Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien
Friedrich Schiller

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Vierter Akt.

Saal bei der Königin.

Erster Auftritt.

Die Königin. Die Herzogin Olivarez. Die Prinzessin von Eboli. Die Gräfin Fuentes und noch andere Damen.

Königin (zur Oberhofmeisterin, indem sie aufsteht).
Der Schlüssel fand sich als nicht? – So wird
Man die Schatulle mir erbrechen müssen,
Und zwar sogleich –
(Da sie die Prinzessin von Eboli gewahr wird, welche sich ihr nähert und ihr die Hand küßt.)
                Willkommen, liebe Fürstin.
Mich freut, Sie wieder hergestellt zu finden –
Zwar noch sehr blaß –

Fuentes (etwas tückisch).     Die Schuld es bösen Fiebers,
Das ganz erstaunlich an die Nerven greift.
Nicht wahr, Prinzessin?

Königin.         Sehr hab' ich gewünscht,
Sie zu besuchen, meine Liebe – Doch
Ich darf ja nicht.

Olivarez.         Die Fürstin Eboli
Litt wenigstens nicht Mangel an Gesellschaft.

Königin. Das glaub' ich gern. Was haben Sie? Sie zittern.

Eboli. Nichts – gar nichts, meine Königin. Ich bitte
Um die Erlaubniß, wegzugehen.

Königin.                 Sie
Verhehlen uns, sind kränker gar, als Sie
Uns glauben machen wollen? Auch das Stehn
Wird Ihnen sauer. Helfen Sie ihr, Gräfin,
Auf dieses Tabouret sich niedersetzen.

Eboli. Im Freien wird mir besser. (Sie geht ab.)

Königin.                 Folgen Sie
Ihr, Gräfin – Welche Anwandlung!

(Ein Page tritt herein und spricht mit der Herzogin, welche sich alsdann zur Königin wendet.)

Olivarez.                 Der Marquis
Von Posa, Ihre Majestät – Er kommt
Von Seiner Majestät dem König.

Königin.                 Ich
Erwart' ihn.

(Der Page geht ab und öffnet dem Marquis die Thüre.)

Zweiter Auftritt.

Marquis von Posa. Die Vorigen.

(Der Marquis läßt sich auf ein Knie vor der Königin nieder, welche ihm einen Wink gibt, aufzustehen.)

Königin.         Was ist meines Herrn Befehl?
Darf ich ihn öffentlich –

Marquis.         Mein Auftrag lautet
An Ihre königliche Majestät allein.

(Die Damen entfernen sich auf einen Wink der Königin.)

Dritter Auftritt.

Die Königin. Marquis von Posa.

Königin (voll Bewunderung).
Wie? Darf ich meinen Augen trauen, Marquis?
Sie an mich abgeschickt vom König?

Marquis.                 Dünkt
Das Ihre Majestät so sonderbar?
Mir ganz und gar nicht.

Königin.         Nun, so ist die Welt
Aus ihrer Bahn gewichen. Sie und er
Ich muß gestehen –

Marquis.         Daß es seltsam klingt?
Das mag wohl sein. – Die gegenwärt'ge Zeit
Ist noch an mehrern Wunderdingen fruchtbar.

Königin. An größern kaum.

Marquis.         Gesetzt, ich hätte mich
Bekehren lassen endlich – wär' es müde,
An Philipps Hof den Sonderling zu spielen?
Den Sonderling! Was heißt auch das? Wer sich
Den Menschen nützlich machen will, muß doch
Zuerst sich ihnen gleich zu stellen suchen.
Wozu der Secte prahlerische Tracht?
Gesetzt – wer ist von Eitelkeit so frei,
Um nicht für seinen Glauben gern zu werben? –
Gesetzt, ich ginge damit um, den meinen
Auf einen Thron zu setzen?

Königin.         Nein! – Nein, Marquis,
Auch nicht einmal im Scherze möcht' ich dieser
Unreifen Einbildung Sie zeihn. Sie sind
Der Träumer nicht, der etwas unternähme,
Was nicht geendigt werden kann.

Marquis.                 Das eben
Wär' noch die Frage, denk' ich.

Königin.                 Was ich höchstens
Sie zeihen könnte, Marquis – was von Ihnen
Mich fast befremden könnte, wäre – wäre –

Marquis. Zweideutelei. Kann sein.

Königin.                 Unredlichkeit
Zum wenigsten. Der König wollte mir
Wahrscheinlich nicht durch Sie anbieten lassen,
Was Sie mir sagen werden.

Marquis.         Nein.

Königin.                 Und kann
Die gute Sache schlimme Mittel adeln?
Kann sich – verzeihen Sie mir diesen Zweifel –
Ihr edler Stolz in diesem Amte borgen?
Kaum glaub' ich es.

Marquis.         Auch ich nicht, wenn es hier
Nur gelten soll, den König zu betrügen.
Doch das ist meine Meinung nicht. Ihm selbst
Gedenk' ich diesmal redlicher zu dienen,
Als er mir aufgetragen hat.

Königin.         Daran
Erkenn' ich Sie, und nun genug! Was macht er?

