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Der Friede war wieder hergestellt in der alten Herzogstadt, und Herr Peter holte die Seinen von Mitterfels hierher.
Zur selben Zeit stand die neue, große Burg noch nicht, die einundzwanzig Jahre nachher Herzog Albrecht an das Ufer der Donau hinunterbauen ließ, und die alte, kleine Burg stand in der Stadt und ist später das Bürgel genannt worden.
Darin nahm Herr Peter Herberg, und darin wurden auch wir alle eingeherberget. Am Anfange sahen uns die Bürger wohl mit scheelen Blicken an, und die Ratsherren und Reichen der Stadt wollten nicht zusammenkommen mit uns, bis Herr Pater einstmals ein Gastmahl richtete und die Großen der Stadt einladen ließ.
Die Knechte mussten von einem zum anderen gehen und Herrn Peters Willen und Vorhaben kundtun, und solcher Rede das Gebitt' anschließen, man möchte des Viztums Haus und Gastei nicht verschmähen und sicher kommen.
Und die Herren Räte und die Reichen der Burgerschaft dachten sich, dass dem hartfäustigen Viztume doch etwas gelegen sein müsste an ihrer Freundschaft; sie fühlten sich geehrt und versprachen zu kommen.
Die kleinen Leute, die Handwerker und die anderen aber waren hart übel zu reden über den ungefügen Eckher, der die Stadt gleich berennen und die Bürger und Bürgerssöhne, so sich für die Stadt in Harnisch geworfen, verhauen hat lassen.
Als ich einstmal so durch die Straßen dahinging, sah ich vor einem Bäckergewölbe ein paar Weibsvölker stehen, die weidlich schalten über den Eckher und ihn gar arg schändeten.
»Ein rechter Wohldiener ist er«, keifte die eine. »Gerad dass er sich beim Herzog einen breiten Fuß macht, ist er so übel umgesprungen mit uns.«
»Wenn er das nicht täte, säß er wohl heute noch hinten in seinem Waldwinkel«, sagte eine andere. »Was bin ich, was kann ich noch werden? So sinnt er wahrscheinlich auch. Aber wo wird er noch hin?«
»Er ist so schon der erste nach dem Herzog.«
»Nun, wo will er noch hin?«
»Aber merkt nur auf!« wahrsagte eine Alte mit runzeligem Gesichte und einem Schnauzbarte, der einem Jungherren nicht übel gestanden wäre. »Merkt nur auf: der Herrgott lässt keinem Baum in den Himmel wachsen, und auch der Eckher wächst nicht hinein.«
»Großer Herren Gunst ist wie Aprilwetter. Überlings kann auch er einen Tritt daneben tun, und nachher geht es ihm vielleicht auch so wie unseren Leuten.«
Ich ging vorüber und dachte mir, dass es keinem Menschen möglich wäre, allen Leuten recht zu tun, dem nicht, dem Eckher nicht, dem Herzoge nicht und selbst dem Kaiser nicht. Herr Pete hat von seinem Herzoge den Auftrag bekommen, die Stadt zum Gehorsamen zu bringen, und er hat als treuer Diener seines Herrn den Befehlt ausgeführt.
Durch die Fenster einer Schankstube scholl Lachen, Singen und schlechtes Fiedelspiel, und eine halb heisere Stimme sang ein grobschlächtig Lied. Da merkte man nichts, dass die Stadt in Aufruhr gewesen, dass es Kampf und Streit und nachher Demütigungen gegeben.
In einer engen, dunklen Gasse an der Stadtmauer hörte ich ein Weib zetern und schänden, und in kurzer Weile kam ein Mann aus der niedrigen Haustür, nicht angetan mit Rock und Haube, und sein Gesicht war schier blutrot. Hinter ihm drein keifte und schalt die Weiberstimme, und ein Hafen flog an ihm vorbei, und ein Besen traf ihn auf den Rücken.
Da wurde sein Gesicht noch röter, und es kam mir vor, als schämete er sich, weil ich solches wahrgenommen. Er tat einen tiefen Seufzer und sah mich schier hilfeheischend an.
