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(Zuerst erschienen in »Die Naturwissenschaften«, 19. Jahrgang, Berlin, 1931).
Unendlich ist die Zahl der denkbaren, logisch möglichen physikalischen Welten; aber die menschliche Phantasie erweist sich als erstaunlich arm, wenn sie neue Möglichkeiten darin auszudenken und durchzudenken versucht. Ihr Vorstellungsvermögen ist so fest an die anschaulichen Verhältnisse der gröberen Erfahrung gebunden, daß es sich auf eigene Faust kaum einen Schritt von dieser entfernen kann; erst der strenge Zwang der feineren wissenschaftlichen Erfahrung vermag das Denken von seinen gewohnten Standpunkten weiter fortzuziehen. Das bunteste Märchenreich der 1001 Nächte ist nur aus den Bausteinen der Welt des täglichen Lebens durch im Grunde ganz geringfügige Umgruppierungen des vertrauten Materials gebildet. Und wenn man die kühnsten und tiefsten philosophischen Systeme genauer betrachtet, so sieht man, daß von ihnen schließlich dasselbe gilt: war es beim Dichter ein Bauen mit anschaulichen Bildern, so ist es beim Philosophen ein Konstruieren mit abstrakten, aber doch gewohnten Begriffen, aus denen mit Hilfe ziemlich durchsichtiger Kombinationsprinzipien neue Gebilde geformt werden.
Auch der Physiker verfährt bei seinen Hypothesenbildungen zunächst nicht anders. Das zeigt besonders die Zähigkeit, mit der er jahrhundertelang an dem Glauben festhielt, daß zur Naturerklärung eine Nachbildung der Prozesse durch sinnlich-anschaulich vorstellbare Modelle nötig sei, so daß er z. B. den Lichtäther immer wieder mit den Eigenschaften sichtbarer und greifbarer Substanzen ausstatten wollte, obgleich nicht der geringste Grund dazu vorlag. Erst wenn die beobachteten Tatsachen ihm die Verwendung neuer Begriffssysteme nahelegen oder aufdrängen, sieht er die neuen Wege und reißt sich von seinen bisherigen Denkgewohnheiten los – dann aber auch bereitwillig, und leicht macht er den Sprung etwa zum Riemannschen Raume oder zur Einstein schen Zeit, zu Konzeptionen so kühn und tief, wie sie weder die Phantasie eines Dichters noch der Intellekt irgendeines Philosophen zu antezipieren vermocht hätte.
Die Wendung, zu der die Physik der letzten Jahre in der Frage der Kausalität gelangt ist, konnte ebenfalls nicht vorausgesehen werden. Soviel auch über Determinismus und Indeterminismus, über Inhalt, Geltung und Prüfung des Kausalprinzips philosophiert wurde – niemand ist gerade auf diejenige Möglichkeit verfallen, welche uns die Quantenphysik als den Schlüssel anbietet, der die Einsicht in die Art der kausalen Ordnung öffnen soll, die in der Wirklichkeit tatsächlich besteht. Erst nachträglich erkennen wir, wo die neuen Ideen von den alten abzweigen, und wundern uns vielleicht ein wenig, früher an der Kreuzungsstelle immer achtlos vorbeigegangen zu sein. Jetzt aber, nachdem die Fruchtbarkeit der quantentheoretischen Begriffe durch die außerordentlichen Erfolge ihrer Anwendung dargetan ist und wir schon einige Jahre Gelegenheit zur Gewöhnung an die neuen Ideen gehabt haben, jetzt dürfte der Versuch nicht mehr verfrüht sein, zur philosophischen Klarheit über den Sinn und die Tragweite der Gedanken zu kommen, welche die gegenwärtige Physik zum Kausalproblem beiträgt.
Die Bemerkung, daß philosophische Betrachtungen infolge ihrer engen Bindung an das vorhandene Gedankenmaterial die später gefundenen Möglichkeiten nicht voraussahen, gilt auch von den Erwägungen, die ich vor mehr als zehn Jahren vorgetragen habe (Naturwiss., 1920, 461 ff.). Dennoch ist es vielleicht nicht unzweckmäßig, an einigen Punkten an die älteren Überlegungen anzuknüpfen; der inzwischen erzielte Fortschritt kann dadurch nur um so deutlicher werden.
Es gilt zunächst festzustellen, was der Naturforscher eigentlich meint, wenn er von »Kausalität« spricht. Wo gebraucht er dieses Wort? Offenbar überall da, wo er eine »Abhängigkeit« zwischen irgendwelchen Ereignissen annimmt. (Daß nur Ereignisse, nicht etwa »Dinge«, als Glieder eines Kausalverhältnisses in Frage kommen, versteht sich heute von selbst, denn die Physik baut die vierdimensionale Wirklichkeit aus Ereignissen auf und betrachtet »Dinge«, etwa dreidimensionale Körper, als bloße Abstraktionen.) Was bedeutet aber »Abhängigkeit«? Sie wird in der Wissenschaft jedenfalls immer durch ein Gesetz ausgedrückt; Kausalität ist demnach nur ein anderes Wort für das Bestehen eines Gesetzes. Den Inhalt des Kausal prinzips bildet nun offenbar die Behauptung, daß alles in der Welt gesetzmäßig geschieht; es ist ein und dasselbe, ob wir die Geltung des Kausalprinzips behaupten oder das Bestehen des Determinismus. Um den Kausalsatz oder die deterministische These formulieren zu können, müssen wir zuerst definiert haben, was unter einem Naturgesetz oder unter der »Abhängigkeit« der Naturvorgänge voneinander zu verstehen ist. Denn erst wenn wir dies wissen, können wir den Sinn des Determinismus verstehen, welcher besagt, daß jedes Ereignis Glied einer Kausalbeziehung sei, daß jeder Vorgang zur Gänze von anderen Vorgängen abhängig sei. (Ob nicht der Versuch, eine Aussage über »alle« Naturvorgänge zu machen, zu logischen Schwierigkeiten führen könnte, soll dabei unerörtert bleiben.)
Wir unterscheiden also jedenfalls die Frage nach der Bedeutung des Wortes »Kausalität« oder »Naturgesetz« von der Frage nach der Geltung des Kausalprinzips oder Kausalsatzes und beschäftigen uns zunächst allein mit der ersten Frage.
Die Unterscheidung, die wir damit machen, fällt sachlich mit derjenigen zusammen, die H. Reichenbach in seiner Arbeit »Die Kausalstruktur der Welt« (Sitzungsbericht d. bayer. Akad. d. Wiss., Math, physik. Kl., 1925, 133) an den Anfang seiner Untersuchung stellt. Er spricht dort von dem Unterschied zweier »Formen der Kausalhypothese«. Die erste nennt er die »Implikationsform«. Sie liegt vor, »wenn die Physik Gesetze aufstellt, d. h. Aussagen macht von der Form: ›wenn A ist, dann ist B‹«. Die zweite ist die »Determinationsform der Kausalhypothese«; sie ist identisch mit dem Determinismus, welcher besagt, daß der Ablauf der Welt als Ganzes »unveränderlich feststehe, daß mit einem einzigen Querschnitt der vierdimensionalen Welt Vergangenheit und Zukunft völlig bestimmt seien«. Mir scheint es einfacher und treffender, den gedachten Unterschied als den Unterschied zwischen Kausalbegriff und Kausalprinzip zu charakterisieren.
Es handelt sich jetzt also um den Inhalt des Kausalbegriffs. Wann sagen wir, daß ein Vorgang A einen anderen B »bestimme«, daß B von A »abhänge«, daß B mit A durch ein Gesetz verknüpft sei? Was bedeuten in dem Satz ›wenn A, so B‹ die das Kausalverhältnis anzeigenden Worte ›wenn – so‹?
In der Sprache der Physik wird ein Naturvorgang dargestellt als ein Verlauf von Werten bestimmter physikalischer Größen. Wir merken schon hier an, daß natürlich in dem Verlauf immer nur eine endliche Zahl von Werten gemessen werden kann, daß also die Erfahrung immer nur eine diskrete Mannigfaltigkeit von Beobachtungszahlen liefert, und ferner, daß jeder Wert als mit einer bestimmten Ungenauigkeit behaftet angesehen wird.
Es sei uns nun eine Menge solcher Beobachtungszahlen gegeben, und wir fragen ganz allgemein: Wie muß diese Menge beschaffen sein, damit wir sagen, es sei durch sie ein gesetzmäßiger Verlauf dargestellt, es bestehe eine kausale Beziehung zwischen den beobachteten Größen? Wir dürfen dabei voraussetzen, daß die Daten bereits eine natürliche Ordnung besitzen, nämlich die räumlich-zeitliche, d. h. jeder Größenwert bezieht sich auf eine bestimmte Stelle des Raumes und der Zeit. Es ist zwar richtig, daß wir erst mit Hilfe kausaler Betrachtungen dazu gelangen, den Ereignissen ihre definitive Stelle in der physikalischen Raum-Zeit anzuweisen, indem wir von der phänomenalen Raum-Zeit, welche die natürliche Ordnung unserer Erlebnisse darstellt, zur physikalischen Welt übergehen; aber diese Komplikation kann außer Betracht bleiben für unsere Überlegungen, die sich ganz auf den Bereich des physikalischen Kosmos beschränken. Als fundamentalste Voraussetzung liegt ferner eine Annahme zugrunde, auf die ich nur im Vorübergehen hinweise, da sie in einer früheren Arbeit bereits besprochen wurde (l. c, Seite 463): es ist die Voraussetzung, daß in der Natur irgendwelche »Gleichheiten« auftreten in dem Sinne, daß verschiedene Weltbezirke überhaupt miteinander vergleichbar sind, so daß wir z. B. sagen können: »dieselbe« Größe, die an diesem Orte den Wert f 1 hat, hat an jenem Ort den Wert f 2. Die Vergleichbarkeit ist also eine der Vorbedingungen der Meßbarkeit. Es ist nicht leicht, den eigentlichen Sinn dieser Voraussetzung anzugeben, wir dürfen aber hier darüber hinweggehen, da diese letzte Analyse für unser Problem gleichfalls irrelevant ist.
Nach diesen Bemerkungen reduziert sich unsere Frage nach dem Inhalt des Kausalbegriffes auf diese: Was für eine Eigenschaft muß die räumlich-zeitlich geordnete Menge der Größenwerte haben, damit sie als Ausdruck eines »Naturgesetzes« aufgefaßt wird? Diese Eigenschaft kann nichts anderes sein als wieder eine Ordnung, und zwar, da die Ereignisse extensiv in Raum und Zeit bereits geordnet sind, eine Art von intensiver Ordnung. Diese Ordnung muß in einer zeitartigen Richtung stattfinden, denn bekanntlich sprechen wir bei einer Ordnung in raumartiger Richtung (populär ausgedrückt: bei »gleichzeitigen«, koexistierenden Ereignissen) nicht von Kausalität; der Begriff des Wirkens findet dort keine Anwendung. Regelmäßigkeiten in raumartiger Richtung, falls es solche geben sollte, würde man »Koexistenzgesetze« nennen.
Nach Beschränkung auf die Zeitdimension müssen wir aber nun, glaube ich, sagen: Jede Ordnung der Ereignisse in der Zeitrichtung, welcher Art sie auch sonst sein möge, ist als kausale Beziehung aufzufassen. Nur das vollständige Chaos, gänzliche Regellosigkeit, wäre als akausales Geschehen, als reiner Zufall zu bezeichnen; jede Spur einer Ordnung würde schon Abhängigkeit, also Kausalität bedeuten. Ich glaube, daß diese Verwendung des Wortes »kausal« einen besseren Anschluß an den natürlichen Sprachgebrauch ergibt, als wenn man das Wort, wie es viele naturphilosophische Autoren zu tun scheinen, auf eine solche Ordnung beschränken würde, die wir etwa als »Vollkausalität« bezeichnen könnten, womit so etwas wie »völlige Determiniertheit« des betrachteten Geschehens gemeint sein soll (wir können uns natürlich hier nur inexakt ausdrücken). Wollte man die Bedeutung des Wortes auf Vollkausalität einschränken, so setzte man sich der Gefahr aus, in der Natur überhaupt keine Verwendung dafür zu finden, während wir doch das Bestehen von Kausalität in irgendeinem Sinne als Erfahrungstatsache vorfinden. Und die Grenze zwischen Gesetz und Zufall an irgendeiner anderen Stelle zu ziehen, wäre erst recht kein Anlaß.
Die einzige Alternative, vor der wir stehen, ist also: Ordnung oder Unordnung? Identisch mit Ordnung ist Kausalität und Gesetz, identisch mit Unordnung Regellosigkeit und Zufall.
Das bisherige Resultat scheint also zu sein: ein durch eine Menge von Größenwerten beschriebener Naturvorgang heißt kausal oder gesetzmäßig, wenn jene Werte in zeitartiger Richtung überhaupt irgendeine Ordnung aufweisen. Diese Definition wird aber erst sinnvoll, wenn wir wissen, was unter »Ordnung« zu verstehen ist, wie sie sich vom Chaos unterscheidet. Eine höchst bedenkliche Frage!
Daß wir im täglichen Leben wie in der Wissenschaft den Unterschied zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Gesetzmäßigkeit und Regellosigkeit ziemlich deutlich machen, ist sicher. Wie sollen wir ihn fassen? Im ersten Augenblick scheint die Antwort nicht so schwer zu sein. Wir brauchen ja, so scheint es, nur nachzusehen, auf welche Weise die Physik tatsächlich Naturgesetze darstellt, in welcher Form sie die Abhängigkeit von Ereignissen beschreibt. Nun, diese Form ist die mathematische Funktion. Die Abhängigkeit eines Ereignisses von anderen wird dadurch ausgedrückt, daß die Werte eines Teiles der Zustandsgrößen als Funktionen der übrigen dargestellt werden. Jede Ordnung von Zahlen wird mathematisch durch eine Funktion dargestellt; und so scheint es, als ob das gesuchte Kennzeichen der Ordnung, das sie von der Regellosigkeit unterscheidet, die Ausdrückbarkeit durch eine Funktion sei.
