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XXX.

Vom Tode Uterpendragons, der Suche nach einem neuen König und von dem Schwert, das keiner aus dem Amboß zog

Nachdem Uterpendragon lange Zeit in Frieden sein Reich regiert, verfiel er in eine schwere Krankheit; er hatte nämlich Gicht in den Händen, so daß er sie nicht brauchen konnte. Die Heiden fielen wieder in sein Reich und verheerten es während seiner Krankheit; die Fürsten und Barone zogen zwar verschiedentlich gegen sie zu Felde, wurden aber immer geschlagen, die Heiden dagegen immer mächtiger im Land. Merlin kam zu Uterpendragon und sagte ihm, er würde mit seiner Hilfe die Feinde wieder vertreiben, nachmals aber nicht lange mehr leben; die Königin Yguerne war vorher schon gestorben. Merlin riet ihm daher, sobald er gesiegt habe, alle seine Schätze und Reichtümer unter die Armen zu verteilen; er solle noch bei Lebzeit so viel Gutes tun als möglich, weil er das Reich ohne Erben verlassen müsse. Der König fragte ihn nach dem Kind, welches er ihm gegeben. »Du hast«, antwortete dieser, »Dich nicht um ihn zu kümmern; doch darf ich Dir wohl sagen, daß er schön und groß und wohlerzogen ist.« Als Merlin darauf Abschied vom König nahm und ihn noch einmal erinnerte, daß er nicht mehr lange zu leben habe, fragte der König ihn weinend: »O weh, Merlin, soll ich Dich denn niemals wiedersehen?« – »Noch einmal sollst Du mich sehen«, antwortete Merlin, »aber nicht öfter.«

Uterpendragon versammelte sein Heer, ließ sich ihm in einer Sänfte vorwegtragen, und erteilte die Befehle zum Angriff mit solcher Klugheit und mit so großem Mut, daß er dadurch den Mut des Heeres und der übrigen Anführer hob, die Feinde schlug und sie völlig aus dem Lande vertrieb. Darauf kam er wieder nach London zurück und verteilte alle seine Schätze, alles was er besaß, zwischen den Armen und den Kirchen, so daß er sich jetzt mehr denn je die Liebe des ganzen Volkes erwarb; verfiel aber hernach wieder in seine Krankheit, so daß die Ärzte sein Leben aufgaben. Als er nun immer schlimmer dran war, und endlich die Sprache verlor, so daß er in drei Tagen kein einziges Wort gesprochen, kam Merlin wieder in London an. Die Herren des Hofes und das Volk, als sie ihn kommen sahen, gingen weinend ihm entgegen und riefen: »Unser König ist tot!« – » Er ist noch nicht tot«, antwortete Merlin; »führt mich zu ihm, Ihr sollt ihn noch einmal reden hören.«

Als man ihn nun in das Zimmer führte, wo der König krank auf seinem Bette lag, ließ Merlin alle Fenster öffnen und trat hinzu. Die Hofleute nahten sich dem König und sagten ihm: »Hier ist Merlin, den der König jederzeit geliebt.« Da wandte der König sich zu ihm, erkannte ihn alsbald, und man nahm an seinen Mienen wahr, wie er sich freute, ihn zu sehen. Merlin neigte sich und sagte ihm leise ins Ohr: »Wisse, Dein Sohn Artus wird König nach Dir, und wird die Tafelrunde, welche Du gestiftet, vollständig machen!« Darauf erhob der König seine Stimme: »Sage ihm, daß er für mich bete zu Jesu Christo, unsern Herrn.« Nun wandte Merlin sich zu den Herumstehenden und sagte: »Dieses waren die letzten Worte des Königs, niemand wird ihn weiter reden hören.«

Darauf ging Merlin fort, und die andern blieben in Erstaunen zurück, sowohl darüber, daß der König noch mit ihm geredet, als über die Worte, die er gesprochen, von denen sie den Sinn nicht fanden, denn sie hatten nicht gehört, was Merlin dem König ins Ohr geredet. Dieselbe Nacht starb Uterpendragon, und das Reich blieb ohne Nachfolger. Die Fürsten und Barone versammelten sich zwar, um einen König aus ihrer Mitte zu wählen, sie konnten sich aber nicht darüber einigen. Endlich beschlossen sie, Merlin als den weisesten aller Menschen um Rat zu fragen.

Merlin wurde in die Ratsversammlung geholt und ihm im Namen aller Fürsten die Frage vorgelegt, wen sie zum Könige an Uterpendragons Stelle erwählen sollten. Da stand Merlin auf und sprach: »Ich habe stets dieses Reich geliebt, wie auch seine Bewohner; wollt Ihr also meiner Meinung folgen, so laßt es auf den Ausspruch Gottes ankommen, wer König werden soll.«

