Arthur Schurig
Der Roman von Tristan und Isolde
Arthur Schurig

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Unweit der Burg ließen sie die Pferde mit dem Manne im Walde und begaben sich beide an das Tor. Kaherdin schloß es mit seinem Schlüssel auf. Aber das Unglück fügte es, daß ihm der Wind den Hut vom Haupte riß und in den Graben warf. Es war eine rote Rose als Zeichen seines Glückes daran gesteckt.

Gariole empfing den geliebten Mann voller Freude; aber lange durfte er nicht verweilen. Darum nahm sie Herrn Kaherdin sogleich in ihre Kemnate, wo sich die Liebenden nach Herzenslust nahmen und gaben, was sie in so langer Sehnsucht entbehrt hatten.

Indem saß Herr Tristan bei der Kammerfrau in der Halle. Zur Kurzweil schoß er mit seinem Bogen Bolzen in die Wand. Das verstand er wie kein anderer. Immer traf er die nämliche Stelle.

Als die Stunde des Abschieds gekommen war, allzubald für die heimlichen Liebesleute, aber Vorsicht und Klugheit mahnten zum Aufbruch, da verließen die Gefährten die Burg, verschlossen das Tor sorglich und machten sich auf die Heimfahrt.

Den Bolzen aus der Wand zu ziehen, das vergaß Herr Tristan.

Wie sie gemächlich dahintrabten, froh über das gute Gelingen ihres Abenteuers, sprang ein Reh vor ihnen über den Weg. Ohne sich zu bedenken, setzten sie dem flüchtigen Tiere nach; den Knecht ließen sie am Ort warten.

Die Jagd, die sie da begannen, war ein unselig Ding; sonst hätten sie nicht so lange in der Gegend verweilt. Da sie aber das Reh nicht sogleich ereilten, jagten sie ihm regelrecht nach.

Derweil war Herr Bedenis nach seiner Burg zurückgekommen. Wie er über die Brücke ritt, erspähte sein allezeit argwöhnischer Blick tief unten im Graben den Hut mit der roten Rose. Des verwunderte er sich. Und als er durch die Halle ging, da bemerkte er den Bolzen in der Wand. Er wußte auch sofort, wes Liebhaberei dies war.

In Haß und Zorn begab er sich nach dem Frauengemach.

Gariole, rief er mit grimmiger Stimme, während ich auf der Jagd war, hast du Herrn Kaherdin empfangen und seinen Spießgesellen, Herrn Tristan! Ist es an dem? Sprich!

Drohend zog er seinen scharfen Hirschfänger. Ohne zu warten, bis sich Gariole vom ersten Schreck erholte, fuhr er in seiner Wut fort: Gestehe die Wahrheit oder, bei meiner Ehre, du bist des Todes!

Die Ungetreue verlor ihren Mut und bekannte, daß Kaherdin und Tristan in der Burg gewesen waren.

Und was hatte Kaherdin bei dir zu suchen? forschte der Eifersüchtige weiter.

Er ist zufällig vorüber gekommen, und da er mir Freund seit meiner Jugend ist, habe ich ihn begrüßt.

Er hat dich geküßt? fragte Bedenis.

Gariole gab es zu.

Es ist mehr geschehen! schrie der Graf.

Mehr ist nicht geschehen! beteuerte sie.

Du lügst, Gariole; ich sehe es an deinen falschen Augen. Und darum mußt du sterben noch in dieser Stunde!

Weinend gestand sie da alles, was sich zugetragen.

Bedenis fragte weiter: Und wie sind diese verruchten Räuber in meine Burg gedrungen?

Ich weiß es nicht, erwiderte Gariole, die kaum noch atmete.

Der Graf sperrte sein unglückliches Weib ein und rief sieben seiner stärksten Leute. Er befahl ihnen, sich mit Helm, Schild, Schwert und Lanze zu rüsten. Mit ihnen eilte er den beiden Rittern nach. Ach, nimmermehr wären sie eingeholt worden, wenn der unselige Zufall nicht die Hand ins Spiel gesteckt hätte.