Aber kaum ist dieser Gedanke der Identität von Funktion und Gesetz ausgesprochen, so sieht man auch schon, daß er unmöglich richtig sein kann. Denn wie immer die Verteilung der gegebenen Größen sein möge: es lassen sich bekanntlich stets Funktionen finden, welche gerade diese Verteilung mit beliebiger Genauigkeit darstellen. Und dies bedeutet, daß jede beliebige Verteilung der Größen, jede nur denkbare Folge von Werten als eine Ordnung anzusehen wäre. Es gäbe kein Chaos.
Auf diese Weise gelingt es also nicht, Kausalität von Zufall, Ordnung von Unordnung zu unterscheiden und Regel und Gesetz zu definieren. Es scheint nur übrigzubleiben – und dieser Weg wurde auch in unseren früheren Betrachtungen eingeschlagen – an die Funktionen, welche die beobachteten Wertfolgen beschreiben, gewisse Anforderungen zu stellen und durch sie den Begriff der Ordnung festzulegen. Wir würden sagen müssen: Wenn die Funktionen, welche die Größenverteilung beschreiben, einen so und so bestimmten Bau haben, dann soll der dargestellte Ablauf als gesetzmäßig, sonst als ungeordnet gelten.
Damit sind wir in eine ziemlich verzweifelte Lage geraten, denn es ist klar, daß auf diesem Wege der Willkür Tor und Tür geöffnet wird, und eine auf so willkürlicher Basis ruhende Unterscheidung von Gesetz und Zufall könnte niemals befriedigen, es sei denn, es ließe sich eine so prinzipielle und scharfe Unterscheidung im Bau der Funktionen festlegen, die zugleich so sichere empirische Anwendungsmöglichkeit besäße, daß jedermann sie sogleich als die richtige Formulierung der Begriffe Gesetzmäßigkeit und Regellosigkeit anerkennen würde, wie man sie in der Wissenschaft zu verwenden pflegt.
Hier bieten sich sogleich zwei Wege dar, die man beide einzuschlagen versucht hat. Der erste wurde bereits von Maxwell benutzt, um die Kausalität zu definieren. Er besteht darin, daß wir vorschreiben: es dürfen in den Gleichungen, die den fraglichen Ablauf beschreiben, die Raum- und Zeitkoordinaten nicht explizite vorkommen. Diese Forderung ist dem Gedanken äquivalent, der populär in dem Satze ausgesprochen zu werden pflegt: Gleiche Ursachen, gleiche Wirkungen. In der Tat, sie bedeutet ja, daß ein Vorgang, der sich irgendwo und irgendwann in bestimmter Weise abspielt, an jedem beliebigen anderen Orte und zu jeder beliebigen Zeit unter denselben Bedingungen sich genau in derselben Weise abspielen wird; mit anderen Worten: die Vorschrift besagt die Allgemeingültigkeit des dargestellten Zusammenhanges. Die allgemeine Geltung ist aber, wie man längst erkannt hat, gerade das, was man bei den Naturgesetzen mit dem fragwürdigen Ausdruck »Notwendigkeit« bezeichnet, so daß es scheint, als wäre der wesentliche Charakter des Kausalverhältnisses durch diese Bestimmung richtig getroffen.
Zu der Maxwellschen Definition der Naturgesetzlichkeit, für die ich früher (an der mehrfach zitierten Stelle) selbst eingetreten bin, ist folgendes zu sagen:
Zweifellos tritt in der Physik der Gesetzesbegriff nur so auf, daß diese Forderung immer erfüllt ist; tatsächlich denkt kein Forscher daran, Naturgesetze aufzustellen, in denen ein ausdrücklicher Bezug auf bestimmte Ort- und Zeitstellen des Universums vorkäme. Träten Raum und Zeit in den physikalischen Gleichungen explizite auf, so würden sie eine ganz andere Bedeutung haben, als sie in unserer Welt tatsächlich besitzen; die für unser Weltbild schlechthin grundlegende Relativität von Raum und Zeit wäre dahin, und sie könnten nicht mehr die eigentümliche Rolle von »Formen« des Geschehens spielen, die sie in unserem Kosmos haben. Es stünde uns also wohl frei, die Maxwellsche Bedingung der Kausalität aufrechtzuerhalten – wäre sie aber eine notwendige Bedingung? Das werden wir kaum sagen dürfen, denn sicherlich ist eine Welt denkbar, in der alles Geschehen durch Formeln wiedergegeben werden müßte, in denen Raum und Zeit explizite auftreten, ohne daß wir leugnen würden, daß diese Formeln richtige Gesetze darstellen und daß diese Welt völlig geordnet wäre. Soviel ich sehe, wäre es z. B. denkbar, daß regelmäßige Messungen des Elementarquantums der Elektrizität (Elektronenladung) für diese Größe Werte ergeben würden, die ganz gleichmäßig, etwa in jeweils 7 Stunden, und wieder 7 Stunden, und dann in 10 Stunden, um 5 % auf und ab schwanken, ohne daß man auch nur die geringste »Ursache« dafür finden könnte; und darüber würde sich vielleicht noch eine andere Schwankung lagern, für die man eine absolute Ortsveränderung der Erde im Raume verantwortlich machen würde. Dann wäre die Maxwellsche Bedingung nicht erfüllt, aber man würde die Welt gewiß nicht ungeordnet finden, sondern ihre Gesetzmäßigkeit formulieren und mit ihrer Hilfe Voraussagen machen können. Wir werden deshalb zu der Ansicht neigen, daß die Maxwellsche Definition zu eng sei, und uns fragen, was denn wohl in dem soeben fingierten Falle als Kriterium der Gesetzmäßigkeit zu gelten habe.
Nun, das Entscheidende in dem gedachten Falle scheint zu sein, daß wir den Einfluß von Raum und Zeit so leicht berücksichtigen konnten, daß sie auf eine so einfache Weise in die Formeln eingehen. Würde nämlich in unserem Beispiele etwa die Elektronenladung sich jede Woche und Stunde ganz anders verhalten, in einer völlig »unregelmäßigen Kurve« verlaufen, so könnten wir zwar ihre Abhängigkeit von der Zeit hinterher immer noch durch eine Funktion darstellen, aber diese würde sehr kompliziert sein; wir würden dann sagen, daß keine Gesetzmäßigkeit vorliege, sondern daß die Schwankungen der Größe vom »Zufall « regiert würden. Fälle solcher Art brauchen wir nicht erst in Gedanken zu konstruieren, sondern die neuere Physik nimmt bekanntlich an, daß sie etwas ganz Alltägliches sind: die diskontinuierlichen Vorgänge im Atom, welche die Bohrsche Theorie als Sprünge eines Elektrons aus einer Bahn in eine andere deutete, werden als rein zufällig, als »ursachlos« aufgefaßt, obwohl wir uns ihr Eintreffen natürlich nachträglich als Funktion der Zeit aufgezeichnet denken können; aber diese Funktion wäre sehr kompliziert, nicht periodisch, nicht überschaubar, und nur deswegen sagen wir, daß keine Regelmäßigkeit bestehe. Sowie sich über die Sprünge die geringste einfache Behauptung aufstellen ließe, wenn z. B. die zeitlichen Abstände immer größer würden, so erschiene uns das sofort als eine Gesetzmäßigkeit, wenn auch die Zeit explizite in die Formel einginge.
Hiernach sieht es so aus, als ob wir von Ordnung, Gesetz, Kausalität immer dann sprechen, wenn der Ablauf der Erscheinungen durch Funktionen einfacher Gestalt beschrieben wird, während Kompliziertheit der Formel das Kennzeichen der Unordnung, der Gesetzlosigkeit, des Zufalls wäre. So gelangt man sehr leicht dazu, Kausalität durch die Einfachheit der beschreibenden Funktionen zu definieren. Einfachheit ist aber ein halb pragmatischer, halb ästhetischer Begriff. Wir können diese Definition deshalb vielleicht die ästhetische nennen. Auch ohne angeben zu können, was hier eigentlich mit »Einfachheit« gemeint ist, müssen wir es doch als Tatsache konstatieren, daß jeder Forscher, dem es gelungen ist, eine Beobachtungsreihe durch eine sehr einfache Formel (z. B. lineare, quadratische, Exponentialfunktion) darzustellen, sofort ganz sicher ist, ein Gesetz gefunden zu haben. Also hebt auch die ästhetische Definition, ebenso wie die Maxwellsche, offenbar ein Merkmal der Kausalität hervor, das wirklich als entscheidendes Kriterium angesehen wird. Für welchen der beiden Versuche, den Begriff der Gesetzmäßigkeit zu fassen, sollen wir uns entscheiden? Oder sollen wir durch Kombination von beiden eine neue Definition bilden?
Wir resümieren die Lage:
Für die Maxwellsche Definition spricht, daß alle bekannten Naturgesetze ihr tatsächlich genügen und daß sie als adäquater Ausdruck des Satzes »Gleiche Ursachen, gleiche Wirkungen« betrachtet werden kann. Gegen sie spricht, daß Fälle denkbar sind, in denen wir sicherlich Regelmäßigkeit sehen würden, ohne daß das Kriterium erfüllt wäre.
Für die »ästhetische« Definition spricht, daß sie auch für die eben gedachten Fälle noch zutrifft, in denen die andere versagt, und daß auch zweifellos im Betrieb der Wissenschaft selbst die »Einfachheit« der Funktionen als Kennzeichen von Ordnung und Gesetz benutzt wird. Gegen sie aber spricht, daß Einfachheit offenbar ein ganz relativer und unscharfer Begriff ist, so daß eine strenge Definition der Kausalität nicht erreicht wird und Gesetz und Zufall sich nicht genau voneinander unterscheiden lassen. Es wäre ja möglich, daß wir dies letztere eben in den Kauf nehmen müssen, daß ein »Naturgesetz« tatsächlich nicht etwas so scharf Faßbares ist, wie man zunächst denken möchte; aber eine solche Ansicht wird man gewiß erst annehmen, wenn man sicher ist, daß keine andere Möglichkeit bleibt.
Es ist sicher, daß man den Begriff der Einfachheit nicht anders als durch eine Konvention festlegen kann, die stets willkürlich bleiben muß. Wohl werden wir eine Funktion ersten Grades als einfacher zu betrachten geneigt sein als eine zweiten Grades, aber auch die letztere stellt zweifellos ein tadelloses Gesetz dar, wenn sie die Beobachtungsdaten mit weitgehender Genauigkeit beschreibt; die Newtonsche Gravitationsformel, in der das Quadrat der Entfernung auftritt, gilt doch gerade meist als Musterbeispiel eines einfachen Naturgesetzes. Man kann ferner z. B. übereinkommen, von allen stetigen Kurven, die durch eine vorgegebene Zahl von Punkten mit genügender Annäherung hindurchgehen, diejenige als die einfachste zu betrachten, die im Durchschnitt überall den größten Krümmungsradius aufweist (hierüber eine noch unveröffentlichte Arbeit von Marcel Natkin); aber solche Kunstgriffe erscheinen unnatürlich, und allein die Tatsache, daß es Grade der Einfachheit gibt, macht die auf sie gegründete Definition der Kausalität unbefriedigend.
Die Sachlage wird noch dadurch verschlimmert, daß es bekanntlich gar nicht auf die Einfachheit eines isolierten Naturgesetzes ankommt, sondern vielmehr auf die Einfachheit des Systems aller Naturgesetze; so hat z. B. die wahre Zustandsgleichung der Gase keineswegs die einfache Boyle-Mariottesche Form, wir wissen aber, daß gerade ihre komplizierte Gestalt sich durch ein besonders einfaches System von Elementargesetzen erklären läßt. Für die Einfachheit eines Formelsystems Regeln zu finden, dürfte aber prinzipiell noch viel schwieriger sein. Sie blieben stets vorläufig, so daß scheinbare Ordnung mit fortschreitender Erkenntnis sich als Unordnung herausstellen könnte.
So scheint weder das Maxwellsche noch das ästhetische Kriterium eine wirklich befriedigende Antwort auf die Frage zu geben, was Kausalität eigentlich sei: die erste erscheint zu eng, die zweite zu vag. Durch eine Kombination beider Versuche wird kein prinzipieller Fortschritt erreicht, und man sieht bald ein, daß die Mängel sich nicht durch irgendwelche Verbesserungen auf dem eingeschlagenen Wege beheben lassen. Die hervorgehobenen Unvollkommenheiten haben offenbar einen tiefliegenden Grund und das bringt uns auf den Gedanken, den bisherigen Ausgangspunkt einer Revision zu unterziehen und uns zu überlegen, ob wir denn mit unserer Fragestellung überhaupt auf dem richtigen Wege waren.
Wir gingen bisher davon aus, daß eine bestimmte Werteverteilung vorgegeben sei, und fragten: Wann stellt sie einen gesetzmäßigen, wann einen zufälligen Ablauf dar? Es könnte sein, daß sich diese Frage durch bloße Betrachtung der Werteverteilung überhaupt nicht beantworten läßt, sondern daß es notwendig ist, über diesen Bereich hinauszugehen.
