und auf den Knien verharren, bis er sie aufzuheben geruhte. Auch Divara führte ein strenges Regiment über ihre Mitfrauen. Welcher furchtbare Knäuel von Demütigung, Schamgefühl, Haß, Neid, Grimm, Groll, Zorn und Schmerz mag sich damals in den Räumen der Propstei zusammengewickelt haben! Besäßen wir nur Aufzeichnungen von der Hand einer Gresbeckin, wie wir solche von der Hand des wackeren Gresbeck besitzen.

So ging unter allerhand Prophetieren, Ediktieren und Psallieren das Spiel weiter und weiter, solange die Mundvorräte vorhielten im neuen Reiche Zion. Alle die Narreteien, so daselbst zum täglichen – übrigens allmählich kleiner werdenden – Brote gehörten, zu registrieren, wäre langweilig und überflüssig. Es ging nachgerade sehr bunt übereck her und auch bergab. Der »hinkende« Prophet Dusentschuer machte sich mit allerlei närrischen Offenbarungen wichtig. »Besessene« Mädchen (»twe kleine megdekens«) stellten sich an, als wären sie stumm und hätten den Teufel im Leibe, liefen in der Stadt umher und trieben Unfug und Schabernack. Dem Statthalter und Schwertführer Knipperdollinck rappelte es mitunter bedenklich oder aber ließ er seine neidische Kritik über König Jan in der Form von hanswurstigen Possen aus. Denn mitunter war es doch, als wollte der lärmende Bernt über das ganze Skandal und Spektakel den hellen Hohn ergießen. Eines Tages, als das Volk Israel dichtgedrängt auf dem Markte stand, krabbelte sich der Schwerthalter auf Händen und Füßen über die Menge hin, blies den Leuten in die verwundert aufgesperrten Mäuler und schrie dazu: »Empfanget den Heiligen Geist!« Hernach kam er hüpfend vor den Thron des Schneiderkönigs gesprungen, tanzte possenhaft vor demselben herum und sagte: »Vormals hab' ich etwann mit Dirnen getanzt; nun aber hat mir der himmlische Vater befohlen, daß ich also vor meinem Herrn und Könige tanzen soll.« Seine wiedertäuferische Majestät fand jedoch an solchem Gebaren kein Gefallen, stand verdrießlich auf, ließ ihr Pferd vorführen und ritt mit ihrem Gefolge hinweg zur bischöflichen Pfalz, allwo ihr königlich Hoflager sich befand. Als Jan weg war, setzte sich Knipperdollinck, nicht faul, auf den Königsstuhl und sprach gravitätisch zu der Menge: »Seht, was Jan von Leiden im Leiblichen ist, das bin ich im Geistlichen, und maßen ihr einen leiblichen König habt, müßt ihr auch einen geistlichen haben. Das ist des Vaters Wille,«

Das wunderliche Intermezzo hatte weiter keine Folgen, als daß der König den Statthalter für drei Tage in Arrest schickte. Dann versöhnten sich die beiden wieder miteinander, und der lärmende Bernt, der gelegentlich auch wohl »prophetierte«, das Alte Testament sei mit samt dem Neuen abzuschaffen, damit »nicht nach Schriften, sondern nur nach dem Geiste regiert werde,« ja, der lärmende Bernt hat den König sogar angegangen, dieser sollte ihm den Kopf abschlagen; er werde dann binnen drei Tagen wieder lebendig werden. Auf dieses Experiment mochte aber König Jan, obzwar ein großer Liebhaber vom Köpfen, doch nicht eingehen.

