Arthur Schnitzler
Marionetten
Arthur Schnitzler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Arthur Schnitzler

II.

Der tapfere Cassian

Puppenspiel in einem Akt

Martin

Sophie

Cassian

Ein Diener

Ein Dachzimmer im Stil Ende des XVII. Jahrhunderts. Kleine deutsche Stadt. Blick durch das Fenster auf Dächer und Türme und weiter hinaus auf eine Hügellandschaft, über die der rötliche Glanz der Abendsonne fließt.

Das Zimmer in einiger Unordnung. Eine offene Truhe. Ein offener halbausgeräumter Schrank. Wäsche und Kleidungsstücke liegen auf Stühlen herum. Martin ist beschäftigt, einen Reisesack zu packen. Sophie nahe vor ihm,

Martin. Weine nicht, Kind, – weine nicht.

Sophie. Ich bin ja ganz still.

Martin ohne sich umzuwenden. Ich höre es deinem Atem an, daß du weinst.

Sophie. Soll ich dir helfen?

Martin. Das könntest du wohl tun. Sieh, dort im Schrank – ganz oben – liegen Taschentücher.

Sophie geht hin. Neue . . . seidene . . .

Martin Gib sie mir. Du nimmst mir's wohl nicht übel, daß ich neue seidene Taschentücher auf die Reise mitnehme.

Sophie. Und die prächtige Spitzenkrause! . . . So hast du sie doch dem persischen Handelsmann abgekauft.

Martin. Gewiß. Oder wolltest du, daß dein Liebster sich auf Reisen wie ein Handwerksbursche trägt? . . . So reich' sie mir doch her, die Krause. Sophie bringt sie ihm langsam. – Er deutet auf die Krause. Ist dies nicht wieder eine Träne?

Sophie einfach. Vergib.

Martin. Nun, nun . . . Gutmütig; er berührt die Krause leicht mit den Lippen. Nun siehst du wohl, daß ich dir nicht böse bin. Aber sei nur endlich ruhig. Gib dich drein, Kind. Beschäftigt. Es ist ja nicht auf ewig.

Sophie. Das hoff ich wohl.

Martin. Nun also.

Sophie. Aber wie lange? . . .

Martin. Wie lange? Willst du mich zum Lügner machen wider Willen, Kind? Ich weiß nicht, wie lange.

Sophie. Der März ist zu Ende.

Martin. Ich weiß.

Sophie. Auf der Wiese vor der Stadtmauer blühten die Veilchen, als wir neulich draußen spazierten.

Martin. Was soll's?

Sophie. Bist du wieder da, wenn der Flieder blüht?

Martin. Vielleicht früher .  . . vielleicht auch ein wenig später . . . Am Ende erst, wenn die Pfirsiche reif sind – was weiß ich! Jedenfalls komme ich wieder, wenn ich nur am Leben bleibe – und das hoff ich.

Sophie angstvoll. Wenn du dich werben ließest, Martin. . . .

Martin. Werben? . . . Ich denke nicht daran. Hab' gar keine Lust, mich herumzuschlagen. Das ist meine Sache nicht.

Sophie. Wenn du erst fort bist! Ich hab' wohl vernommen, wie sie zu locken verstehen, mit List und Tücke! – Und dein Vetter Cassian, von dem du mir so viel erzählst, der ist ja auch Soldat.

Martin. Der tapfere Cassian – ja, mit dem ist es ein ander Ding. Der schlug schon, als er dreizehn Jahr alt war, zwei Räuber tot . . . O, dem ist ein menschliches Leben nicht mehr wert als einer Mücke Dasein. Das ist einer!

Sophie. Ich möchte ihn wohl kennen lernen.

Martin. Cassian! . . . Das ist ein Held! Ich wette, über kurz oder lang wird er Oberst, General . . . Feldmarschall . . . . Ei, wenn ich Cassian wäre, ich hätte mir längst ein Herzogtum erobert. Bald werden wir ja irgend was der Art hören, das ist gewiß . . . Freilich, der tapfere Cassian! – Ich aber bin ein friedlicher Gesell und blase meine Flöte.

Sophie. Und wenn sie dir ein schönes Handgeld bieten?

Martin. Handgeld? . . . Bin ich ein Schlucker?

Sophie. Martin, wenn du's so weiter treibst, wird bald nicht viel übrig sein von den gewonnenen Dukaten.

Martin. Mit den tausend Dukaten kam' ich weit. Die lumpigen tausend Dukaten, die ich den Studenten hier abgewann! Das Bettelvolk hier in der Stadt!

Sophie. Weißt du, was sie sagen?

Martin. Kann's mir wohl denken.

Sophie. Du seist mit dem Teufel im Bund.