Betrachten wir für einen Augenblick die Konsequenzen, die das über den Kausal begriff Gesagte für das Kausal prinzip hat! Wir denken uns in einem physikalischen System während einer bestimmten Zeit für möglichst viele Punkte des Innern und an den Grenzen die Zustandsgrößen durch Beobachtung möglichst genau festgelegt. Man pflegt nun zu sagen, das Kausalprinzip gelte, wenn aus dem Zustand des Systems während einer sehr kleinen Zeit und aus den Grenzbedingungen alle übrigen Zustände des Systems sich ableiten lassen. Eine solche Ableitung ist aber unter allen Umständen möglich, denn nach dem Gesagten kann man stets Funktionen finden, die alle beobachteten Werte mit beliebiger Genauigkeit darstellen, und sowie wir solche Funktionen haben, können wir mit ihrer Hilfe aus irgendeinem Zustande des Systems alle früheren oder späteren bereits beobachteten Zustände berechnen. Die Funktionen sind ja gerade so gewählt, daß sie eben alles in dem System Beobachtete darstellen. Mit anderen Worten: das Kausalprinzip wäre unter allen Umständen erfüllt. Ein Satz aber, der für jedes beliebige System gilt, wie es auch beschaffen sein möge, sagt überhaupt nichts über dieses System, er ist leer, er stellt eine bloße Tautologie dar, es ist zwecklos, ihn aufzustellen. Wenn also der Kausalsatz wirklich etwas sagen soll, wenn er einen Inhalt hat, so muß die Formulierung, von der wir ausgingen, falsch sein, denn sie hat sich als tautologisch herausgestellt. Fügen wir aber die Bedingungen hinzu, daß die benutzten Gleichungen die Raum- und Zeitkoordinaten nicht explizite enthalten sollen, oder daß sie sehr »einfach« sein sollen, so bekommt das Prinzip zwar einen wirklichen Inhalt, aber im ersten Fall gilt das Bedenken, daß wir einen zu engen Begriff der Kausalität formuliert haben; und im zweiten Fall würde das einzige Merkmal dies sein, daß die Berechnung leichter wäre; wir werden aber den Unterschied zwischen Chaos und Ordnung gewiß nicht so formulieren wollen, daß wir sagen, das erstere sei nur einem ausgezeichneten Mathematiker zugänglich, die letztere schon einem mittelmäßigen.
Wir müssen also von neuem beginnen und den Sinn des Kausalsatzes auf einem anderen Wege zu fassen suchen. Unser bisheriger Fehler war, daß wir uns nicht genau genug an das tatsächliche Verfahren hielten, durch das man in der Wissenschaft tatsächlich prüft, ob Vorgänge voneinander abhängig sind oder nicht, ob ein Gesetz, ein kausaler Ablauf vorliegt oder nicht. Wir untersuchten bisher nur die Art, wie ein Gesetz aufgestellt wird; um aber seinen eigentlichen Sinn kennenzulernen, muß man zusehen, wie es geprüft wird. Es gilt ganz allgemein, daß uns der Sinn eines Satzes immer nur durch die Art seiner Verifikation offenbart wird. Wie also geschieht die Prüfung?
Nachdem es uns gelungen ist, eine Funktion zu finden, welche eine Menge von Beobachtungsresultaten befriedigend miteinander verbindet, sind wir im allgemeinen noch keineswegs zufrieden, auch dann nicht, wenn die gefundene Funktion einen sehr einfachen Bau hat; sondern nun kommt erst die Hauptsache, die unsere bisherigen Betrachtungen noch nicht berührt hatten: wir sehen nämlich zu, ob die erhaltene Formel nun auch solche Beobachtungen richtig darstellt, die wir zur Gewinnung der Formel noch nicht benutzt hatten. Für den Physiker als Erforscher der Wirklichkeit ist es das einzig Wichtige, das schlechthin Entscheidende und Wesentliche, daß die aus irgendwelchen Daten abgeleiteten Gleichungen sich nun auch für neue Daten bewähren. Erst wenn dies der Fall ist, hält er seine Formel für ein Naturgesetz. Mit anderen Worten: Das wahre Kriterium der Gesetzmäßigkeit, das wesentliche Merkmal der Kausalität ist das Eintreffen von Voraussagen.
Unter dem Eintreffen einer Voraussage ist nach dem Gesagten nichts anderes zu verstehen als die Bewährung einer Formel für solche Daten, die zu ihrer Aufstellung nicht verwendet wurden. Ob diese Daten schon vorher beobachtet worden waren oder erst nachträglich festgestellt werden, ist dabei vollständig gleichgültig. Dies ist eine Bemerkung von großer Wichtigkeit: Vergangene und zukünftige Daten sind in dieser Hinsicht vollständig gleichberechtigt, die Zukunft ist nicht ausgezeichnet; das Kriterium der Kausalität ist nicht Bewährung in der Zukunft, sondern Bewährung überhaupt.
Daß die Prüfung eines Gesetzes erst erfolgen kann, nachdem das Gesetz aufgestellt ist, versteht sich von selbst, aber dadurch ist keine Auszeichnung der Zukunft gegeben; das Wesentliche ist, daß es gleichgültig ist, ob die verifizierenden Daten in der Vergangenheit oder Zukunft liegen; nebensächlich ist, wann sie bekannt oder zur Verifikation benutzt werden. Die Bewährung bleibt dieselbe, ob nun ein Datum bereits vor der Aufstellung einer Theorie bekannt war, wie die Anomalie der Merkurbewegung, oder durch die Theorie prophezeit wurde, wie die Rotverschiebung der Spektrallinien. Nur für die Anwendung der Wissenschaft, für die Technik, ist es von fundamentaler Bedeutung, daß die Naturgesetze Künftiges, noch von niemandem Beobachtetes vorauszusagen gestatten. So haben denn ältere Philosophen, Bacon, Hume, Comte, längst gewußt, daß Wirklichkeitserkenntnis zusammenfällt mit der Möglichkeit von Voraussagen. Sie haben also im Grunde das Wesentliche der Kausalität richtig erfaßt.
Wenn wir das Eintreffen von Voraussagen als wahres Kennzeichen eines Kausalverhältnisses anerkennen – und mit einer alsbald zu erwähnenden wichtigen Einschränkung werden wir es anerkennen müssen –, so ist damit zugleich zugestanden, daß die bisherigen Definitionsversuche nicht mehr in Betracht kommen. In der Tat, wenn wir wirklich neue Beobachtungen richtig voraussagen können, so ist es vollkommen gleichgültig, wie die Formeln gebaut waren, mit denen wir das zustande brachten, ob sie einfach oder kompliziert erscheinen, ob Zeit und Raum explizite auftreten oder nicht. Sobald jemand die neuen Beobachtungsdaten aus den alten berechnen kann, werden wir zugeben, daß er die Gesetzmäßigkeit der Vorgänge durchschaut hat; Voraussage ist also ein hinreichendes Merkmal der Kausalität.
Daß die Bewährung aber auch ein notwendiges Merkmal ist und daß das Maxwellsche und das ästhetische Kriterium nicht ausreichen, erkennt man leicht, wenn man sich den Fall ausmalt, daß man für einen bestimmten beobachteten Vorgang eine sehr genau geltende Formel von außerordentlicher Einfachheit gefunden hatte, daß aber diese Formel sofort versagte, wenn wir sie auf den weiteren Verlauf des Vorganges, also auf neue Beobachtungen anzuwenden versuchten. Wir würden dann offenbar sagen, die einmalige Verteilung der Größenwerte habe uns eine Abhängigkeit der Naturereignisse vorgetäuscht, die in Wirklichkeit gar nicht bestehe; es sei vielmehr bloßer Zufall gewesen, daß jener Ablauf sich durch einfache Formeln beschreiben ließ; daß kein Naturgesetz vorliege, werde eben dadurch bewiesen, daß unsere Formel keiner Prüfung standhalte, denn bei dem Versuch, die Beobachtungen zu wiederholen, findet der Ablauf ja ganz anders statt, die Formel paßt nicht mehr. Eine zweite Alternative scheint allerdings die zu sein, daß man sagt, das Gesetz habe zwar während der einmaligen Beobachtungsreihe gegolten, dann aber zu bestehen aufgehört; es ist aber klar, daß dies nur eine andere Sprechweise für das tatsächliche Fehlen einer Gesetzmäßigkeit wäre, die Allgemeingültigkeit des Gesetzes wäre doch negiert; die beobachtete einmalige »Regelmäßigkeit« wäre gar keine, sondern Zufall. Die Bestätigung von Voraussagen ist also das einzige Kriterium der Kausalität; nur durch sie spricht die Wirklichkeit zu uns; das Aufstellen von Gesetzen und Formeln ist reines Menschenwerk.
Hier muß ich zwei Bemerkungen einschalten, die unter sich zusammenhängen und von prinzipieller Wichtigkeit sind. Erstens sagte ich bereits vorhin, daß wir die »Bewährung« einer Regelmäßigkeit doch nur mit einer Einschränkung als hinreichendes Merkmal der Kausalität anerkennen dürfen: diese Einschränkung besteht darin, daß die Bestätigung einer Voraussage das Vorliegen von Kausalität im Grunde niemals beweist, sondern immer nur wahrscheinlich macht. Spätere Beobachtungen können ja das vermeintliche Gesetz stets Lügen strafen, und dann müßten wir sagen, daß es »nur zufällig gestimmt hat«. Eine endgültige Verifikation ist also, prinzipiell gesprochen, unmöglich. Wir entnehmen daraus, daß eine Kausalbehauptung logisch überhaupt nicht den Charakter einer Aussage hat, denn eine echte Aussage muß sich endgültig verifizieren lassen. Wir kommen gleich kurz darauf zurück, ohne doch hier, wo wir nicht Logik treiben, das scheinbare Paradoxon ganz aufklären zu können.
Die zweite Bemerkung bezieht sich darauf, daß zwischen dem Kriterium der Bewährung und den beiden vorhin verworfenen Definitionsversuchen doch ein merkwürdiger Zusammenhang besteht. Er liegt einfach darin, daß tatsächlich die verschiedenen Kennzeichen Hand in Hand gehen: gerade von denjenigen Formeln, die dem Maxwellschen Kriterium genügen und außerdem durch die ästhetische Einfachheit ausgezeichnet sind, erwarten wir mit großer Sicherheit, daß sie sich bewähren werden, daß die mit ihrer Hilfe gemachten Aussagen eintreffen – und wenn wir auch darin manchmal enttäuscht werden, so ist es doch Tatsache, daß die Gesetze, die sich wirklich als gültig herausgestellt haben, immer auch von einer tiefen Einfachheit waren, und die Maxwellsche Definition erfüllten sie immer. Was es mit dieser »Einfachheit« auf sich habe, ist allerdings schwer zu formulieren, und es wurde mit dem Gedanken viel Mißbrauch getrieben, wir wollen kein zu großes Gewicht darauf legen. Daß wir uns viel »einfachere« Welten als die unserige denken können, ist gewiß. Es gibt auch eine »Einfachheit«, die allein eine Sache der Darstellung ist, d. h. zu dem Symbolismus gehört, durch den wir die Tatsachen ausdrücken; ihre Betrachtung führt auf die Frage des »Konventionalismus« und interessiert uns in diesem Zusammenhange nicht.
Jedenfalls sehen wir: entspricht eine Formel den beiden zuerst aufgestellten und unzureichend befundenen Kriterien, so halten wir es für wahrscheinlich, daß sie wirklich der Ausgleich eines Gesetzes, einer tatsächlich bestehenden Ordnung ist, daß sie sich also bewähren wird. Hat sie sich bewährt, so halten wir es wiederum für wahrscheinlich, daß sie sich auch weiter bewähren wird (und zwar ist gemeint: ohne Einführung neuer Hypothesen. Denn die physikalischen Gesetze sind im allgemeinen so gebaut, daß sie sich durch ad hoc neu eingeführte Hypothesen immer aufrechterhalten lassen; werden diese aber zu kompliziert, so sagt man, das Gesetz besteht doch nicht, man habe die richtige Ordnung noch nicht gefunden). Das Wort Wahrscheinlichkeit, das wir hier verwenden, bezeichnet übrigens etwas völlig anderes als den Begriff, der in der Wahrscheinlichkeitsrechnung behandelt wird und in der statistischen Physik auftritt (vgl. hierüber F. Waismann, Logische Analyse das Wahrscheinlichkeitsbegriffes, Erkenntnis I, Seite 238, mit dessen Ausführungen ich mich prinzipiell vollständig identifiziere).
Um der logischen Sauberkeit willen (um diese ist es dem Philosophen in erster Linie zu tun) ist es von höchster Wichtigkeit, sich die Sachlage genau zu vergegenwärtigen. Es hat sich gezeigt, daß im Grunde Kausalität in dem Sinne überhaupt nicht definierbar ist, daß man bei einem vorgegebenen Ablauf auf die Frage antworten könnte: war er kausal oder nicht? Nur in bezug auf den einzelnen Fall, auf die einzelne Verifikation kann man sagen: es verhält sich so, wie die Kausalität es fordert. Für das Weiterkommen in der Naturerkenntnis (um diese ist es dem Physiker in erster Linie zu tun) genügt dies zum Glück durchaus. Wenn ein paar Verifikationen – unter Umständen eine einzige – geglückt sind, so bauen wir praktisch fest auf das verifizierte Gesetz mit der Zuversicht, mit der wir kein Bedenken tragen, unser Leben einem nach den Naturgesetzen konstruierten Motor anzuvertrauen.
