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Inder gingen Sommer und Herbst vorüber, und der Winter kam. Er war, zumal in dieser rauhen Gegend, sehr hart. Die kleinen Hütten im Thale lagen Monate lang, wie im Schnee vergraben. Nur die rauchenden Kamine und zum Teil auch die Dächer schauten noch aus der weißen Hülle hervor. Von dem Hohlwege zwischen den Felsen herauf sah man gar nichts mehr. Die Mühle stand still, und die Wasserfälle hingen starr und geräuschlos an den Felsen da. Man konnte nur wenig zusammen kommen. Desto größer war die Freude, als der Schnee schmolz und es nun wieder Frühling ward.
Die Kinder aus dem Thale kamen sogleich wieder herauf, und brachten den beiden fremden Kindern, Edmund und Blanda, die ersten blauen Veilchen und gelben Schlüsselblümchen, die sie im Thale finden konnten. Ja, sie flochten ihnen, sobald es mehrere dieser holden Frühlingsblümchen gab, die schönsten blauen und gelben Kränze. »Und muß,« sagte die edle Frau, »den guten Kindern doch auch eine Freude machen. Ich will ihnen auf den kommenden Ostertag ein kleines ländliches Kinderfest geben. Denn es ist gar schön, daß man solche Festtage den Kindern, so gut man nur immer kann, zu Freudentagen mache. Aber was soll ich ihnen geben? Auf Weihnachten konnte ich sie mit Äpfeln und Nüssen beschenken, die ich für sie hatte bringen lassen. Allein zu dieser Jahreszeit hat man nichts im Hause, als etwa ein Ei. Noch bringt die Natur nichts hervor, das zu genießen wäre. Alle Bäume und Sträuche stehen ohne Früchte und Beeren. Eier sind die ersten Geschenke der wieder auflebenden Natur.«
»Aber,« sagte Martha, »wenn die Eier nur nicht so ganz ohne alle Farben wären! Weiß ist wohl auch schön. Allein die allerlei Farben der Früchte und Beeren, zumal die schönen roten Wangen der Äpfelein, sind doch noch schöner.«
»Du bringst mich da auf einen Einfall,« sagte die gute Frau, »der nicht gar übel sein mag. Ich will die Eier hart sieden, und sie, was sich während des Siedens leicht thun läßt, zugleich färben. Die mancherlei Farben machen den Kindern gewiß große Freude.«
Die verständige Mutter kannte verschiedene Wurzeln und Moose, die man zum Schönfärben brauchen kann. Sie färbte nun die Eier auf verschiedene Art. Einige wurden schön himmelblau, andere gelb wie Zitronen, andere so schön rot wie das Innere der Rosen. Einige hatte sie mit zarten grünen Blättchen eingebunden, die sich dann auf den Eiern abbildeten, und ihnen ein unvergleichlich schönes buntes Aussehen gaben. Auf einige schrieb sie auch einen kleinen Reim.
»Die gefärbten Eier,« sagte der Müller, als er sie erblickte, »sind gerade recht für das Fest, wo die Natur ihr weißes Kleid abgelegt hat, und sich mit allerlei Farben schmückt. Die gute Mutter macht es gerade wie der liebe Gott, der uns nicht nur schmackhafte Früchte gibt, sondern sie auch noch für das Auge schön und freundlich macht. Wie er die Kirsche rot, die Pflaume blau, die Birne gelb färbt, so macht sie es mit den Eiern.« Die Frau schickte hierauf Martha hinab in das Thal, und ließ die Kinder, die mit Edmund und Blanda ungefähr im gleichen Alter waren, auf den heiligen Ostertag zu einem kleinen Kinderfeste einladen.
Der Ostertag war dieses Mal ein überaus schöner Frühlingstag – ein wahrer Auferstehungstag der Natur. Die Sonne schien so schön und warm, der Himmel war so rein und blau, daß es eine Lust war, und alles neues Leben fühlte. Die Wiesen im Thale waren bereits schön grün, und hie und da schon bunt von Blumen. Jedermann freute sich, und man sah überall nur fröhliche Gesichter.
