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Fünftes Kapitel.
Der Thaumaturg.


Es war in der frühesten Morgenfrühe des folgenden Tages; die Sonne schien mit hellen und schon warmen Strahlen in das grüne Reich unsers alten Bekannten, des Gärtners, und sog grausam die Thautropfen ein, welche die milde Nacht segnend über die durstige Pflanzenwelt gesprengt hatte. Martin machte seinen ersten Gang an seinen fleißig gehegten Beeten entlang; er hätte seine Freude haben können an all dem grünen üppigen Wachsthum rund umher, wären nur nicht die abscheulichen Vögel gewesen: der Wald war zu nahe; die Vögel verbitterten Martin das Leben; die Schoten, die Kirschen, die eben reifenden jungen Birnen – über Alles fielen sie her, und jetzt, wo er sie verscheucht hatte, saßen sie in den nächsten Zweigen des Waldes und zwitscherten und pfiffen und gurgelten und glucksten, als ob sie den armen Geplünderten verspotteten und nicht aufhören könnten über ihn und sein verdrießliches Gesicht zu lachen … die Diebe sind immer lustiger als die ehrlichen Leute

Martin ging bis an's obere Ende des Gartens bis da, wo nur der Graben ihn vom alten Bau abtrennte und ein Bosquet begann, das sich rechts nach dem Walde hinzog. Die Fenster mit ihren runden bleigefaßten Scheiben in jenem Theile des Schlosses waren wie immer mit Blenden geschlossen oder dicht verhängt. Alles war todt. Er hatte auch am vorigen Abende den Gesang nicht vernommen, im Garten war nichts sichtbar geworden. Plötzlich hörte er neben sich das Gebüsch aufrauschen – er wandte sich erschrocken, ein Arm tauchte, die feuchten Zweige zur Seite biegend, aus dem Bosquet-Unterholz hervor, eine Männergestalt trat aus dem Gesträuche – Martin wich zur Seite, aber gleich darauf zog er freudig überrascht seine Mütze.

Ach, gnädiger Herr, Sie sind's – Sie hier? – und schon so früh auf?

Ich bin's, antwortete Maximilian Rauschenloo – er war es, er hatte am Morgen seine Thüre aufgeriegelt gefunden und sich eben, als ob er abreisen wolle, von dem grauen Diener, der ihm beim Frühstück wieder nicht von der Seite gewichen war, verabschiedet. Ich bin, fuhr er fort, gestern Abend gekommen und will jetzt gleich zur Stadt zurück; ich warte nur, bis meine Pferde ihren Morgenhafer verzehrt haben, und unterdeß bin ich durch den Garten spaziert und einmal um den alten Bau herumgegangen … der alte Bau wird Reparaturen bedürfen, mein Oheim ist etwas nachlässig darin.

Martin sah den jungen Baron mit einem forschenden Blick an, dem Maximilian dadurch auswich, daß er mit Kennermiene zu dem spitzen Giebel aufschaute.

Es wäre bequem, sagte der Gärtner, wie sondirend, wenn bei einer Reparatur unten in dem Baue Kammern, die ich benutzen könnte, hergestellt würden; es fehlt mir an Raum für so Manches, Geräthschaften, Vorräthe, Saamen, und in dem Erdgeschoß ist sicherlich Platz vollauf; aber es ist jetzt vor der Hand wol keine Aussicht dazu!

Und weshalb nicht, Martin?

Martin sah mit seinen gutmüthigen, aber doch klugen Augen den jungen Mann an. Sie hatten sich verstanden.

Ich glaube, Ihr habt Euch mit allerlei Mährchen herumgetrieben … Ihr habt dem Herrn von Waterlapp von der Königin der Nacht vorgefabelt …

Martin lächelte. Der Herr von Waterlapp, sagte er mit einem gewissen Tone des Spottes, hatte solch eine große Freude an der »Königin der Nacht«, ich mochte sie ihm nicht stören …

Und du glaubst also nicht …?

Man muß, meine ich, in solchen Dingen auf die Frauen hören; die meine kommt just dort mit dem Jungen; sie hat gestern mit dem gnädigen Fräulein Amalgunde eine Unterredung über die Sache gehabt.

