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Ein Wahnleben ist mir aufgegangen wie ein gleißender Stern innerhalb der Umfreitung des Klosters, und ich hab' lange Zeit gemeint bei Tag und Nacht, das Leben will von da weg dahingleiten wie ein freudvoller Traum.
Alle Tage hab' ich Neues gehört, gesehen und gelernt, und wie ein kleiner Bube hab' ich die Buchstaben malen gelernt mit meiner derben Hand und die Worte buchstabieren und lesen mit fröhlichem Mute, und daneben hab' ich dem Pater Wilehalm geholfen bei der Bereitung seiner Arzneien, oder ich habe gefiedelt, wenn Pater Modestus die kleine Orgel gespielt, die in seiner Zelle auf einem Tische gestanden, und deren Windbälge Bruder Girg so handsam gedrückt. Zu Zeiten aber habe ich auch im Garten arbeiten gedurft, und da habe ich allemal gemeint, ich stände im leibhaftigen Paradiese.
Nur einmal hat's mich gepackt und gerüttelt, wie wenn der Wettersturm um eine auf freier Hänge aufgewachsene Fichte tobet.
Im Klostergarten haben zur selben Zeit die ersten Blümchen zu blühen angefangen, die Fluren des Donaugäues sind von Tag zu Tag grüner geworden, und von den Bergen hernieder haben noch einzelne Schneeflocken geluget. Über Wiese, Feld und Anger haben die Lerchen gesungen, und im Garten haben die Stare gepfiffen und geschwegelt, und mir ist geworden, als ging eine harte Krankheit mich an. Es hat mich nicht gefreut, wenn ich gelesen oder geschrieben, es hat mich dies verdrossen und jenes auch, und wenn ich einmal die Fiedel gestrichen, hat es geklungen, als täte das tote Holz jammern und weinen, da das lebende grünet und in Blüten gehen will.
Und einmal bin ich im Garten gestanden, hab' mich auf den Stiel der Wurfschaufel gestäut, und ich glaube, es sind mir mehr denn eines der Tränenkügelchen aus den Augen gerollt. Da hat Pater Bonifaz mich gerufen.
»Gotswin!«
Ich bin zusammengefahren und schier erkommen. »Ja, Herre«, hab' ich geantwortet.
»Du weinst?«
»Nein, Herr.«
»Aber ich seh' der Tränen Lauf auf deinen Wangen.«
»Und doch hab' ich nicht geweint.«
»O, du, du!« hat er fast hell aufgelacht. »Es will einer nicht weinen, wenn ihm die hellen Zähren viel harte die Wangen herablaufen. Es weint mancher, und seine Augen sind trocken wie ein versiegter Bronnen. Glaubst du das nicht? Und so einer weinet, fehlet ihm etwas … Was fehlet dir, Gotswin? Mir darfst du dein Leid klagen.«
»Ich habe kein Leid.«
»Gereut es dich, dass du die Freiheit der Welt vertauscht gegen den stillen Klosterfrieden? Noch ist dir das Tor in die Welt nicht fest verriegelt; noch hast du nicht die Gelübde getan und bist wie ein Vogelein, das sein Bauer zu jeder Stunde verlassen kann.«
»Ich will nicht mehr hinaus.«
»Willst nicht? Ja, was weinest du sonst? Packt dich vielleicht jetzt erst das Weh nach deiner Heimat, wie es die Vogelein ergriffen hat im warmen Südland? Gotswin, großes Kind, wenn du wieder ausfliegen willst und den schneeigen Wäldern zu: Flieg! Und wenn du bleiben willst, nimm dir einen Eifer vor für dies oder jenes, und bis das Korn in die Halme schießt auf den Feldern des Donaugäues wirst du überwunden haben.«
Ich habe mir einen Eifer vorgenommen und habe die Sprache der Kirche zu lernen angefangen mit vielem Fleiße, aber mir ist erst anders geworden, als der Herbstwind über das Gelände gebrauset, und als die roten und gelben Blätter der Bäume und des Gestaudes vor ihm hergetanzt in wirrem Reigen.
