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Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Ion singt zur Leier

Strophe

Du hochragendes Haupt des Lorbeers,
Zeus' himmlischem Blitze nie verwundbar,
Noch wildstürmenden Wintern
Je hinstreuend den grünen Schmuck!
Gesangliebenden Schatten beut mir,
Kühl wehend, damit ich
Der viersaitigen Leier Wohllaut
Anstimme dem Widerhall,
Daß auf melodischen Wellen die Seele mir,
Aus banger Zweifel Wirbeln,
Sanft hingleitend im Hafen ausruhe, wo
Die geliebten Wünsche wohnen,
Wo Zutrauen den Anker auswirft.

Gegenstrophe

Dein lichtstrahlendes Götterantlitz,
O du, der im reinsten Taue badet
Die goldlockige Scheitel
Am Felsborne Kastalias,
Apoll! Dürft' ich es schaun nur einmal;
Anredens gewürdigt
Mich hinwerfen zu deinen Füßen,
Inbrünstiger Liebe voll!
Was die olympischen Säle verherrlichet,
Der selgen Inseln Wonne,
Schwellt nie sehnend den Busen an, nie mit Neid
Ganymedes ewge Becher,
Dem inwohnet dein hohes Bildnis.

Nachsatz

Wer darf göttliche Tat
Richten nach Schein? Warte das End' ab.
Oft bricht Sonn' aus dem Gewölk. Zügeln den Mund lehrt,
Wie der Niobe Söhnen,
Zornblickend, todsendend, du erschienest.
Mir offenbare milder dich.
Wie wenn du huldreich der Musen Chor führst.
Rings her leuchte der Hain, bebe der Talgrund,
Beflügelt weh' auch des Tempels Tor auf,
Ahnungsvoll wie beseelt schwanke der Baum hier
Bei der gewaltigen Götternäh:
Nicht soll zagen mein junges Herz,
Dir frohlockend entgegen.

Zweiter Auftritt

Ion, Xuthus

Xuthus Mit Ungeduld erwart' ich, wem ich jetzt
Zuerst begegnen soll. Seh' ich hier niemand?
O holder Jüngling, laß mich dich umarmen!

Ion Du unterbrichst die schöne Hymne mir:
Die Leier ist aus meiner Hand gefallen.

Xuthus Zum Jubel wollen wir sie neu besaiten,
Denn uns zum großen Glücke treff ich dich.
Kind, reiß dich nicht aus meinen Armen los!

Ion Was willst du, Fremdling? Es geziemt mir nicht,
Dem Jüngling, der ein heilig Amt verwaltet,
Sich der Vertraulichkeit so hinzugeben.

Xuthus Niemand ist minder fremd sich als wir beide:
Du bist mein Sohn, sieh deinen Vater hier.

Ion Tratst du vielleicht zu nah des Schlundes Mündung,
Der wahrhaft nur die Priesterin begeistert,
Und hat der Dunst, der aufsteigt, dir das Haupt verwirrt?
Wie, oder schwärmst du in des Bacchus Taumel?

Xuthus Der Freude Taumel reißt allein mich hin;
Begeistert hat mich, doch nicht lügenhaft,
Das Wort der hohen Pythia vom Dreifuß.

Ion Wie lautet es? Sag an!

Xuthus Sie gab dich mir.

Ion Zu welchem Ende?

Xuthus Um mein Sohn zu sein.

Ion So hat sie dir mit Namen mich genannt?

Xuthus Das nicht, und dennoch kann ich hier nicht irren.
Vernimm den Hergang, daß du überzeugt,
Vom ersten Staunen wieder zu dir kommend,
Dich meiner Freude willig überlassest.
Ich nahte dem Orakel, um zu fragen,
Wie die Verheißung sich erfüllen möchte,
Die es vor manchen Jahren mir gewährt:
Daß mein Geschlecht in zweien Söhnen blühen
Und großen Völkern Namen geben solle.
Ich hört' als Antwort aus dem Mund der Pythia:
»Tritt, Anführer Athens, hinaus vor die Hallen des Tempels:
Wem du zuerst da begegnest, den heiß ich als Sohn dich erkennen,
Dankbar ehren fortan, von wem dir das holde Geschenk ward.«
Kaum daß mein Fuß die Schwelle nun berührt
Und rings umher mein Blick verlangend spähte,
So fielen mir die Weisen deiner Leier
Wie einer guten Vorbedeutung Laut
Ins Ohr und deine liebliche Gestalt
Ins Auge, daß ich froh entzückt hinzulief,
Die erste Vaterfreude zu genießen.

