Arthur Schnitzler
Anatol
Arthur Schnitzler

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Die Frage an das Schicksal

Anatol. Max. Cora.

Anatols Zimmer.

Max. Wahrhaftig, Anatol, ich beneide dich . . .

Anatol (lächelt).

Max. Nun, ich muß dir sagen, ich war erstarrt. Ich habe ja doch bisher das Ganze für ein Märchen gehalten. Wie ich das nun aber sah, . . . wie sie vor meinen Augen einschlief . . . wie sie tanzte, als du ihr sagtest, sie sei eine Ballerine, und wie sie weinte, als du ihr sagtest, ihr Geliebter sei gestorben, und wie sie einen Verbrecher begnadigte, als du sie zur Königin machtest . . .

Anatol. Ja, ja.

Max. Ich sehe, es steckt ein Zauberer in dir!

Anatol. In uns allen.

Max. Unheimlich.

Anatol. Das kann ich nicht finden . . . Nicht unheimlicher als das Leben selbst. Nicht unheimlicher als vieles, auf das man erst im Laufe der Jahrhunderte gekommen. Wie, glaubst du wohl, war unseren Voreltern zumute, als sie plötzlich hörten, die Erde drehe sich? Sie müssen alle schwindlig geworden sein!

Max. Ja . . . aber es bezog sich auf alle!

Anatol. Und wenn man den Frühling neu entdeckte! . . . Man würde auch an ihn nicht glauben! Trotz der grünen Bäume, trotz der blühenden Blumen und trotz der Liebe.

Max. Du verirrst dich; all das ist Gefasel. Mit dem Magnetismus . . .

Anatol. Hypnotismus . . .

Max. Nein, mit dem ist's ein ander Ding. Nie und nimmer würde ich mich hypnotisieren lassen.

Anatol. Kindisch! Was ist daran, wenn ich dich einschlafen heiße, und du legst dich ruhig hin.

Max. Ja, und dann sagst du mir: »Sie sind ein Rauchfangkehrer«, und ich steige in den Kamin und werde rußig! . . .

Anatol. Nun, das sind ja Scherze . . . Das Große an der Sache ist die wissenschaftliche Verwertung. – Aber ach, allzuweit sind wir ja doch nicht.

Max. Wieso . . .?

Anatol. Nun, ich, der jenes Mädchen heute in hundert andere Welten versetzen konnte, wie bring ich mich selbst in eine andere?

Max. Ist das nicht möglich?

Anatol. Ich hab es schon versucht, um die Wahrheit zu sagen. Ich habe diesen Brillantring minutenlang angestarrt und habe mir selbst die Idee eingegeben: Anatol! schlafe ein! Wenn du aufwachst, wird der Gedanke an jenes Weib, das dich wahnsinnig macht, aus deinem Herzen geschwunden sein.

Max. Nun, als du aufwachtest?

Anatol. Oh, ich schlief gar nicht ein.

Max. Jenes Weib . . . jenes Weib? . . . Also noch immer!

Anatol. Ja, mein Freund! . . . noch immer! Ich bin unglücklich, bin toll.

Max. Noch immer also . . . im Zweifel?

Anatol. Nein . . . nicht im Zweifel. Ich weiß, daß sie mich betrügt! Während sie an meinen Lippen hängt, während sie mir die Haare streichelt . . . während wir selig sind . . . weiß ich, daß sie mich betrügt.

Max. Wahn!

Anatol. Nein!

Max. Und deine Beweise?

Anatol. Ich ahne es . . . ich fühle es . .. darum weiß ich es!

Max. Sonderbare Logik!

Anatol. Immer sind diese Frauenzimmer uns untreu. Es ist ihnen ganz natürlich . . . sie wissen es gar nicht . . . So wie ich zwei oder drei Bücher zugleich lesen muß, müssen diese Weiber zwei oder drei Liebschaften haben.

Max. Sie liebt dich doch?

Anatol. Unendlich . . . Aber das ist gleichgültig. Sie ist mir untreu.

Max. Und mit wem?

Anatol. Weiß ich's? Vielleicht mit einem Fürsten, der ihr auf der Straße nachgegangen, vielleicht mit einem Poeten aus einem Vorstadthause, der ihr vom Fenster aus zugelächelt hat, als sie in der Früh' vorbeiging!

Max. Du bist ein Narr!

