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Siebentes Kapitel.

Arzt. Habt guten Muth, Madam: er ist geheilt,
Ihr seht's, von seiner Wuth; doch ist's gefährlich,
An die verlorne Zeit ihn zu erinnern.
Laßt ihn hineingeh'n; störet ihn nicht mehr.

König Lear.

Wir haben den Kaiser Alexius Comnenus in der Tiefe eines Kellergewölbes bei einer verlöschenden Lampe zurückgelassen, wo er in der Gesellschaft eines Gefangenen sich fast selbst als ein solcher vorkam. Als sich seine Tochter entfernt hatte, lauschte er auf ihre verhallenden Tritte. Ehe sie noch die Höhe der düsteren Treppe erreicht haben konnte, wünschte er sie schon zurückkommen zu sehen. Er geduldete sich einige Minuten, als kein Beistand kommen wollte; endlich erfüllten argwöhnische Gedanken sein Inneres. Sollte es möglich sein? Hätte sie wegen der harten Rede ihres Vaters ihren Entschluß geändert? Sollte sie in der höchsten Gefahr ihren Vater seinem Schicksal überlassen? und hoffte er vergebens auf den Beistand, den sie ihm senden sollte?

Die kurze Zeit, welche die Prinzessin mit dem Waräger Hereward gewissermaßen vertändelte, wurde dem ungeduldigen Kaiser doppelt lang, der sich einbildete, daß sie die Mitschuldigen des Cäsars zusammenrufen würde, um den Kaiser in seiner wehrlosen Lage anzugreifen, und so der bereits halb unterdrückten Verschwörung den Sieg zu verschaffen.

Nachdem er sich eine Zeit lang mit diesen peinigenden Gedanken geplagt hatte, begann er ruhiger die geringe Wahrscheinlichkeit zu erwägen, daß die Prinzessin, die über das schlechte Betragen ihres Gemahls so aufgebracht war, mit demselben gemeine Sache machen sollte, um einen Vater zu verderben, der sich immer so gut und zärtlich gegen sie gezeigt hatte. Als er sich dieser besseren Vorstellung ergab, hörte er Tritte auf den Stufen, und endlich kam Hereward in seiner schweren Rüstung ruhig unten in der Tiefe an. Hinter ihm kam halb vor Schrecken, halb vor Kälte zitternd und bebend Douban, der arzneigelehrte Sclave.

»Willkommen, guter Edward! Willkommen, Douban!« sagte der Kaiser, »dessen Arzneigelehrtheit die Jahre, die er auf dem Rücken hat, in's Gleichgewicht setzt.«

»Eure Hoheit ist gnädig,« sagte Douban – doch ein heftiger Husten, die Folge seines Alters, des Kerkerdunstes und des beschwerlichen Heruntersteigens der Treppe, verhinderte ihn, mehr zu sagen.

»Du bist es nicht gewohnt, deine Kranken in einer so schlechten Wohnung zu besuchen,« sagte Alexius; »und doch nöthigen uns Staatsrücksichten, in diese dunstigen Kerker viele einzusperren, die dem Wort und der Wahrheit nach nicht weniger unsere vielgeliebten Unterthanen sind.«

Der Arzneigelehrte fuhr in seinem Husten fort, vielleicht um einer beistimmenden Antwort zu entgehen, die mit seinem Gewissen nicht wohl in Uebereinstimmung gewesen sein würde.

»Ja, Douban,« sagte der Kaiser, »so hat uns die eiserne Nothwendigkeit gezwungen, den gefürchteten Ursel einzuschließen, der mit dem Ruf seines Kriegertalentes, seiner Staatsweisheit, seiner Tapferkeit und anderer hoher Gaben die ganze Welt erfüllte; wir fanden uns vermüßigt, diesen Ruf auf einige Zeit zu verfinstern, um ihn im günstigen Augenblick, der nun erschienen ist, der Welt in neuem Glanz zu zeigen. Fühle diesen Puls, Douban – betrachte ihn als Einen, der das härteste Gefängniß mit allen Entbehrungen erduldet hat, und der nun auf Einmal zum vollen Leben und zu allen Lebensgütern zurückkehren soll.«

»Ich will mein Bestes thun,« sagte Douban; »aber Ew. Majestät muß bedenken, daß wir einen schwachen und erschöpften Körper vor uns haben, dessen Leben fast erloschen scheint, und den nächsten Augenblick erlöschen kann – wie dies blasse und zitternde Licht, dessen zweifelhaftem Schimmer der Athem dieses unglücklichen Kranken gleicht.«

