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Fünfter Aufzug

Erster Auftritt

Ion, Xuthus

Ion So ist es, teurer Vater, wie ich sagte;
Du weißt den Hergang nun der ganzen Sache.

Xuthus Sehr Wunderbares muß ich da vernehmen,
Fürwahr! Allein auf deinen Lippen wohnt
Die offne Redlichkeit, du kannst nicht lügen;
Du glaubst an die unglaubliche Verknüpfung:
Doch weißt du, ob nicht Trug sie dir gewebt?
In höchst gelegnem Augenblick erschienen
Die Zeichen deiner Herkunft: Konnten sie
Nicht vorbereitet sein, um deinen Zorn
Wie Zauberlieder zu besänftigen
Und dich, sirenengleich, an ein Gestade
Verderblich falscher Liebe hinzulocken?

Ion Es hat sie Pythia verwahrt. Du wolltest
An Lügenkünsten die mitschuldig achten,
Durch deren Mund Apollo Wahrheit redet?

Xuthus Die Priesterin hat mit beredten Worten
Sich für Kreusas Rettung erst verwandt.
Doch richt' ich nicht; schon kommen Delphis Älteste
Zusammen, diese mögen das entscheiden.

Ion O nein, nicht so, mein Vater und mein Fürst!
Was zwischen dir allein und deiner Gattin
In stiller Traulichkeit und ohne fremde
Dazwischenkunft geschlichtet werden muß,
Das ziemt sich nicht vor ein Gericht zu stellen.
Entlaß es gleich, wenn du mich irgend liebst.

Xuthus Mir schenkte das Orakel dich zum Sohn,
Und scheinst du gleich abtrünnig fast geworden,
Will ich doch gern mich väterlich beweisen.
Dies ist der Erstling deiner Bitten, Kind,
Die darfst du nicht vergeblich tun. Es sei.

Ion Begnadge denn auch jenen greisen Knecht,
Den treuen Kindheitspfleger des Erechtheus,
Den bloß Verblendung feindlich mir gemacht.
Entlad ihn deines Zorns und seiner Fesseln.

Xuthus Ein großes Wunder, wahrlich, ist geschehn,
Was es auch sei: Denn völlig umgewandelt
Erkenn ich dich nicht mehr. Ich glaubt in dir
Vorhin des eignen Blutes Art zu sehn,
Ein königlich Gemüt und tapfern Trieb.
Nun bist du voll unmännlichen Erbarmens,
Wie ein von Weibern auferzogner Knabe.
Ich achte den für einen wackern Mann,
Der seinen Freunden wohlzutun versteht,
Doch Feinden Böses vielfach auch vergilt.
Wohl! Mir geliebt es, töricht sein mit dir:
Er lebe denn, ihn strafe seine Schmach.
Nur andre Schenken wollen wir bestellen,
Er bleibe stets von unsern Bechern fern.

Ion Du spottest, Xuthus, über mein Begehren.
Doch laß mich fragen, ist's nicht auch zuweilen
Mannhafter Seelen wert, enthüllte Tücken
Mit Gleichmut übersehn, vergessen, die
Ohnmächtig an uns abgeglitten sind?
Der Gott gab selber uns der Großmut Wink,
Da er vorbeugend seine Boten sandte,
Daß der Versuch nicht bis zur Tat gedieh.

Xuthus Der Götterwinke priesterliche Kunde
Mag Ion besser wohl als ich verstehn.
Von Sterblichen genügt dir überhaupt
Kein Vorbild mehr; du strebst nun einzig, uns
Des Latoniden Abglanz darzustellen.

Ion Bist du nicht auch Olympiern verwandt?
O bei dem Zeus, der deinen Vater zeugte,
Der gern die Gast' und Fremdlinge geleitet,
Wie ich, ein Gast, zu dir eintreten soll!
Nein, stoße mich nicht von dir, bester Vater!
Ich lasse nimmer ab: denn das Orakel
Gab ja nur darum mich zu eigen dir,
Daß ich dir nach und deinen Taten eifre,
Die durch die Welt des Ruhmes Fittig trägt.
So leite denn mich, väterlich gesinnt,
Und lehr mich Herrscher sein und Held wie du.