Ion Verzeih, daß ich die Liebkosung mißkannt,
Die du so gütig mir entgegentrugst.
Noch kann ich nicht mein neues Los begreifen,
Es ist zu herrlich und zu wunderbar;
Hier übt ich eben Hymnen auf der Leier,
Ob sie des Musenführers Ohr gewönnen,
Und sehnte mich, statt aller Erdengüter,
Ihn einmal nur von Angesicht zu schaun,
Indes gedacht er mein im Heiligtum
Und sendet dich, den reichbegabten Herrscher,
Den ruhmgepriesnen königlichen Helden,
Zu väterlicher Sorge mir heraus.
Wie bin ich unbemerkter Knab' es wert?

Xuthus Auch mich hat er zu stetem Dank verpflichtet
Und sich freigebig wie ein Gott bewährt.
Nicht Aussicht in die Zukunft gab er mir,
Wie man des Mahners Ungestüm vertröstet:
Nein, die Erfüllung stand vor seinen Toren
Und kam mir rasch entgegen. Kinderlos
War ich und habe jetzo dich zum Sohn,
Der, blühend schon zur Jugend aufgewachsen,
Nicht der mühselgen Pflege mehr bedarf,
Die an der schwachen, zweifelhaften Kindheit
Oft nicht gedeiht. Gleich einem schönen Traum,
Der sich verkörpert hätte, stehst du vor mir.
Verdienst so ganz an Bildung, holdem Wesen
Und edlem Mut, Urenkel Zeus' zu sein,
Daß Könge mich um dich beneiden werden.

Ion Du siehst mich schon mit Vateraugen an.
Doch sag, wie legst du das Orakel aus?
Meint es, du mögest nur den Elternlosen
An Sohnes Statt aufnehmen, oder soll
Dein wahres Blut in meinen Adern fließen?

Xuthus Kennst du nicht deine Herkunft, teurer Knabe?

Ion Man fand mich hier am Tempel ausgesetzt,
Seitdem hat niemand sich zu mir bekannt.

Xuthus So bist du sicher meines Leibes Sohn.

Ion Ich hörte doch Kreusen erst beteuern,
Daß ihr bisher ohne Kinder bliebt.

Xuthus Kreusa freilich. Welches ist dein Alter?

Ion Mir wurden heute sechzehn Jahre voll.

Xuthus Die Zeit trifft überein. Es fehlen noch
Drei Monden ungefähr an siebzehn Jahren,
Seit ich zum ersten diesen Sitz besucht,
Da bei den pythschen Spielen Cirrhas Ebne
Laut widerhallend mich als Sieger ausrief.
Was soll ich jugendlichem Übermuts
Mich schämen, nun er einen Lohn mir schafft,
Den Maß und Weisheit und ein stolzes Ehbett,
Erworben durch Verdienst, mich ließ entbehren?
Beim Schmaus, der festlich meinen Sieg beging
(Jetzt lebt es wieder im Gedächtnis mir),
Hat mich der Freude Taumel und des Weins
Mit einer der Bacchanten hier verbunden,
Die des Parnassus Klüfte wild durchstreifen
Und hochgeschwungen, weinumrankt, ein Thyrsus,
Statt Hochzeitsfackel uns vorangewinkt.
Aus diesem Rausch mußt du entsprungen sein.
Mich kümmerte, nach rascher Jugend Art,
Das Weib nicht ferner, noch der Tat Erfolg,
Und bald verließ ich diese Fluren. Jene,
Da sich in ihr des Gottes Glut ernüchtert
Und mit der Tage Lauf, der Monden Wechsel,
Ihr Schoß ein vaterloses Kind gebar,
Hat sie, so läßt es leichtlich sich erraten,
Die ihr allein zurückgelaßne Sorge
Abwerfend, hier den Göttern dich vertraut,
Die durch des Festes übermächtge Lust
Ins Leben dich gerufen. Und so hast du
Durch meine Schuld die reiche Pfleg' entbehrt,
Da Mitleid nur den Findling auferzogen.
Jetzt aber will ich dir 's vergelten, Sohn,
Es soll mein stetes Sinnen einzig sein,
Dir Glück und frohe Tage zu bereiten.

Ion Ich kann nicht länger zweifeln: Ja, du bist's,
Du bist mein Vater. Laß es mich umschlingen,
Dein würdges Haupt, das teure, längstbegehrte;
Laß meine Lippen sich auf deine Stirn
Und beide Augen drücken. Dank, ihr Götter!
Apollo, du vor allen, habe Dank!
Mein unsichtbarer und olympscher Vater,
Das bleibst du dennoch, ob du schon mir sichtbar
Den sterblichen Erzeuger zugewiesen.
Du Schöpfer meiner Sohnespflicht und Freuden,
Wie sollt' ich dein darüber je vergessen?
O teurer Vater, ich gelobe dir,
Ich will durch all mein Streben und mein Tun
Dem Geber und Empfänger Ehre bringen.
Umarme denn mich wieder! Segne mich!
Sieh, meine Wonne fließt in milden Tränen:
Zu glücklich bin ich, aber eins doch fehlt.

