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Noch bei Dunkelheit brachen sie auf. Sie fanden keine Ruhe mehr. Zum Glück hatten sie zwei Pferde da, die ihnen Kurwenal für die Sommerszeit gebracht hatte. Am Morgen rasteten sie an einer heiligen Quelle, und gegen Mittag erreichten sie Ugrims Klause.
Der Einsiedler saß auf der Schwelle seiner Kapelle und las in einer Handschrift, in Augutins Bekenntnissen.
Wie er die Königin und ihren Begleiter erkannte, rief er ihnen entgegen: Freunde, ist die Erkenntnis über Euch gekommen? Siebzehn Monde harre ich Eurer Wiederkehr. Tut nun Buße und Ihr habt des Himmels Glück gewonnen.
Tristan lächelte und sagte sich: Himmelsglück? Gewonnen und verloren
Als sie dann in der Hütte saßen, fragte er den Klausner: Sagt, ehrwürdiger Vater, wollt Ihr mir einen Brief an König Marke aufsetzen?
Ugrim war gern bereit.
Wohlan! fuhr Tristan fort. Ich bin willens, Frau Isolden dem Könige zurückzubringen. Darnach werde ich hinaus in die weite Welt ziehen, es sei denn, er duldet mich an seinem Hofe. Ich würde ihm dienen, treu wie dereinst.
Und sie besprachen, was noch im Briefe stehen solle.
Stumm hörte Isolde zu.
Bereut Ihr Eure Liebe zu Herrn Tristan? fragte sie der Klausner.
Es war mein Los, ihn zu lieben, erwiderte die Königin. Jedermann soll sein Schicksal ehren und achten, sei es, wie es sei. Nie, auch nicht im Geheimsten meiner Gedanken, werde ich je begehren, unter einem andern Stern geboren zu sein. Meines Erdenganges Lust ist groß wie sein Leid. Unsagbar groß! Größe ist Schönheit. Was will ein Mensch mehr? Unsere Liebe kann niemals untergehn. Auch wenn wir beide gestorben sind, wird sie weiterleben, solange es Andre gibt, die sich lieben wie wir uns geliebt. Wie sollte ich Reue empfinden? Was auch die Gründe seien, die uns bewegen, voneinander zu gehn, wir tun es ohne Schwäche, in gegenseitiger Hochachtung, völlig als Herren unsrer selbst, Höherem wegen. Getrennten Leibes bleiben wir in unsern Träumen vereint.
Ugrim schüttelte sein ungeschorenes Haupt.
Merkwürdig, daß Gottes Diener immer nur ihre eigenen Gedanken begreifen!
Der Klausner kritzelte bis um Mitternacht. Als er Pergament und Tinte endlich weggelegt, sank er vor dem Gekreuzigten in die Knie und betete: Gott, Vater und Sohn, wie danke ich Dir aus tiefer Seele, daß Du mir mein armselig Leben gelassen hast, um diese zwei großen Sünder vor der Verdammnis zu retten. Vergönne ihnen Deine unendliche Gnade und schenke ihnen den ewigen Frieden!
Am Morgen las er seinen Beichtkindern den Brief vor. Stumm ward er angehört, und Tristan versiegelte ihn mit dem Runenringe.
Wer soll das Schreiben nach Tintagol tragen? fragte Ugrim.
Ich will selber zum Könige reiten, erwiderte Tristan.
Der Einsiedler wollte dies nicht zulassen. Er fürchtete, Tristans Feinde könnten ihn erkennen und ihm Übles zufügen.
Ich weiß wohl, Herr Ritter, meinte er, Ihr liebt die Gefahr. Das hat der Satan in Menschen Eurer Art gelegt. Aber es steht hier mehr auf dem Spiel als Euer Waffenruhm. Drum laßt mich gehn! Mich schützt meine Kutte.
Tristan beharrte bei seinem Willen.
Ich reite, erklärte er, und Ihr schützt mir derweil die Königin. Beim Anbruch der Nacht beginne ich meine Fahrt. Und übermorgen in der Frühe sollt Ihr mich wiedersehn.
In der Tat brach Tristan am Abend auf. Bis Tintagol hatte er achtzehn Wegstunden zurückzulegen, über Berg und Tal, zumeist auf schlechtem Weg. Aber es ritt sich prächtig. Es war um die Mitte des Herbstmonats. Die Mondsichel stand fahl über Hain, Hügel und Haide.
