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Das Banquet auf Chicksand-Castle.


Unter den Adelsfamilien Englands war im siebzehnten Jahrhundert eine der begütertsten und angesehensten die der Osbourne von Chicksand in Bedfordshire. Sie verdankte viel ihres Glanzes zunächst der treuen Anhänglichkeit, welche sie immer der Dynastie der Stuarts bewiesen hatte. Als im Jahre 1648 König Karl I. auf der Insel Wight gefangen saß, hielt sich der Chef des Hauses, Sir Peter Osbourne, mit seiner Familie dort in der Nähe des entthronten Monarchen auf, trotz der nicht geringen Gefahr, die ihm ein solches offenes an den Tag legen seiner Gesinnung drohte.

Bei der Restauration der Stuarts hatte er freilich keine Ursache, dieß Wagniß seiner Loyalität zu bereuen, desto unzufriedener aber war der Baronet von Chicksand mit der Vertreibung Jakobs II. und der Usurpation des Throns durch den Holländer, wie Sir Peter Wilhelms von Oranien Gelangung zur englischen Krone nannte. In einem Alter von 84 Jahren hatte er mit seiner Körperkraft noch ganz die alte, starre Unerschütterlichkeit in seiner einmal gefaßten Ansicht der Dinge, so wie jene Lehnstreue und ritterliche Ehrenhaftigkeit bewahrt, die ihn einst das Gefängniß seines angestammten Monarchen in Hurst-Castle auf der Insel Wight hatte theilen lassen.

Er blieb in steter Verbindung mit dem Hofe des vertriebenen Jakobs in St. Germain, und zwey Glieder seines Hauses, Gunstone und Ironside, waren die Unterhändler, welche Weisungen, Botschaften und Plane des frühern Königs an die, besonders in Irland zahlreiche Partei der mit den Resultaten der Revolution von 1688 Unzufriedenen überbrachten und dort neue Anhänger für die exilirte Dynastie anzuwerben suchten.

Schon einmal hatte König Wilhelm durch die siegreiche Schlacht am Boynefluß eine Empörung gegen seine Krone in Irland bekämpfen müssen; aber waren auch die Unzufriedenen und ihr französisches Hilfskorps damals auf's Haupt geschlagen, so wußte man doch, daß sich neue Erhebungen im Stillen vorbereiteten; und deßhalb hielt auch die Regierung des Oraniers fortwährend ein wachsames Auge auf alle Bewegungen in diesem Lande.

So kam es, daß einst dem Carl von Portland, König Wilhelms Premierminister, Nachricht von dem verdächtigen Erscheinen zweyer Anhänger der Stuarts im Süden Irlands gegeben wurde; darauf folgten mehre Briefschaften, deren man sich bemächtigt hatte, als man sie in dem Schlosse eines irischen Landedelmanns beherbergt wußte und dort zu verhaften beabsichtigte; sie waren den Dienern der Regierung durch die Flucht entkommen, eine Liste der Verschworenen hatte der Schloßherr verschluckt, die ergriffenen Papiere aber waren hinlänglich, um gegen die Esquires Gunstone und Ironside Osbourne von Chicksand den vollen Beweis des Hochverraths zu liefern.

Das Urtheil, welches die Bench des strengen Königs Wilhelm über sie sprach, war ungewöhnlich hart. Nicht nur befahl es die Verbrennung der Bildnisse der beiden Beleidiger der Majestät, welche man auf französischem Gebiete in Sicherheit glaubte, sondern es sprach zugleich gegen die ganze, seit Langem verdächtige Familie der Osbourne das Auslöschen ihres Namens in dem Adelsregister der Monarchie und das Zerschlagen ihres Wappens durch Henkershand auf öffentlichem Markt vor dem Heroldsamt zu London aus.

Der König war damals auf einem Feldzuge in Flandern abwesend; er würde sich seines Freundes, Sir William Temples, Verwandtschaft mit den Osbourne wahrscheinlich erinnert und die Sentenz gemildert haben: so aber befahl der Graf von Portland die Execution.

