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Erstes Kapitel.

Im Waldhäuschen. – Offene Fenster, Kapuziner und Winden. – Von einem frischgelegten Ei, einer sonnigen Schusterwerkstätte und zwei Dorfschulkindern. – »Ja, unser Mohrle!« – Mamsell Dockanne bestellt ein Paar Schuhe. – »Die Mutter kommt!« – Ein Schatten am Fenster und im Leben.

 

TTack, tack, tacktack!

Aus der weit geöffneten Stubentür des Schusterhäuschens am Berg hört man klopfen. Der Hammer, den der Schuster-Martin in regelmäßigen Zwischenräumen schwingt, treibt kleine und große Nägel in Absätze, glättet Sohlen und klopft das Leder weich. Der Schuster sitzt auf seinem Dreibein, vor ihm steht der niedrige Arbeitstisch, mit Stücken von Leder, Handwerkszeug aller Art, Nesteln und Ofen bedeckt. Er ist ein kleines Männlein; sein Rücken ist krumm und rund. Er hat nicht viel Haare mehr, nur ein paar spärliche graue Strähne, die er am Sonntag rund um den kahlen Scheitel legt. Jetzt, bei der Arbeit, hängt eine ihm über die Augen, die andern fallen über den blauen Arbeitskittel hinab. Seine Züge sind grob, unschön, wenn man sie so von der Seite betrachtet. Hebt Martin aber den Kopf und schaut einen an, so blickt man in ein Paar Augen von solch tiefer Bläue, und der eingefallene Mund wird beim Begrüßen so freundlich, daß niemand auf den Gedanken kommen könnte, der Schuster sei häßlich, auch nicht auf die Idee, daß es in der Stube unordentlich sei, obgleich der eine Raum als Werkstätte und Wohnstube dient und zwar nicht nur für ihn, sondern auch für seine verheiratete Tochter, die Marie, deren Mann, den Gipser-Fritz, der aber meist fort ist, und für die zwei Enkel Schorsch und Lene. In der Ecke, in der Martin arbeitet, ist wohl der tannene Boden etwas schwärzer; er und der Arbeitstisch und der Schemel lassen sich einmal nicht so weiß fegen, wie alles auf der andern Seite ist. Oben auf den Brettern an der Wand steht in tadelloser Ordnung das reparaturbedürftige Schuhzeug: die hohen Rohrstiefel der Fuhrleute und Bauern, die derben Schnürstiefel der Bauernweiber, die mit Kappen versehenen Halbschuhe der Schulkinder, die Schühchen der ganz Kleinen. Sie stehen der Reihe und Größe nach, die zerrissenen und die reparierten regelrecht beisammen. Ebenso hängen an der Fensterseite in schönster Regelmäßigkeit die Drahtringe, und die Nägelsorten liegen der Größe und Bestimmung nach in abgeteilten Schachteln.

Tack, tack, – tacktacktack!

Die Luft im Raume ist nicht schlecht, denn die drei Fenster der Eckstube sind offen, und auf der Morgenseite scheint die Sonne herein. Sie scheint gerade auf einen hölzernen Bauer, in dem ein gelber Kanarienvogel fröhlich von Stängchen zu Stängchen hüpft und trillert, als gehöre ihm die ganze weite Welt da draußen.

»Miau!« machte es in diesem Augenblick, und ein schneeweißer Miezenkopf tauchte auf mitten unter den Blumentöpfen am Fenster, in denen Kapuziner, Bohnen und Winden gezogen wurden. »Miau, Miau!« Aber weder der Vogel, der durch die leicht gezogenen Blumenranken wohl zu erreichen gewesen wäre, noch die Mieze dachten an etwas Feindseliges. So etwas gab's überhaupt im Waldhäuschen nicht. Die Katze schwang sich ins Zimmer, trank in kleinen Zügen ein wenig von der Milch, die in einem irdenen Gefäß hinter dem braunen Kachelofen stand, und dann sprang sie mit einem Satz ihrem Herrn auf die Knie und von da auf seinen gebeugten Rücken, wo sie sich schnurrend und liebkosend eine Zeitlang abrieb, bis sie sich dann auf einem Kissen in der tiefen Fensternische neben dem Arbeitenden zum Schlafe hinlegte.

