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Die Schlacht bei Jemmingen war geschlagen, die Truppen der edlen, nassauischen Fürstenbrüder hatten sich zerstreut, und gegen Alba und seine Spanier gab es in allen Niederlanden keinen Damm, keine Schutzwehr mehr. Der Zorn des schwarzen Herzogs stand wie ein dunkles Ungewitter über dem bebenden Lande. Er selbst war auf dem Heimzuge aus Friesland nach Brüssel begriffen, rechts und links eine breite, blutbenetzte und flammenlodernde Bahn über die geängsteten Gegenden ziehend, durch welche sich der Strom seiner entmenschten Spanier fortwälzte. Mehre Stunden oberhalb Gorkum war er über die Waal gegangen und hatte sich von da nach Breda gewendet, während ein detachirter Heerhaufe Schloß Loevestein, das später durch Hugo Grotius' Gefangenschaft und Flucht so berühmt gewordene Fort am Zusammenflusse von Maas und Waal, umlagert hielt und unablässig bestürmte.
Rechtsab von dem Wege, den Alba eingeschlagen hatte, und eine Strecke vor seiner Vorhut her zog ein starker Trupp der »Busch- oder wilden Geusen« in der Richtung auf Gertruidenberg zu, um von da aus die großen Schelde-Inseln Tholen und Duiveland zu erreichen.
Es war ein warmer, stiller Nachmittag im August des Jahres 1568. Der kriegerischen Wanderer mochten etwa vierzig seyn, theils zu Fuß, theils reitend auf schweren flandrischen und friesischen Gäulen. Es waren wettergebräunte, verwegene Gesellen, in Koller oder Harnisch, in Helm oder Federhut, Alle mit Waffen der verschiedensten Art beladen und Wenige ohne Narben in den bärtigen Gesichtern. Zwey entschlossene Anführer standen an ihrer Spitze, Jacob Huclé und Jan Michael, und obgleich sie sowol, als die ganze Sache der Freiheit in einer hoffnungslosen Lage waren, so stand doch weder in ihren Zügen noch in ihrem Wesen etwas geschrieben, das auf Entmuthigung oder Verzagen gedeutet hätte.
Ihr Weg führte sie durch eine Gegend, in der junger Erlen- und Birkenaufschlag über sumpfigem und binsenreichem Grunde mit höher gelegenen Strichen abwechselte, wo Eichen und Buchen genug trockenen Bodens gefunden hatten, um einen stattlichen Hochwald zu bilden. Die Sonne blitzte hier mit schrägen Strahlen durch die Laubkronen und legte große, heißschimmernde Flecke auf den gelben Moosboden des Weges, den die Truppe zog. Aber in Helmen und blanken Waffen blitzte sie nicht, denn das Rüstzeug der Männer war dunkel und rotgefärbt, die Koller waren geflickt, die Krägen und weiten Faltenhosen vom Regen verwaschen, und die ehemalige Pracht des feurigen Roths oder hellglänzenden Gelbs an Wamms und Jacke war überall dahin geschwunden in dunkle und verblaßte Farben.
»He, Kobus Huclé!« rief Jan Michael, der an der Spitze ritt, aus und warf seine lange Gestalt im Sattel zurück, um die Faust im Stulphandschuh auf die kolossale Kruppe seiner Stute zu stützen.
»Was gibt's, Jan?« antwortete aus dem nächsten Trupp hinter ihm der kleine Kobus, der seine Beine mit außerordentlicher Sorglosigkeit an den Weichen eines sehr mageren Gaules hin- und herschlenkerte, »was gibt's, langes Menschenkind?«
»Wo ist Nolfus? Nolfus van den Ende? Die Buschgeusen reiten in den Wald ein. Was grüßen sie ihn nicht! Nolfus soll Eins anstimmen!«
»Nolfus, Nolfus!« rief es aus mehren tiefen Baßkehlen im Chore. »Meister Kobus ruft Euch.«
»Laßt Eure helle Stimme klingen und hangt nicht auf dem Sattel, als machtet Ihr Rechen-Exempel, Nolfus!«
Der Angerufene ritt unter den Letzten des Schwarms, und obwol auch er eine verwilderte, bärtige Figur war, die trotz Jedem in der Truppe ihre tiefe Schmarre über der Wange trug, so zeichnete er sich vor den Andern doch vortheilhaft aus. Sein grauer Hut mit breitem Rande und der Geusendevise hatte einen stattlichen, rothen Federbusch, das Wehrgehenk war reich mit Gold ausgestickt, und die Nestelschnüre seines gesteppten, gelben Wammses endeten in schwere, silberne Spitzen. Er hob den Kopf, strich eine Fülle langen, hellblonden Haares aus der Stirn und intonierte dann, ohne sich weiter bitten zu lassen, mit einer ganz bewundernswürdig schönen Tenorstimme den ersten Vers eines Volksgesanges, in den alsbald Chor machend seine sämmtlichen Gefährten einfielen:
Helpt nu u selfs, soo helpt u Godt
Uit der tyrannen handt en slot,
Benaude Nederlanden;
Ghy draegt den bast al om u strot,
Rept flucx u vroome handen.
Während so der laute Gesang der Männerschaar die schweigenden Echo's der Waldung weckte, sank Nolfus nach und nach wieder in sein früheres Brüten zurück. Seine Stimme summte bald nur noch leise die Strophen des Liedes mit, sein Pferd machte immer langsamere Schritte, und nach und nach hatte sich eine ganze Anzahl moosiger Stämme zwischen ihn und den letzten seiner rascheren Gefährten geschoben.
Nolfus schien dieß beabsichtigt zu haben; denn sobald er sich außer Beobachtung sah, ritt er plötzlich rasch links ab vom Wege der Andern und auf den Stamm einer uralten Buche zu, die den Eichen rings umher nichts an Höhe nachgab und alle durch die Ausdehnung ihrer prachtvollen Wipfelkrone übertraf. Nolfus sprang zur Erde, als er bei ihr angekommen; mit spähendem Auge wandelte er rings um den Stamm – er suchte etwas an dem Baumstamme, schien es – in Mannshöhe – ja, und da stand es auch, was er suchte, nichts Anderes, als ein großes K, das sehr kunstlos frisch in die Rinde geschnitten war.