Als der Bote der Kingsbench, begleitet von dem Sheriff der Grafschaft Bedfordshire und zwey Konstablern, mit dem Urtheil in der Halle von Chicksand-Castle vor dem Baronet Sir Peter stand und ihm die verschnörkelten, krausen Perioden seines Briefs vorgelesen hatte, hielt es Anfangs schwer, dem alten Schloßherrn begreiflich zu machen, was man von ihm wolle; dann aber ergrimmte er in schäumender Wuth und hieß die Boten der Justiz in die Halseisen vor seinem Burgthore schließen, bis sie das ganze Pergament mitsammt dem rothen Siegel und seinen Riemen verzehrt hätten, – da er leider den »Holländer« nicht habe, um es ihn wie einen Edamer Käse schlucken lassen zu können; und als sein greiser Haushofmeister ihn beruhigen wollte, flog dem ältesten Diener seines Hauses ein schwerer Krückenstock, wie von einer herkulischen Kraft geschleudert, an den Kopf, daß jener blutend zu Boden sank.

Nach diesem Ausbruche seines Zornes fiel der Baronet in einen Zustand, in dem er wie leblos, mit stieren Augen vor sich hinschauend, in einem Armsessel lag, ohne Bewegung, ohne zu athmen, wie es schien, aber auch nicht ohnmächtig, denn er wehrte unwillig diejenigen ab, welche sich näherten, um ihm beizuspringen. So saß er mehre Stunden, die Blicke stier und gläsern auf das gemalte große Fenster seiner Halle richtend, wo in der Mitte das Wappenschild, ein springendes Einhorn, darüber als Zimier die blutende Hand der Baronets, in bunten Farben glühte; so saß er, bis die scheidende Sonne in den Scheiben blitzte und einen blutigrothen Schein hauchte auf das bleiche Antlitz des Greises mit den stieren, hervorquellenden Augen, den tiefen, wie gezackten Zügen und Furchen, und dem langen, weißen Barte, der bis zu der blanken Silberspange des Wehrgehenkes hinabhing.

Seine Söhne und Enkel, unter ihnen Gunstone und Ironside, die sich in Chicksand-Castle verborgen hielten, eine Schaar kräftiger Gestalten, standen um ihn her. In ihren Gesichtern lag mehr Grimm und Verzweiflung, als stille Wehmuth, daß das ehrwürdige Haupt ihres Hauses seinen Geist auszuhauchen und von ihnen zu weichen drohe mit den Lichtstrahlen des weichenden Tages, während das erschütternd verzerrte Antlitz des Greises noch aus seiner Ohnmacht heraus wie mit dem »bösen Blick‹ Verderben drohte. Ueber ihren Häuptern wehten leise flatternd, wenn das neugierige Dienstvolk die Thüre der Halle auf- und zuschloß, drei zersetzte Banner, zwey schottische, darunter eines von der Hand der Königin Margaretha gestickt, und ein französisches, das ein Osbourne unter dem schwarzen Prinzen heimgebracht hatte. Sie waren befestigt über Schildern und Tartschen, die an den Pfeilern hingen, und bildeten, an den Stirnen ausgemeißelter Pferdeköpfe befestigt, ein riesiges Horn, den Stolz und das ruhmbedeckte Wahrzeichen der Familie, das jetzt die Hand eines Henkers zerschlagen sollte; es war, als ob ein Schauder die bestäubten Sammtlappen mit den verblichenen, goldenen Fransen durchrieselte.

Plötzlich sprang der Schloßherr, nachdem er einen Seufzer ausgestoßen, der fast tiefem Todesröcheln glich, in die Höhe, wie von neuer Springfederkraft in seinen Gliedern gestählt, und wies mit herrischer Stimme die Diener hinaus. Dann wurde ein Familienrath gehalten und nach einiger Zeit ein Knecht abgesandt, einen Notar aus dem Landstädtchen Chicksand herbeizuholen. Der Baronet aber wanderte selbst und allein den Bergabhang, worauf sein Schloß lag, mit rüstigen Schritten hinab und verlor sich in Dämmerung und das Dunkel seiner Waldungen, die unten die Thalebene bedeckten.

Die Gegend war unbewohnt nach der Seite hin, auf viele Meilen Weges; nur eine zerstörte Kapelle lag dort und die einsame Hütte eines alten Weibes, das wahrsagte und mit allerlei Tränken für Menschen und Vieh, giftigen und gesundenden, die sie aus Kräutern und zerriebenen Metallen braute, ihr Wesen trieb; sie dankte dem Baronet ihr Leben, denn er hatte sie einst mit mächtigen Faustschlägen einem Pöbelhaufen abgejagt, der sie ersäufen wollte.

