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Es greift nix an

Die Duxerbäuerin stand weinend vor der Haustür und klagte der Nachbarin ihr Elend.

»Nie gehts Unglück aus bei uns«, schluchzte sie und drückte ihre blaue Schürze vor die Augen. »Vorigs Jahr ist mier die schönste Kuhe zsamt dem Kalb hin wordn, heuer im Frühjahr habn acht Hennen den Pfiff ghabt und jetz ist wieder der Bauer krank und nix hilft!«

»Wo fahlt s ihm denn eigentlich«, fragte die Nachbarin.

»s Kreuz tuet ihm weh und a Schwächn hat er zum Gotterbarmen, und keinen Knödl kann er mehr essen und kein Kraut. Er meint, es ist ihm inwendig etwas gsprungen.«

»Und was sagt der Doktor?«

»Weißt, Sepha«, (die Duxerbäuerin dämpfte ihre Stimme zum Flüsterton und nahm eine verbissene Miene an) »verschreibt er nit gar dem Bauer ein Flaschl, nit größer als mein Fingerhuet, und ein paar Tropfn soll er nehmen alle Stund, weißt Sepha, so ein Eselslackl her, wie der Bauer ist, ein paar Tropfn! Wo ihm das ganze Flaschl voll nit amal bis zur Gurgel langt.«

»Dös mein i auch«, bestätigte die Sepha. »So einer braucht mehr, bis es ihn angreift!«

»Der Bauer hat s auch glei zum Fenster ausgworfen! Und jetz habn wier selber allerhand probiert, aber es greift nix. Der Weh laßt nit nach, und der Bauer werd alleweil matscher. Früher so a grober Klachel, und jetz werd er fein zum Gotterbarmen! I mein, es dauert nimmer lang.«

Und die Duxerbäuerin weinte bitterlich.

Die Sepha dachte nach. Weiber geben ihre Sache nicht so leicht verloren; etwas fällt ihnen immer noch ein, eine Salbe von der Ahnl, oder etwas zum Einreiben, das weiß Gott vor wieviel Jahren einer alten Mutter so gut getan hat. Der Sepha fiel ein Wunderdoktor ein, der den Duxerbauern vielleicht noch zsammrichten könne. Dieser Doktor wohnte in Thaur drunten und machte, obwohl er ein Studierter war, gute Kuren bei den Inntalerbauern. Er wurde deshalb beinahe ebensoviel konsultiert wie der Bauerndoktor Schmierberlugges, der auf dem Höttingerried ein Häuschen bewohnte und Mensch und Vieh nach eigner Methode praktisch behandelte.

»Duxerbäuerin, sei nit verzagt«, tröstete die Sepha, »der Thaurerdoktor kann noch helfen! Wenn auch inwendig eppes gsprungen sein sollt, der weiß alleweil noch a Mittel.«

Wie die Bäuerin so tröstliche Worte vernahm, ließ sie die Schürze fallen und mit den Tränen war's aus. Es konnte noch alles gut werden. Zuerst ließ sie allerdinge einigen Zweifel laut werden, ob denn ein Gstudierter überhaupt ihrem Mann zu helfen imstande sein werde, aber die Sepha sprach derart zu seinen Gunsten, daß die Bäuerin schließlich doch vorsichtig meinte: »Grad ganz und gar unmöglich wär's nit, wenn er auch a Gstudierter ist!«

Der Innsbrucker Bote fuhr gerade mit seinem Wägelchen vorüber. Die Duxerbäuerin nahm ihn gleich zur Seite und fing an, ihm des Bauern Leiden zu beschreiben, damit er den Fall dem Thaurerdoktor genau mitteilen könne.

»Und vergiß ja nit zu sagen«, schärfte sie dem Boten ein um das andere Mal ein, »daß ihm die ganze Krippn weh tuet, und daß er dreinschaut wie a kranker Teufl, und daß er zittert, wie a espenes Laub, und zsammgfallen ist er, sag ihm nur alles, und Hüt könnt man aufhängen, so stellt er die Beiner auf.«

Der Bote, ein alter versoffener Kerl, nickte überlegen, zog sein blaues, riesiges Schnupftuch hervor und machte einen Knoten. Es war dies der fünfte. Dann fuhr er mit seiner Schindmähre weiter.

Die Bäuerin ging ins Haus zurück und trat in die Stube zum Bauer. Der lag auf der Ofenbank und fluchte unter zwei riesigen, übereinandergelegten Betten hervor.

»Sepp, bis heut zu Nacht kriegst Hilf. Der Thaurerdoktor werd a Mittel schicken, dös dich angreift!«

Der Bauer gab keine Antwort. Er fluchte weiter.

Die Bäuerin ergriff seine Hand und bat: »Geh, Sepp, sag eppes!«

»Der Thaurerdoktor ist ein Esel und du a dumme Gans!«

Dann warf sich der Bauer auf die andere Seite und sprach keine Silbe mehr.

Die Bäuerin konnte kaum den Abend erwarten, wo der Bote mit dem angreifenden Mittel zurückkommen sollte.