»Millemille!« sagte Martin von Zeit zu Zeit in zärtlichem Ton, und »Miau!« antwortete es, wenn der Herr nach Beendigung einer Ausbesserung sanft mit der Hand über das weiche Fell fuhr.

»Gackgack, gackgackgack!« ließ sich's dringend und gebieterisch, immer wieder von neuem ansetzend, hinter dem Häuschen her vernehmen, wo dicht an den Berg hin ein einfacher Hühnerstall gebaut war. Husch, husch! flog ein weiß und schwarz geflecktes Huhn auf das Gesimse des dritten Fensters. Ihm folgten bald ein braunes und ein schwarzes, und sie piepten und gackerten zusammen, als wäre Wunder was zu verkünden.

Der Schuster-Martin legte Ahle und Leder hin und ging zur Tischlade im vordern Raum. Da lag der Brotlaib, und der Mann schnitt ein Stück herunter und ging hinter das Haus. »Habt ihr so brav Eier gelegt, so sollt ihr auch was extra kriegen,« sagte er und krümelte das Brot unter die sich drängende Schar. Auch der Hahn und ein paar Tauben, die vom Dach herabflatterten, fanden sich ein.

»Nur nicht so neidisch! Halt! Immer fein geduldig! Es bekommt jedes seinen Teil!« beschwichtigte Martin und half den einzelnen zu ihrem Recht.

Dann hob er den Blick, beschattete die Augen mit der Hand gegen die Sonne und sah die Landstraße hinab, die, rechts und links von Tannen und Laubholz eingefaßt, durch den Wald nach der eine Stunde entfernten Stadt führte.

Die Uhr beim Schrank holte langsam aus und schlug zehnmal. Martin horchte nun auch auf, als er in der Ferne Hundegebell vernahm. Gleich darauf raste ein schwarzer Spitz von der Waldecke her quer über die Wiesen der Lichtung zu, die ans Dorf grenzte.

»Der hat die Kinder erspäht, und jetzt kommen sie alle zusammen!«

Martin strich die letzten Brosamen über den Fensterrand und wies damit das zudringliche Hühnervolk wieder an seinen Platz auf dem grünen Rasenfleck zwischen Hütte und Wald. Dann ließ er einen Augenblick die Arbeit sein und trat durch den kleinen Vorplatz, der zugleich als Küche diente, unter die Haustüre.

»Großvater, Großvater!« riefen zwei Kinder, die, gefolgt von dem Hunde, in großen Sätzen über den Wiesenabhang dahersprangen. Der Knabe mochte sechs, das Mädchen fünf Jahre alt sein. Beide waren barfuß und barhäuptig, beide braungebrannt und helläugig. Das Mädchen hatte ein dunkles herabhängendes Zöpfchen, dick und kraus, und ein rotbackiges Gesichtchen. Des Buben kurze Haare waren strohgelb, und die Stumpfnase sah ein bißchen nach oben. Er trug schlenkernd einen Bücherpack, und sie hatte ein Strickkörbchen in der Hand. Der Hund und die Kinder rannten um die Wette, wer zuerst daheim sei.

»Großvater, der Mohrle hat uns schon gesehen, als wir noch ganz oben im Dorfe waren,« schrie Schorsch, der als erster ankam.

»Nein, Großväterle, nicht gesehen kann er uns haben, nur gehört, und da ist er schon herbeigeeilt gekommen,« sagte Lenele und hielt, aufatmend vom raschen Laufen, unten an der Hausstaffel an und stellte ihr Körbchen auf die Bank, die vorn an dem Häuschen angebracht war. Beide Kinder kamen dann hinauf und begrüßten mit Mohrle den Großvater, der dem an ihm heraufspringenden Hunde liebkosend das Fell kraute.