Es war tiefe Nacht fast, als der herbeschiedene Notar, gefolgt von zwey Nachbarn, die ihm als Zeugen bei den Verhandlungen feiner jurisdictio voluntaria zu dienen pflegten, den Weg nach Chicksand-Castle hinaufstieg. Die Sterne glänzten wie in reichen Dolden herab, daß man deutlich das schwarze Gemäuer von Chicksand-Castle mit dem gewaltigen, runden Donjon, der breit und plump wie eine verjährte Geburtsanmaßung in der Mitte stand und die schmalen Zinnen der jüngeren, wohnlicheren Theile des Gebäudes zur Seite drängte, scharf umrissen am dunkelblauen Himmel abgezeichnet sah. Die Zugbrücke lag nieder, als die drei Männer am ersten Thore angekommen waren, da, wo die Burgfreiheit begann; sie ächzte leis, wenn der Wind, der auf der Höhe vor dem Schlosse nie ausging, die rostigen Ketten hin und her bewegte; aber noch ein anderes Aechzen, wie von einer klagenden Menschenstimme, glaubte der Schreiber zu vernehmen, als er seinen Fuß auf die Brücke setzte.

»Hörtet Ihr nicht etwas jammern, Master Clarke?« sagte er zu einem seiner Begleiter.

»In der That, aber es muß im Innern des Hofes seyn, Master Willoughby. Es sieht düster aus auf Chicksand-Castle heute; daß der alte Will vergessen hat, die Pechfackel unter dem Thorweg anzuzünden und die Brücke aufzuziehen, sonderbar! der vergißt sonst nichts, was in seinen Dienst schlägt. Mit Sir Peter ist nicht zu spaßen, in keinen Dingen nicht!«

»Was nur da droben für uns zu thun seyn wird?« sagte der andere Zeuge; »die ganze Familie ist zusammengekommen, mit Weib und Kind; sie wollen Johannis zusammen feiern, und morgen soll ein Hetztreiben seyn auf den Wolf, der mitten im Sommer aus den Bergen von Wales gebrochen ist.«

»So werden wir dem Wolf das Testament machen sollen,« sagte Master Clarke, indem er laut auflachte über seinen Witz, daß das düstere, lange Thorgewölbe, durch welches die drei Männer schritten, nachhallte.

»Macht's dem alten Wehrwolf von Chicksand selber!« schrie nahe aus dem Dunkel neben ihnen eine keuchende Stimme unter Kettengerassel; »denn der Teufel ist auf dem Wege, ihn zu holen, so wahr ich Sheriff Middleton heiße!«

»Sheriff Middleton! Gott sey bei uns!« schrie der Tabellio und flog durch den Burghof, seine Nachbarn hinter ihm her, als säße die Hand des Teufels ihnen schon im Genick.

Als die drei Männer der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Gesindestube von Chicksand-Castle standen, beleuchtete die Gluth des auf dem schweren Eichenholztische aufgesteckten Kienspans drei todtenbleiche Gesichter, daß die Diener verwundert sie umstanden. Als aber Master Willoughby endlich zu sich gekommen war und mit emporgesträubtem Haar die Versicherung gegeben hatte, unter dem Thorweg gehe Sheriff Middleton mit glühenden Augen und einer dicken Ankerkette als Wehrwolf um, nahm der Haushofmeister bitter lächelnd sein Schlüsselbund und schritt mit einer Fackel hinaus; denn er hatte den ganzen Abend träumend, mit verbundenem Kopf hinter dem Eckschrank auf der Bank gesessen und darüber Sheriff und Konstabler und ihre peinvolle Situation in dem fatalen Halsband vergessen.

Unterdeß war der Baronet von seinem nächtlichen Gange zurückgekommen, und als er gehört, daß der Notar mit seinen Zeugen da sey, hieß er ihn hereinführen.

Der alte Herr saß allein an dem Fenster der Halle in seinem Lehnstuhle und blickte in die Nacht hinaus; der Haushofmeister erschrak, als er seinen Herrn sah, denn es war Sir Peters Gewohnheit nicht, in der Finsterniß allein zu sitzen und zu sinnen voll stummer Verschlossenheit; lieber hatte er seine Söhne oder Enkel um sich, und den Pokal auf dem Tische neben dem großen, bauchigen Burgunderkrug, und eine tolle Geschichte vom Hofe des lustigsten der Stuarts oder aus dem Kriegs- und Lagerleben seiner jungen Tage dazu.