Mit dem Ausdruck großer Freude sprang der Geuse wieder in den Sattel, verfolgte in raschem Trabe einen Fußpfad, der von dem Baume weiter in das Walddickicht lief, und hatte nach weniger als einer Viertelstunde Weges den Ausgang des Gehölzes erreicht. Sein Ziel lag vor ihm inmitten einer ausgedehnten Wiesenfläche – es war eine alte und feste Wasserburg, von vier Thürmen flankiert, mit zackigen Giebeln sich emporhebend aus breiten und dunkeln Wassergräben, über die eine leichte, hölzerne Zugbrücke ins Innere führte.
Nolfus band sein Pferd an einen Ast im Gebüsche, dann schritt er zu Fuß auf die Burg zu, die einsam und verlassen da lag im stillen Abendsonnengolde. Ueber die unter seinen Tritten ächzende Zugbrücke kam er in einen hallenden, gewölbten Thorweg. Hier trat ihm ein bewaffneter Knecht mit einem großen, silbernen Wappenschilde auf dem linken Wammsärmel entgegen.
»Was, seyd Ihr es, Junkherr van den Ende!«
»Ja, ich bin es, Clas; ich will die Tochter Eures Herrn sprechen und ich hoffe, Ihr führt mich zu ihr, ohne erst viel Aufhebens davon in der Burg zu machen.«
»Von Herzen gern, Junkherr,« sagte der Knecht leiser; »aber ich rathe Euch, in Rassinghem keinen Augenblick länger Euren rothen Federbusch spazieren zu tragen, als Eure Geschäfte es nöthig machen.«
»Und weßhalb nicht?«
»Weil wir die Spanjarden auf eine Stunde Weges von hier haben, in Hill, wo unser Herr sie begrüßt. Gott stehe uns bei, daß sich kein Streifkorps bis hieher verirrt!«
Der Knecht hatte den jungen Geusen eine Wendelstiege hinaufgeführt, und nachdem Beide oben eine mit Fließen bedeckte Halle und dann ein dunkles Vorgemach durchschritten, schlug der Diener einen farbigen Teppich zurück, der den Eingang in ein großes und üppig eingerichtetes Gemach verhüllte. Der schwere Reiterstiefel des Geusen trat auf kunstreiche Gewirke Arras'scher Weberstühle; vergoldete Vogelkäfige mit indianischen Reißvögeln hingen an seidenen Schnüren von der getäfelten Decke nieder, und die goldgepreßten Ledertapeten waren bedeckt mit schönen Schildereien niederländischer Meister. Von den chinesischen Vasen auf dem Kaminsims und der Künstlerarbeit an dem geschnitzten Holzwerk bis zu der Reihe sorgfältig gepflegter Blumen und Gewächse, die über die Scheiben des einzigen, unermeßlich hohen Fensters ihre Ranken woben – Alles deutete auf den Reichthum der noch unerschöpften Niederlande und den Lebensgenuß, der sich da zu einer Art geschmackvoller und heiterer Philosophie auszubilden pflegt, wo der Ueberfluß den Druck der Sorge fern hält.
Der junge Geuse achtete wenig auf den phantasiereichen Luxus, der in diesem Gemache herrschte. Sein Herz pochte voll Beklommenheit. Ihm gegenüber auf dem Polstersitz in der Fensternische saß eine junge Dame, den linken Arm auf die Brüstung stützend und mit den schmalen, runden Fingern die Blätter eines Geraniums zerreibend, während die schräg hereinfallenden Sonnenstrahlen einen goldenen Schimmer auf ihr hellblondes, gelocktes Haar legten. Sie umzeichneten zugleich scharf ihr feines und regelmäßiges Profil.
»Anna!«, sagte der junge Mann leise – »bleibt eine Weile so – ich bitte Euch! Ihr seyd so schön – und wenn es zum letzten Male ist, daß ich Euch sehe, so laßt mich Euer Bild, wie es jetzt mir erscheint, tief in meine Augen und meine Seele saugen.«
»Arnolf, seyd Ihr da!« rief das Mädchen aus und fuhr überrascht empor, daß die schwarze Seide ihres Kleides laut in allen Falten aufrauschte.
»Wie Du siehst, Anna! ich habe Dein Zeichen im Walde gefunden, wie wir es verabredeten, als wir im Hause Barlaimont's zu Brüssel zusammen den Reihen tanzten.«
»Ja, Junkherr van den Ende,« versetzte sie erröthend, »es war damals, als wir wie leichtsinnige Kinder über einem Abgrunde tanzten, über einem Abgrunde voll Blut und Gräuel!«
»Und jetzt – reut es Dich, Anna?«
In der Stimme des Geusen lag eine tiefe Innigkeit, die mit seinem wettergebräunten Gesichte und seinem verwilderten Aeußeren in auffallendem Contraste stand.
Auch vermochte Anna nicht, das Ja, welches auf ihrer Lippe schwebte, auszusprechen und der Empfindung des jungen Mannes die Kränkung zuzufügen, die sie für ihn in Bereitschaft hatte. Sie schwieg verlegen.