Wie der Wein gärt und wieder gärt und erst nach der letzten Guhr so ruhig wird, dass er nimmer aus dem fest verschlagenen Fasse will, so bin auch ich von dieser Zeit an ruhig geworden, und mein Herz hat sich nicht mehr hinausgesehnt über die Umfreitung des Klosters. Mit Fleiß und Eifer habe ich gelernt, und die Zeit ist am Fenster meiner Zelle vorübergeflohen wie der Schatten eines leichten Wölkchens am Zeiger der Sonnenuhr, und ein Tag hat mich gefunden, da sie mir zuerst die Tonsur geschoren in mein Haar, darin sich schon ab und zu ein silberig schimmernder Faden gezeigt und dann vor dem Altare zum Diener Gottes und zum Priester der Kirche gesalbt.
Meine Eltern sind dabei gestanden und meine Geschwister, und sie alle haben Gott gedanket, dass er einem von ihnen in seiner Gnade den Weg geführet zu seinem Altare.
Dann ist ein Jahr vergangen und wieder eins, und kein Tag hat sich vom anderen merklich unterschieden, bis einmal ein Bote gekommen, ich solle heim und meine Mutter in die kühle Erde zur ewigen Ruhe betten.
Wer den Gang getan, der weiß, wie die Knie wanken und alle Augenblicke der Herzschlag stockt und wie ein mächtig Wehe tobet in der engummarkten Brust.
Auf demselben Gange bin ich das erste Mal vorbeigekommen an der Burge zu Eckh oder Eck und habe zum ersten Male den trutzigen Burgfrit gesehen und die starken Mauern, die Wiege des Geschlechtes, das vor meinen Augen erloschen wie eine Leuchkugel am sternbesäten Nachthimmel. Ich habe des Öfteren schon ein Grab gesehen gehabt in der Kirche St. Martini, dessen Grabstein ein Kreuz getragen und ein eirund Wappenschild, und ich habe gehört und auf dem Steine gelesen, dass darunter ein Ritter Ulrich der erste von Eckhe der Auferstehung harre, aber da ich die Burge gesehen, ist mir trotz meines Herzeleides der Grabstein eingefallen, und eine Ahnung ist um mein traurig Sinnen geschlichen, von der ich erst heute weiß, was sie gewesen sein mag. Es ist dem Menschen durch urewigen Ratschluss versagt, in die Zukunft zu schauen, und wie ein Blinder geht er seines Weges durch das Sonnenlicht seiner Tage, und nur selten dämmert ein schwacher Schein durch den ihn blendenden Nebel, und solches heißet man eine Ahnung oder eine Vorahnung.
Ich habe die trutzige Burge beschaut mit neugierigem Blicke und bin weiter gegangen auf meinem Kreuzwege zur toten Mutter.
Kalt und starr und leblos ist sie auf dem Schragen gelegen, und das Herz, das eitel Liebe gewesen für uns alle, das sich gesorgt um uns und geängstigt, das hat keinen Schlag mehr getan. Wie ein Licht verlöschet und keinen Schein mehr gibt und keine Wärme, so ist es gewesen, und ich bin davor gekniet, hab' die eingefallenen kalten Wangen gestreichelt und habe gerufen: »Mutter, Mutter!« und sie hat mich nimmer gehört.
Hat der Tod auch das Band zerschnitten, das sich von ihrem Herzen um all die Unseren geschlungen? Ich hab' es nicht ergründen können und weiß es heute noch nicht, aber ich meine, das Band habe seinen Ursprung im Herzen Gottes und schlinge sich in den mannigfachsten Windungen bis zum letzten der Erdenpilger, und der Tod hat nicht die Macht, daran zu tasten.
Dann hab' ich mich aufgerafft und hab' die anderen getröstet mit Worten, die ich zu anderer Zeit selbst geglaubet hätte, und wir alle haben der Mutter gelobet, fortan so zu leben, dass sie sich unser nicht zu schämen braucht im himmlischen Jenseits.
Des anderen Tages hab' ich die Grube gesegnet, die dem Herzen unserer Mutter eine Ruhestatt sein soll bis zum letzten der Erdentage und hab' eine Messe gelesen und den Herrn flehentlich gebeten, er möge nur alle Lieb' und Treu vergelten im rechten Maße, so unserer Mutter Herz für uns gezeitigt, und ein guter Platz im Himmel wäre der Mutter sicher.