Schon lange vor Anbruch der Morgenröte hatten die Frau und der alte Kuno sich auf den Weg zur Kirche gemacht, die über zwei Stunden weit entfernt, jenseits mehrerer Berge lag. Edmund und Blanda mußten indes unter Marthas Aufsicht zu Hause bleiben. Die Väter und Mütter aus dem Thale, und die größeren Kinder, die so weit gehen konnten, zogen auch mit dahin. Gegen Mittag kam die Frau mit Hilfe des Maultieres, das Kuno führte, wieder zurück; die übrigen Leute aber kamen mit ihren Kindern erst lange nach Mittag, oder gar erst gegen Abend nach Hause.
Sobald die Frau angelangt war, eilten die eingeladenen Kinder, die man daheim gelassen hatte, und die sehnlich auf die Zurückkunft der Frau warteten, voll Freude und in ihren schönsten Kleidern aus dem Thale herauf, und versammelten sich vor der Hausthüre der Frau. Die Frau kam mit Edmund und Blanda heraus, grüßte die versammelten Kinder freundlich, und ging mit ihnen in den Garten am Hause, den Kuno im vorigen Jahre mit vieler Mühe sehr verschönert und bis an die nächste Felsenwand erweitert hatte. Die Frau setzte sich auf die kleine Bank unter einem Baume, rief die Kinder näher zu sich her, und alle drängten sich zu ihr, und blickten freudig und freundlich lächelnd zu ihr auf.
»Nun, meine lieben Kinder!« sprach sie, »wißt ihr auch, warum der heutige Tag ein so großes Freudenfest für uns ist?« – »O ja,« riefen die Kinder, »weil Jesus Christus vom Tode auferstanden ist.« – »Könnt ihr aber auch erzählen,« fragte sie, »wie das zugegangen ist. Ihr wißt, er ist aus Liebe zu uns gestorben, und wurde begraben. Was geschah nun weiter?«
Marthas Schwesterchen blickte in dem Garten umher, und dann auf die Felsenwand hin, und sagte: »Sein Grab war auch in einem Garten und es war in einen Felsen eingehauen. Das Grab wurde mit einem großen, hohen Steine, wie mit einer Thüre, verschlossen. Jesus hatte vorausgesagt, in drei Tagen werde er wieder vom Tode auferstehen. Die Leute wollten es ihm aber nicht glauben; allein er hat doch Wort gehalten. Nun, was geschah? Die heiligen Engel erschienen, wie einst bei seiner Krippe, bei seinem Grabe. Am Morgen des dritten Tages kam ein Engel von dem Himmel herab, und wälzte den Stein weg von dem Grabe. Sein Kleid war weiß, wie Schnee, und ein Glanz umgab ihn, viel heller als der Blitz. Noch andere schöne, glänzende Engel erschienen. Und Jesus Christus ging neulebendig, schöner und herrlicher, als alle Engel, aus dem Grabe hervor. Wie die frommen Hirten ehemals zur Krippe Jesu gekommen sind, so besuchten fromme Frauen sein Grab; und wie ein Engel den Hirten die große Freude verkündet hatte, Christus sei geboren, so verkündeten die Engel am Grabe den trauernden Frauen die eben so große Freude, er sei auferstanden. »Was sucht ihr den Lebenden unter den Toten?« sagte der Engel; »er ist nicht mehr hier; er ist auferstanden, wie er es vorhergesagt hat.«
»Nun wohl,« sprach die Frau, »du hast das, was ich dir und meiner Blanda und meinem Edmund hier erzählt habe, gut gemerkt. Nun will ich weiter erzählen. Nachdem die Engel verschwunden waren, offenbarte Jesus Christus selbst sich zuerst einer der frommen Frauen, die allein zu dem Grabe in den Garten gekommen waren. Anfangs erschien er ihr, um sie nicht zu erschrecken, als ein Gärtner, gab sich ihr aber dann sogleich zu erkennen, nannte mit seiner, ihr bekannten, liebreichen Stimme sie freundlich mit ihrem Namen: »Maria!« und sie rief voll Erstaunen und Freude: »O mein Lehrer!« und fiel anbetend auf ihre Knie, und fühlte sich so selig, als wäre sie im Paradiese.«
