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IX.

Während die beiden Damen im Poplitzer Schlosse sich von dem fernen Sohne und Bruder unterhielten, ward auch in der Nachbarschaft eine Unterredung über ihn gepflogen. Dort aber redete nicht die Liebe, sondern der Haß.

Pastor Werkmeister stand vor der Tür seines Laublinger Pfarrhauses und fütterte seine Hühner. Er konnte das wagen, obwohl es ziemlich kalt war, denn seine Füße steckten in dicken Filzsocken, und über dem langen, wohlgefütterten Schlafrocke trug er einen wollenen Schal. Er sah wohlgefällig zu, wie sein Hühnervolk die Körner aufpickte, die seine Hand ihm hinstreute. Denn die Hühnerzucht war sein Hauptpläsir, und kein Gericht war ihm lieber, als eine gekochte Henne in dickem Reis. Er faßte einige besonders fette Exemplare ins Auge, die er zur Gewinnung dieser leckeren Speise ausmustern wollte, und schnalzte dabei schon wohlgefällig mit der Zunge. In angenehmen Gedanken, zufrieden mit sich, Gott und der Welt, stand er da.

Indessen war es leider im Rate des Schicksals beschlossen, daß die glückliche Stimmung seines Innern keine Dauer haben sollte. Plötzlich schrak er zusammen. Herrgott – was war das? War das nicht Pferdegetrappel, das mit unheimlicher Schnelle näherkam? Ja, da tauchte auch schon ein Pferdekopf über dem Tore auf – noch einer und noch einer – endlich eine ganze Menge. Ein Reiter sprang ab, trat durch die Tür und riß das Tor von innen auf. Ein ganzer Schwarm Franzosen ritt in den Hof ein, die Hühner stoben gackernd und schreiend auseinander, und der arme Pastor stand, halb in die Knie gesunken, ein Bild hilflosen Entsetzens, da und starrte die ungebetenen Gäste an.

Es war der erste Besuch dieser Art, den er empfing; bisher hatte man seinen Hof in Ruhe gelassen.

Ein Offizier ritt dicht an ihn heran. »Sie sind der Pfarrer dieses Dorfes?« fragte er mit scharfer Stimme.

»Zu dienen, Ew. Gnaden, Herr General,« stammelte Werkmeister und riß die Pelzmütze, die er auch jetzt trug, mit einer tiefen Verbeugung vom Kopfe.

»Major Martignac,« sagte der Franzose mit einem etwas verächtlichen Lächeln. »Ich bin auf der Streife nach einem Pikett preußischer Husaren. Ein Bauer von dem Dorfe dort sagte, daß sie hierher geritten seien, Haben Sie etwas gesehen? Sind sie hier versteckt?«

»Nichts habe ich gesehen, gar nichts, Ew. Gnaden,« erwiderte Werkmeister mit erneuten tiefen Bücklingen.

»Belügen Sie mich nicht, Monsieur?« fragte der Offizier in noch schärferem, fast drohendem Tone.

»Bei Gott, ich habe nichts gesehen!« beteuerte der Pfarrer mit erhobenen Händen.

»Dann hast du mich belogen, Hund!« schrie der Major einen Bauern an, der mit Stricken an ein Pferd gebunden war und so hatte mitlaufen müssen. »Gestehe, cochon prussien, du hast uns belogen!«

Der Bauer antwortete nur mit einem haßerfüllten Blicke; seine Lippen blieben trotzig geschlossen.

»Ich könnte dich füsilieren lassen, Bursche,« sagte der französische Führer mit einem bösen Lächeln. »Aber ich will dein Hundeblut nicht vergießen. Sergeant! Nous voulons punir ce bougre

»Befehle der Herr Major ä Baschtonnade?« fragte der Sergeant in unverkennbar schwäbischen Lauten.