»Ja, ja, unser Mohrle, das ist halt ein Gescheiter, das wissen wir schon lange, ein Gescheiter und ein Braver, gelt du?« sagte der Großvater. »Aber jetzt ist's genug gehopst und gesprungen, jetzt kommt das Fraule, und dann gibt's Suppe und Ausruhen!«

Es war, als ob der Hund alles verstände, nur das letzte nicht, denn von neuem rannte er die paar Stufen hinunter und die Kinder hinterdrein, die Landstraße entlang bis dorthin, wo sie eine Biegung machte.

»Die Mutter kommt!« – »Das Mammele kommt!« Eine Frauensperson ward sichtbar, die einen kleinen Wagen zog, auf dem Blechkannen und verschiedene Pakete und Schachteln sich befanden. Sie schritt gebückt vorwärts, schwer ziehend, denn es ging scharf bergan. Das blaue Kattunkleid war vorn aufgesteckt und ließ einen kurzen Unterrock von gestreiftem Barchent sehen. Die Blusenärmel hatte sie der Hitze wegen zurückgekrempelt und über den Kopf nur lose ein helles Tuch mit bunten Punkten gebunden.

Als die Frau oben und nahe am Hause war, hielt sie im Ziehen inne und strich sich mit der Rückseite der Hand den herabrieselnden Schweiß von der Stirn. Dann nickte sie freundlich den Kindern zu, die sofort mit Schieben geholfen hatten, und meinte:

»So zwei Vorspanngäule hätt' ich schon eher brauchen können. – 's war heiß heute! Ich bin froh, daß ich daheim bin!«

Der Großvater war unter der Haustür stehen geblieben. »'s macht warm, Marie! Kannst du jetzt dableiben, oder mußt du wieder fort?«

»Noch zwei Schachteln und ein Kistchen zum Krämer und dann den Pack Kleiderstoff zur Ochsenwirtin. Sie wartet drauf, denn die Nähterin ist da,« sagte die Frau und holte die Sachen vom Wägelchen herunter. Sie versah nämlich auch den Botendienst in die Stadt.

»Die Ochsenwirtin wohnt so weit oben im Dorf, und du wirst müde und hungrig sein. Ruhe einen Augenblick aus, ich hol' dir Most aus dem Keller.«

Der Großvater holte in der Küche einen irdenen Krug und stieg dann an der Seite des Hauses in den Kellerraum hinab. Die Mutter war wohl rechtschaffen müde, aber sie war nicht gewohnt, darauf zu achten. Sie schob den Wagen unter einen kleinen, mit Brettern bedeckten Schuppen und schwenkte dann an dem aus einem hölzernen Rohr und einem ausgehöhlten Baumstamm bestehenden Brunnen die Blechgefäße aus.

»Muß es gleich tun, sonst trocknet die Milch an,« sagte sie zum Großvater, der mit seinem Krüglein wieder heraufkam. Dann stürzte sie die Blechkannen der Reihe nach über den Zaun, wo die stets glänzend gehaltenen Gefäße in der Sonne funkelten. Als dies geschehen war, ging sie nochmals zum Brunnen, beugte sich zum Rohr, das unmittelbar aus der moosbewachsenen Walderde hervorkam, hielt die Hand vor und tat einen tiefen Schluck. »Das ist besser für mich als Most und macht nicht so schläfrig,« war die Ansicht der Mutter. Gleich nachher aber saß sie behaglich am Tisch mit den gedrehten Füßen neben dem Großvater, dem sie ein Glas von dem goldgelben Getränk eingoß.

»Mußt aber mittun!« sagte der Großvater, und Marie tat so und nippte in kleinen Zügen, während sie beide wie auch die Kinder dem Vesperbrot tüchtig zusprachen.

»Mutter, jetzt kann ich ein großes S machen. Der Lehrer sagt, Schorsch fange mit einem S an. Willst's sehen?« Rasch rutschte der Bub von der Eckbank, auf der er gekniet, herunter und brachte seine Schiefertafel.

»Guck!« sagte er und hielt die weißen, großgezogenen S der Mutter und dann dem Großvater hin. Dieser mußte erst seine Brille aufsetzen, aber dann konnte er bewundern, auch das Strickzeug, das Lenele herbeiholte.

