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V. Jugend und Alter.

Wie der Uhren Schlag mir die Stunden, der Sonne Lauf mir die Jahre zuzählt: so lebe ich, ich weiss es, immer näher dem Tode entgegen. Aber dem Alter auch? dem schwachen stumpferen Alter auch, worüber Alle so bitter klagen, wenn unvermerkt ihnen verschwunden ist die Lust der frohen Jugend, und der inneren Gesundheit und Fülle übermüthiges Gefühl? Warum lassen sie verschwinden die goldene Zeit, und beugen dem selbstgewählten Joch seufzend den Nacken? Auch ich glaubte schon einst, dass nicht länger dem Manne geziemten die Hechte der Jugend; leiser und bedächtig wollte ich einhergehen, und durch der Entsagung weisen Entschluss mich bereiten zur trüberen Zeit. Aber es wollten nicht dem Geist die engeren Grenzen genügen, und es gereute mich bald des verkümmerten nüchternen Lebens. Da kehrte auf den ersten Ruf die freundliche Jugend zurück, und hält mich immer seitdem umfasst mit schützenden Armen. Jetzt, wenn ich wüsste, dass sie mir entflöhe, wie die Zeiten entfliehen, ich stürzte mich lieber bald dem Tode freiwillig entgegen, damit nicht die Furcht vor dem sicheren Uebel mir jegliches Gute bitter vergälle, bis ich mir endlich doch durch unfähiges Dasein ein schlechteres Ende verdient.

Doch ich weiss, dass es nicht also sein kann: denn es soll nicht. Wie? das geistige Leben, das freie, das ungemessene müsste mir eher verrinnen als das irdische, welches beim ersten Schlage des Herzens schon die Keime des Todes enthielt? Nicht immer sollte mir mit der vollen gewohnten Kraft aufs Schöne gerichtet die Phantasie sein? nicht immer so leicht der heitere Sinn, und so rasch zum Guten bewegt und liebevoll das Gemüth? Bange sollte ich horchen den Wellen der Zeit, und sehen müssen, wie sie mich abschliffen und aushöhlten, bis ich endlich zerfiele? Sprich doch, Herz, wie viele Male dürfte ich, bis das Alles käme, noch zählen die Zeit, die mir jetzt eben verging bei dem Jammergedanken? Gleich wenig wären mir, wenn ich es abzählen könnte, Tausende oder Eins. Dass du ein Thor wärest, zu weissagen aus der Zeit auf die Kraft des Geistes, dessen Maass jene nimmer sein kann! Durchwandeln doch die Gestirne nicht in gleicher Zeit dasselbe von ihrer Bahn, sondern ein höheres Maass musst Du suchen, um ihren Lauf zu verstehen: und der Geist sollte dürftigeren Gesetzen folgen, als sie? Auch folgt er nicht. Frühe suchte Manchen das Alter heim, das mürrische dürftige hoffnungslose, und ein feindlicher Geist bricht ihm ab die Blüthe der Jugend, wenn sie kaum sich aufgethan; lange bleibt Andern der Muth, und das weisse Haupt heben noch und schmücken Feuer des Auges und des Mundes freundliches Lächeln. Warum soll ich nicht länger noch, als der am längsten dastand in der Fülle des Lebens, mir im glücklichen Kampf abwehren den verborgenen Tod? Warum nicht, ohne die Jahre zu zählen und des Körpers Verwittern zu sehen, durch des Willens Kraft festhalten bis an den letzten Athemzug die geliebte Göttin der Jugend? Was denn soll diesen Unterschied machen, wenn es der Wille nicht ist? Hat etwa der Geist sein bestimmtes Maass und Grösse, dass er sich ausgeben kann und erschöpfen? Nutzt sich ab seine Kraft durch die That, und verliert etwas bei jeder Bewegung? Die des Lebens sich lange freuen, sind es nur die Geizigen, welche wenig gehandelt haben? Dann träfe Schande und Verachtung jedes frohe und frische Alter: denn Verachtung verdient, wer Geiz übt in der Jugend.