Der Kuckuck an der großen Wanduhr hatte bereits sieben-, dann acht- und jetzt gar neunmal geschrien, der Bauer auf der Ofenbank noch viel öfter.

Endlich um halb zehn Uhr abends lahmte der Botengaul mit dem Wägelchen daher, ihm zur Seite der duslige Bote. Sein ganzes Gesicht leuchtete in Purpurrot. Das ist bei den Boten und Fuhrleuten nichts Besonderes. Sie behaupten, es komme von der frischen Luft.

Er überreichte der harrenden Bäuerin ein ziemlich umfangreiches, in Papier gewickeltes Etwas, nahm den Botenlohn in Empfang und taumelte mit Gaul und Wägelchen weiter. Die Bäuerin eilte in die Stube, löste von dem Erhaltenen schleunigst die Umhüllung ab und hielt dem Bauer triumphierend eine große, schwarze Flasche hin.

Der schaute zuerst ein Weilchen mißtrauisch auf das Ungetüm. Allmählich aber schien er sich zu interessieren. Und als seine Alte von dem anhängenden Zettel gar noch die Worte abgelesen hatte: Auf zwei Schluck zu nehmen, da schmunzelte der Bauer beifällig. Auf zwei Schluck eine Medizinflasche zu leeren, die mehr als eine Maß hielt, das imponierte dem Sepp doch ein wenig.

Und da er ein Mann der Tat war, machte er sofort Ernst und trank gleich die ganze Flasche auf einmal leer, bis auf einen kleinen trüben Bodensatz.

Was der Bauer während des Trinkens und hernach für Gesichter geschnitten hat, das weiß nur Gott und die Duxerbäuerin; die getigerte Katze auf dem Ofen hatte in hellem Entsetzen die Flucht ergriffen.

Er krümmte sich vor Schmerz und brüllte. Nach seinem eigenen Gutachten hatte er das Gefühl, als ob in seinem Innern zwei Knechte mit Mistgabeln herumhantieren würden.

Und das dauerte die ganze Nacht durch. Die Bäuerin wußte sich nicht mehr zu helfen und fing die Litanei zu den vierzehn Nothelfern an.

Dem Bauer war totenübel geworden, er erbrach sich etliche Male, verging vor Schmerz und war felsenfest überzeugt, die Medizin habe angegriffen. Gegen Morgen hin wurde ihm insoweit besser, daß er dann und wann wieder fluchen und schimpfen konnte.

Und die Besserung hielt an. Um neun Uhr morgens schleuderte der Bauer die Federbetten fort, schlüpfte in seine lederne Kniehose und tastete sich vor die Haustür an die frische Luft. Matsch fühlte er sich freilich, wie er so dasaß; aber der Wehtum war wie weggeblasen und der Appetit nach einem Trumm Speck deutete zur Genüge an, daß im Magen nichts gesprengt sei. Doch wollte er noch vorerst den winzigen Rest seiner Medizin nehmen, und so rief er der Bäuerin ins Haus hinein:

»Die Medizinflaschen! Kruzitürken, hast mi verstandn?«

Den Ohren der Bäuerin waren diese Worte Musik.

»Gottlob, es geht herwärts, er wird wieder grob.«

»Ho, ho, schon wieder wohlauf, Duxer?«

Der Bauer schaute verdutzt auf die Seite. Der Rosnermichl stand vor ihm.

»Ja, hat wieder ein Hersechn zum Gsundwerdn«, gab der Duxerbauer zur Antwort.

»Wenn's nur meiner Kuh auch schon wieder besser gang«, seufzte redewendend der Rosner. Und da der Duxer fragend aufschaute, fuhr der Michl fort:

»Der Bläs fehlt's grob! Und dem Schmierberlugges muß im Hirn a Radl brochen sein!« »Warum«, fragte der Duxer. »Weißt, gestern hat er mir durch den Botn a winzig kleins Glasl gschickt für die Kuh, alle Stund soll ihr zwanzig Tropfen geben. Möchst da nit a Narr werdn? Und ich hab ihm beim Botn doch die große braune Flaschn mitgschickt, mit der wir alleweil der Kueh eingebn, wenn ihr eppes fahlt!«

Die Bäuerin war gerade mit dem Rest der Medizin herausgekommen. Der Michl schaute und schaute, und endlich meinte er: »Mit Verlaub, dös ist ja mei große braune Flaschn für die Kueh!«

Der Bauer schaute auch und dachte nach. Es wurde ihm wieder etwas matscher.

Den versoffenen Boten allein traf die Schuld. Er hatte die Kuh um ihr Einnehmen gebracht.

Als man den Rest in der Flasche genauer untersuchte, konnten im Bodensatz leicht gedörrte Ameisen festgestellt werden.

Auf das hin bekam der Bauer wohl neuerdings einen Schwächeanfall, der aber bald vorüberging und in der Folge einem ausgezeichneten Wohlbefinden Platz machte.

Ein Weilchen betrachtete noch der Duxer die mächtige Flasche mit dem anhängenden »auf zwei Schluck«, dann stellte sie der Viehmensch dankend dem Rofner zurück.

*


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