»Ich weiß wol, Anna,« fuhr van den Ende fort, »daß es thörichte Hoffnungen waren, mit denen ich zu Dir eilte. Jetzt, wo ich vor Dir stehe, fühle ich es. Ich bin ein Sohn des Waldes geworden, meine Züge rauh, wie mein Handwerk, der Kampf auf Leben und Tod, dem ich verfallen bin, hat seine wilde Hieroglyphe mir ins Gesicht geschnitten; auf meinen Lippen ruht nicht mehr die Schmeichelrede, wie ehemals in der Umschlingung des Tanzes, sondern es strömen vermessene Ausrufe der Verzweiflung darüber, die mich mein Schicksal lehrte; Du liebst mich nicht mehr, Du kannst es nicht – ich will Dir keinen Vorwurf machen; gib mir nur einmal noch die Hand – zum letzten Male, und dann – leb wohl!«
Anna's ganze Gestalt wurde aufs heftigste erschüttert – sie wollte ihm die Rechte reichen, aber sie zog sie zurück, und beide Hände faltend, sagte sie mit der Stimme des innigsten Flehens:
»Arnolf, Arnolf – bei Gott, das ist es nicht – aber ich schaudere vor Dir zurück – o wende Dich ab von dem Bunde, den Du eingegangen bist, von dem Bunde mit Mördern!«
»Meine Hände sind rein von Blut, wenn es nicht in der Schlacht vergossen wurde!«
»Noch sind sie es – aber wie lange werden sie es bleiben? Wohin die wilden Geusen kommen, da ist der Mord in ihrem Gefolge; Ihr tödtet die Diener Gottes und der Kirche, Ihr erschlagt die Priester am Altare, Ihr mordet wehrlose Männer mit dämonischer Grausamkeit, unter herzzerreißenden Qualen! O Arnolf, kehre zurück von Deinem gottlosen Entschluß!«
»Wir schlagen uns für die Freiheit, Anna, und sparen unser eigenes Blut nicht, viel weniger das unserer Feinde. Grausamkeiten hat man in meiner Gegenwart nicht begangen; man streut Lügen über uns aus!«
»Nein, nein – Arnolf, Du mußt, Du sollst Deinen Bund mit ihnen lösen!«
»Ich kann es nicht: die Spanier haben meinen Vater ins Gefängniß geworfen, daß er aus Kummer gestorben ist; ohne auch nur einen Vorwand des Verdachtes gegen Jacob van den Ende, den großen Advocaten von Holland, finden zu können, haben sie seine Güter geraubt und mich hinausgetrieben aus meines Vaters Hause, von meines Vaters Herde. Wohin soll ich zurückkehren? habe ich eine Stelle, wohin ich mein Haupt legen kann?«
»Mein Vater will bei Alba auswirken, daß Du sicher wohnen darfst, wo Du willst.«
Der Junker schüttelte den Kopf.
»Wer einmal auf der Liste des Blutrathes steht, für den ist keine Sicherheit mehr. Euer Vater mag sich selber vor Alba hüten. Er hat ihn in Verdacht, weil er ein Vetter des Hauses van der Noot ist – er weiß es, daß die van der Noot ihn ermorden wollten auf seiner Wallfahrt nach Groenendal im Sonjerwalde – seine Gedanken schleichen wie giftige Schlangen in lautlosen Windungen um diese dunklen Plane, die er nicht ganz entwirrt hat und doch wol ahnt. Laßt mich gehen, Anna – meinem Geschicke nach – ich kann nicht anders – aber laßt Eure letzten Worte für mich nicht solche seyn, die Ihr bereuen müßtet, wenn Ihr über kurz oder lang hört, daß ich gefallen bin für die Freiheit der Niederlande.«
»O fort mit Eurer Freiheit, nach der Ihr mit Freveln und blutigen Schandthaten ringt – o Arnolf, Arnolf!« rief Anna aus und warf sich im heftigsten Affect vor dem Geusen auf die Knie – »zieht nicht weiter mit den Mordgesellen! laßt mir den einzigen Seelentrost in dieser bittern Zeit, daß ich Euch nicht aus meinem Herzen zu reißen brauche!«
»Anna, Anna! stehe auf, um Gottes willen auf!«
Sie sprang auf, sie umschlang ihn mit einer Heftigkeit der Leidenschaft, welche nur in einem sonst so stillen und verschlossenen Gemüthe, wie das ihre war, auflodern konnte, und griff dann plötzlich nach dem Federhute, den der junge Krieger in seiner Hand hielt. »Fort mit dem garstigen Feldzeichen, mit dem Du dem Bösen verschrieben bist!« rief sie aus, riß das breite, gestickte Band ab, das den Hut umschlang, und schleuderte es weit von sich auf den Boden.
»Anna, was thust Du – laß mich – horch, Roßhufe auf der Schloßbrücke – ich muß fort, fort!«
»Arnolf – o, bleib, bleib – das ist mein Vater, der heimkehrt – wenn ich es nicht vermag, soll er Dir's sagen, daß Du an Deinem Gott, Deinem Glauben und Deiner Seele frevelt, wilder Geuse!«
Sie hielt ihn fortwährend umschlungen, und wie willenlos blieb er auf die Stelle gebannt, sein blaues, schwärmerisches Auge tief in das leidenschaftlich glühende ihrige gesenkt. Die Minuten schwanden Beiden unvermerkt; da rasselten Waffen auf dem Corridor – der Vorhang wurde hastig zurückgeschlagen, und: » Valga me dios!« sagte eine fremde, unangenehm heisere Stimme, daß Beide auseinander flogen, wie von der Zunge einer Viper gestochen. Auf der Schwelle des Gemachs, halb von den Falten des Teppichs überhangen, stand ein Mann in schwarzer, spanischer Tracht, Niemand anders als der gefürchtete Blutherzog Alvarez de Toledo.
Anna's Vater, der Sire van Rassinghem, ein Edelmann von zager und unentschlossener Gemüthsart, hatte bis jetzt sich weder den Unterzeichnern des berühmten Compromisses angeschlossen, noch durch irgend eine Theilnahme an den politischen Vorgängen jener Tage seine Sicherheit gefährdet. Er wünschte als Philipp's des Zweyten loyaler Unterthan zu gelten, so lange es die Umstände irgend erlaubten. Darum war er dem Herzoge von Alba entgegengeritten, um ihm eine Huldigungen darzubringen, als der spanische Heerführer auf seinem Zuge die Gränzen seiner Herrschaft berührte.