Anatol. Und was für einen Grund hätte sie, mir nicht untreu zu sein? Sie ist wie jede, liebt das Leben, und denkt nicht nach. Wenn ich sie frage: Liebst du mich? – so sagt sie ja – und spricht die Wahrheit; und wenn ich sie frage, bist du mir treu? – so sagt sie wieder ja – und wieder spricht sie die Wahrheit, weil sie sich gar nicht an die andern erinnert – in dem Augenblick wenigstens. Und dann, hat dir je eine geantwortet: Mein lieber Freund, ich bin dir untreu? Woher soll man also die Gewißheit nehmen? Und wenn sie mir treu ist –

Max. Also doch! –

Anatol. So ist es der reine Zufall . . . Keineswegs denkt sie: Oh, ich muß ihm die Treue halten, meinem lieben Anatol . . . keineswegs . . .

Max. Aber wenn sie dich liebt?

Anatol. Oh, mein naiver Freund! Wenn das ein Grund wäre!

Max. Nun?

Anatol. Warum bin ich ihr nicht treu? . . . Ich liebe sie doch gewiß!

Max. Nun ja! Ein Mann!

Anatol. Die alte dumme Phrase! Immer wollen wir uns einreden, die Weiber seien darin anders als wir! Ja, manche . . . die, welche die Mutter einsperrt, oder die, welche kein Temperament haben . . . Ganz gleich sind wir. Wenn ich einer sage: Ich liebe dich, nur dich – so fühle ich nicht, daß ich sie belüge, auch wenn ich in der Nacht vorher am Busen einer andern geruht.

Max. Ja . . . du!

Anatol. Ich . . . ja! Und du vielleicht nicht? Und sie, meine angebetete Cora vielleicht nicht? Oh! Und es bringt mich zur Raserei. Wenn ich auf den Knien vor ihr läge und ihr sagte: Mein Schatz, mein Kind – alles ist dir im vorhin verziehen – aber sag mir die Wahrheit – was hülfe es mir? Sie würde lügen wie vorher – und ich wäre soweit als vorher. Hat mich noch keine angefleht: »Um Himmels willen! Sag mir . . . bist du mir wirklich treu? Kein Wort des Vorwurfs, wenn du's nicht bist; aber die Wahrheit! Ich muß sie wissen« . . . Was hab ich drauf getan? Gelogen . . . ruhig, mit einem seligen Lächeln . . . mit dem reinsten Gewissen. Warum soll ich dich betrüben, hab ich mir gedacht? Und ich sagte: Ja, mein Engel! Treu bis in den Tod. Und sie glaubte mir und war glücklich!

Max. Nun also!

Anatol. Aber ich glaube nicht und bin nicht glücklich! Ich wär' es, wenn es irgendein untrügliches Mittel gäbe, diese dummen, süßen, hassenswerten Geschöpfe zum Sprechen zu bringen oder auf irgendeine andere Weise die Wahrheit zu erfahren . . . Aber es gibt keines außer dem Zufall.

Max. Und die Hypnose?

Anatol. Wie?

Max. Nun . . . die Hypnose . . . Ich meine das so: Du schläferst sie ein und sprichst: Du mußt mir die Wahrheit sagen.

Anatol. Hm . . .

Max. Du mußt . . . Hörst du . . .

Anatol. Sonderbar! . . .

Max. Es müßte doch gehen . . . Und nun fragst du sie weiter . . . Liebst du mich? . . . Einen anderen? . . . Woher kommst du? . . . Wohin gehst du? . . . Wie heißt jener andere? . . . Und so weiter.

Anatol. Max! Max!

Max. Nun . . .

Anatol. Du hast recht! . . . Man könnte ein Zauberer sein! Man könnte sich ein wahres Wort aus einem Weibermund hervorhexen . . .

Max. Nun also? Ich sehe dich gerettet! Cora ist ja gewiß ein geeignetes Medium . . . heute abend noch kannst du wissen, ob du ein Betrogener bist . . . oder ein . . .

Anatol. Oder ein Gott! . . . Max! . . . Ich umarme dich! . . . Ich fühle mich wie befreit . . . ich bin ein ganz anderer. Ich habe sie in meiner Macht . . .

Max. Ich bin wahrhaftig neugierig . . .

Anatol. Wieso? Zweifelst du etwa?

Max. Ach so, die andern dürfen nicht zweifeln, nur du . . .

Anatol. Gewiß! . . . Wenn ein Ehemann aus dem Hause tritt, wo er eben seine Frau mit ihrem Liebhaber entdeckt hat, und ein Freund tritt ihm entgegen mit den Worten: Ich glaube, deine Gattin betrügt dich, so wird er nicht antworten: Ich habe soeben die Überzeugung gewonnen . . . sondern: Du bist ein Schurke . . .