Als sie an die Stelle kamen, wo der Knecht wartete, ergriffen sie ihn und forschten ihn aus. Arglos berichtete er, wer seine Herren wären, wie sie einem Reh nachgesetzt seien, und daß er ihrer warte. Da schlugen sie ihn mit den Lanzenschäften, bis er zusammenbrach, und legten sich in einen Hinterhalt.

Es währte nicht gar lange, da erschienen Tristan und Kaherdin, ohne das Reh erjagt zu haben, ihre lahmen Pferde am Zügel, selber müd und matt, und suchten den Knecht.

Wie Bedenis seines Nebenbuhlers ansichtig ward, stürzte er sich wie rasend auf ihn. Drei seiner Knechte halfen ihm; die vier andern bedrängten Herrn Tristan. So war es verabredet.

Der überraschte Kaherdin wehrte sich, so gut er konnte. Man stach ihn nieder. Auch Tristan kämpfte mannhaft. Er hatte sein Schwert gezogen und überwältigte drei der Angreifer. Wie er dem vierten den Todesstoß verabreichte, kam Bedenis von hinten heran und trieb ihm den Speer in die linke Schulter.

Wie ein verwundeter Löwe wandte sich Tristan um, riß den Speer aus der blutenden Wunde und rannte ihn mit wildem Schlachtenrufe dem Feinde in die Rippen. Dann sank er hin und verlor die Besinnung.

Als er wieder erwachte, sah er sich in den Armen von Kaherdins Knecht, der sich wieder erholt hatte. Tristan hatte große Schmerzen. Er wußte, daß er eine Todeswunde empfangen, denn der Speer war vergiftet.

Nachdem der Knecht ihm das Blut gestillt und ihn notdürftig verbunden hatte, raffte er sich auf. Sie hoben den Toten in den Sattel seines Pferdes und führten es nach dem nächsten Gehöft. Am Abend holten König Howels Ritter den Toten und den Todkranken ein und geleiteten sie mit ritterlichen Ehren nach Kerahes. Wer dem feierlichen Zuge begegnete, entblößte trauernd sein Haupt.

Mit Prunk und Pracht ward Herzog Kaherdin in der Gruft seiner Väter beigesetzt.

Länger denn ein Jahr lag Herr Tristan an seiner schlimmen Wunde darnieder. Wie er endlich wieder reiten mochte, begab er sich eines Tages auf die Beize, begleitet von Kurwenal. Sie nahmen den Weg gen Osten nach den waldigen Bergen, von deren Höhe man einblickt in das weite Land von Cornouaille.

An eine hohe Fichte gelehnt stand Tristan eine lange Weile da, stumm, in Gedanken verloren, und schaute in die blaue Ferne.

Wie zu sich selbst sagte er dann: Liebste aller Frauen, ob ich dich je wiedersehe?

Kurwenal, der hinter ihm bei den Pferden im Haidekraute lag, wagte die Worte: Wenn es geschähe, lieber Freund, wärst du ein Narr!

Tristan griff das Gesagte auf.

Kurwenal, fragte er, glaubst du, daß man mich in Tintagol erkennen würde, wenn ich im Narrenkleide käme?

Tristan hatte seine Mannesschönheit verloren. Wer ihn gekannt, ehe die Wundrose ihn heimgesucht und das lange Siechtum ihn ausgemergelt, dem war er fremd geworden. Das volle braune Haar war ihm ausgefallen; spärlich nur wuchs es nach. Sein ehedem frisches rotes Gesicht war mager und so bleich wie aus Wachs. Nur in den Augen loderte zuweilen das alte Feuer.

Keiner erkennt dich! erwiderte Kurwenal. Darum wärst du doppelt Narr, wenn du verlorene Liebe wiedererobern wolltest. Sei mit der Erinnerung zufrieden, daß dir einstmals die schönste der Königinnen zu eigen war! Freue dich bis in deine letzte Stunde, daß du zu den Wenigen auf dieser armseligen Erde gehörst, die sich zu den Siegern des Lebens zählen dürfen!