Aber Alba war nicht ohne Mißtrauen gegen den Sire van Rassinghem; der vorsichtige Edelmann hatte mißliebige Familienbeziehungen, und – er war reich – die schlimmste, die gefährlichste aller Eigenschaften, welche man unter den Augen der spanischen Unterdrücker haben konnte.
»Sire van Rassinghem,« hatte der Herzog gesagt, als der niederländische Edelmann demüthig neben seinen Steigbügel trat und sein graues Haupt nicht aufzurichten wagte vor dem fremden Soldatenführer – »Sire van Rassinghem, es freut mich, Euch zu sehen; ich bin Euch gewogen, und da es in meinem Plane lag, bei Euch das Nachtquartier zu nehmen, so ist es desto besser, daß Ihr da seyd, mich und mein Gefolge zu führen.«
Der Edelmann dankte unterwürfig für die unerwartete und zweifelhafte Ehre und ritt dann als Führer der Truppe Spanier voraus, welche den Herzog begleiteten, während Heerschaaren desselben in ihrer früheren Richtung weiter zogen.
Als der Sire van Rassinghem feinen Gast in das Wohngemach seines Hauses treten ließ und über die Schulter desselben hinweg die Gruppe der beiden jungen Leute sah, entfuhr ihm ein leiser Schreckensruf. Ein Geuse unter seinem Dache – das war genug, um seinen Kopf fallen zu machen!
Der Herzog trat mit langsamen, festen Schritten in's Gemach und verbeugte sich mit großer Lässigkeit und ohne eine Spur freundlichen Lächelns vor der Dame.
»Verzeiht, daß ich störe, Senhora. Wer ist dieser Gegenstand Eurer Huld?«
»Ein Vetter unseres Hauses, erlauchter Herr!« stammelte Anna todtenbleich.
Alba's Auge blitzte rasch über die Gestalt des jungen Geusen weg, und dann sich in den nächsten Armsessel werfend, sagte er:
»Sire van Rassinghem, Euch hat der Ritt angegriffen – Ihr seyd sehr blaß.«
»Die große Hitze, gnädiger Herr, am heutigen Tage.« –
»Ja, der Tag war heiß, und nun wird Euch der Abend noch schwüler.«
Der Junkherr van den Ende hatte sich unterdeß gegen Anna und ihren Vater verbeugt und ging mit ruhigen Schritten der Thür zu.
»Heißt den Menschen bleiben,« sagte der Herzog.
»Nolfus – hört Ihr nicht – Ihr sollt bleiben, Nolfus!«
Der Junkherr antwortete mit einem stolzen Blicke auf den Befehl des Spaniers und verließ das Gemach.
»Euer Vetter ist schlecht erzogen, Senhora. Habt die Huld und zeigt mir das gestickte Band dort, welches hinter Euch am Boden liegt.«
Anna schwindelte es, sie hielt sich an der Lehne eines Stuhles aufrecht, und die Antwort, die sie stammelte, erreichte kaum das Ohr des Herzogs.
»Ich verstehe Euch nicht – sagtet Ihr, es sey unziemlich, einer Dame Befehle zu geben, statt Ihr zu dienen? Ja, ja, Ihr habt Recht; ich hole es selbst.«
Er stand auf; Anna kam ihm zuvor und bückte sich, um es aufzunehmen, und während sie dann wankenden Schrittes sich dem Herzog näherte, um es ihm zu überreichen, ruhte sein schmalgeschlitztes, funkelndes Auge mit einem Ausdruck unaussprechlichen Hohnes auf ihr.
»Ich danke Euch, Senhora. Es ist schön – habt Ihr es selbst gestickt? So fein und zierlich! Wie der goldene Geusen-Wahlspruch sich stattlich auf dem grünen Sammt ausnimmt: › Liever turx dan pausch!‹ Ein gottesfürchtiger Spruch! Was meint Ihr, Rassinghem, wenn ich mich daran hielte und Euch so ein Stücklein echtes Türkenthum zu schmecken gäbe? Sie haben prompte Justiz, die Türken – ertappt und dann gehangen!«
Anna warf sich mit einem Weheruf in die Arme ihres Vaters, und indem sie ihn umklammerte, rief sie:
»Vater, Vater, was habe ich gethan!«
»Herr, geht nicht mit uns ins Gericht,« flehte zitternd van Rassinghem, »bei dem Allmächtigen, wir sind König Philipp's treue Unterthanen!«
»So sprechen sie Alle,« sagte Alba, ruhig das Geusenband durch seine Finger flechtend und in den Stuhl zurückgelehnt.
»Thut meinem Vater nichts, laßt meinen Vater ungehärmt!« rief Anna leidenschaftlich aus; »ich war es, die dem Geusen erlaubte, diese Schwelle zu übertreten, und dann riß ich selbst den frevelhaften Spruch von seinem Hute.«
»Seyd ruhig, ruhig, Senhora; es ist ja nur ein Scherz. Ihr habt es nicht mit einem Türken, sondern mit einem guten Christen zu thun, der Euch Eurem Rechte nicht entziehen wird. Der Consejo de las altercaciones soll sich gewissenhaft der Prüfung Eurer Gesinnungen unterziehen. Es wird mich freuen, Eure Gesellschaft auf dem Wege nach Brüssel genießen zu können.«
Der Herzog erhob sich, grüßte mit kalter Miene und ging, um durch sein Gefolge seinen Wirth und dessen Tochter verhaften zu lassen. Er hatte gefunden, was er zu suchen gekommen war – eine Schuld! Der Consejo, vor den die Unglücklichen geschleppt werden sollten, war das gefürchtete Gericht, das man in den Niederlanden den Blutrath nannte.