Max. Ja, ich hatte fast vergessen, daß es die erste Freundespflicht ist – dem Freund seine Illusionen zu lassen.

Anatol. Still doch . . .

Max. Was ist's?

Anatol. Hörst du sie nicht? Ich kenne die Schritte, auch wenn sie noch in der Hausflur hallen.

Max. Ich höre nichts.

Anatol. Wie nahe schon! . . . Auf dem Gange . . . (öffnet die Tür.) Cora!

Cora (draußen). Guten Abend! O du bist nicht allein . . .

Anatol. Freund Max!

Cora (hereintretend). Guten Abend! Ei, im Dunklen? . . .

Anatol. Ach, es dämmert ja noch. Du weißt, das liebe ich.

Cora (ihm die Haare streichelnd). Mein kleiner Dichter!

Anatol. Meine liebste Cora!

Cora. Aber ich werde immerhin Licht machen . . . Du erlaubst. (Sie zündet die Kerzen in den Leuchtern an.)

Anatol (zu Max). Ist sie nicht reizend?

Max. Oh!

Cora. Nun, wie geht's? Dir Anatol – Ihnen, Max? – Plaudert ihr schon lange?

Anatol. Eine halbe Stunde.

Cora. So. (Sie legt Hut und Mantel ab.) Und worüber?

Anatol. Über dies und jenes.

Max. Über die Hypnose.

Cora. O schon wieder die Hypnose! Man wird ja schon ganz dumm davon.

Anatol. Nun . . .

Cora. Du, Anatol, ich möchte, daß du einmal mich hypnotisierst.

Anatol. Ich . . . Dich . . .?

Cora. Ja, ich stelle mir das sehr hübsch vor. Das heißt von dir.

Anatol. Danke.

Cora. Von einem Fremden . . . nein, nein, das wollt' ich nicht.

Anatol. Nun, mein Schatz . . . wenn du willst, hypnotisiere ich dich.

Cora. Wann?

Anatol. Jetzt! Sofort, auf der Stelle.

Cora. Ja! Gut! Was muß ich tun?

Anatol. Nichts anderes, mein Kind, als ruhig auf dem Fauteuil sitzen zu bleiben und den guten Willen haben, einzuschlafen.

Cora. O ich habe den guten Willen!

Anatol. Ich stelle mich vor dich hin, du siehst mich an . . . nun . . . sieh mich doch an . . . ich streiche dir über Stirne und Augen. So . . .

Cora. Nun ja, und was dann . . .

Anatol. Nichts . . . Du mußt nur einschlafen wollen.

Cora. Du, wenn du mir so über die Augen streichst, wird mir ganz sonderbar . . .

Anatol. Ruhig . . . nicht reden . . . Schlafen. Du bist schon recht müde.

Cora. Nein.

Anatol. Ja! . . . ein wenig müde.

Cora. Ein wenig, ja . . .

Anatol. . . . Deine Augenlider werden dir schwer . . . sehr schwer, deine Hände kannst du kaum mehr erheben . . .

Cora (leise). Wirklich.

Anatol (ihr weiter über Stirne und Augen streichelnd, eintönig). Müd . . . ganz müd bist du . . . nun schlafe ein, mein Kind . . . Schlafe . . . ganz müd bist du . . . nun schlafe ein, mein Kind . . . Schlafe. (Er wendet sich zu Max, der bewundernd zusieht, macht eine siegesbewußte Miene.) Schlafen . . . Nun sind die Augen fest geschlossen . . . Du kannst sie nicht mehr öffnen . . .

Cora (will die Augen öffnen).

Anatol. Es geht nicht . . . Du schläfst . . . Nur ruhig weiter schlafen . . . So . . .

Max (will etwas fragen). Du . . .

Anatol. Ruhig. (Zu Cora.) . . . Schlafen . . . fest, tief schlafen. (Er steht eine Weile vor Cora, die ruhig atmet und schläft.) So . . . nun kannst du fragen.

Max. Ich wollte nur fragen, ob sie wirklich schläft.

Anatol. Du siehst doch . . . Nun wollen wir ein paar Augenblicke warten. (Er steht vor ihr, sieht sie ruhig an. Große Pause.) Cora! . . . Du wirst mir nun antworten . . . Antworten. Wie heißt du?

Cora. Cora.

Anatol. Cora, wir sind im Wald.

