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VIII.

»Den Anfang, Mitt' und Ende, Herr Gott, zum besten wende!« so betete der eiserne York in der Morgenfrühe des sechzehnten Oktobers, als unter den Fenstern seines Quartiers zu Schkeuditz die Husaren das Signal »Aufsitzen!« bliesen. Denn eine furchtbare Blutarbeit, das wußte er, stand heute ihm und seinen tapferen Truppen bevor.

Die Wartenburgstürmer sollten den ersten Stoß tun gegen die französische Stellung, die fast unangreifbar schien. Drüben auf den Talrändern der Elster stand der Marschall Marmont; er hatte das Dorf Möckern zur Verteidigung eingerichtet und rechts auf den Höhen achtzig Geschütze aufgefahren. Dagegen mußten die Preußen anstürmen auf kahlen Feldern ohne Baum und Strauch, ohne irgendwelche Deckung. Es war eine Aufgabe, wie sie nur Truppen gestellt werden kann, deren todverachtender Heldenmut nichts Unmögliches kennt.

Das zweite Brandenburgische Füsilierbataillon marschierte auf der großen Straße nach Leipzig hin. Sein Major ritt an der Spitze. Heinrich von Krosigk spürte an diesem Morgen nichts mehr von den Todesahnungen, die in den letzten Tagen öfters seine Seele niedergedrückt hatten. Die finsteren Schatten waren verschwunden, seine Augen blitzten fröhlich und hell, der ganze Mann schien gehoben und verjüngt durch die Nähe der Gefahr. Er war so gesprächig, wie sonst nur selten; sein Adjutant Honig und der neben ihm reitende Hauptmann von Gaffron wunderten sich insgeheim darüber.

Hinter Lützschena bog der Marsch von der Straße ab und richtete sich gegen Lindenthal, doch wurde ein paar tausend Schritte vor dem Dorfe halt gemacht. Ein Adjutant des Generals Hünerbein sprengte heran und befahl, das Bataillon solle da stehen bleiben, wo es stand.

Heinrich ließ seine Leute auf einem Stoppelfelde in Kompaniekolonne antreten und ritt dann langsam durch die Reihen, indem er mit den Mannschaften redete und sie zur Tapferkeit anfeuerte.

Inzwischen zogen die verschiedensten Truppenkörper auf der Straße an, ihnen vorbei; Batterien, Husareneskadrons und Bataillone. »Donnerwetter!« brummte Krosigk, »wir werden doch nicht etwa hier in Reserve bleiben sollen? Das wäre ja eine Mordsgeschichte! Das vergäße ich dem Alten zeitlebens nicht!«

»Krosigk, Krosigk!« klang da ein heller Ruf von der Straße her. Heinrich blickte auf und setzte sogleich sein Pferd in Galopp. Dort hielt am Rande der Chaussee sein Freund, der Major Wilhelm von Wedell, der mit seinem Bataillon gerade die Stelle passierte.

Die Freunde legten ihre Hände fest ineinander und sahen sich eine Weile schweigend in die Augen. Was sollten sie noch reden in einem Augenblicke, wo schon der Kanonendonner von Osten her den Anfang der Schlacht verkündete?

»Lebe wohl!« sagte Wedell leise, als ihre Hände sich wieder lösten.

»Auf Wiedersehen, hier oder droben!« erwiderte Krosigk und wandte sein Roß zurück.

Sie haben sich auf Erden nie wiedergesehen; denn zwei Stunden später ward Wilhelm von Wedell vom Pferde geschossen. Mit dem Rufe: »Kameraden, rettet das Vaterland!« hauchte er seine Seele aus.

Mittlerweile war York mit seinem Stabe herangeritten und nahm ganz in der Nähe Aufstellung. Heinrich konnte jedes Wort verstehen, das er zu seinen Offizieren sprach. »Das Dorf da drüben ist Lindenthal,« hörte er ihn sagen. »Ich kalkuliere, daß es vom Feinde besetzt ist; wir wollen aber der Sicherheit halber eine Patrouille absenden.«

»Ist schon geschehen, Exzellenz!« meldete Hünerbein. »Die Husaren haben Feuer gekriegt.«

»So muß es genommen werden!« rief York. »Eine schwere Arbeit! Ratzmer! Dort hält Krosigk. Er soll sofort zu mir kommen!«

Ohne den Befehl des Adjutanten abzuwarten, sprengte Heinrich heran und hielt salutierend vor dem General. York blickte ihn scharf an. »Major von Krosigk, Sie haben bei Wartenburg in der Reserve bleiben müssen. Darüber haben Sie gebrummt und geschimpft, wie ich hörte. Ist's nicht so?«

»Zu Befehl, Exzellenz!«

»Na, dann will ich mir nicht wieder Ihre Ungnade zuziehen,« sagte York mit einem grimmigen Lächeln. »Dieses Dorf da drüben ist vom Feinde besetzt. Ich werde es sogleich von der Artillerie beschießen lassen. Dann nehmen Sie es mit Sturm! Verstanden?«

»Sehr wohl, Exzellenz!« rief Heinrich, salutierte wieder und jagte mit freudeglänzendem Angesicht zu seinem Bataillon zurück.

