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Sitzungssaal im Elisabethinum. In der üblichen Weise eingerichtet. Langer grüner Tisch in der Mitte, Schränke, zwei Fenster rückwärts, Mitte. Photographien von berühmten Ärzten, ein Porträt der Kaiserin Elisabeth über der Eingangstüre links. Es ist Abend, künstliche Beleuchtung. Lüster mit großem grünen Schirm. Anfangs noch nicht alle Flammen aufgedreht. Seite rechts an der Wand kleinerer Tisch.
Hochroitzpointner, sitzend über einem großen Protokollbuch, von einem andern Blatt abschreibend.
Dozent Dr. Schreimann tritt ein. Er ist groß, glatzköpfig, schwarzer martialischer Schnurrbart, Schmiß über der Stirn, Brille. Auffallend tiefes, biederes Bierdeutsch, betont österreichischer Dialekt mit plötzlich durchschlagenden jüdischen Akzenten.
Hochroitzpointner (springt auf). Habe die Ehre, Herr Regi – Herr Dozent.
Schreimann. Servus. Na, ausg'schlafen vom Ball, Hochroitzpointner?
Hochroitzpointner. Ich habe mich gar nicht niedergelegt, Herr Dozent. Es war nimmer der Müh wert.
Schreimann (da Hochroitzpointner noch immer in einer Habachtstellung steht). Aber bequem, bequem.
Hochroitzpointner (in gemütlicherer Stellung). Bis sieben habe ich getanzt, um acht war ich schon auf der internen Abteilung, um zehn auf der chirurgischen, um zwölf –
Schreimann (ihn unterbrechend, setzt sich an den Tisch). Hören S' schon auf, ich weiß ja, daß Sie überall sind. Und jetzt haben Sie das Protokoll von der letzten Sitzung ins Reine g'schrieben?
Hochroitzpointner. Bin leider nicht früher dazu gekommen, Herr Dozent.
Schreimann. Aber, aber, ist ja überhaupt nicht Ihre Pflicht. Ich spreche Ihnen in meiner Eigenschaft als Schriftführer den Dank aus. Haben S' nur alles gut lesen können? (Zu ihm hin, im Protokoll lesend, murmelnd.) Abstimmung – Vier Stimmen für den außerordentlichen Professor an der Grazer Universität Hell, vier für den Doktor S. Wenger – (zu Hochroitzpointner gewandt) Samuel –
Hochroitzpointner. Das wird aber doch nicht ausgeschrieben.
Schreimann. Möcht wissen, warum. Mein Großvater zum Beispiel hat Samuel geheißen und hat sich immer ausgeschrieben, und ich heiße Siegfried und schreib mich auch immer aus.
Hochroitzpointner (dumm). Jawohl, Herr Regimentsarzt.
Schreimann. Aber ich bin doch nimmer Ihr Regimentsarzt. (Er liest weiter.) Der Direktor machte von seinem statutengemäßen Recht Gebrauch, bei Stimmengleichheit zu dirimieren, und entschied für Dozenten Doktor Wenger, womit dieser als Chef der Abteilung für Dermatologie und Syphilis gewählt erscheint. (Kleine Pause.) Na, sind Sie zufrieden mit Ihrem neuen Chef?
Hochroitzpointner (unwillkürlich die Hacken zusammenschlagend). Gewiß.
Schreimann (lachend, ihm die Hand auf die Schulter legend). Aber was machen S' denn, Hochroitzpointner? Sie sind doch nimmer militärärztlicher Eleve unter mir.
Hochroitzpointner. Leider, Herr Dozent. Waren schöne Zeiten.
Schreimann. Ja, jünger waren wir halt. Aber sagen Sie mir, Hochroitzpointner, weil wir schon dabei sind, wann gedenken Sie eigentlich Ihr letztes Rigorosum zu machen?
Ebenwald tritt ein. Schreimann, Hochroitzpointner.
Ebenwald. Ja, das frag ich ihn auch immer.
Hochroitzpointner. Habe die Ehre, Herr Professor.
Ebenwald. Servus, Schreimann.
Schreimann. Servus.
Ebenwald. Wissen S' was, Hochroitzpointner, Sie sollten nächstens einmal Urlaub nehmen von den verschiedenen Abteilungen und büffeln. Verstehn S', büffeln, damit Sie endlich fertig werden. Was machen Sie übrigens da im Sitzungszimmer?
Schreimann. Der Doktor war so freundlich und hat mir das Protokoll ins Reine geschrieben.
Ebenwald. Also das auch noch. Nein, was das Elisabethinum ohne den Hochroitzpointner anfangen möcht! – Und gestern auf dem Ball waren Sie doch Vortänzer?
Hochroitzpointner (dumm). Vor- und Nachtänzer, Herr Professor.
Schreimann. Und hat sich nicht einmal niedergelegt.
Ebenwald. Ja, die jungen Leut! – Na, wie war's denn?
Hochroitzpointner. Riesig voll. Sehr animiert.
Ebenwald (zu Hochroitzpointner). Wissen Sie, wo Sie heut nacht getanzt haben, Hochroitzpointner? Auf einem Vulkan.
Hochroitzpointner. Es war auch sehr heiß, Herr Professor.
Ebenwald (lacht). Ha! Also Urlaub nehmen, Prüfungen machen und nicht mehr auf Vulkanen tanzen! Auch auf keinem ausgekühlten. Servus! (Reicht ihm verabschiedend die Hand.)
Schreimann tut dasselbe.
Hochroitzpointner schlägt wieder die Hacken zusammen.
Ebenwald. Wie ein Leutnant! –
Schreimann. Hab's ihm grad g'sagt.
Hochroitzpointner ab.
(Schreimann, Ebenwald.)
Ebenwald. Also, Seine Exzellenz der Unterrichtsminister ist auch dort gewesen?
Schreimann. Ja, und hat sogar mindestens eine halbe Stunde mit Bernhardi konversiert.
Ebenwald. Es ist doch sonderbar.
Schreimann. Ich bitte dich, auf einem Ball.
Ebenwald. Aber er muß doch wissen, daß das Kuratorium demissioniert hat.
Schreimann. Und wenn auch, war doch sogar ein Mitglied des Kuratoriums auf dem Ball.
Ebenwald. Wer?
Schreimann. Der Hofrat Winkler.
Ebenwald. Der ist immer so ein Frondeur.
Schreimann. Übrigens, offiziell ist ja die Sache noch nicht.
Ebenwald. So gut wie offiziell. Die Sitzung ist doch heute jedenfalls wegen der Demission anberaumt. Na – (zögernd) kann ich mich auf dich verlassen, Schreimann?
Schreimann (leicht). Ich erlaube mir diese Frage etwas sonderbar zu finden.
Ebenwald. Na, hör auf, wir sind doch keine Studenten mehr.
Schreimann. Du kannst dich immer auf mich verlassen, wenn ich deiner Ansicht bin. Und da ja das glücklicherweise meistens der Fall ist –
Ebenwald. Es könnte aber vielleicht doch Fragen geben, in denen dir ein Zusammengehen mit mir gewisse Bedenken verursachen würde.
Schreimann. Ich habe dir schon einmal gesagt, lieber Ebenwald, diese ganze Affäre ist meiner Ansicht nach überhaupt nicht von irgendeinem religiösen oder konfessionellen Standpunkt, sondern vielmehr von dem des Taktes aus zu betrachten. Also, auch wenn ich Nationaljude wäre, ich würde in diesem Falle gegen Bernhardi Stellung nehmen. Aber abgesehen davon, erlaube ich mir, dich wieder einmal darauf aufmerksam zu machen, daß ich Deutscher bin, geradeso wie du. Und ich versichere dich, wenn sich einer von meiner Abstammung heutzutage als Deutscher und Christ bekennt, so gehört dazu ein größerer Mut, als wenn er das bleibt, als was er auf die Welt gekommen ist. Als Zionist hätt ich's leichter gehabt.
Ebenwald. Schon möglich. Eine Professur in Jerusalem wär dir sicher gewesen.
Schreimann. Öde G'spaß.
