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Marquis von Posa kommt durch die Galerie. Carlos.
Marquis. Carl! Carl!
Carlos. Wer ruft? Ah, du bist's! Eben recht. Ich eile
Voraus ins Kloster. Komm bald nach. (Er will fort.)
Marquis. Nur zwei
Minuten – bleib.
Carlos. Wenn man uns überfiele –
Marquis. Man wird doch nicht. Es ist sogleich geschehen.
Die Königin –
Carlos. Du warst bei meinem Vater?
Marquis. Er ließ mich rufen; ja.
Carlos (voll Erwartung). Nun?
Marquis. Es ist richtig.
Du wirst sie sprechen.
Carlos. Und der König? Was
Will der König?
Marquis. Der? Nicht viel. – Neugierde,
Zu wissen, wer ich bin. – Dienstfertigkeit
Von unbestellten guten Freunden. Was
Weiß ich? Er bot mir Dienste an.
Carlos. Die du
Doch abgelehnt?
Marquis. Versteht sich.
Carlos. Und wie kamt
Ihr auseinander?
Marquis. Ziemlich gut.
Carlos. Von mir
War also wohl die Rede nicht?
Marquis. Von dir?
Doch. Ja. Im Allgemeinen
(Er zieht ein Souvenir heraus und gibt es dem Prinzen.)
Hier vorläufig
Zwei Worte von der Königin, und morgen
Werd' ich erfahren, wo und wie –
Carlos (liest sehr zerstreut, steckt die Schreibtafel ein und will gehen.) Beim Prior
Triffst du mich also.
Marquis. Warte doch. Was eilst du?
Es kommt ja Niemand.
Carlos. (mit erkünsteltem Lächeln). Haben wir denn wirklich
Die Rollen umgetauscht? Du bist ja heute
Erstaunlich sicher.
Marquis. Heute? Warum heute?
Carlos. Und was schreibt mir die Königin?
Marquis. Hast du
Denn nicht im Augenblick gelesen?
Carlos. Ich?
Ja so.
Marquis. Was hast du denn? Was ist dir?
Carlos (liest das Geschriebene noch einmal. Entzückt und feurig). Engel
Des Himmels! Ja, ich will es sein – ich will –
Will deiner werth sein – Große Seelen macht
Die Liebe größer. Sei's auch, was es sei.
Wenn du es mir gebietest, ich gehorche –
Sie schreibt, daß ich auf eine wichtige
Entschließung mich bereiten soll. Was kann
Sie damit meinen? Weißt du nicht?
Marquis. Wenn ich's
Auch wüßte, Carl, bist du auch jetzt gestimmt,
Es anzuhören?
Carlos. Hab' ich dich beleidigt?
Ich war zerstreut. Vergib mir, Roderich.
Marquis. Zerstreut? Wodurch?
Carlos. Durch – ich weiß selber nicht.
Dies Souvenir ist also meins?
Marquis. Nicht ganz!
Vielmehr bin ich gekommen, mir sogar
Deins auszubitten.
Carlos. Meins? Wozu?
Marquis. Und was
Du etwa sonst an Kleinigkeiten, die
In keines Dritten Hände fallen dürfen,
An Briefen oder abgerissenen
Concepten bei dir führst – kurz, deine ganze
Brieftasche –
Carlos. Wozu aber?
Marquis. Nur auf alle Fälle.
Wer kann für Ueberraschung stehn? Bei mir
Sucht sie doch Niemand. Gib.
Carlos (sehr unruhig). Das ist doch seltsam!
Woher auf einmal diese –
Marquis. Sei ganz ruhig.
Ich will nichts damit angedeutet haben.
Gewißlich nicht! Es ist Behutsamkeit
Vor der Gefahr. So hab' ich's nicht gemeint,
So wahrlich nicht, daß du erschrecken solltest.
Carlos (gibt ihm die Brieftasche).
Verwahr' sie gut.
Marquis. Das werd' ich.
Carlos (sieht ihn bedeutend an). Roderich!
Ich gab dir viel.
Marquis. Noch immer nicht so viel,
Als ich von dir schon habe – Dort also
Das Uebrige, und jetzt leb' wohl! – leb' wohl! (Er will gehen.)
Carlos (kämpft zweifelhaft mit sich selbst – endlich ruft er ihn zurück).