Tristan lachte und schwieg.

Sein Entschluß war von Stund an gefaßt.

Ohne seinen Hausgenossen und Freunden, ja ohne dem treuen Gefährten Kurwenal von seinem Vorhaben zu sagen, verließ Herr Tristan in der Frühe eines Sommertages, als alles noch im Schlafe lag, die Burg Kerahes, zu Fuß, im bunten Narrenkleide, das er heimlich sich hatte machen lassen, die bunte Kappe auf dem Haupt, einen keulenartigen Knittel an einem Stricke um den Hals gehängt.

Leichten Herzens wanderte er die Straße gen Tintagol. Er nahm sich Zeit, besuchte manchen ihm liebgewordenen Ort und erblickte gegen Mittag des siebenten Tages den Römerturm von König Markes Burg.

Nachdem er gerastet, überschritt er, gemächlich wie ein echter Narr, die breite Grabenbrücke und klopfte beim Torwart.

Unterwegs hatte sich Tristan sein Abenteuer in Gedanken hundertmal vorgestellt. Wenn man ihn im Schlosse erkannte, so war es um ihn geschehen. Des zweifelte er nicht.

Mag man mich totschlagen, sagte er bei sich, was wäre es Schlimmes? Wenn ich die blonde Isolde nur noch einmal sehe, will ich mit Freuden den Tod erleiden. Sterbe ich nicht längst schon, langsam, Tag um Tag?

Der Torwart, der gern seinen Spaß machte und an der Tracht des Ankömmlings ersah, wes Geistes Kind er sein mochte, fragte: Kumpan, seid Ihr endlich da? Habt Euch redlich Zeit genommen!

Mit verstellter Stimme erwiderte Tristan: Auf der Hochzeit war ich des Abts vom Kloster Dol und der Äbtissin von Avranches. Da ging es hoch her. Es wimmelte von Tonsuren, sage ich dir. Zur Kirche sind sie auf Besenstielen geritten, und getanzt haben die Nonnen, daß die Rosenkränze nur so flogen. Aber ich mache mir aus Betschwestern nichts, und übrigens hat mich König Marke zur Tafel befohlen.

Freilich, freilich! meinte der Torwart, der des Königs Vorliebe für närrische Kurzweil kannte. Komm herein! Alles wartet auf dich.

Im Burghofe umdrängten die Knechte und Knappen den Narren und begrüßen ihn mit spöttischen Reden.

Erlauchter Gast! höhnten sie ihn. Sieht der Bursch nicht grad so blöd drein wie sein Vater?

Als Antwort schwang Tristan seine Keule und jagte den Schwarm auseinander. So gelangte er unbehelligt an die Türe zur Halle.

Er trat ein und sah sich vor dem König und der Königin, die eben ihr Mahl beendet hatten. Paranis, Brangäne, Audret und zwei, drei Ritter waren bei ihnen.

Tristan hing sich die Keule wieder um den Hals und machte eine Verbeugung nach der Seite hin, wo niemand saß.

Alle lachten.

Seid willkommen, Freund! rief ihm der König belustigt zu. Tretet näher!

Mit seiner seltsam verstellten Stimme erwiderte Tristan: Herr von Cornouaille, gut und edel seid Ihr, ein wahrer König. Ich wußte es immer, und da ich Euch und die Königin sehe, schlägt mein Herz höher vor Ehrfurcht und Liebe.

König Marke nickte beifällig.

Nun sagt, Freund, wer seid Ihr, woher stammt Ihr, und was sucht Ihr in meinem Reiche?

Ich bin Tantris der Narr. Der und jener von Euch wird diesen weltberühmten Namen wohl schon einmal gehört haben....