»Die übrigen Frauen kehrten, hocherfreut über die Freudenbotschaft, er sei auferstanden, von dem leeren Grabe zurück. Wie sie nun an dem lieblichen Frühlingsmorgen der Stadt zu gingen, da kam Jesus ihnen entgegen, und sagte freundlich zu ihnen: »Seid gegrüßt!« Sie erkannten ihn und fielen vor ihm auf die Kniee, und umfaßten voll Freude und Anbetung seine Füße.«
»Zwei seiner Jünger wollten nach einem Flecken gehen, der Emaus hieß. Sie waren recht traurig, und redeten von nichts , als von seinem Tode. Da gesellte er sich, unter der Gestalt eines fremden Wanderers, zu ihnen und legte ihnen die heilige Schrift aus, in der es vorhergesagt worden, daß Christus leiden und sterben, und wieder vom Tode auferstehen mußte. Sie baten ihn, als sie bei ihrer Wohnung ankamen, bei ihnen zu übernachten, weil es schon Abend war. Er kehrte bei ihnen ein, setzte sich mit ihnen zu Tisch, gab sich ihnen bei dem Brotbrechen zu erkennen – und verschwand. Und ihr ganzes Herz glühte von Freude und Anbetung.«
»Die Apostel hatten sich, aus Furcht vor den Mördern Jesu, in einen Saal eingeschlossen. Da stand er auf einmal in ihrer Mitte und sagte zu ihnen: »Der Friede sei mit euch.« Sie aber erschracken und meinten einen Geist zu sehen. Er aber zeigte ihnen seine Wundenmale und ging so vertraulich mit ihnen um, wie ehemals vor seinem Tode. Sie erkannten nun, er sei es wirklich, und hatten eine Freude, die sich gar nicht aussprechen läßt.«
»Einer der Apostel, Namens Thomas, war nicht dabei gewesen. Er glaubte es den Aposteln nicht, daß Jesus Christus auferstanden sei, und daß sie ihn gesehen hätten. Als die Apostel nun wieder in dem Saale versammelt waren und Thomas bei ihnen war, stand Jesus wieder plötzlich in ihrer Mitte – und Thomas fiel anbetend vor ihm nieder und rief: »Mein Herr und mein Gott!« – –
»Jetzt,« sprach die Frau, »muß ich euch noch sagen, warum auch wir uns von ganzem Herzen freuen sollen, daß Jesus Christus vom Tode auferstanden ist.«
»Jesus Christus hat durch seine Auferstehung uns gezeigt, daß der Vater im Himmel ihn in diese Welt gesandt hat, uns Menschen das ewige Leben zu geben. Jesus gab uns den schönsten und einfachsten Beweis von einem Leben nach dem Tode! Er ging lebend aus dem Grabe hervor, und zeigte sich so als den Überwinder des Todes. Und was könnte für uns Menschen, die wir alle sterben müssen, tröstlicher und erfreulicher sein, als die Hoffnung eines neuen ewigen Lebens nach dem Tode, das Jesus uns verheißt! Wie er seinen Jüngern vorhergesagt hat, er werde auferstehen, und wie dieses geschah; so hat er auch vorhergesagt, daß wir auferstehen werden, und auch dies wird geschehen. Er konnte mit Wahrheit sagen: »Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, wenn er gleich gestorben ist.« – »Ja, wahrlich,« sprach er, »Ich sage euch, es kommt die Stunde, da alle, die in den Gräbern ruhen, die Stimme des Sohnes Gottes hören, und hervor gehen und leben werden.«
»Alles, was ihr, meine lieben Kinder, zu dieser schönen Frühlingszeit hier im Garten und dort im Thale und auf den Bergen umher nur immer erblickt, bestätigt das, was Jesus Christus von der Auferstehung und einem neuen Leben gesagt hat. Schaut nur einmal um euch! Seht, die Bäume dort standen dürr, ohne Laub, und wie erstorben da; nun leben sie neu auf, und schmücken sich mit frischen, grünen Blättern. Tausend schöne, bunte Schmetterlinge und mancherlei niedliche Käferchen, die früherhin, unansehnlichen Würmern ähnlich, nur auf Blättern umher kriechen konnten, sich dann in die Erde verscharrten, kommen jetzt beflügelt und als neue Geschöpfe aus diesen ihren Gräbern hervor, und freuen sich ihres neuen Lebens. Die Blumen da auf den Gartenbeeten kommen aus der dunklen Erde hervor; auch sie sind auferstanden! Auf diese Wunder der Natur aufmerksam zu sein, hat selbst Jesus Christus uns gelehrt – in dem schönen Gleichnisse von dem Weizenkörnlein, das in die Erde gelegt wird, und da verweset, und dann als eine schöne reiche Ähre sich aus der Erde erhebt. Jede Kornähre, jede Blume, jedes Gräslein ruft uns gleichsam zu: »Ich bin erstanden; so wirst auch du, o Mensch, der du in das Grab gelegt wirst, wieder auferstehen.«