»Herr Pfaffe Pfaffe, zur selben Zeit allgemeine Benennung für Pfarrer oder Priester, ohne die heutige verächtliche Nebenbedeutung.«, sagte er, »es ist ein Elend mit dem Weibsgevölke. Mich dünket es nicht gut, dass der Herre unserem Ahnherrn ein Rippe genommen.«
»Sie muss Euch aber doch gefehlt haben, sonst hättet Ihr sie nicht wieder gesucht«, gab ich ihm zur Antwort, und er schlug die Augen nieder.
»Soweit möget Ihr recht haben«, gab er sich schuldig. »Aber der Herre hat gesagt: Er soll dein Herr sein, und er ist es nicht. Sel ist das Elend. Ihr erwürbet Gottes Lohn, wenn Ihr hinginget zu ihr und ihr das sagen wolltet.«
Ich spürte kein Gelusten nach Scheltworten, Häfen und Besen, und deswegen schlug ich ihm seineauf Umwegen vorgebrachte Bitte ab. »Ich bin nicht Daniel«, sagte ich. »So sie es zu arg treibt mit Euch, geht hin und verklagt sie beim Oberrichter der Gemeine. Er soll sie an den Pranger stellen.«
»Dass die ganze Stadt all meine Fehler erfährt …«
Und ich ging weiter, dachte mir aber im Stillen, dass es weit draußen im Walde doch schöner und besser sein möge denn in der eng zusammengepferchten Stadt. Und weiters sann ich, dass es der Herr doch gut gemeint haben müsse mit mir, da er mir in seiner großen Güte und Liebe einen Weg gewiesen, darauf mir die fehlende Rippe keine Sorgen und ungute Stunden bereitet.
Ich ging wieder zurück in mein Stüblein und betete meine Tageszeit.
Gen Abend desselben Tages kam der Jungherr Peter vom Natternberg herauf, weil ihn dorten die Langweile plagte, wie er gestand. Auf der Eltern Bank sitzt einer halt allweile am weichsten und geruhsamsen, selbst wenn er schon ein großer Knabe ist und selbst eine Burge verwaltet. Man merkte ihm nichts mehr an, dass ein Weilchen vorher ein Aufruhr getobet in seinem Herzen und er war der alte Peter, der er ehzeit gewesen.
Die Jungfraue Gertraut aber wich schier nicht von seiner Seite, und er musste versprechen, dass er sie einmal mitnehme auf den Natternberg. Mit rührender Liebe hing das Mägdlein an den Brüdern, und mir kam oftmal ein Märlein in den Sinn, das uns die Mutter immer erzählt, wenn wir zur Feierweile auf der Gredbank oder um den Ofen herum gesessen sind: das Märlein, da einmal sieben Brüder in Raben verwandelt worden, und das Schwesterlein hätte sie durch eine unwandelbare Liebe vom Bann und Zauber erlöset.
Des anderen Tages war das Gastmahl, das Herr Peter, der Viztim, den Herren der Stadt Straubing gab.
Die Knechte mussten alle in ihre besten Wämser schlüpfen, mussten ihre Helme blank scheuern und das Eisenzeug, und mussten sich vor dem Tore und im Hofe aufstellen zu Ehren und zum Empfang der Gäste. Und am Eingang in den Rittersaal standen zwei Dienstmannen in Helm und Brünne: Eppo der Christenberger und Heinrich der Chamerauer.
Frau Berthel hatte schier all ihren Schmuck angelegt, und auch Jungfrau Gertraut war gezieret, wie es sich für des Viztums zu Straubing Tochter wohl geziemte. Mich dünket zwar, dass all der Putz und die Zier eitel und harte dumm wären, dieweil der Herr den Menschen ohnedies schon so erschaffen, dass er keiner weiteren Zier mehr bedarf, und derweil die schönste Zier des Ebenbildes des Höchsten nicht totes Gestein und kaltes Metall und nicht allerlei kostbare Gespunst sein könne, sondern ein rechter Sinn und ein gutes Herz, aber die Welt ist nun einmal so geartete, und es vermag einer und es vermögen hundert nichts zu wirken dagegen.