Alle riefen einstimmig: »Sag, was wir tun sollen, wir glauben Dir und wollen alles, was Du für Recht hältst, tun.« – »Vierzehn Tage sind es«, fing Merlin an, »seitdem der König starb, es war am St. Martinstage; wartet noch bis zur Weihnachtsnacht, die nicht mehr weit ist. Unser Erlöser, der König aller Könige, wurde an diesem Tag geboren. Ich bin Euch allen Bürge, daß, wenn Ihr diesen Tag in frommem Gebet zu unserm Herrn zubringt, er Euch ein Zeichen geben wird, nach welchem Ihr einen König erwählen dürft. Ihr alle, Fürsten und Volk, und Ihr Bischöfe und Geistliche, betet zu ihm, daß er Euch erleuchte, und Euch durch ein Zeichen seinen Willen kund tue und Euch denjenigen zeige, der würdig gefunden wird, dieses Reich zu regieren. Ich sage Euch in Wahrheit, wenn Ihr mit Inbrunst und mit wahrer Andacht zu ihm betet, wird das Zeichen Euch erscheinen, woran Ihr den König erkennen sollt, und so seid Ihr dann gewiß, nach dem Willen Gottes unsers Herrn erwählt zu haben.« Die ganze Versammlung war mit diesem Rat des Merlin wohl zufrieden, und es wurde einstimmig beschlossen, danach zu handeln. Merlin beurlaubte sich jetzt von den Fürsten. Als sie ihn baten, zum Weihnachtsfest wiederzukommen, um nachzusehen, ob alles so geschehe, wie er ihnen geraten, sagte er, er würde nicht eher wiederkommen, bis alles vollkommen eingetroffen; ging darauf fort aus dem Rat zu seinem Meister Blasius und erzählte ihm das Geschehene, wodurch auch wir es jetzt erfahren. Die Barone ihrerseits ließen alle Fürsten, Herren und Ritter des Landes zu Weihnachten nach London bescheiden, um sich im Gebet zu vereinigen und zu sehen, durch welches Wunder Gott einen unter ihnen zum König auserwählen würde. So geschah es, und es war nicht einer, der sich nicht zu Weihnachten in London einfand. Auch der brave Ritter Anthor kam nebst seinem Pflegesohn Artus, der ein Knabe von wunderbarer Schönheit und in allen Dingen sehr artig und wohlerzogen war; auch seinen eigenen Sohn brachte Anthor mit nach London; er war ein Jahr älter als Artus und am Allerheiligen-Tage Ritter geworden. Anthor liebte aber seinen eigenen Sohn nicht mehr als den Pflegesohn.

Am Vorabend vor dem Weihnachtsfest versammelten alle Fürsten und Ritter und vieles Volk sich in der Kirche, beteten und hörten die Messe um Mitternacht mit großer Andacht; als aber die Mitternachtsmesse vorüber war und noch kein Zeichen sich wollte sehen lassen, fingen viele an zu zweifeln und meinten, sie seien wohl rechte Toren, auf ein solches Zeichen zu warten. Darauf bestieg ein sehr gelehrter geistlicher Herr die Kanzel und hielt ihnen eine vortreffliche Predigt, worin er ihnen ihren Unglauben und Ungeduld verwies und sie ermahnte, ihren Eifer im Gebet nicht sinken zu lassen und auf Gott fest zu vertrauen; hielt ihnen auch ihre Pflicht vor, daß sie um die jetzige Stunde doch nicht allein aus dem Grund in der Kirche versammelt wären, um einen König aus ihrer Mitte zu erwählen, sondern auch um des Heils ihrer Seelen willen, und um den König aller Könige anzuflehen, der ihnen in dieser Nacht geboren. Die Predigt war so kräftig und vortrefflich, daß die Fürsten, davon bewegt, ihre Andacht erneuerten und in inbrünstigem Gebet die Frühmesse abwarteten. Als aber auch diese gehört worden und der helle Tag in die Kirche hineinzuscheinen begann, gingen viele von ihnen hinaus; und siehe da, auf dem Platz vor der Kirchentür erhoben sich drei breite Stufen von einem fremden sonderbaren Stein, einige sagten, es sei Marmor. Ein eiserner Amboß stand oben auf den Stufen, in diesem Amboß war ein Schwert befestigt, so daß es aufrecht auf dem Amboß stand.

Die, welche aus der Kirche gekommen waren, liefen erstaunt und erschreckt zurück und verkündigten das Wunder dem Erzbischof Brice, der eben Messe las. Als er fertig war, ging er hinaus und alles Volk und die Fürsten ihm nach; der Erzbischof stieg die Stufen hinauf, besah das Schwert und las die Schrift, welche auf beiden Seiten des Schwerts mit goldnen Buchstaben eingegraben war, dem Volke laut vor. Es stand darauf: »Derjenige unter Euch, welcher dieses Schwert aus dem Amboß zieht, soll König dieses Landes sein auf Ermahnung Jesu Christi.«

Alles Volk war erstaunt über dieses wunderbare Zeichen; der erhöhte Amboß und das Schwert wurde zehn tapfern verständigen Männern zur Wache übergeben; von denen waren fünfe weltlich, fünfe aber geistlich. Darauf verfügten sich alle wieder in die Kirche und stimmten dem Herrn Dankgebete an für dieses Zeichen, das er ihnen gnädig gesendet, und sangen feierlich ein Te Deum. Nachher fingen die Versuche mit dem Schwert an; erst kamen die Fürsten, die Barone, alle großen Herrn und Ritter, jeder versuchte das Schwert aus dem Amboß zu ziehen, keiner war es aber imstande. Der Erzbischof gab den zehn Männern, die das Schwert bewachten, den Befehl, jedweden heranzulassen, der den Versuch machen wollte, er sei von welchem Stande er wolle; sollte einer es herausziehen, so müßten sie aber wohl Acht geben, wer es sei, um ihn wiederzuerkennen. Während der acht Tage bis zum Neujahrstag versuchten es alle im ganzen Lande, denn sie kamen von weit und breit, um den Versuch zu machen; niemand aber konnte das Schwert aus dem Amboß ziehen, obgleich viele hundert der tapfersten Ritter es versuchten.


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