Tristan blickte zu Isolden hin. Und mit einer verrückten Geste fuhr er, zum König gewandt, fort: Wisset, ich bin in Grönland geboren; mein Vater war ein Walroß, meine Mutter ein Walfisch. Und was ich in Eurem Reiche suche? Isolden, Euer Weib, suche ich, denn ich liebe sie, und sie liebt mich. Wir gehören einander, im Leben und im Tode! Ich will Euch eine Andre bringen, ihre Schwester, die schöne Braunholde. Schenkt mir die blonde Isolde! Ich will sie mit mir nehmen.

Wohin? fragte König Marke.

In mein himmlisches Schloß hoch über den Wolken voller Sonne und Rosen. Dort wollen wir ewiglich wohnen, unberührt vom irdischen Ungemach.

Ein trefflicher Narr, der so schön zu reden weiß, meinte einer der Barone.

Tristan ließ sich auf dem Teppich nieder, zu Isoldens Füßen, und schaute sie ohn Unterlaß mit verzücktem Blick an.

Freund, sprach Marke, wie vermagst du dir einzubilden, daß die Frau Königin Wohlgefallen an dir finden könne ? Weißt du nicht, Narr, wie häßlich und armselig du bist?

Herr, erwiderte Tristan, manche Tat hab ich für die getan, die ich liebe, und wenn ich zum erbärmlichen Narren ward, so geschah auch dies um sie. Erzählt! Vielleicht hörten wir von deinen Taten.

Ich war ein Kämpfer ohnegleichen. Riesen und Recken habe ich erschlagen; Königreiche vor übermächtigen Feinden gerettet.

Und zu Isolden gewandt, fuhr er fort: Ein stolzer Ritter war ich, ein zärtlicher Sänger. Erinnert Ihr Euch des alten Liedes:

Ohn daß wir fragten Vater und Sippe,
Wurden wir Eines, Du,
Königstochter, Ich, Königssohn...

Welch andern Klang hatte Tristans Stimme dereinst! Bei dem Namen Tantris und mehr noch bei Hagbards Lied schauerte Isolde zusammen.

Wer ist dieser häßliche Narr? fragte sie sich. Was ist er, daß er sich erkühnt, meine heimlichen Erinnerungen anzurühren? Ist er ein Seher? Ein Dämon?

Entsetzt schaute Isolde dem verwegenen Sprecher in das Auge. Flackerndes Feuer glühte und gleiste darin.

Der Narr redete weiter.

Eine Scharte war in meinem Schwert. Du aber küßtest mich vor König und Volk! Erinnert Ihr Euch, Königin?

Isolde fuhr auf:

Aus meinen Augen, Narr! Deine verrückten Späße mißfallen mir!

Da wandte sich Tristan gegen die Ritter: Fort, ihr Verrückten! Hinaus! Das Mahl ist längst zu Ende. Ihr habt genug gefressen. Trollt Euch, Ihr Schmarotzer!

König Marke lachte kräftig.

Die Barone ärgerten sich.

Audret rief Tristan zu: Fort mit dir, übler Narr!

Tristan machte eine verächtliche Gebärde und begann mit noch unheimlicherer Stimme: Blonde Frau, zur Sommersonnenwende fuhren wir dahin, unter schneeweißem Segel, hoch darüber der rosige Wimpel....

Die Königin unterbrach ihn heftig: König Marke, laßt den Narren vor die Tür setzen! Er ist trunken.

Fürwahr, Königin, rief Tristan aus, ich bin trunken, von einem Zaubertranke, der mich mit Feuer erfüllt auf immerdar. Erinnert Ihr Euch, Frau Isolde, der Tag war herrlich und heiß, die Sonne funkelte über dem stahlblauen Meere, wir waren auf Cythera, Euch dürstete. Erinnert Ihr Euch, wir tranken aus dem gleichen Becher. Seitdem immerdar bin ich trunken.

Als Isolde diese Rede hörte, die nur sie und Brangäne verstehen konnten, hüllte sie ihr heißes Haupt in das morgenländische Seidentuch, das sie um die Schultern trug.

