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Es waren an dem Tag, als der König mit der schönen Yguerne Hochzeit hielt, gerade zwanzig Tage, seit er in Gestalt des Herzogs bei ihr geschlafen und daß sie schwanger von ihm geworden. Die Hochzeit wurde sehr fröhlich und in großer Pracht gefeiert; fünfzehn Tage lang dauerte die Festlichkeit, wo ein jeder, der sich dazu einfand, aufs herrlichste bewirtet wurde. Der König war voll Freuden, das erlangt zu haben, wo nach er sich so gesehnt, und wollte lange Zeit von nichts anderem hören als von Festen und Freudenbezeigungen. Als er nun einmal des Nachts bei seiner Gemahlin lag, und sie hoch schwanger war, fragte er sie, von wem sie schwanger sei, da er nicht glaubte, daß sie es schon von ihm sein könne, auch vom Herzog könne es nicht sein, da er lange Zeit vor seinem Tod nicht bei ihr gewesen war.
Die Königin Yguerne fing an zu weinen, als sie diese Worte des Königs vernahm, und sagte unter vielen Tränen: »Mein König, ich kann Euch auf keine Weise eine Unwahrheit sagen; es ist nur zu wahr, daß ich nicht von Euch schwanger sein kann, aber habt um Gottes Barmherzigkeit willen Erbarmen mit mir! Was ich Euch erzählen will, ist sehr wunderbar, aber es ist darum nicht weniger die Wahrheit; ich bitte Euch daher, versprecht mir ehe ich spreche, daß Ihr mich nicht verstoßen wollt, daß Ihr mir auch keinen Vorwurf machen wollt.« – »Ihr dürft frei mir alles sagen«, antwortete der König, »denn ich verspreche Euch, was es auch sein möge, werde ich in meinem Betragen gegen Euch deswegen nichts ändern.«
Hierauf war Yguerne beruhigt und erzählte dem König getreu alles, was ihr in jener Nacht widerfahren, als sie dachte, den Herzog ihren Gemahl nebst seinen beiden vertrauten Rittern bei sich zu sehen, wie sie dann mit ihrem vermeinten Gemahl die Nacht zugebracht, des anderen Tages aber, als er schon wieder von ihr geschieden, die Nachricht erhalten habe, daß er in der vorigen Nacht, anstatt bei ihr zu sein, auf dem Schlachtfelde umgekommen sei; »und so«, fügte sie hinzu, »weiß ich nicht, wem das Kind zugehört.« – »Süße Freundin«, antwortete der König hierauf, »ich bitte Euch, übergebt dieses Kind dem, der kommen wird, es zu holen, oder wem ich es geben mag, damit wir nie von ihm reden hören.« – »Sire«, erwiderte Yguerne, »mit mir wie mit allem, was mir gehört, tut nach Euerm Wohlgefallen.«
Des andern Morgens erzählte der König dem Ulsius, was zwischen ihm und seiner Gemahlin nachts geredet worden war. »Nun könnt Ihr wohl gewiß sein«, sprach Ulsius, »daß die Königin eine sehr fromme, weise und treugesinnte Dame ist, weil sie Euch in dieser so wichtigen Sache keine Unwahrheit sagte, sondern es wagte, ganz die Wahrheit zu sprechen.«
Nach sechs Monaten kam Merlin zu Ulsius, bezeigte ihm seine Zufriedenheit mit allem, was geschehen; sandte ihn darauf zum König, der sogleich kam und sich sehr freute, Merlin wiederzusehen. Darauf sprach Merlin zum König: »Nicht weit von hier wohnt ein edler Biedermann, mit Namen Anthor, dessen Gemahlin ist die verständigste und gottesfürchtigste Frau im ganzen Land, sie ist von untadelhaften Sitten, in allem Guten sehr wohl unterrichtet und von vortrefflicher Gemütsart. Diese Frau ist kürzlich mit einem Sohn niedergekommen; der biedere Anthor gehört aber nicht zu den reichsten. Ich rate Dir, daß Du zu ihm sendest, ihn zu Dir rufen läßt und ihm Geld und Gut hinreichend gibst, damit er anständig leben mag; bittest ihn aber nachher, daß er ein Kind, welches man ihm bringen würde, an seiner Ehefrauen Brust erziehen und von ihrer Milch ernähren lasse; dann laß ihn einen heiligen Eid ablegen, daß er dies sicher halten wolle, seinen Sohn einem andern zur Erziehung zu geben und an dessen Statt den Sohn, den man ihm bringen würde, als den seinigen zu erziehen und zu halten.