Wie viel Tausende werden zu der Stunde schon gewünschet haben, sie möchten der Herrgott sein, um den besten Platz aussuchen zu können für das Elternherz, aber sie haben nichts anderes tun können, denn beten und bitten und vertrauen auf die Lieb' und Treu' des Herrn, dem wir alle Kinder sind.
Mit einer Zähre im Auge hab' ich mich abgewandt von dem Orte, an dem wir das treue Herz zur Ruhe gebettet, und wie wenn mich der Mondschein zöge, bin ich zurückgewandert nach Metten.
Abt Albert der anderte Anderte, zweite. hat mir die Hand gedrückt, mir treuherzig ins Gesicht gesehen und das einzige Wort als Trost gesagt: »Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; der Name des Herrn sei gepriesen allerwege!«
Ich hab' ihn verstanden und im Stillen gestrebet, zu vergessen, was nicht zu ändern ist.
Des anderen Tages bin ich in die Schreibstube des Klosters beordnet worden, allwo eine Anzahl Patres unter Aufsicht des Bibliothekars sowohl Bücher abgeschrieben als auch solche aus eigener Erfindung zusammengestellet, und das Mittel hat nur für ein paar Tage verfangen und gewirket. Mit Gebet ist die Arbeit angefangen worden, und ein Gebet hat das Tagewerk beschlossen, aber die Zeit, so dazwischen gelegen, hat strenges Schweigen und emsige Arbeit gefüllt, und nur das Schrillen er Kielfedern hat die tiefe Stille unterbrochen. Im Anfange hat das Neue mein Sinnen gefüllet, und die Lebensgeschichte des Gründers und ersten Abtes des Klosters, des seligen Utto, die ich säuberlich abzuschreiben gehabt, hat meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Aber nach ein paar Tagen hat sich trübes, unfrohes Sinnen eingefunden, und ich bin einmal zum Abte gegangen und habe gebeten, er solle mich eine Zeit anderswo beschäftigen, allwo mir nicht viel Weile bleibt zum stillen Grübeln.
Und es hat sich geschicket, dass noch desselben Tages ein Bote in die Schreibstube gekommen und mich zum Abte gefordert.
Ein großer, starker Ritter ist dortselbst auf dem stärksten Stuhle gesessen, umhüllt von gleißendem Stahl, und das Hersenier Hersenier, Kopfbedeckung unter dem Helme. und der Helm sind auf dem Schragen seitlich gelegen.
Ich bin an der Tür stehen geblieben und hab' so in der Eile geraten, was wohl der Kriegsmann im stillen Kloster suchen könnte, da Metten eines der sieben Klöster in deutschen Landen und davon eines der zweien in Bayern ist, die dem Kaiser nicht mit Geschenken zinsen und auch nicht Kriegsdienste leisten.
»Gotswin, komm näher!« gebot der Abt, und ich trat harte an den Tisch hin.
Der Ritter sah mich mit seinem strengen, harten Blicke ein klein Weilchen von oben bis unten an und winkte dann einige Male.
»Herr Peter von Eckh, Pfleger auf Mitterfels, wünschet einen Schreiber, der auch etwas arzeneikundig wäre«, erklärte darauf der Abt. »Wolltest du mit ihm ziehen? Ich wähne, es würde dir in diesen Tagen gut tun, wenn du in andere Luft und unter andere Leute kämest.«
»Ich gehorche meinem Abte!« Das war meine Antwort.
»So rüste dich zur Fahrt!«
Und er ging mir nach in meine Zelle und gab mir an Ratschlag und Lehre mit, wessen ich bedurft. Herr Peter der Eckher wäre ein hart tüchtiger und richtiger Mann, wäre Hofmeister des Herzoges Albert gewesen und stünde in gar großen Gunsten beim Kaiser. Ich solle des Pflegers Kindern Lesen und Schreiben lehren, solle Geschriften machen, so dies von mir verlanget wird, und solle mein bescheiden Wissen in der Arzneikunde in den Dienst der Menschheit stellen; im Übrigen wäre ich der Priester des Klosters zu Metten. Und so es mir einmal nicht behage, könne ich zu jeder Frist zurückkehren in meine Zelle, und es würde ein anderer beordnet.