Sie war erregt und erschüttert. Wer war dieser Narr? Hatte Tristan ihn hergesandt, sich an ihr durch Spott und Hohn zu rächen?

Geh noch nicht, Königin! bat Tristan.

Bleibe, liebe Freundin! sagte Marke. Der Narr soll uns von andern Dingen berichten.

Sagt, Freund, welches Handwerk habt Ihr erlernt, was versteht Ihr für Künste?

Tristan antwortete: Ich reite durch die Lande, jage in den Wäldern, fische in den Wassern, kann fliegen bis in die Wolken, reden mit den Hunden, singen wie die Vögel... Erinnert Ihr Euch, Königin, daß die schönsten Forellen, die Ihr je gegessen, mit meiner Angel gefangen waren? Sang je ein Pirol so lustig wie ich vor Euch am Waldessaum? Und schnitzen kann ich und ritzen, Sterne auf Spähne. Hei, wie sie schwimmen bis in der Liebsten Haus! Erinnert Ihr Euch, Königin? Lobt meine Künste!

Auch die Keule schwinge ich, fuhr Tristan fort, sich seiner Narrenrolle besinnend, und er trieb die Ritter zur Tür hinaus.

Genug des Spieles, Ihr Narren! Geht! Ich will mit der Königin allein sein, rief er.

Isolde verabschiedete sich von Marke und zog sich in ihr Gemach zurück.

König Marke befahl die Pferde und Falken.

Nur der Narr verblieb in der Halle. Träumend saß er auf einer Bank im Winkel.

Als Isolde in ihrem Gemache war, setzte sie sich voll Kummer und Wehmut auf ihr Bett und sprach zu Brangänen: Freundin, wie schwer ist mir das Herz! Armselig ist mein Leben, seit die Sonne daraus schwand. Dieser böse Narr hat meine Seele aufgewühlt. Weiß er nicht alles, was ich je erlebt? Sogar das Heiligste und Heimlichste? Ist er ein Zauberer, ein Wahrsager, ein Teufel?

Brangäne erwiderte: Sollte es Herr Tristan nicht selber sein?

Niemals! Dieser Narr ist garstig, verwahrlost, krank und entstellt. Tristan war schön wie der Lichtgott. Erinnere dich doch an seine Herrlichkeit, an den Überfluß seiner Kraft und seines Frohsinnes! Dieser aber ist ein Unhold, den die Götter verderben mögen!

Herrin, mahnte Brangäne, haltet ein! Was schmäht und was flucht Ihr einem Unglücklichen? Wissen wir, wer er ist? Vielleicht Herrn Tristans Bote?

Da sagte Isolde: Ich bezweifle es. Gleichwohl geh, suche ihn und rede mit ihm! Ergründe sein Geheimnis!

Brangäne eilte hinab.

Noch immer hockte Tristan auf der Bank im Winkel, in Grübelei versunken. Längst waren der König und seine Ritter zur Vogelbeize fortgeritten.

Brangäne trat vor den regungslosen Träumer. Meine Herrin sendet mich, sagte sie zu ihm. Wer seid Ihr? Ihr habt Dinge geredet, die man kaum verzeiht. Wahrlich, Ihr verdientet, daß Euch der Henker in Gewahrsam nähme.

Weniger bin ich Narr als Ihr denkt, Damoisel Brangäne, lautete die Antwort. Wenn ich aber Tollheiten beging und begehe, so war immer der Trank schuld, wißt Ihr, der mir durch Eure Unachtsamkeit gereicht ward, mir und Eurer Herrin, der geliebten Frau Isolde, auf jener glückseligen Insel.

Da sank Brangäne vor dem Narren in die Knie. Verzeiht mir, Ritter und Herr!

Nicht länger zweifelte sie, daß Herr Tristan wirklich wiedergekehrt war. Im Fluge ist sie bei der Königin. Ebenso rasch Tristan.