Es ist ja oft bemerkt worden, daß man von einer absoluten Verifikation eines Gesetzes eigentlich nie sprechen kann, da wir sozusagen stets stillschweigend den Vorbehalt machen, es auf Grund späterer Erfahrungen modifizieren zu dürfen. Wenn ich nebenbei ein paar Worte über die logische Situation sagen darf, so bedeutet der eben erwähnte Umstand, daß ein Naturgesetz im Grunde auch nicht den logischen Charakter einer »Aussage« trägt, sondern vielmehr eine »Anweisung zur Bildung von Aussagen« darstellt. (Diesen Gedanken und Terminus verdanke ich Ludwig Wittgenstein.) Wir hatten das oben schon von der Kausalbehauptung angedeutet, und in der Tat ist eine Kausalbehauptung identisch mit einem Gesetz: die Behauptung »der Energiesatz gilt« sagt z. B. nicht mehr und nicht weniger über die Natur als das, was der Energiesatz selbst sagt. Prüfbar sind bekanntlich immer nur die Einzelaussagen, die aus einem Naturgesetz abgeleitet werden, und diese haben stets die Form: »unter den und den Umständen wird dieser Zeiger auf jenen Skalenstrich weisen«, »unter den und den Umständen tritt an dieser Stelle der photographischen Platte eine Schwärzung ein«, und ähnlich. Von dieser Art sind die verifizierbaren Aussagen, von dieser Art ist jede Verifikation.
Die Verifikation überhaupt, das Eintreffen einer Voraussage, die Bewährung in der Erfahrung, ist also das Kriterium der Kausalität schlechthin, und zwar in dem praktischen Sinne, in dem allein von der Prüfung eines Gesetzes gesprochen werden kann. In diesem Sinne aber ist die Frage nach dem Bestehen der Kausalität prüfbar. Es kann kaum genug betont werden, daß die Bewährung durch die Erfahrung, das Eintreffen einer Prophezeiung ein Letztes, nicht weiter Analysierbares ist. Es läßt sich durchaus nicht in irgendwelchen Sätzen sagen, wann sie eintreten muß, sondern es muß einfach abgewartet werden, ob sie eintritt oder nicht.
In den bisherigen Überlegungen wurde nichts anderes ausgesprochen, als was sich nach meiner Meinung aus dem Verfahren des Naturforschers herauslesen läßt; es wurde nicht irgendein Kausalbegriff konstruiert, sondern nur die Rolle festgestellt, die er in der Physik tatsächlich spielt. Das Verhalten der Mehrzahl der Physiker gegenüber gewissen Ergebnissen der Quantentheorie beweist nun, daß sie das Wesentliche der Kausalität tatsächlich gerade dort sehen, wo auch die vorstehenden Betrachtungen es fanden, nämlich in der Möglichkeit der Voraussage. Wenn die Physiker behaupten, daß eine genaue Geltung des Kausalprinzips mit der Quantentheorie nicht vereinbar sei, so liegt der Grund, ja der Sinn dieser Behauptung einfach darin, daß jene Theorie genaue Voraussagen unmöglich macht. Dies müssen wir uns recht klarzumachen suchen.
Auch in der gegenwärtigen Physik ist es als Sprechweise mit unten zu erwähnenden Einschränkungen wohl erlaubt zu sagen, daß jedes physikalische System als ein System von Protonen und Elektronen anzusehen sei, und daß sein Zustand dadurch vollkommen bestimmt sei, daß zu jeder Zeit Ort und Impuls sämtlicher Partikel bekannt sei. Nun wird bekanntlich in der Quantentheorie eine gewisse Formel abgeleitet – es ist die sogenannte »Ungenauigkeitsrelation« von Heisenberg –, welche lehrt, daß es unmöglich ist, für eine Partikel beide Bestimmungsstücke, Ort und Geschwindigkeit, mit beliebig großer Genauigkeit anzugeben, sondern je schärfer der Wert der einen Koordinate festgelegt ist, eine desto größere Ungenauigkeit muß man bei der Angabe der anderen in den Kauf nehmen. Wissen wir etwa, daß die Ortskoordinate innerhalb eines kleinen Intervalles ∆p liegt, so läßt sich die Geschwindigkeitskoordinate q nur so genau angeben, daß ihr Wert bis auf ein Intervall ∆q unbestimmt bleibt, und zwar so, daß das Produkt ∆p. ∆q von der Größenordung des Planckschen Wirkungsquantums h ist. Prinizpiell könnte also die eine Koordinate mit beliebig großer Schärfe bestimmt werden, ihre absolut genaue Beobachtung würde aber zur Folge haben, daß wir über die andere Koordinate schlechthin gar nichts mehr sagen könnten.
Diese Unbestimmtheitsrelation ist so oft, auch in populärer Form, dargestellt worden, daß wir die Situation nicht näher zu schildern brauchen; uns muß es darauf ankommen, ihren eigentlichen Sinn restlos genau zu verstehen. Wenn wir nach dem Sinn irgendeines Satzes fragen, so heißt das immer – nicht nur in der Physik –: durch welche besonderen Erfahrungen prüfen wir seine Wahrheit? Wenn wir also z. B. den Ort eines Elektrons durch Beobachtung mit einer Ungenauigkeit ∆p bestimmt denken, was bedeutet es dann, wenn ich etwa sage, die Richtung der Geschwindigkeit dieses Elektrons lasse sich nur mit einer Ungenauigkeit ∆ϑ angeben? Wie stelle ich fest, ob diese Behauptung wahr oder falsch ist?
Nun, daß ein Teilchen in einer bestimmten Richtung geflogen ist, läßt sich schlechterdings nur dadurch prüfen, daß es in einem bestimmten Punkte ankommt. Die Geschwindigkeit eines Teilchens angeben, heißt absolut nichts anderes als voraussagen, daß es nach einer gewissen Zeit in einem gewissen Punkte eintreffen wird. »Die Ungenauigkeit der Richtung beträgt ∆ϑ« bedeutet: bei einem bestimmten Versuch werde ich das Elektron innerhalb des Winkels ∆ϑ antreffen, ich weiß aber nicht, wo daselbst. Und wenn ich »denselben« Versuch immer wiederhole, so werde ich das Elektron immer an verschiedenen Punkten innerhalb des Winkels vorfinden, nie aber weiß ich vorher, an welchem Punkte. Würde der Ort der Korpuskel mit absoluter Genauigkeit betrachtet, so hätte dies zur Folge, daß wir nun prinzipiell überhaupt nicht mehr wissen, in welcher Richtung das Elektron nach einer kleinen Zeit anzutreffen sein wird. Nur spätere Beobachtung könnte uns nachträglich darüber belehren, und bei sehr häufiger Wiederholung »desselben« Experimentes müßte sich zeigen, daß im Durchschnitt keine Richtung ausgezeichnet ist.
Die Tatsache, daß man Ort und Geschwindigkeit eines Elektrons nicht beide völlig genau messen kann, pflegt man so auszudrücken, daß man sagt, es sei unmöglich, den Zustand eines Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt vollständig anzugeben, und deshalb werde das Kausalprinzip unanwendbar. Da dieses nämlich behaupte, daß die künftigen Zustände des Systems durch seinen Anfangszustand bestimmt seien, da es also voraussetze, daß der Anfangszustand prinzipiell genau angebbar sei, so breche das Kausalprinzip zusammen, denn diese Voraussetzung sei eben nicht erfüllt. Ich möchte diese Formulierung nicht für falsch erklären, aber sie erscheint mir doch unzweckmäßig, weil sie den wesentlichsten Punkt nicht deutlich zum Ausdruck bringt. Wesentlich aber ist, daß man einsieht: die Unbestimmtheit, von der in der Heisenberg-Relation die Rede ist, ist in Wahrheit eine Unbestimmtheit der Voraussage.
Es steht prinzipiell nichts im Wege (dies betont z. B. auch Eddington in ähnlichem Gedankenzusammenhang), den Ort eines Elektrons zweimal zu zwei beliebig nahe beieinanderliegenden Zeitpunkten zu bestimmen und diese beiden Messungen als einer Orts- und Geschwindigkeitsmessung äquivalent zu betrachten, aber der springende Punkt ist: mit Hilfe der so erlangten Daten über einen Zustand sind wir niemals imstande, einen zukünftigen Zustand genau vorauszusagen. Würden wir nämlich durch die beobachteten Orte und Zeiten eine Geschwindigkeit des Elektrons in der üblichen Weise definieren (durchlaufene Strecke dividiert durch die Zeit), so wäre doch im nächsten Augenblick seine Geschwindigkeit eine andere, weil ja bekanntlich angenommen werden muß, daß seine Bahn durch den Akt der Beobachtung in ganz unkontrollierbarer Weise gestört wird. Nur dies ist der wahre Sinn der Behauptung, daß ein Momentanzustand nicht genau festlegbar sei, nur die Unmöglichkeit der Voraussage ist also tatsächlich der Grund, warum der Physiker ein Versagen des Kausalsatzes für vorliegend erachtet.
Es ist also zweifellos, daß die Quantenphysik das Kriterium der Kausalität genau dort findet, wo auch wir es entdeckt haben, und von einem Scheitern des Kausalprinzips nur deshalb spricht, weil es unmöglich geworden ist, beliebig genaue Voraussagen zu machen. Ich zitiere M. Born (Naturwiss. 17, 117 [1929]): »Die Unmöglichkeit, alle Daten eines Zustandes exakt zu messen, verhindert die Vorherbestimmung des weiteren Ablaufs. Dadurch verliert das Kausalitätsprinzip in seiner üblichen Fassung jeden Sinn. Denn wenn es prinzipiell unmöglich ist, alle Bedingungen (Ursachen) eines Vorganges zu kennen, so ist es leeres Gerede, zu sagen, jedes Ereignis habe eine Ursache.«
Die Kausalität als solche, das Bestehen von Gesetzen, aber wird nicht geleugnet; es gibt noch gültige Voraussagen, nur bestehen sie nicht in der Angabe exakter Größenwerte, sondern sie sind von der Form: die Größe x wird in dem Intervall a bis a + ∆ a liegen.
Das Neue, was die jüngste Physik zur Kausalitätsfrage beiträgt, besteht nicht darin, daß die Geltung des Kausalsatzes überhaupt bestritten wird, auch nicht darin, daß etwa die Mikrostruktur der Natur durch statistische statt durch kausale Regelmäßigkeiten beschrieben würde, oder darin, daß die Einsicht in eine bloße wahrscheinliche Geltung der Naturgesetze den Glauben an ihre absolute Gültigkeit verdrängt hätte – alle diese Gedanken sind schon früher, zum Teil vor langer Zeit, ausgesprochen worden –, sondern das Neue besteht in der bis dahin nie vorausgeahnten Entdeckung, daß durch die Naturgesetze selbst eine prinzipielle Grenze der Genauigkeit von Voraussagen festgesetzt ist. Das ist etwas ganz anderes als der naheliegende Gedanke, daß tatsächlich und praktisch eine Genauigkeitsgrenze von Beobachtungen vorhanden sei, und daß die Annahme absolut genauer Naturgesetze auf jeden Fall entbehrlich sei, um von allen Erfahrungen Rechenschaft zu geben. Früher mußte es immer so scheinen, als ob die Frage des Determinismus prinzipiell unentschieden bleiben müsse; die jetzt vorliegende Art der Entscheidung, nämlich mit Hilfe eines Naturgesetzes selbst (der Heisenberg-Relation), ist nicht vorhergesehen worden. Allerdings, wenn man jetzt von einer Entscheidbarkeit spricht und die Frage zuungunsten des Determinismus für beantwortet hält, so ist die Voraussetzung, daß jenes Naturgesetz wirklich als solches besteht und über jeden Zweifel erhaben ist. Daß wir dessen absolut sicher sind oder je sein könnten, wird ein besonnener Forscher sich natürlich hüten zu behaupten. Im Bau der Quantenlehre aber bildet die Unbestimmtheitsrelation einen integrierenden Bestandteil, und wir müssen ihrer Richtigkeit so lange vertrauen, als nicht neue Versuche und Beobachtungen zu einer Revision der Quantentheorie zwingen (in Wirklichkeit wird sie von Tag zu Tag immer besser bestätigt). Aber es ist schon eine große Errungenschaft der modernen Physik, gezeigt zu haben, daß eine Theorie von einer derartigen Struktur in der Naturbeschreibung überhaupt möglich ist; es bedeutet eine wichtige philosophische Verdeutlichung der Grundbegriffe der Naturwissenschaft. Der prinzipielle Fortschritt ist klar: es kann jetzt in demselben Sinne von einer empirischen Prüfung des Kausalprinzips gesprochen werden wie von der Prüfung irgendeines speziellen Naturgesetzes. Und daß man in irgendeinem Sinne davon mit Recht reden kann, wird durch die bloße Existenz der Wissenschaft bewiesen.
Es ist für das Verständnis der Sachlage unerläßlich, zwei Formulierungen miteinander zu vergleichen, in die sich die Kritik am Kausalprinzip in der Physik kleidet. Die einen sagen, die Quantenlehre habe gezeigt (natürlich unter der Voraussetzung, daß sie in ihrer jetzigen Form zutreffend ist), daß das Prinzip in der Natur nicht gelte; die anderen meinen, es sei seine Leerheit dargetan. Die ersten glauben also, es mache eine bestimmte Aussage über die Wirklichkeit, die sich durch die Erfahrung als falsch herausgestellt habe; die anderen halten den Satz, in dem es scheinbar ausgesprochen wird, für gar keine echte Aussage, sondern für eine nichtssagende Wortfolge.
