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I.

Renate Gedon trat aus der Tür des Wohnhauses. Geblendet blieb sie stehen, von der jähen Helle überfallen. Trotz der frühen Stunde siedete der kaum dem Dunkel entwichene junge Morgen schon in der Wut des tropischen Tages.

Sie giebelte beide Hände wie ein Schutzdach über die Augen und eilte durch den Hof, der die Estanzia umgürtete, nach links, dem bergenden Walde zu. Die Felder, das gerodete Land, breiteten sich nach rechts, stromabwärts, am Ufer hin.

Bald nahm der Wald S sofort Urwald – sie in seinen behütenden feuchtwarmen Schatten.

Noch schlief die kleine Siedlung. Doch schon lebte der Wald. Ein erwachendes Rauschen rieselte durch die weitstrahligen Blätter der Farnbäume, überzitterte die Kronen der eleganten Kokospalmen, ließ die Riesenblätter der Pacovabäume erbeben und bewegte wiegend die grotesken dunkelblau-grünen Kandelaberäste der Aurakarien.

Und mit den Herren erwachten ihre Schmarotzer. Die farbenglühenden Guirlanden, die sich von Ast zu Ast schwangen, die grünen Netze, die sich in den Lüften verstrickten, diese dickgeschnürten Hängematten, die sich von Baum zu Baum seilten, schaukelten leise im jungen Morgen. Die Kelche der Mimosen entrollten sich der Sonne, die weiß durch den grünen Dom sickerte; die Orchideen öffneten sich im Erwachen und atmeten schwer und wollüstig ihren aufgespeicherten brünstigen Odem dem Tage zu. Und rote Hängefuchsien, lila Begonien, blaue Heliconien, die heiße Blütenpracht dieses unabsehbaren Treibhauses des brasilianischen Urwaldes schüttelte die Last der Tropennacht von sich und reckte sich dem neuen schwülbelebenden Lichte entgegen.

Auf der Heerstraße der Brücken in den Lüften wanderte schwatzend und lärmend eine Affenherde, Papageien schrieen und schüttelten ihr metallisch glänzendes Gefieder, die roten Füße des Wiedehopfs hüpften von Ast zu Ast. Mit seinem eintönigen Kreischen begrüßte er den Morgen.

Unter dieser bunten und buntbelebten Wölbung des Urwaldes schritt Renate rasch und unbekümmert dahin. Sie kannte diese schillernde Bewegtheit in der grünen, glasigen Ruhe nun schon fast ein Jahr.

Gewandt schlüpfte sie zwischen dem Gewirr von Baumstämmen und wucherndem Wachsen den schmalen Pfad entlang, den die Machete, das scharfe Haumesser, durch das Gestrüpp geschlagen hatte und offen hielt.

Sie kam zu einer Lichtung am Ufer. Fedrige Bambuswände umschirmten den Halbkreis wie eine Kulisse. Renate ließ den leichten Bademantel zur Erde gleiten, reckte die Arme hoch über den Kopf und genoß schwelgend die nackte Freiheit ihres Körpers. Das unendliche Grün des Urwaldes übergoß den weißen Leib mit einer schattenhaft wechselnden Patina. Sie strich mit den Händen über die Glieder, ihre Haut trank den feuchten Atem der Wildnis. Schlank, zierlich, grünüberhaucht stand die junge Frau inmitten der Lichtung, noch fast mädchenhaft der Körper mit den kleinen spitzen Brüsten und überzarten nervösen Gelenken.

Sie blickte über das graue, rasch fließende Wasser des Castanho hin. Drüben, nach links, lag die Estanzia, weiß und sonnenübersprüht. Stromauf wand der Fluß sich zwischen der lebendigen Einöde des Urwaldes dem fernen Gebirge zu.

Kleine glitzernde Schweißperlen traten aus den Poren, als Renate ihre Morgenübung begann. Sie dehnte und beugte sich, federte auf den Zehen, wand sich in den Hüften.

Doch schon fielen die Mosquitos über sie her. Da schüttelte sie unwillig ergeben den Kopf und rannte das flache Ufer hinab in das Wasser.

Kaum hatte sie die Lichtung verlassen, da wurden die Bambusstauden auseinander gebogen und das braune Gesicht eines Gauchos drängte sich zwischen den Stämmen hindurch. Lüsterne, kleine schwarze Augen verfolgten funkelnd den enteilenden Frauenkörper.

