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Herbst

Mondsturm

Am Himmel steht der gleißend klare Vollmond. Zwischen weithingestreckten, sehr seinen Flockenwölkchen, die, von einem bernsteingelben Hauch durchtrankt, wie sehr hohe, himmlische Krokusbeete sind. Darunter hin jagen durch ein unsäglich reines Blau mit silberweißen Rändern wunderliche Gestalten mächtiger, dunkler Wolkenungetüme. Unablässig dröhnt ein Sturm. Es ist, als ob er die laufrische, mondklare Luft in elektrischen Fetzen und Streifen dahinrisse. Unten im Garten saust und donnert er in den Kronen der Obstbäume, zischt, pfeift und winselt in den hohen, schwarzen Lebensbäumen und in breitem, schwarzen Taxusgebüsch. In gelben Schleiern saust das welke Laub herab, jagt in grell sirrenden, runden Rascheltänzen gespenstig lebendig über die kahlen Rasenflächen. Und doch ist das, in den dröhnenden Einton des Sturmes gefaßt, in der schon vorgerückten Nacht wie eine Stille, aus der sich, aller Augenblicke, nur der dumpf harte Plumps eines fallenden Apfels heraushebt. Bald tritt der Mond klar aus den Dünsten hervor. Dann steht alles in taghellem Glast: die Bäume mit ihren weißgekalkten Stämmen und ihrem sich gilbenden Laub; in magisch hauchfeinem Violett ein paar letzte Rosen, Georginen, ein paar hohe Sonnenblumen, Dahlien, hochstenglige Malven, von denen welche grell weiß hervorstechen, Astern. Bald verschwindet das große, goldene Rund hinter nächtigen, tiefdunkel drohenden Wolkenballen: dann ist alles schwarze, sausende, dröhnende Nacht, und gespenstiger hebt sich so seltsam lebendig, nur das unablässige, dumpfe Plumpsen des fallenden Obstes hervor.

Plötzlich aber ein Schrei, wie der Laut fern ferner Trompeten. Ob das aus den Höhen her ein Schwarm von Wildgänsen oder anderen großen Wandervögeln ist, die nach Süden ziehen?

Herbstzeitlose

Schon seit Wochen ist die Grummeternte eingeholt. Wenn ich über die Wiese schreite, die ich meine, trifft mich – rings dunstet ein seiner, feuchtkühler, milchig weißlicher Nebel – sein, magisch eingestengelt ein blaß lilafarbenes Wort: Zeitlose.

Vereinzelt und in langen, dichten Flecken beieinander geistert die seltsame, blasse Blume einsam, die einzige, allerletzte, noch über die Weite der kahlen Wiesenstrecke hin, in ihrer geisterhaft hektischen Schönheit; und doch an die ersten, lustig krillen Krokus des frühen Lenzes erinnernd.

Zeitlose. Zeitlose. – Wie kommt es, daß man sie so genannt hat?

Es liegt wie eine besondere Bedeutung darin. Sie, auf der Schwelle, wo alles treibende, aufstrebende Leben sich einzieht, und zurückgeht in sich selbst hinein als in seine letzte, nie auszulotende, mit Sinnen zu erfassende Einheit; dahin, wo es raum- und zeitlos nur noch sein innerster, unverlierbarer Kraftpunkt.

Aber das ist eine verfängliche Region. Und es ist bekannt, daß sie giftig sind.

Stoppelfeld

Wir wandern einen Feldweg hin. Auf beiden Seiten ist er mit Zwetschenbäumen bestanden, deren von Früchten übervolle Äste und Zweige zum Brechen tief herabhängen. In der lauen Herbstsonne ziehen mit silbrig glitzerndem Geflirr traumhaft die Herbstfäden; ziehen sich durch das klare Himmelsblau, winden sich um Baumstämme und über Distel- und Klettengestrüpp hin, spannen hinüber und herüber ihre weißen Fäden und Netze, die manchmal in der Sonne leise in Regenbogenfarben schillern.

Aber über den staubigen Graben biegen wir ab auf eine weite Stoppelbreite. Es ist so schön, da quer immer so drüber hinzuschlendern. Leise knackt und raschelt unter unseren Schritten das mürbe, schon vom Regen fahl ausgelaugte Stroh. Die letzten Ährenleser haben ihre karge Beute schon lange heimgetragen. Auch die Feldtauben haben schon den Krähen das Feld geräumt.

Aber es ist eine so schöne Einsamkeit, sich in witterndem Sonnenschein und zausendem Wind immer so langsam vorwärtsstapfend in diese prächtige, endlose Weite hinein zu verlieren. Aus der Ferne kommen die jauchzenden Stimmen von Kindern, die ihre bunten Papierdrachen steigen lassen. Große, plumpe, schwarze Krähen mühen sich mit schwerem, zausigen Flügelschlag vor unseren Schritten gegen den Wind in die blaue, frisch witternde, von weißen Wolkenballen durchzogene Luft empor, stoßen einen erschreckt knarrenden Ruf hervor. Ein Volk Rebhühner fährt auf, mit schrill kräftigem Schnurren dahin.

Das Jahr ist müd, seine Frucht geborgen. Seine Farben, sein Glanz, die Fülle seiner fröhlichen Formen zieht sich ein, schon treten kahl die Äste zwischen dem dünn gewordenen Laub hervor.

Aber das macht einen so köstlichen Eindruck, lacht einen förmlich an, wie da und dort noch blau eine allerletzte, dürftige Kornblume steht, oder ein Feldrittersporn, sogar noch eine kleine, rote Klatschmohnblume. Und dann sind da noch zwischen den Stoppeln, unter dem kreuz und quer gespannten Labyrinth der Herbstfäden vorlugend, so ganz winzige, reizende, blaue und ziegelrote Sternblümchen und allerlei so zierlichstes, krauses Zwergkraut. Das sieht noch ganz frisch und krill aus. Und man denkt, daß da noch so allerlei ist, das den Winter überdauern wird, so schlimm er auch werden möchte.

Spätherbst

Es ist später Abend. Schon sehr dunkel. Mein Blick richtet sich gen Himmel.

Wolken rasen, trüb steht hinter Dünsten, zunehmend, der zwiegehörnte Mond.

Ich sehe, um ihn herum, ein trüb milchig weißliches Rund. Rings, Chorionzotten nach außen, ein Serolemma. Innen, im Kreis aber, sein, zart, ist es wie das magische Gefaltet eines Amnion, einer Eihaut. Und, wie frei inmitten des trüb verschwommenen, molkig weißlichen Liquor amnii, des Fruchtwassers, schwimmend, in seiner in sich zusammengekrümmten Ruhe, leise, leise sich entfaltend, heimlich im bergenden Rund, sich aufkrümmend ein schon wie erwachend Sinnender, seinen Willen Fassender, ein winziger Embryo, ein goldener Keim, trüb noch, doch hinterm Wolkigen strahlend.

Die Mondsichel in einem großen »Hof«. Aber ist es nicht, am letzten Ende des Jahres, wo alles in Kälte, Dunkel, Nacht und schwere, trübe Zeit sinkt, wie ein verbürgendes Wort?

Ja, zwiegehörnte Mondtiere, geheiligt dem ewig waltenden Mütterlichen einst, dem über die Geburten, die monatliche Regel der Frauen waltenden Mond, krummgehörnte Widder und Rinder, werden um eine Wiege stehen, und Hirten, Könige und wissende Boten, und über ihnen der deutend verbürgende Stern.


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