Die Frau sagte noch weiter: »Da sehe ich unter auch, meine lieben Kinder, zwei Geschwister in schwarzen Kleidern, einen Knaben und ein Mädchen, denen vor wenigen Tagen ihre Mutter gestorben ist. Ach, wie schmerzlich habt ihr beide geweint, als ihr es so habt mit ansehen müssen, wie man eure liebe Mutter begraben hat! Da ich nur davon rede, kommen euch wieder die Thränen in die Augen. Aber seid getrost, ihr gute Kinder! Auch eure liebe, fromme Mutter wird wieder auferstehen. Wie die Jünger und Jüngerinnen Jesu, die über den Tod ihres geliebten Herrn und Heilandes voll Traurigkeit waren, ihr wieder gesehen haben, und eine unbeschreibliche Freude hatten, so werdet auch ihr dereinst eure liebe Mutter wiedersehen, ihr freundliches Angesicht, nicht mehr vom Tode entstellt, sondern von himmlischer Schönheit verklärt, wieder erkennen, und auch eure Freude wird unaussprechlich groß sein. O weinet daher nicht mehr! Trocknet eure Tränen, und laßt uns fröhlich sein! Denn es ist eine Auferstehung, ein ewiges Leben! Wir wollen uns darüber freuen, und Gott loben und preisen. Alle frommen Christen auf der weiten Erde singen heute voll Freude: »Alleluja! Lobet den Herrn!« In diesen Freudenruf wollen auch wir miteinstimmen, und freudig rufen: »Alleluja!«
»Doch,« sprach die Frau und stand auf, »nun kommt mit mir!« Sie führte die Kinder zur Felsenwand, wo Kuno auf einem zierlich mit feinem Kiese bestreuten Grunde, einen großen länglich runden Tisch aufgestellt hatte. Der Tisch war mit einem farbigen Teppiche belegt. Rasensitze von jungem, frischen Grün umgaben ihn. Die Kinder setzten sich rings um den Tisch, und mitten unter ihnen Edmund und Blanda. Alle sahen freundlich und fröhlich aus den Augen, und waren voll Erwartung der Dinge, die da kommen würden. Es war wirklich ein ungemein lieblicher Anblick, den schönen Kreis von gelb- und braunlockigen Köpfchen und alle die blühenden Gesichter zu sehen. »So schön ist kein Blumenkranz,« sagte die Frau bei sich selbst, »und wäre er auch aus den schönsten Rosen und Lilien gewunden.«
Nun wurde eine große irdene Schüssel voll heißer Milch aufgetragen, darein Eier geschlagen waren. Jedes Kind hatte ein neues irdenes Schüsselchen vor sich stehen. Jedes bekam nun seinen Teil, und ließ sich's trefflich schmecken. Hierauf führte die Frau die Kinder durch eine Seitenthüre des Gartens in das kleine Tannenwäldchen, das an den Garten stieß. Zwischen den jungen Tannen waren hie und da schöne grüne Rasenplätze. Die Frau sagte den Kindern, jedes solle aus Moos, mit dem die Felsen und Bäume umher reichlich bewachsen waren, ein kleines Nestchen machen. Sie gehorchten mit Freude. Denjenigen Kindern, die nicht zurecht kommen konnten, mußten die geschickteren helfen. Jedes mußte sich sein Nestchen wohl merken.
Nun kehrte die Frau mit den Kindern wieder in den Garten zurück. Aber sieh! da erblickten sie auf dem Tische einen großen Kuchen von Eierbrot, der wie ein großer gewundener Kranz gestaltet war. Jedes bekam ein großes Stück Kuchen. Indes nun die Kinder aßen, schlich Martha mit einem großen Korbe voll gefärbter Eier heimlich in das Wäldchen, und verteilte die Eier in die Nestchen, und die blauen, roten, gelben oder bunten Eier nahmen sich in den zierlichen Nestchen von zartem, grünlichem Moose ungemein schön aus.