Die Gäste kamen, und ich musste schauen und gaffen wie einer, der aus der Wilde heraus zum ersten Male unter die Leute kommt.
Der Mauthner, so die Abgaben der Schiffleute einzuheben hatte, stand in des Herzogs Diensten und war nicht viel weniger denn der Viztum und trug Rittertracht, aber die Herren der Stadt zu Straubing waren mit ihren Frauen fast ganz in Samt und Seide gekleidet, und kostbare Stickereien waren daran, und bei vielen auch ein Wappen. Es kamen der Kammerer, so der Oberste in der Stadt ist, es kamen die Herren vom inneren Rate und vom äußeren, es kam der Kirchpropst, und es kamen der Oberrichter und der Unterrichter, der Hauptmann von der Schergenstuben Schergenstuben, Hauptmann der Schergenstube = der Befehlshaber der städtischen Sicherheits- und Dienstmannschaft., der Stadtschreiber, der Zollner Zollner, Säckelwart, Einnehmer der Abgaben und Steuern. und der Apotheker, es kamen die Meister der Zünfte und etliche sehr angesehene Bürger, und alle brachten ihre Ehefrauen und Töchter mit, so sie deren hatten.
Herr Peter hatte für einen jeden einen Händedruck zum Willkomm und ein paar liebe Worte, und für das Weibsgevölke mancherlei Scherz- und kurzweilige Reden, und Frau Berthel trug Sorge für gutes Essen und guten Trunk.
Viele der Gesichter aber blieben finster und trutzig, und wenig Reden kamen über deren Lippen. Der trutzigsten einige waren Heimeran der Lerchfelder, Utto Türnigl und Wolf Kolhackh. Sie mochten dem Viztum die Niederwerfung nicht verziehen haben, taten aber kurzen, ruhigen Bescheid, so eine Frage an sie gerichtet worden.
Mir wäre es nie beigefallen, bei einer Gastei der Aufläufe und Unbotmäßigkeiten Erwähnung zu tun, aber Herr Peter tat es. Urplötzlich einmal stand er auf von seinem Stuhle und hub zu reden an:
»Wohledle Herren des lobesamen Rates und der Bürgerschaft der Gemein der Stadt zu Straubing! Dieweilen es Brauch ist und Sitte, dass man Nachbarn und Freunde zu sich lädt zu einer kleinen Atzung, zu einem Tränklein und zu Red und Ergötzen, so habe auch ich Euch alle laden und in mein Haus bitten lassen, und Ihr seid gekommen. Vor kurzer Weile sind wir uns als Kämpen und Gegner gegenübergestanden, und heute ist's wieder anders. Was Ihr gehabt habet, ist Eure Sach', aber ich bin geschicket worden von meinem Herrn und Herzog, und ich habe getan, was meine Dienstes gewesen. Es ist heute wieder alles eben, und ich sage: Seid herzlich willkommen in meinem und meines Herzogs Hause als meine Nachbarn und meine und meines Herzogs Freunde! Esset und trinket nach Gelusten in Freundes Hause und ergötzet Euch, und keiner Rede sei das Tor verschlossen!«
Der Herren Gesichter sind bei der Nennung der Aufläufe düster geworden, und der Trutzigen Geschau noch trutziger, aber der Rede Ende hat gewirket wie ein lichter Sonnenstrahl. Er will sie als Nachbarn und Freunde sehen.
Zur selben Stunde hab' ich schon nicht gewusst, was ich mir von dem Eckher denken soll: Ist er so, wie ich ihn bislang kennengelernt, verstellt er sich nur, oder ist er einmal so und ein ander Mal anders? Erst in jenen Tagen, als sein Stern sich geneiget, hab' ich es erkannte: Sein Sinn stand zwar allweg nach hohen Zielen, doch war er zu jeder Stunde der treue Diener seines Herrn, und trotzdem er unbeugsam war, was seines Amtes gewesen, seines Herren Vorteil ist auch immer sein Vorteil gewese.