Ebenwald. Na, Schreimann, du weißt doch, wie ich zu dir stehe, aber du mußt doch andererseits begreifen, wir leben in einer so konfusen Zeit – und in einem so konfusen Land –
Schreimann. Du, komm mir nicht vielleicht wieder mit den anonymen Briefen.
Ebenwald. Ah, denkst du noch daran? Übrigens, die waren gar nicht anonym. Die waren mit vollem Namen unterschrieben, von guten alten Freunden aus der Studentenzeit. Natürlich haben die sich gewundert, daß ich mich für dich so engagiert hab. Du darfst ja nicht vergessen, lieber Schreimann, auf der Universität und noch später als alter Herr war ich ein Führer der Deutschnationalen strengster Observanz. Und du weißt, was das heißt: Wacht am Rhein – Bismarckeiche – Waidhofner Beschluß – Juden wird keine Satisfaktion gegeben, auch Judenstämmlingen –
Schreimann. Ist doch manchmal nicht anders gegangen trotz der strengsten Observanz. Den Schmiß da hab ich noch als Jud gekriegt.
Ebenwald. Na, leben wir nicht in einem konfusen Land? Auf deinen jüdischen Schmiß bist du heut noch stolzer als auf dein ganzes Deutschtum.
Professor Pflugfelder kommt. Schreimann, Ebenwald.
Pflugfelder (65, Gelehrtenphysiognomie, Brille). Guten Abend, meine Herren. Wissen Sie schon? das Kuratorium hat demissioniert!
Ebenwald. Darum sind wir ja da, verehrter Herr Professor.
Pflugfelder. Also, was sagen Sie dazu?
Ebenwald. Sie scheinen erstaunt zu sein. Man war doch allgemein darauf gefaßt.
Pflugfelder. Erstaunt? Keine Idee. Oh, das Erstaunen, wissen Sie, das habe ich mir lange abgewöhnt. Aber, den Ekel leider nicht. Nein, der geht mir bis daher.
Schreimann. Ekel?
Pflugfelder. Sie werden mir doch zugeben, meine Herren, daß die Hetze, die jetzt gegen Bernhardi inszeniert wird, jeder inneren Berechtigung entbehrt.
Ebenwald. Mir ist von einer Hetze nichts bekannt.
Pflugfelder. Ah! – Ihnen ist nichts bekannt? So, so – Und daß Ihr Vetter, der Ottokar Ebenwald, der Hauptmacher ist, das wissen Sie auch nicht?
Ebenwald. Ich muß sehr bitten –
Pflugfelder. Aber ich will Sie selbstverständlich nicht mit Ihrem Herrn Vetter identifizieren. Sie werden mit Recht jede Gemeinsamkeit ablehnen. Denn es stellt sich ja jetzt heraus, gerade bei dieser Gelegenheit, daß Ihr Herr Vetter, der so herrlich als Deutschnationaler begonnen, sich einfach dazu hergibt, die Geschäfte der Klerikalen zu besorgen. Und Sie sind doch nicht klerikal, Ebenwald. Sie sind doch deutsch, ein alter deutscher Student. Und was sind denn die deutschen Tugenden, Ebenwald? Mut, Treue, Gesinnungsfestigkeit. Habe ich noch eine vergessen? Macht nichts. Wir kommen ja vorläufig mit denen aus. Und daher hoffe ich, daß Sie mit mir einer Meinung sind: wir werden heute unserem Bernhardi eine solenne Genugtuung bereiten.
Ebenwald. Genugtuung? Wofür denn? Was ist ihm denn passiert? Bisher nichts anderes, als daß das Kuratorium demissioniert hat. Und wir können zusperren, weil wir nicht wissen, woher wir Geld kriegen sollen. Ob das gerade der richtige Anlaß ist, dem Herrn Direktor eine Ovation zu bringen, der uns durch sein nicht sehr taktvolles Benehmen in die Situation gebracht hat –
Pflugfelder. Ach so, – na ja. Sie sind halt, wie Sie sind, Ebenwald. Operieren ließ ich mich ja doch nur von Ihnen. Denn das können Sie, ja. Aber Sie, Schreimann? Sie schweigen? Auch gegen Bernhardi? Auch empört, daß er den Herrn Pfarrer gebeten hat, ein armes, krankes Menschenkind ungestört sterben zu lassen? – Begreiflich, begreiflich. So ganz frische religiöse Gefühle, die müssen besonders geschont werden.
Ebenwald (ruhig). Laß dich nicht hetzen, Schreimann.
Schreimann (ganz ruhig). Hab's grad früher zu Kollegen Ebenwald gesagt, Herr Professor, nicht in meinen religiösen Gefühlen, sondern in meinem guten Geschmack bin ich verletzt. Ich finde nämlich, ein Krankenzimmer ist nicht der richtige Ort, um Politik zu machen.
Pflugfelder. Politik! Bernhardi hat Politik gemacht! Sie werden mir doch nicht einreden, daß Sie das selber glauben. Das ist doch –
Filitz tritt ein. Schreimann, Ebenwald, Pflugfelder. Begrüßung.
Filitz. Guten Abend, meine Herren. Ich will Ihnen gleich sagen, was ich zu tun gedenke. Sie können ja das halten, wie Sie wollen. Ich für meinen Teil folge dem guten Beispiel des Kuratoriums und demissioniere.
Ebenwald. Wie?
Pflugfelder. He!
Filitz. Ich wüßte nicht, was man korrekterweise anderes tun kann, wenn man nicht direkt die Absicht hat, sich mit dem hier nicht näher zu bezeichnenden Benehmen unseres Herrn Direktors solidarisch zu erklären, und –
Ebenwald. Verzeihen Sie, Herr Professor, ich bin durchaus nicht Ihrer Ansicht. Es gibt sicher eine andere Art zu beweisen, daß wir keineswegs daran denken, uns mit dem Direktor solidarisch zu fühlen. Wir dürfen das Institut jetzt nicht im Stich lassen, gerade jetzt nicht. Wir müssen das Kuratorium vielmehr zu bewegen suchen, die Demission wieder zurückzuziehen.
Filitz. Das wird niemals geschehen, solange Bernhardi an der Spitze steht.
Schreimann. Sehr richtig, – solang er an der Spitze steht.
Filitz. Solang er –
Pflugfelder. Ah, sind Sie schon so weit, meine Herren! Das übertrifft ja –
Adler tritt ein. Pflugfelder, Ebenwald, Schreimann, Filitz.
Adler. Guten Abend, meine Herren, haben Sie schon gelesen?
Ebenwald. Was denn?
Adler. Die Interpellation.
Schreimann. In der Affäre Bernhardi?
Filitz. Ist schon erfolgt?
Adler. Steht ja im Abendblatt.
Ebenwald (klingelt). Nichts haben wir gelesen. (Zu Filitz.) Ich hab geglaubt, erst morgen.
Schreimann. Wir Praktiker haben nämlich keine Zeit, uns nachmittag ins Kaffeehaus zu setzen.
Diener tritt ein.
Ebenwald. Sein S' so gut, gehn S' hinüber in die Trafik und kaufen S' ein Abendblatt.
Filitz. Bringen Sie drei.
Schreimann. Sechs!
Ebenwald (zum Diener). Bringen S' gleich ein Dutzend. Aber g'schwind!
Diener ab.
Schreimann (zu Adler). Ist sie sehr scharf, die Interpellation?
Pflugfelder. Sollte hier niemand sein, dem der Wortlaut schon bekannt ist?
Dr. Wenger tritt ein. Pflugfelder, Filitz, Adler, Schreimann, Ebenwald.
Wenger (kleiner Mensch, gedrückt, unsicher und dabei manchmal überlaut, mit Brille). Guten Abend, meine Herren.
Schreimann. Geben S' her, Doktor Wenger. (Zieht ihm aus der Brusttasche ein Abendblatt.) Der hat ja eins.
Wenger. Aber, Herr Dozent!
Ebenwald. Das ist schön, daß Sie uns das gleich mitgebracht haben.
Wenger. Was hab ich mitgebracht? Ah so! Ist das der Usus, daß der Benjamin immer in die Sitzungen das Abendblatt mitbringt?