»Nein,« antwortete Martignac hart, und seine Züge wurden einen Augenblick bleich, »ich liebe nicht dieses genre der Strafe.« Er wies auf ein großes Faß, das mit Regenwasser fast bis zum Rande gefüllt war. »Taucht den Kerl da hinein, und dann laßt ihn liegen!«

»Allons, Leut!« rief der Sergeant, »'s ischt ä Hauptschpaaß!«

Trotz seines verzweifelten Sträubens wurde der Bauer vorwärts gezerrt, von sechs, acht kräftigen Fäusten im Nu emporgehoben und in das Faß hinabgestoßen. Das Reitervolk kreischte vor Vergnügen, als er prustend, stöhnend und gurgelnd nach einigen Sekunden wieder auftauchte. Sogleich drücke man ihn wieder ins Wasser hernieder und wiederholte das Spiel so lange, bis er nur noch schwache Lebenszeichen von sich gab. Dann gebot der Major: »Werft das Faß um und laßt die Kanaille liegen!«

Werkmeister machte unwillkürlich eine Bewegung, dem wie tot Daliegenden beizuspringen. Aber er zog den Fuß rasch wieder zurück. Herr des Himmels – wenn etwa diese Menschen, nein, diese Teufel, eine solche Regung des Mitleids falsch auffaßten und mit ihm, dem Pastor Werkmeister, eine ähnliche Prozedur vornahmen! Kein Mensch hätte ihn schützen können, und ob Gott ihn schützen würde, war mindestens fraglich. Daher blieb er mit einem Gesichte, das zugleich Entsetzen und Unterwürfigkeit ausdrückte, auf der Stelle stehen.

»Soldaten!« wandte sich der Major an seine Leute, »wir werden hier Quartier nehmen. Ich selbst bleibe auf dem Pfarrhofe mit zwanzig Mann. Die anderen, Kapitän Ménard, verteilen Sie in die umliegenden Höfe. Leutnant Weitbrecht geht Ihnen zur Hand. Sie stellen Wachen aus und kommen dann zu mir zum Rapport, logieren und soupieren bei mir. – Ihr wißt, Leute, daß die Bauern euch alles im Überflusse zu liefern haben. Gewalttaten aber hat Seine Majestät der Kaiser unter Todesstrafe verboten. Vive l'empereur

» Vive l'empereur!« schrie der Haufe. Der Major wandte sich Werkmeister zu.

»Sie werden die Ehre haben, Herr Pfarrer, diese Nacht einige Offiziere des Kaisers unter Ihrem Dache zu beherbergen,« sagte er. »Ich sehe hier vorzügliche Hühner und Tauben, die können gebraten werden. Haben Sie Wein im Hause?«

»Zu dienen, Herr Major, guten Rheinwein,« erwiderte Werkmeister und knickte wieder halb zusammen.

» Bon! Jetzt weisen Sie mir ein Zimmer an. Dann bringen Sie Wein, viel Wein! Ich bin durstig!«

Werkmeister führte den Major mit vielen Bücklingen ins Haus, geleitete ihn in die gute Stube, und da sich die Haushälterin, das pflichtvergessene Geschöpf, nicht sehen ließ, mußte er selbst die Flaschen aus dem Keller und die Gläser aus dem Schranke holen, was er unter häufigem und schwerem Seufzen tat. Er fand, als er das Zimmer wieder betrat, den Franzosen mit verschränkten Armen vor einem Wandbilde der Königin Louise stehen. »Ein prächtiges Weib!« sagte er sich umwendend. »Aber in dem schönen Körper wohnt wenig Verstand und eine böse Seele. Sie hat Preußen die Suppe eingebrockt, an der es jetzt erstickt.«

So feige Werkmeister auch war, diese Bemerkung empörte ihn und trieb ihm die Zornesröte ins Antlitz. Mit ganz ungewohnter Schärfe sagte er: »Das werden wohl andere Leute gewesen sein.«