Cora. Oh . . . im Wald . . . wie schön! Die grünen Bäume . . . und die Nachtigallen.

Anatol. Cora . . . Du wirst mir nun in allem die Wahrheit sagen . . . Was wirst du tun, Cora?

Cora. Ich werde die Wahrheit sagen.

Anatol. Du wirst mir alle Fragen wahrheitsgetreu beantworten, und wenn du aufwachst, wirst du wieder alles vergessen haben! Hast du mich verstanden?

Cora. Ja.

Anatol. Nun schlafe . . . ruhig schlafen. (Zu Max.) Jetzt also werde ich sie fragen . . .

Max. Du, wie alt ist sie denn?

Anatol. Neunzehn . . . Cora, wie alt bist du?

Cora. Einundzwanzig Jahre.

Max. Haha.

Anatol. Pst . . . das ist ja außerordentlich . . . Du siehst daraus . . .

Max. Oh, wenn sie gewußt hätte, daß sie ein so gutes Medium ist!

Anatol. Die Suggestion hat gewirkt. Ich werde sie weiterfragen. – Cora, liebst du mich . . .? Cora . . . liebst du mich?

Cora. Ja!

Anatol (triumphierend). Hörst du's?

Max. Nun also, die Hauptfrage, ob sie treu ist.

Anatol. Cora! (Sich umwendend.) Die Frage ist dumm.

Max. Warum?

Anatol. So kann man nicht fragen!

Max. . . .?

Anatol. Ich muß die Frage anders fassen.

Max. Ich denke doch, sie ist präzis genug.

Anatol. Nein, das ist eben der Fehler, sie ist nicht präzis genug.

Max. Wieso?

Anatol. Wenn ich sie frage: Bist du treu, so meint sie dies vielleicht im allerweitesten Sinne.

Max. Nun?

Anatol. Sie umfaßt vielleicht die ganze . . . Vergangenheit . . . Sie denkt möglicherweise an eine Zeit, wo sie einen anderen liebte . . . und wird antworten: Nein.

Max. Das wäre ja auch ganz interessant.

Anatol. Ich danke . . . Ich weiß, Cora ist andern begegnet vor mir . . . Sie hat mir selbst einmal gesagt: Ja, wenn ich gewußt hätte, daß ich dich einmal treffe . . . dann . . .

Max. Aber sie hat es nicht gewußt.

Anatol. Nein . . .

Max. Und was deine Frage anbelangt . . .

Anatol. Ja . . . Diese Frage . . . Ich finde sie plump, in der Fassung wenigstens.

Max. Nun so stelle sie etwa so: Cora, warst du mir treu, seit du mich kennst?

Anatol. Hm . . . Das wäre etwas. (Vor Cora.) Cora! Warst du . . . Auch das ist ein Unsinn!

Max. Ein Unsinn!?

Anatol. Ich bitte . . . man muß sich nur vorstellen, wie wir uns kennenlernten. Wir ahnten ja selbst nicht, daß wir uns einmal so wahnsinnig lieben würden. Die ersten Tage betrachteten wir beide die ganze Geschichte als etwas Vorübergehendes. Wer weiß . . .

Max. Wer weiß . . .?

Anatol. Wer weiß, ob sie nicht mich erst zu lieben anfing – als sie einen andern zu lieben aufhörte? Was erlebte dieses Mädchen einen Tag, bevor ich sie traf, bevor wir das erste Wort miteinander sprachen? War es ihr möglich, sich da so ohne weiteres loszureißen? Hat sie nicht vielleicht tage- und wochenlang noch eine alte Kette nachschleppen müssen, müssen, sag ich.

Max. Hm.

Anatol. Ich will sogar noch weiter gehen . . . Die erste Zeit war es ja nur eine Laune von ihr – wie von mir. Wir haben es beide nicht anders angesehen, wir haben nichts anderes voneinander verlangt, als ein flüchtiges, süßes Glück. Wenn sie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat, was kann ich ihr vorwerfen? Nichts – gar nichts.

Max. Du bist eigentümlich mild.

Anatol. Nein, durchaus nicht, ich finde es nur unedel, die Vorteile einer augenblicklichen Situation in dieser Weise auszunützen.

Max. Nun, das ist sicher vornehm gedacht. Aber ich will dir aus der Verlegenheit helfen.

Anatol. – ?

Max. Du fragst sie, wie folgt: Cora, seit du mich liebst . . . bist du mir treu?

Anatol. Das klingt zwar sehr klar.

Max. . . . Nun?