Der höchste Fest- und Feiertag im neuen Reiche Israel war wohl der 13. Oktober. Da ließ auf des Königs Befehl der »hinkende« Prophet unter Posaunenschall in der ganzen Stadt ausrufen, daß alles Volk, ausgenommen die Wachtmannschaften an den Toren und auf den Wällen, in Wehr und Waffen, wie Altisrael dereinst beim ersten Passahmahl erschienen war, nach dem »Berge Zion«, d. h. nach dem Domhofe kommen sollte zum feierlichen Abendmahl. Auf dem Domhofe waren lange Tafeln aufgeschlagen, und setzten sich daran etwa sechzehnhundert Männer, vierzehnhundert Greise und Knaben und nahezu fünftausend Frauen. Die Mahlzeit, deren Bestandteile zeigten, daß man an diesem Tage mit den Lebensmitteln nicht geizen wollte, wurde aufgetragen, und während die Gemeinde aß, hielten die Prädikanten verschiedene erbauliche Reden. Dann erschienen König Jan und Königin Divara mit ihrem Hofstaat im höchsten Glanz und Pomp. (»Do hedde sich der konnick kostlick uth gemacket mit sammetten paltrocken und kostlick mit gulden ketten, die gulden krone up sin hoevet. Und die konnickin iss auck kostlick gerustet gewest mit sammelten rock, sie hatt auck ein gulden krone up irem hoevet.«) Nachdem das Essen vorüber, wurde ungesäuertes Weizenbrot in Körben umhergeboten, und der König, an den Tischen hinschreitend, brach die Brote und verteilte sie an die Tischgenossen mit den Worten: »Nehmet hin und verkündet den Tod des Herrn!« Die Königin aber, mit einer Kanne Weines ihrem Herrn nachschreitend, reichte das Getränke, sprechend: »Trinket und verkündet den Tod des Herrn!« Die Männer und Frauen, nachdem sie vom Brot und Wein genossen, boten Speise und Trank weiter und sprachen untereinander: »Bruder, Schwester, alswie sich Christus für mich hingegeben hat, so will ich für dich tun, und alswie das Brot aus vielen Weizenkörnlein zusammengebacken und der Wein aus vielen Traubenbeeren zusammengedrückt ist, so sind auch wir ein Leib und eine Seele.« Hernach versammelte der gerechte König in Zion das Volk im Kreise um sich und tat die feierliche Frage: »Seid ihr alle willig, meinen, das ist des himmlischen Vaters Willen zu tun und zu leiden?« Ein einstimmiges brausendes »Ja, bis zum Tode!« war die Antwort, und begeistert brach das Volk aus in den Jubelsang: »Allein Gott in der Höh' sei Ehr'!«

Es war in dieser Szene etwas vom Besten im Menschen, etwas vom echten Ethos und Pathos, gar keine Frage. Aber es ist der Fluch derartiger Verirrungen, wie die Wiedertäuferei eine gewesen, daß sich sogar in ihre höchsten Aufschwünge entweder das Spottlachen oder das Grauen mischen muß. Mitten in die erhebende Abendmahlsfeier tat der Schneiderkönig plötzlich einen Tigersprung hinein.

Bei einem der letzten Ausfälle war ein bischöflicher Landsknecht gefangen in die Stadt gebracht worden. Der Wiedertäufer, dessen Obhut der Gefangene übergeben war, hatte ihn heute zum Domhof und zum Abendmahle mitgenommen. Als nun König Jan bei seinem Umgange den Fremden gewahrte, blieb er stehen und fragte: »Freund, wie ist dein Glaube?« Der Landsknecht, des Weines mehr als billig voll, antwortete in trunkenem Mute; »Weiß nichts vom Glauben, sondern nur von Bechern und Dirnen.« – »Aber warum bist du kommen zur Hochzeit und hast kein hochzeitlich Kleid an?« – »Was Hochzeit! Hochzeit! Bin auch gar nicht freiwillig herkommen zu Eurer sauberen Hochzeit.« Da winkt der König den Trabanten: »Greift den Judas!« Der Landsknecht wird von seinem Sitze weggerissen und auf seine Knie niedergezwungen. Jan von Leiden aber zieht sein Schwert und schlägt ihm ohne weiteres den Kopf ab. »Und gefiel im selbs so wol über diesen mord, das er sein noch lachet,« hat Dorpius seiner Schilderung der schneiderköniglichen Untat hinzugefügt.

8.