»Redet ihn nicht an, und wartet, bis er Euch fragt; Sir Peter hat seine tollste Montagslaune heute,« sagte deshalb Griffith, der Haushofmeister, leise zu dem Notar, als sie eintraten, und hielt sich im Schatten eines Pfeilervorsprungs im Rücken des träumenden Greises; der Tabellio aber nahte sich dem Schloßherrn und stand unterthänig gebückt vor seinem Stuhle.

»Seyd Ihr es, Master Willoughby? Ihr habt Eile gehabt, scheint es,« sagte Sir Peter bitter und schneidend, als er den Schreiber vor sich sah.

»Haben Ew. Gnaden mich nicht rufen lassen? hab' ich nicht immer Eile gezeigt, Euch zu Diensten zu seyn?« versetzte der Notar, der nicht wußte, warum der alte Herr ihn so herrisch anfahre.

»Ja, es ist gut,« fuhr dieser fort, »aber Ihr kommt zu früh. Setzt Euch unten zum Gesinde und vertreibt Euch die Nacht, so gut es geht; laßt aus dem Keller heraufholen, was Ihr mögt, aber bezecht Euch nicht, oder ich drehe Euch den Hals um. Wenn es halb vier Uhr schlägt auf der Schloßglocke, so macht Euch mit Euern Zeugen auf und kommt in die Halle zurück. Was Ihr dann sehet, das schreibt der Wahrheit nach auf Euer Pergament, leserlich und ausführlich, und wie es in Euern Gesetzen bestimmt ist; dann schickt es an das Wappenamt in London. Hört Ihr? halb vier laßt Ihr es schlagen, nicht früher und nicht später; dann aber thut, was ich Euch befohlen habe. Jetzt scheert Euch hinaus.«

Als der Notar so sich entlassen sah, ging er hinaus und murmelte kopfschüttelnd dem lauschenden Griffith zu:

» Fide publica, Master Griffith, ich will meinen Kopf verwetten, wenn Sr. Gnaden Brüten nicht über einem faulen Ei sitzt und ein Küchlein ausheckt, das Eurem Hause zum rothen Hahn werden kann!«

Den Haushofmeister aber litt es nicht länger in der Dunkelheit eines Pfeilervorsprungs; er trat vor seinen Herrn hin und ließ sich auf ein Knie nieder, aber die Worte, die ihm auf den Lippen schwebten, schnitt der Baronet kurz ab, indem er aufstand und mit milderer Stimme sagte:

»Griffith, Du sollst ein Banquet in dieser Halle bereiten und das Beste heraufschaffen, was Du in den Kellern hast; gib auch meinen Dienern, so viel sie wollen, und als sey morgen der jüngste Tag. Ich will heute Nacht in dieser Halle ein Fest halten, wie noch keines darin gefeiert ist, seitdem die Grundmauern von Chicksand-Castle gelegt wurden. Mach dich ans Werk und sieh zu, bei Deinem Leben, daß Niemand mehr herauf zu kommen braucht, wenn Du den Tisch mit den Krügen und Pokalen bestellt hast, nicht eher, bis die Stunde gekommen ist, wo Du dafür sorgst, daß der Notar seine Pflicht thue.« –

Nach diesen Worten ging der Baronet langsam, mit schweren, hallenden Schritten hinaus, der alte Diener aber blieb auf seinem Knie liegen und blickte durch das Fenster zu den blinzenden Sternen hinauf, wobei feine Lippen sich bewegten, als ob er ein Gebet murmle.

Die Nacht war kaum um eine Stunde weiter vorgerückt, als ein lustiges Leben und Toben auf Chicksand-Castle laut wurde. Die Diener, die Roßknechte und die zunächst wohnenden Pächter waren in der Gesindestube zusammen gekommen und sangen und jubelten bei ihren vollen Weinkrügen, daß die Mägde und alle weiblichen Domestiken aus Angst vor der losgebundenen Rohheit davongelaufen waren und sich in ihre Kammern verriegelt hatten.