Martin. Ihnen ist Witz und Glück Teufelei. Ihr sollt eure Wunder erleben! Geht hin und her, macht Toilette.

Sophie. O Martin, Martin!

Martin. Was willst du?

Sophie. Bleib daheim, bleib daheim! Ich ahn' es, du bleibst mir nicht treu!

Martin betreten. Gab ich dir jemals Anlaß?

Sophie. Was weiß ich denn von dir? Erst im Herbst bist du in unsere Stadt gekommen, und am Weihnachtstag hast du mich zum erstenmal geküßt.

Martin. Nun, was weiter? Seither hast du mancherlei erfahren! –

Sophie. War es dein erster Kuß? So wie es mein erster war?

Martin. Das kann ich dir schwören.

Sophie. Martin! . . . Und von den schönen Frauen, die im Herbst hier das Ballett tanzten, hast du keine geküßt?

Martin. Keine.

Sophie. Bist du nicht alle Abend im Theater gewesen? Hast du nicht gewartet spät nachts, bis sie nach Hause gingen – an der kleinen Tür auf dem Rathausplatz?

Martin. Hab' doch keine gekannt, zu keiner gesprochen.

Sophie. Und die Blume, nach der du haschtest?

Martin. Genug der kindischen Geschichten.

Sophie dringender. Wie hieß sie, die dir die Blumen zuwarf?

Martin. Ich weiß nicht mehr.

Sophie. Sie tanzte an jenem Abend das gefangene Mädchen aus Athen.

Martin. Das mag wohl sein.

Sophie. Wie ich sie vor mir sehe! Gleich zuckenden Schlangen im Schnee ringelten ihr die schwarzen Locken über die Schultern. Alle, die sie sahen, waren toll vor Entzücken. Und der Erbprinz warf ihr rote Rosen hinunter auf die Bühne . . . O, ich weiß es noch! Und später auf der Straße warteten Hunderte; und als sie kam, den Strauß in der Hand, jubelten alle laut, und sie lächelte, und blickte um sich und streute Blumen unter die Menge . . . Und du, ja du . . . du! du bücktest dich und jagtest nach einer und hobst sie vom Boden auf und verwahrtest sie – ich hab's wohl gesehen! – an deiner Brust.

Martin greift unwillkürlich nach seiner Brust. Er wirft einen flüchtigen Blick nach Sophie, ob sie's gesehen. Nun, was soll's? Sie ist fort, ich habe nichts mehr von ihr gehört.

Sophie. Aber mich bangt, Martin, daß du mich einmal über solch einer vergessen und verraten könntest.

Martin. Unsinniges Zeug! . . .

Sophie. Denke, Martin, daß sie alle falsch sind, die heimatlos durch die Welt ziehen . . . so schön sie auch tanzen oder singen mögen. Und denk', es wär ein Unglück auch für dich, Martin, wenn du mich vergäßest!

Martin ungeduldig. Wie spät ist's an der Zeit?

Sophie. Es läutet zur Vesper, Martin.

Martin. Drei Stunden noch! . . . Drei lange Stunden, bis die Post abgeht.

Sophie. Lange? . . . lange? . . .

Martin. Hab' ich dir weh getan?

Sophie ausbrechend. Warum . . . warum gehst du fort?!

Martin. Wie oft noch die törichte Frage? Weil mich irgendwas forttreibt . . . Das strömende Blut in mir . . . der blühende Frühling draußen . . . Was Neues will ich sehen – Menschen – Städte! . . . Mich ärgern die Wände hier – die Mauern engen mich . . . kein Lied mehr will mir über die Lippen .  . . Hin und her; sieht den unruhigen Blick Sophiens auf sich gerichtet, 's ist so was Dummes um die letzte Stunde vor dem Abschied! . . . Mußt du nicht nach Hause, Sophie? – es wird spät.

Sophie. Wenn du willst, Martin, geh' ich gleich fort.

Martin. Nicht, daß ich wollte, aber die Mutter . . .

Sophie. Heute dürft' ich länger fortbleiben. Ich wollte dir noch das Geleit bis zum Posthaus geben.

Martin. So? . . . Nun, es ist gut. So können wir wohl miteinander zu Abend essen.

Sophie. Freilich.

Martin. Laß uns gehen.

Sophie. Wohin?

Martin. Ich denke, wie neulich, an den Fluß – ins Wirtshaus zum goldnen Schwan.

Sophie. Dorthin –? . . .

Martin. Willst du nicht?

Sophie. Du kannst dir's wohl denken! . . . Die Soldaten dort und Studenten, die keck dreinschauen . . .

Martin. Ei, deswegen? Das kümmert uns wenig.

Sophie. Wieviel fehlte neulich, daß ihr mit den Degen aufeinander losgegangen wärt?