Wäre so des Menschen Loos und Maass: dann möchte ich lieber zusammendrängen, was der Geist vermag, in engen Kaum; kurz möchte ich leben, um jung zu sein und frisch, so lange es währt! Was hilft es, die Strahlen des Lichtes dünn ausgiessen über die grosse Fläche? es offenbart sich nicht die Kraft und richtet nichts aus. Was hilft Haushalten mit dem Handeln, und Ausdehnen in die Länge, wenn Du schwächen musst den inneren Gehalt, wenn doch am Ende dessen nicht mehr ist, was Du gehabt hast? Lieber gespendet in wenig Jahren das Leben in glänzender Verschwendung, dass Du Dich freuen könnest Deiner Kraft, und übersehen, was Du gewesen bist. Aber es ist nicht so unser Loos und Maass; es vermag nicht solch irdisches Gesetz unter seine Formeln zu bannen den Geist. Woran sollte sich brechen seine Gewalt? was verliert er von seinem Wesen, wenn er handelt und sich mittheilt? was giebt es, das ihn verzehrt? Klarer und reicher fühle ich mich jetzt nach jedem Handeln, stärker und gesunder: denn bei jeder That eigene ich etwas mir an von dem gemeinschaftlichen Nahrungsstoffe der Menschheit, und wachsend bestimmt sich genauer meine Gestalt. Ist es nur so, weil ich jetzt noch in die Höhe des Lebens hinaufsteige? wohl; aber wann kehrt sich denn plötzlich um das schöne Verhältniss? wann fange ich an, durch die That nicht zu werden, sondern zu vergehen? und wie wird sich mir verkünden die grosse Verwandlung? Kommt sie, so muss ich sie erkennen; und erkenne ich sie, so ist mir lieber der Tod, als in langem Elend anzuschauen an mir selbst der Menschheit nichtiges Wesen.

Ein selbstgeschaffenes Uebel ist das Verschwinden des Muthes und der Kraft; ein leeres Vorurtheil ist das Alter, die schnöde Frucht von dem trüben Wahn, dass der Geist abhänge vom Körper! Aber ich kenne den Wahn, und es soll mir nicht seine schlechte Frucht das gesunde Leben vergiften. Bewohnt denn der Geist die Faser des Fleisches, oder ist er eins mit ihr, dass auch er ungelenk zur Mumie wird, wenn diese verknöchert? Dem Körper bleibe, was sein ist. Stumpfen die Sinne sich ab, werden schwächer die Bilder von den Bildern der Welt: so muss wohl auch stumpfer werden die Erinnerung, und schwächer manches Wohlgefallen und manche Lust? Aber ist dies das Leben des Geistes? dies die Jugend, deren Ewigkeit ich anbetete? Wie lange wäre ich schon des Alters Sklave, wenn dies den Geist zu schwächen vermöchte! Wie lange hätte ich schon der schönen Jugend das letzte Lebewohl zugerufen! Aber was noch nie mich gestört hat im kräftigen Leben, soll es auch nimmer vermögen. Wozu denn haben Andere neben mir besseren Leib und schärfere Sinne? werden sie mir nicht immer gewärtig sein zum liebreichen Dienste wie jetzt? Dass ich trauern sollte über des Leibes Verfall, wäre mein letztes! was kümmert er mich? Und welches Unglück wird es denn sein, wenn ich nun vergesse, was gestern geschah? Sind eines Tages kleine Begebenheiten meine Welt? oder die Vorstellungen des Einzelnen und Wirklichen aus dem engen Kreise, den des Körpers Gegenwart umfasst, die ganze Sphäre meines inneren Lebens? Wer so in niedrigem Sinn die höhere Bestimmung verkennt, wem die Jugend nur Heb war, weil sie dieses besser gewährt, der klage mit Recht über das Elend des Alters! Aber wer wagt es zu behaupten, dass auch die Kraft und Fülle der grossen heiligen Gedanken, die aus sich selbst der Geist erzeugt, abhänge vom Körper, und der Sinn für die wahre Welt von der äusseren Glieder Gebrauch? Brauche ich, um anzuschauen die Menschheit, das Auge, dessen Nerv sich jetzt schon abstumpft in der Mitte des Lebens? Oder muss, auf dass ich lieben könne, die es werth sind, das Blut, das jetzt schon langsam fliesst, sich in rascherem Lauf drängen durch die engen Kanäle? Oder hängt mir des Willens Kraft an der Stärke der Muskeln? am Mark gewaltiger Knochen? oder der Muth am Gefühl der Gesundheit? Es betrügt ja doch, die es haben; in kleinen Winkeln verbirgt sich der Tod, und springt auf einmal hervor, und umfasst sie mit spottendem Gelächter. Was schadets denn, wenn ich schon weiss, wo er wohnt? Oder vermag der wiederholte Schmerz, vermögen die mancherlei Leiden niederzudrücken den Geist, dass er unfähig wird zu seinem innersten eigensten Handeln? Ihnen widerstehen ist ja auch sein Handeln, und auch sie rufen grosse Gedanken zur Anwendung hervor ins Bewusstsein. Dem Geist kann kein Uebel sein, was sein Handeln nur ändert.