Marquis. Der König? – Wie es scheint, bin ich sehr bald
An meiner strengen Richterin gerächt.
Was ich so sehr nicht zu erzählen eile,
Eilt Ihre Majestät, wie mir geschienen,
Noch weit, weit weniger zu hören. – Doch
Gehört muß es doch werden! Der Monarch
Läßt Ihr Majestät ersuchen, dem
Ambassadeur von Frankreich kein Gehör
Für heute zu bewilligen. Das war
Mein Auftrag. Er ist abgethan.

Königin.         Und das
Ist Alles, Marquis, was Sie mir von ihm
Zu sagen haben?

Marquis.         Alles ungefähr,
Was mich berechtigt, hier zu sein.

Königin.         Ich will
Mich gern bescheiden, Marquis, nicht zu wissen,
Was mir vielleicht Geheimniß bleiben muß –

Marquis. Das muß es, meine Königin – Zwar, wären
Sie nicht Sie selbst, ich würde eilen, Sie
Von ein'gen Dingen zu belehren, vor
Gewissen Menschen Sie zu warnen – doch
Das braucht es nicht bei Ihnen. Die Gefahr
Mag auf- und untergehen um Sie her,
Sie sollen's nie erfahren. Alles Dies
Ist ja nicht so viel werth, den goldnen Schlaf
Von eines Engels Stirne zu verjagen.
Auch war es Das nicht, was mich hergeführt.
Prinz Carlos –

Königin.         Wie verließen Sie ihn?

Marquis.                 Wie
Den einz'gen Weisen seiner Zeit, dem es
Verbrechen ist, die Wahrheit anzubeten –
Und eben so beherzt, für seine Liebe,
Wie Jener für die seinige, zu sterben.
Ich bringe wenig Worte – aber hier,
Hier ist er selbst. (Er gibt der Königin einen Brief.)

Königin (nachdem sie ihn gelesen).
        Er muß mich sprechen, sagt er.

Marquis. Das sag' ich auch.

Königin.         Wird es ihn glücklich machen,
Wenn er mit seinen Augen sieht, daß ich
Es auch nicht bin?

Marquis.         Nein – aber thätiger
Soll es ihn machen und entschloßner.

Königin.         Wie?

Marquis. Der Herzog Alba ist ernannt nach Flandern.

Königin. Ernannt – so hör' ich.

Marquis.         Widerrufen kann
Der König nie. Wir kennen ja den König.
Doch wahr ist's auch: Hier darf der Prinz nicht bleiben –
Hier nicht, jetzt vollends nicht – und Flandern darf
Nicht aufgeopfert werden.

Königin.         Wissen Sie
Es zu verhindern?

Marquis.         Ja – vielleicht. Das Mittel
Ist fast so schlimm, als die Gefahr. Es ist
Verwegen, wie Verzweiflung. – Doch ich weiß
Von keinem andern.

Königin.         Nennen Sie mir's.

Marquis.                 Ihnen,
Nur Ihnen, meine Königin, wag' ich
Es zu entdecken. Nur von Ihnen kann
Es Carlos hören, ohne Abscheu hören.
Der Name freilich, den es führen wird,
Klingt etwas rauh –

Königin.         Rebellion –

Marquis.                 Er soll
Dem König ungehorsam werden, soll
Nach Brüssel heimlich sich begeben, wo
Mit offnen Armen die Flamänder ihn
Erwarten. Alle Niederlande stehen
Auf seine Losung auf. Die gute Sache
Wird stark durch einen Königssohn. Er mache
Den span'schen Thron durch seine Waffen zittern.
Was in Madrid der Vater ihm verweigert,
Wird er in Brüssel ihm bewilligen.

Königin.         Sie sprachen
Ihn heute und behaupten das?

Marquis.         Weil ich
Ihn heute sprach.

Königin (nach einer Pause).     Der Plan, den Sie mir zeigen,
Erschreckt und – reizt mich auch zugleich. Ich glaube,
Daß Sie nicht Unrecht haben. – Die Idee
Ist kühn, und eben darum, glaub' ich,
Gefällt sie mir. Ich will sie reifen lassen.
Weiß sie der Prinz?

Marquis.         Er sollte, war mein Plan,
Aus Ihrem Mund zum ersten Mal sie hören.

Königin. Unstreitig! Die Idee ist groß. – Wenn anders
Des Prinzen Jugend –

Marquis.         Schadet nichts. Er findet
Dort einen Egmont und Oranien,
Die braven Krieger Kaiser Carls, so klug
Im Kabinet als fürchterlich im Felde.

Königin (mit Lebhaftigkeit).
Nein! die Idee ist groß und schön – Der Prinz
Muß handeln. Lebhaft fühl' ich das. Die Rolle,
Die man hier in Madrid ihn spielen sieht,
Drückt mich an seiner Statt zu Boden – Frankreich
Versprech' ich ihm; Savoyen auch. Ich bin
Ganz Ihrer Meinung, Marquis, er muß handeln.
Doch dieser Anschlag fordert Geld.

Marquis.         Auch das liegt schon
Bereit –

Königin.     Und dazu weiß ich Rath.