Ebenwald (mit der Zeitung). Da steht's!
(Die andern, außer Adler und Wenger, versuchen mit Ebenwald in die Zeitung zu sehen.)
Adler (zu Wenger). Was sagst du dazu?
Wenger. Ja, was soll ich sagen? Ich versteh nichts von Politik. Und ich war ja nicht dabei.
Schreimann (zu Ebenwald). So sehn wir keiner was. Lies vor.
Ebenwald. Also, meine Herren, die Interpellation hat folgenden Wortlaut: »Die Unterfertigten halten es für ihre Pflicht –«
Pflugfelder. Es verschlagt Ihnen ja die Red! Professor Filitz soll lesen! Er ist sonor und rhetorisch und hat den Brustton der Überzeugung.
Ebenwald. Den hätt ich auch, aber Professor Filitz liest gewiß schöner. Also bitte.
Filitz (liest). »Die Unterfertigten halten es für ihre Pflicht, der Regierung folgenden Vorfall zur Kenntnis zu bringen, der sich am 4. Februar im Elisabethinum« – und so weiter, und so weiter. »Seine Hochwürden Franz Reder, Pfarrer an der Kirche zum Heiligen Florian, wurde von der weltlichen Schwester Ludmilla an das Sterbebett der schwer erkrankten ledigen Philomena Beier gerufen, um ihr das heilige Sakrament der letzten Ölung zu erteilen. Im Vorraum des Krankensaales fand Seine Hochwürden einige Ärzte versammelt, darunter Herrn Professor Bernhardi, Chef der betreffenden Abteilung, Direktor des Institutes, welch letzterer Seine Hochwürden in barscher Weise aufforderte, von seinem Vorhaben abzustehen, mit der Begründung, daß die Sterbende durch die Aufregung eventuell Schaden an ihrer Gesundheit erleiden könnte.«
Pflugfelder. Nein, nein!!
Die Andern. Ruhe!
Filitz (liest weiter). »Herr Professor Bernhardi, als Bekenner der mosaischen Konfession, wurde von Seiner Hochwürden dahin belehrt, daß er in Erfüllung einer heiligen Pflicht erschienen sei, die in diesem Fall um so dringender geboten war, als die Kranke an den selbstverschuldeten Folgen eines verbrecherischen Eingriffes darniederlag, worauf Professor Bernhardi in höhnischer Weise seine Hausherrnrechte in den natürlich vom Gelde edler Spender erbauten und erhaltenen Räumen betonte. Als Seine Hochwürden nun, weitere Diskussionen ablehnend, sich in das Krankenzimmer begeben wollte, verstellte Herr Professor Bernhardi ihm die Türe, und in dem Augenblick, da Seine Hochwürden die Klinke ergriff, um in Ausübung seiner heiligen Pflicht das Krankenzimmer zu betreten, versetzte ihm Herr Professor Bernhardi einen Stoß –«
Adler. Eine absolute Unwahrheit!
Pflugfelder. Infam!
Schreimann. Waren Sie denn dabei?
Filitz. Als wenn es auf den Stoß ankäme.
Ebenwalde. Es gibt ja Zeugen.
Pflugfelder. Ihre Zeugen kenn ich.
Adler. Ich war auch dabei.
Pflugfelder. Aber Sie hat man nicht vernommen.
Pflugfelder. In der gewissen Kommission. Sollte Ihnen auch von der Kommission nichts bekannt sein, Herr Professor Ebenwald?
Schreimann. Weiterlesen!
Filitz (liest). »Während dieser Szene im Vorraum verschied die Kranke, ohne der Tröstungen der Religion, nach denen sie, wie die Schwester Ludmilla bezeugt hat, dringend verlangte, teilhaftig geworden zu sein. Indem wir diesen Vorfall der Regierung zur Kenntnis bringen, richten wir an die Regierung, insbesondere an Seine Exzellenz den Herrn Minister für Kultus und Unterricht, die Frage, was er vorzukehren gedenkt, um den durch diesen Vorfall aufs schwerste verletzten religiösen Gefühlen der christlichen Bevölkerung Wiens Genugtuung zu verschaffen, ferner welche Maßnahmen Seine Exzellenz zu ergreifen gedenkt, um der Wiederholung solch empörender Vorfälle vorzubeugen, und endlich, ob es Seiner Exzellenz mit Hinblick auf diesen Vorfall nicht angezeigt erscheint, künftighin bei Besetzung öffentlicher Stellen ein für allemal von Persönlichkeiten abzusehen, die durch Abstammung, Erziehung und Charaktereigenschaften nicht in der Lage sind, den religiösen Gefühlen der angestammten christlichen Bevölkerung das nötige Verständnis entgegenzubringen.« Unterschrieben . . . (Bewegung.)
Ebenwald. Na, jetzt stehen wir schön da.
Wenger. Wieso wir? Gegen das Institut ist doch kein Wort gesagt.
Schreimann. Sehr richtig!
Ebenwald. Bravo, Wenger!
Wenger (ermutigt). Das Elisabethinum steht fleckenlos und rein da.
Pflugfelder. Und der Direktor?
Wenger. Natürlich auch, wenn es ihm gelingt, woran ich natürlich keinen Augenblick zweifle, die in der Interpellation enthaltenen Anwürfe zu entkräften.
Pflugfelder. Anwürfe? – Das nennen Sie Anwürfe? – Aber, lieber Herr Kollega, diese Interpellation, – muß man Ihnen das wirklich erst sagen –, daß diese Interpellation nichts anderes bedeutet als ein politisches Manöver der vereinigten klerikalen und antisemitischen Parteien.
Filitz. Unsinn!
Ebenwald. Der alte Achtundvierziger!
Wenger. Pardon, für mich gibt es überhaupt keine religiösen und keine nationalen Unterschiede. Ich bin ein Mann der Wissenschaft. Ich perhorresziere –
Schreimann. Wir alle perhorreszieren!
Bernhardi und Cyprian treten ein. Adler, Schreimann, Ebenwald, Filitz, Pflugfelder, Wenger.
Bernhardi (sehr aufgeräumt, seine Art zu reden noch etwas humoristischer, ironischer gefärbt als sonst, aber nicht ganz unbefangen. Er nimmt dem Diener, der ihm die Türe öffnet, die Abendblätter aus der Hand). Guten Abend, meine Herren. Hier, bitte, sich zu bedienen. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich mich ein wenig verspätet habe, die Herren haben sich ja hoffentlich indes gut unterhalten.
(Allgemeine Begrüßung. Bernhardi nimmt sofort seinen Platz ein am oberen Tischende, die andern nehmen allmählich Platz, einige rauchen.)
Bernhardi. Ich erkläre die Sitzung für eröffnet. Bevor ich zur Tagesordnung schreite, erlaube ich mir im Namen des Elisabethinums unser neues Mitglied, das heute zum erstenmal einer Sitzung unseres Kollegiums beiwohnt, und gleich einer außerordentlichen, aufs herzlichste zu begrüßen. Lassen Sie mich zugleich die Hoffnung aussprechen, daß Herr Dozent Doktor Wenger sich in unserer Mitte wohlfühlen, in seiner neuen verantwortlicheren Stellung weiterhin Gelegenheit finden möge, seine bewährte Pflichttreue zu beweisen, sein Talent auszubilden und sich zu dem zu entwickeln, was jeder einzelne von uns ist, eine Zierde unseres Institutes. (Der Scherz findet keinen Widerhall.) Herr Doktor Wenger, ich heiße Sie in unser aller Namen nochmals herzlich willkommen.
Wenger. Hochverehrter Herr Direktor, meine hochverehrten Herren Kollegen! Es wäre unbescheiden, Ihre kostbare Zeit durch eine längere Rede in Anspruch zu nehmen –
Ebenwald und Schreimann. Sehr richtig!
Wenger. So will ich mich denn begnügen, meinen innigsten Dank für die hohe Ehre – (Unruhe.)