Nachdem die Kinder genug gegessen hatten, sagte die Frau: »Nun kommt, jetzt wollen wir nach den Nestchen sehen.« In jedem Nestchen lagen fünf gleichfarbige Eier, und auf einem derselben stand ein Reim. Was da die Kinder für ein Freudengeschrei erhoben! Die Freude und der Jubel gingen über alle Beschreibung – »Rote Eier! Rote Eier!« rief das eine, »in meinem Nestchen sind lauter rote Eier.« – »Und in dem meinigen sind blaue,« rief ein anderes, »o alle so schön blau, wie jetzt der Himmel.« – »Die meinigen sind gelb,« schrie ein drittes, »noch viel schöner gelb, als die Schlüsselblümchen, oder der hellgelbe Schmetterling, der dort fliegt.« – »Die meinigen,« rief das vierte, »haben gar alle Farben!« – »O das müssen wunderschöne Hühner sein,« rief ein kleiner Knabe, »weil sie so schöne Eier legen. Diese möchte ich einmal sehen.«
»Ei,« sagte Marthas Schwesterchen, »die Hennen legen freilich keine so schönen Eier. Ich glaube gar, das Häschen hat sie gelegt, das aus dem Wacholderbusche heraussprang und davon lief, als ich dort das Nestchen bauen wollte.« Und alle Kinder lachten zusammen, und sagten im Scherze, »der Hase lege die bunten Eier.« Dieser Scherz hat sich in manchen Gegenden bis auf unsere Zeiten erhalten.
»O wie mit wenigem,« sagte die Frau, »kann man den Menschen eine große Freude machen! Wer sollte nicht gern geben, indem ja Geben seliger ist, als empfangen! – Wer doch noch ein Kind sein könnte! Eine solche Freude empfinden unter den Erwachsenen nur diejenigen, die ihr Herz rein und schuldlos bewahrten. Nur diese leben noch in dem Paradiese der Kindheit – diesem Gottesreiche schuldloser Freude.«
Nun machte die Frau den Kindern wieder eine andere Unterhaltung. Manches Kind, das nur blaue Eier bekam, hätte gern auch ein rotes oder gelbes gehabt. Denen, mit den roten, gelben oder bunten Eiern ging es eben so. Die Frau sagte daher den Kindern, sie sollten miteinander tauschen. Nur das Ei mit dem Sprüchlein durfte nicht vertauscht werden. Das war jetzt eine neue Freude, da jedes Kind auf diese Art Eier von allen Farben erhielt. »Seht,« sagte die Frau, »so muß man einander aushelfen. Wie es mit den Eiern hier ist, so ist es mit tausend andern Dingen. Gott teilte seine Gaben so aus, daß die Menschen einander davon wechselweise mitteilen können und so einander Freude machen und einander lieb gewinnen sollen. Möchte doch jeder Tausch oder Kauf, wie euer kleiner Eierhandel beschaffen sein, daß immer beide Teile gewinnen und keiner verliere.«
Der kleine Edmund las seinen Reim. Ein Köhlerknabe war darüber voll Erstaunen. Denn damals gab es noch wenig Schulen, und mancher Erwachsene wußte kaum, daß es um das Lesen und Schreiben etwas Schönes und Nützliches sei. Der Köhlerknabe wollte nun sogleich wissen, was denn da auf seinem Ei geschrieben stehe. »O, ein unvergleichlich schönes Sprüchlein!« sagte die Frau. »Höre einmal: Für Speis und Trank dem Geber dank!« Sie fragte die Kinder, ob sie dieses immer gethan hätten? Jetzt fiel es ihnen erst ein, Gott für die fröhliche Mahlzeit und die schönen Eier zu danken, was sie denn nach Anleitung der Frau auch sogleich von Herzen thaten.