Zwei Stunden vor Sonnenaufgang band Tristan sein müdes Roß an eine Esche im Walde, warf ihm den Hafer vor, den er im Sattelsacke hatte, und schlich sich in den Baumgarten von Tintagol.
Unterm Bauernkittel trug er sein Panzerhemd. Bewaffnet war er mit des Königs Schwert, einem Dolch und dem Bogen, der seinem Namen Nimmer-Daneben bisher immer Ehre gemacht hatte.
Lautlos schritt Tristan an der alten Linde vorüber. Im Marmorweiher plätscherte der Wasserstrahl. Das war das einzige Geräusch im stillen Park. Inniglich gedachte Tristan der Geliebten und gemeinsamer Erlebnisse.
Unter dem Fenster von König Markes Schlafgemach stieß er einen Pfiff aus, dessen Dreiklang dem Oheim wohlbekannt war.
In der Tat erschien er am Fenster und öffnete es. Wer ruft mich zu so früher Stunde? fragte er mit gedämpfter Stimme.
Tristan von Leonnois!
Sei mir willkommen, lieber Neffe! Ich habe dich erwartet.
Ich bringe Euch einen Brief, fuhr Tristan mit leiser Stimme fort. Ich lege ihn hier am Fenstergitter nieder. Darin vernehmt Ihr meinen Vorschlag! Und Eure Antwort laßt morgen Abend an das Rote Kreuz binden! Ihr wißt, welchen Ort ich meine! Wir kamen oft vorbei, ehedem, wenn wir zur frohen Jagd durch die Weiße Haide ritten. Von dort wird Euer Brief mir gebracht.
In banger Sehnsucht wollte der König nach Frau Isolden fragen, doch Tristan war im Dunkel der Bäume wieder verschwunden.
Schmerzesvoll rief Marke ihm nach:
Verweile, Tristan!
Dreimal schrie er den Namen.
Wenige Minuten später war Tristan im Sattel und trabte bewegten Herzens gen Yvignac.
Noch in der Nacht mußte Markes Geheimschreiber, der alte Kaplan, Tristans Brief vorlesen, und auf den Mittag setzte der König einen großen feierlichen Rat in der Halle von Tintagol an. Tynas, der Seneschall, Herzog Audret und sieben der klügsten Edelleute wurden durch Eilboten herbeigerufen.
König Marke war der Liebe zu Frau Isolden nicht ledig. Wie ihm Tristans Angebot vorgelesen ward, war er voller Freude, aber er verbarg sie und sprach kein Wort.
Als seine Barone versammelt waren, begrüßte er sie und sprach: Meine edlen Herren, ich habe heute in der Morgenfrühe diesen Brief des Herrn Tristan von Leonnois erhalten. Hört ihn an und gebt Eurem König einen guten Rat! Sagt mir treu und ehrlich, was Ihr über den mir hier gemachten Vorschlag denkt!
Der Geheimschreiber trat vor, rollte das Pergament auf und las mit lauter Stimme:
Tristan von Leonnois entbietet dem König Marke von Cornouaille in Ehrfurcht seinen Gruß!