Zu dieser Zeit wurden ernstliche Anstalten gemacht, das Reich der Herrlichkeit, so im neuen Zion aufgetan worden, in alle Welt hinauszutragen und zu verbreiten. Der Stutenbernt mühte sich mit der Schreibung von Traktaten ab, worin das Evangelium der Wiedertaufe gründlichst dargelegt und verteidigt wurde. Leider wirkten diese und andere von Münster ausgehende Losungen und Posaunenstöße gar nicht oder sogar im entgegengesetzten Sinne. Auch das Unterfangen, achtundzwanzig Apostel auszusenden, um für Zion und König Jans Herrschaft Propaganda zu machen in der weiten Welt, lief mißlich ab. Die achtundzwanzig Apostel, welche mitsammen der Frauen hundertvierundzwanzig hatten, wurden nachtschlafender Weile vom Könige aus der Stadt entsendet mit den Worten: »Gehet hin und bereitet uns eine Stätte; wir werden mit Wehr und Waffen nachfolgen und mit dem Schwerte über eure Widersacher kommen« – und gelangten auch glücklich durch den Kreis der bischöflichen Blokadelager. Nachdem sie aber da und dort ihre apostolische Tätigkeit angehoben hatten, wurden ihrer viele abgefangen und aufgehangen. Darunter auch der hinkende Dusentschuer, welcher mit dem vollen Heroismus eines Fanatikers starb und demnach an seine Einbildungen geglaubt hatte. Trotz alledem tat der Schneiderkönig, während es doch mit ihm und seinem Reiche schon auf die Neige zu gehen begann, noch immer gar großbrockig und protzig, als ob ihm wirklich der Erdkreis von Rechts wegen gehörte. Manche seiner majestätischen Auslassungen fielen sehr ins Komische. So, wenn er in seinen Ausschreiben die benachbarten Reichsfürsten mit gnädiger Vertraulichkeit behandelte und z.B. einen Brief an den Landgrafen Philipp von Hessen mit der Anrede »Lieber Lipps!« anhob.

Derweil geschah es aber, daß über den Fanatismus zu Münster mehr und mehr ein Stärkerer kam: der Hunger. Selbst dem wildesten Schwindel weiß die Natur doch immer wieder fühlbar zu machen, daß ihre Gesetze da seien und Gehorsam verlangen. Dagegen helfen keine Propheten und keine Orakel.

Der wiedertäuferisch-kommunistisch-vielweiberische Wahnwitz zog sich ins Jahr 1535 hinein, aber auch die Umschließung der Stadt durch die bischöfliche Streitmacht. Schon vom Januar an konnte die diensttuende Mannschaft nur noch einmal täglich gespeist werden, und die Zuteilungen an die Haushalte aus den Vorratskammern wurden immer kärglicher, die gemeinsamen Mahlzeiten immer hungriger. Zugleich mit den Leibern magerte auch ersichtlich der Glaube ab. Bei sehr vielen wenigstens, während allerdings bei anderen die Not den Fanatismus eher noch steigerte. Die Zahl der Speise und Trank Begehrenden zu mindern, gestattete König Jan Weibern und Kindern, »nach Ägypten zurückzukehren«, das heißt, die Stadt zu verlassen. Das taten denn auch viele, aber die meisten gingen, da sie nichts mitnehmen durften als die dürftigste Kleidung, draußen im harten Winterwetter elendiglich zugrunde. Manche der Frauen ließ der Fürstbischof gefangennehmen und hinrichten, andere mußten sich der Schmach bequemen, zu Landsknechtsdirnen zu werden. Mählich flohen auch der verhungernden Männer mehr und mehr aus der Stadt. Draußen aufgefangen, wurden sie ohne Umstände niedergemacht.

Drinnen in Münster führte bei steigender Hungersnot und Verzweiflung eine unerbittliche Schreckensherrschaft, welche man mit allerhand Brimborien, Bestellung von zwölf »Herzogen«, Zelebrierung von Narrenmessen im Dom, Mysterienspielen und dergleichen mehr verbrämte, das Szepter oder vielmehr das Mordschwert. Die Prädikanten zeterten, nicht dem »Bauchgott« sei zu dienen und zu frönen, sondern für den wahren Gott müsse man leiden und müsse einer besseren Zeit harren. Aber darum fuhr der arme Bauchgott, der Magen, doch fort, zu knurren und Speiseopfer zu heischen. Der König übte fleißig die Königskunst des Köpfens. So an dem Klais Northornne, einem Bürger von Münster, welchen der Hunger zu dem Versuche getrieben hatte, ein Verständnis mit den Belagerern einzufädeln. Als der arme Klais sah, daß er verloren, schrie er dem erbarmungslosen Holländer zu: »Du höllischer Bösewicht, wer hat dich zum Könige bestellt? Nur der leidige Teufel! Über mein und alles vergossene Blut sollst du Rechenschaft geben am Jüngsten Tage.« Worauf der Schneiderkönig mit Spottlachen: »Wohl, warte bis dahin; jetzt aber stirb!« Und »der konnigk heve ime selber dat hoevet af«.