»Stillgestanden! Das Gewehr über!« kommandierte er. Dann rief er mit laut hallender Stimme: »Wackere Kriegsleute, die Stunde ist da, auf zum Streite! Ihr alle kämpft für eine Sache, für die Freiheit Europas. Alle für einen, jeder für alle! Mit diesem Feldgeschrei eröffnen wir den heiligen Kampf. Wir wollen das Dorf da vor uns mit Sturm nehmen. Bataillon marsch!«

In langsamem Schritt setzten sich die Kolonnen in Bewegung, und außer Schußweite hielten sie noch einmal vor dem Dorfe, das jetzt von links her mit einem Eisenhagel eben überschüttet wurde.

Plötzlich schwieg das Brüllen der Kanonen. »Marsch, marsch!« schrie Krosigk, riß seinen Säbel aus der Scheide und trieb sein Pferd an.

Vorwärts ging's über Tote und Verwundete hinweg, durch einen Teich, der den Soldaten bis über die Knie reichte, über Sturzacker, Hecken, Gräben, die niedrige Dorfmauer hinein in den Ort.

Die Franzosen hielten nirgends stand. Ihr Mut, schon erschüttert durch das grauenhafte Feuer der Geschütze, zerbarst vor dem wütenden Ansturm der Füsiliere. In panischem Schrecken flohen sie zum Dorfe hinaus.

Der Major hielt auf der Dorfstraße und schrie mit Donnerstimme seine Befehle, um das Bataillon wieder zu sammeln.

Da kam wieder ein Adjutant Hünerbeins herangeprescht. »Herr Major von Krosigk, Sie sollen sich mit Ihrem Bataillon hier im Dorf festsetzen, dem Feinde standhalten, aber ohne weitere Ordre auf keinen Fall vorrücken.«

»Ich habe verstanden und bin zu Befehl!« rief Heinrich zurück. »Vorworts, Füsiliere! Zum Kirchhof dort. Da wollen wir uns festsetzen!«

Aber sein Pferd wollte nicht vorwärts, es bäumte sich schnaubend zurück. Denn quer über den Weg lag ein höherer französischer Offizier, dem beide Schienbeine zerschmettert waren. Auch von der Stirn strömte das Blut über das gräßlich verzerrte Gesicht herab. Der Unglückliche wimmerte wie ein kleines Kind; ein verständliches Wort brachte er nicht mehr heraus. Heinrich beugte sich zu ihm hinab, fuhr zurück und beugte sich dann wieder weit vor, den Liegenden mit stieren Blicken musternd. »Sollte er es sein, Martignac? Ja er ist's.« Dann riß er sein Pferd zur Seite. »Wir können uns jetzt nicht um ihn kümmern. Vorwärts, Füsiliere!«

Er ritt in den Friedhof hinein, über halb versunkene Gräber hin, und im Vorwärtsreiten betete er flüsternd: »Nur das nicht Herr! Laß mich nicht zum elenden Krüppel werden. Nimm mich lieber hinweg, wenn's dein Wille ist.«

Dann fuhr er wieder auf. »Füsiliere, werft euch nieder! Die Hunde werden gleich schießen!«

Die feindliche Infanterie schoß aber nicht, sondern zog sich weiter zurück. Dagegen fingen nun die Franzosen an, das Bataillon mit Granaten zu bewerfen. Ein furchtbares Feuer richtete sich gegen die wackere Schar, aber die Kugeln gingen meist zu hoch, taten wenig Schaden, rissen nur hier und da einen nieder.

Eine Kugel fegte den Sattelknopf des Majors hinweg. Krosigk zwang mit eiserner Hand das wild um sich schlagende Tier zur Ruhe und sagte dann gelassen: »Seht, Füsiliere, jetzt hätten sie mich bald erschossen, aber sie sollen mich nicht treffen.«

Stunde auf Stunde verrann so. Von rechts her brüllte die Schlacht; dort leitete der alte York selbst den Angriff auf Möckern, das viermal erstürmt, viermal verloren war.

Krosigk glühte und bebte vor Kampfeslust. Kaum vermochte er seine Ungeduld zu zügeln, kaum den Befehl zur Attacke zurückzuhalten. Sollten die da drüben siegen ohne ihn? Stumm, mit zusammengepreßten Lippen und starren Blicken, sah er hin auf die ungeheure Dampfwolke, aus der das Geknatter der Gewehre, das Geschrei der Kämpfer, das Geheul und Ächzen der Verwundeten heraustönte.