Ihr erinnert Euch, mein König und Herr, daß Ihr Eure Gemahlin, Frau Isolden, verstoßen und den Aussätzigen überantwortet habt, und Ihr wißt, daß ich die Königin vor gräßlichem Verderben bewahrt und in meinen Schutz genommen habe. Ehedem hatte ich sie als Euer königlicher Werber aus ferner Heimat über das Meer in Eure Arme geführt. Aber als sie Euer Weib geworden, haben Feinde und Verräter Euch den Glauben an die Treue der edelsten aller Frauen genommen. In Eurem Zorn habt Ihr Frau Isolden und mich als ihren Freund ohne Urteil zum Feuertode verdammt. Doch Der die Welt lenkt und der Menschen Schicksale, hat uns in wunderbarer Weise befreit. Von hohem Felsen sprang ich hinab, um unversehrten Leibes das Glück zu haben, die Königin zu retten. Seitdem hat der Mond siebenzehnmal gewechselt. Frau Isolde lebt, ist wohlauf und schöner denn je. Mich habt Ihr in Acht und Bann getan. Hundert Mark Gold wolltet Ihr dem geben, der mich Euch brächte, tot oder lebendig. Nach uraltem Brauch gehört Frau Isolde mir, denn Ihr habt sie Iwein geschenkt, und ich habe sie dem Elenden im Streit genommen. Gleichwohl, mein König und Herr, bin ich bereit, Euch die Königin mit ihrem freien Willen zurückzugeben unter der Bedingung, daß Ihr sie mit königlichen Ehren einholt und fortan in königlichen Ehren haltet. Ich aber fordre Eure Barone heraus, in ritterlichem Zweikampf mit mir zu fechten, so es einen unter ihnen gäbe, der sich erkühnt zu sagen, die Liebe und Freundschaft der Königin zu mir, Tristan von Leonnois, gereiche ihr, Euch oder mir zu Schmach und Schande. Ich bitte Euch, gebt dies Euren Edelleuten zu wissen! Auch bin ich bereit, Euch von neuem zu dienen, und keiner Eurer Vasallen wird Euch bessere Dienste bieten. Gefällt es Euch jedoch nicht, daß ich wiederum in Eurem Lande und an Eurem Hofe weile, so will ich Euch fern bleiben und irgendwo in der Welt einem andern Herrn seine Macht mehren helfen.
Sendet mir Euren Bescheid und laßt Euren Brief an das Rote Kreuz beim Dorfe Yvignac binden. Von dort werde ich ihn mir in der Nacht holen lassen. Falls Ihr meinen Vorschlag annehmt, so werde ich Euch die Königin feierlich zuführen. Bestimmt Ort und Zeit! Lehnt Ihr aber ab, so geleite ich Frau Isolden zurück nach der Grünen Insel.
Hiernach fragte König Marke die anwesenden Edelleute: Was sagt Ihr zu Herrn Tristans Vorschlag? Ist einer unter Euch, der ehrlich mit ihm kämpfen will ? Wollt Ihr Frau Isolden von neuem als Eurer Königin dienen? Wollt Ihr, daß ich auch Herrn Tristan, meinen Neffen, wieder unter meine Barone aufnehme? Ihr wißt, der Leonnois ist immer und überall der besten Ritter und kühnsten Recken einer!
Audret, Denowal und Godwin schauten einander verstohlen und verlegen an, aber keiner von ihnen trat herzhaft hervor. Beim Namen des tapferen Mannes rutschte ihnen zu aller Zeit der Mut in die unteren Gewänder. Mit Herrn Tristan einen Zweikampf zu wagen, dünkte sie siebenfacher Selbstmord.
Gleichwohl drängte sich Herzog Audret pomphaft vor die Andern.
Königlicher Oheim und Herr, hob er an, nehmt die allverehrte Königin in Gnaden und Ehren wieder auf! Niemand ist unter uns, der die ehemalige Nachrede erwähnenswert erachtet. Holt Frau Isolden feierlich ein! Lang ist es her, daß wir hier bei Hof ein Fest gefeiert. Was jedoch Herrn Tristan, Euern jüngeren Neffen aus dem Lande Leonnois, anbelangt, so habt die hohe Huld, ihm den Kriegsdienst an andern Fürstenhöfen nicht zu verwehren. Er ist ein ehrenwerter Held, dem es gebührt, in aller Welt berühmt zu werden. Wir wollen ihm hierin nicht hinderlich sein.
Nochmals fragte König Marke: Erhebt keiner meiner Barone Klage wider Frau Isoldens oder Herrn Tristans Ehre?
Dreimal fragte er so nach altem Brauch.
Alle schwiegen.
Da wandte sich König Marke an Tynas von Dinan, den Altesten seiner Räte. Und was sagt Ihr, mein ehrwürdiger Seneschall, zu Herrn Tristans Angebot?
Mein König und Herr, antwortete Tynas, es ist das erste Mal seit meiner hohen Königin Flucht, daß mir mein Gelübde gestattet, wieder vor Eurem Thron zu erscheinen. Euer Bote verkündete mir, es gehe um Frau Isoldens Wiederkehr oder weitere Verbannung. Mit Freuden vernehme ich, daß Ihr nun andern Sinnes seid denn damals, als die Scheiterhaufen rauchten. Gern gebe ich alter Diener Eures Hauses Euch meinen Rat. Setzt die Frau Königin wieder ein in alle Ehren, haltet sie hoch und heilig! Und dankt es Herrn Tristan, einem Ritter ohne Furcht und Tadel, daß er es Euch möglich macht, Eure zornige Tat wieder gutzumachen. Was ihn selbst anbelangt, so enthalte ich mich meiner Meinung. Tut, was Euch Euer Herz befiehlt!