Unterdeß war der Junker van den Ende dem Anscheine nach ruhig, wenn auch stürmisch klopfenden Herzens die Stiegen niedergeschritten und hatte mitten zwischen den Haufen der Spanier durch, die sich in die untern Räume einquartierten oder mit dem Entsatteln ihrer Pferde beschäftigt waren, seinen Weg aus dem Hause gefunden. Die Kaltblütigkeit seiner Haltung rettete ihn; man dachte nicht daran, daß es eine Ursache geben könne, ihn aufzuhalten, das Geusenzeichen war ja nicht mehr an seinem Hute – und als der junge Mann einmal die Zugbrücke hinter sich hatte, war er hurtig genug im nahen Walde und auf dem Rücken seines Pferdes, um sich aus dem Bereich der Verfolgung bringen zu können.
Der Geusentrupp, dem er angehörte, wollte in einem Dorf, das Poperinghe hieß, übernachten. Unser Junker kannte die Gegend, in der er sich befand, von früheren Besuchen auf Rassinghem her, und nach einer Stunde scharfen Rittes war er in dem bezeichneten Dorfe. Die Schenke mit großem Schild und dem unvermeidlichen: »Hie verkoopt men Drank,« lag am Anfange des Ortes. Ein alter Geuse, der, ehemals Knecht seines Vaters, jetzt für des Junkers Pferd zu sorgen pflegte und halb den Diener, halb den Vertrauten machte, stand wartend an der Thür.
»Gut, daß Ihr wieder kommt, Herr Nolfus! Sie haben Anfangs wacker geflucht, als sie Euch vermißten. Doch hättet Ihr jetzt immerhin etwas länger bleiben können.«
»Was gibt's denn?«, fragte van den Ende, vom Pferde springend.
»Geht jetzt nicht hinein. Ihr habt ein mitleidiges Gemüth. Da ist's nichts für Euch! Es ist zum Erbarmen! es ist grauenhaft!«
Der alte Geuse fuhr mit dem Rücken seiner Hand über die Augen.
»Ich glaube gar, du weinst, alter Tropf!«
Van den Ende trat in die Schenke. Es war in der That ein schauderhaftes Bild, welches sein Auge überblickte. Draußen war die Dämmerung eingebrochen, von einem heranziehenden Gewitter verstärkt. So blieb die weite, niedere Küche nur noch von dem Lichte eines Torffeuers im Hintergrunde erleuchtet, das grelle, gelbe Scheine auf die wilden Gesichter der Geusen warf, die in heftiger Bewegung Flüche und Drohungen ausstießen und mit blutbenetzten Händen um sich fochten. Aus ihren entstellten Zügen, ihren brennenden Augen sprachen Wuth und mörderische Leidenschaften. Sie waren wie eine Schaar Wahnsinniger, die mit den unheilvollen Geistern kämpfen, von denen sie aus der Finsterniß hervor sich bedräut glauben. Denn rings umher füllte tiefes Dunkel den Umkreis der Küche, und gespenstig drohende Schatten taumelten daraus auf und ab, wie die wilden, zorn- und weinberauschten Gestalten sich heftig hin und her bewegten. Wehe dem Opfer, das in diesem Augenblicke in ihre Hände gefallen – ja, wehe ihm – da lag es ja, das arme Opfer ihrer frevelhaften Wuth, bleich, kalt, regungslos!
Zu Arnolfs Füßen, als er die Schwelle überschritt, lag eine Leiche, die Leiche eines Priesters. Sie war verstümmelt. – Der Anblick war so gräßlich, daß der Eintretende das Auge schließen mußte und sich abwandte. Er sah nur noch den langen Jan Michael einen zinnernen Becher schwenken und laut die Schlußworte des Urtheilsspruches heulen, den die wilde Horde gefällt hatte und kraft dessen die Mordthat war vollzogen worden.
» Verwysen wy u der dood!« brüllte es im trunkenen Chorus nach.
Arnolf van den Ende stürzte hinaus – er riß seinem Knechte die Zügel des Pferdes aus der Hand, das dieser zur Stallung zu führen im Begriff stand, und wieder im Sattel, floh er mit Windeseile davon, nicht eher anhaltend, als bis der Wald ihn in seine tiefen und schweigenden Schatten aufgenommen hatte. Hier trieb er sich plan- und willenlos umher, die bittersten Gefühle, die äußerste Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung im Herzen.
Die Nacht wurde dunkler und dunkler. Eine ungeheure, schwarzgraue Wolkenmasse hüllte immer weiter den Himmel ein und lag wie ein drückendes Gewicht über der schwülen Atmosphäre. Gen Westen flammten über einander gereiht breite, rothe Streifen, gespenstige Färbungen, wie von der Hand eines bösen Genius mit Blut über die Thore des Himmels geworfen, die sich geschlossen aus Abscheu vor der mordbefleckten, verlorenen Welt. Oder hatte der Engel des Zornes diese düster lodernden Zeichen geschrieben, Vernichtung drohend, wie in jener Nacht, als ein grauenvolles Verhängniß über Mizraim ausbrach und Israel eine Wohnungen mit Blut zeichnete? Sollte das Gericht kommen über die Erde und der Bote der Vertilgung die flammenden Hieroglyphen als Gränzzeichen finden, bis wohin sein Arm sich erstrecken dürfe?
Ueber den lautlosen Schattenregionen der Waldung zog ein schwüles Wehen fort, ein beklommener Seufzer, ein säuselnder Hauch, der ohnmächtig abglitt an den Falten des dunkeln Schleiers, welcher über der Erde und über dem Geschick der kommenden Stunde lag. In der Ferne rollten leise Donner; die Wipfelkronen der Eichen rauschten auf, und ein Rabe hob sich erschrocken mit heiterem Schrei aus ihren Aesten empor. Die Wolkenmassen begannen sich zu regen; in den oberen Luftregionen, schien es, hatte der Sturm begonnen; graue Schichten lös'ten sich von Schichten ab, dehnten sich, zerflatterten oder zogen in phantastischen Gestaltungen über die Laubgewölbe des Waldes dahin. Riesenungethüme jagten auf gespenstischen Rossen vorüber – dunkle Segel wehten – das Todtenschiff der Sage hob seinen schwarzen Bau in mächtigen Umrissen aus dem Wolkenchaos und zog langsam von Norden her den westlichen Flammenregionen zu.