Und der Trotzigste von allen, Heimeram der Lerchfelder, hob sich und redete: »Ihr begehrt und zu Freunden, gut, wir sind Eure und Eures Herzogs Freunde, und was gewesen ist, das ist vergessen.«
Der Mann dünkte mich nicht, dass er leere Worte redete.
Dann zog sich das junge Gevölke in ein anderes Gelass, auf dass es zum ersten freie Hand habe für seine Jugendspäße, für allerlei Spiel, Geplapper und Unsinn, und dass es zum anderen die Älteren nicht störe in ernster Rede. Mir kam es vor, als schwände der Sonnenschein aus dem Rittersaale, aber es war mir doch auch lieber.
»Jetzt soll der Kaiser doch auch wieder besser stehen mit dem Papste«, redete unter anderen auch der Mauthner, der viel Neuigkeiten von den Schiffsleuten erfuhr. »Vielleicht täten sie sich einigen, wenn es nicht andere gäbe, denen an Zwist und Unfrieden gelegen.«
»Es wäre das Beste für das Reich«, meinte der Stadtschreiber. »Es ist ein untrost Ding, wie es bislang ist: Der Kaiser ist im Bann, und der Papst ist vertrieben. Es wird auf allbeiden Seiten gefehlt worden sein, wähne ich.«
»Meine Meinung ist die: Der Papst hat sich nicht zu mischen in die Sachen des Reiches, und der Kaiser nicht in die Angelegenheiten der Kirche. Der eine ist der Stellvertreter dessen, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, und des Kaisers Reich ist von dieser Welt.« Also redete Herr Peter, und ich hatte ihn noch nie so reden hören.
»Welthändel!« sagte der Lerchfelder in seiner kurzen Weise. »Und dass der Papst in Avignon ist, das ist ganz unrecht, das ist aller Welt unrecht, nur dem Frankenkönig Philipp nicht. Der und der Böhmenkönig Johann sollen auch hart dagegen sein, dass Papst und Kaiser sich einen.«
»Der Böhmenkönig hat seine habgierige Pfote in allen Uneinigkeiten«, meinte der Kammerer der Stadt zu Straubing, und ich wähnte ein lützel Lützel, bissel, ein wenig. Nachhass wider Herzog Heinrich, den Eidam des böhmischen Lützelburgers aus der Rede zu hören. »Er legt seine Pfote auf Schlesien, so viel da verlautet, und schützt Erbansprüche vor, so wie auch auf Niederpolen. Es ist ihm nicht recht, dass der Kaiser zwei österreichische Herzoge mit Kärnten, Krain und Tirol belehnt hat; es ist ihm gar nichts recht, was nicht zur Vergrößerung seiner Hausmacht beiträgt.«
»Ich weiß nicht, hat der Kaiser recht getan, dass er die Habsburger groß machen will«, zweifelte ein Ratsherr.
»Aber, was ginge den Lützelburger das an?« frug der Kirchpropst.
»Viel nicht«, beschied der Mauthner. »Herr Herzog Heinrich von Kärnten, der Graf von Tirol und dem Namen nach König von Böhmen gewesen ist, soll in der Freundschaft gewesen sein mit einem Habsburger, mir scheint, Otto hat er geheißen, aber der Lützelburger hat sich Hoffnungen auf die Erbschaft gemacht, zumal sein dreizehn Jahr alter Sohn Johann, des Herzogs Heinrich Tochter Margaret, genannt die Maultasche, geheiratet …«
»Ein Dreizehnjähriger?« entrüstet sich der Kirchpropst.
»Ja, und sie ist siebzehn Jahre.«
»Kommt da noch nicht die Zeit, da der Antichrist die Welt herrschet, so in der Schrift geschrieben steht?« entsetzte sich der Kirchenpropst. »Warum heiraten sie nicht gleich, so sie die Höslein sauber halten können? Und die Ehe soll gültig sein, Herr Gotswin?« wandte er sich an mich.