Martin. Es ist nicht meine Schuld. Ich duld' es nicht, daß dich einer anblickt, wie sich's nicht schickt.

Sophie. Wär's nicht traulicher, zu Haus zu bleiben?

Martin. Traulich wär's wohl. Aber es ist nichts zu essen da. Frau Brigitte ist fort seit heut nachmittag, und mein Diener kommt erst, wenn's Zeit ist, den Sack auf die Post zu tragen.

Sophie. Ich will selber was holen.

Martin. Willst du?

Sophie. Ein bißchen kaltes Fleisch, Backwerk, Orangen und Datteln – ist's dir recht?

Martin. Gutes Kind! Was wirst du nun wohl tun all die Abende, die ich fern bin?

Sophie. Dein gedenken . . . was soll ich anders! –

Wehmütige Umarmung. Es ist ziemlich dunkel geworden. Schwere Tritte auf der Treppe. – Die beiden schauen auf. Cassian tritt ein, in phantastischer Uniform.

Cassian sehr laut und heftig. Bin ich recht hier?

Martin. Vetter Cassian!

Cassian. Ja, ich bin es . . . Woher dringt diese Stimme? . . . Es ist meines Vetters Martin Stimme, die aus dem Dunkel zu mir schallt. . . Sei mir gegrüßt, Vetter Martin! . . . Und einen guten Abend dem schönen Fräulein.

Martin. So dunkel es sein mag, ob irgend ein Fräulein schön ist, sieht er gleich.

Cassian. Mehr Klugheit als scharfes Aug' . . . Wär' es die alte Tante Cordula, du hättest längst Licht gemacht.

Martin. Mach' Licht, Sophie, mach' Licht! Auf daß du den Gespielen meiner Jugend, meines Vaterbruders Sohn, den tapfern Cassian von Angesicht zu Angesicht erblickest!

Sophie ist zu Cassian getreten und betrachtet ihn. Sie starren sich gegenseitig ins Auge. Dann erst macht sie Licht.

Martin. Woher, Cassian? . . . wohin? . . . wie lange bleibst du? . . . was führt dich her?

Cassian. Zu viel Fragen für einen, der hungrig, durstig und müde ist.

Martin. So mußt du nun für drei sorgen, Sophie. Beeil' dich ein wenig – du weißt, wir haben nicht viel Zeit . . . . Kaltes Fleisch, Backwerk, Orangen und Datteln – wie du sagtest.

Cassian. Und vom Sekt sprachen Sie nichts, Fräulein? Das täte mir leid.

Sophie. Ich werde alles bringen, was Sie wünschen.

Martin. Sei rasch zurück!

Sophie. Auf Wiedersehen.

Cassian streckt sich aufs Bett. Vortrefflich! Ah, da möchte man wohl vierundzwanzig Stunden ruhen!

Martin. Wenn es dir beliebt, brauchst du nicht wieder aufzustehen. Ich verreise.

Cassian. Das trifft sich gut. Da trittst du mir wohl auch dein Zimmer für eine Nacht an?

Martin. So lang du willst.

Cassian. Etwa auch das Fräulein, das uns Abendessen holt?

Martin. Hier hört mein Recht zu verfügen und deines zu fragen auf.

Cassian. Oho! vor einem Jahr hättest du keine so rasche Antwort gefunden.

Martin. Und heut über ein Jahr hätt' ich dich vielleicht statt aller Antwort . . .

Cassian. Mit deinem Degen aufgespießt. Laß es mich lieber selbst sagen, sonst könnt' es ein übles Ende nehmen. Und das wäre dumm, denn ich wünsche, gut Freund mit dir zu bleiben. Gib mir die Hand.

Martin. Sei willkommen.

Cassian. Laß dich betrachten. Du hast dich verändert. Dein schüchtern frommes Wesen ist fort . . . die Stadt hat dich gebildet, wie es scheint. Gehst du noch zur Kirche?

Martin. Ach Cassian, das Leben selbst hat Himmel und Hölle genug! . . . Was brauch' ich Kirche und Pfaffen!

Cassian. Prächtig! prächtig! . . . Was ist dir widerfahren? Hast du dem Schah von Persien die Krone vom Nachttisch gestohlen? . . . fährst du morgen in einem vergoldeten Gespann mit sechs weißen Pferden nach Hinterindien? . . . . hast du den Erzbischof von Bamberg vergiftet und ist man dir auf der Spur? . . . reisest du auf die Löwenjagd nach Afrika? . . . hat dich der Sultan in seinen Harem geladen? . . . oder bist du am Ende der Kerl, der neulich auf der Landstraße zwischen Worms und Mainz die Kutsche überfiel, darin die schöne Gräfin von Wespich und ihre schöne Tochter saßen? . . . bist du's am Ende, der den Kutscher an einen Baum hing und den beiden Damen die Kinder machte, die vorgestern zur gleichen Stunde auf die Welt gekommen sind?