Mit ausgebreiteten Armen schreitet er auf Isolden zu. Voll Freude will er sie an seine Brust drücken. Es ist Herr Tristan! ruft Brangäne.

Doch Isolde weicht vor ihm, in Scheu und Scham, mit der Geste der Abwehr. Noch immer begreift sie Tristans Verwandlung nicht.

Da schrickt auch er zurück. Zorn, Bitternis, Stolz übermannen ihn. Nie hat ihn das harte Schicksal niedergedrückt wie in dieser Stunde. Er wankt zu einer der Säulen.

Mit schriller Stimme hebt er an: Isolde, ich habe mein Leben überlebt. Einmal habt Ihr mich durch die Knechte schlagen lassen. Ich hatte es vergessen. Heute stoßt Ihr mich mit Euren eigenen Händen zurück. Ich bin der, die mich einst geliebt hat, häßlich, abscheulich, widerlich geworden. Versiegter Quell, verdorrte Liebe!

Bruder, erwidert ihm Isolde, mild und gütig, ich schaue Euch an, ich bin voll Weh und Bange, aber wer Ihr auch seid, Herrn Tristan von Leonnois erkenne ich in Euch nicht.

Und doch bin ich Euer Tristan, derselbe, der vor Jahren mit Euch den Becher der ewigen Liebe getrunken! Derselbe, den Ihr am Brunnen unter der alten Linde hundertmal umarmtet! Derselbe, der Euch den Aussätzigen entrissen! Derselbe, der Euch zur Frohen Warte entführt hat!

Isolde blickt ihn seufzend an.

Tristan fährt fort: Derselbe, der Euch Hüsdan geschenkt am letzten Tage seines Glückes! Wo ist er? Hast du ihn noch? Er würde mich im Augenblick wiedererkennen. Und wenn er Euch noch so gern hat, er wird Euch verlassen, um mir zu folgen bis ans Ende der Welt.

Hüsdan? fragt Isolde. Hohn liegt in ihrem Wort. Wißt Ihr, seit Tristan fort ist, haust er im Zwinger. Er ist Menschenfeind geworden. Jeden fiel er an, der ihm zu nahe kam. Man mußte ihn schließlich einsperren. Hütet Euch! Wir wollen die Probe machen ...

Brangäne, hole Hüsdan!

Es geschieht.

Hüsdan, komm! ruft der Fremdling, und seine Stimme gewinnt mehr und mehr den Klang der alten Tage wieder.

Der Hund reißt sich samt dem Geleitriemen von Brangäne los, springt seinen alten Herrn laut bellend an und leckt ihm in ungestümer Freude die Hände.

Mein Hüsdan, frohlockt der Narr, sei gesegnet! Ich habe dich nicht vergebens großgezogen. Du allein hast Freude über meine Wiederkehr. Die ich über alles in meinem Leben geliebt, die mag mich nicht erkennen. Erst dies Jaspisringlein muß es ihr sagen, wer ich bin. Als wir schieden, gab sie es mir, unter Tränen und Küssen. Der grüne Stein hat mich nie verlassen. Hunderttausendmal hat der Einsamste auf Erden Trost von ihm erheischt und, wenn er ihn nicht fand, dies Symbol mit heißen Zähren genetzt.

Er reicht ihr den Ring.

Da öffnete die Zweiflerin weit ihre Arme: Hier bin ich, Tristan! Nimm mich und verzeihe mir! Gram und Leid hatten mich blind gemacht. Das ist vorüber.

Freundin meiner Seele, sprach Tristan, fern jeder Verstellung in Stimme und Wesen. Ach, daß du mich nicht sofort erkannt hast! Genügte es nicht, dich an die süßesten Stunden unserer Liebe zu gemahnen? Hat dein Herz darin nicht mein Herz gefunden?

Isolde wehrte sich seines Vorwurfs, halb von Sinnen.

Küsse mich, einziger Freund! rief sie.