Eine Weile sann Marke nach.
Dann befahl er dem Kaplan: Setzt Euch hin und fertigt ein Breve aus, so rasch Ihr könnt! Ich entbiete Herrn Tristan von Leonnois, meinem lieben Neffen, meinen königlichen Gruß, ebenso Frau Isolden, meiner verehrten Gemahlin. Ich danke Herrn Tristan allergnädigst, daß er die Königin aus Not und Tod gerettet, vor Übel und Gefahr beschirmt und sie mir in Ehren erhalten hat. Ihrer Heimkehr steht nichts im Wege. Am dritten Tage zur Mittagsstunde will ich mich mit stattlichem Gefolge an der Siechenbrücke in der Weißen Haide einstellen und Frau Isolden mit königlichen Ehren zurück nach unserm Schlosse Tintagol führen, wo ich sie hinfort halten will als die Königin und herrlichste Frau meines Reiches. Was auch geschehen sein mag, es ist vergessen und vergeben. Keiner meiner Barone klagt Euch, Herr Tristan, unritterlicher Dinge an. Gleichwohl erachte ich es für recht und richtig, daß Ihr mir und meinem Lande nicht weiter dient. Ihr habt meinen Schutz in meinem Gebiet in diesen drei Tagen. Dann aber geht mit Gott, wohin es Euch beliebt! Eure Tapferkeit wird Euch durch alle Welt berühmt machen.
Damit entließ König Marke seine Räte.
Gegen Abend unterschrieb der König das ausgefertigte Schreiben und befahl dem Kämmerer Paranis, nach Yvignac zu reiten und den Brief an das Rote Kreuz zu binden.
Der Ritter, der seine Königin nach wie vor über alles liebte, und der in der langen Zeit ihrer Abwesenheit voll Herzeleid um sie gewesen, eilte von dannen. Auf Brangänens Bitte, die vor Freude außer sich war und am liebsten gleich mitgeritten wäre, nahm er, verpackt in ein Leinentuch, Isoldens Purpurmantel mit, dazu einen langen golddurchwirkten weißen Schleier. Nicht wie eine Landstreicherin, die aus Mitleid aufgenommen wird, vielmehr als die mit Fug und Recht wiederkehrende stolze Fürstin sollte die hochverehrte Herrin heimkommen.
Im Augenblick, da die Sonne hinter den grünen Hügeln versank, kam Tristan an das Rote Kreuz und nahm das ihm Hingelegte. Es war uralte Sitte in der Bretagne, daß unbeschütztes Eigentum als heilig galt. Niemand, auch der schäbigste Bettler nicht, hätte des Königs Brief oder den kostbaren Mantel angerührt oder gar gestohlen.
Tristan hatte in der Nähe im Dornbusch gerastet und ungesehen beobachtet, wer des Königs Bescheid brächte. Als er sah, daß Paranis es war, da wußte er, daß keinerlei Hinterlist ihm drohte.
Sorglos und doch sorgenvoll wie nie sonst trabte er dahin. Er hatte nachgeschaut, was wohl im Leinentuche sei. Den Brief aber erbrach er nicht. Die Wahl des Boten und der Purpurmantel sagten ihm genug. Isolde war von neuem zur Königin erhoben.
Und er selber?
Ach, er brauchte sein Schicksal nicht erst aus den königlichen Worten zu erforschen. Nun bin ich wieder, was ich war: Tristan der Heimatlose!
Halbhell umschimmerte ihn die Septembernacht. Mattblau blinkte der hohe Himmel; zuweilen flackerten die Sterne. Wehmut träumte über der endlosen Haide und Trauer über den stillen Wipfeln des langhingedehnten Waldes, dessen Dunkel ihn alsbald aufnahm.
Stunde um Stunde ritt er weiter.
Blutrot entflammte der Morgen.
Der nächtliche Reiter kam zur Klause. Isolde saß vor der Hütte. Ugrim betete. Ach, alle Frommen der Welt hätten auch nicht das Geringste an dem geändert, was eine grausame Vorsehung beschlossen hatte.