Anatol. Ist es aber durchaus nicht.

Max. Oh!

Anatol. Treu! Wie heißt das eigentlich: Treu? Denke dir . . . sie ist gestern in einem Eisenbahnwaggon gefahren, und ein gegenübersitzender Herr berührte mit seinem Fuße die Spitze des ihren. Jetzt mit diesem eigentümlichen, durch den Schlafzustand ins Unendliche gesteigerten Auffassungsvermögen, in dieser verfeinerten Empfindungsfähigkeit, wie sie ein Medium zweifellos in der Hypnose besitzt, ist es gar nicht ausgeschlossen, daß sie auch das schon als einen Treubruch ansieht.

Max. Na höre!

Anatol. Um so mehr, als sie in unseren Gesprächen über dieses Thema, wie wir sie manchmal zu führen pflegten, meine vielleicht etwas übertriebenen Ansichten kennenlernte. Ich selbst habe ihr gesagt: Cora, auch wenn du einen andern Mann einfach anschaust, ist es schon eine Untreue gegen mich!

Max. Und sie?

Anatol. Und sie, sie lachte mich aus und sagte, wie ich nur glauben könne, daß sie einen andern anschaue.

Max. Und doch glaubst du – ?

Anatol. Es gibt Zufälle – denke dir, ein Zudringlicher geht ihr abends nach und drückt ihr einen Kuß auf den Hals.

Max. Nun – das . . .

Anatol. Nun – das ist doch nicht ganz unmöglich!

Max. Also du willst sie nicht fragen.

Anatol. O doch . . . aber . . .

Max. Alles, was du vorgebracht hast, ist ein Unsinn. Glaube mir, die Weiber mißverstehen uns nicht, wenn wir sie um ihre Treue fragen. Wenn du ihr jetzt zuflüsterst mit zärtlicher, verliebter Stimme: Bist du mir treu . . . so wird sie an keines Herrn Fußspitzen und keines Zudringlichen Kuß auf den Nacken denken – sondern nur an das, was wir gemeiniglich unter Untreue verstehen, wobei du noch immer den Vorteil hast, bei ungenügenden Antworten weitere Fragen stellen zu können, die alles aufklären müssen. –

Anatol. Also du willst durchaus, daß ich sie fragen soll . . .

Max. Ich? . . . Du wolltest doch!

Anatol. Mir ist nämlich soeben noch etwas eingefallen.

Max. Und zwar . . .?

Anatol. Das Unbewußte!

Max. Das Unbewußte?

Anatol. Ich glaube nämlich an unbewußte Zustände.

Max. So.

Anatol. Solche Zustände können aus sich selbst heraus entstehen, sie können aber auch erzeugt werden, künstlich, . . . durch betäubende, durch berauschende Mittel.

Max. Willst du dich nicht näher erklären . . .?

Anatol. Vergegenwärtige dir ein dämmeriges, stimmungsvolles Zimmer.

Max. Dämmerig . . . stimmungsvoll . . . ich vergegenwärtige mir.

Anatol. In diesem Zimmer sie . . . und irgendein anderer.

Max. Ja, wie sollte sie da hineingekommen sein?

Anatol. Ich will das vorläufig offenlassen. Es gibt ja Vorwände . . . Genug! So etwas kann vorkommen. Nun – ein paar Gläser Rheinwein . . . eine eigentümlich schwüle Luft, die über dem Ganzen lastet, ein Duft von Zigaretten, parfümierten Tapeten, ein Lichtschein von einem matten Glaslüster und rote Vorhänge – Einsamkeit – Stille – nur Flüstern von süßen Worten . . .

Max. . . .!

Anatol. Auch andere sind da schon erlegen! Bessere, ruhigere als sie!

Max. Nun ja, nur kann ich es mit dem Begriffe der Treue noch immer nicht vereinbar finden, daß man sich mit einem andern in solch ein Gemach begibt.

Anatol. Es gibt so rätselhafte Dinge . . .