Und was glaubt Sie, Gertrud? fragte Maximilian die Gärtnersfrau, die herbeikam, den jungen Herrn zu begrüßen, und ihren frischgewaschenen rosigen Buben anwies, ihm die Hand zu küssen.

Der Kleine wird ja ganz allerliebst, wie heißt du, mein Jüngelchen?

Maximilian hob das Kind auf den Arm und küßte es; der Kleine aber drückte ihn mit den Händchen von sich und platzte in seiner Lebhaftigkeit mit den Worten heraus:

Ich habe die weiße Frau gesehen, und sie hat mir dies gegeben!

Er zog an einem schwarzen Bande einen schönen rothen Stein hervor, in den arabische Schriftzüge gravirt waren und der nach der Fassung als Broche gedient hatte.

Diesen Stein hat dir die weiße Frau geschenkt? Das ist ein kostbarer arabischer Talisman! rief Maximilian aus.

Wir sprachen eben von ihr, sagte Martin zu seiner Frau, mit einem bezeichnenden Blicke zum alten Bau hinauf.

Es ist besser, das Grübeln darüber zu lassen, bemerkte Gertrude; ich habe gestern recht wohl wahrgenommen, daß wir mit allen unsern Gedanken auf dem Holzwege waren. Das gnädige Fräulein … nun, lassen wir es, unterbrach sich Gertrude erröthend, es soll Niemand einen Stein auf seinen Mitmenschen werfen, und am wenigsten, wenn dieser ein Leben voll Rechtschaffenheit daran setzt, um eine schwache und unglückliche Stunde abzubüßen.

Maximilian fixirte das erröthende Weib bei diesen Worten. Wie schlau diese Einfalt vom Lande ist! dachte er. Und doch täuscht sie sich! – Amalgunde? … wäre je ein Flecken auf den straffen Reifrock ihrer unnahbaren Tugend gefallen? – Nein! Unmöglich! Aber welches furchtbare Geheimniß waltet hier ob, daß sie lieber ihre herbe und hochmüthige Jungfräulichkeit solchen Misdeutungen aussetzt, als die Wahrheit gesteht? …

Doch da ist ja Onkel Wennemar! setzte er laut hinzu und eilte dem herankommenden Chronisten entgegen – den führt sein böses Schicksal mir in den Wurf!

Der kleine, runde Historiograph trippelte rasch heran und winkte schon von Weitem mit einer ganz außerordentlichen Freundlichkeit Maximilian Grüße zu.

Da wäre ich, begann er, Athem schöpfend; ich habe mich mit den ersten Sonnenstrahlen von Bursbeck aufgemacht – ich dachte mir, daß du in den frühesten Morgenstunden von hier abreisen würdest, und ich wollte dich durchaus vorher noch sehen, lieber Maximilian. Du hattest mir zwar versprochen, zu mir zu kommen, aber wir kennen uns … nun, heraus damit, ich stehe auf Kohlen, sprich, mein lieber, mein guter Max, hast du etwas entdeckt?

Allerdings!

Oh! ich bitte dich – was ist's?

Es ist Etwas, das ich durchaus nicht erwartete und das mich in hohem Grade empört hat.

Aber so sprich doch, ich bitte dich!

Habe nur Geduld, Wennemar; die Entdeckungen, welche ich hier in Mildenfurth gemacht habe, werfen durchaus kein vortheilhaftes Licht auf dich … ich muß dir das ohne Rückhalt erklären – du hast dir einen Aprilscherz mit mir erlauben wollen, der, offengestanden, eine Impertinenz war. Ich kann das Wort nicht zurücknehmen, wenn ich auch annehmen will, daß man deine schlaffe Gutmüthigkeit, die sich zu Allem bereit finden läßt, gemisbraucht oder dich hinter der Flasche zur Theilnahme verführt hat …

Maximilian, wovon redest du? fragte Wennemar von Waterlapp, ein Paar Schritte weit zurückstrauchelnd und mit unverhohlenem Erstaunen – auch über den Undank der Welt, die so seine unerschöpfliche Dienstfertigkeit und Opferwilligkeit lohnte!