Schreimann (erhebt sich). In Anbetracht der vorgerückten Stunde beantrage ich, daß unser verehrter Herr Kollege Doktor Wenger seine zweifellos sehr gehaltvolle Dankrede auf die nächste Sitzung verschieben möge, damit wir sofort zur Tagesordnung schreiten können.
Die Andern. Einverstanden! Richtig!
Schreimann drückt Wenger die Hand, einige folgen seinem Beispiel.
Bernhardi. Meine Herren, ich habe mir erlaubt, Sie zu einer außerordentlichen Sitzung einzuberufen, ich muß vor allem um Entschuldigung bitten, daß es in so später Stunde geschah, um so mehr darf ich meiner Befriedigung Ausdruck geben, daß die Herren vollzählig erschienen sind.
Adler. Löwenstein fehlt.
Bernhardi. Wird hoffentlich noch kommen. – Ich sehe darin einen neuen Beweis für das große, ich möchte sagen patriotische Interesse, das Sie alle unserm Institute entgegenbringen, einen Beweis für unser aller kollegiales Zusammenhalten, das nun einmal besteht, unbeschadet gelegentlicher Differenzen in Einzelheiten, wie sie schließlich in keiner größeren Körperschaft ganz zu vermeiden sind, um so weniger, aus je prominenteren Persönlichkeiten diese Körperschaft sich zusammensetzt. (Unruhe.) Aber daß wir in allen wesentlichen Fragen eines Sinnes sind, das hat sich schon mehr als einmal gezeigt und wird sich hoffentlich auch in Zukunft erweisen zur Freude unserer wahren Gönner und zum Ärger unserer Feinde! Wir haben nämlich auch solche. Meine Herren, ich glaube den Vorwurf nicht fürchten zu müssen, daß ich Ihre Neugier auf die Folter spanne. Denn Sie wissen ja alle, warum ich mir erlaubt habe, Sie einzuberufen. Immerhin ist es meine Pflicht, den Brief zur Verlesung zu bringen, der mir heute morgen rekommandiert mit Retourrezepisse zugestellt wurde.
Filitz. Hört!
Bernhardi. (liest). »Hochverehrter –« usw. usw. »Ich beehre mich Ihnen mitzuteilen, daß die Mitglieder des Kuratoriums –« usw. usw. – »den einstimmigen Beschluß gefaßt haben, ihre Ehrenstellen zurückzulegen. Indem ich Ihnen, hochverehrter Herr Direktor, diesen Beschluß zur Kenntnis bringe, richte ich das Ersuchen an Sie, die verehrten Mitglieder des Direktoriums und des Lehrkörpers davon in Kenntnis zu setzen. Genehmigen Sie –« usw. usw. – »Hofrat Winkler als Schriftführer.«
Ebenwald beugt sich über den Brief.
Bernhardi. Bitte. (Der Brief zirkuliert, Bernhardi lächelt.) Meine Herren, Sie werden sich hoffentlich überzeugen, daß ich Ihnen keine Silbe dieses interessanten Schreibens unterschlagen habe. Das Kuratorium hat demissioniert, und die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung lautet logischerweise: Stellungnahme des Direktoriums und des Plenums zu dieser Tatsache. Herr Professor Ebenwald wünscht das Wort.
Ebenwald. Ich stelle die Anfrage an den Herrn Direktor, ob ihm die Ursache bekannt ist, die das Kuratorium zur Demission veranlaßt hat, eine Anfrage, die umso berechtigter ist, als das Kuratorium sich in seinem Schreiben so gründlich darüber ausschweigt.
Bernhardi. Ich könnte hierauf mit der Frage erwidern, ob diese Ursache Herrn Professor Ebenwald oder einem der anderen Herren nicht bekannt ist. Aber da wir ja alle auch außerhalb dieses Saales noch mancherlei zu tun haben –
Cyprian. Sehr richtig!
Bernhardi. – und die Verhandlung nicht überflüssig in die Länge gezogen werden soll, so erwidere ich die Anfrage des Herrn Vizedirektors Professor Ebenwald mit gebotener Kürze: Ja, die Ursache ist mir bekannt. Die Ursache liegt in demselben Vorfall, von dem Sie eine Schilderung soeben in den Abendblättern, mit größerem oder geringerem Vergnügen, unter der Form einer sogenannten Interpellation gelesen haben.
Schreimann. Die Interpellation gehört nicht her.
Bernhardi. Sehr richtig. Sie gehört meiner Ansicht nach nicht einmal ins Parlament –
Pflugfelder. Sehr gut.
Bernhardi. Da diese Interpellation einen Vorfall, meine Herren, von dem Zeugen auch hier anwesend sind, und für den ich die volle Verantwortung trage, in einer faktiösen, den Zwecken einer gewissen Partei –
Filitz. Welcher Partei?
Pflugfelder. Der antisemitisch-klerikalen Partei –
Filitz. Unsinn!
Bernhardi. Einer gewissen Partei, über deren Wesen wir alle hier nicht im Zweifel sind, mit so verschiedenen Gefühlen wir ihr auch gegenüberstehen –
Pflugfelder. Sehr gut!
Bernhardi. – in einer faktiösen Weise entstellt. Übrigens bin ich nicht hier, um mich zu rechtfertigen, vor wem es auch sei, sondern ich stehe vor Ihnen als Direktor dieser Anstalt, um Sie zu fragen, wie wir uns der Tatsache der Kuratoriumsdemission gegenüber zu verhalten haben. Herr Professor Cyprian hat das Wort.
Cyprian (in seiner eintönigen Weise beginnend). Vor wenigen Jahren, ich befand mich gerade auf einer Erholungsreise in Holland, da stand ich in der Gemäldegalerie – (Unruhe.) Was gibt's, meine Herren?
Schreimann. In Anbetracht der vorgerückten Stunde möchte ich Herrn Professor Cyprian dringendst ersuchen, heute keine Anekdoten zu erzählen, sondern möglichst sofort zur Sache zu kommen.
Cyprian. Es wäre keine Anekdote gewesen, es hätte im tiefsten Sinne – Aber wie Sie wollen, meine Herren. Also, das Kuratorium hat demissioniert. Den Grund, oder vielmehr den Vorwand, kennen wir alle. Denn wir wissen alle, daß Bernhardi, als er dem Priester den Eintritt in das Krankenzimmer verweigerte, ausschließlich in Ausübung seiner ärztlichen Pflicht gehandelt hat. Wir alle hätten uns im gleichen Falle genau so benommen wie er.
Filitz. Oho!
Ebenwald. Sie haben's ja doch noch nie getan.
Schreimann. Auch bei Herrn Direktor Bernhardi war es unseres Wissens das erstemal.
Filitz. Sehr wahr.
Cyprian. Wenn wir es noch nie getan haben, meine Herren, so lag es einfach daran, daß die Situation, in welcher sich Herr Professor Bernhardi neulich befand, in ihrer Schärfe sich selten darbieten mag. Niemandem fällt es ein, in Abrede zu stellen, daß schon zahllose gläubige Gemüter, die dem Tod entgegensahen, im Sakrament der letzten Ölung – und daß selbst Zweifler in den Trostesworten gütiger Priester Beruhigung und Stärkung gefunden haben; und in allen Fällen, wo ein Priester von dem Sterbenden oder dessen Verwandten gewünscht wird, hat auch nie ein Arzt ihm den Eintritt verweigert.
Filitz. Das war nicht übel!
Cyprian. Aber das Erscheinen des Priesters am Krankenbett gegen den Willen des Sterbenden oder gegen die wohlbegründeten Bedenken desjenigen, der in der letzten Stunde für ihn verantwortlich ist, muß als ein zum mindesten unstatthafter Übergriff kirchlicher – Fürsorge bezeichnet werden, den abzuwehren in bestimmten Fällen nicht nur erlaubt ist, sondern zur Pflicht werden kann. Und solch ein Fall, meine Herren, ist es, dem wir hier gegenüberstehen. Und darum wiederhole ich aus voller Überzeugung: Wir hätten alle getan wie Bernhardi, – auch Sie, Professor Ebenwald – auch Sie, Professor Filitz. –
Filitz. Nein!