Was nennt einer sein Eigen, der das Gelübde der Armut geleistet? Was hat er viel zu rüsten?
Ein sauber geschrieben Messbuch nahm ich mit, ein zweites Habit und das Gewand für die gottesdienstlichen Handlungen und meine Fiedel.
Und da ich wieder im Gemache des Herrn Albert, des Abtes, stand, gerüstet zur Sendung, reichte mir Herr Peter von Eckh seine Hand zum Gruße und Willekomm.
»Ihr sollt keine Missezeit Missezeit, ungute, schlechte Zeit. haben bei uns«, versprach er. »Wo Peter der Eckher zu schaffen hat, geht es nicht so locker zu wie auf anderen Burgen. Und so es Euch gefällt, möget Ihr mit Herrn Albert Willen bleiben, solange es Euch gut dünket …«
»So einer seiner Sendung ehrlich eingedenk ist, kann er allerwege Gottesdienst tun, im Kloster, auf einer Burge und als Pfarrherr unter den Bauern«, redete Herr Albert. »Ziehe im Namen des Herrn!«
Und ich ging.
Im Klosterhofe warteten drei gewaffnete Knechte, und zwei übrige Rosse waren da, eins für Herrn Peter und das andere für mich. Der Eckher schien also mit sicherer Hoffnung von Mitterfels fortgeritten zu sein.
Noch ein kurzer Abschiedsgruß, und es ging aus dem Kloster. Die Rosse wieherten, und die stählernen Rüstungen klirrten von Zeit zu Zeit, und zur Seite des Weges plätscherten und wellten die schmutzig-gelbgrünlichen Wasser der Donau. Wie ein großes, mächtiges Fragezeichen lag es vor mir auf dem Wege. Ein ehrloser Fiedler bin ich gewesen, der um schnöden Lohn zu anderer Ergötzen gespielt und gesungen, im stillen Klosterleben hab' ich eifriger Lernung Lernung, Studium. gepflogen und es zum Priester gebracht; nun geht es hinaus aus dem Kloster, und ich reite zur Rechten des edlen Pflegers von Mitterfels.
Wohin sollte das führen und leiten?
Herr Peter ritt zumeist schweigend dahin, und ich hatte der Muße genug, mir nach seinem äußeren Menschen den inneren zu malen: stark, trutzig und seines Zieles allweg bewusst wie eine Schirmtanne, wie solche an der Wind- und Wetterseite der einsamen Bauernhütten hoch oben in den Hängen des Waldes stehen. Sie beugt kein Sturm, aber aus ihrem mit lauter beinharten Ästen durchwachsenen Holze kann man keine Schindeln klieben und keine Dauben für nützlichen Hausrat.
Als der Bogenberg vor uns ragte, darauf ehedem die Stammburge derer von Bogen gestanden, bis im eintausendzweihundertundzweiundvierzigsten Jahre nach unseres Heilandes gnadenreicher Geburt der letzte des tapferen Geschlechtes verstorben und man nachher eine Kirche allda gebaut, wandte sich Herr Peter unversehens an mich.
»Ihr seid nicht von jung auf im Kloster gewesen«, redete er.
»Warum mutmaßt Ihr das?«
»Bei den Büchern werden die Leute nicht so groß und stark, und die Hand, die allweg den Kiel führt, ist schwächlich. Eure Hand ist hart, stark und groß.«
»Ich bin bei schwerer Bauernarbeit großgewachsen.«
Er nickte leicht vor sich hin, und dann fiel wieder lange Zeit keine Rede.
Zur linken Seite floss die Donau talwärts, drüben breitete sich die Ebene des Donaugäues, und in der Ferne rage der schlanke Turm der Kirche St. Petri zu Straubing, und es fiel mir ungewollt ein, dass ich auch dort einmal in der Nähe der Azzoburg meine Fiedel gestrichen, allerlei schalkhaft Lied gesungen und dem bunten Reigen des jungen Volkes zugesehen. Und zwischen derselbigen Zeit und heute dießet ein noch breiter Wasser denn zwischen hier und der Azzoburg, und kein Steg führt darüber, keine Brücke und keine Fähre; nur das Gedenken und Erinnern kann hinüber und herüber. Das gibt Zeugnis vom göttlichen Ursprunge des Menschengeistes, dass ihn Raum und Zeit nicht zu behindern vermögen wie den Körper, der aus leidiger Erde geschaffen.