Ihr habt in Köln einen Brief auf die Post geben lassen, an Margarethen adressirt und bestimmt, mir in die Hände gespielt zu werden – wenn der Scherz von jemand völlig Zurechnungsfähigem ausgegangen wäre, so würde ich ihn auf Pistolen fordern.

Chronist Wennemar war über diese Beschuldigung so verwundert, daß er die Beleidigung überhörte, womit Maximilian in seiner Gereiztheit sie würzte.

Ich will ein Kind des Todes sein, wenn ich eine Ahnung habe, wovon du redest!

Maximilian brauchte kein Menschenkenner zu sein, um dem Historiographen am Gesicht anzusehen, daß er die Wahrheit sprach. Er fixirte ihn eine Weile und ließ dann seine Blicke nachdenklich auf den Boden gleiten; endlich faßte er Wennemar unter den Arm, zog ihn seitwärts in das Rebenberceau und warf sich hier auf eine Bank. Wennemar setzte sich neben ihn, stumm ihn anblickend, aber ein Fragezeichen in jedem Zuge, in jeder Miene seines gelehrten Hauptes. Maximilian achtete auf diese stumme Beredtsamkeit nicht. Er zeichnete mit dem Stiel seiner Reitpeitsche Figuren in den Sand und blieb schweigend. Er war in ein Meer von Zweifeln geworfen. Sein Oheim hatte die Unwahrheit gesprochen, was den räthselhaften Brief anging und was den armen übergeschnappten Studenten anging – Eins war so wenig wahr wie das Andere; seine eigene Vermuthung, es handle sich um einen Bruder Margarethens, war eben so unwidersprechlich umgestoßen, wenigstens so viel den Gast des alten Baues anging … Zwar für Margarethens Unschuld hatte Ruprecht sein adeliges Ehrenwort verpfändet, und darauf konnte Max getrost Häuser bauen – aber alles Andere war wieder undurchdringliches Geheimniß geworden – auch was der Gärtnersfrau weiblicher Scharfsinn so eben als Hypothese aufgestellt hatte, war unmöglich anzunehmen …

Zu Ende mit seiner Geduld stampfte der junge Mann heftig den sporenklirrenden Stiefel auf den Boden und rief aus:

Ich will aber allen diesen Dingen auf den Grund kommen, und müßte ich den Teufel dabei zu Hülfe rufen!

In diesem Augenblicke fiel plötzlich ein schwarzer Schatten auf die beiden Männer, und Wennemar fuhr mit einem Schreckensausruf in die Höhe. Ihnen gerade gegenüber lag einer der Eingänge in das Berceau, der, oben in Bogenform abgerundet, eine Art gothischer Thoröffnung bildete. In diesen Thorbogen war eine hohe dunkle Gestalt getreten, die mit einer rauhen Baßstimme und einem unbeschreiblich fremdartigen, schwerfälligen Tone in französischer Sprache sagte:

Wollen Sie mich zum Gehülfen?

Maximilian sah erstaunt auf. Es war eine düstere Physiognomie, die ihn mit den schwarzen Augen anblitzte, halb geborgen von dem breiten Rande des gelben Sombreros, welchen der Fremde trug. Trotz der Hitze, welche in den letzten Tagen geherrscht hatte, war er wie ein Reisender, der dem Wechsel der Witterung zu mistrauen gelernt hat, in warme Stoffe gekleidet; ein Rock von dunkelgrünem Tuche, oben zugeknöpft, ließ den untern Theil einer Weste von rothem Sammt sehen, in einem der Knopflöcher zeigte sich ein halb verstecktes Ordensbändchen, ein faltiger Mantel hing leicht über der Schulter. Der Fremde trug das Haupthaar ganz kurz geschoren, aber einen starken pechschwarzen Bart, in den einzelne Streifen von Grau sich zu mischen begonnen hatten. Er konnte vierzig Jahre haben; vielleicht war er jünger und schien nur so alt. Sein bronzegelbes Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, als wenn ein heißes Klima es gedörrt und die Wetter des Lebens und der Leidenschaften dagegen geschlagen in manchem Sturm; auf dieser hohen, gewölbten Stirn, um diese aufzitternden Nasenflügel und den schmallippigen festgeschlossenen Mund lagen Geister der Entschlossenheit, des Wagnisses und der Verwegenheit, welche unbezähmbar schienen; sie lugten aus Runzeln und Falten hervor, die Narben harter Kämpfe sein mochten, nicht sowol mit der Welt und ihren Gefahren, als mit Dem, was von rebellischen Trieben und Instincten im eigenen Inneren hauste; ja, diese verkohlenden Augen glühten, als ob der Fremde wie Israel mit einem Gotte gerungen, aber mit einem bösen Gotte, und gelähmt aus dem Kampfe geschieden.