Gibt mir die Briefe doch noch einmal. Einer
Von ihr ist auch darunter, den sie damals,
Als ich so tödtlich krank gelegen, nach
Alcala mir geschrieben. Stets hab' ich
Auf meinem Herzen ihn getragen. Mich
Von diesem Brief zu trennen, fällt mir schwer.
Laß mir den Brief – nur den – das Uebrige
Nimm alles.
(Er nimmt ihn heraus und gibt die Brieftasche zurück.)
Marquis. Carl, ich thu' es ungern. Just
Um diesen Brief war mir's zu thun.
Carlos. Leb' wohl!
(Er geht langsam und still weg, an der Thüre bleibt er einen Augenblick stehen, kehrt wieder um und bringt ihm den Brief.)
Da hast du ihn.
(Seine Hand zittert. Thränen stürzen aus seinen Augen, er fällt dem Marquis um den Hals und drückt sein Gesicht wider dessen Brust.)
Das kann mein Vater nicht?
Nicht wahr, mein Roderich? Das kann er doch nicht? (Er geht schnell fort.)
Marquis (sieht ihm erstaunt nach).
Wär's möglich? Wär' es? Also hätt' ich ihn
Doch nicht gekannt? Nicht ganz? In seinem Herzen
Wär' diese Falte wirklich mir entgangen?
Mißtrauen gegen seinen Freund!
Nein, es ist Lästerung! – Was that er mir,
Daß ich der Schwächen schwächster ihn verklage?
Was ich ihn zeihe, werd' ich selbst – Befremden –
Das mag es ihn, das glaub' ich gern. Wann hätte
Er dieser seltsamen Verschlossenheit
In seinem Freunde sich versehn? – Auch schmerzen!
Ich kann dir's nicht ersparen, Carl, und länger
Muß ich noch deine gute Seele quälen.
Der König glaubte dem Gefäß, dem er
Sein heiliges Geheimniß übergeben,
Und Glauben fordert Dankbarkeit. Was wäre
Geschwätzigkeit, wenn mein Verstummen dir
Nicht Leiden bringt? vielleicht erspart? Warum
Dem Schlafenden die Wetterwolke zeigen,
Die über seinem Scheitel hängt? – Genug,
Daß ich sie still an dir vorüber führe
Und, wenn du aufwachst, heller Himmel ist. (Er geht ab.)
Kabinet des Königs.
Der König in einem Sessel – neben ihm die Infantin Clara Eugenia.
König (nach einem tiefen Stillschweigen).
Nein! Es ist dennoch meine Tochter – Wie
Kann die Natur mit solcher Wahrheit lügen?
Dies blaue Auge ist ja mein! Find' ich
In jedem dieser Züge mich nicht wieder?
Kind meiner Liebe, ja, du bist's. Ich drücke
Dich an mein Herz – du bist mein Blut.
(Er stutzt und hält inne.)
Mein Blut!
Was kann ich Schlimmres fürchten? Meine Züge,
Sind sie die seinigen nicht auch?
(Er hat das Medaillon in die Hand genommen und sieht wechselsweise auf das Bild und in einen gegenüber stehen den Spiegel – endlich wirft er es zur Erde, steht schnell auf und drückt die Infantin von sich.)
In diesem Abgrund geh' ich unter.
Graf Lerma. Der König.
Lerma. Eben
Sind Ihre Majestät, die Königin,
Im Vorgemach erschienen.
König. Jetzt?
Lerma. Und bitten
Um gnädigstes Gehör –
König. Jetzt aber? Jetzt?
In dieser ungewohnten Stunde? – Nein!
Jetzt kann ich sie nicht sprechen – jetzt nicht –
Lerma. Hier
Sind Ihre Majestät schon selbst – (Er geht ab.)
Der König. Die Königin tritt herein. Die Infantin.
(Die Letztere fliegt ihr entgegen und schmiegt sich an sie an. Die Königin fällt vor dem König nieder, welcher stumm und verwirrt steht.)
Königin. Mein Herr
Und mein Gemahl – ich muß – ich bin gezwungen,
Vor Ihrem Thron Gerechtigkeit zu suchen.
König. Gerechtigkeit?
Königin. Unwürdig seh' ich mir
An diesem Hof begegnet. Meine
Schatulle ist erbrochen –
König. Was?
Königin. Und Sachen
Von großem Werth für mich daraus verschwunden –
König. Von großem Werth für Sie –
Königin. Durch die Bedeutung,
Die eines Unbelehrten Dreistigkeit
Vermögend wäre –
König. Dreistigkeit – Bedeutung –
Doch – stehn Sie auf.