Ja, ungeschwächt will ich ihn in die späteren Jahre bringen, nimmer soll der frische Lebensmuth mir vergehen; was mich jetzt erfreut, soll mich immer erfreuen; stark soll mir bleiben der Wille und lebendig die Phantasie, und nichts soll mir entreissen den Zauberschlüssel, der die geheimnissvollen Thore der höheren Welt mir öffnet, und nimmer soll mir verlöschen das Feuer der Liebe. Ich will nicht sehen die gefürchteten Schwächen des Alters; kräftige Verachtung gelobe ich mir gegen jedes Ungemach, welches das Ziel meines Daseins nicht trifft, und ewige Jugend schwöre ich mir selbst.

Doch verstösse ich auch nicht mit dem Schlechten das Gute? Ist denn das Alter, entgegengestellt der Jugend, nur Schwäche? Was verehren denn die Menschen an den greisen Häuptern, auch an denen die keine Spur haben von der ewigen Jugend, der schönsten Frucht der Freiheit? Ach oft ist es nichts, als dass die Luft, die sie einathmeten, und das Leben, das sie führten, wie ein Keller war, worin ein Leichnam sich länger erhält, ohne die Verwesung zu sehen, und dann verehrt sie als heilige Leiber das Volk. Wie das Gewächs des Weinstocks ist ihnen der Geist, von dem sie glauben, sei es auch schlechter Natur, es werde doch besser und höher geschätzt, wenn es alt wird. Doch nein! sie reden gar viel von den eigenen Tugenden der höheren Jahre, von der nüchternen Weisheit, von der kalten Besonnenheit, von der Fülle der Erfahrung, und von der bewunderungslosen gelassenen Vollendung in der Kenntniss der bunten Welt. Nur der Menschheit vergängliche Blüthe sei die reizende Jugend; aber die reife Frucht sei das Alter, und was dieses dem Geiste bringt. Dann sei erst aufs Höchste geläutert durch Luft und Sonne der Geist, dann in Reife versprechender Gestalt vollendet und zum köstlichen Genuss für die Verständigen bereitet das Innerste der menschlichen Natur. 0 der nordischen Barbaren, die nicht das schönere Klima kennen, wo zugleich glänzt die Frucht und die Blüthe, und in reichem Wetteifer immer beide sich vereinigen! Ist denn die Erde so kalt und unfreundlich, dass der Geist sich nicht zu dieser höheren Schönheit und Vollendung erheben dürfte? Wohl besitzt nicht Jeder alles Schöne und Gute; aber unter die Menschen sind die Gaben vertheilt, nicht unter die Zeiten. Ein ander Gewächs ist Jeder; aber wie er ist, kann er blühen zugleich und Früchte tragen immerdar. Was sich in Demselben vereinigen kann, das Alles kann derselbe auch neben einander haben und erhalten, kann es und soll es ja auch.

