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Es war ein schöner Sommerabend, und die Welt – das heißt, der kleine Bezirk, der eben für den, der ihn jetzt durchwanderte, die weite Welt war, lag offen vor Edie Ochiltree, daß er sich ein Nachtquartier aussuchen konnte, wo es ihm behagte. Als er die weniger gastfreundliche Nähe von Glenallan verlassen hatte, hatte er so viele Zufluchtsstätten für den Abend vor Augen, daß er heikel, ja selbst wählerisch wurde.
Ailie Sims Wirtshaus lag eine Meile vor ihm am Wegesrande, aber dort waren am Sonnabend abend gewiß junge Burschen beieinander und eine gemütliche Unterhaltung also ausgeschlossen. Andere Männer und Frauen kamen ihm in den Sinn, aber der eine war taub und konnte ihn nicht hören, der andere war zahnlos und konnte sich nicht verständlich machen, der vierte war ein mißmutiger Mann, und die fünfte wieder ein böser Hausdrache. In Monkbarns und Knockwinnock hätte er ein sehr angenehmes Nachtquartier erhalten, aber beide lagen zu weit, als daß er sie in dieser Nacht noch bequem hätte erreichen können.
Er entschloß sich endlich doch, zu Ailie Sim zu gehen. Als er den Hügel hinabstieg nach dem kleinen Dorfe, das nun sein Ziel war, hatte der Sonnenuntergang die Bewohner von der Arbeit gerufen und die jungen Männer nutzten den schönen Abend aus und spielten auf einer Gemeindewiese Kegel, während die älteren Männer und die Frauen zusahen. Das Gelächter und Schreien der Gewinnenden und Verlierenden klang in lautem Durcheinander zu Ochiltree hinauf und erinnerte ihn an die Tage, wo auch er an den Spielen der Kraft und Gewandtheit oftmals mit Eifer teilgenommen und sehr oft als Sieger hervorgegangen war.
Er wurde aber sofort mit Jubel begrüßt, und seiner Erscheinung wurde mehr Wichtigkeit beigemessen, als er in seiner Bescheidenheit vermutet hätte. Es war zwischen den Parteien über einen Wurf zu einem Streit gekommen, und da der Eichmeister der einen Partei recht gab und der Schulmeister der anderen, so ließ sich wohl sagen, daß höhere Mächte sich der Sache angenommen hätten. Auch der Müller und der Schmied hatten sich zu verschiedenen Seiten geschlagen, und da die Schlagfertigkeit zweier solcher Streithähne zu bedenken war, so ließ sich mit Recht daran zweifeln, ob die Meinungsverschiedenheit zu einem freundschaftlichen Abschluß gelangen würde.
Aber der erste, der des Bettlers ansichtig geworden war, rief:
»Hollah! da kommt der alte Edie, der kennt die Spielregeln besser als irgend einer, der je eine Kugel geschoben hat – wir wollen nicht weiter streiten, Leute – wir wollen den alten Edie den Fall entscheiden lassen.«
Edie wurde demgemäß willkommen geheißen und mit allgemeinem Jubelruf zum Schiedsrichter eingesetzt. Mit all der Bescheidenheit eines Bischofs, dem der Krummstab übergeben wird, oder eines neuen Redners, der die Bühne betritt, lehnte der alte Mann den verantwortlichen Posten, der ihm angetragen wurde, ab. Seine Selbstverleugnung und Bescheidenheit fand ihren Lohn, denn er hatte die Freude, daß durch erneuten Zuruf ihn alt und jung als die passendste Person bezeichnete, des schwierigen Amtes zu walten.
Also ermutigt, machte er sich würdevoll an die Ausübung seines Amtes, indem er zunächst beiden Parteien alle beleidigenden Äußerungen untersagte. Dann hörte er den Schmied und den Eichmeister auf der einen und den Müller und den Schulmeister auf der andern Seite. Im Innern war sich jedoch Edie, ehe noch die Verhandlung begann, völlig klar über den Fall, wie es auch, manchem Richter ergeht, der dennoch aber alle Förmlichkeiten erledigen muß, und den Redeschwall der Advokaten in vollem Maße hinnehmen muß.
Nachdem nun auf beiden Seiten alles gesagt und manches schon mehrmals wiedergekäut worden war, tat unser Alter nach gebührender reiflicher Überlegung den Spruch, daß der streitige Wurf keine Geltung habe und daher keiner Partei angerechnet werden könne. Durch dieses weise und gerechte Urteil wurde der Friede zwischen beiden Parteien wiederhergestellt, und es begann ein neues Spiel unter all dem lauten Lärm, wie er auf dem Lande üblich ist, wenn ein Spielchen gemacht wird. Die Lebendigeren hatten schon die Jacken ausgezogen und mit ihren bunten Schnupftüchern den Frauen, Schwestern oder Liebsten zum Halten gegeben.
Aber ihre Freude wurde auf unerwartete Weise unterbrochen.