Aber nicht nur an Männernacken, sondern auch an Frauenhälsen wollte der mörderische Wicht seines Schwertes Schneide prüfen.

Die Hungersnot nahm zu, nahm immer zu. Sogar im königlichen Haushalte mischte man allbereits Kalk in das Brot und kamen gebratene Katzen als Hasenbraten auf die Tafel. In der Stadt war bald keine Ratte und keine Maus mehr vor dem Verspeistwerden sicher. Doch auf jedem Worte von Ergebung und Übergabe stand unnachsichtlich der Tod. Eines Tages drang das Jammern des hungernden Volkes in das königliche Harem in der Propstei. Da sagte eine der Frauen Jans, die Elisabeth Wandscheerer: »Nein, ich glaub' es nicht, es sei Gottes Wille, daß die armen Leute verhungern müßten.« Und sie ging hin und gab dem Schneiderkönige die Schmucksachen zurück, so er ihr geschenkt, und verlangte entlassen zu werden und aus der Stadt gehen zu dürfen. Er aber griff sie in seinem Zorne, hieß die sämtlichen Insassinnen des Harems ihm folgen, führte also in Prozession die Elisabeth auf den Markt, zwang sie niederzuknien, zog sein Schwert und schlug dem unglücklichen Weibe den Kopf ab. Und Divara stimmte an: »Gott in der Höh' allein sei Ehr'!« und ihre Genossinnen sangen mit, und der Wüterich faßte die Königin bei der Hand und tanzte mit ihr und der ganzen Frauenschar einen Ringelreihen um den blutenden Rumpf her; denn »auf ein Leid muß folgen ein' Freud'«, sagte der gekrönte Schneider.

Aber die Hungersnot wuchs von Stunde zu Stunde, und ihre Wut machte auch die Menschen wütend. Die Elenden im neuen Zion bissen in Pflastersteine, maßen der Lügenprophet und Fastnachtskönig geweissagt hatte, der himmlische Vater würde Steine in Brot verwandeln, um sein Volk zu sättigen. Sie verschlangen alles, was verschlingbar: Gras, Wurzeln, Ungeziefer, die Sohlen ihrer Schuhe. Sie nagten an den schweinsledernen Einbänden ihrer Bibeln, und es geht die schaurige Sage, sie hätten auch das Menschenfleisch nicht verschmäht, das Fleisch von Feinden und Freunden hätten sie genossen, und das Ungeheuerste sei geschehen: Mütter hätten ihre Kinder verzehrt.

Und dem Hunger folgte die Seuche. Schreckliche Krankheiten rafften die Zioniten scharenweise dahin. Wie Fliegen im November fielen die Menschen zu Boden und waren tot. Es fehlte an Händen, sie zu bestatten. Eine Schwefelwolke von Hunger, Siechtum, Pestilenz, Weh, Raserei und Verzweiflung brütete ob der Stadt. Aber noch immer hielten die armen betörten Wiedertäufer aus. Ein Orakel ihres Götzen nach dem andern erwies sich als Lüge; alle die hochgespannten Hoffnungen, der Herr würde ein unzählbares Heer ihrer Glaubensgenossen von draußen ihnen zur Hilfe senden, waren eitel; zu Skeletten abgemagert, vermochte ihrer nur noch eine geringe Anzahl die Waffen zu halten: aber trotz alledem und alle diesem hielt der Größenwahnsinn vom neuen Reiche Zion noch immer vor.

Endlich mußten sie erkennen, daß keine Hoffnung mehr. Aber sie gaben sich nicht. Ein letzter Gedanke der Raserei durchzuckte die schwindelnden Gehirne der Verlorenen. Lieber in Wut und Blut und Glut zugrunde gehen, als sich den »Heiden« ergeben. Sie wollten einen letzten Ausfall wagen, um sich durch das Belagerungsheer nach den Niederlanden durchzuschlagen. Mißlänge der Ausfall, so wollten sie die Stadt an allen Ecken und Enden anzünden und mit dem Schwert in der Hand in den Flammen sterben.

Schade, daß dazumal das Petrol und die Petroleurs und Petroleusen noch nicht erfunden waren.

9.

Nun ging aber der Greuel zu Ende, um einem andern Platz zu machen.