Cyprian. Oder richtiger gefaßt: wir hätten so tun müssen, mindestens, wenn wir einem ursprünglichen Gefühl nachgegeben hätten. Erst die sekundäre Rücksicht auf die eventuell möglichen Folgen hätte uns dazu veranlaßt, dem Priester den Eintritt zu gestatten. Bernhardis Fehler, wenn wir ihn überhaupt so nennen wollen, bestand also nur darin, daß er die Folgen nicht bedachte, daß er seiner ärztlich-menschlichen Eingebung gefolgt ist, die wir alle als Ärzte und Menschen gutheißen müssen; somit gibt es eine einzige Antwort, die dem Briefe des Kuratoriums gegenüber geboten erscheint, nämlich unserem Direktor, Herrn Professor Bernhardi, unser vollstes Vertrauen einmütig auszusprechen.
Pflugfelder. Bravo!
Adler nickt, aber etwas unentschlossen.
Wenger blickt zu Adler, dann zu den andern.
Bernhardi. Herr Vizedirektor Ebenwald hat das Wort.
Ebenwald. Meine Herren, täuschen wir uns nicht, die Demission des Kuratoriums ist unter den heutigen Umständen so ziemlich das Schlimmste, was unserem Institute passieren konnte. Ich stehe nicht an, sie als eine Katastrophe zu bezeichnen. Jawohl, meine Herren, als Katastrophe. Ob das Kuratorium im ethischen Sinne berechtigt war, zu demissionieren, möchte ich ununtersucht lassen. Wir sind nicht hier versammelt, um religiöse Fragen zu behandeln, wie Professor Cyprian es notwendig fand, – um Kritik zu üben am Prinzen Konstantin oder an Seiner Eminenz oder am Bankdirektor Veith und so weiter, wir stehen einfach vor der Tatsache, daß die Förderer unseres Institutes, denen wir materiell und ideell so viel verdanken, und auf deren materielle und ideelle Weiterunterstützung wir angewiesen sind, (Einwürfe) – wir sind es, meine Herren –, daß diese Förderer sich von uns abgewendet haben; – und stehen vor der weiteren unbezweifelbaren Tatsache, daß für dieses Mißgeschick unser verehrter Direktor, Herr Professor Bernhardi, die alleinige Verantwortung trägt.
Bernhardi. Ich trage sie.
Ebenwald. Und ich finde, es wäre nicht nur im höchsten Grade undankbar gegen das Kuratorium, sondern geradezu schnöde gegen unser Institut gehandelt, wenn wir uns in einem Augenblick, wo der Herr Direktor, gewiß ohne böse Absicht, aber doch höchst unbedachterweise, das Elisabethinum an den Rand des Abgrundes gebracht hat, mit seinem Vorgehen solidarisch erklärten. (Entsprechende Unruhe.) Ich wiederhole, an den Rand des Abgrundes. Daher bin ich, im Gegensatz zu Herrn Professor Cyprian, nicht nur gegen das von ihm vorgeschlagene Vertrauensvotum für Herrn Professor Bernhardi, sondern stelle vielmehr den Antrag, unserm Bedauern über den bekannten Vorfall geziemenden Ausdruck zu verleihen und zu betonen, daß wir das Vorgehen des Herrn Direktors Seiner Hochwürden gegenüber aufs schärfste mißbilligen. (Er überschreit die wachsende Unruhe.) Ich stelle den weiteren Antrag, daß diese Resolution dem Kuratorium in angemessener Weise zur Kenntnis gebracht und diesem auf Grund dessen die Bitte unterbreitet wird, die Demission zurückzuziehen. (Große Unruhe.)
Bernhardi. Meine Herren! (Unruhe. Er beginnt aufs neue.) Meine Herren! – Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, will ich gleich bemerken, daß mich Mißtrauenskundgebungen um so weniger berühren, je leichter sie vorauszusehen waren, daß ich aber auch in der angenehmen Lage bin, auf offizielle Vertrauenskundgebungen zu verzichten. Immerhin, um Sie vor Schritten zu bewahren, die Sie nachher doch bereuen könnten, möchte ich Ihnen verraten, daß wir in absehbarer Zeit ein Kuratorium wahrscheinlich nicht mehr nötig haben werden. Schon für die nächste Zeit ist uns eine staatliche Subvention von beträchtlicher Höhe ziemlich sicher, und, was wohl noch von weitertragender Bedeutung ist, die Verstaatlichung unseres Institutes wird von den maßgebenden Faktoren, wie Seine Exzellenz mir erst gestern wieder angedeutet hat, in allerernsteste Erwägung gezogen.
Ebenwald. Ballgespräche.
Cyprian (steht auf). Ich muß bemerken, daß Seine Exzellenz vor wenigen Tagen auch mir gegenüber –
Filitz. Das gehört ja alles nicht hierher.
Schreimann. Zukunftsmusik!
Ebenwald. Eine Subvention jetzt nach der Geschichte!
Filitz. Nach dieser Interpellation! (Große Unruhe.)
Bernhardi. (stark). Sie vergessen, meine Herren, daß diese Interpellation auch ihre Antwort finden wird. Und wie diese Antwort ausfallen wird, daran ist ein Zweifel wohl unzulässig, oder würde vielmehr eine Verdächtigung des Unterrichtsministers bedeuten, der über die Vorgänge, die dieser Interpellation vorhergegangen sind, informiert sein dürfte.
Filitz. Hoffentlich nicht einseitig.
Schreimann. Die Interpellation steht nicht zur Debatte.
Filitz. Ganz richtig. Es liegt ein Antrag vor.
Schreimann. Abstimmen lassen!
Cyprian (zu Bernhardi, leise). Ja, laß zuerst einmal abstimmen.
Bernhardi. Meine Herren! Es liegen zwei Anträge vor. Der eine von Professor Ebenwald dahin gehend –
Löwenstein, die Vorigen.
Löwenstein. Meine Herren, ich komme aus dem Parlament. (Bewegung.) Die Interpellation ist beantwortet worden.
Ebenwald. Ich bitte abstimmen zu lassen, Herr Direktor.
Cyprian. Wir haben doch die Parlamentsspielerei verschworen, meine Herren. Wir wünschen doch alle zu wissen –
Schreimann (der Löwensteins verstörtes Gesicht wohl bemerkt hat). Ich glaube im Sinne aller Anwesenden zu sprechen, wenn ich an den Herrn Direktor das Ersuchen stelle, die offizielle Sitzung auf ein paar Minuten zu unterbrechen, damit Herr Kollega Löwenstein Gelegenheit erhält, uns nähere Mitteilungen über die Beantwortung der Interpellation zu machen.
Bernhardi. Die Herren sind alle einverstanden? So unterbreche ich die Sitzung auf einige Zeit. (Humoristisch.) Löwenstein, du hast das Wort.
Löwenstein. Es ist – es wird eine Untersuchung wegen Religionsstörung gegen dich eingeleitet. (Entsprechende Bewegung.)
Pflugfelder. Das ist doch nicht möglich!
Cyprian. Löwenstein!
Schreimann. Oh!
Adler. Religionsstörung?
Cyprian. Erzähl uns doch.
Ebenwald. Herr Kollega Löwenstein wird vielleicht die Liebenswürdigkeit haben, uns etwas genauer zu informieren.
Bernhardi steht regungslos.
Löwenstein. Was ist da viel zu informieren? Die Untersuchung wird eingeleitet! Eine Schmach! Ihr habt es erreicht.
Filitz. Keine Invektiven, lieber Löwenstein.
Cyprian. So sprich doch endlich!
Löwenstein. Was kann die Herren daran noch weiter interessieren? Sie werden ja das Genauere morgen früh in der Zeitung lesen. Das Wesentliche der ganzen Rede war der Schluß, und den kennen Sie jetzt. Daß Seine Exzellenz im Anfang offenbar auf etwas ganz anderes hinauswollte, das ist ja nebensächlich.
Cyprian. Wo anders hinaus?