Nur zwei Männer saßen still unter dem allgemeinen Jubel auf der Bank, den Rücken an die Wand gelehnt, neben einander; das waren Master Willoughby, der Tabellio, der, von des Baronets Worten erschreckt, sich vor dem Bezechen hütete und über das faule Ei nachsann, welches Sr. Gnaden aushecken könnten, und Griffith, der Haushofmeister, der voll Angst auf die Töne lauschte, die aus der Rittterhalle herüberdrangen. Nach einer Weile schritt er hinaus und stieg sachte die Wendelstiege empor, um besser vernehmen zu können, was die Herrschaft dort oben treibe, die ihm so strenge befohlen, Niemand herauf zu lassen.

So stand er lauschend, der alte Mann, auf der engen Stiege, eine Hand an sein Ohr haltend, mit der andern an die Wand sich lehnend, daß er die ganze Breite der Treppe einnahm. Er senkte den Kopf mit einem Stoßseufzer, daß seine Sinne vom Alter so stumpf geworden und sein Ohr keinen deutlichen Ton mehr aufzufassen vermöge, sondern ihm jetzt eine Todtenstille vorspiegle, wo er doch dreizehn kräftige und gesunde Männer beim Banquette und ihren Krügen voll Burgunder- und Xeresweins wußte. Da huschte plötzlich etwas an ihm weich vorüber, sein Arm wurde sachte, aber mit einer Kraft, die keinen Widerstand zuließ, weggeschoben, daß er, seiner Stütze beraubt, auf das Knie sinken mußte und an der Kante der steinernen Stufe, die zunächst vor einem Fuße war, das Schienbein sich wund quetschte; zu gleicher Zeit sah er ein lichtes, flatterndes Gewand mit dem letzten Zipfel um die nächste Biegung der Stiege verschwinden. Oben wimmerte ein Säugling.

»Gott steh uns bei in dieser Nacht!« murmelte Griffith, indem ihm der kalte Schweiß auf die Stirne trat. »Das ist die Jungfrau von Chicksand, die wieder umgeht: es ist das letzte Mal, daß Du sie siehst, Griffith!«

Seine Angst ließ ihn nicht länger auf der Stiege; aber er schritt nicht hinab, sondern warf die schweren Schuhe von seinen Füßen und schlich leise auf den Socken die Stufen hinauf, die zur Thüre der Halle und dann schmaler werdend noch weiter empor führten auf einen Corridor, welcher, an einem Ende von einer Balustrade geschlossen, sein Licht aus der Halle empfing und einen freien Blick in den großen Raum hinunter gewährte. Hierhin tappte der alte Mann die Stiegen hinauf. Das Ende des Corridors war von den Streiflichtern, die von den unten an den Wänden flammenden Fackeln durch die Stangen der Balustrade schräg hinauffielen, grell und rothglühend erhellt, aber Griffith hielt sich seitwärts im Schatten an der Wand und lugte so unsichtbar in die Halle hinab.

Ihm gegenüber am Ende des schweren, gebohnten Tisches saß der Schloßherr in seinem hohen Armsessel, an beiden Seiten hinab seine Söhne, Enkel und Neffen, dreizehn Männer in Allem, Alle in ihrem besten Waffenschmuck, im Harnisch und das Schlachtschwert seitwärts an ihre Sitze gelehnt. Zwey von ihnen hatten Jeder einen Säugling auf ihrem Schooße liegen, ein dritter einen Knaben von etwa fünf Jahren rittlings auf seinem Knie.

Vor dem Baronet stand der große Familienpokal, ein springendes Einhorn, künstlich gearbeitet aus getriebenem Silber, mit vergoldetem Horn, Schweif und Mähnen; er hatte den Deckel herunter genommen und goß zwey Krüge Weins hinein und nahm dann eine Phiole, aus der er einen braunen Saft dazu mischte. –