Xuthus Was ist es? Steht's in meiner Macht zu schaffen?

Ion Daß meine Mutter uns nicht umarmt;
So schlängen dreifach sich der Liebe Ketten.

Xuthus Mit Recht bedenkst du sie, mein Sohn. Die dich
Geboren, ist ein wertzuachtend Weib.
Ich war ihr unbekannt, so wie sie mir,
Und viel geschehner Dinge Spur verlöscht
Die lange Zeit: Doch wollen wir nicht ruhn,
Bis wir sie wiederfinden und auf Kundschaft
Von ihrem Aufenthalt und Namen senden,
Erst hier umher, dann in ganz Griechenland.
Mir angehören gnüge dir indes.

Ion Wer weiß, ob sie der Tod nicht schon entraffte
Und alles Forschens Mühe stumm betrügt!

Xuthus Vermeide Worte schlimmer Vorbedeutung.
Du blühst so frisch: Wie sollte sie nicht leben,
Die mit gesunder Kraft dich ausgestattet?
Allein, wenn sie uns auch verborgen bliebe:
Mein Haus nimmt dich als Eingebornen auf,
Was es vermag, das wird auch dein; Kreusa
Wird deiner Mutter Stelle dir vertreten.

Ion Ach! Andre Kümmernis berührst du da:
Ich sorge, deiner Gattin zu mißfallen.

Xuthus So fürchtest du stiefmütterlichen Haß?

Ion Es möchte mir das Härtste doch begegnen,
Wenn sie nur glücklich und zufrieden war'.
Ich sah dein edles Weib hier bei der Ankunft,
Und wie ihr Herz, beklemmt von Mutterliebe,
Die keinen Ausweg weiß noch Gegenstand,
Wehmütig hoffte, stolz verzweifelte,
Hat sie mir innig das Gemüt bewegt.

Xuthus Bald wird sie nun, was uns gewährt ist, sehn
Und ruhiger daran sich gnügen lassen.

Ion Ungleich hat das Orakel euch bedacht.
Dir gab es heimzuführen deinen Sohn,
Der nicht der ihre ist, und nötigt sie,
Den Fremden, Unbekannten, Erzeugten
Aus einem Bett, von keinem Recht geweiht,
In ihrer Väter Hallen aufzunehmen.
Es wird sie immerfort mein Anblick mahnen,
Beglückter sei ein andres Weib gewesen,
Die dir ein rascher Augenblick verband,
Als sie, die seit so vielen Jahren dir
Der Gattin Liebe, Sorg' und Treu gewidmet.
Nun wird sie erst sich doppelt einsam fühlen,
Da du fortan die Kinderlosigkeit
Nicht mit ihr teilest, wie bisher. Mich jammert's,
Daß sie so arm an Freuden altern soll.

Xuthus Noch bleibt ihr mit der Jugend Hoffnung übrig.
Den frühern Ausspruch des Apoll, der mir
Verhieß, zwiefacher Ahnherr griechscher Stämme
Durch zweier Söhne Füll' und Kraft zu werden,
Hat nach so vielen Jahren der Erfolg
Nur halb noch eingeholt. Du bist der eine;
Den andern Sohn erwart' ich bald von ihr.
Der unfruchtbare Fluch wird sich jetzt lösen:
Denn oftmals zögert die beginnende
Erfüllung, eh sie durch die dichten Wolken
Der Hindernisse bricht; allein sobald sie
Erscheint, zieht ihre Schwester, die Vollendung,
Ihr durch das lichte Tor frohlockend nach.
Doch dieses können ferner wir besprechen
Zu andrer Zeit. Sag an, wie heißest du?

Ion Die Pythia hat Ion mich benannt.

Xuthus Ion, mein teurer Sohn! O schöner Name,
Wie wirst du in der Nachwelt Ohren tönen,
Wenn Städte, Völkerschaften, Reiche blühn
Auf lebensvollen Fluren, Küsten, Inseln,
Wenn Helden kämpfen, Dichter sie besingen,
Und, nach der Sprach' und Sitten Eigenschaft,
Jonisch alles preisend wird genannt!
Gewöhne denn dich nun, stets zu bedenken,
Wie du den Namen glorreich führen willst,
Dem das bestimmt ward; sieh von heute dich
Als einen Fürstensohn und Herrscher an.
Mein königliches Zepter erbt auf dich,
Du mußt dich zeitig es zu führen üben.