Schreimann. Lieber Kollega Löwenstein, versuchen Sie doch möglichst im Zusammenhang –
Löwenstein. Also, ich versichere Sie, meine Herren, im Anfang mußte man absolut den Eindruck haben, daß die Herren Interpellanten eine schmähliche Niederlage erleben werden. Der Minister sprach von den großen Verdiensten unseres Direktors und betonte ausdrücklich, daß von irgendeiner Absicht seinerseits absolut nicht die Rede gewesen sein konnte, daß Professor Bernhardi dem politischen Getriebe vollständig fernstünde, daß kein Anlaß vorliege, öffentliche Stellen anders zu besetzen als nach Würdigkeit und Verdienst. Und bei dieser Gelegenheit gab es schon Zwischenrufe: »Ja, wenn es so wäre!« und »Verjudung der Universität!« und dergleichen. Da kam dann der Minister irgendwie von seinem Thema ab, wurde, wie es scheint, ärgerlich und verwirrt. Dann kam er irgendwie auf die Notwendigkeit der religiösen Erziehung, auf eine Verbindung von christlicher Weltanschauung und Fortschritt der Wissenschaft, und er endete plötzlich, – ich bin überzeugt, zu seiner eigenen Überraschung –, wie ich schon erzählt habe, mit der Mitteilung, daß er sich mit seinem Herrn Kollegen von der Justiz ins Einvernehmen setzen werde, (höhnend) ob dieser sich nicht veranlaßt sehe, die Vorerhebungen gegen Herrn Professor Bernhardi wegen Vergehens der Religionsstörung einzuleiten, um auf diese Weise – so ungefähr sagte er – eine Klarstellung des von den Herren Interpellanten gerügten Einzelfalles in einer vollkommen einwandfreien, allen Parteien des Hauses und die Bevölkerung in gleichem Maße befriedigenden Weise durchzuführen.
Pflugfelder. Pfui Teufel!
Filitz. Oho!
Cyprian. Und wie benahm sich denn das Haus?
Löwenstein. Ziemlich viel Beifall, kein Widerspruch, soviel ich gehört habe, – Redner wurde beglückwünscht.
Adler. Es ist unmöglich, daß Sie sich verhört haben, Löwenstein?
Löwenstein. Bitte, Sie brauchen mir ja nicht zu glauben.
Cyprian. Es geht uns ja auch im Grunde nichts an.
Filitz. Na!
Ebenwald. Ich denke, man könnte die Sitzung wieder aufnehmen.
Bernhardi (gefaßt). Ich glaube im Sinne aller Anwesenden zu sprechen, wenn ich Herrn Doktor Löwenstein für seinen freundlichen Bericht unseren Dank ausspreche, bitte die Herren, sich zu beruhigen, und nehme die für kurze Zeit unterbrochen gewesene Sitzung wieder auf. Meine Herren, wie Sie früher richtig bemerkt haben, die Interpellation steht nicht zur Debatte, ihre Beantwortung ebensowenig; es liegen zwei Anträge vor.
Ebenwald. Ich ziehe meinen Antrag zurück.
(Bewegung. Adler flüstert Löwenstein Erklärungen zu.)
Ebenwald. Respektive, ich lasse ihn aufgehen in einem andern Antrag, der mir im Hinblick auf die durch die Antwort des Ministers geschaffene Sachlage im Interesse unseres Institutes geboten erscheint.
Cyprian. Die Antwort des Ministers gehört nicht hierher.
Pflugfelder. Gar nichts geht uns diese Antwort an.
Ebenwald. Also, ich beantrage: Suspendierung unseres verehrten Herrn Direktors von der Leitung des Elisabethinums bis zum Abschluß der gegen ihn eingeleiteten strafrechtlichen Untersuchung. (Große Unruhe.)
Pflugfelder. Schämen Sie sich, Ebenwald!
Cyprian. Sie wissen ja noch nicht einmal, ob die Anklage erhoben wird.
Löwenstein. Unerhört!
Cyprian. Wenn Sie Ihren ersten Antrag zurückziehen, so bleibt doch der meine aufrecht, daß wir nämlich Herrn Direktor Bernhardi unseres Vertrauens –
Pflugfelder (unterbricht). Was geht uns die Interpellation und ihre Beantwortung überhaupt an? Es ist eine externe Angelegenheit.
Ebenwald (brüllend). Bedenken Sie doch, daß wir in Gefahr stehen, uns vor der ganzen Welt lächerlich zu machen, wenn wir hier weiterberaten und beschließen – im Angesichte der Möglichkeit, daß alle unsere Beschlüsse von einer höheren Instanz bei nächster Gelegenheit annulliert werden.
Cyprian. Entschuldigen Sie, Ebenwald, das ist ein Unsinn.
Adler. Wer hat denn das Recht, unsere Beschlüsse zu annullieren?
Löwenstein. Professor Bernhardi ist und bleibt Direktor des Elisabethinums. Kein Mensch kann ihn absetzen.
Filitz. Für mich ist er es schon heute nicht mehr!
Cyprian (zu Bernhardi). Laß über meinen Antrag abstimmen. (Bewegung.)
Bernhardi. Ich werde der Ordnung gemäß – (Unruhe.)
Adler (sehr erregt). Meine Herren, gestatten Sie mir nur ein paar Worte. Wenn die vom Minister für Kultus und Unterricht in Aussicht gestellte Untersuchung zu einer Verhandlung führen sollte, wird unter anderm auf meine Aussage nicht verzichtet werden können, da ich bei jenem Vorfall anwesend war. Und nicht nur ich, sondern alle hier Anwesenden wissen, daß der in Rede stehende Vorfall von den Herren Interpellanten in einer der Wahrheit nicht völlig entsprechenden Weise geschildert worden ist. Aber gerade weil ich von der Unschuld des Professors Bernhardi in tiefster Seele überzeugt bin, ja sie bezeugen kann –
Bernhardi. Ich danke.
Adler. – gerade darum begrüße ich es – und wir alle ohne Unterschied der Parteirichtung müssen es begrüßen –
Schreimann. Es gibt keine Parteirichtung!
Adler. – daß jene Angelegenheit vor der gesamten Öffentlichkeit durch eine ordnungsgemäße Untersuchung klargestellt werde. Es soll auch nicht der Eindruck erweckt werden, als wenn wir hier durch eine vorzeitige Parteinahme vor Abschluß der gerichtlichen Untersuchung der endgültigen Entscheidung, die ja für Herrn Professor Bernhardi nicht anders als günstig ausfallen kann, vorgreifen würden. Wenn ich also dem Antrage des Herrn Vizedirektors, Professor Ebenwald, auf Suspendierung des Herrn Direktors zustimme – (Bewegung.)
Filitz. Bravo!
Adler. – so bitte ich Sie alle, und vor allem den verehrten Herrn Professor Bernhardi, darin einen Beweis meines Vertrauens für ihn – und die Überzeugung zu erblicken, daß Herr Professor Bernhardi aus der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung rein hervorgehen wird.
Cyprian. Aber, Doktor Adler, damit geben Sie ja die Berechtigung zu, daß eine solche Untersuchung überhaupt eingeleitet wird.
Filitz. Wer gibt das nicht zu?
Löwenstein. Auf eine solche Denunziation hin –
Filitz. Das wird sich ja herausstellen.
Pflugfelder. Liebedienerei des Ministers! Er kriecht vor den Klerikalen!
Löwenstein. Es ist ja nicht das erstemal!
Cyprian (zu Bernhardi). Laß über meinen Antrag abstimmen!
Bernhardi. Meine Herren! (Unruhe.)
Schreimann. Ist denn das überhaupt noch eine Sitzung! Kaffeehaus ohne Billard!
Filitz. Der Antrag des Professors Ebenwald ist der weitergehende, über ihn muß zuerst abgestimmt werden.
Bernhardi. Meine Herren! Ich habe eine Anfrage an den Herrn Vizedirektor Professor Ebenwald zu richten.
Schreimann. Was heißt denn das?
Filitz. Das ist nach der Geschäftsordnung nicht zulässig.
Pflugfelder. Kindische Parlamentsspielerei!
Bernhardi. Es wird Sache des Herrn Professor Ebenwald sein, meine Frage zu beantworten oder nicht.
