Christoph von Schmid
Die Ostereier
Christoph von Schmid

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Zweites Kapitel.

»Gottlob, nun sind doch einmal die Hühner da!«

Einmal kam der alte Diener, der Kuno hieß, wieder von einer Reise heim, und trug einen Hühnerstall auf dem Rücken. In dem Stalle waren ein Hahn und einige Hennen. Als die Kinder im Thale den alten Mann kommen sahen, liefen sie alle zusammen; denn er brachte ihnen immer etwas mit – weißes Brot, Mandelkerne und Zibeben, ein Pfeifchen, ein Glöcklein für ihre Ziegen oder sonst eine Kleinigkeit.

Diesmal waren die Kinder sehr neugierig, was denn in dem vergitterten Kästchen sei, das fast ganz mit Tuch bedeckt war, so daß man nicht recht hinein sehen konnte. Sie begleiteten ihn bis vor die Thüre der Frau, die mit ihren zwei Kleinen sogleich freudig heraus kam und ihn grüßte. »Gottlob,« rief das kleine Fräulein und klatschte in die Hände, »nun sind doch einmal die Hühner da!«

Der Mann stellte den Kasten nieder, öffnete das Thürchen, und da kam denn zuerst ein prächtiger Hahn heraus. Die Kinder erstaunten. »Was für ein sonderbarer Vogel das ist!« riefen sie; denn wie man ihn heiße, wußten sie noch nicht. »In unserm Leben haben wir noch keinen so schönen Vogel gesehen! Was er für eine schöne Krone auf dem Kopfe hat, noch schöner rot, als Kornblumen; und wie wunderschön bräunlich und gelblich seine Federn schimmern, noch schöner als reifes Getreide in der Abendsonne; und wie wunderlich er den Schweif trägt, fast wie eine Sichel gekrümmt!« Auch die Hennen gefielen ihnen sehr wohl. Es waren ein paar schwarze mit hochrotem Kamme, ein paar weiße mit Schöpfen und ein paar rötlichbraune ohne Schweif. Die Frau streute den Hühnern einige Hände voll Haferkörner hin. Die Hühner pickten sie geschäftig hinweg, und die Kinder standen und knieten im Kreise umher, und sahen mit vergnügten Gesichtern zu.

Als der Hafer aufgefressen war, da schwang der Hahn die Flügel und krähte – – und alle Kinder lachten laut zusammen, so freuten sie sich darüber. Und im Heimwege schrien die Knaben alle: »Kikiriki« und die Mädchen machten es ihnen wohl auch nach, aber doch nicht gar so laut. Als die Kinder heimkamen, erzählten sie von den Wundervögeln, die viel größer seien, als die Ringeltauben, ja wohl größer, als die Raben, und wie sie so schöne Farben hätten, noch viel schöner, als alle Vögel im Walde. »Und,« sagte die kleine Marie, Marthas gesprächiges Schwesterlein, »wie sie so ein rotes Käpplein auf dem Kopfe tragen, wie es bisher noch bei keinen Vögeln des Waldes gebräuchlich gewesen.« Auch die Eltern wurden neugierig und kamen, die fremden Vögel zu sehen, und waren nicht weniger darüber verwundert.

Nach einiger Zeit ließ sich eine der Hennen zum Brüten an. Martha mußte die Henne täglich füttern. Die Frau zeigte einmal den Kindern aus dem Thale das Nest, und die Kinder wunderten sich alle laut über die Menge von Eiern. »Fünfzehn Eier!« riefen sie, »die Holztauben legen nur zwei, andere Vögelein nur fünf Eier. O, wie wird die Henne so viele Junge auffüttern!«

Da die Jungen anfingen auszukriechen, wollte die Frau den Kindern eine Freude machen und ließ sie rufen. Es kamen aber, da es eben Feiertag war, auch viele große Leute mit. Die Frau zeigte ihnen ein aufgepicktes Ei. O wie freuten sie die Kinder, als das junge Hühnlein so geschäftig pickte, herauszukommen. Die Frau half ihm vollends heraus. Nun war die Verwunderung noch größer, daß das kleine Vögelein schon über und über so schöne gelbe Flaumfederlein habe, so munter aus den schwarzen Äuglein blicke, und sogleich davon laufen könne, da doch andere junge Vögelein nackt, blind und ganz hilflos zur Welt kämen. »Das ist doch etwas Unerhörtes!« sagten die Kinder; »solche Vögel gibt es in der ganzen Welt nicht mehr.«