Xuthus Du ehrst die Abkunft, wessen du auch seist,
Mein wackrer Ion; denn wie bildsam Wachs
Soll in des weisen Alters Hand die Jugend
Sich fügen, bis sie sich herausgestaltet
Und felsenfest in Männerkraft nun dasteht.
So ward die Vorwelt groß: Sie schreibt uns vor,
Die Väter achten. Einen solchen Jüngling,
Wie dich, wünsch' ich zum Sohn mir oder keinen,
Er sei nun leiblich oder angenommen.
Laß küssend mich von neuem segnen deine Stirn.

Zweiter Auftritt

Die Vorigen, Pythia

Pythia Ja, dieser Anblick ist mir festlich wert;
Ich sehe, mein geliebter Zögling fand
Nicht bloß des Vaters Namen, auch sein Herz,
Und bin getröstet, daß er von mir geht.
O König: Eine düstre Wolke hatte
Sich um uns her gelagert, doch sie hat
In Blitzen ausgewittert, die nicht trafen,
Und heiter ist der Himmel, wie zuvor.

Xuthus Spurlos vergehn die neblichten Gebilde
Von irdschem Ursprung an des Äthers ewgem Blau,
Doch unverwüstbar ist nicht das Gemüt;
Wenn fremder Leidenschaft geschwollner Strom
In des Wohlwollens fruchtbare Gefilde
Feindselig einbricht, so zerreißt er sie
Mit tiefen Furchen, die sich nimmer ebnen.
Wie kann ich es Kreusen je vergessen,
Was sie getrachtet wider diesen Knaben,
Als er nur mein und nicht der ihre schien?
Jetzt, da sich 's ganz verschieden offenbart,
Steh' ich ihr gegenüber, wie sie mir vorhin,
Stiefvater ihres zugebrachten Kindes;
Und muß sie Gleiches nicht von mir besorgen?

Pythia Dein Edelmut verbürgt ihr, daß du nicht
Den Liebling, den wie eine Himmelsgabe
Du von Beginn dir angeeignet hast,
Der Mutter Schuld entgelten lassen wirst.
Und wenn du deren noch gedenken magst,
So denk auch, daß ein flüchtger Wahnsinn sie
Ergriffen hatte, daß sie in dem Ausspruch,
Der ihr den längst vermißten Sohn zurück
Durch deine Hände schonend reichte, nur
Getäuschte Hoffnung und Verzweiflung sah.
Ihr Glück lag ihr zu nah, es wahrzunehmen.
So schwärmte sie in ferner Übel Furcht.
Auch was Trophonius geweissagt, hat
Sie irrgeleitet: denn ihr Argwohn deutete
Das Unheil auf den dir verliehnen Knaben,
Was über sich sie selbst herbei nun zog.
Du, ruhiger und weiser, wirst nicht recht
Zum zweiten Mal dem finstern Seher geben,
Indem du dich von deiner Gattin wendest
Und Zwietracht nährst und so dein Haus zerrüttest.

Xuthus Wahr ist 's, wenn ich in mir herauf sie rufe,
Die Bilder, welche mich in jener Höhle
Lichtlosen Blitzen gleich umgaukelt haben,
Erkenn' ich wohl, was sie mir angekündigt,
Und seh' es schon erfüllt. Ein Jüngling zielte
Nach eines Weibes Brust, doch schoß er nicht;
Des Argwohns Nattern, die ein liebend Paar
Umwanden, konnten wieder sich entwirren,
Wie diese ganze Schattenwelt zerfloß.
Nicht jenseits ihrer Deutung noch zu toben,
Verwarnt uns das: Mit diesen leeren Schrecken
War abgeküßt der Neid der Unterwelt,
Und des Besitzes Ruhe könnte nun
Beginnen, aber unbefriedigt läßt
Mich das Orakel von sich, mir verlieh
Es nicht, was meine Frage bittend meinte.
Denn mit dem angenommnen Sohne noch
Bleib ich ja erb- und kinderlos, und Hellens
Geschlecht versiegt in mir und Jovis Blut.