Ion Wie anders doch von fern die Ding' erscheinen,
Als wenn sie gegenwärtig vor uns stehn!
Ich konnte mir so Herrliches nicht träumen.
Als mir begegnet, und nun füllt mich Ahnung
Mit Bangigkeit vor dem schon, was bevorsteht.
Der schnellen Glückserhöhung geht zur Seite
Der Übermut, und Neid folgt hintennach.
Zu der Athener auserkornem Volk
Komm' ich an zwei Gebrechen krankend: erst
Ausländisch und dann unecht von Geburt.
Mit welchem Auge werden über sich
Sie den gestellt sehn, der zum Dienen aufwuchs?
Wen Menschen gern gebieten lassen sollen,
Muß von Beginn vor ihnen ausgesondert sein;
Mich achten sie nicht einmal gleich geboren.
Auf ihr feindselig und verachtend Streben
Wird Argwohn lauren müssen, und so drängt
Mich fremde Tücke, die Umstricker selbst
Mit gleicher Schling' und Listen zu verstricken,
Wo nicht, mit trotzender Gewalt zugleich
Das Recht und ihr Gewebe zu durchreißen,
Daß Tyrannei den Purpur blutig färbt.
Hier war ein mäßig Teil und Ruh' und Stille
Mein süßes Los, und die willkommnen Schranken
Der Lehre, der Gewöhnung und des Orts
Bewahrten mich vor ungerechtem Tun.
Viel Fremde kamen wechselnd hier und gingen,
Die ich willkommen heißend und geleitend
Stets neu den Neuen wohlgefällig blieb.
Nicht dem Erwerb vergänglichen Besitzes
Galt mein Verkehr mit ihnen: immer nur
Zu festlicher Bereitung, Heiligung,
Behilflich war ich ihnen, und mein Dienst
Hob über den Verkehr mit Menschen mich.
O warum kann ich nicht, jetzt da wir uns
Erkannt, als Sohn dir gnügen und dabei
Fortwandeln die geliebte Lebensbahn!

Xuthus Das sind nicht fürstliche Gedanken, Sohn!
Bewähre mir dein königliches Blut
Und zage nicht vor deines Glückes Glanz.
Bedenke, daß dein Vater als ein Fremdling,
Von seiner Heimat ein Verbannter, auch
Sich auf den Thron der Erechthiden schwang
Durch kühne Tat. Ist dies dein Delphi doch,
Der Mittelpunkt der Erde, wie sie sagen,
Der einzge Ort nicht, noch die weite Welt.
Nicht Opfer, weiße Binden, Reinigungen,
Gebete, Weihrauch, Lorbeer, Festgesänge
Sind dein Geschäft mehr; all dein Trachten muß
Nun Tag und Nacht auf nichts gerichtet sein
Als Krieg und Waffenübung, Roß und Mann,
Die vierbespannten Wagen, Türme, Mauern,
Dann auf Gesetz und Rechte, die Versammlungen
Des Volks und des Rates und der Häupter Schmaus
In ihres Königs immer offnen Sälen.
Du mußt zum herrlichen Athen mir folgen,
Noch heut, wann wir das Fest, das ich bei deiner
Geburt versäumt, zuvor gefeiert haben.

Ion So will ich denn zum Abschied mich bereiten.
Lebt wohl, geliebte Bäume, heimsche Luft,
Ergiebger Boden, der mich mild genährt!
Doch du vor allen, hohes Tempeldach,
Worunter oft, auf der Altäre Stufen,
Bald am Gestell der Säulen meines Gottes
Mich süßer Schlaf umarmt, wie wohl der Landmann
Der einen weit entlegnen Acker baut,
Aus Zweigen sich ein Hüttchen wölbt, da ruhiger
Des Mittags Glut verschläft als wie zu Haus
Im weichen Bett, indem in seine Träume
Der weite blaue Himmel niedersteigt.
Quellsprudelnder Parnassus, goldnes Delphi!
Ich gehe, doch es bleibt bei euch mein Herz.
Ja eines, Vater, mußt du mir geloben,
Daß ich die Heimat jährlich darf besuchen.
Als Mutter hat mich Pythia gepflegt,
Sie weiß noch nicht mein neues Glück und wird
Mich ungern von sich lassen. Oft, recht oft
Muß ich sie kindlich wiedergrüßen: Sie
Vergessen könnt' ich nimmer, härmte mich
Nur ab nach ihr, wenn du 's nicht zugestündest.

Xuthus Gern alles, lieber Sohn, was du begehrst.