Der Fremde verschränkte seine Arme, lehnte sich nachlässig an das Lattenwerk, welches das Gerüst der Laube bildete, und wiederholte:

Wollen Sie mich zum Gehülfen bei der Lösung der Räthsel, von welchen Sie auf die Folter gespannt werden? Vielleicht ist es mir möglich, den Schleier der Geheimnisse zu lüften, mit denen Sie sich beschäftigen.

Sie? Wer sind Sie, mein Herr? fragte Maximilian, sich erhebend.

Der Fremde blieb ruhig in seiner bequemen Stellung. Es lag etwas Stechendes, beinahe Boshaftes im Blick seiner Augen, als er antwortete:

Ich bin ein Spanier; ich heiße Don Henrique de Valderama. Ich reise als Naturforscher, als Chemiker, als Magnetiseur – ich möchte den Stand meiner Wissenschaft in Deutschland kennen lernen – Ihr Gesandter in Madrid hat mir Grüße an Sie mitgegeben; da ich Sie nicht in der Stadt fand, so bin ich Ihnen hierhin gefolgt, um sie Ihnen auszurichten, um so mehr, als mir daran lag, diesen Theil Ihres Vaterlandes kennen zu lernen.

Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Allem, was aus Spanien kommt, stehe ich gern mit Dem, was ich vermag, zu Gebote. Ich liebe Spanien. Ich habe zuweilen ein wahres Heimweh nach Ihrem schönen, stolzen, schwermüthigen Vaterlande. Kann ich Ihnen dienen, Senhor?

Diese Frage habe ich mir so eben erlaubt an Sie zu richten! erwiderte der Spanier.

Sie konnten sie kaum ernsthaft meinen. Ich grübelte mit meinem würdigen Freunde hier Verhältnissen nach, die uns, den Nahestehenden, etwas Räthselhaftes haben und die deshalb dem Fremden doppelt verschleiert sein müssen, vorausgesetzt auch, er fände irgend ein Interesse, sich damit zu beschäftigen.

Diese Räthsel … darf ich in Gegenwart dieses Herrn offen davon reden, Senhor Rau – Ro – Rosoglio?

Das dürfen Sie, antwortete Maximilian lächelnd über die Verstümmelung seines Namens, welchen der Südländer nicht auszusprechen vermochte.

Sie sind zweierlei, fuhr der Spanier fort; zuerst quält es Sie, nicht zu wissen, wer ein Monsieur Alphonse ist, der – soll ich in der That weiter reden?

Reden Sie, reden Sie! rief Maximilian, wie elektrisirt auffahrend.

Nun also, der von einer Stadt am Rhein aus Poulets an Ihre Gattin zu schreiben wagt.

Maximilian's Stirn wurde dunkelroth bei diesen Worten – wie war es möglich, daß der Fremde um diesen Umstand wußte? Wer war überhaupt dieser Mensch, der am frühesten Morgen ihm hier in dem Garten von Mildenfurth einen Besuch zu machen kam – Maximilian war im Begriff, ihm eine heftige Antwort zu geben, aber er bezähmte sich und sagte mit so viel Ruhe, wie er nur irgend erzwingen konnte:

Und was wäre das zweite Räthsel?

Das zweite Räthsel für Sie ist dort verborgen, antwortete der Spanier und deutete mit der Hand auf die Thürme des alten Baues. – Wer wohnt dort? Das ist die Frage, das Geheimniß, zu dessen Enthüllung Sie den Teufel zu Hülfe nehmen wollten.