Pythia Einmal Verheißnes wieder zu verkünden,
Verschmähte wohl der zuverläßge Gott,
Doch ist es dein, wenn du es nicht vereitelst.
Er hieß fortan dich dankbar ehren, wer
Des Sohnes holde Gabe dir verliehn.
Das zogst du auf den Scher selbst; es galt,
Wie nun sich 's offenbart, der Mutter, die,
Zwar furchtsam schweigend, dir ihn zugebracht.
Vorbeugend sprach 's Apollos Fluid, damit
Nicht seiner frühen Liebe spät enthüllte Frucht
Dein und Kreusens Bündnis stören möchte,
Auf welchem schöne Hoffnung ruht.

Xuthus Ein leichtes Spielwerk, seh ich, sind wir Sterblichen
Dem Doppelsinn der Göttersprüche nur.
Sie auszulegen ziemt wohl der Prophetin,
Doch, Pythia, du schmeichelst mir zuviel.
Denn wird Erechtheus' Tochter, die Genossin
Des Delphiers, nun anerkannt von ihm,
Noch nach dem irdischen Gemahle fragen,
Das altgewohnte Lager nicht verschmähn?
Es blüht ein Sprößling ja der Erechthiden,
Dem Thron des heiligen Athen ein Erbe;
Und unwillkommne Nebenbuhler nur
Könnt' unsre Ehe diesem Erstling schaffen.

Pythia Wie fern ist solch ein Übermut von ihr!
Sie fühlt ein innig Unrecht gegen dich,
Im langen Schweigen der Vergangenheit
Und in den wilden Taten dieses Tages.
Du stehst als Sieger rein und ruhmvoll da,
Wenn du des Zornes Regung nur bezähmst.
Ein edler Mann nutzt nicht die Übermacht,
Noch tiefer ein beschämtes Weib zu beugen.

Xuthus Wo weilt sie aber? Sie vermeidet mich.

Pythia Sie zögert bangend, bis sie erst vernommen,
Was meine Red' auf dein Gemüt vermocht,
Und, irr ich nicht, ist sie uns nahe Zeugin.

Dritter Auftritt

Die Vorigen, Kreusa

Kreusa (wirft sich vor Xuthus nieder, mit der Linken seine Knie umfassend, die Rechte gegen sein Kinn erhoben:)

Mein königlicher Gatte, kannst du mir
Verzeihn, daß ich ein hoffnungslos Geheimnis
(So schien es mir) mit dem verschwundnen Säugling
Vor dir in Schweigen und des Orkus Nacht begrub?
Ach, es vergessen könnt' ich nimmer doch,
Und sechzehn Jahr' beklemmt es meine Brust,
Bis heute, da ein mißverstandner Ausspruch
Der Hoffnung letzte Stütze mir entzog,
Es über mich hereinbrach, wie ein fallend Haus,
Daß ich, vernichtend, zu vergehn beschloß
Und mich den Furien ganz zum Raube gab.
Für mich begehr' ich nichts, für Ion einzig
Das Wiederkehren deiner Freundlichkeit.
Gewähre denn mir Frieden, daß wir nicht
Sein Herz entzwein, wenn er uns feindlich sieht,
Dir angehörig durch des Gottes Willen,
Mir durch des mütterlichen Schoßes Recht.

Xuthus Steh auf, Kreusa, Königin, steh auf,
Und kenne besser mich! Nicht jugendlich
Von heftig unbedachtem Mut getrieben,
Lehn' ich dem waltenden Geschick mich auf,
Noch mag ich rechten mit der Götter Tun.
Ich glaube deinem Wort, daß unser Liebling
Des Latoniden echt Erzeugter sei:
Doch das genügt nur mir, ihn zu erkennen.
Gab' uns ein sichtbar Zeichen der Olymp,
Das der erstaunten Welt den Zweifel nähme,
So wollt ich diesen Tag zum zweiten Mal
Als Fest begehn: Der nah verwandte Gott
Würd' unsern Bund verjüngen, höher weihn;
Ein neuer, jubellauter Hymenäus
Sollt angestimmt uns werden, und ich führte
In bräutlich frohem Pompe nach Athen dich heim.