»Rufe darum, guter Douban, einen oder zwei Stumme, die im Pallast dienen, und die dir schon bei ähnlichen Gelegenheiten beigestanden haben – oder warte – Edward, du bist schneller; hole die Stummen – laß sie eine Bahre bringen, um den Kranken fortzuschaffen; und du, Douban, überwache das Ganze. Bringt ihn ohne Verzug in ein schickliches Zimmer, nur sorgt, daß es geheim bleibe, und laßt ihm ein Bad bereiten und Alles, was ihn beleben mag – vor Allem bedenkt, daß er wo möglich morgen bei dem Kampf erscheinen muß.«

»Das wird schwer halten,« sagte Douban, »nachdem er auf eine Art verköstigt und verpflegt gewesen ist, wie sein schwankender Puls nur zu deutlich verräth.«

»Es war ein Irrthum des Kerkermeisters,« fuhr der Kaiser fort, »der Unmensch sollte seinen Lohn haben, hätte ihn nicht bereits der Himmel durch einen Waldmenschen gerichtet, der ihn gestern umgebracht hat. – Ja, bester Douban, einer von unseren Leibwächtern von der Schaar der Unsterblichen hätte diesen Liebling unseres Zutrauens, den wir eine Zeit lang im geheimen Verschluß halten mußten, fast vernichtet. Dann hätte in der That ein grober Hammer einen unschätzbaren Diamant zerschlagen, doch das Schicksal hat dies Unglück verhütet.«

Nachdem der Beistand gekommen war, verordnete der Arzt, der mehr zu handeln als zu reden pflegte, ein Kräuterbad, und wollte, daß der Kranke vor dem folgenden Mittag nicht gestört werden sollte. Man brachte also Ursel in ein Bad, das nach der Vorschrift des Arztes gegeben wurde, ohne jedoch dem Kranken eine wesentliche Erholung zu verschaffen. Hierauf wurde er nach einem schönen Schlafzimmer gebracht, dessen hohes Fenster auf einen Balkon des Pallastes ging, von welchem man eine weite Aussicht hatte. Das Alles wurde mit einem Körper vorgenommen, der durch vorhergegangene Leiden so starr und empfindungslos geworden war, daß der Arzt erst, nachdem die erstorbenen Glieder durch Reibungen und andere Mittel wieder einiges Gefühl gewonnen hatten, hoffen konnte, das geistige Bewußtsein zurückkehren zu scheu.

Douban gehorchte dem Befehl des Kaisers, und blieb an dem Bette des Kranken bis zum Anbruch des Tages, bereit, der Natur durch die ärztliche Kunst zu Hülfe zu kommen.

Einer von den Stummen, die mehr daran gewöhnt waren, die Vollstrecker der Zornbefehle des Kaisers als die seiner Menschlichkeit zu sein, ein Mann von milderem Sinn, ward von Douban auserwählt, und dem Befehl des Kaisers gemäß erinnert, das strengste Geheimniß zu bewahren, während der verhärtete Sclave erstaunt war, daß man aus der Pflege eines Kranken ein größeres Geheimniß mache, als aus Tortur und Hinrichtung.

Der Kranke ließ ruhig Alles mit sich machen, und wenn sein Zustand auch kein völlig bewußtloser war, so war es doch auch kein deutlich erkannter. Nach dem beruhigenden Bad und der angenehmen Vertauschung des harten Strohlagers, auf dem er lange Jahre gelegen war, gegen ein weiches Bett von Eiderdunen, wurde ihm ein beruhigender, leicht mit Opium gemischter Trank gegeben. Der balsamische Erquicker der Natur stellte sich so ein, und der Gefangene fiel in einen köstlichen Schlaf, der sich über Seele und Leib zugleich erstreckte, so daß die Gesichtszüge ihre Starrheit verloren, und die krampfhaften Zuckungen der Glieder einer vollkommenen Ruhe wichen.