Ich hatte nie großen Eifer empfunden für den trockenen, harten Buchstaben des Gesetzes und daher auch wenig gelernt, was die Kirche als Recht vorschreibt, aber meine Meinung war die: »Ich glaube nicht, dass einer mit dreizehn Jahren wissen kann, was er für ein Bündnis eingeht. Und die Ehe ist ein Bündnis, das zwei Leute für Lebenszeit schließen nach der Anordnung des Herrn. Und dann sollt es schon nicht sein, dass man zwei so junge Leute zusammenkoppelt wie junge Hunde.«
»Machthändel!« lachte der Lerchfelder kurz auf, und es traf wahrhaftig kein Wort so gut als dieses.
Machthändel! Seit das Titanengeschlecht der Hohenstaufen erloschen wie ein greller Blitz, der die Wetterfinsternis noch gut Weile erhellet, nachdem er zerronnen, ist es auch im Deutschen Reiche so gegangen wie mit dem Blitze in der Wetternacht: der leuchtende Helle ist tiefes Dunkel gefolget. Die Hihenstaufen haben das Deutsche Reich zu größter Macht und die deutsche Kaiserkrone zu höchstem Glanze gebracht; sie haben das Reich eins und stark und die Fürsten und Länder Europas dem Reiche untertan und zinsbar gemacht, und da sie ausgestorben, herrschet Wirrnis und Zerfall. Nichts ist mehr da, so der Achse oder Welle am Rade gleichet, um das sich der Kranz in schönem Schwunge drehen soll; nichts ist da, so als aller Ziel und Wunsch gälte; kein großer Gedanke beseelt Kaiser und Volk und reißet alle mit sich fort. Alles kocht und gärt, und der einzelne steht wider den einzelnen und die Mächtigeren wider den Kaiser und das Reich. Der Kaiser ist zu schwach, um mit starker Hand die Zügel anzuziehen, und viel andere fallen ihm noch dazu in den Arm. Es ist ein Elend, und die Machthändel sind des Elendes Urheb. Urheb, Anfang, Ursache.
Und da die Älteren alle im Rittersaale saßen, von der Welt Händel und der Menschen Fehden redeten und dabei sich an dem Biere labten, das ihnen Herr Peter vorsetzen ließ, vergnügte und ergötzte sich das junge Gevölke nebenan aufs Beste. Es trieb allerlei Spiel und Schwank, lachte und schwatzte, und der Randsberger suche gar einmal ein Saitenspiel und rupfte, so gut er es vermochte. Und kaum klirrten die ersten Klänge durch die Stube, so taten sie sich zusammen zum Tanze.
Die Jungend ist nun einmal so: Kaum ist das Geschalle der Waffen recht verhallt, hebt sich der Fuß zum Tanze.
Chunkund, des Randsdorfers Trautgemahl Trautgemahl = Braut, Trautgeselle = Bräutigam; doch auch Bräutigam üblich. In dem Worte Bräutigam steckt noch das sonst ganz verloren gegangene gotische und althochd. Wort gumo, komo = Mensch, Mann. Vgl. homo!, mochte es leid sein, dass sie nicht tanzen konnte mit ihrem Trautgesellen, und deshalb sandte sie Jungfrau Gertraut zu mir, ich sollte ihnen zum Tanze aufspielen; aber ich lehnte ab. Herr Albert, der Abt im Stifte zu Metten, hat mich dem Eckher nicht mitgegeben, damit ich dem jungen Gevölke zum Tanze fiedle.
Und sie mussten sich zufrieden geben damit.
Es war aber auch eine Jungfraue dabei, Alheit, der Chunikund Schwester und Herrn Heimeram des Lerchfelders Tochter, und der gefiel der Jungher Peterüber die Maßen. Als sie spielten: »Gefällt dir dein Gesell?« trachtete sie allweg, neben ihm zu sitzen, und da ihn wieder andere als Gesellen verlangten und er von ihr gerissen wurde, kor sie ihn wieder. Sie plauderte mit ihm, dass es ungut wäre und für sie untrost, dass er auf dem Natternberg säße wie ein einsamer, grimmer Dachs und dass er viel mehr Ergötzen fänge zu Straubing in der Stadt. Sie wusste es auch so anzustellen, dass er tanzen sollte, aber er tat es nicht.