Tristan überließ dem Klausner das nasse Pferd. Wortlos hing er der verlorenen geliebten Frau den Purpurmantel um und küßte sie auf die Stirn. Ich grüße Dich, Königin! rief er. Heil Dir und wehe mir!
Ugrim kam. Ehrfürchtig, feierlich, gemütlos las er des Königs Brief vor.
Stumm hörte Isolde zu.
Als der Klausner zu Ende war, ergriff sie Tristans Hand und ging mit ihm nach einem lieben Platz im Wald, auf einer Höhe, die wie eine Insel über das Waldmeer ragte. Von dort aus sah man am Horizont gegen Norden ein Stück von der fernen See.
Liebster, morgen scheiden wir von einander, sprach Isolde. Vielleicht ist dies unser letzter glücklicher Tag. Wir wollen uns seiner freuen! Küsse mich!
Tristan küßte die Geliebte und küßte sie immer wieder.
Und am Abend fragte er sie: Sag mir, Liebstes auf Erden, was soll ich dir beim Scheiden geben, auf daß du alle Tage meiner gedenkest?
Isolde seufzte und sagte: Lasse mir Hüsdan! Niemals und nirgends soll es einem Tier bei einem Menschen besser ergangen sein als es deinem Hunde bei mir ergehen soll. Wenn ich ihn sehe, werde ich mich deiner erinnern, und es wird mir weniger weh um mein Herz sein. Und wenn ich leise deinen lieben Namen rufe, wird mich Hüsdan verstehen. Sieh hier diesen Ring mit dem grünen Stein, rote Tropfen darin! Freund, diesen Jaspisring gebe ich Dir. Trage ihn immerfort, und wenn mir je ein Bote von dir Wichtiges vermelden soll, so werde ich ihm nicht glauben, was er auch sagen mag, bis er mir nicht diesen Ring zeigt. Doch wenn ich den grünen Stein erblicke, dann soll mich keine Macht, kein Gesetz, kein Verbot hindern, zu tun, was du mir zu tun entbietest, sei es gut oder böse, klug oder torhaft!
Freundin, ich schenke dir Hüsdan!
Freund, nehmt den Jaspisring!
Weinend küßten sie einander.
Die Stunde schlug, da Tristan und Isolde zum letzten Male in ihrem Leben Seite an Seite durch Hag und Haide ritten.
König Marke hatte im Reiche verkünden lassen, daß er an dem verabredeten Tage bei der Siechenbrücke die Königin empfangen werde. In allen Dörfern, durch die Tristan und Isolde kamen, eilten die Bauern herbei, die beiden zu sehen, ihn auf seinem Rappen, im schlichten Panzerhemd, die schmucklose Sturmhaube über dem bleichen Haupte, sie auf ihrem Zelter, im Purpurmantel, den golddurchwirkten Schleier über dem blonden Haar. Jedermann im Lande liebte sie, mit Ausnahme von vier Verrätern, die noch immer ihr verruchtes Leben führten.
Von den vieren aber war dem Einen vorbestimmt, daß er durch das Schwert fallen, dem Zweiten, daß er von einem Pfeil ereilt, dem Dritten, daß er an einem hohen Aste verenden, dem Vierten, daß er im Meere ertrinken werde. Die Liebenden sollten sich des Glückes erfreuen, sich an allen ihren Feinden gerächt zu wissen.
Wie sie vom Hang ins Tal hinabritten, sahen sie jenseits der Brücke auf der andern Höhe Markes Gefolge stehen. Es funkelten die Helme und Harnische in der hellen Sonne. Es leuchteten die weißen Zelte, und über ihnen flatterten die bunten Banner des Königs und der Barone.
Angesichts dieses ritterlichen Bildes sprach Tristan: Freundin, dort hält Euer König und Herr im Kreise seiner Ritter und Mannen. Sobald sie uns erkennen, werden sie uns entgegen reiten, um uns an der Brücke zu empfangen. Nicht mehr werden wir liebe Worte wechseln können. In wenigen Augenblicken seid Ihr die Königin und ich ein fremder Höfling. Scheiden wir hier auf dem grünen Feld als Freunde und Menschen! Bei allem, was uns heilig, ich beschwöre dich, die mir Liebste in der Welt, wenn ich jemals eine Botschaft an dich richte, tu, was ich dir entbieten werde!