Onkel Wennemar von Waterlapp fuhr es bei dieser Eröffnung durch alle Glieder; es war ihm zu Muthe, als wäre der leichtsinnig angerufene Dämon wirklich vor ihm aus dem Boden aufgestiegen. Maximilian unterdrückte seine gewaltige innere Bewegung und fragte mit einem Tone, in welchen er so viel Unglauben zu legen suchte, wie ihm irgend möglich war:

Und Sie könnten diese Räthsel lösen? Sie wüßten …?

Ich weiß nichts, aber ich kann Die befragen, welche Alles wissen.

Und die Alles wissen – sprechen Sie, wer sind diese Ihre Freunde, die Alles wissen?

Sie stellen Fragen, welche sehr rasch auf ihr Ziel losgehen, Senhor Rosoglio! Ich habe Ihnen gesagt, ich bin Magnetiseur …

Ah bah! rief verächtlich der junge Baron.

Magnetiseur, wiederholte der Spanier mit größerm Nachdruck … flößt Ihnen die Wissenschaft, wie man sie in Deutschland ausübt und kennt, kein Vertrauen ein – nun, so denken Sie, daß ich ein Spanier bin, ein Andalusier, und daß mit dem maurischen Blute, welches vielleicht in meinen Adern strömt, etwas von der Magiergewalt auf mich gekommen ist, die einst den Albatani und den Ibn Junis eigen war, in Folge jener tiefen Kunde der geheimen Kräfte der Natur, welche sie aus den Traditionen ihres Volkes, oder, wie Jakob Alkendi, aus den Schriften Zoroaster's und des Hermes Trismegistos schöpften.

Onkel Wennemar, der eben vor Schrecken gezittert hatte, erzitterte jetzt vor Aufregung und Spannung.

O, die Araber! rief er aus.

Ich bitte, fahren Sie fort! sagte Maximilian.

Ehe ich mich Ihnen nahte, erwiderte Henrique Valderama, habe ich durch meine Kunst mich über Ihre Verhältnisse unterrichtet; ich habe Ihnen den Beweis gegeben, daß ich keine irrigen Resultate erhielt, sondern die Wahrheit erfuhr. Ich will Ihnen keine weitern Proben meiner Wissenschaft aufdringen, wenn Sie nicht danach verlangen; begehren Sie aber diese Proben, so will ich den Hohlspiegel anwenden, um Ihnen den Schlüssel zu den Geheimnissen zu geben, welche Sie ergründen möchten.

Was heißt das, den Hohlspiegel anwenden?

Haben Sie nie von der Art und Weise gehört, wie Giuseppe Balsamo der Gräfin Dubarri das Bild ihrer Zukunft vorhielt? Es geschah vermittels des Hohlspiegels; sie sah darin die Guillotine und das Blutgerüst und ihr eigenes schönes Haupt in den Sack des Henkers niederrollen. Auf ganz ähnliche Weise erhielt einst die Gemahlin des Vicomte Alexander von Beauharnais Aufschluß über das Loos ihres Mannes. Es war in der Schreckenszeit; die Vicomtesse Josephine befand sich als Gefangene im Karmeliterkloster, mit ihr zugleich der alte Groß-Kopta Duvivier; Alexander von Beauharnais saß im Kerker des Luxemburg; man hatte erfahren, daß er am vorigen Tage vor dem Revolutions-Tribunal erschienen sei. In der Angst um sein Schicksal wandte sich Josephine an den Groß-Kopta. Es war mitten in der Nacht; Duvivier ließ die unmündige Tochter des Kerkermeisters herbeiholen und indem er ihr die Hand auflegte, ließ er das Kind, »die Columba« in eine Caraffe mit Wasser blicken. Sie sah darin das Innere der Gefängnißzelle des Luxemburg, welche Beauharnais bewohnte, sie sah ihn Briefe schreiben, eine Locke seines Hauptes abschneiden, sie sah ihn alle Vorbereitungen eines Unglücklichen, der zum Tode geführt werden soll, machen. Zwei Tage nachher erhielt Josephine die Abschiedszeilen, die Locke ihres hingerichteten Gemahls. – Hier diente die Caraffe statt des Hohlspiegels, den man in dem Kerker sich nicht verschaffen konnte, und der die »Columba« überflüssig gemacht haben würde.