Wilde Phantasien, vermessene Anschläge tauchten auf und unter in der Seele Arnolf's. Er wünschte den Tod zu finden in dieser grauenhaften Nacht, hier in der schreckenbrütenden Oede ringsum. Die dumpfe Stille, die heiße Luft unter dem dichten Laubdach hatten ihn fortgetrieben, und den Angstschweiß auf der Stirn, gelangte er an den Saum des Waldes, wo sich eine unermeßliche Ebene nach Norden hin vor ihm ausbreitete. Ohne Hügel, ohne Unterbrechung, schwarz und düster lag sie vor ihm; nur am Horizont standen kalte, grüne Luftschichten darüber, die sich in den schlammigen Moorteichen spiegelten, welche über die Haide gesäet waren. Wie ein großes Todtenfeld alles Lebens und alles Lichtes lag diese düstere Ebene da, wie der Tummelplatz einer bösen und verderbenbrütenden Macht.
Da – ein heller Schein blitzte an dem grüngrauen Horizont auf; ein grelles Flammenroth, blutige Strahlen sprühten auf – ein dumpfer, aber heftiger Knall schlug an das Ohr des Geusen. Die ganze Himmelsgegend war überflammt; es mußte ein Ort, eine Feste sein, die man in die Lüfte sprengte! Der Mensch, schien es, kam den nahenden Schrecknissen der Natur zuvor.
Es war in der That so. Schloß Loevestein ging in Flammen auf, von seinem tapfern Vertheidiger in die Luft gesprengt, um es nicht in die Hände des spanischen Feindes zu geben. Die sprühenden Flammen standen am Nachthimmel wie eine wildlodernde Apotheose der Vernichtung.
Das Gewitter war ausgebrochen, mit Fluten von Blitzen und strömenden Güssen. Es war eine schreckliche Nacht, aber für Arnolf war sie vielleicht eine Rettung. Er hatte Alles verloren, was ihm das Leben werth machte, seinen Vater, seine Liebe und seine Bundesbrüder – ja, mehr als sie, den belebenden Gedanken seiner Seele, den Zweck eines Daseyns – die Hoffnung der Freiheit. Er hatte gesehen, wie ihre wilden Söhne sie mit Mörderhänden im Blute unschuldig Erschlagener erstickten. Die Zuversicht und das Vertrauen waren aus seiner Seele geflohen, und da, wo die glühende Begeisterung für das Vaterland in feiner Brust gewohnt, da lebte nichts mehr als ein stechender Schmerz.
Er rief mit stürmischer Heftigkeit den Tod herbei. Das Haupt entblößt, bot er die Scheitel mit den flatternden Locken den Blitzen dar, die nach ihm zu züngeln schienen. Aber sie trafen ihn nicht, und das erhebende Schauspiel des Kampfes der Elemente, die rings um ihn tobten, weckte endlich die einschlummernden Kräfte seiner Energie wieder. Seine Brust hob sich, und Verzagen und Verzweiflung von sich schüttelnd, gelobte er sich mit einem heiligen Schwure, fortzuleben und fortzukämpfen.
Er suchte Schutz mit seinem Pferde unter den dichtverschlungenen Aesten einer alten Linde. Als der Sturm sich gelegt hatte, kurz nach Mitternacht, machte er sich auf, nach Süden zu. Er wollte an Rassinghem vorüber, um ihm die letzten Scheidegrüße zuzuwinken, und dann nach Deutschland oder nach Frankreich ziehen, je nachdem hier oder dort ein kampfgestählter Arm der Sache der Freiheit hülfreich werden könne.
Noch war es tiefe Nacht, als der Junker van den Ende sich im Angesichte des alten Schlosses befand; aber Alles darin schien wach und in Bewegung zu seyn. Lichter bewegten sich an den Fenstern vorüber, und auf der Brücke, aus dem geöffneten Thore schallten ungeduldige Hufschläge. Beobachtend hielt Arnolf an, und nach einer Weile Harrens kam ein Reitertrupp daraus hervorgeritten, in dessen Mitte der Geuse eine weibliche Gestalt wahrzunehmen glaubte. Sein Herz schlug höher. Unwillkürlich nachgezogen, wollte er folgen, als ein zweyter Trupp, dann ein dritter über die Zugbrücke des Schlosses kam und dem ersten nachzog. Es mußte Alba mit seinen Spaniern seyn, dessen Rastlosigkeit ihn nicht länger ruhen ließ. Führten sie den Schloßherrn und seine Tochter als Gefangene mit sich? Arnolf glaubte die Gestalt Anna's deutlich erkannt zu haben. In vorsichtiger Entfernung folgte er den Reitern. Sie zogen nach Südwesten, und nach einer halben Stunde scharfen Trabes erreichten fiel den großen Heerweg, der nach der Hauptstadt, nach Brüssel führte.
Hier aber zeigte sich bald ein Hemmniß, das nicht leicht zu überwinden war. Die Reitertrupps hielten, als sie bei einem Gehöfte angekommen, in dem Arnolf die Fährmannswohnung von Wellenbleeke erkannte, das unmittelbar an der sogenannten alten Maas lag. Dieß Gewässer, das sich bei Gertruidenberg in die seeartigen Wassermassen um Biesbosch stürzt und noch weit in's Land hinein eine bedeutende Breite hat, war durch den eben erst beruhigten Sturm heftig aufgeregt, die Regengüsse hatten es geschwellt und begegneten gerade jetzt der vom Meere aus sich heranwälzenden Flut, so daß die Ueberfahrt in den Fahrkähnen nicht ohne augenscheinliche Gefahr bewerkstelligt werden konnte.
Gegen Alba's Befehl aber mochte Niemand Widerspruch gewagt haben; wenigstens sah Arnolf, wie die aus dem Schlafe geschreckten Fährleute emsig auf dem vor ihm liegenden Gehöfte hin und her rannten, um die nöthigen Ruder und Geräthe zusammen zu holen und in die Kähne am Strande zu schleppen.