Als die schöne, glänzend schwarze Glucke mit dem purpurroten Kamme, in Mitte ihrer fünfzehn gelbhaarigen Jungen, das erste Mal auf den grünen Rasen herausschritt, da war die Freude der Kinder und Eltern gar über alle Weise. »Schöneres kann man doch nicht sehen!« sagte ein Köhler. »Und horcht nur,« sprach eine Köhlerin, »wie die Alte den Jungen lockt, und wie die kleinen Dingerchen den Ruf verstehen, und sogleich folgen. Es wäre zu wünschen, daß ihre Kinder auch immer so auf den Ruf ginget!«

Ein Knabe wollte ein neuer Hühnlein fangen, um es näher zu betrachten. Das kleine Dingelchen schrie aber kläglich, und auf das Geschrei schoß die Alte plötzlich und mit weitgeöffneten Flügeln herbei, und flog dem Knaben, der heftig erschrack und jammernd um Hilfe rief, auf den Kopf. Sie hätte ihm wohl die Augen ausgekratzt, wenn er das Junge nicht augenblicklich wieder hätte laufen lassen. Der Vater schmähte den Knaben, und die Mutter sagte: »Wie das treue Tier sich seiner Jungen so eifrig annimmt! Menschen könnten sogar von ihm lernen.«

Wann die Henne nur einen guten Bissen fand, so erhob sie sogleich ein Geschrei, und die Jungen eilten alle zusammen. Die Alte zerhackte ihn zuerst mit ihrem Schnabel, und legte ihnen gleichsam vor. Jedermann wunderte sich, daß so junge Tierchen, die nicht viel über einen Tag alt waren, nicht nur sogleich laufen, sondern auch schon fressen konnten.

Da jetzt die Sonne sich etwas unter die Wolken verbarg, so sammelten sich alle Jungen unter die Alte, und versteckten sich da, um sich zu wärmen. »Das ist noch das allerschönste,« sagten die Leute. »Es ist gar artig und munter, wie hie und da ein Köpfchen unter den Flügeln der Henne hervorsieht, oder sich ein Junges hervorwagt, und sogleich wieder an einer andern Stelle unter sie hineinkriecht.«

Der Müller, der in seiner weißbestäubten Kleidung in Mitte der schwarzen Köhler sich gar sonderbar ausnahm, aber auch an Einsicht sich eben so vor ihnen auszeichnete, sprach: »Was das doch für ein Wunderding mit diesen fremden Vögeln ist! Gott offenbart sich uns zwar überall in seinen Werken; aber wenn wir etwas Ungewöhnliches sehen, fällt uns seine Allmacht, Weisheit und Güte doch noch mehr in die Augen. Bedenkt nur, wie gut es ist, daß diese kleinen Vögelein sogleich laufen und fressen können; wenn die Alte so vielen Jungen das Futter im Schnabel zutragen müßte, wie eine Schwalbe, da würde sie nicht fertig! Wie gut ist's, daß schon die Natur der Jungen so ist, der Alten nachzulaufen und ihrer Stimme zu folgen. Liefen sie, weil sie doch auf der Stelle laufen können, sogleich auseinander, die Alte könnte sie nicht mehr zusammenbringen, und die Jungen gingen verloren. Besonders wundert mich aber, wo die Henne den Mut hernimmt, ihre Jungen so tapfer zu verteidigen! Habe ich mich doch oft schon über die Hühner geärgert, und sie dumme Tiere gescholten, weil sie allemal, so oft ich an ihnen vorbeiging, vor Furcht scheu auseinander flogen, obwohl sie längst merken konnten, daß ich ihnen nichts zu leid thue. Und nun ist die Natur der Gluckhenne ganz verändert, und sie setzt sich gegen einen Mann zur Wehre. Oft hat es mich ergötzt, wie die Hennen um einen Bissen Brod zanken, oder wie diejenige, die ein größeres Bröcklein fand, so neidisch ist, und sogleich davon läuft, und wie die andern ihr nachlaufen, und es ihr nehmen wollen. Jetzt aber hat diese Henne ihre Gefräßigkeit ganz abgelegt, und ruft den Jungen selbst, und rührt nichts an, bis alle satt sind. Ich glaube, das gute Tier stürbe lieber selbst Hungers, als daß sie eines ihrer Jungen verhungern ließe. Diese zärtliche Sorgfalt, mit der die Henne ihre zarten Jungen umherführt, Futter für sie aufsucht, sie ernährt, sie beschützt, sie unter ihren Flügeln wärmt, hat Gott dem Tiere eingepflanzt. So zärtlich ist Gott für diese jungen Hühnlein besorgt! Und wie sollten nun wir verzagen? Sollte er nicht noch mehr für uns besorgt sein? Freilich sorgt er noch mehr für uns. Darum nur guten Mut, liebe Leute! Gott macht alles wohl. Er sorgt für alle seine Geschöpfe, am meisten aber für den Menschen, der in seinen Augen mehr ist, als alle Hühner und alle anderen Vögel in der ganzen Welt.«


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