Dieser Mischling von Neger und Brasilindianer hatte vor Wochen durch Zufall das morgendliche Bad der Herrin erspäht. Seitdem opferte er Stunden der Ruhe, hier auf der Lauer zu liegen. Morgen für Morgen stahl er sich lautlos aus dem Schlafraum der Vaqueiros, stand hier geduldig im Hinterhalte, bis Renate kam, und bebte vor qualvoll beherrschter Gier beim Anblick dieses rassereinen Leibes einer Europäerin.

Er wußte, daß der Tag nicht mehr ferne war, an dem er diese geheime Lust büßen mußte. Einmal wird er über sie herfallen, die weiße Frau nehmen wollen. Sie wird schreien, man wird vom Rancho herbeieilen, er wird sie an sich gerissen, sie berührt haben – sie werden ihn hetzen – er wird in die Wildnis fliehen, wie viele vor ihm. Er weiß alles. Er ist klug und verschlagen. Die Gefahren des Urwaldes drohen. Aber er muß diesen weißen Körper haben, der grün schimmert im Schmelze des Waldes. Er muß.

Vielleicht auch wird sie nicht schreien. Wenn er rasch zuspringt und sie an der weißen, zarten, durchsichtigen Kehle packt. Dann wird sie vielleicht nicht schreien.

Dann wird sie sein werden. Aber auch dann bleibt nur die Wildnis. Dann ganz gewiß. Doch dann hat er einmal ein weißes Weib, dieses schöne, zierliche, weiße Weib besessen. Dann schreckt die Öde dort stromaufwärts, dem Gebirge zu, nicht so sehr. Nicht ganz so sehr.

Joao stiert auf die weiße Frau. Sie steht bis zu den Armen im Wasser, das um die Brüste gurgelt. Jetzt wirft sie sich vorwärts, breitet die Arme, schwimmt. Nur der Kopf mit dem dunkelblonden knabenhaften Haare ist noch sichtbar.

Weit beugt der Gaucho das verzerrte Gesicht aus dem Bambus, sein Zittern erschüttert das Gehölz. Es erbebt unter dem aufgepeitschten Verlangen des Mannes.

Da – ein geller Schrei vom Wasser her. Die Frau ist in der Mitte des Flusses, der hier 300 m in der Breite mißt. Sie hebt einen weißen Arm – hilflos – wie ein Signal der Todesfurcht. Ein zweiter Schrei, schon dumpfer, erstickt von Angst und Entsetzen. Dann wirft sie sich dem Ufer zu. Schwimmt verzweifelt, wird matt. Rote Flecken quillen aus dem grauen Wasser. Blut.

Im nächsten Augenblick ist Joao im Strome, schleudert sich mit gewaltigen eckigen Bewegungen vorwärts. Auch ihn packt es. Er fühlt den rasenden Schmerz, er stößt, er wehrt sich vergeblich. Das Gesicht der Frau ist unter Wasser. Der Mund steht offen in Todesgrauen. Der Fluß sprudelt hinein. Jetzt ist Joao bei ihr, packt ihren Haarschopf. Wütend schneidet es ihn, bis auf die Knochen jeder Biß. Doch er arbeitet sich durch, die Faust im dichten seidigen Haar der Frau. Er gewinnt das Ufer, zieht den weißen Körper ans Land. Blut strömt aus zwanzig tiefen Wunden. Bei ihr wie bei ihm. Auf der schmutzig-dunklen Haut seiner nackten Beine sieht man die roten Ströme nicht so grell wie auf dem Weiß der Frau. Doch er denkt nicht an Blut und Schmerz, er sieht nur das bewußtlose Weib. Er knickt in die Knie, neben dem hingestreckten Körper. Er betastet die feuchte, glatte, kühle Haut. Doch plötzlich fällt er mit dem Gesicht über ihre Brust. Dann saust er kopfüber ins Dickicht.

Ein furchtbarer Tritt in das Gesäß hat ihn über die Frau hinweg geschleudert. Neben Renate steht Simplizio, ganz in Weiß, das die Ebenholzschönheit seines edlen Suaheligesichtes noch verdunkelt. Er greift den Bademantel, hüllt die Ohnmächtige hinein, trägt sie sorgsam mit seiner herkulischen Kraft durch die schmalen Windungen des Pfades dem Hause zu.

Mühsam, mit zerschundenem Gesicht, schmerzendem Rücken, zerbissenen Gliedern, erhebt sich der Gaucho.


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