Wir ritten durch den Ort Bogen, der sich am Fuße des mächtigen Bogenberges hingeschmiegt unter dem Schutz der festen Trutzburge wie ein schwach Kindlein unter der Obhut eines starken Mannes. Die Leute rannten in die Türen und schauten uns nach durch die Fenster und konnten nicht begreifen und nicht verstehen, was ein ungewaffnet Pfaffe zu tun hätte unter stahlgepanzerten Kriegsleuten.
Vom Berge herunter lugte die Burge Winnitheberg oder Windeberg, und nach unlanger Zeit ersahen wir die Burge Mitterfels, allwo ich von nun ab herbergen und leben sollte wie ein jäh umgebelztes Umgebelztes, umgesetztes, umgepflanztes. Blumenstöckel in anderem Boden und in anderer Luft.
Die Zugbrücke des Schlosses war vielleicht seit langer Zeit nicht gehoben worden, vielleicht seither nicht, seit Herr Peter Pfleger war. Wer würde auch einen Überfall gewagt haben?
Aber das Fallgatter war niedergelassen und öffnet sich erst, als Herr Peter davonritt und die wachehaltenden Knechte rief.
Wir ritten ein.
Eine vom Wetter schwärzlich gefärbte Metalltafel hing an zwei Ketten vom wetterfarben Holzbalken, und daran schlug Herr Peter mit seiner stahlgepanzerten Faust, dass es ringsum gehallt in der ganzen Burge. Und es kamen die Leute der Burge herbei und stelleten sich auf in dem kleinen Hofe: die Knechte im schmutzigen Arbeitsgewand, die edlen Ritter, so Dienste taten im Pflegamte zu Mitterfels, das Weibsvolk, die Knaben und ein edel Weib mit dreien Söhnen und einem Mägdelein.
Und Herr Peter, der Eckher, hub an zu reden, nachdem er auf mich gewiesen.
»Da bring ich Herrn Gotswin, des Klosters Metten Priester, den ich mir erbeten von Herrn Albert, Abte zu Metten. Er sei ebenmäßig geachtet einem edlen Ritter, und keine Klage soll ich vernehmen aus seinem Munde wider einen von Euch. Der Knabe Meinrad sei ihm alleweg zu Diensten und habe seine Stube harte bei der seinen. Komm her, Meinrad!«
Ein blondlockiger Knabe trat zu uns, uns seine kindlichen Blauaugen richteten sich zag und forschend auf mein schwarzes Mönchsgewand. Was wird ihm an mir für ein Herr werden?
»Herr Gotswin sei zeit seines Weilens bei uns dein Herr«, sagte Herr Peter nochmals. Und ich strich mit meiner großen Hand milde über das blonde Gelocke des Knaben.
»Wir werden gut fahren mitsammen.«
Wie ein Sonnenblick auf maigrünem Anger, so leuchete aus den blauen Augen, und ich wusste, ich hätte des Knaben Herz fortab zum Diener.
Das edel Weib trat heran und reichte mir die Hand zum Willkommgruße, und Herr Peter erklärte, es wäre sein zweites Ehegemahl, Frau Berthel, die Herrin der Burge, und das Mägdelein sei seine Tochter Gertraut. Wie ein Rosenknöspel mutete es mich an.