Schon röthete die Frühe den Gesichtskreis, und der frische Morgenwind stahl sich in die geräumigen Hallen des Blachernäpallastes, als ein leiser Schlag an die Thüre des Gemachs Douban weckte, der, von dem ruhigen Zustand seines Kranken nicht gestört, sich einem kurzen Schlummer überlassen hatte. Die Thüre ging auf, und es erschien ein Mann, der die Kleidung eines Pallastbedienten trug, und hinter einem großen weißen Bart die Züge des Kaisers versteckte. »Douban,« sagte Alexius, »wie steht's mit dem Kranken, von dessen Wohl heute so viel für das griechische Reich abhängt?«

»Gut, Herr,« versetzte der Arzt, »sehr gut; und wenn er jetzt nicht gestört wird, so verspreche ich, daß seine Natur, von der Kunst des Arztes unterstützt, über die verpestete Kerkerluft den Sieg davon tragen soll. Nur seid vorsichtig, Herr, und setzt diesen Ursel nicht voreilig Gefahren aus, ehe er sein geistiges Bewußtsein und seine körperlichen Kräfte wieder gewonnen hat.«

»Ich will meine Ungeduld beherrschen,« sagte der Kaiser, »oder vielmehr, Douban, ich will sie von dir beherrschen lassen. Glaubst du, daß er erwacht ist?«

»Ich vermuthe es,« sagte der Arzt, »aber er öffnet seine Augen nicht, und scheint dem natürlichen Drange, sich aufzurichten und sich umzusehen, mit Fleiß zu widerstehen.«

»Sprich zu ihm,« sagte der Kaiser, »und laß uns wissen, was in seinem Inneren vorgeht.«

»Das ist gewagt,« versetzte der Arzt, »doch ich gehorche Euch. Ursel,« sagte er, nachdem er sich dem Bette des blinden Kranken genähert hatte, und wiederholte dann mit lauterer Stimme – »Ursel! Ursel!«

»Still – still!« murmelte der Kranke; »störe nicht den Seligen in seiner Verzücktheit – rufe nicht den Aermsten der Sterblichen zurück, den Kelch der Bitterkeit bis auf die Hefe zu leeren.«

»Fahre fort, fahre fort,« sagte der Kaiser heimlich zu Douban, »versuche es noch einmal; ich muß wissen, wie weit er bei Sinnen ist, und wie weit er es nicht ist.«

»Ich möchte ihn aber nicht durch Voreiligkeit in vollkommenen Wahnsinn stürzen,« sagte der Arzt, »oder ihm einen Starrkrampf verursachen, der lange dauern könnte.«

»Das sollst du auch nicht,« versetzte der Kaiser; »meine Befehle sind die eines Christen an einen andern, auch sollen sie nur insofern befolgt werden, als sie sich mit göttlichen und menschlichen Gesetzen vertragen.«

Er schwieg ein Weilchen nach dieser Erklärung; aber nur wenige Minuten waren verflossen, als er den Arzt von Neuem drängte, den Kranken zu befragen. »Wenn Ihr mich nicht für fähig haltet,« sagte Douban, etwas eitel auf das ihm geschenkte Zutrauen, »die Behandlungsweise meiner Kranken zu bestimmen, so mag Ew. kaiserliche Hoheit die Verantwortung davon übernehmen.«

»Das will ich gern,« sagte der Kaiser, »denn auf ärztliche Rücksichten kann nicht gehört werden, wenn das Schicksal von Staaten und das Leben von Monarchen auf dem Spiele steht. – Erhebe dich, mein edler Ursel! höre auf eine Stimme, die dir einst befreundet war, und die dich zu Ruhm und Herrschaft einladet! Blick dich um, und sieh, wie freundlich dich die Welt nach der Gefangenschaft zur Herrschaft begrüßt!«

»Hinterlistiger Feind!« sagte Ursel, »du wendest die feinsten Lockungen an, das Leben eines Unglücklichen noch zu verschlimmern! Wisse, Versucher, daß ich mich gar wohl der angenehmen Bilder der letzten Nacht erinnere – deiner Bäder – deiner Betten – deiner Prunkgemächer – Aber eher sollst du dem h. Antonius, dem Eremiten, ein wollüstiges Lächeln entlocken als mir.«

»Versuche es doch, Thor,« fuhr der Kaiser fort, »und prüfe die Wirklichkeit der freudigen Gegenstände, die dich umgeben; oder wenn du bei deinem Eigensinn beharren willst, so warte einen Augenblick, und ich will dir ein Wesen hierher bringen, das so voll Liebreiz ist, daß ein einziger Blick von ihm die Herstellung deines Gesichtes werth ist, könntest du es auch nur einen Augenblick ansehen.« Nachdem er so gesprochen hatte, verließ er das Gemach.