Dritter Auftritt

Die Vorigen, Kreusa, Phorbas

Kreusa Verweilst du hier noch, Xuthus, mein Gemahl?

Xuthus Du siehst mich, Teure, deiner Rückkunft wartend.

Kreusa Den Ausspruch hört' ich von den Priestern schon.

Xuthus Und eilst herbei nun, den Erfolg zu sehn.

Kreusa Ja, wer zuerst sich deinen Blicken nahte.

Xuthus Sich diesen Jüngling an.

Kreusa Ich kenn' ihn wohl.

Xuthus Der ist es.

Kreusa Dieser?

Xuthus Warum sollt' er nicht?

Kreusa (beiseit) Weh' mir, Apoll! Wie tatest du mir das

Xuthus Mißfällt er dir, daß du befremdet murmelst?

Kreusa Ich wünsche Heil dir mit dem schönen Fund.

Xuthus Ja, stolz erkenn' ich mein Geschlecht in ihm.

Kreusa Du nahmst ihn an als Sohn?

Xuthus Ich fand ihn mein.

Kreusa Wie? Doch das ziemt der Gattin nicht zu fragen.

Xuthus Verhüten es die Götter, daß ich jemals
Dein Recht verletzt und das Gelübd' der Eh'!
Des Sechzehnjährgen Alter zeigt dir schon,
Daß ich sein Vater ward, eh meine Taten
Mit unserm Bund das Zepter von Athen
Mir noch erworben, eh ich dich gekannt.
Doch, was der jugendliche Trieb gefehlt,
Darf nun mich nicht gereun, es ist entschuldigt,
Da es zur Freude dir, wie mir, gedeiht,
Wenn du ihn auch als deinen achten willst.

Kreusa Zu gütig gibst du Rechenschaft, mein König.
Das Weib, das seinem Gatten keine Kinder bringt,
Ist schon zufrieden, duldet man sie nur
Im Hause, dessen Hoffnung sie betrog;
Und neben ihr sich andre zu gesellen,
Aus deren Liebe beßrer Segen blüht,
Ist Männerrecht und mehr der Könge noch.
Allein wo ist die Mutter deines Sohnes?

Xuthus Wir wissen nicht, wie nah, wie fern sie ist,
Ob sie noch lebt, ob sie dem Orkus schon
Vermählt ward; unbekannt war ihre Heimat
Und Name mir, kaum würd' ich der Gestalt
Mich noch entsinnen, sah' ich jetzt sie wieder:
Denn mich umgaben der Betäubung Wolken
Den einen Augenblick, der uns verband,
Und viele Jahr' entrückten sie seitdem.

Kreusa Du redest Rätsel, aber was geschehn
Ist klar und wird sich mehr und mehr entfalten.
Und weiß auch Ion nichts von seiner Mutter?

Ion Ich sagte dir vorhin schon, Königin,
Daß sie sich nie mir zeigte, daß auch Pythia,
Die meiner Kindheit ihre Sorg' ersetzt,
Noch keine Spur von ihr entdecken konnte.

Kreusa Ja, doch die Zeiten ändern alle Dinge,
Nichtwissen, Wissen, selbst Gemüt und Sinn.
Viel schwerer sind wohl Mütter auszuforschen,
Wenn Dienstbarkeit und Armut sie verbirgt,
Als wenn sie eines Fürsten mächtge Gunst
Zu sich erhebt: da finden sie sich an,
Und man erkennt sie auf den ersten Blick.

Ion O denke nicht von mir, verehrte Fürstin,
Ich könnte mich der ärmsten Mutter schämen.
Wie niedrig auch, unedel war sie nicht,
Sagt mir die innre Seele. Bei dem Wunsch,
Der dich hieher geführt, bei deiner Hoffnung,
Ihn künftig auch für dich erfüllt zu sehn!
Nicht einer Mutter Herrlichkeit begehr' ich,
Die blendend über mich den Glanz verbreite;
Der Mutter Herz, das seine süße Wärme
Zu einem Strom der Lieb' in meins ergieße.
Gewähre du, Kreusa, mir ein solches,
Was deiner Großmut leicht ist: und das meine
Gelobt – nicht mehr, das könnt' ich nicht – so sehr
Als meine wahre Mutter dich zu lieben.
War' sie gefunden, o wir wollten beide
Hier deine Knie umfassen und dich flehn,
Die Eintracht deines Hauses nicht durch uns
Gestört zu wähnen. Kein ehrsüchtig Streben
Regt sich in einer lieberfüllten Brust:
Wir werden keinen Anspruch machen, als
Einander Sohn und Mutter ganz zu sein,
Von allem dem, was dein ist, nichts bedürfen
Zu unserm Glück als deine Freundesblicke.

