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Der Abendhimmel hing grau und mit Dunstmassen angefüllt, die ein nächtliches Gewitter verkündigten, über Mount Wallaston, einer ehemals von englischen Edelleuten mit großem Aufwand von Mühen und Kosten gegründeten Ansiedlung an einem Bache, der dem Charlesflusse zueilt. Unkundig der Bebauung und Bewirtschaftung, hatten die vornehmen Ansiedler ihre Gründung bald aufgeben müssen, und nun war sie verliedert und verkommen und bei den Pilgern der Wildnis verrufen und verhaßt. Tom Morton trieb hier sein Unwesen. In Trinkgelagen und wüsten Tanzfesten suchten sich der brüllende Tom und seine Spießgesellen zu überbieten.
Der tolle Unfug wurde aber zur Gefahr, als Morton anfing, Schießgewehre, Pulver und Blei an die Indianer zu verkaufen und sie sorgsam in dem Gebrauch zu belehren. Die Indianer machten sich das bald sehr zunutze und zahlten für die Waffen ungeheure Preise. Nach allem, was die Pflanzer von dem Treiben auf dem lustigen Berge – so hieß er bei der Bande Mortons – erfahren hatten, mußten sie vermuten, daß die Gesellen mit den Indianern gemeinsame Sache machen würden. Tom gab sich zwar den Anschein, als hielt er es mit den Ansiedlern, und wußte auch viele damit zu täuschen, zumal in letzter Zeit die Lustbarkeiten auf dem Berge aufhörten, und es schien, als ob der lebhafte frühere Verkehr mit den Eingeborenen gänzlich abgebrochen wäre.
Die Ansiedlung erhob sich auf einer Prärie, die eine ziemlich weite Umschau gestattete. Vom Waldbach aus stieg eine über hundertfünfzig Fuß hohe, senkrechte und glatte Felswand empor. Gerade darüber erblickte man das Hauptgebäude der Niederlassung, ein offenbar mit großen Kosten aufgebautes, umfangreiches und zweistöckiges Wohnhaus. Um das obere Stockwerk lief eine Galerie, die gleichsam über dem Abgrund in der Luft hing. Der Hügel verlängerte sich nach Osten zu und dachte sich allmählich wie die südliche und nördliche Seite zur Ebene hin ab. Die Nebengebäude, der Hof, die Palisaden, alles zeugte von großer Unordnung und Unsauberkeit.
In einem Gemache des unteren Stockwerks saßen der brüllende Tom und Thomas Kellond an einem großen Tische, bliesen aus indianischen Pfeifen starke Rauchwolken und tranken wechselweise aus einem mächtigen Henkelkruge. Der kostbare, spanische Wein hatte ihre Zungen beredt gemacht, und so frischten sie alte Erinnerungen von London her auf.
»Ihr geht doch wieder mit mir hinüber nach London,« fragte Tom Kellond seinen Zechgenossen, »um Eure Tage dort so munter zu beschließen, wie Ihr sie begonnen?«
»Ihr wißt,« entgegnete Morton, »daß ich zuviel alten Schmutz an den Schuhen habe, um mich auf den Straßen von London zeigen zu wollen.«
»Ei, der wird sich schon abwischen lassen, wenn König Karl erst von mir gehört haben wird, daß mir mein Unternehmen ohne Tom Morton gar nicht gelungen wäre. Als die zwei Höllenhunde von Waldläufern mir meine Beute aus dem Rachen gerissen hatten, da wollte ich mein Unternehmen schon aufgeben. 's war mein Glück, daß ich Euch kennen lernte. Kaum war ich auf dem lustigen Berg angelangt, triebt Ihr mir das Wild ins Netz. Ein gutes Drittel meiner Belohnung soll Euer sein, verlaßt Euch darauf.«
»Es machte mir selber Spaß, meinen guten Freunden, den Heiligen des Herrn, einen Possen zu spielen. Hätte der Häuptling nach guter indianischer Sitte seine Gefangenen skalpiert, die lieben Puritaner von Neu- und Alt-England würden sich nicht halb so darüber geärgert und gegrämt haben, als sie tun werden, wenn sie hören, daß die beiden Busenfreunde von Oliver Cromwell am Galgen von Tyburn baumeln. Ein schöner Anblick, hol mich der Teufel, wenn zwei solche Lichter in Israel das dreibeinige Gerüst beleuchten!«