Der Franzose lachte spöttisch. »Sie sind in die schöne Königin verliebt, wie alle Preußen. Machen Sie sich aber darauf gefaßt, daß sie nicht Ihre Königin bleibt. Der Kaiser hält fest, was er einmal hat, und seit wir Magdeburg haben, ist dieses Land für Preußen verloren.«

»Magdeburg? Wieso –« stotterte Werkmeister. »Es kommandiert dort der General von Kleist –«

»Hat kommandiert bis gestern,« fiel der Franzose triumphierend ein. »Die Festung hat kapituliert, und die Truppen des Kaisers sind eingerückt.«

Der Pfarrer sah den feindlichen Offizier einen Augenblick an, als zweifle er an seinem Verstande. Jedermann wußte ja, daß Magdeburg auf Monate verproviantiert war, und daß eine kleine Armee sich dort befand. Solch eine Festung kapitulierte doch nicht nach ein paar Tagen! Und von einer ernsten Belagerung hatte man überhaupt noch nichts gehört.

»Sie zweifeln?« fragte der Franzose. » Parole d'honneur

Nein, Werkmeister zweifelte schon nicht mehr. Es fiel ihm ein, daß man nach der Kapitulation von Prenzlau, die eben bekannt geworden war, kein Recht mehr hatte, an solchen Vorkommnissen zu zweifeln. Was stand denn in dem unglücklichen Staate noch fest, und worauf konnte man bauen, wenn der General mit dem Reste der Armee ohne jeden Schwertstreich im freien Felde kapitulierte? Außerdem hatte doch der französische Offizier wahrlich nicht den geringsten Grund, ihm, dem Pastor von Laublingen, etwas vorzulügen.

So war denn der Staat Friedrichs des Großen verloren. Tiefschmerzlich durchzuckte ihn diese Erkenntnis, denn er war im Glauben an Preußens Größe und in der Verehrung des Königlichen Hauses erzogen worden. Es war ihm, als ginge ein Riß durch seine Seele, und mit blassen Lippen murmelte er: »Dann gibt es kein Preußen mehr!«

»Tut Ihnen das leid?« fragte der Franzose mit stechenden Blicken.

»Ich bin doch ein Preuße,« erwiderte der Pastor ausweichend.

»Ah bah,« rief der Franzose. »Es sind schon noblere Nationen untergegangen als diese! Danken Sie Gott, daß Sie nun zur grande nation gehören werden. Schenken Sie ein, und lassen Sie uns auf die Gesundheit des großen Mannes trinken, der nun bald in dieser Provinz die Segnungen wahrer Zivilisation und Humanität verbreiten wird.«

Werkmeister schenkte mit zitternden Händen ein. « Vive l'empereur!«« rief der Franzose und stieß mit ihm an. » Vive l'empereur!« wiederholte der Pastor mit schwacher Stimme.

»Sprechen Sie französisch?« fragte der Offizier.

»Nur wenig.«

»Das ist schade. Wir könnten sonst lieber unser Gespräch in dieser Sprache führen.«

»Der Herr Major sprechen ja das Deutsche ausgezeichnet,« bemerkte Werkmeister mit einem untertänigen Lächeln.

»Ich hatte Ursache, in meiner Jugend mir die Kenntnis anzueignen,« gab der Franzose zur Antwort und stürzte ein Glas Wein hinunter. »Aber ich spreche es nicht gern, es ist eine Schweinesprache. Da es jedoch in der Armee des Kaisers nicht viele Offiziere gibt, die fließend Deutsch verstehen und sprechen, so hat mir doch die Kenntnis ungewöhnlich früh zu den Majors-Epauletten verholfen. Der Kaiser braucht Leute, die die cochons allemands zu kommandieren verstehen und brauchbare Soldaten aus ihnen machen. Da draußen die Kerls sind alles Deutsche, Elsässer, Schwaben und Rheinländer. Sie sind langsam und dumm, aber sie beißen tüchtig.« Er wieherte laut auf und goß sich das dritte Glas voll. »Apropos, Herr Pfarrer, Sie wissen doch, daß Seine Majestät alle Länder diesseits der Elbe durch Bulletin in Besitz genommen hat?«