Martin. Nichts von alledem.

Cassian. Ah – ich hab' es geahnt: das Mädchen, das uns Datteln und Orangen holt, ist eine verkleidete Prinzessin.

Martin. Aber von der ist ja gar nicht die Rede!

Cassian. Wetter, es gibt einen, der den Cassian neugierig machen kann . . . und der eine ist mein kleiner Vetter Martin!

Martin. So höre! . . . Er nimmt aus seinem Wams eine Blume. Die da ist von einer, die ich noch nicht einmal gesprochen habe, und die ich liebe wie ein Toller. Im Herbst war sie hier in der Stadt und hat getanzt – sie heißt Eleonora Lambriani . . . Er schwankt.

Cassian. Was ist dir?

Martin. Mich schwindelt, wenn ich den Namen ausspreche.

Cassian. Eleonora Lambriani? . . . Des Herzogs von Altenburg Mätresse?

Martin. Gewesen!

Cassian. Die in Fontainebleau nachts im Schloßpark vor dem König von Frankreich und seinen Offizieren ohne Schleier tanzte –?

Martin. Ein Dummkopf, der's nicht begreift! Sie war von ihrer Schönheit berauscht.

Cassian. Die den Grafen von Leigang zum Fenster in den Hof hinunterwarf, daß die Hunde auf ihn stürzten und ihm ein Ohr abfraßen –?

Martin. Es war nur einen Stock hoch und er behielt das andere . . .

Cassian. Die einmal schwor, neunundneunzig Nächte lang jede Nacht einen andern Liebhaber zu beglücken, von denen keiner was Geringeres sein durfte als ein Fürst, – die ihren Schwur hielt und sich in der hundertsten einen Savoyardenknaben mit seinem Leierkasten ins Schlafgemach holte –?

Martin. Ja, sie ist's, sie ist's! die Elende, Herrlichste, Schönste! Und ich will sie – ich muß sie haben! Und dann sterben!

Cassian. Willst du? Hm . . . Es könnte sein, daß du sie für einen Groschen kriegst; – es ist aber auch möglich, daß sie zehntausend Dukaten fordert für einen Kuß auf die Fingerspitzen. Es ist möglich, daß sie auf deinen ersten begehrenden Blick ihr Hemde mitten entzweireißt – es kann aber auch sein, daß sie dich gegen tausend Türken schickt, bevor sie dir erlaubt, ihr die Schuhschnalle aufzusprengen.

Martin. Ich bin bereit.

Cassian. Weißt du, wo sie in diesem Augenblick weilt?

Martin. In Homburg. Dort tanzt sie bei den Festlichkeiten, die anläßlich der Monarchenzusammenkunft stattfinden. Und morgen früh bin ich dort.

Cassian. Wo hast du deine Schätze vergraben?

Martin. Heut sind sie noch in anderer Taschen. Aber morgen vor Abend bin ich reich.

Cassian. Wie willst du das machen?

Martin. Sollte dir nicht bekannt sein, daß in Homburg zu den Festtagen alle Spieler Europas zusammenströmen? . . . Wer sich mit mir einläßt, dessen Reichtum ist mein. Ein Tag ist lang, wenn man Glück hat. Und abends begeb' ich mich ins Theater, setze mich ans Proszenium, sehe Eleonore tanzen, und nachher warte ich vor ihrer Tür, lege ihr meinen Reichtum, mein Herz und mein Leben zu Füßen.

Cassian. Und wenn sie nichts von dir wissen will?

Martin. Bin ich um Mitternacht eine Leiche.

Cassian. Deine Phantasie lahmt zu früh. Um ein Uhr nachts will ich mit ihr auf deinem Grabe ein Menuett tanzen und der Kaiser von China soll von einem Luftballon aus zuschauen.

Martin. Du hast recht, dich über mich lustig zu machen, Cassian, denn du kennst nur meine Hoffnungen und Wünsche, nicht aber meine Kraft und Kunst. Du weißt nicht, daß ich gewinnen muß.

Cassian. Muß?

Martin. Wie immer die Würfel fallen – sie fallen für mich.

Cassian. Du bist dessen sicher?

Martin. So sicher – wie meiner Augen und meiner Hand.

Cassian. Hast du's erprobt?

Martin. Natürlich. Zuerst spielte ich mit mir selbst. Als ich meiner Sache gewiß war, lud ich mir Freunde ein, Studenten wie ich, einer brachte den andern, alle verloren, und heut ist in meinen Taschen das ganze Geld der Stadt. Es ist nicht eben viel, tausend Dukaten, aber es reicht zu Ausstattung, Reise und erstem Einsatz.