»Um vier Uhr, wenn es von St. Giles läutet,« sagte er dann mit einer hohlen, wie gebrochenen Stimme, in der eine Art gefaßter Wuth lag, »wird die Hand eines schmutzigen Buben dieß Sinnbild der Reinheit und der Kraft beschimpfen, das seit Jahrhunderten der würdig behauptete Stolz der Osbourne war, in dieser Nacht wird der Henker es zerschlagen, um eine Schande darüber zu bringen, die zu entsetzlich ist, um sich dem Lichte des Tages zeigen zu dürfen. Wer den Muth hat, ohne das Wappen zu leben, das seine Väter rein und glänzend zu halten wußten, zu leben mit dem Brandmal des Schimpfs auf seiner Stirne, hinuntergetreten in die niedrigste Hefe des Pöbels, der gehe hinaus und labe sich an der vogelfreien Luft, die sein Element wird, wenn die Glocke von St. Giles viere läutet, der gehe hinaus und verberge sich in die Nacht, die den Mantel um seine Schande breitet: er hat in der Halle der Osbourne nichts zu suchen und das Blut ihrer Adern rollt nicht in den seinen. Wer aber nicht will, daß man sage, es habe ein Makel an dem Namen, ein Flecken auf dem Wappenschilde seines glorreichen Hauses gehaftet, so lange auch nur ein Sproß desselben am Leben gewesen sey, der thue mir Bescheid aus diesem Becher: er läßt für uns die Glocke von Sanct Giles keine Stunde mehr schlagen.«

Der Baronet erhob sich und trank; dann reichte er seinem ältesten Sohne den Familienpokal, der ihn weiter herum sandte, bis sie Alle in raschen, entschlossenen Zügen geschlürft hatten. Den Säuglingen wurde mit Löffeln daraus eingetränkt, der Knabe, der verschüchtert in die düstern und stummen Gesichter seiner Ohme schaute, schlürfte den Rest mit der Hefe ein, worauf er auf der Stelle Zuckungen bekam und winselnd sich zusammenkrümmte, bis er nach wenigen Minuten mit einem leisen Schrei todt an die Brust seines Vaters sank.

Der Schloßherr wischte bei diesem Anblick eine Thräne aus seinen grauen Wimpern, lehnte sein Haupt an die Lehne seines Sessels zurück und sprach einige Worte, die nicht mehr bis in den Versteck des lauschenden Griffith hinaufdrangen.

Der alte Haushofmeister sank in die Knie, als er aus dem Tode des Knaben den unseligen Hergang und das ganze Unheil begriff. Seine Glieder brachen unter ihm zusammen, eine kalte Todesangst hauchte ihn an, es war ihm, als legte sich die eisigfeuchte Hand der spukenden Jungfrau von Chicksand in seinen Nacken, auf seine Brust, als schnüre sie ihm die Kehle zu. Er sank besinnungslos zu Boden.

Als die Thurmuhr mit lauten Schlägen halb vier in die Nacht hineingellte, machte sich Master Willoughby auf, an sein Geschäft zu gehen, wie ihm Sir Peter geboten hatte. Von seinen Zeugen und einem Knechte, der taumelnd die Fackel hin und her schlenkerte, gefolgt, stieg er die Wendeltreppe hinan und trat in die Halle,

»Sie haben des Guten zu viel gethan, Master Clarke,« sagte er. »Seht, wie sie da liegen, der eine über dem Tische, der andere drunter; eine schöne Stunde, einen Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit vorzunehmen! Du Bursch da, halte die Fackel gerade! das glühende Harz wird dir auf die Bärentatzen laufen. Geh hin und wecke Sir Peter!«

»Thut das selbst, Master Willoughby, wenn Ihr es könnt,« sagte der Knecht, indem er sein Licht vor das bleiche Antlitz des Schloßherrn hielt, der die Hände krampfhaft über dem Leibe in einander gepreßt, zusammengekauert in einem Sessel saß, das eine Knie bis an das bärtige Kinn hinaufgezogen. –

»Wenn Ihr es könnt, Master Willoughby,« sagte der Knecht, »denn bei meiner armen Seele, Sir Peter ist todt!«

»Todt? Gott sey uns und ihnen gnädig! Von diesen Schläfern athmet keiner mehr!«

Trotz dem vergaß der Notar seine Pflicht nicht. Ein Dokument, welches nach einer Woche beim Wappenamt zu London einlief, bezeugte für ewige Zeiten, daß kein männlicher Sproß des Hauses Osbourne die Schande seines Namens habe erleben wollen, und daß sie Alle mit makellosem Wappenschild zur Erde bestattet seyen in der Gruft ihrer Ahnen an der Dorfkirche zu Chicksand in Bedfordshire.



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