Wie kommt dem Menschen die besonnene Weisheit und die reife Erfahrung? wird sie ihm gegeben von oben herab, und ist es höhere Bestimmung, dass er sie nicht eher erhält, als wenn er beweisen kann, dass seine Jugend verblüht ist? Ich fühle, wie ich sie jetzt erwerbe; es ist eben der Jugend treibende Kraft und das frische Leben des Geistes, was sie hervorbringt. Umschauen nach allen Seiten; aufnehmen Alles in den innersten Sinn, besiegen einzelner Gefühle Gewalt, dass nicht die Thräne, sei es der Freude oder des Kummers, das Auge der Seele trübe und verdunkele seine Bilder; rasch sich von einem zum anderen bewegen, und unersättlich im Handeln auch fremdes Thun noch innerlich nachahmend abbilden: das ist das muntere Leben der Jugend, und eben das ist das Werden der Weisheit und der Erfahrung. Je beweglicher die Phantasie, je schneller die Thätigkeit des Geistes: desto eher wachsen und werden beide. Und wenn sie geworden sind, dann sollte dem Menschen nicht mehr ziemen jenes muntere Leben, das sie erzeugt hat? Sind sie denn je vollendet die hohen Tugenden? und wenn sie durch die Jugend und in ihr geworden sind, bedürfen sie nicht immer derselben Kraft, um noch mehr zu werden und zu wachsen? Aber mit leerer Heuchelei betrügen sich die Menschen um ihr schönstes Gut, und auf den tiefsten Grund der beschränktesten Unwissenheit ist die Heuchelei gebaut. Der Jugend Beweglichkeit, meinen sie, sei das Treiben dessen, der noch sucht, und Suchen zieme nicht mehr dem, der schon an des Lebens Ende steht; er müsse sich schmücken mit weiser Stille, dem verehrten Symbol der Vollendung, mit Ruhe des Heizens, dem Zeichen von der Fülle des Verstandes; so müsse der Mensch einhergehen im Alter, dass er nicht, wenn er noch immer zu suchen scheine, unter dem Gelächter des Spottes über das eitle Unternehmen hinab steigen müsse in den Tod. So jene; aber ihre weise Stille ist nur träge Unbeweglichkeit, und ein leeres ist ihr ruhiges Herz. Nur wer Schlechtes und Gemeines suchte, dem sei es ein Ruhm, Alles gefunden zu haben! Unendlich ist, was ich erkennen und besitzen will, und nur in einer unendlichen Reihe des Handelns kann ich mich selbst ganz bestimmen. Von mir soll nie weichen der Sinn, der den Menschen vorwärts treibt, und das Verlangen, das nie gesättigt von dem, was gewesen ist, immer Neuem entgegen geht. Das sei der Ruhm, den ich suche, zu wissen, dass unendlich mein Ziel ist, und doch nie still zu stehen im Lauf; zu wissen, dass eine Stelle kommt auf meinem Wege, die mich verschlingt, und doch an mir und um mich nichts zu ändern, wenn ich sie sehe, und doch nicht zu verzögern den Schritt. Darum ziemt es dem Menschen, immer in der sorglosen Heiterkeit der Jugend zu wandeln. Nie werde ich mich alt dünken, bis ich auch fertig wäre; aber nie werde ich fertig sein, weil ich weiss und will, was ich soll. Auch kann es nicht sein, dass des Alters Schöne und der Jugend einander widerstrebe: denn nicht nur wächst in der Jugend, weshalb sie das Alter rühmen; es nährt auch wieder das Alter der Jugend frisches Leben. Besser gedeiht ja, wie Alle sagen, der junge Geist, wenn das reife Alter sich seiner annimmt: so verschönt sich auch des Menschen eigene innere Jugend, wenn er schon errungen hat, was dem Geiste das Alter gewährt. Schneller übersieht, was da ist, der geübte Blick, leichter fasst Jedes, wer schon viel Aehnliches kennt, und wärmer muss die Liebe sein, die aus einem höheren Grade eigener Bildung hervorgeht. So soll mir bleiben der Jugend Kraft und Genuss bis ans Ende. Bis ans Ende will ich stärker werden und lebendiger durch jenes Handeln, und liebender durch jedes Bilden an mir selbst. Die Jugend will ich dem Alter vermählen, dass auch dieses habe die Fülle, und durchdrungen sei von der belebenden Wärme. Was ist es denn, worüber sie klagen im Alter? Es sind nicht die nothwendigen Folgen der Erfahrung, der Weisheit und der Bildung. Macht der Schatz der bewahrten Gedanken stumpf des Menschen Sinn, dass ihn nicht reizt weder Neues noch Altes? Wird die Weisheit mit ihrem festen Wort zuletzt bangen Zweifel, der jedes Handeln zurückhält? Ist die Bildung ein Verbrennungsgeschäft, das in todte Masse den Geist verwandelt? Was sie klagen, ist nur, dass ihnen die Jugend fehlt. Und die Jugend, warum fehlt sie ihnen? Weil in der Jugend ihnen das Alter gefehlt hat. Doppelt sei die Vermählung. Jetzt schon sei im starken Gemüthe des Alters Kraft, dass sie Dir erhalte die Jugend, damit später die Jugend Dich schütze gegen des Alters Schwäche. Wie sie es theilen, soll gar nicht das Leben getheilt sein. Es erniedrigt sich selbst, wer zuerst jung sein will, und dann alt, wer zuerst allein herrschen lässt, was sie rühmen als jugendlichen Sinn, und dann allein folgen, was ihnen der Geist des Alters scheint; es verträgt nicht das Leben diese Trennung seiner Elemente. Ein doppeltes Handeln des Geistes ist es, das vereint sein soll zu jeder Zeit; und das ist die Bildung und die Vollkommenheit, dass beider sich immer inniger bewusst werde der Mensch in ihrer Verschiedenheit, und dass er in Klarheit sondere eines Jeden eigenes Geschäft.

