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Die Wunden schlossen sich schneller, als Gedon von seiner aufopfernden Pflege und seinen nicht ungeschickten Heilkünsten erhoffen konnte. In dieser zarten Frau mit den scheinbar so zerbrechlichen Tanagragliedern webte eine geheimnisvolle stille Kraft.
Als das Ereignis des Siedlerjahres eintrat, verließ sie das Lager, die weiße, glatte Haut noch rot durchfurcht von zackigen Narben. Ende März kam der Händler und legte sein Catelao am Ufer vor dem Rancho fest.
Es war ein großer Augenblick. Die Kultur grüßte die Wildnis, ein schüchterner Hauch der Welt berührte die Einsamkeit des zentral-brasilianischen Urwaldes.
Herrschaft und Dienertroß umringten das Hausboot, halfen es am Ufer festbinden, begrüßten Senhor Luiz Barboso und seine farbigen Gehilfen wie die Gesandten eines gewaltigen Potentaten.
Sie waren diesen Willkomm gewöhnt und ihm an Würde und Herablassung gewachsen.
Renate fieberte in fraulicher Neugier und Erregung, als sie endlich das gleitende Warenhaus betreten durfte. Seit Wochen hatte sie ihre Kranken-Langeweile mit dieser Erwartung verkürzt, seit Monaten hatte sie seine Ankunft ersehnt, seit Tagen, seit die Regenperiode beendet war, es erharrt.
Sie gedachte oft des März im vergangenen Jahre. Damals war sie in Berlin von Warenhaus zu Spezialgeschäft geeilt, ihre Aussteuer zu beschaffen. Mit der Gleichgültigkeit der Gewöhnung hatte sie die Kaufpaläste des Westens durchstreift, ihren lockenden Reichtum als Selbstverständlichkeit hingenommen.
Heute schien ihr dieses plumpe Boot mit seinem primitiven Dache aus rohen Häuten herrlicher als alle Prachtmagazine der Leipziger- und Tauentzienstraße. Und diese überlebten Waren, die kein Ramschbasar zu bieten gewagt hätte, dünkten sie köstlicher als alle »letzten Schlager« und »Saison-Nouveautés« und alle »Creationen« und »große Moden« der Berliner Schaufenster. Ihre Hände verlangten, wieder einmal über unberührte Stoffe zu streicheln, glitzernden Tand durch ihre Finger gleiten zu fühlen. Sie wollte wieder einmal wählen und schwanken und zweifeln und Torheiten als Wichtigkeiten durchdenken und Nichtigkeiten ernst nehmen. Sie wollte prüfen und begutachten und Farben, die ihrem Teint schmeichelten, aussuchen und Stoffe, die ihre Linien hoben, kritisch an ihrem Körper herabgleiten lassen: sie wollte wieder einmal Weib sein, Äußerlichkeiten zu Weltfragen erheben, sich schmücken, kosen, hätscheln.
Daß die Stoffe Kattun und Leinen und Serge und Nessel und Kreton waren, tat diesem Genüsse keinen Abbruch.
Es war ein sehr geschäftiger Tag. Mit nachsichtigem, erfreutem Gewähren ließ Gedon sein junges Weib schalten. Das Jahr war gut gewesen. Die Ernte dieses trächtigen Jungfernbodens überreich. Renate sollte ihre Schmuckgelüste austoben. Er und die Vaqueiros waren mit ihren Einkäufen bald zu Ende. Tabak, Zigarren, Zigaretten, Rum, neue Wäsche, Kleidungsgegenstände und vor allem Handwerkszeug und Ackergerät war ihre Wahl. Jede Axt, jede Säge, die während des Jahres zerbrach, ward zur Katastrophe und erhöhte die Sehnsucht nach dem wandelnden Warenhause.
Senhor Luiz Barboso bediente die Dame höchst persönlich. Er paarte Würde und Hoheit mit einer ungetrübten Geduld. Lächelnd, ermunternd ließ er die raschen Hände der jungen Deutschen sein Lager zerwühlen, umwälzen. Dabei unterhielt er die Kundin mit liebenswürdigem Ernste auf Portugiesisch, von dem Renate kaum den zehnten Teil verstand.
Am Abend war der fliegende Händler des Madeirastromes und seiner Nebenflüsse Gast der Estanzia.
Er erzählte von der Welt da draußen. Denn er kam ja aus Manaos am Rio Negro, der Stadt des Opernhauses, der elektrischen Bahnen, der Hotels, der großen, schönen Plätze, der weiten Straßen und anderer sagenhafter unendlich ferner Dinge. Er trug den Glorienschein des Weltmannes vor diesen Hinterwäldlern um sein kahles Haupt. Er war Zeitung, Radio, Modeblatt.
Er berichtete von der Revolution, die seit Wochen in Brasilien gärte, von der Belagerung San Paolos, von den Banden, die im Campo wüteten, von ihren Mord- und Greueltaten. Er hatte nur mit Bedenken diese Geschäftsreise angetreten.
»Aber, nicht wahr –« er strich den struppigen roten Bart – »man muß leben und ihr hier draußen wollt schließlich auch leben.«
Allerdings wollten sie leben! Was sollte aus den Äckern und all den Reparaturen an Haus und Dingen werden, die des neuen Handwerkszeugs harrten? Und dann – hier war alles ruhig. Bis in diese ferne Einöde drang keine Politik und keine Revolution. Gedon machte eine kurze wegwerfende Bewegung mit seiner kleinen, strammen Hand.
Senhor Luiz Barboso war hievon nicht so überzeugt. Doch da Renate radebrechend fragte, ob man draußen noch Bubiköpfe trage, und dabei unwillkürlich über ihr kurzes Haar strich – ein Werk der Geduld und Schere Gedons – glitt die Unterhaltung in andere, freundlichere Kanäle.