Als Zeuge für die erste Ansicht wird gewöhnlich Heisenbergs vielzitierter Aufsatz in der Z. Physik, 43 (1927), angeführt, wo es heißt: »Weil alle Experimente den Gesetzen der Quantenmechanik unterworfen sind, so wird durch die Quantenmechanik die Ungültigkeit des Kausalgesetzes definitiv festgestellt.« Als Vertreter der zweiten Ansicht pflegt Born genannt zu werden (vgl. die oben zitierte Stelle). Von philosophischer Seite haben sich mit diesem Dilemma z. B. Hugo Bergmann (Der Kampf um das Kausalgesetz in der jüngsten Physik, Braunschweig 1929) und Thilo Vogel (Zur Erkenntnistheorie der quantentheoretischen Grundbegriffe, Diss., Gießen 1928) beschäftigt. Die beiden zuletzt genannten Autoren nehmen mit Recht an, daß jene Physiker, welche das Kausalprinzip ablehnen, im Grunde doch der gleichen Meinung seien, wenn sie auch Verschiedenes sagen, und daß die scheinbare Abweichung auf eine ungenaue Sprechweise der einen Partei zurückzuführen sei. Beide sind der Meinung, daß die Ungenauigkeit auf Seiten Heisenbergs liege, daß man also nicht sagen dürfe, die Quantentheorie habe das Prinzip als falsch erwiesen. Beide betonen mit Nachdruck, daß der Kausalsatz durch die Erfahrung weder bestätigt noch widerlegt werden könne. Dürfen wir diese Interpretation als richtig betrachten?
Zunächst sei festgestellt, daß wir die Gründe, die H. Bergmann für seine Meinung geltend macht, als ganz irrig zurückweisen müssen. Für ihn ist nämlich der Kausalsatz deswegen nicht zu widerlegen oder zu bestätigen, weil er ihn für ein synthetisches Urteil a priori im Sinne Kants hält. Ein derartiges Urteil soll bekanntlich einerseits eine echte Erkenntnis aussprechen (dies liegt in dem Worte »synthetisch«), anderseits jeder Prüfung durch die Erfahrung entzogen sein, weil die »Möglichkeit der Erfahrung« auf ihm beruhe (dies liegt in den Worten »a priori«). Wir wissen heute, daß diese beiden Bestimmungen sich widersprechen; synthetische Urteile a priori gibt es nicht. Sagt ein Satz überhaupt etwas über die Wirklichkeit aus (und nur, wenn er dies tut, enthält er ja eine Erkenntnis), so muß sich auch durch Beobachtung der Wirklichkeit feststellen lassen, ob er wahr oder falsch ist. Besteht eine Möglichkeit der Prüfung prinzipiell nicht, so muß er nichtssagend sein, er kann keine Naturerkenntnis enthalten. Wenn unter der Voraussetzung der Falschheit des Satzes irgend etwas in der erfahrbaren Welt anders wäre, als wenn der Satz wahr wäre, so könnte er ja geprüft werden; folglich heißt Unprüfbarkeit durch die Erfahrung: das Aussehen der Welt ist ganz unabhängig von der Wahrheit oder Falschheit des Satzes, folglich sagt er überhaupt nichts über sie. Kant war natürlich der Meinung, daß der Kausalsatz sehr viel über die empirische Welt sage, ja sogar ihren Charakter wesentlich bestimme – man erweist also dem Kantianismus oder Apriorismus keinen Dienst, wenn man die Unprüfbarkeit des Prinzips behauptet. – Damit haben wir den Standpunkt H. Bergmanns abgelehnt (dasselbe würde von Th. Vogels Meinung gelten, sofern er einem – wenn auch gemäßigten – Apriorismus zuneigt; doch erscheinen mir seine Formulierungen – am Schluß der zitierten Abhandlung – nicht ganz klar), und so müssen wir in eine neue Prüfung der Frage eintreten: Folgt aus den Ergebnissen der Quantenmechanik eigentlich die Falschheit des Kausalprinzips? oder folgt vielmehr, daß es ein nichtssagender Satz ist?
Eine Wortfolge kann auf zweierlei Weisen nichtssagend sein: entweder sie ist tautologisch (leer), oder sie ist überhaupt kein Satz, keine Aussage im logischen Sinne. Es scheint zunächst, als wenn die letzte Möglichkeit hier nicht wohl in Betracht käme, denn wenn die Worte, durch die man das Kausalprinzip auszusprechen sucht, gar keinen echten Satz darstellen, so müssen sie doch wohl einfach eine sinnlose, ungereimte Folge von Worten sein? Es ist aber zu bedenken, daß es Wortfolgen gibt, die keine Aussagen sind, keinen Sachverhalt mitteilen und doch im Leben außerordentlich bedeutsame Funktionen erfüllen: die sogenannten Frage- und Befehlssätze. Und wenn auch das Kausalprinzip grammatisch in der Form eines Aussagesatzes auftritt, so wissen wir doch aus der neueren Logik, daß man aus der äußeren Gestalt eines Satzes herzlich wenig auf seine echte logische Form schließen kann, und es wäre sehr wohl möglich, daß sich hinter der kategorischen Form des Kausalprinzips eine Art von Befehl, eine Forderung verberge, also ungefähr das, was Kant ein »regulatives Prinzip« nannte. Eine ähnliche Meinung über das Prinzip ist tatsächlich von denjenigen Philosophen vertreten worden, die in ihm nur den Ausdruck eines Postulats oder eines »Entschlusses« (H. Gomperz, Das Problem der Willensfreiheit, 1907) sehen, das Suchen nach Gesetzen, nach Ursachen, niemals einzustellen; die Ansicht muß also sorgfältig in Betracht gezogen werden.
Hiernach haben wir zwischen folgenden drei Möglichkeiten zu entscheiden:
I. Das Kausalprinzip ist eine Tautologie. In diesem Falle wäre es immer wahr, aber nichtssagend.
II. Es ist ein empirischer Satz. In diesem Falle wäre es entweder wahr oder falsch, entweder Erkenntnis oder Irrtum.
III. Es stellt ein Postulat dar, eine Nötigung, immer weiter nach Ursachen zu suchen. In diesem Falle kann es nicht wahr oder falsch, sondern höchstens zweckmäßig oder unzweckmäßig sein.
I. Über die erste Möglichkeit werden wir uns bald klar sein, zumal wir sie schon oben (§ 6) vorübergehend erwogen haben. Wir fanden dort, daß der Kausalsatz in der Form »Alles Geschehen verläuft gesetzmäßig« sicherlich tautologisch ist, wenn unter Gesetzmäßigkeit verstanden wird »durch irgendwelche Formeln darstellbar«. Aber daraus schlossen wir gerade, daß dies nicht der wahre Inhalt des Prinzips sein könne, und suchten nach einer neuen Formulierung. In der Tat, an einem tautologischen Satze hat die Wissenschaft prinzipiell kein Interesse. Hätte der Kausalsatz diesen Charakter, so wäre der Determinismus selbstverständlich, aber leer; und sein Gegenteil, der Indeterminismus, wäre in sich widersprechend, denn die Negation einer Tautologie ergibt eine Kontradiktion. Die Frage, welcher von beiden recht hätte, könnte gar nicht aufgeworfen werden. Wenn also die gegenwärtige Physik die Frage nicht nur stellt, sondern auch durch die Erfahrung in bestimmtem Sinne beantwortet glaubt, so kann das, was sie mit Determinismus und Kausalprinzip eigentlich meint, sicherlich keine Tautologie sein. Um zu wissen, ob ein Satz tautologisch ist oder nicht, braucht man selbstverständlich überhaupt keine Erfahrung, sondern man muß sich nur seinen Sinn vergegenwärtigen. Wollte jemand sagen, die Physik habe den tautologischen Charakter des Kausalsatzes dargetan, so wäre das ebenso unsinnig, als wenn er sagen wollte, die Astronomie habe gezeigt, daß 2 mal 2 gleich 4 sei.
Seit Poincaré haben wir gelernt, darauf zu achten, daß in die Naturbeschreibung scheinbar gewisse allgemeine Sätze eingehen, die einer Bestätigung oder Widerlegung durch die Erfahrung nicht fähig sind: die »Konventionen«. Die echten Konventionen, die ja eine Art von Definitionen sind, müssen in der Tat als Tautologien aufgefaßt werden; doch an dieser Stelle ist es nicht nötig, darauf näher einzugehen. Wir schließen nur: da wir schon anerkannt haben, daß die gegenwärtige Physik uns jedenfalls irgend etwas über die Gültigkeit des Prinzips der Kausalität lehrt, so kann es kein leerer Satz, keine Tautologie, keine Konvention sein, sondern es muß einen solchen Charakter haben, daß es dem Richterspruche der Erfahrung irgendwie unterworfen ist.
II. Ist der Kausalsatz einfach eine Aussage, deren Wahrheit oder Falschheit durch Naturbeobachtung festgestellt werden kann? Unsere früheren Betrachtungen scheinen diese Interpretation nahezulegen. Ist sie richtig, so würden wir uns bei dem oben berührten scheinbaren Gegensatz zwischen den Formulierungen Heisenbergs und Borns, in denen diese Forscher das Resultat der Quantentheorie aussprechen, auf die Seite Heisenbergs stellen müssen, also gerade umgekehrt wie H. Bergmann und Th. Vogel. Ich nenne jenen Gegensatz scheinbar, denn während Heisenberg von der Ungültigkeit, Born von der Sinnlosigkeit des Kausalsatzes spricht, so fügt doch der letztere hinzu: »in seiner üblichen Fassung«. Es könnte also wohl sein, daß die übliche Formulierung nur einen tautologischen Inhalt ergibt, daß aber der eigentliche Sinn des Prinzips in eine echte Aussage gefaßt werden könnte, welche durch die Quantenerfahrungen als falsch erwiesen wäre. Um dies festzustellen, müssen wir uns noch einmal vergegenwärtigen, zu welcher Formulierung des Kausalsatzes wir uns gedrängt sahen. Nach unseren früheren Ausführungen würde der Sinn des Prinzips etwa durch den Satz wiedergegeben werden können: »Alle Ereignisse sind prinzipiell voraussagbar«. Wenn dieser Satz eine echte Aussage darstellt, so ist seine Wahrheit prüfbar; und nicht nur das, sondern wir dürften wohl sagen, daß seine Prüfung bereits stattgefunden hat und bis jetzt negativ ausgefallen ist.
Wie steht es aber mit unserem Satze? Läßt sich die Bedeutung des Wortes »voraussagbar« wirklich klar angeben? Wir nannten ein Ereignis »vorausgesagt«, wenn es mit Hilfe einer Formel abgeleitet war, die an der Hand einer Reihe von Beobachtungen anderer Ereignisse aufgestellt wurde. Mathematisch ausgedrückt: die Vorausberechnung ist eine Extrapolation. Die Leugnung der exakten Voraussagbarkeit, wie die Quantentheorie sie lehrt, würde also bedeuten, daß es unmöglich sei, aus einer Reihe von Beobachtungsdaten eine Formel abzuleiten, die dann auch neue Beobachtungsdaten genau darstellt. Was bedeutet aber wiederum dies »unmöglich«? Man kann, wie wir sahen, nachträglich immer eine Funktion finden, die sowohl die alten wie die neuen Daten umfaßt; hinterher läßt sich also immer eine Regel finden, welche die früheren Daten mit den neuen verknüpft und beide als Ausfluß derselben Gesetzmäßigkeit erscheinen läßt. Jene Unmöglichkeit ist also nicht eine logische, sie bedeutet nicht, daß es eine Formel von der gesuchten Eigenschaft nicht gibt; es ist aber auch, streng gesprochen, keine reale Unmöglichkeit, denn es könnte ja sein, daß jemand durch reinen Zufall, durch bloßes Raten, immer auf die richtige Formel verfiele; kein Naturgesetz verhindert das richtige Erraten der Zukunft. Nein, jene Unmöglichkeit bedeutet, daß es unmöglich ist, nach jener Formel zu suchen. Das heißt: es gibt keine Vorschrift zur Auffindung einer solchen Formel. Dies aber läßt sich nicht in einem legitimen Satze ausdrücken.
Unsere Bemühungen, eine dem Kausalprinzip äquivalente prüfbare Aussage zu finden, sind also mißglückt; unsere Formulierungsversuche führten nur zu Scheinsätzen. Dies Ergebnis kommt uns aber doch nicht ganz unerwartet, denn wir sagten schon oben, der Kausalsatz lasse sich in demselben Sinne auf seine Richtigkeit prüfen wie irgendein Naturgesetz, deuteten aber bereits an, daß Naturgesetze bei strenger Analyse gar nicht den Charakter von Aussagen haben, die wahr oder falsch sind, sondern vielmehr »Anweisungen« zur Bildung solcher Aussagen darstellen. Steht es mit dem Kausalprinzip ähnlich, so sehen wir uns also hingewiesen auf den Fall
III. Der Kausalsatz teilt uns nicht direkt eine Tatsache mit, etwa die Regelmäßigkeit der Welt, sondern er stellt eine Aufforderung, eine Vorschrift dar, Regelmäßigkeit zu suchen, die Ereignisse durch Gesetze zu beschreiben. Eine solche Anweisung ist nicht wahr oder falsch, sondern gut oder schlecht, nützlich oder zwecklos. Und was uns die Quantenphysik lehrt, ist eben dies, daß das Prinzip innerhalb der durch die Unbestimmtheitsrelationen genau festgelegten Grenzen schlecht ist, nutz- oder zwecklos, unerfüllbar. Innerhalb jener Grenzen ist es unmöglich, nach Ursachen zu suchen – dies lehrt uns die Quantenmechanik tatsächlich, und damit gibt sie uns einen Leitfaden zu jenem Tun, das man Naturforschung nennt, eine Gegenvorschrift gegen das Kausalprinzip.
Hier sieht man wieder, wie sehr sich die durch die Physik geschaffene Lage von den Möglichkeiten unterscheidet, die in der Philosophie durchdacht wurden: das Kausalprinzip ist kein Postulat in dem Sinne, wie dieser Begriff bei früheren Philosophen auftritt, denn dort bedeutet es eine Regel, an der wir unter allen Umständen festhalten müssen. Über das Kausalprinzip aber entscheidet die Erfahrung; zwar nicht über seine Wahrheit oder Falschheit – das wäre sinnlos –, sondern über seine Brauchbarkeit. Und die Naturgesetze selbst entscheiden über die Grenzen der Brauchbarkeit: darin liegt das Neue der Situation. Postulate im Sinne der alten Philosophie gibt es gar nicht. Jedes Postulat kann vielmehr durch eine aus der Erfahrung gewonnene Gegenvorschrift begrenzt, d. h. als unzweckmäßig erkannt und dadurch aufgehoben werden.