Cassian. Mich juckt's . . . . Bist du deiner Sache ganz sicher?

Martin. Versuch's doch! Hier sind Becher und Würfel; wir wollen spielen.

Cassian. Vortrefflich. Nimmt den Becher zur Hand. Aber was ist's mit dem schönen Fräulein, das uns das Essen holt?

Martin. Das arme Kind! – Du weißt ja, Cassian, als ich im Herbst von dir Abschied nahm, du zum Regiment einrücktest und ich die Universität bezog, war ich ein unschuldiger Knabe, hatte noch keines Mädchens Mund geküßt, keinem Liebe geschworen. Durft' ich Eleonoren so gegenübertreten? . . . Ich wagt' es nicht! In Sophiens Armen hab' ich küssen gelernt, ihr schwor ich die Eide, die Mädchen gerne hören. Den Glühenden, Eifersüchtigen, Zärtlichen hab' ich gespielt und weiß, aus einem Weib zu machen, was ich will. Eine letzte Probe steht noch aus, daß ich mich sieghaft und stark genug fühle, um vor der Angebeteten nicht zu zittern. Eh' ich die Stadt verlasse, will ich ihr sagen, daß ich sie niemals wiedersehe; und du sollst Zeuge sein, wie sie eilends zu diesem Fenster hinfliegt, um sich hinabzustürzen.

Cassian die Würfel schüttelnd. Dein Einsatz, Vetter Martin! – Wie? nur einen Dukaten?

Martin. So beginn' ich.

Cassian würfelt. Drei.

Martin ebenso. Vier.

Cassian. Das war eben nichts Besonderes.

Martin. Nicht mehr als ich brauchte.

Cassian. Zehn.

Martin. Elf.

Cassian. Zwölf . . . . Ha, nun wird's dir nicht gelingen!

Martin. Zwölf.

Cassian. Teufel! – Elf!

Martin. Zwölf. – Vorwärts!

Cassian. Vorwärts? Ich bin zu Ende. Ich habe keinen Heller mehr im Sack. Sophie kommt herein.

Cassian. Gnädiges Fräulein, hier sehen Sie einen, der in diesem Augenblick so arm ist wie eine Kirchenmaus . . . .

Martin. Das sollst du nicht sagen . . . Hier, mein Freund, es ist ein Dukaten. Ich leih' ihn dir gern.

Cassian steckt ihn in die Westentasche. Man kann nicht wissen . . .

Sophie bereitet den Tisch, schenkt ein. So ist es wahr, daß er ein System hat, mit dem er unfehlbar gewinnen muß?

Cassian. Es scheint so . . . Ich danke. Auf Ihr Wohl, mein Fräulein . . . Auf dein Wohl, Vetter Martin . . . . Wer mir das gestern prophezeit hätte, daß ich heute an einem gedeckten Tisch im Freundeskreise sitzen sollte . . . . Ei, was Sie für ein hübsches Häubchen haben, Fräulein!

Martin. Wahrlich, es ist hübsch. Du hattest es nicht, da du fortgingst, das Essen holen.

Sophie. Ich wohne ja so nah. Ich lief auf einen Augenblick in meine Kammer – man muß sich doch ein wenig anständig herrichten, wenn der Liebste so vornehmen Besuch bekommt.

Martin. Sie weiß, was sich schickt, nicht wahr?

Cassian. Und was schmeckt, nicht minder. Ich schwöre, daß die Trüffelpastete, die ich beim Herzog von Andalusien zum Frühstück aß, eine lächerliche Bettlerkost war gegen diese!

Martin. Das ist kaum möglich . . . Wahrhaftig, es ist ein ganz bescheidenes Wirtshaus, aus dem die Pastete kommt, und der Koch ist aus dem Städtchen wohl nie herausgekommen . . . nicht wahr, Sophie?

Sophie. Du irrst, Martin. Da ich doch schon zu Hause war, bin ich gleich über den Markt gelaufen, in den Gasthof zum wallfahrenden Kamel – dort haben sie jetzt einen Koch, den der Großherzog von Parma zum Land hinausgejagt hat, weil er so gut kochte, daß die Prinzessin ihn durchaus heiraten wollte.

Cassian. Es lebe der Großherzog, die Prinzessin und das wallfahrende Kamel . . . und Sie mein Fräulein! Sie trinken.

Cassian. Köstlich! . . . Ich habe nicht gedacht, daß die Keller hier mit so trefflichem Weine versorgt seien.

Martin. Daran ist in der Stadt kein Mangel. Dabei sind sie so wohlfeil als irgendwo. Die Flasche dreizehn Groschen – nicht wahr, Sophie?