« – »Ich will«, sagte der König, »alles pünktlich ausführen, wie Du vorgeschrieben.«
Merlin ging zurück zum Meister Blasius, und der König ließ den braven Anthor zu sich rufen. Anthor kam sogleich, und war nicht wenig verwundert, als der König ihn mit besondrer Freundlichkeit empfing und ihm viel Ehre erzeigte, konnte auch nicht begreifen, warum dies wohl geschehen möchte. »Mein Freund«, fing der König an, »ich will Dir ein Geheimnis entdecken, hüte Dich aber bei Deinem Leben, daß Du es niemand sagst; Du bist mein Untertan und mein Lehnsmann; Du bist es also Gott und mir schuldig, mein Geheimnis fest zu bewahren und mir, was ich Dir sagen werde, ausführen zu helfen.« – »Sire«, antwortete Anthor, »Ihr könnt mir nichts gebieten, was ich nicht mit Freuden zu tun Willens wäre; sollte ich es aber nicht tun können, so ist Euer Geheimnis doch auf jeden Fall sicher bei mir verwahrt.«
»So höret, mein Freund, was mir neulich, als ich schlief, für ein Gesicht erschien. Ich sah einen Mann vor mir, der mir sagte, Ihr, Anthor, wäret einer der biedersten und ehrenhaftesten Männer in der Welt; Ihr«, fuhr er fort, »habt ein Kind erzeugt, welches Eure Frau zu dieser Stunde mit ihrer Milch ernährt. Dieser Mann gebot mir, Euch zu sagen, daß Ihr mir zuliebe dieses Euer Kind einer andern zu ernähren, und zu erziehen gebt, und dafür von Eurer Frau ein Kind an ihrer Brust tränken lasset, welches Euch ein fremder Mann überbringen wird, und daß Ihr dieses fremde Kind als das Eurige erzieht und haltet.« – »Sire«, fing Anthor wieder an, »es ist ein Großes, was Ihr von mir verlangt, daß ich mein eignes Kind einer fremden Frau zu säugen gebe, und mich eines fremden dafür annehme; doch, was mich betrifft, so will ich Euch gehorchen, im Fall, daß es meine Frau zufrieden ist; doch verspreche ich Euch, daß ich sie ersuchen werde, darin einzuwilligen. Sagt mir nun, mein König, ob das Kind schon geboren ist, und wann ich es erhalten soll.« – »Ich weiß es nicht«, antwortete der König; gab ihm aber eine große Summe Goldes und vielen Reichtum und Güter, worüber der biedere Anthor sehr erfreut war. Dann ging er zu seiner Frau nach Hause und erzählte ihr, was zwischen ihm und dem König vorgefallen; es kam ihr dies aber sehr befremdend vor.
»Wie sollt ich wohl«, sagte sie, »mein eignes Kind weggeben können, um ein fremdes zu nähren?« – »Es gibt nichts«, sprach Anthor, »was wir nicht schuldig wären, für unsern Landesherrn zu tun. Du siehst, daß er mir schon viel gegeben, und noch mehr hat er zu tun versprochen, so daß wir niemals eine Armut werden zu befürchten haben; wir müssen also auch alles tun, was er von uns verlangt. Mein Wille ist, so es Dir gefällt, daß Du das Kind, welches uns gebracht wird, säugst und erziehst, gleich wie das unsre.« – »Ich gehöre Euch«, sagte die Frau, »und auch mein Kind gehört Euch zu, tut an uns nach Eurem Wohlgefallen.« Der wackere Anthor war über diese Antwort seiner Frau sehr vergnügt.