Max. Nun, mein Freund, du hast die Lösung eines jener Rätsel, über das sich die geistreichsten Männer den Kopf zerbrochen, vor dir; du brauchst nur zu sprechen, und du weißt alles, was du wissen willst. Eine Frage – und du erfährst, ob du einer von den wenigen bist, die allein geliebt werden, kannst erfahren, wo dein Nebenbuhler ist, erfahren, wodurch ihm der Sieg über dich gelungen und du sprichst dieses Wort nicht aus! – Du hast eine Frage frei an das Schicksal! Du stellst sie nicht! Tage- und nächtelang quälst du dich, dein halbes Leben gäbst du hin für die Wahrheit, nun liegt sie vor dir, du bückst dich nicht, um sie aufzuheben! Und warum? Weil es sich vielleicht fügen kann, daß eine Frau, die du liebst, wirklich so ist, wie sie alle deiner Idee nach sein sollen – und weil dir deine Illusion doch tausendmal lieber ist als die Wahrheit. Genug also des Spiels, wecke dieses Mädchen auf und lasse dir an dem stolzen Bewußtsein genügen, daß du ein Wunder – hättest vollbringen können.

Anatol. Max!

Max. Nun, habe ich vielleicht unrecht? Weißt du nicht selbst, daß alles, was du mir früher sagtest, Ausflüchte waren, leere Phrasen, mit denen du weder mich noch dich täuschen konntest?

Anatol (rasch). Max . . . Laß dir nur sagen, ich will; ja, ich will sie fragen!

Max. Ah!

Anatol. Aber sei mir nicht böse – nicht vor dir!

Max. Nicht vor mir?

Anatol. Wenn ich es hören muß, das Furchtbare, wenn sie mir antwortet: Nein, ich war dir nicht treu – so soll ich allein es sein, der es hört. Unglücklich sein – ist erst das halbe Unglück, bedauert werden: Das ist das ganze! – Das will ich nicht. Du bist ja mein bester Freund, aber darum gerade will ich nicht, daß deine Augen mit jenem Ausdruck von Mitleid auf mir ruhen, der dem Unglücklichen erst sagt, wie elend er ist. Vielleicht ist's auch noch etwas anderes – vielleicht schäme ich mich vor dir. Die Wahrheit wirst du ja doch erfahren, du hast dieses Mädchen heute zum letztenmal bei mir gesehen, wenn sie mich betrogen hat! Aber du sollst es nicht mit mir zugleich hören; das ist's, was ich nicht ertragen könnte. Begreifst du das . . .?

Max. Ja, mein Freund (drückt ihm die Hand), und ich lasse dich auch mit ihr allein.

Anatol. Mein Freund! (Ihn zur Tür begleitend.) In weniger als einer Minute ruf ich dich herein! – (Max ab.)

Anatol (steht vor Cora . . .sieht sie lange an). Cora! . . .! (Schüttelt den Kopf, geht herum.) Cora! – (Vor Cora auf den Knien.) Cora! Meine süße Cora! – Cora! (Steht auf. Entschlossen.) Wach auf . . . und küsse mich!

Cora (steht auf, reibt sich die Augen, fällt Anatol um den Hals). Anatol! Hab ich lang geschlafen? . . . Wo ist denn Max?

Anatol. Max!

Max (kommt aus dem Nebenzimmer). Da bin ich!

Anatol. Ja . . . ziemlich lang hast du geschlafen – du hast auch im Schlafe gesprochen.

Cora. Um Gottes willen! Doch nichts Unrechtes? –

Max. Sie haben nur auf seine Fragen geantwortet!

Cora Was hat er denn gefragt?

Anatol. Tausenderlei! . . .

Cora. Und ich habe immer geantwortet? Immer?

Anatol. Immer.

Cora. Und was du gefragt hast, das darf man nicht wissen? –

Anatol. Nein, das darf man nicht! Und morgen hypnotisiere ich dich wieder!

Cora. O nein! Nie wieder! Das ist ja Hexerei. Da wird man gefragt und weiß nach dem Erwachen nichts davon. – Gewiß hab ich lauter Unsinn geplauscht.

Anatol. Ja . . . zum Beispiel, daß du mich liebst . . .

Cora. Wirklich.

Max. Sie glaubt es nicht! Das ist sehr gut!

Cora. Aber schau . . . das hätte ich dir ja auch im Wachen sagen können!

Anatol. Mein Engel! (Umarmung.)

Max. Meine Herrschaften . . . adieu! –

Anatol. Du gehst schon?

Max. Ich muß.

Anatol. Sei nicht böse, wenn ich dich nicht begleite. –

Cora. Auf Wiedersehen!

Max. Durchaus nicht. (Bei der Tür.) Eines ist mir klar: Daß die Weiber auch in der Hypnose lügen . . . Aber sie sind glücklich – und das ist die Hauptsache. Adieu, Kinder. (Sie hören ihn nicht, da sie sich in einer leidenschaftlichen Umarmung umschlungen halten.)

(Vorhang.)

 


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