Königin. Nicht eher, mein Gemahl,
Bis Sie durch ein Versprechen sich gebunden,
Kraft Ihres königlichen Arms zu meiner
Genugthuung den Thäter mir zu stellen,
Wo nicht, von einem Hofstaat mich zu trennen,
Der meinen Dieb verbirgt –
König. Stehn Sie doch auf –
In dieser Stellung – Stehn Sie auf –
Königin (steht auf). Daß er
Von Range sein muß, weiß ich – denn in der
Schatulle lag an Perlen und Demanten
Weit über eine Million, und er
Begnügte sich mit Briefen –
König. Die ich doch –
Königin. Recht gerne, mein Gemahl. Es waren Briefe
Und ein Medaillon von dem Infanten.
König. Von –
Königin. Dem Infanten, Ihrem Sohn.
König. An Sie?
Königin. An mich.
König. Von dem Infanten? Und das sagen
Sie mir?
Königin. Warum nicht Ihnen, mein Gemahl?
König. Mit dieser Stirne?
Königin. Was fällt Ihnen auf?
Ich denke, Sie erinnern sich der Briefe,
Die mit Bewilligung von beiden Kronen
Don Carlos mir nach Saint-Germain geschrieben.
Ob auch das Bild, womit er sie begleitet,
In diese Freiheit einbedungen worden,
Ob seine rasche Hoffnung eigenmächtig
Sich diesen kühnen Schritt erlaubt – das will
Ich zu entscheiden mich nicht unterfangen.
Wenn's Uebereilung war, so war es die
Verzeihlichste – da bin ich für ihn Bürge.
Denn damals fiel ihm wohl nicht bei, daß es
Für seine Mutter wäre –
(Sieht die Bewegung des Königs.)
Was ist das?
Was haben Sie?
Infantin (welche unterdessen das Medaillon auf dem Boden gefunden und damit gespielt hat, bringt es der Königin.)
Ah! Sieh da, meine Mutter!
Das schöne Bild –
Königin. Was denn, mein –
(Sie erkennt das Medaillon und bleibt in sprachloser Erstarrung stehen. Beide sehen einander mit unverwandten Augen an. Nach einem langen Stillschweigen.)
Wahrlich, Sire!
Dies Mittel, seiner Gattin Herz zu prüfen,
Dünkt mir sehr königlich und edel – Doch
Noch eine Frage möcht' ich mir erlauben.
König. Das Fragen ist an mir.
Königin. Durch meinen Argwohn
Soll doch die Unschuld wenigstens nicht leiden. –
Wenn also dieser Diebstahl Ihr Befehl
Gewesen –
König. Ja.
Königin. Dann hab' ich Niemand anzuklagen
Und Niemand weiter zu bedauern – Niemand,
Als Sie, dem die Gemahlin nicht geworden,
Bei welcher solche Mittel sich verlohnen.
König. Die Sprache kenn' ich. – Doch, Madame,
Zum zweiten Male soll sie mich nicht täuschen,
Wie in Aranjuez sie mich getäuscht.
Die engelreine Königin, die damals
Mit so viel Würde sich vertheidigt – jetzt
Kenn' ich sie besser.
Königin. Was ist das?
König. Kurz also
Und ohne Hinterhalt, Madame! – Ist's wahr,
Noch wahr, daß Sie mit Niemand dort gesprochen?
Mit Niemand? Ist das wirklich wahr?
Königin. Mit dem Infanten
Hab' ich gesprochen. Ja.
König. Ja? – Nun, so ist's
Am Tage. Es ist offenbar. So frech!
So wenig Schonung meiner Ehre!
Königin. Ehre, Sire?
Wenn Ehre zu verletzen war, so, fürcht' ich,
Stand eine größre auf dem Spiel, als mir
Castilien zur Morgengabe brachte.
König. Warum verleugnen Sie mir?
Königin. Weil ich
Es nicht gewohnt bin, Sire, in Gegenwart
Von Höflingen, auf Delinquentenweise
Verhören mich zu lassen. Wahrheit werde
Ich nie verleugnen, wenn mit Ehrerbietung
Und Güte sie gefordert wird. – Und war
Das wohl der Ton, den Eure Majestät
Mit in Aranjuez zu hören gaben?