Bei der Gastei war auch ein Ritter, der sonst fremd war in Straubing und der nur in recht weitschichtiger Verwandtschaft stand mit Herrn Peter, Herr Heinrich, der Eckher zu Steffling. Er war ein schöner, großer Mann und mühete sich sichtlich um Jungfrau Gertraut. Es schien aber, als hätte er mit seinem Mühen mehr Glück, denn Jungfrau Alheit mit Herrn Peters Ältestem.
Ich habe von den Stefflingen schon viel reden und erzählen hören, dass sie ein reich und mächtig Geschlecht sein sollen und den Schyren, den Herzogen von Bayern, ebenbürtig, und da zweifelte ich auch nicht daran, dass Jungfrau Gertraut dem Stefflinger als Ehegespons auf seine Burg folgen werde, so er ihr sonst nach Wunsche getan ist.
Jungherr Peter blieb noch einige Tage bei seinen Eltern zu Straubing, aber gleich am zweiten Nachmittage kam auch Alhiet die Lerchfelderin zur Heimsuchung zu Jungfrau Gertraut, wie es der Brauch ist bei jungen Mägdlein. Sie beredeten die Lustbarkeit bei der Gastei, sprachen über den und über jene, lachten und sagten sich allerhand Schalkheit, wie es solche Dinger schon treiben. Es kam aber auch so, dass Alheit die Lerchfelderin geflissentlich Andeutungen machte, danach Jungfrau Gertraut raten konnte und sollte, wie sehr ihr der ältere Bruder im Sinnen lag.
Es ist oftmals ein Mensch schon so, dass er sich im raschen Augenblicke etwas einbildet und zu Herzen nimmt und dass dieses zeit seines Lebens in ihm hält und nimmer aus seinem Herzen und Sinnen weichet. Und solche Leute setzen zu dem Zwecke alles Mögliche und ihnen Gutdünkende in Bewegung und in Aufruhr und kennen nur das eine Ziel, während andere ihren Herzenswunsch so sorgfältig verbergen wie ein unendlich wertvoll Kleinod vor eitel Dieben und Räubern und das Geheimnis selbst noch mit sich ins Grab nehmen, in die urewige Verschwiegenheit.
Jungfrau Gertraut aber erzählte der Mutter, was sie aus den Reden der Freundin zu raten bekommen, und die sagte es wieder Herrn Peter, dem Viztum.
Gar so abgeneigt mochte dieser dem Plane und Vorhaben vom Anfange an nicht gegenüber gestanden sein, denn die Lerchfelder waren ein angesehen und wappenberechtigt Geschlecht und als reich bekannt. Ein Eckher konnte sich seine Lebensgefährtin wohl unter den edelsten Töchtern des Landes aussuchen, aber wenn es nun einmal so war, dass des Sohnes Wahl auf eine angesehene Patrizierstochter gefallen oder fallen sollte, so war das immerhin auch kein arg Unglück. Er ließ unter der Hand und im Geheimen Umfrage halten über den Lerchfelder, und jeder Bescheid lautete fürtrefflich: Das Geschlecht stammt von dem uraltfreien Bajuwarenhofe Lerchenfeld, ist wappenbürtig sie grauer Vorzeit, ist angesehen und hart reich.
Da nahm er denn den Sohn beiseite und fragte ihn.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass du heiraten willst; solltest du mir davon nicht schon gesagt haben, da ich doch dein Vater bin?«
Und der Jungherr Pter sah den Vater mit großen Augen und mächtigem Verwundern an und wusste nicht gleich, was er denken und sagen sollte. »Ich weiß von nichts«, beschied er verlegen.