In der Nacht vom 23. Mai war es unserem oft abgehörten Zeugen, dem Bürger Heinrich Gresbeck, gelungen, mit Hännschen von der langen Straten und noch drei anderen Münstermüden von ihrem Wachtposten am Kreuztore sich wegzuschleichen und den Fluchtweg über Wall und Graben ins bischöfliche Lager zu finden. Den weiteren über dasselbe hinaus fand Gresbeck nicht. Er fiel den bischöflichen Landsknechten in die Hände, wurde aber ausnahmsweise nicht niedergemacht, vielleicht weil er noch so ein gar junges Blut. Da er sehr wider seinen Willen die Wiedertäuferei mitgemacht hatte, so stand er nicht an, Nachweise zu geben, wie man sich der Stadt bemächtigen könnte. Diese Nachweise wurden dem Plane zugrunde gelegt, welcher gerade einen Monat später, in der Nacht vom 24. Juni 1535, zur Ausführung kam und die Stadt in die Gewalt des Fürstbischofs brachte.

Es war eine sorgsam vorbereitete Überrumpelung, aber die überraschten Zioniten erwiesen auch jetzt noch einmal, bei dieser letzten höchsten Wette, wie unbezähmbar der Wahnwitz des Fanatismus.

Denn obzwar nach Gresbecks Aussage nur noch »Haut und Knochen«, leisteten die aufgestürmten Wiedertäufer den rasenden Widerstand der Verzweiflung und es war nahe daran, daß die Bischöflichen wieder zur Stadt hinausgetrieben wurden. Als diese Gefahr vorüber, gelang es den Landsknechten nur langsam und unter beträchtlichen Verlusten, in dem hartnäckigen Straßenkampf obzusiegen. Eine Schar von Zioniten hielt sich zuletzt hinter einer Barrikade auf dem Marktplatz noch einen ganzen Tag lang, nachdem sich der Schneiderkönig und seine Würdenträger schon beiseite geschlichen hatten. Zuletzt legten auch diese letzten Kämpfer die Waffen nieder gegen die Sicherung ihres Lebens. Aber der wütende Fürstbischof, welcher drei Tage nachher seinen Triumphaleinzug in die schrecklich zugerichtete Stadt hielt – die Schlüssel derselben samt der Krone König Jans des Ersten und Letzten wurden ihm entgegengetragen – wollte von solcher »Sicherung« und überhaupt von Bedingungen nichts wissen, sondern übte das Recht des Siegers in erbarmungsloser Weise. Auch hatte ja schon vor dem Einzuge des Bischofs das massenhafte Morden durch die über ihre Einbußen erbitterten Landsknechte begonnen und selbstverständlich war mit der Schlächterei die Plünderung verbunden. In der Schatzkammer des Königs von Zion ist noch eine Barschaft von hunderttausend Gulden aufgefunden worden.

Und wo wurde Jan Bockelson selber aufgefunden? Auf dem Turme ob dem Aegidientore, wo er ein Versteck gefunden und von wo er weiter fliehen zu können gehofft hatte. Auch der Schwerthalter Knipperdollinck und der Geheimrat Krechting wurden aufgespürt und festgemacht. Der Stutenbernt Rothmann soll im Kampfgetümmel umgekommen sein; doch ging auch eine Sage, er hätte sich nach Friesland gerettet. Sicher ist, daß sein Körper nicht unter denen der Erschlagenen gefunden ward. Die Königin Divara, sowie die Frau und die Schwiegermutter Knipperdollincks hatte man abgefaßt, und sie wurden auf Befehl des Bischofs schon am 7. Juli mitsammen enthauptet. Eine nicht geringe Zahl von Frauen ist ganz formlos niedergehauen worden. Die übrigen verwies man, als man des Mordens etwas müde, samt ihren Kindern aus der Stadt und in Not und Tod. Niemand sollte sie aufnehmen, bei Todesstrafe.

Bockelson, Knipperdollinck und Krechting wurden auserkoren, die ganze Hülle der Marterkunst einer Kriminalprozedur von damals durchzumachen. Zuvorderst ließ der Fürstbischof den weiland König von Zion in den benachbarten Städten und Fürstenresidenzen herumführen wie ein seltenes Land- oder Meerungeheuer, dem Spott und der Schadenfreude zu einem Schauspiel. Mit einem eisernen Halsband und mit schweren Ketten an den Beinen und Armen mußte er barhäuptig und barfüßig zwischen den Pferden seiner Wächter einhergehen. Er selbst meinte dazu: »Also sollte man doch einen König nicht führen« – und ein zeitgenössisches Lied wußte davon zu singen und zu sagen:

»Ein schneider Johann von Leiden,
Der sich ein könig nant,
Got dank, sein vermaint reiche
Ist bliben ganz unbekant.
Sein gülden kron und ketten,
Gülden sporen und auch schwert,
Darzu het er vil ringe,
Hat sich in eisen verkert.«

Franz von Waldeck mochte sich die Lust nicht versagen, seinen besiegten Feind persönlich ins Verhör zu nehmen, und es verriet doch keine geringe Nervenfestigkeit, daß sich der Schneidergesell und Häringswirt auch in dieser Situation noch als König aufspielte. Auf seinem Schlosse zu Iburg fuhr ihn der Bischof an: »Wie konntest du mein Volk also jämmerlich verwüsten?« Worauf Jan trotzig: »Ich sage dir, Franz von Waldeck, wäre es nach meinem Sinne gegangen, so würden in Münster alle Hungers gestorben sein, bevor ich dir die Tore aufgetan hätte.« – »Und mit welchem Rechte hast du dir solche Gewalt über meine Stadt angemaßt?« – »Ei, wer hat denn dir Recht und Gewalt über die Stadt gegeben?« – »Die Wahl des Domkapitels, bestätigt durch Kaiser und Papst. – »Wohl, ich aber bin von Gott selber durch seinen Propheten zur Herrschaft berufen worden.«

Das klingt doch ganz so, als hätte der Wüstling und Kopfabschläger von Münster wirklich an sich selber und an seine Mission geglaubt. Es kommt aber bekanntlich mitunter vor, daß sich Schauspieler mit ihren Rollen förmlich identifizieren. Das Äffisch-Boshafte im Wesen dieses Gauklers sprang übrigens auch jetzt in seinem Elende noch dann und wann galgenhumoristisch hervor. Wenn ihm ein Witz die Zunge prickelte, mußte er heraus. Als ihn zu Dülmen angesichts einer großen Volksmenge einer antrat mit der Frage: »Bist du der König, der so viele Frauen genommen?« gab er flugs zur Antwort: »Nein, ich habe keine Frauen, sondern Jungfrauen genommen und sie zu Frauen gemacht.«

Im achten Monat nach dem Falle von Münster wurden Jan und die beiden Bernte dahin zurückgebracht, und die eigentliche Prozedur hob an. Es war natürlich nur eine Formalität. Die drei unglücklichen Männer wurden verurteilt, am 22. Januar von 1536 auf dem Markte zu Münster mit glühenden Zangen zu Tode gezwickt zu werden. Knipperdollinck und Krechting beharrten auch diesem Schrecklichen gegenüber bei ihrem wiedertäuferischen Glauben, Bockelson dagegen fiel ab, bekehrte sich und versprach, so man ihm Gnade widerfahren ließe, alle Wiedertäufer zu bekehren. Dieser Abfall zeigte den Gaukler in seiner ganzen Blöße. Jetzt, wo mit dem Spiele nichts mehr zu erreichen war, verschwand auch der gespielte Trotz. Mit der Rolle war zugleich auch der Charakter dahin. An die Stelle der komödiantischen Aufspannung trat die armsünderliche Erschlaffung.

Gerade da, wo auf dem Markte der Thron des weiland Königs von Zion gestanden, war jetzt das Schafott aufgeschlagen. Die Hinrichtungsszene war scheusälig, und dieser Scheusäligkeit sah der Fürstbischof wohlgefällig zu. Länger denn eine Stunde wurde Jan gemartert, bevor der Henker dem Unseligen, dessen Kehle mit der glühenden Zange fassend, den Todeszwick gab. Dann kamen Knipperdollinck und Krechting an die Reihe. Als endlich das Gräßliche vorbei, wurden die drei Toten von der Richtstätte zum Lambertiturme geschleift und dort in aufrechter Stellung in eiserne Käfige geschmiedet. Diese zog man zur Zinne des Turmes empor und ließ sie dort hängen »zum ewigen Gedenken«.

Auf Stadt und Stift Münster aber legte sich die Bleihand pfäffischer Dunkelherrschaft, welche jede Regung von Freisinn mit den Wurzeln ausrottete.

Also wurde die Orgie des Wahnwitzes abgelöst durch die Saturnalien der Rachegier, und auf eine wüste Revolution folgte eine wüste Reaktion.

Man nennt das »sittliche Weltordnung«.


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