Der Hohlspiegel, der auf der Irritation und auf der Reflexion von magnetischen Kräften beruht, welche auf dem Grunde jeder in seelischer Beziehung nicht zu stiefmütterlich von der Natur behandelten Individualität schlummern – der Hohlspiegel ist ein Instrument, dessen Wichtigkeit für die Lebensgestaltungen der Zukunft, wenn auch noch nicht geahnt, doch darum nicht minder groß, gewaltig, ja, erschütternd sein wird.

Und was wollen Sie machen mit dem Hohlspiegel?

Ich will Ihnen darin das Geheimniß enthüllt zeigen, welches Sie beschäftigt; damit Sie Dem, was Sie sehen werden, Glauben schenken, erbiete ich mich zu einer Probe, die Ihnen unumstößlich sein wird; ich will in dem Hohlspiegel Scenen aus Ihrer Vergangenheit vor Ihnen auftauchen lassen, welche nur Sie kennen, deren Wahrheit Sie am besten beurtheilen können.

Maximilian erröthete bei diesen Worten; aber rasch diese Bewegung niederkämpfend und die verrätherische Farbe zurückdrängend, sagte er stolz, beinahe herausfordernd:

Mehr können Sie freilich nicht thun, Don Henrique … ich nehme Ihr Anerbieten mit Vergnügen an.

Und wo, wann soll es sein? fiel Wennemar, vor Spannung außer Athem, ein.

Der Spanier blickte nach Schloß Mildenfurth zurück.

Ich weiß nicht, ob ich für meine Operation hier …

O nein, unterbrach ihn Maximilian, hier nicht; der Bewohner dieses Schlosses würde uns nicht gestatten, unter seinen eigenen Augen gegen sein Geheimniß zu complotiren.

Bei uns, in Bursbeck, in meiner Wohnung, schlug Wennemar eifrig vor – ich habe Manches, dessen Sie vielleicht zu magnetischen oder magischen Operationen bedürfen, ich habe auch eine bedeutende alchymistische Bibliothek, mein Codex miraculosus …

Und wann? fragte Maximilian, indem er Wennemar unterbrach und ihm grausam das Vergnügen raubte, sich als Wissenden und Adepten bei dem Spanier geltend zu machen.

Es bedarf der Nacht und des günstigen Einflusses der Planeten.

Sind diese Planeten jetzt günstig?

Heute sind sie es – morgen nicht mehr.

Desto besser – also diesen Abend … in Bursbeck … nehmen wir keine frühere Stunde als die Mitternacht; es wird mir ohnehin ein Pferd kosten, denn ich muß durchaus heute in die Stadt zu Margarethen zurück.

Die Mitternacht – das ist zu spät, sagte der Spanier; es muß um die neunte Stunde sein. Um meine Vorrichtungen zu machen, werde ich Ihnen nach kurzer Weile folgen auf Schloß …?

Bursbeck! fiel Wennemar ein und beschrieb dem Fremden die Lage des nahen Gutes.

Also auf Wiedersehn! sagte dieser kurz, und verschwand aus dem Berceau.

Ich muß durchaus zu Margarethen zurück, um neun kann ich nicht schon wieder in Bursbeck sein, meinte Maximilian schwankend, aber Wennemar fiel rasch ein:

Zu Margarethen? – das ist nicht nöthig, denn wenn ich über Nacht nicht blind geworden bin, da kommt sie ja eben selbst!

Maximilian wandte sich schnell und sah in der That zu seiner größten Ueberraschung Margarethen in ihrem Reisekleide von ungefärbter Seide, den Florentiner Strohhut mit violetten Bändern auf dem blonden Lockenhaupt, während die violette opalisirende Mamille sich vor der Morgenfrische unter einem dunkelgrünen Reiseüberwurf versteckte. Maximilian flog ihr entgegen, er nahm ihre beiden Hände, er senkte einen tiefen Blick in ihr Auge, er hätte vor ihr auf die Kniee fallen mögen, um ihr Abbitte zu thun, denn, mochte nun sein, was wollte, an Margarethens Treue zweifelte er nicht mehr! Margarethe aber sah ihn mit einer Miene an, mit der die Sentimentalität seines stürmisch wogenden Geistes durchaus nicht in Einklang stand, sie sah ihn an, als wollte sie sagen:

Sieh, du hier, Maximilian? und du kennst wirklich deine Frau noch? und du bist wol gar so naiv, zu verlangen, daß sie dich auch noch kenne? oder daß sie dir gar gerührt in die Arme falle, du böser Mensch?