»Ja, wahrhaftig; wenn uns nur der Wilde keinen Trick spielt.«
»Seid ganz ruhig! Metakom weiß recht gut, daß er mich jetzt nötiger hat als je. Er wird sein Wort halten, und ich kenne den Unterhäuptling, durch den er die Gefangenen nach den Sümpfen der Landzunge von Mount Hope bringen ließ. Dort sind sie gut verwahrt, bis Ihr eine gute Gelegenheit, sie einzuschiffen, ausfindig gemacht habt. Müßt Euch nur beizeiten danach umtun. Will Euch aber durch meine Schmugglerverbindungen nach Kräften behilflich sein.« »Tut das! Es soll Euer Schade nicht sein, Tom. Also der Krieg mit diesen verdammten Bibelwiederkäuern ist in vollem Gange?«
»Seit dem Überfall von Swanzey, ja! Metakom hat mit seinen Wampanogen und Pokanoketen einen Einfall in die Ansiedlungen von Konnektikut gemacht, Hadley und Springfield niedergebrannt und in der Ebene von Northfield einen Trupp Kolonisten, der sich ihnen entgegenstellte, bis auf den letzten Mann niedergemacht. Dutzende von einzelnen Gehöften sind zerstört und ihre Bewohner erschlagen. Bald werden die Psalmenheuler auch hier herum und gegen Boston hinauf und gegen Plymouth hinab erfahren, daß der Herr züchtigt, wen er lieb hat.«
»Hahaha! Ihr seid noch immer ein lustiger Spaßmacher, Tom. Aber wo ist König Philipp jetzt?« »Wo er jetzt ist? Hm, da fragt Ihr mehr, als ich beantworten kann. Doch unser Geschwätz hat, glaub' ich, schon zu lange gedauert, denn das Wetter zieht herauf und ich muß noch nach dem Fort hinüberreiten, um den Stierkopf von Major vollends sicher zu machen. Ich vermute, Metakom wird nicht gar so weit von hier sein, und wenn er kommt, muß getan sein, was ich drüben im Fort zu verrichten habe. Hört Tom, haltet gut aus; morgen mittag bin ich wieder zurück, und bis dahin werden auch meine Burschen von der Küste her auf dem lustigen Berg eintreffen.«
Damit ging er. »Ein grober Gesell, Gott verdamm' mich!« brummte der Zurückgebliebene. »Werde mich hüten, die schönen Rosenobles König Karls mit ihm zu teilen. Teilen? Ich will verdammt sein, wenn ich mit irgend jemand teilen will. Aber ich muß verdammt gescheit zu Werke gehen, um den brüllenden Tom über die Ohren zu hauen. Für jetzt brauch' ich ihn noch, brauch' ihn sehr. – Wollte, ich wäre erst mit heiler Haut und meinem Fang aus diesem höllischen Lande.«
So hielt er sein Selbstgespräch noch eine gute Weile fort, bis seine Pfeife ausgeraucht und der Weinkrug bis auf den letzten Tropfen geleert war. Dann stand er auf, und als er merkte, daß es mit seinem Gleichgewicht nicht ganz richtig war, murmelte er:
»Na, Gott verdamm' mich! Ich glaube fast, du hast ein bißchen zuviel geladen, Tom Kellond.«
Und er reckte und schüttelte sich, als wollte er sich dadurch des Weindunstes, der ihm zu Kopf gestiegen, entledigen.
Das Gewitter schien heraufzuziehen, draußen zuckte ein Blitz, und der Donner grollte dumpf.
»Da muß ich ja meinen Gefangenen oben Gesellschaft leisten.« Damit verließ er das Zimmer, tappte sich durch den Gang bis zur Treppe hin und stieg langsam aufwärts. Droben stand er vor einer Tür still, durch deren Schlüsselloch ein schwacher Lichtstrahl fiel. Er öffnete, trat ein und verschloß die Tür sorgfältig.
Das Gemach war ziemlich groß, sah aber so vernachlässigt aus wie der ganze Haushalt auf Merry-Mount. In einer Ecke stand ein plumper Tisch und auf diesem eine brennende Lampe, in einer andern ein Bett, dessen Vorhänge aber in Fetzen niederhingen. Die Fensteröffnungen waren von außen durch schwere Läden verschlossen. Der Eingangstür gegenüber führte eine zweite auf die Galerie.