»Nein,« sagte Werkmeister, »ich wußte es noch nicht.«

»So erfahren Sie es denn hiermit durch mich. Sie sind also bereits Untertan des Kaisers. Hoffentlich« – der Franzose sprach das höhnisch und scharf – »wissen Sie die Ehre zu würdigen und freuen sich darüber.«

»Für mich als Diener des Wortes gilt der Spruch: Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.«

Martignac lachte laut auf. »Ja, die Gewalt hat er, der große Mann, und es ist wohlgetan, sich ihr zu beugen. Und wissen Sie, Herr Pfarrer, was ich täte an Ihrer Stelle? Ich ließe sogleich den neuen großen Triumph meines erhabenen Landesherrn durch das Geläut aller Glocken Ihrer Kirche feiern. Ich hoffe. Sie sind der gleichen Meinung.«

Werkmeister erblaßte von neuem. Er fühlte wohl, daß eine empörende Roheit in dieser Zumutung lag, und daß es eigentlich seine Pflicht sei, nein zu sagen, komme dann, was da wolle. Aber als er die Augen des Offiziers fest und drohend auf sich gerichtet sah, da verließ ihn der Mut. »Wenn Sie befehlen!« sagte er und wandte sich zum Gehen.

»Schicken Sie Ihre Magd zum Küster und kommen Sie dann gleich wieder zu mir!« gebot der Franzose. »Ich habe Sie noch einiges zu fragen.«

Draußen wischte sich der geängstigte Pfarrer den Schweiß von der Stirn, und wenig fehlte, so wäre er in Tränen ausgebrochen. Warum mußte er, gerade er diese schreckliche Heimsuchung erfahren? Er sollte als erster läuten lassen für einen Sieg des Franzosenkaisers, der sein eigenes Volk in den Staub geworfen hatte! Was würden die Amtsbrüder sagen und der geistliche Inspektor und das Hochwürdige Konsistorium! Würde man ihn nicht als Vaterlandsverräter ausschreien, vielleicht sogar amtlich gegen ihn vorgehen?

Plötzlich aber kam ihm eine Erleuchtung: Wenn es kein Preußen mehr gab, dann gab es jedenfalls auch kein Königliches Konsistorium mehr. »Fällt der Purpur, muß auch der Herzog nach.« Man errichtete nun jedenfalls eine neue Behörde, und die als Patrioten bekannten Leute würde man sicherlich nicht einsetzen. Dann konnte es ihm keineswegs schaden, daß er dem Kaiser gewissermaßen als erster gehuldigt hatte. Wer konnte es wissen – vielleicht gereichte es ihm sogar zum Ruhm und zum Vorteil!

Er stand eine Weile in Gedanken versunken auf der Treppe still. Dann schüttelte er sich, als wollte er eine Last von sich abwerfen, und sprach leise vor sich hin: »Mit den Wölfen muß man heulen!« worauf er sich eiligst in die Küche begab, um die Botin an den Küster abzufertigen. Er fand die Magd in sehr verdächtiger Nähe des französischen Sergeanten, und als er ihr seinen Auftrag gab, bot ihr der galante Krieger sogleich den Arm, um sie zu geleiten.

»Das verfluchte Weibsbild! Schmeißt sich gleich an den ersten fremden Soldaten weg, der ihr in den Weg läuft!« brummte er vor sich hin, während er die steile Treppe wieder hinaufstieg.

Der Franzose hatte indessen auch seine eigenartigen Gedanken gehabt. Auf den ersten Blick hatte er in Werkmeister den schwachen und feigen Charakter erkannt und sofort beschlossen, das auszunützen.