Außerhalb des Kreises, den die Spieler gebildet hatten, erhoben sich Töne, die nichts mit der lustigen Freude des Spieles gemein hatten. Jener unterdrückte Seufzer und leise Ruf, mit dem die erste Nachricht eines Unglücks aufgenommen wird, ließ sich undeutlich vernehmen. Unter den Frauen ging das Gemurmel:
»Je, o je! So jung noch und so plötzlich hingerafft!«
Dann griff das Gemurmel auch unter den Männern um sich und brachte die Lust des Spieles zum Schweigen. Alle begriffen sogleich, daß in der Gegend sich ein Unglück zugetragen hätte, und jeder fragte den Nachbar, was denn los sei, der es ihm aber ebensowenig sagen konnte.
Endlich kam das Gerücht in klarer Form dem Bettler zu Ohren, der in der Mitte der Versammlung stand. Mucklebackits Boot – wir haben den Fischer schon kennen gelernt – war auf See gekentert, und es ging die Rede, vier Männer, darunter auch Mucklebackit und sein Sohn, seien dabei ertrunken. Dies war aber vom Gerücht – wie dies bei solchen Anlässen meistens der Fall ist, übertrieben.
Allerdings war das Boot gekentert, es war aber niemand ums Leben gekommen als Stephan, oder, wie er gewöhnlich hieß, Steenie Mucklebackit. Obwohl der junge Mann infolge seiner Lebensweise und seiner entlegenen Wohnstätte nur wenig Verkehr mit den Landleuten gehabt hatte, so hielten sie doch in ihrer ländlichen Lustbarkeit inne und zollten ihre Teilnahme dem jähen Unglück.
Besonders auf Ochiltree wirkte die Nachricht wie ein Donnerschlag, zumal er vor kurzem noch mit dem Beistande des jungen Mannes einen losen Streich vollführt hatte; und obwohl sie nicht die Absicht gehabt hatten, dem deutschen Schwarzkünstler ein Leid zuzufügen, so war es doch eben keine derartige Tätigkeit gewesen, wie man sie gern in den letzten Stunden des Lebens verrichtet sieht.
Ein Unglück kommt selten allein. Während Edie noch nachdenklich auf seinem Stabe lehnte und sich innerlich Vorwürfe machte, daß er ihn noch so kurz vor seinem Ende zu einem solchen Geschäft verleitet hatte, packte ihn plötzlich ein Polizist, der in der Rechten den Amtsstab hielt, am Kragen und rief:
»Im Namen des Königs!«
Der Eichmeister und der Schulmeister vereinten ihre Beredsamkeit, um dem Beamten klar zu machen, daß er kein Recht habe, einen Königsgnadenmann als Landstreicher festzunehmen, und die stumme Ausdrucksweise des Müllers und des Schmieds, die ihre Fäuste ballten, deutete darauf, daß die beiden bereit waren, aus echt hochländische Art für ihren Schiedsrichter einzutreten. Sein blauer Rock, sagten sie, sei sein Gewährschein, daß er wandern dürfe.
Aber sein blauer Rock,« sagte der Beamte, »ist kein Freibrief auf Überfall, Diebstahl und Mord. Und mein Haftbefehl gegen ihn lautet auf diese Verbrechen.«
»Mord?« rief Edie. »Wen soll ich denn ermordet haben?«
»Herrn German Dusterzieler, den Agenten vom Bergwerk Glen-Witherschiens.«
»Dusterspieler ermordet! Potzblitz! der lebt ja und ist ganz fidel.«
»Dir hat er's nicht zu danken, wenn er's ist. Er hat schwer um sein Leben ringen müssen, wenn alles wahr ist, was er sagt, und du mußt dich jetzt vor Gericht deswegen verantworten.«
Die eben noch Edies Partei ergriffen hatten, schreckten zurück, als sie hörten, wie schwere Beschuldigungen gegen ihn vorgebracht wurden, aber manche freundliche Hand schob ihm doch Fleisch und Brot und Geld zu, damit er im Gefängnis zu leben hätte, in das die Beamten ihn abzuführen hatten. »Habt Dank – vergelts euch Gott, Leute! Ich bin schon aus mancher schlimmeren Klemme herausgekommen, wo ich's noch weniger verdient hätte – ich werd auch diesmal davonkommen, wie der Vogel aus dem Netz. Spielt weiter und schert euch nicht um mich – mir tuts nur leid um den armen Steenie.«
Der Gefangene ließ sich ohne Sträuben wegführen, während er mechanisch all die Almosen, die ihm in die Hände gesteckt wurden, in seinem Sacke verschwinden ließ. Als er das Dorf verließ, war er verproviantiert, als gings auf eine Weltreise. Die Mühe, diese Last zu tragen, wurde ihm aber erleichtert, denn der Beamte besorgte Pferd und Wagen, um den alten Mann auf eine Polizeiwache zu bringen, wo er verhört und in Gewahrsam gebracht werden konnte.