Sophie. Nein, Martin. Dies ist der beste Wein, den sie im wallfahrenden Kamel haben. Die Flasche kostet einen Dukaten.

Martin. Teufel! Haben sie dir's auf dein Gesicht hin geliehen?

Sophie. Nein. Ich ließ das goldene Armband zum Pfand, das du mir neulich schenktest . . . Sollt' ich nicht, weil wir doch so vornehmen Besuch haben . . .?

Cassian. Mein Durst ist gut, der Wein ist besser – aber Ihre Freundlichkeit, Fräulein, ist besser als Durst und Wein. Erlauben Sie, daß ich Ihnen die Hand küsse, Fräulein.

Sophie. Nennen Sie mich doch nicht »Fräulein« – ich müßte mich schämen. Meine Mutter ist eine arme Witfrau, und mein Vater war zu seinen Lebzeiten ein bürgerlicher Schmied.

Cassian. Das mögen Sie einem einreden, der weniger von der Welt und von den Weibern versteht . . . Ihr Vater war kein Schmied.

Sophie. Ich versichere Sie, Herr Offizier . . . meine Mutter ist eine ehrsame Frau.

Cassian. Wir wollen nicht daran zweifeln, Fräulein, daß Ihre Mutter nach ihrem besten Wissen tugendhaft gewesen; aber schwören will ich, daß sie sich, während sie Euch unter dem Herzen trug, an der heidnischen Göttin Venus selbst verschaut hat, die ihr wohl im Traum erschienen sein mag. Solches widerfährt den ehrbarsten Frauen; ich selber war zu dem Traum einer vornehmen Dame geladen, der ein Mohrenfürst erschien und die ein kohlrabenschwarzes Mägdelein auf die Welt brachte! Glocken.

Martin ungeduldig. Den Nachtisch! Die Stunde drängt! . . . Wie? nichts mehr da? Ei, Sophie, so hast du trotz aller Sorgsamkeit doch etwas vergessen!

Sophie. O nein! Sie bringt einen Aufsatz mit Früchten.

Cassian. Herrlich! . . . Sie duften so frisch, als wären sie eben vom Baume gepflückt.

Martin. Wie kommst du zu so prächtigen Früchten? . . . Wie kommen so herrliche Früchte in diese Stadt?

Sophie. Es ist ein Zufall. Im Schaukasten des Silvio Renatti sah ich den Aufsatz ausgestellt.

Cassian. Schön genug, um eine herrschaftliche Tafel zu zieren.

Sophie. Dafür war er auch bestimmt. Der Bürgermeister empfängt heute den Fürsten von Dessau, der sich auf der Durchreise zum Kriegslager hier aufhält . . . .

Martin. Nun? . . . bin ich der Bürgermeister? . . . ist dies der Fürst? . . .

Sophie. Nein, das nicht.

Martin. Oder hab' ich dir mehr Schmuck gegeben, als ich mich erinnere, daß du imstande warst, diesen Aufsatz zu bezahlen f

Sophie. O nein. Diese Rechnung hab' ich in anderer Art beglichen.

Martin. Und wie, wenn's zu fragen erlaubt ist? –

Sophie. Der junge Italiener, der im Laden stand, verlangte einen Kuß dafür . . . .

Martin. Und du bezahltest so?

Sophie. Sollt' ich nicht, da wir so vornehmen Besuch haben?

Cassian. Sie haben über alle Maßen edel und gastfreundlich gehandelt, Fräulein. Aber ich schwöre, wenn diese Früchte eben aus dem heißen Sizilien kommen, wenn der, der sie pflückte, an Sonnenstich zugrunde ging, der, der sie nach Deutschland brachte, an Heimweh verstarb und Bürgermeister und Fürst vor Kränkung darüber wahnsinnig werden, daß sie auf einen solchen Nachtisch verzichten müssen, – der freche Italiener hat sie sich doch tausendfach überzahlen lassen, und er soll es mir büßen, eh' ich die Stadt verlasse . . . . . Nun aber wollen wir's uns schmecken lassen.

Sie essen.
Sophie sieht Cassian an. Martin beobachtet sie. – Schweigen. Dann

Martin zu Cassian. Woher kommst du denn eigentlich?

Cassian. Woher? . . . Soll ich's mit wenigen Worten sagen oder die ganze Historie erzählen?

Martin. Mit wenigen Worten, wenn du's vermagst.