Für die Pflanze selbst ist das Höchste die Blüthe, die schöne Vollendung des eigenthümlichen Daseins; für die Welt ist ihr Höchstes die Frucht, die Hülle für den Keim des künftigen Geschlechtes, das Geschenk, was jedes eigene Wesen darbieten muss, dass die fremde Natur es mit sich vereinigen möge. So ist auch für den Menschen das muntere Leben der Jugend das Höchste, und wehe ihm, wenn es von ihm weicht: aber die Welt will, er soll alt sein, damit Früchte reifen, je eher, je lieber. Also ordne Dir das Leben einmal für immer. Was allzu spät die Menschen erst das Alter lehrt, wohin gewaltsam in ihren Fesseln die Zeit sie führt, das sei schon jetzt aus des kräftigen Willens freier Wahl Deine Weise in Allem, was der Welt gehört. Wo die Blüthe des Lebens aus freiem Willen eine Frucht ansetzt, da werde sie ein süsser Genuss der Welt; und verborgen liege darin ein befruchteter Keim, der sich einst entwickele zu eigenem neuen Leben. Was Du der Welt bietest, sei leicht sich ablösende Frucht. Opfere nicht den kleinsten Theil Deines Wesens selbst in falscher Grossmuth! Lass Dir kein Herz ausbrechen, kein Blättchen abpflücken, welches Nahrung Dir einsaugt aus der umgebenden Welt! Aber treibe auch nicht zornigen Gemüthes gleich hervor täuschenden Auswuchs, ungestaltet und ungeniessbar, wo etwa ein verderbliches Thierchen Dich sticht; sondern Alles, was nicht für Dich selbst ist Wachsthum der Gestalt oder Bildung neuer Organe, das sei wahre Frucht, aus der inneren Liebe des Geistes erzeugt, als freie That seines jugendlichen Lebens Denkmal. Hat sie aber eigenes Leben gewonnen: so trete sie allmälig hervor aus ihren Umhüllungen; und dann werde sie weiter gebildet nach des äusseren Handelns Gesetz. Dann sei Klugheit um sie geschäftig und nüchterne Besonnenheit, dass auch wirklich der Welt zu Gute komme, was freigiebig die Liebe ihr zugedacht hat. Dann wäge bedachtsam Mittel und Zweck, sorge und schaue umher mit weiser Furcht, halte zu Rathe Kraft und Arbeit, lege hoch an Deine Mühe, und harre geduldig und unverdrossen des glücklichen Augenblicks.

Wehe, wenn die Jugend in mir, die frische Kraft, die Alles zu Boden wirft, was sie einzwängen will, der leichte Sinn, der immer weiter strebt, sich je bemengte mit des Alters Geschäft, und mit schlechtem Erfolg auf dem fremden Gebiete des äusseren Thuns die Kraft verschwendete, die sie dem inneren Leben entzöge! So mögen nur die untergehen, die den ganzen Reichthum des Lebens nicht kennen, und also missverstehend den heiligen Trieb, jugendlich sein wollen im äusseren Thun. Im Augenblick soll eine Frucht reifen, wie eine Blüthe sich entfaltet in einer Nacht; es drängt ein Entwurf den andern, und keiner gedeiht; und im raschen Wechsel widersprechender Mittel zerstört sich jedes angefangene Werk. Haben sie so in vergeblichen Versuchen die schöne Hälfte des Lebens verschwendet, und nichts gewirkt noch gethan, wo Wirken und Thun ihr ganzer Zweck war: so verdammen sie den leichten Sinn und das rasche Leben, und es bleibt ihnen, allein das Alter zurück, schwach und elend wie es sein muss, wo die Jugend verscheucht und verzehrt ist. Dass sie mir nicht auch fliehe, will ich sie nicht missbrauchen; sie soll mir nicht dienen auf fremdem Gebiete zu ungebührlichem Geschäft; in den Grenzen ihres Reichs will ich sie halten, dass ihr kein Verderben nahe. Da aber soll sie mir walten jetzt und immer in ungestörter Freiheit; und kein Gesetz, welches nur dem äusseren Thun gebieten darf, soll mir das innere Leben beschränken.