Ebenwald. Bitte.
Bernhardi. Ich frage Sie, Herr Professor Ebenwald, ob Ihnen bekannt ist, daß ich die Interpellation, deren Beantwortung durch den Minister Sie zu dem Antrag auf meine Suspendierung veranlaßt, ob Ihnen bekannt ist, daß ich diese Interpellation hätte verhindern können?
Löwenstein. Hört!
Schreimann. Nicht antworten!
Bernhardi. Wenn Sie ein Mann sind, Herr Professor Ebenwald, so werden Sie antworten. (Bewegung.)
Ebenwald. Meine Herren, die Frage des Herrn Professors Bernhardi kommt mir nicht überraschend. Ich habe sie eigentlich schon im Laufe dieser ganzen sonderbaren Sitzung erwartet. Aber man wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich bei dem eigentümlichen Ton, den der Herr Direktor mir gegenüber anzuschlagen beliebt, verzichte, ihm direkt zu antworten, sondern Ihnen allen darüber Aufschluß gebe, was es mit dieser etwas insinuösen Anfrage des Herrn Direktors für eine Bewandtnis hat. (Unruhe, Spannung.) Also, meine Herren, bald nach jenem Vorfall, der unser Institut in eine so unangenehme Situation gebracht hat, habe ich mir erlaubt, bei dem Herrn Direktor vorzusprechen, um ihm die Befürchtung auszudrücken, daß das Parlament vielleicht Gelegenheit nehmen dürfte, sich in einer für die Interessen unseres Institutes sehr unvorteilhaften Weise mit diesem Vorfall zu beschäftigen. Sie wissen, unser Institut hat immer Feinde gehabt und es hat heute noch mehr, als manche von Ihnen ahnen. Denn es gibt ja noch immer einige unter Ihnen, meine Herren, die mit Zeit- und Volksströmungen nicht zu rechnen wissen, und bei öffentlichen Anstalten muß man damit rechnen, ob man diese Strömungen von einem philosophischen Standpunkt aus für berechtigt hält oder nicht. Es gibt halt viele Leute, die es nicht richtig finden, daß in einem Institut, wo ein Prinz Kurator ist und ein Bischof, und wo statistisch fünfundachtzig Perzent der Patienten Katholiken sind, die behandelnden Ärzte zur überwiegenden Anzahl einer anderen Konfession zugehören. Das macht nun einmal böses Blut in gewissen Kreisen.
Löwenstein. Aber das Geld, das wir kriegen, stammt zu achtzig Perzent auch von der andern Konfession.
Ebenwald. Das ist Nebensache, die Patienten sind die Hauptsache. – Also, da hat sich's neulich darum gehandelt, wie Sie wissen, wer die Abteilung vom Herrn Professor Tugendvetter kriegen soll. Der Professor Hell aus Graz oder der Dozent Wenger. Ich darf wohl davon sprechen, trotz der Anwesenheit unseres verehrten Kollegen, der es ja selber weiß. Der Hell ist ein tüchtiger Praktiker vor allem, unser Kollega Wenger hat hauptsächlich auf theoretischem Gebiete gearbeitet, so viel Praxis wie der Hell hat er natürlich noch nicht haben können; wird auch schon kommen. Also, jetzt stellen Sie sich vor, meine Herren, es kommt ein guter Freund zu einem –
Pflugfelder. Oder ein Vetter –
Ebenwald. – kann auch ein Vetter sein – und sagt einem: Du, das wird auffallen, daß ihr ins Elisabethinum schon wieder einen Juden wählt, besonders jetzt nach dem peinlichen Vorfall, von dem schon ganz Wien spricht. Und es könnte euch passieren, daß das Parlament über euch herfallt. Ja, meine Herren, finden Sie es gar so tadelnswert, wenn man da zum Direktor geht, wie ich's getan habe, und ihm sagt, nehmen wir doch lieber den Hell, der ja schließlich auch kein Hund ist, um eventuellen Unannehmlichkeiten zu entgehen?
Wenger. Sehr richtig! (Heiterkeit.)
Ebenwald. Na, Sie hören! Vielleicht hätt ich lieber zum Doktor Wenger gehen sollen und ihn ersuchen, daß er seine Kandidatur zurückzieht. Aber ich liebe keine Winkelzüge. Und so bin ich geraden Wegs zum Herrn Direktor gegangen. Also, darauf bezieht sich die Anfrage des Herrn Professors Bernhardi an mich, die mich wahrscheinlich in Grund und Boden hätte bohren sollen. Und es stimmt, daß uns die Interpellation vielleicht erspart geblieben wäre, wenn der Hell heute dasäße statt dem Wenger. Also, ich will nicht sagen, es wär zu schön gewesen, aber, es hat nicht sollen sein. Und jetzt sitzen wir in der Tinten. Dixi.
Pflugfelder. Bravo, Bernhardi!
Bernhardi. Meine Herren, Professor Ebenwald hat meine Frage nach berühmten Mustern mehr populär als sachlich beantwortet. Aber jeder von Ihnen wird wissen, wie er über die Angelegenheit zu denken hat. Mich zu verteidigen, daß ich auf den mir vorgeschlagenen Handel nicht eingegangen bin –
Schreimann. Oho!
Bernhardi. Ich gestatte mir, das einen Handel zu nennen, zumindest mit demselben Recht, mit dem man mein Vorgehen gegenüber Seiner Hochwürden eine Religionsstörung nennt.
Pflugfelder. Sehr gut.
Bernhardi. Aber wie immer, ich muß mich schuldig bekennen, – schuldig, daß ich als Direktor des Instituts nicht das Möglichste getan habe, eine Interpellation zu verhindern, die geeignet scheint, das Ansehen unseres Institutes bei allen Heuchlern und Dummköpfen herabzusetzen. Und um selbst die richtigen Konsequenzen zu ziehen, sowie um weiteren Aufschub zu verhindern, lege ich hiermit die Leitung des Institutes nieder!
(Große Bewegung.)
Cyprian. Was fällt dir denn ein!
Löwenstein. Das darfst du nicht!
Pflugfelder. Es muß abgestimmt werden.
Bernhardi. Wozu? Für die Suspendierung sind Professor Ebenwald, Professor Filitz, die Dozenten Schreimann und Adler –
Löwenstein. Das sind erst vier.
Bernhardi. Und Herrn Doktor Wenger möchte ich einen seelischen Konflikt ersparen. Er würde vielleicht aus Dankbarkeit für mich stimmen, weil ich neulich für ihn entschieden habe, und einem solchen Motiv will ich nicht am Ende die noch dazu nicht ganz zweifellose Ehre zu verdanken haben, fernerhin Ihr Direktor zu sein.
Schreimann. Oho!
Filitz. Das geht zu weit!
Cyprian. Aber was tust du denn?
Pflugfelder. Das ist Ihre Schuld, Adler.
Löwenstein. Es muß abgestimmt werden.
Pflugfelder. Es wäre Fahnenflucht!
Bernhardi. Flucht?
Cyprian. Du müßtest die Abstimmung abwarten.
Löwenstein. Abstimmen!
Bernhardi. Nein, ich lasse nicht abstimmen, ich unterwerfe mich keinem Urteil.
Filitz. Besonders, da es schon gesprochen ist.
Schreimann. Hat Herr Professor Bernhardi die Direktion niedergelegt oder nicht?
Bernhardi. Ja.
Schreimann. Somit hat Herr Professor Ebenwald statutengemäß als Vizedirektor die Leitung des Institutes und vor allem auch die Leitung dieser Sitzung zu übernehmen.
Löwenstein. Unerhört!
Filitz. Selbstverständlich.
Pflugfelder. Muß man sich das gefallen lassen?
Cyprian. Bernhardi! Bernhardi!
Ebenwald. Da Herr Professor Bernhardi zu unserm Bedauern die Direktorstelle niedergelegt hat, übernehme ich nach § 7 unserer Statuten die Leitung des Elisabethinums und zugleich den Vorsitz dieser noch im Gang befindlichen Sitzung. Ich bitte Sie, meine Herren, um das gleiche Vertrauen, das Sie dem scheidenden Direktor in so reichem Maße entgegengebracht haben, hoffe mich desselben würdig zu erweisen und erteile Herrn Professor Filitz das Wort.