Margarethe! sagte er deshalb etwas kleinlaut … du hier? um diese Stunde?

Du lieber Gott, ich muß doch nach dir sehen … es sind kürzlich so viele Unglücksfälle von plötzlichen … sie deutete auf die Stirn … ich glaube, Gehirnerweichungen nennen es die Aerzte … vorgekommen.

Du bist grausam – aber du hast Recht!

Max! was sollte das heißen gestern?

Frage mich nicht danach, nenne es, wie du willst; ja sogar gegen den Ausdruck: Gehirnerweichung habe ich nichts einzuwenden – oder, höre, glaub, es sei eine Wette, die ich mit meinen Freunden eingegangen, nachdem sie mich geneckt hatten, daß ich nicht wagen würde, ohne Abschied von dir davon zu gehen und deinen heutigen Festtag ohne obligaten Blumenstrauß und Angebinde fern von dir zuzubringen – ja, glaube das und spiegle dich an diesem Vorfall, wie sehr du bereits im Rufe der Pantoffel-Herrscherin stehst – oder am allerbesten, denke gar nicht daran – sage mir lieber, was dich hierher führt und wohin du willst.

Margarethe gab ihrem jungen Gatten scherzend einen leisen Streich auf die Wange.

Perfider Mann! Und du kannst noch fragen, was mich hierher führt? Aber zur Strafe, daß du mich so erschreckt hast, will ich jetzt den ganzen Tag bei Onkel Ruprecht und Tante Amalgunde zubringen und heute von dir und von meinem Festtage nichts wissen.

Du wirst nicht aufgenommen bei Onkel Ruprecht und auch bei der Tante nicht. Tante Amalgunde befindet sich sehr wohl, hat aber das Gallenfieber, und Onkel Ruprecht ist mit Schlaganfällen aus Wuth und Aerger bedroht, wenn Jemand ihn mit seinem Besuche erfreuen will. Da wir jedoch Beide einmal hier sind, so schlage ich dir vor, nach Bursbeck zu gehen; man sehnt sich dort, dich zu sehen.

Margarethe willigte ein. Der Historiograph der Raubritterschaft drückte ihr beredt die Freude aus, welche man in Bursbeck über diesen Tag empfinden werde, und dann führten die Herren die Dame zu ihrem Wagen zurück, der noch draußen auf dem Hofe hielt. Während Margarethe einstieg, zog Maximilian das gesprächige Original, den Chronisten, bei Seite.

Lieber Wennemar, sagte er, über Das, was wir für den Abend beschlossen haben, sei discret … wir kennen diesen Don Henrique nicht und wissen nicht, welche Gaukeleien er uns zum Schauspiel geben wird … Wenn Margarethe davon erführe …

Ich begreife, ich begreife, Maximilian.

Sie könnte durch das Verlangen, zuzusehen, die Sache stören – wer weiß, ob mehr als Ein Anwesender …

Ja ja, antwortete lachend Wennemar – sie könnte stören, deine Gemüthsruhe wenigstens; der verteufelte Bursche, der Spanier will Scenen aus dem Junggesellenleben des Don Masimilian Rosoglio aus dem Grabe des Schweigens und der Vergangenheit heraufbeschwören … da möchte ich den Mann sehen, der die Anwesenheit seiner Frau bei solchen Dingen nicht außerordentlich störend fände!

Sieh, sieh, ich hätte dich gar nicht für so maliciös gehalten, kleiner Vetter Wennemar … nun denke, was du willst … aber schweige hübsch – gegen Alle, hörst du!

Wennemar legte den Finger auf den Mund und stieg ein. Max schwang sich auf seinen Fuchs, der unterdeß im Hofe auf und ab geführt worden war, und ritt dann neben dem Schlage der Calesche her, worin die Dame und Wennemar Haus Bursbeck zurollten, Margarethe mit Stolz ihres Gemahls edle Cavalier-Gestalt auf dem schäumenden und stürmischen Goldfuchs im Auge haltend.



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