Xuthus Du siehst, Kreusa, wie dich zu gewinnen
Der Eifer meinen wackern Sohn beseelt.
Doch wenn als nah verwandt sich plötzlich die
Betrachten sollen, die sich fremd gewesen,
So tritt erst zwischen sie das blöde Staunen.
Und, an sich selber irr, mißtrauen sie,
Wie es auch dir und mir geschah, mein Ion,
Und unsrer Freude Flut zu ebben zwang,
Bis sie den Damm des Zweifels überschwoll.
Nur die beisammen durchgelebte Zeit,
Gesellge Näh' und frohe Gegenwart
Kann der Vertraulichkeit Gewöhnung stiften:
So wird es bei Kreusen auch und dir.
Laßt denn sogleich das Leben uns beginnen,
Zwar auf der Reise hier und fern der Heimat,
Das um den Herd der Götter unsers Hauses
Uns immer wirtlicher versammeln soll.
Das Erstlingsfest der Tage meines Kindes
Mahnt, wie ein Gläubiger, der lang geschwiegen,
Mich heut, und mit dem angehäuften Wucher
So manchen Jahres will ich ihm Gnüge leisten.
Apoll hat nicht vergebens mich erinnert,
Ihn hoch zu ehren, dessen Seherwink
Den holden Sohn mir zugeführt: Es soll
Ihm eine volle Hekatombe fallen
Und rings umher an jeglichem Altar
Der Päan von geschmückten Chören jubeln.
Indessen teile, wer da will, mit uns
Der Becher Lust und ein gemeinsam Mahl;
Herolde sollen Delphis rühmliche
Bewohner laden, unsre Feier zu begehn,
Daß sie in Zukunft auch des Tags gedenken,
Wo Xuthus den erwünschten Erben fand.
Komm, Sohn, laß selbst uns sorgen und beschicken,
Daß Überfluß dies Gastmahl zier' und Ordnung
Und nichts, was unsre Würde heischt, gebreche.
Du sollst Bewirter sein und sollst dir selber
Den huldigenden Zoll der Ehrengaben
Darbringen, nicht empfangend, sondern gebend,
Aus meinem reichen Schatz mit vollen Händen
Ihn ausstreun unter ein glückwünschend Volk.
Da will ich sehn, wie du zum ersten Mal
Ein Fürstenamt verwalten lernest: denn
Freigebig spenden ist des Herrschers Pflicht,
Und seine Pracht dien' allen zum Genuß.

Ion Ich folge dir, mein königlicher Vater.

Vierter Auftritt

Kreusa, Phorbas

Phorbas O Tochter des Erechtheus! Enkelin
Des Erichthonius! Du mein Pflegekind!
Wir werden ausgestoßen und verdrängt.

Kreusa So meinst du, Alter? Siehst du noch so scharf?

Phorbas Das war es, einem eingeschlichnen Fremdling
Das heilge Diadem ums Haupt zu winden,
Was nur ein Erechthide tragen sollte!

Kreusa Ach immer unglückselges Los der Fraun,
Doch zehnfach mehr der Fürstentöchter noch?
Uns bleibt nach freier Neigung keine Wahl,
Die mit dem Leib auch das Gemüt vermählte:
Wir werden wie ein Eigentum verhandelt.
Wie man ein Roßgespann, ein künstlich Erz,
Zum Preis beim Wettspiel wohl dem Sieger setzt,
Hat man für Schlachten mich zum Lohn erteilt.

Phorbas Und wer bloß mit des Arms Gewalt ein Glück
Erobert, das ihm nicht beschieden war,
Hält den Besitz als Raub, und übermütig
Schätzt er das Unverdiente noch gering:
So Xuthus deine Ehgenossenschaft.

Kreusa Fürwahr, nie hätt' ich selber sie erkoren.

Phorbas Wenn sie an Kindern ungesegnet blieb,
War doch nichts anders schuld, als daß Minerva
Dem Abkömmling mißgönnte, in den Boden
Des attischen, von ihr gepflegten Gartens
Ein wild ausländisch wuchrend Reis zu pflanzen.

Kreusa Wer weiß, worüber sonst die Göttin zürnt!

Phorbas Statt nun mit allem Fleiß sie zu gewinnen,
Lockt er dich hier zu andern Göttern her,
Die trefflich mit ihm einverstanden sind.

Kreusa So scheint's. Er muß viel gelten beim Apoll.