Ist etwa sie versammelte Grandezza
Der Richterstuhl, vor welchen Königinnen
Zu ihrer stillen Thaten Rechenschaft
Gezogen werden? Ich gestattete
Dem Prinzen die Zusammenkunft, um die
Er dringend bat. Ich that es, mein Gemahl,
Weil ich es wollte – weil ich den Gebrauch
Nicht über Dinge will zum Richter setzen,
Die ich für tadellos erkannt – und Ihnen
Verbarg ich es, weil ich nicht lüstern war,
Mit Eurer Majestät um diese Freiheit
Vor meinem Hofgesinde mich zu streiten.
König. Sie sprechen kühn, Madame, sehr –
Königin. Und auch darum,
Setz' ich hinzu, weil der Infant doch schwerlich
Der Billigkeit, die er verdient, sich zu
Erfreuen hat in seines Vaters Herzen –
König. Die er verdient?
Königin. Denn warum soll ich es
Verbergen, Sire? – Ich schätz' ihn sehr und lieb' ihn
Als meinen theuersten Verwandten, der
Einst werth befunden worden, einen Namen
Zu führen, der mich mehr anging – Ich habe
Noch nicht recht einsehn lernen, daß er mir
Gerade darum fremder sollte sein,
Als jeder Andre, weil er ehedem
Vor jedem Andern theuer mir gewesen.
Wenn Ihre Staatsmaxime Bande knüpft,
Wie sie für gut es findet, soll es ihr
Doch etwas schwerer werden, sie zu lösen.
Ich will nicht hassen, wen ich soll – und, weil
Man endlich doch zu reden mich gezwungen –
Ich will es nicht – will meine Wahl nicht länger
Gebunden sehn –
König. Elisabeth! Sie haben
In schwachen Stunden mich gesehen. Diese
Erinnerung macht Sie so kühn. Sie trauen
Auf eine Allmacht, die Sie oft genug
An meiner Festigkeit geprüft. – Doch fürchten
Sie desto mehr. Was bis zu Schwächen mich
Gebracht, kann auch zu Raserei mich führen.
Königin. Was hab' ich denn begangen?
König (nimmt ihre Hand). Wenn es ist,
Doch ist – und ist es denn nicht schon? – wenn Ihrer
Verschuldung volles, aufgehäuftes Maß
Auch nur um eines Athems Schwere steigt –
Wenn ich der Hintergangne bin – (Er läßt ihre Hand los.) Ich kann
Auch über diese letzte Schwäche siegen.
Ich kann's und will's – Dann wehe mir und Ihnen,
Elisabeth!
Königin. Was hab' ich denn begangen?
König. Dann meinetwegen fließe Blut –
Königin. So weit
Ist es gekommen – Gott!
König. Ich kenne
Mich selbst nicht mehr – ich ehre keine Sitte
Und keine Stimme der Natur und keinen
Vertrag der Nationen mehr –
Königin. Wie sehr
Beklag' ich Eure Majestät –
König (außer Fassung). Beklagen!
Das Mitleid einer Buhlerin –
Infantin (hängt sich erschrocken an ihre Mutter). Der König zürnt,
Und meine schöne Mutter weint.
König (stößt das Kind unsanft von der Königin).
Königin (mit Sanftmuth und Würde, aber mit zitternder Stimme). Die Kind
Muß ich doch sicher stellen vor Mißhandlung.
Komm mit mir, meine Tochter. (Sie nimmt es auf den Arm.)
Wenn der König
Dich nicht mehr kennen will, so muß ich jenseits
Der Pyrenäen Bürger kommen lassen,
Die unsre Sache führen. (Sie will gehen.)
König (betreten). Königin?
Königin. Ich kann nicht mehr – das ist zu viel –
(Sie will die Thür erreichen und fällt mit dem Kinde an der Schwelle zu Boden.)
König (hinzueilend, voll Bestürzung). Gott! was ist das? –
Infantin (ruft voll Schrecken). Ach, meine Mutter blutet! (sie eilt hinaus.)
König (ängstlich um sie beschäftigt).
Welch fürchterlicher Zufall! Blut! Verdien' ich,
Daß Sie so hart mich strafen? Stehn Sie auf,
Erholen Sie sich! Stehn Sie auf! Man kommt!
Man überrascht uns – Stehn Sie auf! Soll sich
Mein ganzer Hof an diesem Schauspiel weiden?
Muß ich Sie bitten, aufzustehen?
(Sie richtet sich auf, von dem König unterstützt.)