Kreusa Nicht eiteln Ruhmes halb, um vor den Menschen
Zu prangen in dem Kranz der Götterwahl,
Den langes Leid um meine Stirn gewelkt,
Um deinetwillen wünsch' ich solch ein Zeichen,
Doch darf ich es nicht hoffen; denn Apoll,
Des ich mich lang geschämt, schämt wohl sich meiner.
Drum laß dir genügen: Die allmächtge Liebe,
Die mich in diesem Jüngling neu gebiert
Und mir ergebnem Sinn wie nie zuvor
Dir, seinem zweiten Vater, hin mich gibt,
Beweise dir, es sei ein göttlich Pfand.

Ion O Wonn und Segen, ihr geliebten Eltern,
Zum ersten Mal gemeinsam mir begrüßt!
Kreusa! Xuthus! Fehlt nur das, den schönsten
Verein euch zu vollenden und mein Heil?
Wohlan! Es hebt und regt ein schwellend Hoffen,
Begeistrung atmend, dies mein junges Herz:
Ich bitte dreist, was zweifelnd ihr begehrt.
O du, der dieses Tempels Räum' erfüllt
Mit unsichtbarer hehrer Gegenwart
Und droben himmelwandelnd, herrlich strahlt
Und nimmer fern ist und mein Flehn vernimmt!
Schon da ich bildlich nur dich Vater nannte,
Sehnt ich mich oft, dein Antlitz einst zu sehn;
Ich wandte wie der Sonnenblume Kelch
Mich ahnungsvoll zu deinem ewgen Licht.
Jetzt bitt ich heißer, brünstiger und kühner;
Ich maße mir nicht an, wie Phäton
Die Flammenross' am Firmament zu lenken,
Verkennend mein Vermögen und mein sterblich Los:
Der Lieb Erwidrung fordr' ich kindlich nur
Und meines Ursprungs himmlische Gewißheit.
O bei der Süßigkeit des Vaternamens!
Gib mir dein Anschaun, wenn du mich erzeugt.

(Donner und Blitz)

Pythia Mein Ion, welch Erkühnen! Aber wie?
Der Boden scheint zu beben, und mit Stamm
Und Laub und Ästen wankt der heilge Lorbeer,
Es blitzt, ein Schein vergoldet rings den Hain.
Ja, die Erhörung naht sich: Zaget nicht!

Vierter Auftritt

Die Vorigen, Apollo erscheint in der Pforte des Tempels

Apollo Her komm ich von Olympus' wonnelichtem Saal,
Wo mich, inmitten ewgen Musenchorgesangs,
Fernher umsäuselt deine Sehnsucht, lieber Sohn.
Mein bist du, das beteur' ich, nicht beim schwarzen Styx,
Bei meiner Roßhufquelle Silbersprudeln dir.
Drum schau ins Antlitz kühn mir, wie des Adlers Sohn
Den jungen Fittig gleich der Sonn entgegenschwingt,
Und dieser Leier unverstimmbar reiner Klang
Hall in deines Lebens Harmonien nach. –
Empfang ihn du, Kreusa, wohl bewahrt zurück,
Der schönen Lust Andenken, die mich noch entzückt,
Denn unvergänglich ist der Dank der Himmlischen.
Flicht, lang noch blühend, um dein glorreich Diadem
Lorbeer zusammen mit des Ölbaums eignem Laub.
Du, Xuthus, wirst das holde Lager nicht verschmähn
Ob meiner offenbarten Mitgenossenschaft.
Gottgleiche Schönheit lockte Götter oft ja schon
Zu nahn in Liebe; so entsproß Heroenkraft.
Sei Jons Vater, wie dein Ahn Deukalion
Mit Zeus gemeinsam Vater deines Vaters hieß.
Eh das Gestirn den Jahresumlauf noch vollbringt,
Trägt einen zweiten Sprößling deiner Gattin Schoß,
Den nenn Achäus: Hochgewaltig wird sein Ruhm
In Pelops' Eiland; unsers Erstlings Nam und Volk
Soll aus Athen aufblühen weit nach Asien.
Nun feiert mit Päanen dieses Tages Rest
Und kehret friedeselig morgen alle heim.
Gedenkt, mir gastbefreundet, fern an Delphi noch,
Der sonnumstrahlten Erde Mittelsitz und Thron.

 

(Der Vorhang fällt unter Donner und Blitz)


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