Des Junkers Entschluß war rasch gefaßt: er wollte um jeden Preis mit hinüber, er wollte über Anna's Geschick im Klaren seyn und sie keinen Augenblick aus dem Gesichte verlieren. Er ließ sein Pferd hinter einer der Scheunen zurück, die den Hof der Fährmannswohnung umstanden; dann schlich er im Schatten der Gebäude auf den Hof selbst.
Durch eine offene Thür sah er im Hintergrunde einer Tenne eine Laterne glimmen und einen Fährknecht daneben, der unter aufgehäuftem Schiffgeräth etwas zu suchen schien.
»He, Mann,« sagte van den Ende, seine Hand auf die gebückte Schulter des Suchenden legend – »da ist ein Goldstück – gebt mir Euren Kittel dafür – wollt Ihr den Handel?«
Der Ferge sah erstaunt zu dem Fremden empor, dann in des Junkers ausgestreckte Hand.
»Ist's Ernst?!«
»Ja oder nein?«
»Ja, Herr!«
Der Schiffer zog behende seinen Leinwandkittel über den Kopf und reichte ihn dem Junker. Dieser warf ihn über, riß seine Sporen von den Stiefeln und nahm eins der Ruder vom Boden auf.
»Meinen Hut habt Ihr in den Kauf,« flüsterte er, warf ihn dem Fergen zu und eilte davon.
Als er am Ufer ankam, trat er keck in den Haufen der Spanier, die hier neben ihren Rossen standen und warteten, bis ihre vorderen Genossen eingeschifft wären. Ein großer Nachen, der zum Uebersetzen von Fuhrwerken diente, schwankte bereits, schwer beladen mit Mann und Roß, auf den Wellen; eine zweyte Fähre stieß eben vom Ufer ab, nachdem sie die Pferde des Herzogs und seiner nächsten Umgebung aufgenommen hatte.
Die Gefangenen mußten sich auf der ersten befinden, denn unter denen, welche in dem folgenden Fahrzeuge waren, fand Arnolfs spähendes Auge sie eben so wenig, als unter den noch am Ufer Harrenden.
Dafür hatte ein Auge auf der Stelle den Feldherrn aus der Gruppe heraus gefunden. Er saß auf einem am Ufer liegenden Stück Zimmerholz, in einen Mantel gehüllt, die Figur trotz der sechzig, zum großen Theile in Feld und Lager zugebrachten Jahre, die auf ihr lasteten, straff und aufrecht; seine Züge ließ die Dunkelheit nicht deutlich unterscheiden, aber am eben ergrauenden Morgenhimmel zeichneten sich das scharfe Profil des Gesichts, die kräftige Stirn, die gebogene Spaniernase, das vorspringende, spitze Kinn deutlich ab.
Wenige Schritte von dem Herzog lag der dritte Kahn, der letzte und kleinste, welcher vorhanden war. Er diente allein zum Uebersetzen von Personen, und der Herzog hatte ihn für sich ausgewählt, weil er vermied, mit seinen Gefangenen zusammen zu kommen, die im ersten Nachen eingeschifft waren, und weil der zweyte sich alt und morsch zeigte.
Nachdem ein paar Reiter des Gefolges zusammen mit einem der Fährleute aus dem Boote das Regenwasser geschöpft hatten, sprang Alba mit elastischer Beweglichkeit hinein. Es fehlte nur noch der zweite Ruderer, der in diesem Augenblicke mit einer Planke zum Sitzen herbeigelaufen kam.
»Verrathet mich nicht!«, raunte Arnolf diesem zu – es war der, welcher ihm vorhin seinen Kittel verkauft hatte; – dann sprang der Junker dem Herzog nach in den Kahn. Mehre Spanier folgten, und schwerbelastet schwankte das kleine Fahrzeug; erschrocken darüber, sprangen die Meisten wieder an's Land, wie äußerst besorgt für die Sicherheit ihres Führers – vielleicht auch eben so für die eigene!
Alba stieß einen ungeduldigen Ruf aus; die Ruderer schoben den Kahn in die Flut, und Arnolf setzte wacker das Ruder ein. Das Boot schoß Anfangs sicher über die stürmischen Wogen. Bald aber, von der heftigen Brandung der steigenden Flut und der seewärts niederströmenden, mit jedem Augenblicke steigenden Gewässer ergriffen, kam es in ein heftiges Schwanken und versagte immer hartnäckiger dem Steuerer den Gehorsam.
»Dieß ist eine schlimme Fahrt, Dirk!« hörte van den Ende den Fährmann am Steuer halblaut zu dem andern Fergen sagen. »Es sind ihrer zu viel wieder hinausgesprungen; die Fracht ist zu leicht; wir haben keinen Ballast.«
»Laßt uns umkehren und mehr einnehmen, Dirk!«
Dirk schüttelte den Kopf.
»Willst Du dem da, der rasch hinüber will, in die Queere kommen?« raunte er, auf Alba deutend.
Der andere schwieg und legte sich mit dem vollen Gewicht seines Körpers auf das Steuer.
Die Spanier um Alba flüsterten einige Worte der Besorgniß.
» No es nada!« antwortete der stolze Herzog und hüllte sich enger in die Falten seines Mantels, denn ein kühler Wind zog über das Gewässer, gleichzeitig mit dem Aufdämmern des Morgens.
Arnolf ruderte aus Leibeskräften; er hatte alle Ursache, sich an's andere Ufer zu sehnen, bevor es hell würde. Tief vorüber gebeugt, sah er die mächtige Woge nicht, die plötzlich das Boot aus dem mühsam eingehaltenen Curs völlig herauswarf, und deren Schaumkamm weit über die Köpfe der Männer wegspritzte. Alle waren durchnäßt, und der Gischt hatte die Augen der Rudernden gefüllt – eine zweyte, höhere Woge wälzte sich heran – die Geblendeten sahen sie nicht – nur der Steuermann stieß einen gellen Angstschrei aus: »Halt zurück, zurück, Dirk!« aber es war zu spät, die Woge hatte den von ihrer Vorgängerin herumgeworfenen Nachen von der Seite fassen können, und wie eine leichte Nußschale schlug das Fahrzeug um.