»Kommen Sie her,« sagte er ganz kordial, als der Pastor wieder ins Zimmer trat, »trinken Sie noch eine Flasche mit mir!«

»Große Ehre,« entgegnete Werkmeister und ließ sich auf der Kante eines Stuhles nieder.

»Sie sind schon länger in dieser Gegend?« eröffnete der Franzose die Unterhaltung.

»Fast zehn Jahre.«

»So kennen Sie also die Leute und die Verhältnisse sehr gut!«

»Hm, ja – zum Teil – gewiß,« erwiderte Werkmeister und rutschte unbehaglich auf seinem Sitze hin und her. Das fing ja an, als sollte er verhört werden.

»Es liegt hier herum ein Gut mit Namen Piesdorf. Wer ist dort Gutsherr? Wie weit ist es von hier?«

»Der Gutsherr ist unser Landrat von Wedell. Zu Pferde können Sie in einer Stunde dort sein.«

»Sacre bleu!« rief Martignac, »nach meiner Karte muß es viel weiter sein. Hätt' ich das gewußt, so wäre ich doch noch heute hingeritten.« Er faßte den Pfarrer beim Rocke und sah ihm scharf ins Gesicht. »Von diesem Wedell habe ich schon dies und das gehört und will ihm eine Visite machen. Kennen Sie ihn näher? Was ist er für ein Mann?«

»Ich kenne ihn nicht näher, Herr Major. Er ist ein guter, honetter Mann; als Landrat ist er scharf.«

»Weiter wissen Sie nichts von ihm?«

»Er ist ein strenggläubiger Mann. Die neuere Theologie ist ihm ein Greuel,« fuhr Werkmeister beklommen fort.

»Vor allem ist er wohl ein preußischer Patriot comme il faut?« fragte der Major mit scharfer Betonung.

»Das wird er wohl auch sein.«

»So kommen wir nicht weiter,« sagte der Franzose streng. Er stand auf und trat vor Werkmeister hin. »Herr Pastor – ohne Umschweife. Sie sollen und können mir und damit der Sache des Kaisers einen Dienst erweisen. Das ist viel Ehre für Sie, mein Herr Pastor. Vergessen Sie also, daß Sie ein Preuße waren. Sie sind es nicht mehr, denn es gibt kein Preußen mehr. Sie sind jetzt kraft des Rechtes, das der siegreiche Degen gibt, Untertan Napoleons des Großen, wie ich auch. Darum beantworten Sie mir meine Fragen, die ich Ihnen vorlege, so eingehend und so präzise, wie es einem guten Untertanen Seiner Majestät geziemt.«

»Mein Gott, mein Gott!« jammerte Werkmeister und sank in seinen Stuhl zurück. »Warum denn gerade ich?«

»Sie machen den Eindruck der Intelligenz,« entgegnete der Franzose und verzog den Mund. »Man trifft Leute Ihrer Art nicht alle Tage.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Nun, Herr Pfarrer, wollen Sie mir Rede stehen?«

»Fragen Sie,« antwortete Werkmeister mit klangloser Stimme.

»Ich bin hier in der Gegend,« begann der Franzose, »nicht nur, um die versprengten Reste der preußischen Armee zu verfolgen. Das ist nicht Hauptsache. Ich bin vielmehr hergeschickt, um das Land zu pazifizieren. Das Volk wird hier, wie man sagt, aufgewiegelt von den mauvais sujets, übelgesinnten Edelleuten. Man will die Bauern bewaffnen, einen Guerillakrieg entzünden. Ist es an dem?«

»Vor dem Ausbruche des Krieges war allerdings etwas derartiges geplant,« flüsterte Werkmeister.

»Eine Gefahr für die siegreiche Armee ist das natürlich nicht,« fuhr der Major fort, »aber es kann unbequem werden. An der Spitze der Konspiration soll eben der Monsieur de Wedell stehen, den Sie nannten.«

»Das glaube ich nicht,« sagte Werkmeister.