»Da von dem roten Fädele an hab' ich heute gestrickt,« zeigte die Kleine mit Stolz.

Der Großvater nickte beifällig, obgleich er keine Ahnung hatte, ob die Leistung eine kleine oder eine große sei. Aber daß das Ding, das ein Socken werden sollte, nicht weiß wie das Garn war, sondern grau aussah, das mißfiel ihm.

»'s tät nichts schaden, wenn du deine Hände allemal vorher waschen wolltest. Wasser gibt's genug, Lenele,« sagte er.

»Weiß wohl, Großvaterle, tu's auch immer, eh' ich von daheim fortgeh'. Aber dann muß ich doch noch geschwind im Stall unsere Bleß streicheln und den Hasen Kohl bringen, – gelt, Schorsch? – und dann kommt die Wiese mit den Blumen, da wird man halt schmutzig, wenn man sie pflückt. Die Fräulein Gottliebin wartet ja auf ihren Strauß.«

Die Kleine besah zaghaft ihre erd- und wiesenfarbenen Finger, während Schorsch seine Hände auf dem Rücken versteckte.

Die Mutter lachte. »Der Großvater hat recht, man kann die Hände nicht oft genug waschen, und wenn ich euch wieder einmal mitnehme, würde meinen Stadtfrauen schön der Appetit auf unsere Milch vergehen, wenn sie eure Finger sähen. Die sind heikel, die Stadtfrauen nämlich meine ich!« Die Mutter stand auf und strich die Krumen zusammen, um die sich sofort vor dem Fenster, wohin sie sie streute, ein paar Amseln und Rotkehlchen stritten. »Jetzt muß ich fort. Will noch vorher schnell Feuer machen und die Kartoffeln hinsetzen. Vielleicht siehst du einmal danach, Vater, daß sie nicht anbrennen!«

Die Frau tat, wie sie sagte, und bald darauf sah sie der Großvater, der nun auch wieder zu seiner Arbeit zurückgekehrt war, durch das Fenster den Wiesenweg zum Dorfe hinauf einschlagen, das helle Tuch wieder über dem Kopf, auf diesem und im Arm hoch aufgebeigt Schachteln, Kistchen und Pakete tragend.

Schorsch hätte gerne die Mutter begleitet, aber er mußte um diese Zeit das lernen, was er in der Schule aufbekam. Lenele hatte aus der Dachstube oben, wo die Mutter mit den Kindern schlief, ihr Puppenwägelchen geholt, das der Großvater einst zusammengezimmert hatte, – vier Brettchen und vier Räder, – und die Kissen und Federndecken mit den rosa Überzügen waren vom lieben Christkindlein. Die Puppe aber, die darin lag, mit dem pappenen Kopf und den wasserblauen Augen war Leneles geliebte Dockanne. Die fuhr sie nun draußen im Sonnenschein in den schmalen Wegen des Gemüsegärtchens auf und ab und sang leise dazu: »Schlaf, Kindchen, schlaf!«

Tack, tack, ... tacktacktack! Der Großvater nagelte wieder drauf los, und dazwischen hörte man die eintönige Bubenstimme von Schorsch, der hinter seinem Buche saß und einen Spruch lernte.

»Ihr Kinder, – ihr Kinder,« – Schorsch sah allemal wieder ins Buch hinein und dann wieder weg – »ihr Kinder, seid gehorsam den Eltern in allen Dingen, ... in allen Dingen,« repetierte er in schallendem Tone, »denn das ist dem Herrn gefällig.« Schorsch buchstabierte an dem letzten Satz.

»Großvater, was ist das: dem Herrn gefällig?«

»Das ist,« sagte der Großvater, »daß es Gott gefällt, wenn ihr Kinder tut, was die Eltern verlangen.«

»Was die Mutter und der Großvater verlangen, gelt? aber nicht was der Vater will – der ist zu wenig da,« sagte Schorsch rasch und fing von neuem an, an dem Spruche weiterzulernen, ohne eine Antwort zu erwarten. Über des Großvaters Gesicht flog ein Ausdruck von Kümmernis.