Alles Handeln in mir und auf mich, das der Welt nicht gehört, und nur mein eigenes Werden ist, trage ewig der Jugend Farbe, und gehe fort nur dem inneren Triebe folgend in schöner sorgloser Freude. Lass Dir keine Ordnung gebieten, wann Du anschauen sollest oder begreifen, wann in Dich hineingehen oder aus Dir heraus! fröhlich jedes fremde Gesetz verschmäht, und den Gedanken verscheucht, der in todten Buchstaben verzeichnen will des Lebens freien Wechsel. Lass Dir nicht sagen, dies müsse erst vollendet sein, dann jenes! Gehe weiter, wie und wann es Dir gefällt, mit leichtem Schritt: lebt doch Alles in Dir, und bleibt, was Du gehandelt hast, und findest es wieder, wenn Du zurückkommst. Lass Dir nicht bange machen, was wohl daraus werden möchte, wenn Du jetzt dies begönnest oder jenes! Immer wird nichts als Du: denn was Du wollen kannst, gehört auch in Dein Leben. Wolle ja nicht massig sein im Handeln! Lebe frisch immer fort; keine Kraft geht verloren, als die Du ungebraucht in Dich zurückdrängst. Wolle ja nicht dies jetzt, damit Du hernachwollen könnest jenes! Schäme Dich, freier Geist, wenn das Eine in Dir sollte dienen dem Andern; nichts darf Mittel sein in Dir, ist ja Eins so viel werth als das Andere; darum, was Du wirst, werde um seiner selbst willen. Thörichter Betrug, dass Du wollen solltest, was Du nicht willst! Lass Dir nicht gebieten von der Welt, wann und was Du leisten sollest für sie! Verlache stolz die thörichte Anmaassung, muthiger Jüngling, und leide nicht den Druck. Alles ist Deine freie Gabe; denn in Deinem inneren Handeln muss aufgehen der Entschluss, ihr etwas zu thun; und thue nichts, als was so Dir in freier Liebe und Lust hervorgeht aus dem Innern des Gemüthes. Lass Dir keine Grenzen setzen in Deiner Liebe, nicht Maass, nicht Art, nicht Dauer! Ist sie doch Dein Eigenthum: wer kann sie fordern? Ist doch ihr Gesetz blos in Dir: wer hat dort zu gebieten? Schäme Dich, fremder Meinung zu folgen in dem, was das Heiligste ist! Schäme Dich der falschen Schaam, dass sie nicht verstehen möchten, wenn Du den Fragenden sagtest: darum liebe ich. Lass Dich nicht stören, was auch äusserlich geschehe, in des inneren Lebens Fülle und Freude! Wer wollte vermischen, was nicht zusammen gehört, und grämlich sein in sich selbst? Härme Dich nicht, wenn Du dies nicht sein kannst, und jenes nicht thun! Wer wollte mit leerem Verlangen nach der Unmöglichkeit hinsehen, und mit halbsüchtigem Auge nach fremdem Gut?

So frei und fröhlich bewegt sich mein inneres Leben! Wann und wie sollte wohl Zeit und Schicksal mich andere Weisheit lehren? Der Welt lasse ich ihr Recht: nach Ordnung und Weisheit, nach Besonnenheit und Maass strebe ich im äusseren Thun. Warum sollte ich auch verschmähen, was sich leicht und gern darbietet, und willig hervorgeht aus meinem inneren Wesen und Handeln? Ohne Mühe gewinnt das Alles in reichem Maasse, wer die Welt anschaut; aber durch das Anschauen seiner selbst gewinnt der Mensch, dass sich ihm nicht nähern darf Muthlosigkeit und Schwäche: denn dem Bewusstsein der inneren Freiheit und ihres Handelns entspriesst ewige Jugend und Freude. Dies habe ich ergriffen, und lasse es nimmer, und so sehe ich lächelnd schwinden der Augen Licht, und keimen das weisse Haar zwischen den blonden Locken. Nichts, was geschehen kann, mag mir das Herz beklemmen: frisch bleibt der Puls des inneren Lebens bis an den Tod.


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