Der Söhne ältester, auch Peter geheißen, war seines Vaters Ebenbild in allem, groß, stark und ernsten, strengen Gesichtes, und wer sich den Pfleger von Mitterfels jünger denken wollte, brauchte bloß den Sohn anzusehen. Der zweite, Thiemo genannt nach dem Stammvater der Eckher … Ich finde heute noch in meinen steinalten Tagen keinen anderen Vergleich: er mutete mich auf den ersten Blick an wie ein viel schöner und kostbarer Marmelstein, den man mit Blute rosenrot gefärbet, und aus dem kundige Hand alles meißeln kann, was nach ihrem Gelüsten ist: einen rauen Kriegsmann, einen holden Knaben, ein schön Weib und ein lieblich Kind. Gleich einer Kornblume aus reifem Ährenfelde lachte sein Auge, und um seinen Mund zuckte eitel Übermut und Schalkheit der Jugend, da er mir die Hand bot, und mich überschauert es heute noch, wenn ich seiner gedenke. Albert, der dritte, was noch mehr Knabe denn Jungherr, und sein Gesicht hatte Ähnlichkeit mit jedem der Brüder. Vielleicht hat Frau Gertrudis, Herrn Peters erstes Ehegemahl, dem Sohne Thiemo ähnlich gesehen.
Es möge mir gefallen zu Mitterfels, und ich möchte über dem Hofleben auf der Burge nicht zu arge Sehnsucht verspüren nach der Stille meiner Klosterzelle. Alles solle mir nach Wunsche gehen, und ich wäre ansonsten mein selber eigener Herr. Es täte allen harte leid, wenn ich einmal eine Klage hätte ob dem oder jenem.
So redete eins, und also sagte das andere, und gar die Rittersleute versprachen, sich ganz in meinen Dienst stellen zu wollen. Man nannte mir den längsten Eppo von Christenberg Christenberg, Kreuzberg b. Windberg., einen andern mit dem Gesichte eines Schalksnarren Sibot von Haibach, einen dritten Hagen von Randsberg, einen Marchwart von Drachselried, einen Engilmar von Nussbach, einen Heinrich von Chamerau und einen Witto von Geishausen.
Da der Knabe Meinrad meine Habe in Empfang nahm von einem der Geleitsknechte, der es von Metten bis hierher bei sich geführet, lachte Hagen, der Randsberger hell auf. »Was soll das Ding bei einem Klosterherrn? Das soll fröhliche Weile geben.«
Herr Peter aber ließ ihn hart an. »Hagen, Ihr habt gehört, was ich vor ein paar Augenblicken Euch und jede als Weistum geboten: Herr Gotswin ist hier sein selber Herr und machet keinem fröhliche Weile.«
Ich folgte Meinrad und fand ein anheimelnd Stüblein als meine Herberge.
Vom Fenster aus sah man den Bogenberg und das Hügelgelände um ihn, und hinter ihm die in blauen Rauch verdämmernde Ebene des Donaugäues, und ich stand lange und schaute wie träumend vor mich hin. Es kam der Abend, und mit ihm schlich sich die Sehnsucht nach der gewohnten Stille des Klosters in mein Stüblein und mein Herz, und ich langte nach meinem Buche und sprach mein Abendgebet: Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden …
Aber mein Herz wollte nicht zur Ruhe kommen, und das Sehnen wuchs wie ein wildblühend Gras auf einsamem Anger, und ich musste die Fiedel nehmen und sie hinaus singen lassen in die Stille und das Verdämmern des Abends, was mein Herz an ungewisser Unruhe füllte.
Meinrad, der Knabe, schlich aus seinem Stüblein herein und kauerte sich auf einen Schemel an der Tür und hörte und lauschte, und es tat mir wohl, dass ich sein kindisch Herz mit seligem Gefallen füllte.
Meinrad, der Knabe, schlich aus seinem Stüblein herein und kauerte sich auf einen Schemel an der Tür und hörte und lauschte, und es tat mir wohl, dass ich sein kindisch Herz mit seligem Gefallen füllte.
»Herre, wie froh bin ich, dass Ihr gekommen und dass ich Euer Diener bin«, stammelte er einstmals, als ich ein Weilchen aussetzte.
»Ist es dir zur Freude?« frug ich.
»Meine Mutter hat auch allweg so schön gesungen, wenn wir in trauter Kemenate um sie gesessen«, erzählte er. »Und wie Gesang der Himmelsschar Himmelsschar, Schar der Seligen. hat es mich allzeit gedünket. Nun ich aber größer geworden, hab' ich fortgemusst, um Hofedienst und Hofeleben zu lernen, wie es sich geziemet für einen Rittersmann. Aber ich bin so unmaßen froh, wenn ich singen höre und fiedeln, und ich wähne wieder bei der Mutter zu sitzen.