Löwenstein. Infam!
Pflugfelder. Sie sind nicht Direktor, Herr Professor Ebenwald, noch nicht! (Unruhe.)
Filitz. Wir stehen nun vor der Frage, wer die Leitung von Professor Bernhardis Abteilung zu übernehmen hat.
Cyprian. Ja, was fällt Ihnen denn ein?
Bernhardi. Meine Herren, ich bin wohl nicht mehr Direktor, aber ich bin Mitglied des Institutes, so gut wie Sie alle, und Leiter der Abteilung.
Adler. Das ist ja selbstverständlich.
Wenger. Gewiß.
Cyprian. Darüber kann es überhaupt keine Diskussion geben.
Schreimann. Es würde zweifellos zu Unzukömmlichkeiten führen, wenn der suspendierte Direktor des Institutes –
Löwenstein. Er ist nicht suspendiert.
Cyprian. Er hat die Leitung des Institutes niedergelegt.
Filitz. Nicht ganz freiwillig.
Pflugfelder. Er hat sie euch hingeschmissen!
Ebenwald. Ruhe, Ruhe, meine Herren!
Bernhardi (der nun ganz die Fassung verloren hat). Es hat natürlich niemand das Recht, mich von der Leitung meiner Abteilung zu entheben, aber ich nehme Urlaub bis zur Erledigung meiner Angelegenheit.
Cyprian. Was tust du denn?
Ebenwald. Ist erteilt.
Bernhardi. Danke! Und betraue für die Dauer meiner Abwesenheit mit der provisorischen Leitung meiner Abteilung meine bisherigen Assistenten, die Doktoren Kurt Pflugfelder und Oskar Bernhardi.
Ebenwald. Dagegen finde ich nichts einzuwenden.
Bernhardi. Und nun, meine Herren, trete ich meinen Urlaub an und habe die Ehre, mich zu empfehlen.
Löwenstein. Ich desgleichen.
Cyprian nimmt seinen Hut.
Bernhardi. Das wäre ja den Herren eben recht. Ich bitt euch, bleibt!
Pflugfelder. Und vor allem bleib du!
Bernhardi. Hier?
Adler (zu Bernhardi). Herr Professor, ich wäre unglücklich, wenn Sie mein Benehmen mißdeuteten. Es liegt mir daran, Ihnen in dieser Stunde vor allen Anwesenden meine besondere Verehrung auszudrücken.
Bernhardi. Ich danke bestens. Wer nicht für mich ist, ist wider mich. Guten Abend, meine Herren. (Ab.)
Pflugfelder (spricht unter wachsender Unruhe, die er oft überschreien muß). Und Sie lassen ihn gehen, meine Herren? Ich bitte Sie ein letztes Mal, kommen Sie doch zur Besinnung. Sie dürfen Bernhardi nicht gehen lassen. Lassen Sie doch alles Persönliche beiseite. Verzeihen Sie auch mir, wenn ich früher zu heftig gewesen bin. Werfen Sie doch einen Blick zurück, denken Sie, wie diese ganze unglückselige Geschichte angefangen hat, – und Sie müssen zur Besinnung kommen. Ein armes Menschenkind liegt todkrank im Spital, ein junges Geschöpf, das das bißchen Jugend und Glück und Sünde, wenn Sie wollen, teuer genug mit Todesangst und Qual und mit dem Leben selbst bezahlt. In den letzten Stunden kommt es zu Euphorie. Sie fühlt sich wohl, sie ist wieder glücklich, sie ahnt nicht den nahen Tod. Genesen glaubt sie sich! Sie träumt davon, daß ihr Geliebter kommen wird, sie abzuholen, sie hinauszuführen aus den Räumen des Elends und des Leids ins Leben und ins Glück. Es war vielleicht der schönste Augenblick ihres Lebens, ihr letzter Traum. Und aus diesem Traum wollte Bernhardi sie nicht mehr zur furchtbaren Wirklichkeit erwachen lassen. Das ist seine Schuld! Dieses Verbrechen hat er begangen! Dies und nichts mehr. Er hat den Pfarrer gebeten, das arme Mädel ruhig hinüberschlummern zu lassen. Gebeten. Sie wissen es alle. Wenn er auch minder höflich gewesen wäre, jeder müßte es ihm verzeihen. Was für eine ungeheuere Verlogenheit gehört dazu, um den ganzen Fall anders anzusehen als rein menschlich. Wo existiert der Mensch, dessen religiöse Gefühle durch das Vorgehen Bernhardis in Wahrheit verletzt worden wären? Und gibt es einen, wer anders ist daran schuld als diejenigen, die diesen Fall, boshaft entstellt, weiterverbreitet haben? Wer anders als diejenigen, meine Herren, in deren Interesse es eben lag, daß religiöse Gefühle verletzt werden sollten, in deren Interesse es liegt, daß es Leute gibt, die religiöse Gefühle verletzen? Und gäbe es nicht Strebertum, Parlamentarismus, menschliche Gemeinheit – Politik mit einem Wort, wäre es jemals möglich gewesen, aus diesem Fall eine Affäre zu machen? Nun, meine Herren, es ist geschehen, denn es gibt Streber, Schurken und Tröpfe. Aber wir wollen doch zu keiner dieser Kategorien gehören, meine Herren. Welche Verblendung treibt uns, Sie dazu, Ärzte, Menschen, gewohnt an Sterbebetten zu stehen, uns, denen ein Einblick in wirkliches Elend, in das Wesentliche aller Erscheinungen gegönnt ist, welche Verblendung treibt Sie dazu, diesen jämmerlichen Schwindel mitzumachen, eine lächerliche Parlamentsparodie aufzuführen, mit Für und Wider, mit Anträgen und Winkelzügen, mit Hinauf- und Hinunterschielen, mit Unaufrichtigkeiten und Schönschwätzerei – und Ihren Blick beharrlich vom Kern der Dinge abzuwenden, und aus kleinlichen Rücksichten der Tagespolitik einen Mann im Stich zu lassen, der nichts weiter getan hat als das Selbstverständliche! Denn ich bin weit davon entfernt, ihn darum zu preisen und ihn als Helden hinzustellen, einfach weil er ein Mann ist. Und von Ihnen, meine Herren, verlange ich nichts anderes, als daß Sie dieses bescheidenen Ruhmestitels gleichfalls würdig wären, die Entschlüsse und Beschlüsse dieser heutigen Sitzung einfach als nicht erfolgt betrachten und Herrn Professor Bernhardi bitten, die Stellung wieder anzunehmen, die keinen besseren, keinen würdigeren Vertreter haben kann als ihn. Rufen Sie ihn zurück, meine Herren, ich beschwöre Sie, rufen Sie ihn zurück.
Ebenwald. Ich erlaube mir die Anfrage, ob Herr Professor Pflugfelder mit seinem Couplet zu Ende ist? Es scheint. Somit, meine Herren, gehen wir zur Tagesordnung über.
Pflugfelder. Habe die Ehre, meine Herren!
Cyprian. Adieu!
Löwenstein. Sie sind nicht mehr beschlußfähig, meine Herren.
Schreimann. Wir werden das Institut nicht im Stich lassen.
Filitz. Wir werden es verantworten, ohne Sie unsere Beschlüsse zu fassen.
Pflugfelder (die Türe öffnend). Ah, das trifft sich ja gut! Herr Doktor Hochroitzpointner, bitte nur hereinzuspazieren.
Löwenstein. Exkneipe, Herr Vizedirektor!
Pflugfelder. So, nun sind die Herrschaften unter sich. Ich wünsche gute Unterhaltung!
(Cyprian, Pflugfelder, Löwenstein ab.)
Ebenwald. Wünschen Sie was, Herr Doktor Hochroitzpointner?
Hochroitzpointner. Oh! (Er steht an der Türe.)
Ebenwald. Also Türe zu! (Geschieht.) Die Sitzung dauert fort, meine Herren.