Phorbas Laß nicht voreilig uns den Gott verklagen.
Die Himmlischen sind wahrhaft und gerecht:
So wenig als die Richter drunten läßt
Des Delphiers Orakel sich bestechen.
Doch was es redlich ausspricht ohne Falsch,
Dem schieben ihre Ränke Menschen unter
Und wissen, eben weil es unbekümmert
Auf grader Bahn geht und in keine Krümmen
Sich einläßt, dienstbar es dem Trug zu machen.
Glaubst du, es habe Xuthus nicht gewußt,
Hier wachs' ein Sohn von ihm zum Jüngling auf?

Kreusa Weswegen trieb er sonst so oft nach Delphi?

Phorbas Er ließ ihn heimlich auferziehn vor dir:
Sei 's, daß er ihn erzeugt, wie er beteuert,
Eh' er dein Gatte ward zu sein gewürdigt;
Sei 's, daß er höher auch des Knaben Alter angibt,
Um zu verhehlen, daß seitdem
Er einem unerlaubten Bett gefrönt.
Nun offenbart er sich und weiß die Schuld
Gar schlau mit heilgem Ansehn zu bemänteln,
Den höchsten Seher feierlich befragend
Um das, was er nur allzugut gewußt.

Kreusa Ich muß ihm gar ein Freudenfest begehn,
Daß er nicht länger den Verrat darf bergen.

Phorbas Die Mutter soll verschwunden sein, von ihr
Will keiner wissen: doch der ihren Sohn
So gut versorgt, hat sie wohl auch bewahrt.
Wie scheue unglückdrohnde Vögel, die
Man nicht bemerkt bei Tag, erst mit der Dämmerung
Ausfliegen, wird sie bald zum Vorschein kommen:
Denn das Erechtheus Sonne ging ja unter,
Du schimmerst noch, ein matter Abendstern,
Bald überschattet Dunkel Attika.

Kreusa O hätt' ich nimmer diesen schwarzen Tag erlebt!

Phorbas Schon seh' ich mit dem schmucken dreisten Knaben
Die Buhlerin in deinem Hause herrschen.
Des Erben Mutter – und hat Xuthus nicht
Aus eigner Macht Bastarde seines Bluts
Zu Erben unsrer Pallasburg erklärt? –
Des Erben Mutter ist die wahre Gattin,
Das unfruchtbare Weib wird nichts geachtet
Und muß der andern Sklavendienste leisten.
Sieh, diese grauen Haare möcht' ich mir
Bestreun mit Asch' und Staub, wenn ich bedenke,
Was deiner wartet, teure Königin!

Kreusa So läßt du mich erniedern, meiner
Väter Beschützerin? Hast du dich, strenge Jungfrau,
Denn gänzlich von Kreusen abgewandt?

Phorbas Noch nicht genug. Solang es möglich ist,
Daß sich dein Königsstamm, der teure Ölbaum,
Einheimisch nur bei uns, jetzt kaum noch grünend,
Aus deinem Schoß mit neuen Sprossen ziere,
Sind ihres Raubes jene nicht gewiß.
Dich zu verstoßen wagt nicht der Tyrann,
Er muß Empörung der Athener fürchten.
Sie stehn dir also heimlich nach dem Leben;
Du bringst nun keinen Becher an den Mund,
Daß du nicht vor dem Gifte schaudern müßtest,
Womit ihn buhlerischer Neid und Haß
Des Stiefsohns, gärend, reichlich sättgen wird.

Kreusa Mir gilt es gleich, es komme, was da will.
Was soll ich ängstlich um mein Leben sorgen?
Möcht' ich doch gleich den Unmut meiner Seele,
Mit mir, von jenes Berges Höhen stürzend,
In Klüften der Vergessenheit begraben.

Phorbas Du wärst bequem, dich selber wegzuräumen,
Daß sie ihr Fest dann doppelt feiern dürften.
So willst du all die Schmach geduldig tragen?
Und willst, die Enkelin von Pallas' Zögling,
Ein Spott jedwedem Freigesinnten sein?

Kreusa Was kann ich tun? Ich bin ein schwaches Weib.

Phorbas Ein Weib ist unsre Heldengöttin auch;
Nicht das Geschlecht, der Mut macht schwach und stark.
Gedenke deiner Schwestern, die freiwillig
Und standhaft sich dem Vaterland geopfert. _
Ganz andre Opfer, minder reine, heischt es jetzt,
Von dir die Pflicht nur, dich ihm zu erhalten:
Das Heil Athens ruht ja auf dir allein.

Kreusa Sprich denn, was rätst du mir? Gleich heimzueilen
Und dort mein Volk zum Beistand aufzurufen?
Damit wir die thessalschen Könige,
Die wir einst töricht dankbar aufgenommen,
Samt dem Gefolge mißerzeugter Söhne,
Aus unsern Grenzen jagen mit Gewalt?