Man könnte vielleicht glauben, daß die vorgetragene Ansicht zu einer Art von Pragmatismus führe, da ja die Geltung der Naturgesetze und der Kausalität allein in ihrer Bewährung beruht, und auf nichts anderem. Aber hier besteht ein großer Unterschied, der scharf betont werden muß. Die Behauptung des Pragmatismus, daß die Wahrheit von Aussagen in ihrer Bewährung, ihrer Brauchbarkeit, und ganz allein darin, bestände, muß gerade von unserem Standpunkt schlechterdings abgelehnt werden. Wahrheit und Bewährung sind für uns nicht identisch; im Gegenteil, weil wir beim Kausalprinzip allein seine Bewährung, allein die Brauchbarkeit seiner Vorschrift prüfen können, dürfen wir nicht von seiner »Wahrheit« reden und sprechen ihm den Charakter einer echten Aussage ab. Allerdings kann man den Pragmatismus psychologisch verstehen und seine Lehre gleichsam damit entschuldigen, daß es wirklich schwer ist und recht eindringender Besinnung bedarf, um den Unterschied einzusehen zwischen einem wahren Satze und einer brauchbaren Vorschrift, und einem falschen Satze und einer unbrauchbaren Vorschrift, denn die Anweisungen dieser Art treten grammatisch in der Verhüllung gewöhnlicher Sätze auf.
Während es für eine echte Aussage wesentlich ist, daß sie prinzipiell endgültig verifizierbar ist, kann die Brauchbarkeit einer Anweisung niemals schlechthin absolut erwiesen werden, weil spätere Beobachtungen sie immer noch als unzweckmäßig erweisen können. Die Heisenberg-Relation ist ja selbst ein Naturgesetz und trägt als solches den Charakter einer Anweisung; schon aus diesem Grunde kann die aus ihr sich ergebende Ablehnung des Determinismus nicht als Beweis der Unwahrheit einer bestimmten Aussage, sondern nur als Aufzeigung der Unzweckmäßigkeit einer Regel aufgefaßt werden. Es bleibt also stets die Hoffnung, daß das Kausalprinzip bei weiterem Fortschritt der Erkenntnis wieder triumphieren kann.
Der Kenner wird bemerken, daß durch Erwägungen wie die vorstehenden auch das sogenannte Problem der »Induktion« gegenstandslos wird und damit dieselbe Auflösung findet, die ihm bereits von Hume gegeben wurde. Das Induktionsproblem besteht ja in der Frage nach der logischen Rechtfertigung allgemeiner Sätze über die Wirklichkeit, welche immer Extrapolationen aus Einzelbeobachtungen sind. Wir erkennen mit Hume, daß es für sie keine logische Rechtfertigung gibt; es kann sie nicht geben, weil es gar keine echten Sätze sind. Die Naturgesetze sind nicht (in der Sprache des Logikers) »generelle Implikationen«, weil sie nicht für alle Fälle verifiziert werden können, sondern sie sind Vorschriften, Verhaltungsmaßregeln für den Forscher, sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden, wahre Sätze aufzufinden, gewisse Ereignisse zu erwarten. Diese Erwartung, dies praktische Verhalten ist es, worauf Hume durch die Worte »Gewöhnung« oder »belief« hinweist. Wir dürfen nicht vergessen, daß Beobachtung und Experiment Handlungen sind, durch die wir in direkten Verkehr mit der Natur treten. Die Beziehungen zwischen der Wirklichkeit und uns treten manchmal in Sätzen zutage, welche die grammatische Form von Aussagesätzen haben, deren eigentlicher Sinn aber darin besteht, Anweisungen zu möglichen Handlungen zu sein.
Fassen wir zusammen: Die Ablehnung des Determinismus durch die moderne Physik bedeutet weder die Falschheit noch die Leerheit einer bestimmten Aussage über die Natur, sondern die Unbrauchbarkeit jener Vorschrift, welche als »Kausalprinzip« den Weg zu jeder Induktion und zu jedem Naturgesetz zeigt. Und zwar wird die Unbrauchbarkeit nur für einen bestimmt umgrenzten Bereich behauptet; dort aber mit jener Sicherheit, welche überhaupt der exakten physikalischen Erfahrung der gegenwärtigen Forschung zukommt.
Nachdem uns der eigentümliche Charakter des Kausalprinzips klargeworden ist, können wir jetzt auch die Rolle verstehen, die das früher besprochene, dann aber verworfene Kriterium der Einfachheit in Wahrheit spielt. Es mußte nur insofern verworfen werden, als es sich zur Definition des Kausalbegriffes nicht eignet; aber wir bemerkten bereits, daß es de facto mit dem wahren Kriterium, der Bewährung, zusammenfällt. Es stellt nämlich offenbar die spezielle, für unsere Welt erfolgreiche Vorschrift dar, durch welche die allgemeine Anweisung des Kausalprinzips, Regelmäßigkeit zu suchen, ergänzt wird. Das Kausalprinzip weist uns an, aus alten Beobachtungen Funktionen zu konstruieren, die zur Voraussage von neuen führen; das Prinzip der Einfachheit gibt uns die praktische Methode, mit der wir diese Anweisung befolgen, indem es sagt: Verbinde die Beobachtungsdaten durch die »einfachste« Kurve – sie wird dann die gesuchte Funktion darstellen!
Das Kausalprinzip könnte aufrecht bleiben, auch wenn die zum Erfolg führende Vorschrift ganz anders lautete; deshalb genügt diese nicht zur Festlegung des Kausalbegriffs, sondern stellt eben eine engere, speziellere Anwendung dar. Tatsächlich reicht sie ja oft nicht zur richtigen Extrapolation aus. Ist auf diese Weise der rein praktische Charakter des Einfachheitsprinzips erkannt, so wird auch verständlich, daß »Einfachheit« nicht streng zu definieren ist, daß aber die Verschwommenheit hier auch gar nichts schadet.
Wollte man etwa durch die Punkte, durch welche bei irgendwelchen Versuchen die Daten quantenhafter Vorgänge dargestellt sind, die einfachste Kurve legen (z. B. Elektronensprünge im Atom), so würde das gar nichts nützen, um irgendwelche Voraussagen zu machen. Und da wir auch keine andere Regel kennen, durch die dieser Zweck erreicht würde, so sagen wir eben, daß die Vorgänge keinem Gesetze folgen, sondern zufällig sind. De facto besteht also doch eine deutliche Übereinstimmung zwischen Einfachheit und Gesetzmäßigkeit, zwischen Zufall und Kompliziertheit. Dies führt uns auf eine nicht unwichtige Betrachtung.
Es wäre denkbar, daß die Extrapolation mit Hilfe der einfachsten Kurve fast immer zu dem richtigen Ergebnis führte, daß aber hin und wieder irgendeine Einzelbeobachtung der Voraussage ohne auffindbaren Grund nicht entspräche. Denken wir uns, um die Ideen zu fixieren, folgenden einfachen Fall. Wir stellen in der Natur durch sehr große Beobachtungsreihen fest, daß ein Ereignis A durchschnittlich in 99 % der Fälle seines Eintretens von dem Ereignis B gefolgt ist, in dem übrigen (unregelmäßig verteilten) 1 % aber nicht, ohne daß für die Abweichung in diesem Falle sich auch nur die geringste »Ursache« finden ließe. Von einer solchen Welt würden wir sagen, daß sie noch ganz schön geordnet sei, unsere Prophezeiungen würden im Durchschnitt zu 99 % eintreffen (also immer noch viel besser als gegenwärtig etwa in der Meteorologie oder in vielen Gebieten der Medizin); wir würden ihr daher eine, wenn auch »unvollkommene« Kausalität zuschreiben. Jedesmal wenn A eintritt, werden wir mit recht großer Zuversicht B erwarten, uns darauf einstellen und dabei nicht schlecht fahren. Wir wollen annehmen, daß die Welt im übrigen sehr übersichtlich sei; wenn es dann der Wissenschaft mit den besten Methoden und größten Anstrengungen nicht gelingt, von der durchschnittlich einprozentigen Abweichung Rechenschaft zu geben, so werden wir uns schließlich dabei beruhigen und die Welt für beschränkt geordnet erklären. In einem solchen Falle haben wir ein »statistisches Gesetz« vor uns. Es ist wichtig, zu bemerken, daß ein derartiges Gesetz, wo immer wir ihm in der Wissenschaft begegnen, gleichsam als Resultante zweier Komponenten aufgefaßt wird, indem man die unvollkommene oder statistische Kausalität in eine strenge Gesetzmäßigkeit und einen reinen Zufall zerlegt, die sich überlagern. Im obigen Fall würden wir sagen, es sei ein strenges Gesetz, daß durchschnittlich in 99 unter 100 Fällen B auf A folgt; und es sei schlechthin zufällig, wie sich die 1 % abweichenden Fälle auf die Gesamtzahl verteilen. Ein Beispiel aus der Physik: In der kinetischen Gastheorie werden die Gesetze, nach denen jedes einzelne Teilchen sich bewegt, als völlig streng angenommen; die Verteilung der einzelnen Teilchen aber und ihrer Zustände wird in einem Augenblickszustand als völlig »regellos« vorausgesetzt. Aus der Kombination beider Voraussetzungen ergeben sich dann sowohl die makroskopischen Gasgesetze (z. B. van der Waalssche Zustandsgleichung) wie die unvollkommene Regelmäßigkeit der Brownschen Bewegung.
Wir sondern also bei der wissenschaftlichen Beschreibung des Geschehens einen rein kausalen von einem rein zufälligen Teil ab, stellen für den ersten eine strenge Theorie auf und berücksichtigen den zweiten durch die statistische Betrachtungsweise, d. h. durch die »Gesetze« der Wahrscheinlichkeit, die aber tatsächlich keine Gesetze sind, sondern nur (wie gleich zu zeigen) die Definition des »Zufälligen« darstellen. Mit anderen Worten: wir beruhigen uns nicht bei einem statistischen Gesetz der oben betrachteten Form, sondern stellen es dar als eine Mischung von strenger Gesetzmäßigkeit und völliger Gesetzlosigkeit. – Ein anderes Beispiel liegt offensichtlich vor in der Schrödingerschen Quantenmechanik (in der Interpretation von Born). Dort ist die Beschreibung der Vorgänge gleichfalls in zwei Teile gespalten: in die gesetzmäßige Ausbreitung der φ-Wellen und in das Auftreten einer Partikel oder eines Quants, welches schlechthin zufällig ist, innerhalb der Grenzen der »Wahrscheinlichkeit«, die durch den φ-Wert an der betreffenden Stelle bestimmt ist. (Das heißt: der Wert von φ sagt uns z. B., daß an einer bestimmten Stelle durchschnittlich 1000 Quanten pro Sekunde eintreffen. Diese 1000 weisen aber in sich eine ganz unregelmäßige Verteilung auf.)
Was heißt nun hier »schlechthin zufällig« oder »gesetzlos« oder »gänzlich ungeordnet«? Von dem vorhin betrachteten Fall des gemeinsamen Auftretens von A und B in durchschnittlich 99 % der Beobachtungen, der ja keine vollkommene Ordnung mehr darstellt, können wir durch allmähliche Übergänge zu vollkommener Unordnung gelangen. Nehmen wir etwa an, die Beobachtung zeige, daß durchschnittlich an den Vorgang A in 50 % der Fälle der Vorgang B sich anschließt, dagegen in 40 % der Vorgang C, und in den übrigen 10 % der Vorgang D, so würden wir immer noch von einer deutlichen Regelmäßigkeit, von statistischer Kausalität sprechen, aber einen viel geringeren Grad der Ordnung für vorliegend erachten als im ersten Falle. (Ein Metaphysiker würde vielleicht sagen, der Vorgang A habe eine gewisse »Tendenz«, den Vorgang B hervorzubringen, eine etwas geringere, den Vorgang C zu erzeugen usf.) Wann würden wir nun behaupten, daß überhaupt keine Regelmäßigkeit besteht, daß also die Ereignisse A, B, C, D vollkommen unabhängig voneinander sind (wo dann der Metaphysiker sagen würde, daß dem A überhaupt keine Tendenz zur Bestimmung seines Nachfolgers innewohne)?