Cassian. Es ist nicht so einfach zu berichten. Ich komme aus einer Schlacht, wo mir zwei Pferde unterm Leib und drei Mützen vom Schädel weggeschossen wurden. Des Fernern komm' ich aus der Gefangenschaft, wo etliche brave Kameraden verhungert und von Ratten aufgefressen worden sind. Ferner vom Richtplatz, wo sieben an meiner Seite füsiliert und ich mit ihnen für tot in eine Grube geworfen wurde, obwohl alle Kugeln an mir vorbeigepfiffen waren. Ferner aus den Krallen eines Geiers, der mich für Aas hielt wie die andern, die sich an meiner Seite bereit machten zu verwesen, und der mich aus Bergeshöhe auf die Erde herunterfallen ließ, – glücklicherweise auf einen Heuschober. Ferner aus einem Wald, wo mich ein paar Kaufleute für ein Gespenst ansahen, und mir in ihrem Schrecken allerlei gutes Zeug und Bargeld zurückließen. Ferner aus einem gar lustigen Haus, wo Kroatinnen und Tscherkessinnen und Spanierinnen meinethalb mit den Dolchen aufeinander losgingen, und ihre Galans mich umbringen wollten, . . . so daß ich durch den Rauchfang aufs Dach flüchtete und fünf Stockwerke heruntersprang, . . . kurz und gut: ich komme aus so viel Abenteuern, daß ein anderer mehr Mühe hätte, sie zu erfinden, als es mir gemacht hat, sie zu überstehen.

Sophie. Herrlich!

Martin. Seltsam! . . . Und aus den tausend Fährlichkeiten bist du entkommen – ei, hattest du Glück! – ohne Wunden?!

Cassian. Das würd' ich sagen, wenn ich ein Aufschneider wäre; aber da ich es nicht bin – seht!

Sophie. Ich sehe nichts.

Cassian. Wie, mein Fräulein, Sie sehen nicht, daß der Nagel an meinem kleinen Finger gebrochen ist? Er trinkt. Sophie sieht ihn staunend an.

Martin immer ärgerlicher. Woher du kommst, wüßten wir nun, . . . aber wohin gehst du denn?

Cassian. Sobald ich von meiner Verletzung wieder hergestellt bin, rücke ich zu meinem Regiment ein.

Sophie. O, wenn Sie mich doch mitnähmen!

Martin. Bist du toll, Sophie?

Sophie. Was soll ich ferner hier? Ich denke, eine flinke Marketenderin ist in Kriegszeiten überall gut aufgenommen.

Cassian. Ihre Hand, Fräulein, – schlagen Sie ein, die Sache ist abgemacht!

Martin. Was hast du ihr in den Wein gemischt, Cassian?

Cassian. Was kümmert's dich, was das Fräulein beginnt, da du doch auf Reisen gehst.

Martin. Ich widerrat' es dir, Sophie – ich widerrat' es dir. Denk' an deine Mutter!

Sophie. Steht Ihr Regiment weit von hier?

Cassian. Es wird wohl eine Reise von einem Tag und einer Nacht sein, Fräulein.

Martin. Teufel! Teufel!

Cassian. Was gibt's?

Martin. Die Ungeduld plagt mich, wo mein Diener bleibt. Ich werde die Post versäumen!

Cassian. Ist dir die Zeit lang? – Komm, Vetter, auch ich liebe nicht leere Viertelstunden. . . . Heh, noch ein Spielchen!

Martin. Ha, mit dir? . . . Du vergißt, daß du keinen Heller mehr hast.

Cassian. Oho! da hat mir ein reicher Vetter einen Dukaten geliehen, mit dem werd' ich wohl anfangen dürfen, was mir beliebt.

Martin. Meiner Seel', das darfst du. Und es soll mir ein Vergnügen sein, dir nebst diesem Dukaten auch Wams, Strümpfe, Degen und Hemd abzunehmen.

Sophie. Martin, was fällt dir ein, deinen Gast so schnöde zu behandeln?

Cassian. Die Würfel her!

Martin. Ein trauriger Einsatz, – ein jämmerlicher Einsatz! – Ich schüttle. – Zwölf! Nun ist der Spaß wohl zu Ende.

Cassian. Ei, das kann ich auch! – Zwölf!

Martin. Zehn.

Cassian. Elf.

Martin. Zwei.

Cassian. Drei. – All das?

Martin. Du siehst es. Hast du etwa Angst? – Vier.

Cassian. Fünf.

Martin. Elf! – Es will sich wenden.

Cassian. Zwölf.

Martin. Vorwärts!

Cassian. Es wird nicht mehr reichen. . . .

Martin. Kümmre dich nicht! . . . Hier ist mein Reisesack wohl gepackt; es ist mehr darin, als du ahnst. Sie würfeln. Elf!

Cassian. Zwölf! Und er gehört mir.

Martin. Hier – mein Schrank!  . . . hier mein Bett . . . mein Bettzeug. . . . Du wirst dich bezahlt machen! Elf.