Phorbas Unzuverlässig ist die blöde Menge;
Sie sind gewöhnt, dem Fremdling zu gehorchen:
Was er noch nicht getan, war 's auch gewisser
Als Abend oder Morgen, dessen wirst du sie
Zu überzeugen dich umsonst bemühn.
Vertraun wir uns allein und führen das,
Was jetzt notwendig, nicht gewaltsam wild
Wie übereilte Jünglingstaten, sondern
Bedächtig und verschwiegen sinnend aus.

Kreusa Was achtest du notwendig, teurer Greis?

Phorbas Der aufgedrungne Stiefsohn darf nicht leben.

Kreusa Den zarten Knaben muß die Rache treffen?

Phorbas Entfiel dir alles, daß dich dies befremdet?

Kreusa Mich dau'rt die Unschuld seiner blühnden Jugend.

Phorbas Willst du durchaus an dir ihn schuldig sehn?

Kreusa Wohlwollend, schien es, kam er mir entgegen.

Phorbas Des Falschen Freundlichkeit hat dich betört.

Kreusa In seinen Blicken las ich sein Gemüt.

Phorbas Und lasest dein Verderben nicht darin?

Kreusa Wie weißt du, daß es mich von ihm bedroht?

Phorbas Gedenk an des Trophonius Weissagung.
Verwarnt er nicht, ihr würdet statt erwünschter
Nachkommenschaft nichts als Verderben eures
Geschlechts, Zerrüttung eures Hauses finden?
Hier gilt 's entweder leiden oder tun.
Noch lächelt dir dein Unheil in dem Knaben,
Wiewohl er es ja sichtlich schon begonnen,
Indem er dir den Gatten umgewandt.

Kreusa Er selber trotzte, ganz verwandelt, mir.

Phorbas Ha! Das ist Kleines erst. Verstoßung deiner,
Mord deiner künftgen Söhne, Ausrottung
Von deinem Stamm, mit Wurzeln, Zweigen, Blüten,
Sei dir gewärtig, wenn du nicht zuvorkommst.

Kreusa Wohlan, es muß geschehn. Doch wie vollbringen wir's

Phorbas Vernimm: Das Schicksal legt in meine Hand
Ein schleunig wirkend, doch verborgnes Mittel.
Athene gab dem alten Erichthonius
Im kleinen Goldgefäß, zwiefach gesondert
Zwei Tropfen von der furchtbarn Gorgo Blut,
Des Ungeheuers, das sie selbst erlegt.
Der eine fristet Sterbenden das Leben;
Der andre, aus des Herzens linker Ader
Entquollen, tötet sicher, augenblicklich,
Als wenn durch innerlichen Schlag den Gliedern
Die Lebensregung plötzlich war gehemmt.
Dein Ahn verwahrte heilig dies Geschenk
Und hinterließ, als ihn der Himmel aufnahm,
Das köstliche Vermächtnis seinem Sohn.
Mir hat es dann Erechtheus anvertraut,
Da er zum letzten Kampf ging, selbst im Siege
Vorahnend seinen Fall, auf daß es nicht
Mit ihm zugrunde ginge. Jetzo ruft uns
Die Zeit, die Not und die Gelegenheit
Zu würdigem Gebrauch der Göttergabe.
Mich dünkt, ich sehe deine Väter winken
Mit ernster Mahnung, dich, ihr Blut zu retten,
Mein Alter nicht als feiger Knecht zu schänden.
Nein! Euch ergeben will ich mich bewähren:
Den Todestropfen misch ich unvermerkt
In des verräterischen Buben Wein.

Kreusa Ich schäme mich so hinterlistgen Mordes.

Phorbas Mein sei der Ruhm der Tat, dein der Gewinn.

Kreusa Doch wenn sie uns zurückfällt auf das Haupt?

Phorbas Meins will ich freudig dar zum Opfer bieten:
So end ich wohl die allzu langen Tage.
Nur einmal tragt noch frisch mich, alte Glieder!
Und ihr, erloschne Augen blicket scharf,
Damit ich nichts versäume, noch versehe!
Komm Fürstin, eilen wir zum Gastmahl hin,
Wozu sich die Geladnen schon versammeln,
Und birg in Fröhlichkeit, was wir bereiten.

Kreusa Fort, töricht Mitleid, das die Brust beklemmt!
Das eigne Kind gab ich den wilden Tieren:
An diesem will ich selbst zur Löwin werden.
Apoll hat ihn gepflegt; er ist sein Diener,
Sein Eigentum, noch mehr, sein Ebenbild.
Ihn liebt Apoll, der mich verschmäht, vergißt.
Ja, Ion, ja! Das büße mir dein Tod!

(ab)


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