Nun wollte aber jedes Kind wissen, was auf seinem Ei stehe. Alle drängten sich um die Frau. Alle die kleinen Händchen, und in jedem der Händchen ein Ei, waren gegen sie ausgestreckt. Alle riefen, wie mit einem Munde: »Was steht auf meinem? Was auf meinem? Wie heißt meines? O, mein Sprüchlein zuerste lesen!«
Die Frau mußte Friede machen, und die Kinder in einen Kreis stellen. Jetzt las sie in der Reihe herum ein Sprüchlein nach dem andern. Jedes Kind war voll Begierde zu wissen, wie sein Reimlein heiße. Alle horchten auf die Frau, und wandten kein Auge von ihr, wenn sie wieder ein Sprüchlein las.
Die Reimlein bestanden nur immer aus einigen Wörtchen. Alle zusammen, sowohl auf den Eiern, die sie jetzt, als auf jenen, die sie nachher noch austeilte, waren ungefähr folgende Reime:
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Jedes Kind gab sich alle Mühe, sein Reimlein zu merken, und wiederholte es in der Stille immer bei sich selbst, um es nicht zu vergessen.
Die Frau fragte nun in der Reihe herum, ob jedes Kind sein Sprüchlein noch wisse. Hie und da mußte sie ein wenig nachhelfen. Aber bald wußte jedes das seine schön und deutlich zu sagen. Ja, viele merkten auch die Reimlein der übrigen. Nach und nach wußte fast jedes Kind alle Reime auswendig. Wenn man nur das erste Wort nannte, so wußten sie fast allemal das Sprüchlein bis ans Ende zu sagen. Und wenn man die erste Hälfte sagte, so wußten sie die zweite ganz sicher. So viel auf einmal, und so leicht, unter Lust und Lachen, hatten die Kinder noch nie gelernt.
Die Väter und Mütter und die andern Kinder, die indes nach Hause gekommen waren, und den lauten Jubel, der in das Thal hinabscholl, vernahmen, eilten herauf, zu sehen und zu hören, Was es denn gebe. Die Kinder sprangen ihren Eltern voll Freude entgegen, zeigten ihnen die Eier und sagten die Reime auf. Die Eltern waren ganz erstaunt. »So viel,« sagten sie, »lernen ja die Kinder zu Hause kaum in einem halben Jahre auswendig, als hier in einer halben Stunde. Es bleibt doch wahr, »Lust und Lieb' zu einem Ding, macht alle Müh' und Arbeit g'ring.« – »Aber den Kindern Lust zu machen,« sagte der Müller, »das ist das Kunststückchen. Da steckt's! – Das heißt einmal viel gelernt! Das ist ja eine ganze Sittenlehre für Kinder im kleinen. Wie die Frau doch mit Kindern umzugehen weiß!
Die Frau beschenkte nun auch die übrigen Kinder mit bunten Eiern und Kuchen, und sagte noch zu allen: »Die gefärbten Eier mögt ihr zu Hause essen; nur die mit dem Sprüchlein müßt ihr zum Andenken aufbewahren.« – »Die essen wir freilich nicht!« sagten die Kinder. »Die heben wir auf. Das Sprüchlein ist ja mehr wert, als das Ei.« – »Ganz gewiß,« sagte die Frau, »wenn ihr das befolgt, was es euch lehrt.«
Sie ermahnte die Eltern nun, die Kinder bei guter Gelegenheit an die Sprüchlein zu erinnern. Die Eltern thaten's. Wenn ein Kind nicht sogleich auf das Wort gehorsamen wollte, erhob der Vater den Finger und sagte: »Ein gutes Kind« – und das Kind sprach: – »gehorcht geschwind!« und gehorchte dann geschwind. Wenn ein Kind Miene machte zu lügen, sprach die Mutter: »Wer Lügen spricht« – und das Kind fuhr fort: »dem glaubt man nicht!« errötete und schämte sich zu lügen. Und so machten die Eltern es auch mit den übrigen Reimen.
Die Kinder sagten noch gar oft: »In unserm Leben haben wir keinen so vergnügten Tag gehabt.« – »Nun,« sagte die Frau allemal, »so thut nur fleißig wie es in den Sprüchlein heißt, und dann gebe ich euch alle Jahre ein solches Eierfest. Wer aber böse und nicht folgsam ist, darf nicht dazu kommen. Denn es soll nur ein Fest für gute Kinder sein.« O, wie da die Kinder im Thale so gut und so folgsam wurden!