Es war das Werk eines Augenblicks; einige halberstickte Hülferufe, das Plätschern der Schwimmenden, krampfhaft heftiges Umsichschlagen derer, die sanken – und dann über Alles fort das Brausen der stürmischen Wassermassen.
Arnolf blieb unverzagt. Er war ein guter Schwimmer, und die Hälfte der Ueberfahrt war beinahe zurückgelegt; er durfte getrost hoffen, das andere Ufer zu erreichen.
Aber ein Ruck zerrte ihn – ein Gewicht hing sich an ihn, gewaltsam einen Zipfel seines Kittels an sich reißend. Er streckte den Arm aus, um den Versinkenden, der ihn ergriffen, zu heben und sich nachzuziehen. Seine Rechte erfaßte die Kehle eines Mannes.
»Rettet mich!«, stöhnte es neben ihm, als er den Hülfesuchenden mit starker Hand emporgezogen an die Oberfläche des Wassers – »Alba! rettet!«
Ein furchtbarer Gedanke durchzuckte den Geusen – ein Dämon jauchzte in seiner Brust. Seine nervige Faust hielt die Kehle Alba's umspannt – nur ein Anziehen der straffen Sehnen, und – sein eigenes Schicksal, nein, mehr, Niederlands Schmach war gerächt!
Er konnte ja nur seine Hand zurückziehen – und es war genug!
Er that es – Alba sank, krampfhaft um sich schlagend, einen letzten Schrei ausstoßend – da riß ihn van den Ende bei den langen Haarflechten am Hinterhaupt, die er nach spanischer Sitte trug, gewaltsam in die Höhe, hob mit Riesenkraft das verzerrte Antlitz des Feldherrn über den Wasserspiegel empor und rief:
»Alba, Du bist in der Hand eines Geusen!«
Diese Rache war die, welche er sich nicht versagen konnte. Zum Morde fühlte er nicht die Kraft. Was fühlte er hier, im tosenden Wirbel der Elemente, von seinem Schicksal und von der Freiheit des Vaterlandes? Es galt, einen Menschen zu retten!
Am anderen Ufer des Stromes drängte sich ein aufgeregter, erschrockener Haufe zusammen. Sie standen um Alba, der geschlossenen Auges auf dem Mantel lag, den einer der Spanier über den Uferkies gebreitet hatte, während sein Kopf im Schooße eines Officiers ruhte. Vor dem Ohnmächtigen stand der triefende Geuse.
Der Herzog schlug nach einer Weile das Auge auf, und nachdem er einen verwunderten Blick um sich geworfen, erhob er sich, unterstützt von dem Officier, und wandte sich zu dem Junker.
»Seyd Ihr der Geuse?«
»Arnolf an den Ende.«
»Ich kenne Euch. Was begehrt Ihr?«
»Ich stände nicht hier, um diese Frage abzuwarten,« versetzte van den Ende finster, »wenn ich nicht etwas Anderes zu begehren hätte als einen Lohn. Gebt den Sire van Rassinghem und seine Tochter frei.«
Alba zögerte schwankend mit der Antwort.
»Wenn er das Land räumen will« – sagte er dann.
»Das müßt Ihr ihn selbst fragen. Die Bitte, die ich in diesem Augenblick an Euch richte, werdet Ihr nicht verweigern!«
Und doch hätte der eiserne Spanier vielleicht die Bitte abgeschlagen, wenn sie wie eine Bitte vor ihm ausgesprochen worden wäre. Aber der Junker van den Ende sprach sein Verlangen an ihn mit einem solchen Tone der Zuversicht aus, so sehr wie ein Recht, das ein Mann vom anderen zu fordern habe, daß der spanische Edelmann in dem Herzoge sich regte und der Stolz der Großmuth den Sieg davon trug über seine Härte und Verfolgungslust.
Alba gab seinem Adjutanten einen Befehl, und dieser eilte davon.
»Beurlaubt mich,« sagte Arnolf und wollte dem Officier folgen.
»Euch? Ihr seyd ein Geuse!«
»Ja, aber Ihr werdet Euch nicht als meinen Richter fühlen in diesem Augenblick!«
Arnolf van den Ende entfernte sich ruhigen Schrittes durch die Haufen der verwundert zurückweichenden Spanier. Der Herzog sah ihm schweigend nach.
In der Ferne erblickte Arnolf den Herrn von Rassinghem und seine Tochter auf ihren Pferden haltend, von ihrer Wache umringt. Als er sie erreichte, hatte der abgesandte Officier ihnen bereits ihre Freiheit angekündigt. Anna reichte mit Freudenthränen Arnolf die Hand. Er war ja auch ihres Vaters, ihr Retter. Der alte Edelmann unterzog sich gern der Weisung, das Land zu verlassen, und er legte noch lieber Anna's Rechte in die des Geusen, froh der Stütze auf der Reise in die Verbannung. Sie begaben sich zusammen nach Deutschland, wo sie Schutz fanden und jegliche Unterstützung am hilfbereiten Hofe Nassau's. Ihre Güter und Habe hatte Alba nämlich nicht zurück gegeben, sondern für seinen König eingezogen.
Herzog Alba lag am Abende dieses Tages in seiner Kammer vor dem Gekreuzigten auf den Knien; er sandte ein heißes Dankgebet für seine Rettung zum Himmel auf und schloß sein Flehen mit den Worten:
»Herr! gehe nicht mit mir in's Gericht, daß mein erster Dank für Deine rettende Huld eine Sünde war. Ich habe einen Ketzer, einen Feind Deines Namens der Strafe entzogen, statt ihn zu tödten als wolgefälliges Opfer Deinem Zorne! Er war mein Retter und ich – ein schwacher Sünder!«
Ende des ersten Bandes.