Tristan, geliebter Freund, erwiderte Isolde, Tränen in den Augen, ich schwöre dir: wenn ich je den Ring mit dem grünen Stein erblicke, so soll mich keine Macht, kein Gesetz, kein Verbot hindern, zu tun, was du mir zu tun entbietest, sei es gut oder böse, klug oder torhaft!
Isolde, dein und mein Gott mögen dir dies danken! sprach Tristan, sein Haupt entblößend.
Der Weg durchquerte eine kleine Schlucht. Tristan drängte sein Pferd dicht an Isoldens Zelter, schlang seinen linken Arm um ihren geliebten Leib und küßte sie auf den zuckenden Mund.
Freund, sagte sie voll Betrübnis, wie bangt mir vor den ersten Tagen und Nächten in Tintagol! Bleibe noch drei Tage beim Eremiten. Ich werde den treuen Paranis zu dir senden. Erst wenn du weißt, wie Marke mich hält, in Grimm oder Güte, und wie sich deine Feinde wider mich führen, erst dann verlasse dies Land und beginne deine große Fahrt durch die Welt, dir und mir zur ewigen Ehre!
Wehe dem, der dich zu kränken wagt! rief Tristan. Tue, wie du gesagt! Schicke Paranis; ich werde ihn erwarten.
Sie näherten sich der Siechenbrücke. Von drüben galoppierte die funkelnde Schar Ritter ihnen entgegen; Tynas, der ehrwürdige Seneschall, vorweg. Sie begrüßten Tristan und Isolden und geleiteten sie an die Zelte. Zu Fuß schritten die beiden vor König Marke. Und Tristan sprach: Mein König und Herr, ich bringe Euch die Königin zurück. Nehmt sie auf in Ehren und haltet sie in Ehren allezeit! Marke dankte in ehrlichen Worten. Wäre er allein mit Tristan gewesen, nicht inmitten der Ritter und Höflinge, so hätte er ihn an sich gedrückt. Nirgends in der Welt gab es einen Mann, den er höher geschätzt hätte als den, der vor ihm stand, um auf immer von ihm zu scheiden. Er war nahe daran, Tristan in feierlicher Form aufzufordern, am Hofe von Cornouaille als Freund, Vasall und Erbe zu verbleiben.
Die Barone sahen und fühlten es, und einer, den der König gern um sich hatte und oft auf ihn hörte, Herr Andree von Nicole, wagte leise Fürbitte. Aber von der andern Seite flüsterte Herzog Audret: Königlicher Oheim, gedenkt der blutigen Sense! Da ließ Marke sein Herz schweigen.
Tristan grüßte die Ritter und Herren, verneigte sich vor dem König, vor der Königin, schritt in edler Würde zu seinem Rappen, saß auf und ritt im Schritt langsam zur Brücke.
Bald war er den Blicken der Barone entschwunden. Isolde aber schaute ihm nicht nach; sie wußte, der Leonnois werde sich nicht umsehen. Bis in die späte Nacht ward der Königin Wiederkehr im Schlosse zu Tintagol gefeiert.
Tristan kehrte nach der Einsiedelei zurück.
Er war entschlossen, sobald ihm Paranis berichtet hatte, nach seiner Burg Kanohel zu reiten und nach kurzem Verweilen daselbst, begleitet vom treuen Kürwenal, die große Fahrt in der Richtung gen Mittag anzutreten. Des Südens Sonne lockte ihn.
Der Kämmerer traf am dritten Tage ein: König Marke ließ es der Wiedergekommenen an nichts fehlen, und Tristans Feinde am Hofe überboten sich an Liebedienerei, war doch der Verhaßte vertrieben und die edle Beute ihm für immer entrissen. Überdies sei wiederum einer der Verräter von ehedem aus der Welt geschieden. Melot der Zwerg habe in der letzten Nacht an einem Aste aufgehangen im Baumgarten geendet. Vermutlich habe König Marke es heimlich anbefohlen, veranlaßt durch die gelegentliche Äußerung der wiedergekehrten Königin, der Zwerg verleide ihr den ganzen Tag, wenn sie früh ihn sähe. Tristan hatte solche Botschaft erwartet. Der Weg ins Weite lag ihm nun offen, aber der Abschied von dem Lande, das ihm die Gastfreundschaft versagte, fiel ihm unsäglich schwer. Er fühlte sich einsamer denn je.