Cassian. Das werd' ich . . Zwölf! . . Gewonnen! Und nun genug.

Martin. Genug? . . . Noch einmal . . . Der Diener wird gleich hier sein . . . einmal noch, es kann nicht so fortgehen!

Cassian. Was hast du noch einzusetzen?

Martin. Alles, was ich am Leibe trage, zum Teufel! . . . und den Diener . . . und den Platz auf der Post . . . .

Cassian. Es reicht nicht.

Martin auf Sophie weisend. Und die dazu!

Sophie. Martin! . . . Ich verschenk' mich selber. Setzt sich Cassian auf den Schoß und umarmt ihn.

Martin. Schurke! Schurke! Was hast du ihr in den Wein gemischt? . . . Hörst du nicht? Ich sage: Schurke!

Cassian auf. Ah! ist's so gemeint?!

Martin. Vorwärts! vorwärts!

Cassian. Komm, wir wollen's vor dem Tor abmachen!

Sophie. Um Himmels willen! Cassian! Cassian!

Martin. Ich habe nicht so viel Zeit, vors Tor zu gehen. Hier ist Raum genug.

Cassian. Wie's beliebt, Vetter.

Sophie. Cassian, soll ich Sie gleich wieder verlieren! Cassian lacht.

Martin. Es ist keine Zeit zum Lachen – vorwärts! vorwärts! Gefecht.

Cassian. Nicht übel! Das hast du gut gemacht . . . noch sieben oder acht Jahre, und du wärst ein gefährlicher Gegner – wenn auch nicht für mich. Sticht ihm ins Herz.

Martin sinkt nieder. Weh! weh!

Sophie zu Cassian hinfliegend. Und Ihnen ist nichts geschehen?

Cassian. Es tut mir leid, Vetter Martin . . .

Der Diener kommt. Hier bin ich, gnädiger Herr.

Cassian. Sein Herr steht hier. Nehm' Er den Sack . . . So! . . .

Martin. Mein Aug verschleiert sich! . . .

Cassian. Wie sagtest du, Vetter Martin? . . .

Martin. . . . die Schatten des Todes . . .

Cassian. Wie war ihr Name? . . . Eleonora Lambriani . . . Es wäre der Mühe wert, sich noch einen Tag Urlaub nehmen . . .

Sophie. Eleonora Lambriani – was ist das?! Das Mädchen von Athen! so hieß sie! –

Martin. Ja, Elende, Elende! daß du's nur weißt! . . . Eleonora . . . hier die Blume . . . ich hab' sie aufbewahrt . . . es ist dieselbe . . . nimm du sie, Vetter Cassian . . . bring' sie ihr  . . . ich lasse sie grüßen . . .

Cassian. Beim Himmel, ich will es ihr bestellen und mancherlei dazu, was ihr noch mehr Spaß machen soll!

Sophie. Wie, Sie verlassen mich um Eleonora Lambriani?

Cassian. Ich kann es nicht leugnen. Aber erst morgen früh. –

Sophie. Weh mir! . . . Sie eilt zum Fenster und stürzt sich hinunter.

Martin will ihr nach, sinkt nieder. Sophie! Sophie! Cassian stürzt ihr nach, zum Fenster hinunter.

Martin zum Diener. Wehe! wehe! ich kann mich nicht rühren! Seh' Er nach!

Diener zum Fenster. Höchst Wundersames hat sich ereignet. Der springende Herr hat das springende Fräulein in der Luft aufgefangen und beide sind wohlbehalten unten angelangt . . .

Cassian von unten brüllend. He! wird's bald? Bedienter! den Reisesack! rasch! Ich will die Post nicht versäumen! Und habe vorher noch einem frechen Italiener einen Degenstich zwischen die Rippen zu versetzen.

Diener ruft hinunter. Sofort, gnädiger Herr!

Martin. Gib mir die Flöte, eh' du gehst . . . Ich danke dir . . . Warte! . . . Auf dem Weg zur Post zieh' die Glocke auf dem Kreuzweg Numero siebzehn . . .

Diener. Numero siebzehn . . .

Martin. Mir schwinden die Kräfte . . . Um Mitternacht sollen sie meinen Leichnam holen. Hörst du?

Diener. Um Mitternacht. Ich will es bestellen, Herr. Ab.

Martin spielt die Flöte. Es ist bitter, allein zu sterben, wenn man eine Viertelstunde vorher noch geliebt, wohlhabend und der herrlichsten Hoffnungen voll war. Wahrlich, es ist ein übler Spaß, und ich bin eigentlich gar nicht gelaunt, Flöte zu spielen. Läßt sie fallen und stirbt.

In der Ferne klingt das Posthorn.

Vorhang.



 << zurück weiter >>