»'s ist schon wahrlich genug, daß die Marie darunter leidet, und nun merken's die Kinder auch schon,« murmelte er vor sich hin, und der große Stift, der einen abgerissenen Absatz wieder festhalten sollte, bekam einen stärkeren Schlag als sonst, so daß er ein Stück weit durch die Sohle hindurchfuhr.

»Großvaterle, ich seh' dich, und meine Dockanne sieht dich auch,« sagte da ein liebes Stimmchen von außen, und zu dem Fenster, an dem die Katze lag, blickte ein rundes Kindergesicht herein. Lenele war auf die Bank gestiegen und hielt ihre Puppe in die Höhe.

»Und die Katze sehen wir auch ganz gut. Grüß Gott, grüß Gott!« grüßte Lenele mit der Puppe und ließ sie Verbeugungen machen.

Die Katze schnurrte, und der Großvater lachte: »Ihr seid einmal große Leute, daß ihr einem zu den Fenstern hereingucken könnt! Will die Jungfer Dockanne am Ende ein Paar Schuhe bestellen? Da soll sie lieber zur Mutter gehen, zu so feinem Zeug passen meine Hände nicht!«

»Die Mutter hat ein Stückchen grünseidenes Band, da will sie Schuhe für die Puppe davon machen,« sagte Lenele wichtig. »Aber weißt, nur für den Sonntag. Am Werktag, sagt 's Mammele, soll mein Kind auch barfuß laufen wie wir.«

Leneles braunes Köpfchen verschwand wieder, und der Bub war nun wohl fertig mit seiner Lektion, denn er packte die Bücher zusammen.

»Holt auch die Eier aus dem Hühnerstall,« sagte der Großvater. »Das Scheckle und die Schwarze haben einen gewaltigen Spektakel verführt, und auch die Weiße hat mitgetan, obgleich sie noch zu jung ist und bis jetzt noch nicht gelegt hat.«

Schorsch und Lenele liefen bald darauf mit einem Körbchen zum Stall hinüber und riegelten die Türe auf. Sie krochen in den engen Raum, aus dem die weiße Henne erschreckt aufflatterte, und griffen in das Nest. Fünf Eier, wahrhaftig, während es bis jetzt immer nur vier gegeben hatte, und eines war noch ganz klein und schmal mit feiner Schale. Jubelnd liefen die Kinder zurück und zeigten es dem Großvater.

»Das ist richtig von der Weißen! Da wird die Mutter sich aber freuen!« sagte dieser und stand dann auf, um in die Küche zu gehen und nach den Kartoffeln zu sehen. Schorsch deckte inzwischen den Tisch, denn es ging auf Mittag. Eine große Anstrengung war das nicht, denn es gab nur geröstete Kartoffeln und Salat, aber der Großvater und auch die Mutter hielten darauf, daß alles nett und ordentlich an seinem Platze stand. Die vier Teller, die groben, schwarzen Bestecke, die Löffel quer vor den Tellern und das Salzfaß auf der Seite waren schnell untergebracht.

Bald darauf kam die Mutter zurück, recht erhitzt und recht müde. Während sie ihr Kopftuch rasch herunternahm, hob sie den Deckel von den Kartoffeln in der Küche.

»Sie sind fertig,« sagte sie befriedigt und goß das Wasser von ihnen ab. Dann setzte sie sich auf einen niederen Schemel, um sie zu schälen, und schnitt darauf schmale Rädchen davon in eine irdene Schüssel, die sie auf den Knien hielt. »Ich hab' vor Müdigkeit fast keinen Hunger mehr,« sagte sie zu dem Großvater, der zu ihr hineinsah. »Hat der Bub schon den Salat geholt?«

Der »Bub« hatte es vergessen; er beobachtete gerade vom Fenster aus eine Spinne, die von oben herab ihre feinen Fäden zog; aber nun eilte er mit einem Messer in das Gärtchen und schnitt, ganz geschickt für sein Alter, ein paar Salatköpfe ab.

»Nimm ja keine mit roten Tupfen, das ist der Forellensalat, den mir die Frau Baronin so gut bezahlt!« rief die Mutter hinaus.