Marquis.                 So darf ich
Zu der Zusammenkunft ihm Hoffnung geben?

Königin. Ich will mir's überlegen.

Marquis.         Carlos dringt
Auf Antwort, Ihre Majestät. – Ich hab'
Ihm zugesagt, nicht leer zurück zu kehren.
        (Seine Schreibtafel der Königin reichend.)
Zwei Zeilen sind für jetzt genug –

Königin. (nachdem sie geschrieben).         Werd' ich
Sie wiedersehn?

Marquis.         So oft Sie es befehlen.

Königin. So oft – so oft ich es befehle? – Marquis!
Wie muß ich diese Freiheit mir erklären?

Marquis. So arglos, als Sie immer können. Wir
Genießen sie – das ist genug – das ist
Für meine Königin genug.

Königin (abbrechend).         Wie sollt' es
Mich freuen, Marquis, wenn der Freiheit endlich
Noch diese Zufluch in Europa bliebe!
Wenn sie durch ihn es bliebe! – Rechnen Sie
Auf meinen stillen Antheil –

Marquis. (mit Feuer).         O, ich wußt' es,
Ich mußte hier verstanden werden –

Herzogin Olivarez (erscheint an der Thüre).

Königin (fremd zum Marquis).         Was
Von meinem Herrn, dem König, kommt, werd' ich
Als ein Gesetz verehren. Gehen Sie,
Ihm meine Unterwerfung zu versichern.

(Sie gibt ihm einen Wink. Der Marquis geht ab.)

 
Galerie.

Vierter Auftritt.

Don Carlos und Graf Lerma.

Carlos. Hier sind wir ungestört. Was haben Sie
Mir zu entdecken?

Lerma.         Eure Hoheit hatten
An diesem Hofe einen Freund.

Carlos (stutzt).         Den ich
Nicht wüßte! – Wie? Was wollen Sie damit?

Lerma. So muß ich um Vergebung bitten, daß
Ich mehr erfuhr, als ich erfahren durfte.
Doch, Eurer Hoheit zur Beruhigung,
Ich hab' es wenigstens von treuer Hand,
Denn, kurz, ich hab' es von mir selbst.

Carlos.         Von wem
Ist denn die Rede?

Lerma.         Marquis Posa –

Carlos.                 Nun?

Lerma. Wenn etwa mehr, als Jemand wissen darf,
Von Eurer Hoheit ihm bewußt sein sollte,
Wie ich beinahe fürchte –

Carlos.         Wie Sie fürchten?

Lerma. – Er war beim König.

Carlos.         So?

Lerma.                 Zwei volle Stunden
Und in sehr heimlichem Gespräch.

Carlos.         Wahrhaftig?

Lerma. Es war von keiner Kleinigkeit die Rede.

Carlos. Das will ich glauben.

Lerma.         Ihren Namen, Prinz,
Hört' ich zu öftern Malen.

Carlos.         Hoffentlich
Kein schlimmes Zeichen.

Lerma.         Auch ward heute Morgen
Im Schlafgemache seiner Majestät
Der Königin sehr räthselhaft erwähnt.

Carlos (tritt bestürzt zurück). Graf Lerma?

Lerma.                 Als der Marquis weggegangen,
Empfing ich den Befehl, ihn künftighin
Unangemeldet vorzulassen.

Carlos.                 Das
Ist wirklich viel.

Lerma.         Ganz ohne Beispiel, Prinz,
So lang mir denkt, daß ich dem König diene.

Carlos. Viel! Wahrlich viel! – Und wie? wie, sagten Sie,
Wie ward der Königin erwähnt?

Lerma (tritt zurück).         Nein, Prinz,
Nein! Das ist wider meine Pflicht.

Carlos.         Wie seltsam!
Sie sagen mit das Eine und verhehlen
Das Andre mir.

Lerma.         Das Erste war ich Ihnen,
Das Zweite bin ich dem Monarchen schuldig.

Carlos. – Sie haben Recht.

Lerma.         Den Marquis hab' ich zwar
Als Mann von Ehre stets gekannt.

Carlos.         Dann haben
Sie ihn sehr gut gekannt.

Lerma.         Jedwede Tugend
Ist fleckenfrei – bis auf den Augenblick
Der Probe.

Carlos.         Auch wohl hier und da noch drüber.

Lerma. Und eines großen Königs Gunst dünkt mir
Der Frage werth. An diesem goldnen Angel
Hat manche starke Tugend sich verblutet.

Carlos. O ja.

Lerma.         Oft sogar ist es weise, zu entdecken,
Was nicht verschwiegen bleiben kann.

Carlos.         Ja, weise!
Doch, wie Sie sagen, haben Sie den Marquis
Als Mann von Ehre nur gekannt?

Lerma.                 Ist er
Es noch, so macht mein Zweifel ihn nicht schlechter.
Und Sie, mein Prinz, gewinnen doppelt. (Er will gehen.)

Carlos. (folgt ihm gerührt und drückt ihm die Hand).     Dreifach
Gewinn' ich, edler, würd'ger Mann – ich sehe
Um einen Freund mich reicher, und es kostet
Mir den nicht, den ich schon besaß. (Lerma geht ab.)


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