Ich ließ die Fiedel wieder singen und freute mich der Freude des Knaben.
Aber gar nicht lange dauerte es, so tappten unbeholfene Schritte heran, ein schier viereckiger Kopf schob sich durch die Tür, und eine raue Stimme fragte fast schüchtern: »Darf ich?«
Es war Hegen von Randsberg.
Ich hielt inne und fragte: »Was wollt Ihr denn?«
»Zuhorchen. Es ist nicht gut, so der Mensch allein ist mit seinem Durste nach Sang und Saitenspiel und harte daneben fiedelt einer die besten Weisen. Meine Seele lechzet nach Spiel wie der Hirsch nach der Quelle …«
»So horchet!« gestattete ich kurz und fast hart, da ich vermeinte, der Mensch wollte sich mit etwelchen bekannten Schriftstellern bei mir einschmeicheln. Ich erkannte sein treugolden, von viel Schlacke und derbem Gestein umgeben Herz und Gemüte erst viel später.
Ich spielte wieder und merkte balde gar nicht mehr, dass ihrer zwei dem Gefiedel lauschten, bis der helle Klang der an Ketten aufgehängten Metalltafel durch die Burge und durch mein Spiel hallte.
Zu derselben Zeit fuhren die beiden hastig empor von ihren Sitzen.
»Essenszeit!« hastete Meinrad heraus; »Herre, kommt!«
»Kommt!« sagte auch der Randsberger. »Herr Peter hält strenge Zucht und zürnet den Säumigen. Und … viel Dank, viel Herzensdank!« Er haschte meine Hand und drückte sie heftig.
Dann gingen wir in den Speisesaal.
Im Burghofe unten rannten die Knechte der Leuteküche zu, und ich merkte, dass auch dort Herrn Peters strenge Zucht Eile forderte.
Schier alle standen schon um den Tisch herum, als wir eintraten, und als mich Frau Berthel in herzgewinnender Weise an einen Platz zur Seite Herrn Peters geleitete, sprach ich das Tischgebet vor.
Herr Peter hatte es so eingeführt, dass während des Essens schier nichts geredet wurde. Wie nebelhafte Geister kamen die Knaben und zwei Mägdelein herbei und verschwanden wieder, und von den Mägdelein fiel mir das eine gleich auf den ersten Blick auf. Nussfarbes Haar umrankte sein rotes, gesundfarbes Gesicht, und zwei Augen lugten aus der Röte wie zwei schwarze Kohlen aus einem Gluthaufen. Hilti hießen sie das Mägdelein, und das ist eine Verkürzung des uralten Namens Hiltidiu, was in unserer Zunge heißet die Magd des Herrn oder des Kriegsherrn.
Erst als das Nachtmahl gegessen und ich das Dankgebet gesprochen, setzten wir uns zusammen zu schlichter Rede.
Herr Peter frug, was wohl geredet worden wäre im Kloster zu Metten, da nun Papst Johann XXII. Zu Avignon im Frankenreiche gestorben. Herr Peter war ein getreuer Diener seines Herrn, des Kaiser Ludwig, genannt des Bayers, und ich wollte keine Rede tun, die seinen Herrn treffen könnte. Es war Unrecht geschehen auf beiden Seiten. Der Papst hatte kein Recht, gegen den deutschen König Ludwig zu bünden nach dem Spruche des Heilandes: Mein Reich ist nicht von dieser Welt, und der Träger der weltlichen Gewalt hatte kein Recht, den Papst als Irrlehrer hinzustellen.
»Sie werden schon wieder einen küren, der den Franzmännern taugt«, mutmaßte Witto von Geishausen und tat einen grimmen Fluch über die Franzen und die ihnen zumeist verbündeten Böhmen.
Ich mochte mich nicht in die Zwistigkeiten der Großen dieser Welt mengen, stand auf und verließ mit einem frommen Wunsche den Speisesaal. Und in meinem Stüblein sehnte ich mich noch lange nach der Stille meiner Klosterzelle, darin man selten etwas gehört von Zank, Streit und Krieg der Mächtigen und von Hinterlist und Untreue.