Schorsch hatte keinen davon genommen, und nun ging er zum Brunnen und wusch die Erde von den Köpfen. Dann kam er in die kleine Küche und zerschnitt und zerzupfte unter Anleitung der Mutter die Blätter, und als diese die Kartoffelscheiben mit Schmalz und Zwiebeln in eine Pfanne getan hatte und alles lustig brodelte, machte sie den Salat mit viel Essig und ein wenig Öl an, denn dieses war teuer, und trug die Schüssel in die Stube. Dann holte sie die inzwischen schön braun und knusprig gewordenen Kartoffeln herein und rief dem Lenele. Der Großvater war am Brunnen gewesen und hatte sich die Hände gewaschen – es war nötig bei seiner Arbeit! Nun sprach die Mutter: »Gott segne es!« und die viere setzten sich.

Die Mutter legte zuerst dem Großvater vor, dann gab sie den Kindern, und zuletzt nahm sie sich selber. Der Hund saß zwischen Schorsch und dem Großvater, die Katze, die auch langsam herbeigekommen war, zwischen Mutter und Lenele, aber beide durften vorerst nur schnuppern, zu fressen bekamen sie erst nachher.

»Ich mein', der Salat sei heuer ganz besonders gut, so fest und doch so zart,« sagte der Großvater und freute sich im stillen, wie es der Mutter doch schmeckte.

»Ja, gut und frisch, und das Kühle daran ist köstlich, wenn man so durstig ist,« gab diese zurück und nahm auch Kartoffeln dazu. Alle aßen nun mit großer Lust. Die Kinder verkündigten den Fund des neuen Eies, und nachdem sich die Mutter genügend darüber gefreut und gewundert hatte, ging sie hinaus und holte ein eingewickeltes Stückchen Wurst, das sie dem Großvater hinlegte.

»Da, Vater, das ist für dich!«

Dieser wollte es wegschieben und sagte, so einen Luxus dürfe man nicht seinetwegen treiben, denn man habe nicht das Geld für so was Unnötiges, und wenn jemand Stärkung nötig habe, so sei's die Mutter. Aber diese entgegnete, Mannsleute brauchten öfter einmal etwas Fleisch, für Weiber und Kinder wäre es aber gar nicht gesund. Und so schnitt sich der alte Mann denn eine Scheibe herunter, und man sah es ihm ordentlich an, wie es ihm schmeckte, als er bald darauf bedächtig daran kaute.

»'s ist doch recht schön daheim, namentlich wenn man ein wenig ausruhen darf,« sagte die Mutter, und die Kinder holten nun die Schüsselchen von Mietz und Mohrle herbei, denen sie den Rest der Kartoffeln mit etwas Milch gaben und dann, auf dem Boden kauernd, ihnen zusahen, wie sie fraßen.

Mutter lehnte sich zurück auf der Bank und schloß einen Augenblick die Augen. Es war eine richtige Mittagsstille, nur die Fliegen summten und suchten noch etwas auf den leeren Tellern.

Da fiel ein Schatten durch das Fenster, und eine graue, schief aufgesetzte Mütze ward sichtbar, darunter ein paar fidele Augen in einem Gesicht, das aber eigentlich mißmutig aussah.

»Der Vater!« Die Kinder riefen es erschrocken und scheu. Gleich darauf trat der so Genannte zur Türe herein, warf die Mütze in eine Ecke und sagte, ohne zu grüßen:

»Na, da geht's ja recht fein her! Wurst und so viel Röstkartoffeln, daß man auch noch das Vieh damit füttern kann. Nur für den Mann scheint mir nichts mehr übrig zu sein!«

Die Mutter war jäh aufgesprungen, als sie erkannte, wer kam. Kurz grüßend ging sie in die Küche und holte den Rest in der Pfanne, der für den Abend zum Aufwärmen bestimmt war. Der Gipser-Fritz hatte sich indessen schon auf dem Platz seiner Frau niedergelassen, während der Großvater schnell das noch übrige Stückchen Wurst dem Schwiegersohn zuschob und das Brot aus der Schublade nebst einem Messer vor ihn hinlegte.