Nun, offenbar dann, wenn bei einer sehr langen Beobachtungsreihe jede aus den verschiedenen Ereignissen durch Permutation (mit Wiederholung) zu bildende Serie durchschnittlich gleich häufig vorkommt (wobei nur die Serien im Verhältnis zur Gesamtreihe der Beobachtungen klein sein müßten). Wir würden dann sagen, daß die Natur keine Vorliebe für eine bestimmte Abfolge von Vorgängen habe, daß die Abfolge also völlig gesetzlos stattfinde. Eine derartige Verteilung der Ereignisse pflegt man nun eine Verteilung »nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit« zu nennen. Wo eine solche Verteilung vorliegt, sprechen wir also von einer vollkommenen Unabhängigkeit der fraglichen Ereignisse, wir sagen, sie seien miteinander nicht kausal verknüpft. Und nach dem Gesagten bedeutet diese Redeweise nicht etwa nur ein Anzeichen fehlender Gesetzmäßigkeit, sondern sie ist definitionsgemäß identisch damit; die sogenannte Wahrscheinlichkeitsverteilung ist einfach die Definition der völligen Unordnung, des reinen Zufalls. Daß es eine ganz schlechte Ausdrucksweise ist, von »Gesetzen des Zufalls« zu sprechen, dürfte wohl allgemein zugegeben werden (da doch Zufall gerade das Gegenteil von Gesetzmäßigkeit bedeutet). Zu leicht gerät man in die unsinnige Fragestellung (das sogenannte »Anwendungsproblem« gehört hierher), wie es denn komme, daß auch der Zufall Gesetzen unterworfen sei. Ich kann daher auch der Ansicht Reichenbachs durchaus nicht beipflichten, wenn er glaubt, von einem »Prinzip der wahrscheinlichkeitsgemäßen Verteilung« als Voraussetzung aller Naturforschung sprechen zu sollen, welches zusammen mit dem Prinzip der Kausalität die Grundlage aller physikalischen Erkenntnis bilde. Jenes Prinzip, meint er, bestehe in der Annahme, daß die bei einem Kausalverhältnis irrelevanten Nebenumstände, die »Restfaktoren« »nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung ihren Einfluß ausüben« (Kausalstruktur der Welt, S. 134). Mir scheint, daß diese »Gesetze der Wahrscheinlichkeit« nichts weiter sind als die Definition der kausalen Unabhängigkeit.
Allerdings ist hier eine Bemerkung einzuschalten, die praktisch ohne Bedeutung, logisch und prinzipiell aber von großer Wichtigkeit ist. Die oben gegebene Definition der absoluten Unordnung (gleichhäufiges durchschnittliches Auftreten aller möglichen Ereignisfolgen) würde erst bei einer unendlich großen Zahl von Beobachtungen korrekt werden. Sie muß nämlich für beliebig große Folgen gelten, und jede von diesen muß nach der früher gemachten Bemerkung als klein gegen die Gesamtzahl der Fälle angesehen werden können; d. h. diese Gesamtzahl muß über alle Grenzen wachsen. Da dies natürlich in Wirklichkeit unmöglich ist, so bleibt es strenggenommen prinzipiell unentscheidbar, ob in irgendeinem Falle endgültig Unordnung vorliegt oder nicht. Daß dies so sein muß, folgt übrigens schon aus unserem früheren Resultat, daß es für einen fertig vorgegebenen Ablauf nicht endgültig entschieden werden kann, ob er »geordnet« ist oder nicht. Es liegt hier dieselbe prinzipielle Schwierigkeit vor, die es unmöglich macht, die Wahrscheinlichkeit irgendwelcher Ereignisse in der Natur durch die relativen Häufigkeiten ihres Eintretens zu definieren; um nämlich zu korrekten Ansätzen zu kommen, wie sie für die mathematische Behandlung (Wahrscheinlichkeits rechnung) vorausgesetzt werden, müßte man überall zum Limes für unendlich viele Fälle übergehen – für die Empirie natürlich ein unsinniges Verlangen. Dies wird oft nicht genügend beachtet (vgl. z. B. von Mises, Wahrscheinlichkeit, Statistik und Wahrheit, 1928). Die einzig brauchbare Methode der Definition der Wahrscheinlichkeit ist vielmehr die durch logische Spielräume ( Bolzano, v. Kries, Wittgenstein, Waismann; siehe den oben zitierten Aufsatz des Letzterwähnten).
Doch das gehört nicht mehr zu unserem Thema. Wir gehen dazu über aus den angestellten Betrachtungen einige Konsequenzen zu ziehen und dabei andere Konsequenzen zu kritisieren, die hier und da aus der gegenwärtigen Situation gezogen worden sind.
Da von Kausalität gewöhnlich in der Weise gesprochen wird, daß man sagt, ein Vorgang bestimme einen anderen, oder die Zukunft sei durch die Gegenwart determiniert, so wollen wir uns noch einmal die wahre Bedeutung dieser unglücklichen Worte »bestimmen« oder »determinieren« vergegenwärtigen (wobei wir beide als gleichbedeutend ansehen). Daß ein Zustand einen anderen, späteren bestimme, kann zunächst nicht heißen, daß zwischen ihnen ein geheimnisvolles Band, genannt Kausalität, irgendwie aufgefunden werden könnte oder auch nur gedacht werden müßte; denn so naive Denkweisen sind für uns, 200 Jahre nach Hume, gewiß nicht mehr möglich. Die positive Antwort haben wir nun am Anfang unserer Überlegungen bereits gegeben: »A determiniert B« kann durchaus nichts anderes heißen als: B läßt sich aus A berechnen. Und dies wieder heißt: es gibt eine allgemeine Formel, die den Zustand B beschreibt, sobald gewisse Werte aus dem »Anfangszustand« A in sie eingesetzt werden und gewissen Variablen, z. B. der Zeit t, ein gewisser Wert erteilt wird. Die Formel ist »allgemein« heißt wiederum, daß es außer A und B noch beliebig viele andere Zustände gibt, die durch dieselbe Formel auf dieselbe Weise miteinander verknüpft sind. Auf die Beantwortung der Frage ferner, wann man sagen dürfe, es gebe eine solche Formel (genannt »Naturgesetz«), war ja ein großer Teil unserer Bemühungen gerichtet; und die Antwort war, daß das Kriterium dafür in nichts anderem gefunden werden kann als in der tatsächlichen Beobachtung des aus A berechneten B: erst dann kann man sagen, es gibt eine Formel (es ist Ordnung vorhanden), wenn man eine aufweisen kann, die mit Erfolg zur Voraussage benutzt wurde.
Das Wort »determiniert« bedeutet also schlechterdings genau dasselbe wie »voraussagbar« oder »vorausberechenbar«. Es bedarf nur dieser schlichten Einsicht, um ein berühmtes für die Kausalfrage wichtiges Paradoxon aufzulösen, dem schon Aristoteles zum Opfer gefallen ist und das noch gegenwärtig Verwirrung stiftet. Es ist das Paradoxon des sogenannten »logischen Determinismus«. Seine Behauptung ist, daß die Sätze des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten für Aussagen über zukünftige Tatbestände nicht gelten würden, wenn der Determinismus nicht bestände. In der Tat, so argumentierte schon Aristoteles, wenn der Indeterminismus recht hat, wenn also die Zukunft nicht schon jetzt festliegt – bestimmt ist –, so scheint es, daß der Satz »das Ereignis E wird übermorgen stattfinden« heute weder wahr noch falsch sein könnte. Denn wäre er z. B. wahr, so müßte das Ereignis ja stattfinden, es läge jetzt schon fest, entgegen der indeterministischen Voraussetzung. Auch heutzutage wird dies Argument zuweilen für zwingend gehalten, ja zur Basis einer neuartigen Logik gemacht (vgl. J. Lukasiewicz, Philosophische Bemerkungen zu mehrwertigen Systemen des Aussagenkalküls, Comptes Rendus des séances de la Société des Sciences et des Lettres de Varsovie 1930, Seite 63 ff.). Dennoch muß hier natürlich ein Irrtum vorliegen, denn die logischen Sätze, die ja nur Regeln unserer Symbolik sind, können in ihrer Gültigkeit nicht davon abhängen, ob es eine Kausalität in der Welt gibt; jedem Satze muß Wahrheit oder Falschheit als zeitlose Eigenschaft zukommen. Die richtige Interpretation des Determinismus behebt die Schwierigkeit sofort und läßt den logischen Prinzipien ihre Geltung. Die Aussage »das Ereignis E trifft an dem und dem Tage ein« ist zeitlos – also auch schon jetzt entweder wahr oder falsch, und nur eins von beiden, ganz unabhängig davon, ob in der Welt der Determinismus oder der Indeterminismus besteht. Der letztere behauptet nämlich keineswegs, daß der Satz über das zukünftige E nicht schon heute eindeutig wahr oder falsch sei, sondern nur, daß die Wahrheit oder Falschheit jenes Satzes sich aus Sätzen über gegenwärtige Ereignisse nicht berechnen lasse. Dies hat dann zur Folge, daß wir nicht wissen können, ob der Satz wahr ist, bevor der entsprechende Zeitpunkt vorbei ist – aber mit seinem Wahrsein oder mit den logischen Grundsätzen hat das nicht das geringste zu tun.
Wenn die Physik im Sinne des Indeterminismus heute sagt, die Zukunft sei (innerhalb gewisser Grenzen) unbestimmt, so heißt dies nicht mehr und nicht weniger als: es ist unmöglich, eine Formel zu finden, mittels deren wir die Zukunft aus der Gegenwart berechnen können. (Richtiger sollte es heißen: es ist unmöglich, solche Formel zu suchen, es gibt keine Anweisung zu ihrer Auffindung; sie könnte nur durch puren Zufall erraten werden.) Es ist vielleicht trostreich, zu bemerken, daß wir in ganz demselben Sinne (und einen anderen Sinn des Wortes »unbestimmt« vermag ich nicht auszudenken) auch von der Vergangenheit sagen müssen, daß sie in gewisser Hinsicht indeterminiert sei. Nehmen wir z. B. an, daß die Geschwindigkeit eines Elektrons genau gemessen und hierauf sein Ort genau beobachtet wurde, so gestatten zwar die Gleichungen der Quantentheorie, auch frühere Orte des Elektrons genau zu berechnen (dies hebt auch Heisenberg hervor: Die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie, 1930, Seite 15), aber in Wahrheit ist diese Ortsangabe physikalisch sinnlos, denn ihre Richtigkeit ist prinzipiell nicht prüfbar, da es ja prinzipiell unmöglich ist, nachträglich zu verifizieren, ob das Elektron sich zur angegebenen Zeit am berechneten Orte befunden hat. Hätte man es aber an diesem Orte beobachtet, so würde es gewiß nicht diejenigen Orte erreicht haben, an denen es später aufgefunden wurde, da ja bekanntlich seine Bahn durch die Beobachtung in unberechenbarer Weise gestört wird. Heisenberg meint (a. a. O., Seite 15): »Ob man der Rechnung über die Vergangenheit des Elektrons irgendeine physikalische Realität zuordnen soll, ist eine reine Geschmacksfrage.« Ich würde mich aber lieber noch stärker ausdrücken, in vollkommener Übereinstimmung mit der, wie ich glaube, unanfechtbaren Grundanschauung Borns und Heisenbergs selbst. Ist eine Aussage über einen Elektronenort in atomaren Dimensionen nicht verifizierbar, so können wir ihr auch keinen Sinn zuschreiben; es wird unmöglich, von der »Bahn« einer Partikel zwischen zwei Punkten zu sprechen, an denen sie beobachtet wurde (von Körpern molarer Dimensionen gilt das natürlich nicht. Wenn eine Kugel sich jetzt hier befindet und nach einer Sekunde in 10 m Entfernung, so muß sie während dieser Sekunde die dazwischenliegenden Raumstellen passiert haben, auch wenn niemand sie wahrgenommen hat; denn es ist prinzipiell möglich, nachträglich zu verifizieren, daß sie sich an den Zwischenstellen befunden hat). Man kann dies als die Verschärfung eines Satzes der allgemeinen Relativitätstheorie auffassen: wie dort alle Transformationen keine physikalische Bedeutung haben, welche sämtliche Punktkoinzidenzen – Schnittpunkte von Weltlinien – unverändert lassen, so können wir hier sagen, es habe überhaupt keinen Sinn, den Weltlinienstücken zwischen den Schnittpunkten physikalische Realität zuzuschreiben.
Die bündigste Beschreibung der geschilderten Verhältnisse ist wohl die, daß man sagt (wie es die bedeutendsten Erforscher der Quantenprobleme tun), der Gültigkeitsbereich der üblichen Raum-Zeitbegriffe sei auf das makroskopisch Beobachtbare beschränkt, auf atomare Dimensionen seien sie nicht anwendbar.
Doch verweilen wir noch einen Augenblick bei dem soeben erzielten Ergebnis hinsichtlich der Determination der Vergangenheit. – Man findet in der gegenwärtigen Literatur manchmal den Gedanken ausgesprochen, daß die heutige Physik den uralten aristotelischen Begriff der »causa finalis« wieder zu Ehren gebracht habe in der Form, daß das Frühere durch das Spätere bestimmt werde, nicht aber umgekehrt. Der Gedanke tritt bei der Interpretation der Formeln der Atomstrahlung auf, die bekanntlich nach der Theorie von Bohr so vor sich gehen sollte, daß das Atom jedesmal dann ein Lichtquant aussendet, wenn ein Elektron aus einer höheren Bahn in eine niedere springt. Die Frequenz des Lichtquants hängt dann von der Anfangsbahn und der Endbahn des Elektrons ab (sie ist der Differenz der Energiewerte beider Bahnen proportional), sie wird also offenbar durch ein zukünftiges Ereignis (das Eintreffen des Elektrons in der Endbahn) bestimmt.