Nicht mehr sah sie ihn, wie er in der Wirklichkeit vor ihr stand: den kranken gebrochenen armseligen Mann; sie schaute ihn, wie er gewesen, dereinst, da er zum ersten Male vor sie trat, wie er in ihren Träumen gelebt hatte immerdar trotz Trennung und Trübsal, jung und siegreich. Das war er ihr wieder, ein herrlicher Held, strahlend in Kraft, Schönheit und Frohsinn. Sonst hätte sie ihn nie geliebt.

Glückselig sanken die Wiedervereinten auf Isoldens Lager.

Tristan richtete sich seine Schlafstätte ein im Hundezwinger bei seinem Freunde Hüsdan. Einen andern Ort wiesen ihm die Knechte nicht an, aber dort hatte er seinen Frieden. Keiner wagte sich heran.

Er begehrte keine andere Herberge. Er betrachtete die Welt und sein Dasein vom Gipfel der Demut.

Wenn er über den Hof ging, ließ er allen Spott und Hohn der Leute über sich ergehen, oder er gewann sie durch seine Witze und Weisen. Öfters befahl ihn die Königin zu sich, zur Kurzweil, wie sie zum Könige sagte.

Glücklich eilte er in ihr Gemach. An der Schwelle verlor er sein Narrentum, und Isolde fand in seinen Augen, in seinen Reden, in seinen Gebärden seine verlorene Mannesschönheit, sein verblichenes Heldentum wieder, mehr noch, eine wundersame Erhabenheit, die sie an herrlicheren Tagen nicht in ihm erschaut hatte.

Das war der kurze goldene Herbst in Tristans Leben.

Man begann im Schlosse Arges zu munkeln, und eines Tages, als Tristan vor der Königin Gemach kam, standen zwei geharnischte Knechte an der Tür und verboten ihm den Zutritt.

Der Narr lachte laut auf und nahm seine Keule. Gebt Raum! rief er. Die Frau Königin hat mich gerufen, ihr mein Abschiedslied zu singen. Morgen bin ich in meinem Königreiche. Dann könnt Ihr diese Tür vor Tod und Teufel schützen. Platz dem ersten Ritter des Landes, ihr Spitzbuben!

Feig ließen sie den Keulenträger durch.

Zum letzten Male schloss Tristan seine Isolde in die Arme.

Liebste Freundin, jetzt muß ich von dir gehen. Man ist unserem Geheimnisse nahe. Wohin ich mich wenden mag, der Tod steht vor mir. Ach, daß ich dir fern sterben soll! Sag, darf ich dich rufen in meinen letzten Tagen? Wirst du zu mir kommen?

Geliebtester, wenn du von der Erde scheidest, ist auch meine Zeit um. Nun liegt alle Lust und alles Leid hienieden hinter uns in kristallener Verklärung. Hand in Hand wie einst zum Walde von Morlaix werden wir wandern empor zu deinem schönen Himmelsschlosse, droben auf der Sonneninsel der Glückseligkeit. Rufe mich, Freund! Ich komme.

Tristan sank vor Isolden in die Knie und küßte ihr die Hände: Dank dir, Einzige! flüsterte er zärtlich. Noch haben wir den Becher unsers irdischen Geschicks nicht geleert. Bittere Neige ist übrig. Bleiben wir tapfere Kinder der Erde! Unsterblichkeit wird es uns lohnen!

Das war der Abschied.

Spott um die zitternden Lippen schritt Tristan durch die Wächter. Geht! höhnte er sie. Was lauert ihr vor fremdem Tor. Hat nicht Jedermann Anlaß, vor der eigenen Tür zu wachen? Gebt acht, daß kein Narr über Eure Weiber kommt! Sputet Euch – und lebt wohl!

Die Keule schwingend, tänzelte er über den weiten Hof zum Tore hinaus. Hüsdan folgte ihm.

Ein paar Steine und ein kräftiger Fluch flogen ihm nach.


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