Fritz hieb sofort ein, obwohl er gesehen hatte, daß die Wurst vor dem alten Mann gelegen, während er die Kinder, die sich unwillkürlich verschüchtert seitwärts hielten, mit einem unguten Blick streifte.

»Was ist denn mit euch, he? Sagt man dem Vater nicht Grüß Gott? Wißt ihr nicht, was sich gehört?«

Zaghaft näherten sich die beiden, um aber sofort zu der Mutter zu springen, die in einer kleinen Schüssel die frisch angerichteten Kartoffeln brachte.

»Aufgewärmte Erdäpfel, natürlich! Möcht' nur auch einmal erleben, daß es bei euch was anderes gibt,« sagte er spöttisch, setzte sich aber doch breit davor und vertilgte sie in Hast.

»Gibt's nichts zu trinken bei dieser elenden Hitze?« Schweigend nahm die Frau den Krug, füllte ihn wieder mit Most, dem einzigen Getränk, das sie hatten, und stellte ihn vor den Mann. Dann setzte auch sie sich.

»Woher kommst du, und was tust du hier mitten in der Woche?« fragte nun der Großvater nicht eben sehr freundlich. »Der Kontrakt an dem Neubau war doch noch für den ganzen Monat, hat's geheißen, und jetzt ist erst der zwölfte! Ihr habt doch wöchentliche Kündigung?«

»Den Kuckuck haben wir! Auf dem Papier steht's wohl, aber eingehalten wird's nicht. Wenn man einen schindet und plagt, daß man von der Herrgottsfrühe bis zum Abend schaffen muß, und dann, wenn man am Montag ein paar Stunden später kommt, gleich einen Krakeel macht, daß man auch hitzig wird und danach antwortet, und dann einen sofort entläßt und sagt, es gäbe ein Dutzend andere, die besser wären, da möchte man doch gleich ... Ein Dutzend andere, ja woll! Aber einen, der sein Sach' so versteht wie ich, – da können sie lange suchen, ja woll!«

Fritz hatte sich in großen Zorn hineingesteigert, und dabei schüttete er ein Glas von dem kühlen Most nach dem andern hinunter.

»Was willst du denn jetzt tun mitten in der Zeit, wo ein jeder dich fragt, warum du feierst, und wo sie überall versehen sind?« fragte der Großvater wieder. Die Mutter saß still dabei und stützte ihren Kopf in die Hand, der sie schmerzte von all der Hitze, Anstrengung und Aufregung. Was sollte sie auch sagen? So wie heute war er schon öfter heimgekommen von der schönsten Arbeit, vom besten Verdienst hinweg. Er war wohl geschickt und hatte etwas Ordentliches gelernt, aber nirgends hielt er lange aus und konnte nie etwas Unangenehmes ertragen.

Den Gipser-Fritz bedrückte diese Stille.

»Was hast? – Warum redst du nicht und sitzest da, als ob ein Unglück geschehen sei?«

Er kramte in der Tasche. »Oha, noch lange nicht, und Geld bring' ich auch! Ich bin noch lange nicht so einer, wie ihr vielleicht meint!« und brummend holte er eine Handvoll Markstücke hervor und warf sie auf den Tisch. Die Mutter strich sie mit der harten Arbeitshand zusammen und tat das Geld schweigend in einen ledernen Beutel. Dann wandte sie sich zu den Kindern.

»Tragt das Geschirr hinaus und schaut ein bißchen nach den Hasen! Und dann könnt ihr in den Stall gehen, ich komme gleich nach; die Bleß hat noch nicht ihr Fressen!«

Als die Kinder draußen waren, – sie gingen nicht ungern, denn mit des Vaters Kommen hörte gewöhnlich die Behaglichkeit und der Frieden im Hause auf, – sagte die Mutter gleichwie vorher der Großvater:

»Was willst jetzt tun? In der Stadt drunten gibt's viele Neubaue, vielleicht daß sie dich irgendwo nehmen. Ich komm' zu einem Malermeister, – wenn ich mit dem sprechen täte? 's wär' doch in der Nähe, und wir könnten dann alle Morgen den Weg zusammen machen, und am Abend lauft noch mancher vom Dorf nach der Arbeit heim!«

Marie hatte sich in großen Eifer geredet, denn noch immer war es ihr sehnlicher Wunsch, daß ihr Mann sich zu Haus halten ließe. Er war nicht schlecht, nur leichtsinnig, und wenn sie ihn nur einmal fest daheim hätte ... Aber das gerade war nicht nach seinem Sinn.