»So? Verdiene ich dein Vertrauen nicht?«
»Ich habe sicher und wahrlich nicht daran gedacht.«
»Es wäre kein Unrecht, und ich hätte gewiss nichts dagegen. Die Lerchfelder sind ein gut Geschlecht.«
»Die Lerchfelder?« staunete Jungherr Peter und atmete schier auf, da er merkte, dass sein Vater auf ganz anderer Fährte war. »Vielleicht Jungfrau Alheit?«
»Gewiss. Sie hat ja doch mit Gertraut geredet davon.«
»Es ist nichts daran«, sagte Jungherr Peter. »Ich habe wohl gemerkt und wahrgenommen, dass sie mir zugetan würde, aber … ich mag nicht heiraten.«
»Nicht? Es wird aber doch sein müssen. Du bist mein Stellvertreter auf dem Natternberge, und wo in einer Burge die Herrin fehlt, die Zucht und Ordnung aufrecht hält, geht es nicht allweg recht und schön zu. Oder hast du deinen Sinn nach einer anderen gerichtet?«
»Nein.«
»Was hast du also für Ursach und Beweggrund, dass du die Lerchfelderin nicht heiraten willst? Ich habe gesonnen und überlegt, und ich habe wahrlich schon mehr zu unserem Nutz und Vorteil besonnen als dies, und es dünket mich recht und eben. Sie ist schön, das Geschlecht ist gut und reich und groß angesehen.«
»Ich mag sie nicht.«
»Das ist dann eine andere Sach'. Gezwungen soll von meinen Kindern keines werden, einen Bund zu schließen, der für länger dauert und dauern soll als der Fürsten Bunde. Du hast freie Wahl, und einem Eckher wäre selbst die Tür zu einer Herzogstochter nicht verschlossen.«
Mit dem war die Sach abgetan bei Herrn Peter dem Eckher, jedoch nicht für den Jungherrn Peter. In seinem Herzen breitete sich Unwillen und Ärger über das dumme Ding, das sich da etwas in den Sinn genommen, von dem er gar nichts gewusst und an das er gar nicht gedacht, und das solches, das für ihn eitel Rauch und Nebel war, gleich in den Wind geschrien zu aller Kenntnis. Wenn sie es in seines Vaters Hause erzählet, wird sie es auch etwo anders geschwatzt haben in ihrem Unverstande, und darob vermag sich einer schon zu ärgern.
Er ging geflissentlich herum in der Stadt, mit ihr zusammenzukommen, und er traf sie, da sie aus der Kirche ging.
Ihre Augen leuchteten hell auf, als sie ihn auf sich zukommen sah, und ihr gesundfarbes Gesicht wurde einen Schein dunkler.
»Mich dünket, es gefällt Euch doch in der Stadt zu Straubing«, lachte sie als ein rechter Schelm.
»Warum?« frug er kühl und verdrossen.
»Weil Ihr noch allweil hier seid. Es ist aber auch gar nicht so uneben, und Kurzweil und Ergötzen vermag man immer zu finden«, plauderte sie in ihrer gesprächigen Weise dahin. »Wenn ich daran denke, wie öde und einsam es in der Burge auf dem Natternberge sein muss! Brrr!«
»Wollt Ihr nicht ein Örtlein mit mir seitabgehen von dem Leutgedränge?« frug er, ohne ihre Reden zu beachten.
»Wohin Ihr wollt, Jungherr Peter«, willigte sie ein, und dann schritten sie nebeneinander dahin, an den gaffenden und schwatzenden Kirchgängern vorüber, bis die ein stilles, menschenleeres Plätzchen gefunden. Sie plauderte und lachte glückselig und wähnte sich schier vor der Himmelstür, und er schritt schweigend neben ihr dahin und hörte kaum ihr Rede und ihr Lachen.
Überlings blieb er stehen.
»Jungfrau Alheit«, sagte er dann, »ich habe mit Euch ein paar Wörtlein zu reden, ehevor ich wieder gen den Natternberg reite …«
Da wähnte sie schon die Schlüssel rasseln zu hören, so das Himmelstor aufsperren, und mächtige Seligkeit breitete sich in ihrer Brust und in ihrem Herzen. Jetzt wird er halt sagen, ob sie nicht etwa sein Trautgemahl sein wolle und ihm nachher in einer Zeit folgen werde als sein züchtig Ehegespons. Und sie wird das Jawort schier hinausschreien, dass es die halbe Stadt zu hören vermag und männiglich sie beneiden kann um ihr unaussprechlich Glück.