Was zögerte er noch, sein gegebenes Wort zu erfüllen? Schlaflos lag er die ganze Nacht. Am Morgen sattelte er sein Roß, nahm Abschied vom Klausner und ritt – nach Osten.
Es war in der vierten Nacht, die Isolde wieder neben ihrem Ehegemahl lag. Eben war draußen über den Wipfeln des Baumgartens der Mond aufgegangen. Ein Strahl seines blauen Lichtes drang ins Gemach.
Die Gedanken der schlaflosen Königin waren auf den Flügeln der Sehnsucht in weiter Ferne. Wo mochte Tristan heute weilen?
Ritt er durch sein Heimatland Leonnois? Gedachte er ihrer zu dieser stillen Stunde? Wie sie seiner so inniglich gedachte, da begann im Baumgarten eine Nachtigall ihr Lied. Isolde fuhr auf und horchte atemlos. Wie süß klang des Vogels Klage! Wie eigentümlich geistvoll wiederholte sich wieder und wieder ein bestimmtes Motiv! Die Lauscherin gedachte des geliebten Freundes noch lebhafter denn zuvor.
Ach, eines Abends, als wir im Walde von Morlaix saßen, auf unserm lieben Hügel, vor uns im Fernen den weißen Saum der See, da sang mir Tristan ein Lied der Nachtigall, wie sie es singt, wenn sie am letzten sonnigen Herbstabend Abschied nimmt von der nordischen Heimat. Er war fröhlich wie ein Kind; ich vergaß alles, was mich bisweilen traurig machte damals in unsrer glückseligen Einsamkeit.
Wo mag Tristan weilen in diesem Augenblicke? Werde ich mich je wieder seiner Fröhlichkeit erfreuen, je wieder seine übermütige Stimme hören, je wieder seine goldenen Augen schauen?
Von neuem rief das seltsame wehmütige verführerische Motiv.
Mit einem Male wußte Isolde:
Das ist Tristan! Er ist da, um mir das letzte Lebewohl zu sagen. Sie sprang auf.
Und wäre es mein Tod, rief sie sich bebend zu, Du rufst, liebster Freund, ich komme, wo Du auch seiest!
Neben ihrem Lager hing ein Mantel von weißen Schwanenfedern. Ihn tat sie um ihr Hemd. Und leise wie eine Katze verließ sie das eheliche Gemach.
In der Halle, durch die man nach dem Garten ging, hielt sich die Wache auf, die der Reihe nach von den Rittern des Hofes gehalten ward. Der Zufall hatte es gefügt, daß Ritter Denowal, der arglistige und feige Feind des Herrn Tristan, den Dienst in dieser Nacht hatte. Er lag auf der Bank am Kamin und schnarchte laut. Isolde huschte an ihm vorüber, hob den Riegel der Gartenpforte hoch und trat vor an die breite marmorne Freitreppe, von der man den Garten bis zum Brunnen überschaute. Ein paar Augenblicke horchte sie in die stille Nacht.
Urplötzlich verstummte die Nachtigall.
Unter der hohen Linde hob sich eine Männergestalt ab. Eine Panzerhemd blinkte.
Mein Tristan!
Denowal war erwacht. Es war ihm, als habe er die kleine Pforte nach dem Baumgarten knarren gehört.
Verschlafen erhob er sich und ging vor die Tür. Lauernd spähte er aus. Nirgends die geringste Bewegung.
Überzeugt, daß er sich getäuscht habe, schritt er auf das Brunnenbecken zu.
Da vertrat ihm Tristan den Weg, das blanke Schwert in der Rechten.
Steh mir, Verräter! rief er.
Denowal wandte sich in eiliger Flucht. Er kam nicht weit; in den Rücken getroffen, brach er lautlos zusammen.
Tristan und Isolde sanken sich jubelnd in die Arme.
Freue dich, Freund! Er war dein Feind! frohlockte die Wikingerin.
Bis der Morgen graute, feierten die beiden, einander umschlungen, unter den Bäumen des Parkes, keiner Gefahr achtend, ihre letzte Liebesnacht.