Zur Seite des Tisches saß auf einem Schemel Lovely, den Kopf mit den auf die Knie gestemmten Armen stützend, die Augen auf ihre Taschenbibel gerichtet, die aufgeschlagen auf ihrem Schoße lag. Das Abendessen in einer Schüssel auf dem Tisch schien unberührt zu sein.
Das arme Kind war sehr blaß geworden. Sie hatte in den letzten Tagen Schreckliches erlebt, aber das Bitterste war gewesen, als man sie auf Merry-Mount ihrem Vater und Großvater von der Seite riß und die beiden samt dem Kapitän Standish wegführte, wohin, wußte sie nicht. Seitdem war sie in dem Gemach eingeschlossen und hat niemand zu Gesicht bekommen, als eine alte, häßliche Indianerin, die ihre schüchternen Fragen entweder gar nicht beachtete oder nur mit einem mürrischen Gebrumm erwiderte.
Trotz ihrer qualvollen Sorgen, trotz ihrer Verlassenheit verlor sie aber nicht die Hoffnung auf Rettung aus dieser Räuberhöhle und auf Wiedervereinigung mit ihren Lieben. Nur der Gedanke an jenen schrecklichen Menschen, dem sie und die Ihrigen damals mit knapper Not entgangen waren, und dem sie unlängst auf Merry-Mount übergeben war, machte ihr das Herz schwer. In dem Buch, das sie von Kindheit an als Quelle allen Trostes anzusehen gewohnt war, suchte sie auch jetzt Beruhigung.
Aufgestört durch den Eintritt Kellonds, warf sie einen scheuen Blick auf ihn. Dann ließ sie den Kopf wieder sinken und verharrte unbeweglich in ihrer Stellung.
Draußen begann das Gewitter zu tosen, ohne jedoch schon sein ganzes Ungestüm zu entfalten.
Kellond blieb zuerst an der Tür stehen, betrachtete Lovely und ging dann, sich zu gerader Haltung aufraffend, vorwärts, um die Hand des Mädchens zu ergreifen und sie an die Lippen zu führen.
Lovely stand mit einem leisen Angstruf auf, öffnete erschrocken die Augen und entzog ihm ihre Hand.
»Mein Täubchen,« sagte er, »du brauchst dich gar nicht zu fürchten; ich bin der gutmütigste Mensch von der Welt und komme her, dir zu sagen, daß ich dein Beschützer sein will und die Absicht habe, dich sicher zu den Deinigen zu geleiten.«
Einen Augenblick, aber auch nur einen Augenblick beruhigte diese Sprache das Mädchen. Sie richtete fragend ihren Blick auf Kellond, aber alsbald schlug sie ihre Augen wieder zu Boden; ihr grauste vor dem Manne.
Ein furchtbarer Donnerschlag erschütterte die Wände des Hauses.
Da streckte er die Arme nach Lovely aus. Sie entschlüpfte ihm, stürzte aber dann vorwärts auf ihn los, und ihre ausgestreckten Arme trafen die Brust des rohen Menschen so heftig, daß er das Gleichgewicht verlor und schwerfällig auf den Rücken fiel.
»Verdammt sei dieser spanische Wein!« grollte er, indem er sich mit Mühe erhob. Die Adern an seinen Schläfen waren angeschwollen, sein Gesicht braunrot.
Und nun begann zwischen den beiden ein furchtbares Jagen. Von Angst beflügelt, floh Lovely durch das Gemach. Kellond verfolgte sie und erschöpfte seine Kräfte dabei. Seine Kehle schnaubte, und keuchend mischte er in höhnische Schmeichelworte wütende Zornrufe.
Lovely war auf die Tür nach der Galerie zugeeilt. Sie stemmte sich mit der ganzen Kraft ihres armen, schwachen Körpers dagegen und stieß einen herzzerreißenden Hilferuf aus. Aber nur das Grollen des Donners antwortete ihr, und die verschlossene Tür wich und wankte nicht.
Die schreckliche Jagd begann von neuem. Aber in Kellonds Gehirn wirbelte der Weindunst. Unfähig, sich länger auf den Beinen zu halten, schlug er wenige Schritte vor Lovely auf den Boden.