»Redet!« presste sie vor heller Freude heraus.
»Habt Ihr Ursach gehabt, meiner Schwester etwas zu erzählen, als ob zwischen und … wie soll ich es nennen … als ob wir uns geeint hätten über dies und das, über … kurz gesagt: dass ich Euch zur Ehefrau wollte?«
Sie sah ihn groß und schier erkommen an. Der Anfang klingt nicht sehr zärtlich, und so er doch die Einleitung sein sollte zu einer Herzensansprache, ist er hart ungelenke denn der, welcher also redet.
»Ich hab' eine Frag' getan«, mahnte er nach einigem Warten.
»Ja. Verzeihet, dass ich Eurer Schwester anvertraut als meiner Herzensfreundin, was bislang niemand gewusst. Ich hab' es sagen müssen, weil das Glück nicht Platz gefunden in meinem Herzen allein, dass ich Euch gern habe und viel hart liebe.« Und bei den Worten überzog sich ihr Gesicht mit Blutesröte.
»Ihr habt mir damit unfrohe Weile bereitet«, redete er weiter. »Das hättet Ihr bedenken sollen. Ich …«
»Es tut mir harte leid«, versicherte sie. »Wenn ich gewusst hätte …«
»Der Vater hat davon erfahren und mir zur Heirat geraten …«
»Das nennt Ihr unfrohe Weile?« jubelte sie schier auf.
»Ja.«
»Und warum?«
»Weil – ich Euch nicht mag«, beschied er, wie es ihm in seinem Ärger gerade in den Mund kam. Gerade und offen wag sagte er heraus, wie ihm zumute und um den Sinn, fast so, wie wenn er einen Gegner anrennte.
Sie wurde mit einem Male käseweiß, und gar aus ihren Lippen wich das Blut. Ein Zeitlein rang und suchte sie nach einer Rede, aber sie fand lange keine. Erst als er sich abwenden wollte von ihr und seines Weges ziehen, öffnete sich ihr Mund.
»Ich dank' Euch, Jungherr, für die offen und unwandelbare Unwandelbar, untadelhaft, unzweideutig. Rede«, stieß sie heraus und wandte sich ebenfalls ab.
Wie ein blind' Ross ging und stolperte sie die Gasse entlang und ging durch eine zweite und dritte, und sie kannte sich nicht aus, was sie tat. Wie wenn ein harter Schlag sie betäubt und ihrer Sinne beraubet hätte, zog sie dahin, bis der Kampf in ihrem Herzen sich entschieden und der wütige Hass die sinnlose Liebe gesieget. Da wurde sie sich wieder bewusst, wer sie ist und wo wie wandelt.
Sie zog vor das Tor hinaus und setzte sich zwischen wogenden Feldern auf blumigen Rain und hing ihrem Sinnen nach.
Der Hass hatte wohl obsiegt, aber er hält es auch so wie die Mächtigen der Erde: Nach dem Siege verwüsten sie erst alles Land im weiten Umkreise und rauben und plündern alles kahl und leer. Kein Blümlein darf mehr blühen auf ihrem Wege und zu dessen Seite, kein friedsam Dach darf mehr ragen, und kein frohes Jubeln und Lachen darf erschallen.
Was sie alles gesonnen haben mag?
Wer weiß es, und wer kann es ergründen? Vielleicht ist sie selbst des meisten gar nicht gewahr geworden, was der schwarze Hass ihr zugeflüstert. Aber als die Mittagsglocke über der Stadt und das Gelände ringsum hingehallt, ist sie emporgefahren wie aus hart bösem Traume und hat sich zum Heimgehen gerüstet. Sie hat die kleine Faust geballt und wider die Stadt geschüttelt, und über ihre Lippen ist hassvolle Rede gekommen.
»Jungherr! Der Stunde denk' ich zeitlebens.«