»Nicht? Hat er nicht den König von Preußen um die Erlaubnis gebeten, aus den Bauern der adligen Güter eine Mobilgarde zu bilden?«

»Ah!« entfuhr es unwillkürlich den Lippen Werkmeisters, und er richtete sich aus seiner gebückten Stellung auf. Blitzschnell kreuzten sich die Gedanken in seinem Kopfe. Also der Plan Heinrichs von Krosigk war den Franzosen verraten worden, nur kannten sie seinen eigentlichen Urheber nicht, sondern hielten Wedell für den Schuldigen. Natürlich, denn er als Landrat hatte den Beschluß der Stände dem Könige zu übersenden gehabt. Nun war zwar der strenggläubige Gutsherr von Piesdorf dem rationalistischen Pfarrer von Laublingen ziemlich fatal, denn Werkmeister hielt jeden für einen Finsterling und Feind der Volkswohlfahrt, bei dem er etwas von Pietismus witterte. Aber warum sollte ein Unschuldiger leiden? Der Landrat war ja ein feuriger Patriot und begeisterter Freund jenes Planes gewesen, aber ausgedacht hatte ihn ein anderer, und zwar ein Mann, der dem Pastor noch weit, weit fataler war, sein eigener Patron, der Schloßherr auf Poplitz. Der stolze, schroffe junge Mann, der über die Predigten seines gelehrten Pastors so scharf zu urteilen pflegte und der gerade so ein »Pietist« war, wie sein Freund Wedell auf Piesdorf, der mochte nun zusehen, welche Folgen sein überspannter Patriotismus für ihn zeitigte. Zudem – wem schadete er, wenn er seinen Namen nannte? Der Baron hatte ja sein Schloß verlassen und war zur Armee gegangen und hatte den widerwärtigen Menschen, den Kandidaten Moldenhauer, in Poplitz so quasi als seinen Vertreter eingesetzt. Demnach konnten ihm die Franzosen zunächst gar nichts anhaben, und dem Piesdorfer wurden vielleicht große Unannehmlichkeiten erspart. Es war also ganz in der Ordnung, daß er sagte, was er wußte, ja es war eigentlich Christenpflicht.

»Sie wissen etwas,« sagte der Franzose, der ihn scharf beobachtet hatte, »ich sehe es Ihnen an.«

»In der Tat,« antwortete Werkmeister, »und ich kann Ihnen ruhig die Wahrheit sagen. Der Plan, von dem Sie sprechen, existierte allerdings in den Köpfen einiger exaltierter Edelleute. Ob er noch existiert, weiß ich nicht, bezweifle es aber. Jedenfalls, dessen können Sie sicher sein, ist der Landrat von Wedell nicht sein Urheber. Er war nur, als erster Beamter des Kreises, der Mund der Kreisstände gegenüber dem Könige. Der Urheber ist ein ganz anderer.«

»Und wer?« fragte der Major ungeduldig.

»Der Gutsherr von Poplitz, ein Herr von Krosigk,« sagte Werkmeister. – »Mein Gott, was ist Ihnen, Herr Major?« rief er bestürzt, als er sah, wie der Franzose wie von einem Hiebe getroffen zusammenfuhr und ihm einen Blick zuwarf, der ihn entsetzte.

»Krosigk! Sagten Sie nicht so?« antwortete Martignac mit seltsam heiserer Stimme.

»Gewiß, Herr Major.«

»Ist der Mensch preußischer Offizier?«

»Er war es. Premierleutnant im Regiment Alt- Larisch. Aber er hat den Abschied genommen und lebt auf seinen Gütern.«

»Ein noch jüngerer Mann?« inquirierte der Franzose weiter.