»Brauch keine Kindsmagd und keinen Fürbitter, und daß mir's nicht paßt, nach dem Geschäft auch noch eine Stunde weit zu laufen, das hab' ich dir schon oft gesagt!«

Der Mutter Gesicht überflog ein bitterer Ausdruck. Wer fragte sie, ob ihr der Weg in die Stadt bei jedem Wetter und dazu noch mit dem schwerbepackten Wagen sauer wurde oder nicht? Ihr Mann mochte so etwas Ähnliches doch fühlen, denn er setzte sich nun breit zurück und sagte:

»Daß ihr aber nicht glaubt, daß ich nur so in den Tag hineinlebe, ohne mir etwas auszudenken, – da lest!« Er hatte bei diesen Worten einer schmierigen Brieftasche ein Zeitungsblatt entnommen und legte es auf den Tisch. Eine Stelle darin war rot unterstrichen, und da stand, daß geschickte und fleißige Maurer und Gipser unter sehr vorteilhaften Bedingungen irgendwo am Rhein zu einem großen Unternehmen gesucht würden.

Der Großvater legte das Blatt weg, nachdem er es gelesen hatte, und schüttelte mit dem Kopfe.

»Hab' bereits dorthin geschrieben, ich und ein paar andere noch, die die Hungerleiderei hier im Lande satt haben, und in den nächsten Tagen muß die Antwort kommen. Natürlich wird Geld an euch geschickt, – haufenweise,« prahlte Fritz, »und es soll mir niemand nachsagen, daß ich meine Familie nicht erhalte!«

Der Mann glaubte in diesem Augenblick selber, daß er der beste Gatte und Vater sei, und vergaß gänzlich, daß er bis jetzt das Wenigste zum Unterhalt des Hauses beigetragen hatte.

Der Großvater wollte heftig werden, aber er bezwang sich, denn er wußte, daß es doch zu nichts führte. Nur als Marie sich die Augen wischte und sagte: »Also so weit willst du fort? Ich mein' alleweil, die Kinder wären doch auch etwas, und wer sie nicht wachsen sieht, dem verkümmert die Liebe zu ihnen!« da konnte der Schuster-Martin sich nicht mehr halten. Er stand auf, ging zu seinem Geschäft zurück und sagte mit ingrimmiger Stimme: »Spar dir dein Reden, Marie, zu verkümmern ist da nichts mehr. Wenn einer so ohne Not leichten Herzens von den Seinigen wegkann, da ist etwas abgestorben oder hat nie gelebt!«

»Sag, daß der Vater nicht recht hat!« schluchzte Marie. Sie konnte die Antwort, die überhaupt ausblieb, nicht abwarten, sie mußte in den Stall, denn die Bleß verlangte in tiefen, ungeduldigen Tönen endlich ihr Futter. Fritz aber stülpte seine Mütze auf und stampfte mißmutig ins Dorf hinauf. Er hatte eigentlich einen festen Schlaf bei der Hitze tun wollen, aber der verging einem wahrhaftig bei solch widerwärtigem, langweiligem Gerede daheim. Auch die Kinder waren schon so duckmäuserig. Sie müßten der Mutter im Stall helfen, hatten sie ihm erwidert, als er ihnen draußen pfiff, und nicht einmal der Mohrle folgte ihm, dem Herrn im Hause, obgleich er ihn mit Schlägen dazu hatte zwingen wollen.

»Das Hundsvieh, das infame!« Und in Groll und Ärger schlenderte er zur Post, nach einem Brief fragend, um dann einen ordentlichen Wein zu trinken nach dem elenden Gesöff, dem Most, wie er sagte.


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