Prüfen wir den Sinn dieses Gedankens! Abgesehen davon, daß der Begriff der Zweckursache bei Aristoteles doch einen anderen Inhalt gehabt haben dürfte, besagt der Gedanke gemäß unserer Analyse des Begriffs »bestimmen«, daß es in gewissen Fällen unmöglich sei, ein zukünftiges Ereignis Z aus den Daten vergangener Ereignisse V zu berechnen, daß man aber umgekehrt V aus bekanntem Z ableiten könne. Gut, denken wir uns die Formel dazu gegeben und aus ihr ein V berechnet. Wie prüfen wir die Richtigkeit der Formel? Natürlich allein dadurch, daß wir das berechnete mit dem beobachteten V vergleichen. Nun ist V aber bereits vorüber (es lag ja zeitlich vor Z, das auch bereits verflossen und bekannt sein mußte, um in die Formel eingesetzt werden zu können), es kann nicht post festum beobachtet werden. Hat man es also nicht schon vorher festgestellt, so ist der Satz, daß das berechnete V stattgefunden habe, prinzipiell nicht verifizierbar und daher sinnlos. Ist aber V schon beobachtet worden, so haben wir eine Formel vor uns, welche lauter bereits beobachtete Ereignisse miteinander verknüpft. Es gibt keinen Grund, warum eine solche Formel nicht umkehrbar sein sollte. (Denn mehrdeutige Funktionen kommen in der Physik praktisch nicht vor.) Wenn sich mit ihrer Hilfe V aus Z berechnen läßt, so muß es ebensogut möglich sein, Z durch sie zu bestimmen, wenn V gegeben ist. Man kommt also auf einen Widerspruch, wenn man sagt, es ließe sich wohl die Vergangenheit aus der Gegenwart berechnen, nicht aber umgekehrt. Logisch ist beides ein und dasselbe. Man beachte wohl: der Kern dieser Überlegung besteht darin, daß die Daten der Ereignisse V und Z vollkommen gleichberechtigt in das Naturgesetz eingehen; sie müssen alle bereits beobachtet sein, wenn die Formel verifizierbar sein soll.
Übrigens entstehen auch hier im Grunde alle Unklarheiten dadurch, daß man nicht reinlich genug scheidet zwischen dem, was als Denkzutat aufgefaßt werden kann, und dem, was wirklich beobachtet wird. Hier zeigt sich wieder der große Vorzug der Heisenbergschen Auffassung, welche vom Atom nur ein rein mathematisches, kein scheinbar anschauliches Modell liefern möchte; bei ihr fällt die Versuchung fort, sogenannte causae finales einzuführen. Mir scheint die bloße Klärung der Bedeutung des Wortes »Bestimmen« zu zeigen, daß es unter allen Umständen unzulässig ist, anzunehmen (ganz unabhängig von der Frage des Determinismus), ein späteres Ereignis bestimme ein früheres, das Umgekehrte aber gelte nicht.
Die letzten Betrachtungen scheinen zu lehren, daß ein Schluß auf vergangene Ereignisse logisch genau denselben Charakter trägt wie ein Schluß auf zukünftige Vorgänge. Sofern und in dem Maße, wie überhaupt Kausalität vorliegt, kann man mit dem gleichen Rechte sagen, das Frühere determiniere das Spätere, wie: das Spätere bestimme das Frühere. Hiermit stimmt überein, daß alle Versuche, die Zeitrichtung von der Vergangenheit in die Zukunft vor der entgegengesetzten begrifflich auszuzeichnen, überhaupt mißlingen. Dies gilt meines Erachtens auch von dem Versuche H. Reichenbachs (in der zitierten Abhandlung in den Bayerischen Sitzungsberichten), die Einsinnigkeit des Kausalverhältnisses darzutun, mit ihrer Hilfe die positive Zeitrichtung begrifflich festzulegen und damit sogar den Zeitpunkt der Gegenwart, das Jetzt, definieren zu können. Er glaubt, daß die Kausalstruktur in der Richtung auf die Zukunft sich von der umgekehrten Richtung topologisch unterscheide. Die Argumente, welche er dafür vorbringt, halte ich für unrichtig; doch möchte ich dabei nicht verweilen (vgl. übrigens die Kritik der Ideen Reichenbachs durch H. Bergmann in dessen Schrift »Der Kampf um das Kausalgesetz in der jüngsten Physik«, die noch etwas zu vervollständigen wäre), sondern nur hervorheben, daß das Verlangen nach einer Definition des Jetzt logisch sinnlos ist. Der Unterschied des Früher und Später in der Physik läßt sich objektiv beschreiben – und zwar, soviel ich sehe, tatsächlich nur mit Hilfe des Entropiebegriffs –, aber auf diese Weise wird nur die Richtung Vergangenheit – Zukunft von der entgegengesetzten unterschieden; daß aber das wirkliche Geschehen in der ersten Richtung stattfindet und nicht in der umgekehrten, läßt sich auf keine Weise sagen, und kein Naturgesetz kann es ausdrücken. Eddington (in: The nature of the physical world) beschreibt diesen Umstand anschaulich, indem er hervorhebt, daß eine positive Zeitrichtung (time's arrow) wohl physikalisch definierbar sei, daß es aber nicht möglich sei, den Übergang von der Vergangenheit zur Zukunft, das Werden (becoming), begrifflich zu fassen. H. Bergmann sieht gegen Reichenbach richtig, daß die Physik schlechterdings kein Mittel hat, das Jetzt auszuzeichnen, den Begriff der Gegenwart zu definieren, er scheint aber fälschlich anzunehmen, daß dies mit Hilfe »psychologischer Kategorien« nicht unmöglich sei. In Wahrheit läßt sich die Bedeutung des Wortes Jetzt nur aufweisen, ebenso wie man nur aufweisen, nicht definieren kann, was unter »blau« oder unter »Freude« verstanden wird.
Daß die Kausalrelation asymmetrisch, einsinnig sei (wie Reichenbach a. a. O. glaubt), wird durch Umstände vorgetäuscht, die mit dem Entropiesatze zusammenhängen; nur diesem Satze ist es zu danken, daß im täglichen Leben das Frühere leichter aus dem Späteren zu erschließen ist, als umgekehrt. Die Berechnung des Späteren ist natürlich nicht ohne weiteres mit einem Schluß auf die Zukunft, die Berechnung des Früheren nicht mit einem Schluß auf die Vergangenheit identisch, sondern dies ist nur der Fall, wenn der Zeitpunkt, von dem aus geschlossen wird, die Gegenwart ist. Reichenbach glaubt (a. a. O., Seite 155 f.), daß der letztere Fall tatsächlich dadurch ausgezeichnet sei, daß die Vergangenheit objektiv bestimmt, die Zukunft objektiv unbestimmt sei. Nach kurzer Analyse stellt sich heraus, daß mit »objektiv bestimmt« nur gemeint ist »aus einer Teilwirkung er schließbar«. Die Zukunft sei »objektiv unbestimmt«, weil sie aus einer Teilursache nicht erschlossen werden könne, denn die Gesamtheit aller Teilursachen lasse sich bei fehlender Determination überhaupt nicht definieren. Gegen die Begriffe Teilursache und Teilwirkung wäre allerlei zu sagen; und wir haben schon angedeutet, daß die scheinbar leichtere Erschließbarkeit durch Umstände vorgetäuscht wird, die mit dem Entropieprinzip zusammenhängen. Aber auch wenn das Argument keinen Irrtum enthielte, würde es doch wiederum nur den Unterschied des Früher und Später, nicht den von Vergangenheit und Zukunft charakterisieren.
Der psychologische Grund für Gedanken der letzterwähnten Art (und deshalb führte ich sie an) scheint mir darin zu liegen, daß dem Worte »unbestimmt« unausgesprochenerweise außer der schlichten Bedeutung, zu welcher unsere Analyse führte, noch eine Art metaphysischer Nebenbedeutung beigelegt wird, nämlich ob man einem Vorgange an sich Bestimmtheit oder Unbestimmtheit zuschreiben könnte. Das ist aber sinnlos. Da »bestimmt« heißt: berechenbar mit Hilfe gewisser Daten, so hat die Rede von der Bestimmtheit nur Sinn, wenn man hinzufügt: durch was? Jeder wirkliche Vorgang, möge er der Vergangenheit oder Zukunft angehören, ist so wie er ist; es kann nicht zu seinen Eigenschaften gehören, unbestimmt zu sein. Von den Naturvorgängen selber kann nicht mit Sinn irgendeine »Verschwommenheit« oder »Ungenauigkeit« ausgesagt werden, nur in bezug auf unsere Gedanken kann von dergleichen die Rede sein (nämlich dann, wenn wir nicht sicher wissen, welche Aussagen wahr, welche Bilder zutreffend sind). Gerade dies meint offenbar Sommerfeld, wenn er sagt (Scientia [Milano] 8, 85, [1930]): »Die Unbestimmtheit betrifft nicht die experimentell feststellbaren Dinge. Diese lassen sich mit gehöriger Rücksicht auf die Versuchsbedingungen genau behandeln. Sie betrifft nur die Gedankenbilder, mit denen wir die physikalischen Tatsachen begleiten.« Man darf also nicht glauben, daß die moderne Physik für den Ungedanken »an sich unbestimmter« Naturvorgänge Raum habe. Wenn es z. B. nicht möglich ist, bei einem Versuch einem Elektron einen genauen Ort zuzuweisen, und wenn Analoges von seinem Impulse gilt, so heißt dies durchaus nichts anderes, als daß Ort und Impulswert eines punktförmigen Elektrons eben nicht die geeigneten Hilfsmittel sind, um den Vorgang zu beschreiben, der sich in der Natur abspielt. Die modernen Formulierungen der Quantentheorie erkennen dies ja auch an und nehmen Rücksicht darauf.
Ebensowenig wie zur Einführung eines metaphysischen Begriffs der Unbestimmtheit gibt die gegenwärtige Lage der Physik Anlaß zu Spekulationen über das damit zusammenhängende sogenannte Problem der Willensfreiheit. Das muß scharf betont werden, denn nicht nur Philosophen, sondern auch Naturforscher haben der Versuchung nicht widerstehen können, Gedanken zu äußern wie den folgenden: »Die Wissenschaft zeigt uns, daß das physische Universum nicht vollständig determiniert ist; daraus folgt, 1. daß der Indeterminismus im Rechte ist, die Physik also der Behauptung der Willensfreiheit nicht widerspricht, 2. daß die Natur, da in ihr keine geschlossene Kausalität herrscht, Raum läßt für das Eingreifen seelischer oder geistiger Faktoren.«
Zu 1 ist zu sagen: Die echte Frage der Willensfreiheit, wie sie in der Ethik auftritt, ist nur infolge grober Irrtümer, die seit Hume längst aufgeklärt sind, mit der Indeterminismusfrage verwechselt worden. Die sittliche Freiheit, welche der Begriff der Verantwortung voraussetzt, steht nicht im Gegensatz zur Kausalität, sondern wäre ohne sie sogar hinfällig (vgl. meine »Fragen der Ethik«, Kapitel 7, 1930).
Zu 2 ist zu sagen: Die Behauptung impliziert einen Dualismus, das Nebeneinander einer geistigen und einer physischen Welt, zwischen denen durch die unvollkommene Kausalität der letzteren eine Wechselwirkung möglich gemacht sein soll. Es ist meines Erachtens keinem Philosophen gelungen, den eigentlichen Sinn eines solchen Satzes klarzumachen, d. h. anzugeben, welche Erfahrungen wir machen müßten, um seine Wahrheit behaupten zu können und welche Erfahrungen seine Falschheit verbürgen würden. Im Gegenteil, die logische Analyse (für die hier natürlich kein Platz ist) führt zu dem Ergebnis, daß in den Daten der Erfahrung nirgends ein legitimer Grund für jenen Dualismus zu finden ist. Es handelt sich also um einen sinnleeren, unprüfbaren, metaphysischen Satz. Man scheint zu glauben, daß die Möglichkeit des Eingreifens »psychischer« Faktoren in etwaige Lücken der »physischen« Kausalität weltanschauliche Konsequenzen habe, die unseren Gemütsbedürfnissen entgegenkommen. Aber dies dürfte eine Illusion sein (wie denn überhaupt die rein theoretische Interpretation der Welt mit den richtig verstandenen Gemütsbedürfnissen gar nichts zu tun hat); wenn die winzigen Lücken der Kausalität irgendwie ausgefüllt werden könnten, so würde das ja nur heißen, daß die praktisch ohnehin bedeutungslosen Spuren von Indeterminismus, die das moderne Weltbild enthält, teilweise wieder ausgelöscht würden.
Auf diesem Gebiet hat die Metaphysik früherer Zeiten gewisse Irrtümer verschuldet, die nun auch noch manchmal dort auftreten, wo metaphysische Motive vollkommen fehlen. So lesen wir bei Reichenbach (a. a. O., Seite 141): »Hat der Determinismus recht, so ist es durch nichts zu rechtfertigen, daß wir uns für den morgigen Tag eine Handlung vornehmen, für den gestrigen Tag aber nicht. Es ist wohl klar, daß wir dann gar nicht die Möglichkeit haben, auch nur den Vorsatz zu der morgigen Handlung und den Glauben an Freiheit zu unterlassen – gewiß nicht, aber einen Sinn hat unser Tun dann nicht.« Mir scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein: unsere Handlungen und Vorsätze haben offenbar nur insofern Sinn, als die Zukunft durch sie determiniert wird. Es liegt hier einfach eine Verwechslung des Determinismus mit dem Fatalismus vor, die in der Literatur schon so oft gerügt wurde, daß wir darauf nicht mehr einzugehen brauchen. Demjenigen übrigens, der die soeben kritisierte Meinung vertritt, wäre durch den Indeterminismus der modernen Physik nichts geholfen, denn in ihr ist ja bei möglichster Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände das Geschehen immer noch mit so außerordentlich großer Genauigkeit vorausberechenbar, die übrigbleibende Unbestimmtheit ist so minimal, daß der Sinn, den unsere Handlungen in dieser unserer Wirklichkeit noch besäßen, unmerklich gering wäre.
Gerade die letzten Betrachtungen lehren uns wieder, wie verschieden die Beiträge der modernen Physik zur Frage der Kausalität von den Beiträgen sind, die früheres philosophisches Denken zu der Frage lieferte und wie recht wir hatten, als wir eingangs erklärten, daß die menschliche Phantasie nicht imstande war, die Struktur der Welt vorauszuahnen, welche die geduldige Forschung uns in ihr enthüllt. Fällt es ihr doch sogar nachträglich schwer, die von der Wissenschaft als möglich erkannten Schritte zu tun!