»Das kann ich Ihnen genau sagen. Er ist geboren am 23. Februar achtundsiebzig.«

Der Major schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß der Pastor erschrocken zusammenfuhr. »Wissen Sie, ob dieser Krosigk an einer der preußischen Campagnen in Polen teilgenommen hat?«

Natürlich wußte Werkmeister das sehr gut, aber die Frage machte ihn mißtrauisch. Das war ja sonderbar. Der französische Offizier schien etwas von dem Poplitzer Herrn zu wissen, kannte ihn vielleicht sogar. Er erwiderte deshalb: »Ich war damals noch nicht hier, Herr Major, und ich weiß nicht, ob Alt-Larisch mit nach Polen eingerückt ist.«

»So, Sie wissen es nicht.« Der Major schritt einige Male in heftiger Erregung auf und nieder und fragte dann: »Wie heißt das Schloß? Wie weit ist es?«

»Poplitz liegt zwanzig Minuten von hier. Herr von Krosigk ist Patron und Gutsherr auch hier in Laublingen.«

»Was?« rief der Franzose mit blitzenden Augen. »Da müssen Sie ihn ja ganz genau kennen, Und Sie behaupten. Sie wüßten nicht, ob er in Polen gewesen ist?«

»Der Herr Baron verkehrt nicht persönlich mit mir,« sagte Werkmeister kurz.

»So sind Sie ihm verfeindet?«

»Nicht gerade verfeindet, aber er hat sich nie freundlich zu mir gestellt. Sein verstorbener Vater hat mich hier eingesetzt, der Sohn ist mir abgeneigt.«

»So, so!« Es war fast ein Blick des Wohlgefallens, den der Franzose dem Pastor gönnte. »Sagen Sie einmal, Herr Pfarrer, es sind doch gewiß Leute im Orte, die diesen Krosigk näher kennen? Schaffen Sie mir solch einen Mann zur Stelle.«

»Da ist zum Beispiel der Schulmeister von Beesen,« erwiderte Werkmeister. »Er ist schon lange hier und hat dem jüngsten Sohne auf dem Schlosse Unterricht im Rechnen erteilt.«

»Gut, den lassen Sie sofort kommen!«

»Aber, ich bitte flehentlich, verraten mich der Herr Major nicht,« bat Werkmeister. »Der Baron von Krosigk ist furchtbar, wenn ihn der Zorn erfaßt.«

»Besorgen Sie nichts,« erwiderte Martignac. –

Der Schulmeister kam und wurde befragt. Nachdem das Verhör zu Ende war, wurde dem erschrockenen Manne mitgeteilt, daß er die Nacht über unter Bewachung im Pfarrhausese bleiben habe.

Der Franzose blieb eine Stunde auf seinem Zimmer, ohne jemand vorzulassen. Werkmeister hörte unten, wie er ruhelos auf und nieder wanderte. Dann kamen die französischen Offiziere, die unwillig nach Speise und Trank verlangten und murrend und fluchend warteten, bis es ihrem Vorgesetzten gefallen wollte, zum Souper zu kommen.

»Ein toller Kerl, der Martignac,« sagte der Kapitän auf französisch zum Leutnant. »Kaum drei Tage ist er Major, und schon nimmt er die Allüren eines Marschalls an.«

Der zuckte gleichmütig die Achseln. »Dees ischt halt so,« bemerkte er mit philosophischer Ruhe.

Endlich erschien der Major. Er sah etwas blasser aus als sonst, aber er war von einer ganz auffallenden Lebendigkeit und Munterkeit. »Sie soupieren in unserer Gesellschaft, Herr Pfarrer,« sagte er zu Werkmeister. »Sie haben der Sache des Kaisers vielleicht einen nicht unwichtigen Dienst erwiesen, indem Sie mich auf diese Spur setzten. Heute bei Nacht und Schnee bringe ich die strapazierten Gäule nicht recht vorwärts, aber morgen in der Frühe nehme ich das Nest aus. Der Vogel wird ja wohl nicht ausgeflogen sein.«

Der Pastor wußte wohl, daß er längst ausgeflogen war, aber er hütete sich weislich, es zu sagen. Denn das bessere Wissen wird nicht immer in der Welt nach Gebühr belohnt.


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