Renate sprach viel, ihren mangelnden Sprachkenntnissen zum Trotze. Viel Gleichgültiges und Nichtiges. Nur um zu sprechen. Sie war bewegt und aufgewühlt und wollte hinter Worten und geheuchelter Lebhaftigkeit ihre schuldbelastete Unrast verbergen.
Denn dieses einmal im Jahr fällige Warenhausboot erfüllte neben vielem auch die Obliegenheiten der Post, einer privaten, aus Gefälligkeit übernommenen, doch leidlich sicheren und pünktlichen Post.
Senhor Luiz hatte Rudolf Gedon einen Brief gebracht von Walter Ortner.
Er wohnte einige hundert Meilen stromabwärts. Der nächste Nachbar. Die geographisch noch kaum erforschte, wissenschaftlich noch nicht erschlossene Gegend war wenig besiedelt. Nur die Beherztesten, Kühnsten hatten sich bis in dieses verborgene Urland vorgewagt.
Ortner und Gedon waren Regimentskameraden vom Anhaltinischen Leibregiment in Dessau. Auf der Lorettohöhe hatten sie Schulter an Schulter gelitten und geblutet. Hier draußen hatten sie sich wiedergefunden, als Gedon vor einem Jahre nach Europa fuhr, eine Gefährtin seiner Einsamkeit zu suchen. Bei der Fahrt stromab nächtigte er auf einem neuerstandenen Rancho am Einfluß des Castanho in den Aripuanan.
In dem Besitzer fand er den Mann wieder, den er mit Lebensgefahr als Verwundeten aus dem Gewitter der Granaten der Lorettohöhe geborgen hatte.
Ortner schrieb:
Lieber Freund und Kamerad!
Ich habe oft mit der Versuchung gekämpft, Axt und Schippe hinzuschmeißen, mein Boot in den Fluß zu schieben und stromauf zu Ihnen zu paddeln und nachzusehen, wie es Ihrer Frau und Ihnen dort oben am Castanho geht. Doch Sie wissen ja am besten, daß das erste Siedlerjahr keine Ausspannung duldet. So durfte ich nur teilnahmeerfülltes Gedenken den Fluß hinaufsegeln lassen.
Auch jetzt sehe ich für mich keine Möglichkeit, selbst nur auf Tage fortzukommen. Aber für Sie, Sie Großgrundbesitzer, habe ich vielleicht eine Lockung. Es ist mir gelungen, eine neue Art zu finden, Zuckerrohr zu züchten, wie sie die Welt und dieses Schwitzbad von Erdteil noch nicht gesehen hat. Ich war immer ein Pflanzen-Dilettant und habe seinerzeit meine technischen Kollegs geschwänzt, um landwirtschaftliche Vorlesungen zu schinden. Vielleicht haben meine Versuche eine beachtliche Zukunft. Wollen Sie sich nicht einmal die Bescherung ansehen und meinen Pionierstolz dämpfen?
Für Ihre Gattin habe ich einen reizenden, kleinen, gelben Affen gezähmt. Auch ein Cotinga von strahlendem Türkisblau mit magenta-purpurnem Hals harrt piepsend seiner Herrin in einem kleinen Holzkäfig.
Jedenfalls werde ich nun Morgen für Morgen den Strom hinab starren, ob nicht weit unten Ihr Boot aus dem brennenden Dunste auftaucht. Und wenn es vergeblich ist, so ist es doch eine Abwechslung und eine Hoffnung. Und von beidem hat man hier nicht allzuviel.
Mit besten Grüßen an Ihre Gemahlin und Sie
Ihr
Walter Ortner.
Mit Eifer las Gedon seiner Frau den Brief vor. Die Stimme dieses gefestigten, ruhigen Mannes zitterte. Der Wert aller Dinge entspricht ihrer Seltenheit. Ein Brief am Castanho war auf dieser Raritätenskala eine Kostbarkeit ersten Ranges. Ortners Epistel war die einzige europäische Stimme, die seit zehn Monaten zu ihnen herübergeklungen war. Trotz aller Gegenwehr packte es den gelassenen Mann. Ein Gefährte, ein Kulturgenosse aus der verklungenen Welt sprach.
Doch gleich darauf hatte er sich wieder fest in der Hand. Abwägend erörterte er den Züchtungsversuch des Nachbarn. Eine neue Methode des Zuckerrohrbaues! Hm, das hätte am Ende Zukunft. Dieser Ortner war kein dummer Kerl. Beileibe nicht. Ein bißchen schwärmerisch, naja. Aber bei aller Phantasie doch immer mit beiden Füßen auf realem Boden. Das gab ja wohl Entdeckernaturen, wie? Es mochte schon lohnen, sich die Plantage da oben mal anzusehen. Wäre auch eine kleine Abwechslung für Renate. Er konnte schließlich auf einige Wochen fort. Simplizio hatte die Bande im Zuge. Der Vorschlag war immerhin der Erwägung wert.
Er blickte auf die großen, steilen Buchstaben nieder und sprach gegen seine Gewohnheit umständlich und reichlich. Und sah nicht, wie schon bei dem ersten Worte eine heiße Röte das Gesicht der Frau überflammte, das noch bleich war vom langen Krankenlager, und wie ihr das verräterische Blut bis in die hohen, klugen Ecken der Stirn unter dem straff zurückgestrichenen dunklen Blond der Haare siedete.
Dann wurde sie blaß, fast weiß, blässer als je während ihrer Krankheit, in deren langen, einsamen Stunden die Gedanken so oft den Strom hinabgeglitten waren zu dem Manne, der dort unten mit dem Urwalde rang.
Walter Ortner war Renate Gedons erste Liebe.