»Sei verflucht und verdammt!« schrie der wüste Mensch mit schäumendem Munde und raffte sich auf, um die Verfolgung wieder aufzunehmen, während draußen das Gewitter mit verstärkter Macht losbrach.
Da durchblitzte ein glücklicher Einfall Lovely. Sie eilte auf den Tisch zu und stürzte die Lampe um, daß sie erlosch.
Kellond stieß ein Wutgebrüll aus: »Es soll dir doch nichts helfen, vermaledeite Hexe!« schrie er wie wahnsinnig.
Ein Donnerschlag übertönte die Stimme des Schurken, der mit ausgestreckten Armen in dem finsteren Gemach umherirrte. Da verriet ein Blitz, daß Lovely wieder an der Tür lehnte. Ein Schrei tödlicher Angst brach aus ihrem Munde. Aber in dem Augenblick, als sich der Rasende auf sie stürzen wollte, wich die Tür hinter ihr, und sie wäre rücklings zu Boden gefallen, wenn sie nicht ein starker Arm aufgefangen hätte.
Mit einem schrecklichen Fluche stürzte ihr Kellond nach.
Lovely hörte Männerstimmen und Fußtritte. Die frische Luft wehte ihr ins Antlitz, und nun sah sie halb bewußtlos das Gesicht des Unbekannten, der sie in seinen Armen hielt, über sich gebeugt, und sah im Schein der Blitze, wie Thorkil Wikingson mit kräftigen Armen ihren Verfolger an Brust und Kehle faßte, ihn emporhob und über das Geländer der Galerie in den Abgrund warf.
Indem sie dann ohnmächtig zusammenbrach, gellte ihr der entsetzliche Todesschrei, womit der Elende in seinem Sturze den Donner überbrüllte, in die Ohren.
Das Gewitter war vorüber, und das bleiche Licht der Sterne erhellte die Prärie, während im Osten das erste Tagesgrauen emporstieg.
Ein paar Büchsenschüsse von Merry-Mount entfernt zog eine kleine Gruppe in westlicher Richtung gegen den Wald hin. Lovely saß auf einem Pferde, dessen Zügel von dem zur Seite schreitenden jungen Jäger gehalten wurde.
»O Thorkil, o mein Retter!« hatte Lovely ausgerufen, als sie durch die liebevollen Bemühungen des Jünglings wieder zum Bewußtsein gebracht worden war.
Während er jetzt mit der einen Hand das Pferd leitete, ruhte seine andere in der des jungen Mädchens, das sie nicht mehr losgelassen, seit er es in den Sattel gehoben.
Auf der anderen Seite der Reiterin ging de Lussan. Als die drei die Prärie durchschritten hatten und am Waldsaum angelangt waren, machten sie halt, um auf Groot Willem zu warten.
»Wie ist Euch, Mistreß Lovely?« fragte Thorkil. »Ihr müßt furchtbar erschöpft sein.«
»O nein,« versetzte sie leise, den Druck seiner Hand erwidernd. »Es ist alles gut. Ihr seid ja bei mir, Thorkil.«
Und die Worte: »Ihr seid ja bei mir« ließen sein Herz höher schlagen.
»Wo nur Willem so lange bleibt,« sagte de Lussan ungeduldig. »Wir sollten keinen Augenblick verlieren, um das arme Kind an einen Ort zu bringen, wo es Pflege und Ruhe finden kann, Ah, da kommt er ja.«
Vollen Laufes rannte der alte Trapper, von seinem Hunde begleitet, über die Prärie. In dem Augenblick, wo er die Gruppe erreichte, hörte man von dem Hügel her ein furchtbares Gekrach. Die Erde zitterte, eine ungeheure Qualmwolke erhob sich in die Luft, und dann schlug eine rote Lohe durch die schwarzen Rauchmassen und flammte prächtig himmelan.
»Was ist das?« riefen Thorkil und de Lussan wie aus einem Munde.
»Ein kleines Feuerwerk!« versetzte Groot Willem mit zornigem Lachen. »Seht, dort geht der lustige Berg zum Teufel! Ich wußte, wo das Pulver lag – 's ist aus mit der Wirtschaft des brüllenden Tom. Die Trümmer mögen ihm sagen, daß es Leute gibt, welche Übeltaten zu rächen wissen. – Doch jetzt vorwärts! Wir haben weit bis zu Vater Blackstones Einsiedelei.«