Da erklingt das Signal der Flügelhörner: Avancieren! Offiziere jagen heran und schreien: »Alles mit Sturm! Alles mit Sturm!«

»Marsch, marsch!« brüllt Krosigk mit blitzenden Augen und stürmt, allen voran, auf die französische Batterie los. Keine Kugel trifft ihn, wie der Blitz ist er mitten unter die Kanoniere gefahren, haut rechts und links alles nieder, seine Füsiliere stürzen ihm nach, vollenden das Werk, die Batterien sind erobert.

Aber dicht dahinter starrt ihm ein Wald von Bajonetten entgegen, ein Viereck der Gardemarine. Einen Augenblick stutzt er, dann gibt er dem Rosse die Sporen, und wie ein Pfeil fliegt das edle Tier in gewaltigem Satze mit seinem Reiter in die blitzenden Spieße hinein. Den Flügelmann schmettert seine mächtige Faust zu Boden, seine Füsiliere, immer hinter ihm, drängen in die Bresche, drehen die Gewehre um, hauen mit den Kolben auf die dicht zusammengepreßten Feinde ein. Kein Schuß ward mehr abgefeuert, kein Schrei ertönt, in stummer Wut schlagen die märkischen Bauernsöhne die Franzosen zu Boden bis auf den letzten Mann.

Heinrich von Krosigk sah das alles nur noch mit umflortem Blicke. Aus tödlichen Wunden blutend war er vom Pferde gesunken. Mit Hilfe zweier Füsiliere raffte er sich noch einmal auf und schleppte sich auf einen nahen Erdhügel. »Geht, Kinder!« keuchte er, »mit mir ist's aus! Tut eure Schuldigkeit! Geht und siegt!«

In dem Augenblick sprengt der General Hünerbein herbei. »Wie heißt dieses Regiment?« ruft er. »Das zweite Brandenburgische,« klingt es zurück. »Ha, wackere Brandenburger! Der Sieg ist unser! Euer Bataillon gehört unter die Sterne des Himmels!«

Da gleitet ein frohes Lächeln über die Züge des sterbenden Führers. Mit der rechten Hand umkrampft er den Säbel fester; die linke erhebt er wie grüßend, die Lippen bewegen sich, als wollte er noch etwas sagen. Aber die Kraft reicht nicht mehr aus, das Haupt sinkt vornüber, ein letztes Zucken noch – – – er ist tot – – –.

Und ringsum schmettern die preußischen Flügelhörner: Avancieren! Avancieren!

Drei Tage später bewegte sich auf der Straße von Halle nach Cönnern ein langer Wagenzug dahin. Voran fuhr die Poplitzer Galakarosse, mit schwarzen Trauerfloren dicht verhangen. In ihr saßen die Frauen des Krosigkschen Hauses, die ihren toten Helden vom Schlachtfeld geholt hatten, um ihn daheim zu bestatten. Dann folgte der Leichenwagen mit einem mächtigen eichenen Sarge, der keinen anderen Schmuck trug als einen Lorbeerkranz und das auf den schweren Deckel geheftete Eiserne Kreuz erster Klasse. Das hatte der König noch am frühen Morgen durch einen Flügeladjutanten den Hinterbliebenen des Majors von Krosigk nach Halle gesandt. Den Schluß des Zuges bildet eine Reihe von Leiterwagen, auf denen alle Verwundeten des zweiten Brandenburgischen Füsilierbataillons lagen, die irgend transportfähig waren. Friederike von Krosigk wollte die Männer, die ihres Gemahls geliebte blaue Kinder gewesen waren, auf seinem Schlosse gesund pflegen.

Als die Wagen das Dorf Domnitz erreichten, war die Dunkelheit längst hereingebrochen. Trotzdem standen alle Bewohner in ihren Sonntagsgewändern auf der Straße und schlossen sich unter dem Geläute der Glocken dem Leichenzuge an. So geschah es in allen Ortschaften, die er weiterhin durchzog, in Dornitz, Garsena, Cönnern und Laublingen. Nach Tausenden zählte am Ende die Menge, die dem Sarge das Geleite gab. Rings von den Bergen und Hügeln leuchteten die Feuer, die ins Land hinaus die Kunde trugen von der Leipziger Schlacht. Von allen Türmen der Gegend klangen die Glocken durch die klare Oktobernacht – ein Freudengeläut für das, was der Herr an seinem Volke getan hatte, und ein Trauergeläut zugleich, weil der edelste Sohn des Saalegaues unter den Opfern war, die des Vaterlandes Befreiung gefordert hatte.

So kehrte Heinrich von Krosigk in die Heimat zurück, und unter den uralten Linden, die seiner Ahnen Hand gepflanzt hatte, fand er seine Ruhestätte.


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