»Verräther,« sagte Ursel, »Betrüger von je, bringe Niemand her! und suche nicht durch eitle und nichtige Schönheitsformen den Trug zu vermehren, der auf einen Augenblick meinen Kerker übergoldet, um mir den letzten Funken von Vernunft zu rauben, und mich dann aus dem irdischen Kerker in die Hölle selbst hinabzustoßen.«

»Sein Geist ist etwas verstört,« dachte der Arzt, »was oft die Folge einer langen Gefangenschaft ist. Es sollte mich wundern,« war sein weiterer Gedanke, »wenn er dem Kaiser nach einer so harten Gefangenschaft einen vernünftigen Dienst zu leisten im Stande wäre. – Du glaubst also,« fuhr er, sich an den Kranken wendend, fort, »daß deine Befreiung von der letzten Nacht, die Bäder und Stärkungen nichts als ein Traum ohne Wirklichkeit waren?«

»Ach – was sonst?« antwortete Ursel.

»Und daß, wenn wir dich ermuntern, dich zu erheben, wir es darauf ablegen, dich zu einem noch elenderen Zustand, als dein früherer war, erwachen zu lassen?«

»Gerade das,« versetzte der Kranke.

»Was denkst du denn von dem Kaiser, auf dessen Befehl du so hart gefangen gesetzt wurdest?«

Vielleicht wünschte Douban, diese Frage nicht gethan zu haben: denn in dem Augenblick, wo er sie that, ging die Thüre auf, und der Kaiser trat ein, seine Tochter führend, die einfach, aber standesgemäß gekleidet war. Sie trug ein weißes Gewand, eine Art von Trauerkleid, und ihr einziger Schmuck war eine Diamantenschnur, welche die schwarzen Zöpfe umschlang, die ihr bis zu den Hüften herabfielen. Fast zum Tod erschrocken war sie von ihrem Vater in der Gesellschaft ihres Gemahls und ihrer Mutter überrascht worden, und die nämliche Donnerstimme hatte den Cäsar als Verräther unter die strenge Aufsicht einer Wache von Warägern gestellt, und ihr befohlen, ihrem Vater nach dem Schlafzimmer Ursel's zu folgen, wo sie nun stand, entschlossen, an dem sinkenden Glück ihres Gemahls bis zum Ende festzuhalten, und Bitten und Vorstellungen erst dann anzuwenden, wenn ein entschiedener Entschluß ihres Vaters sie dazu zwingen würde. Hastig, wie die Pläne des Alexius gefaßt, und hastig, wie sie vom Zufall durchkreuzt wurden, blieb keine geringe Hoffnung, daß er auf die Meinung seiner Gemahlin und seiner Tochter zurückzukommen gezwungen sein würde, den schuldigen Nicephorus Briennius zu begnadigen. Zu seinem Erstaunen und vielleicht nicht sehr zu seinem Vergnügen hörte er, wie der Kranke dem Arzt die folgende Charakterschilderung machte.

»Glaube nicht,« sagte Ursel auf die Frage des Arztes, »daß, wiewohl man mich in diesen Kerker begraben, und schlechter als einen Auswurf der Menschheit behandelt hat – und wiewohl ich überdies der theuersten Himmelsgabe, meines Gesichtes, beraubt bin – glaube nicht, sage ich, daß ich darum den Alexius Comnenus für meinen Feind halte, wenn gleich seine Grausamkeit diese Leiden über mich verhängt hat: denn sie waren es, die den armen blinden Gefangenen gelehrt haben, eine Freiheit zu suchen, wie sie die Erde nicht geben kann, und eine leichtere Aussicht, als sie irgend ein Berg Pisga diesseits des Grabes bietet; könnte ich also den Kaiser unter meine Feinde rechnen – ihn, der mich die Eitelkeit der irdischen Dinge, die Nichtigkeit zeitlicher Güter und die Hoffnung einer besseren Welt gelehrt hat? – gewiß nicht!«

Der Kaiser war beim Beginnen dieser Rede etwas verlegen, da sie sich aber so bald zu seinen Gunsten wandte, so nahm er eine Stellung an, worin er halb einer Person glich, die bescheiden auf ihr eigenes Lob hört, halb einem Manne, der von den Lobsprüchen höchst überrascht wird, womit ein edler Gegner ihn überhäuft.

»Mein Freund,« sagte er laut, »wie richtig hast du meine Absicht erkannt, wenn du vermuthest, daß die Weisheit, die Männer wie du in der Schule des Unglücks lernen, gerade das war, was ich dich durch eine Gefangenhaltung lehren wollte, die leider länger, weit länger gedauert hat, als ich es wünschte! Laß mich den hochgesinnten Mann umarmen, der die Absicht eines verkannten, aber dennoch treuen Freundes so wohl zu errathen versteht.«

Der Kranke erhob sich auf seinem Bette.

»Halt da!« sagte er, »ja, meine Erinnerung scheint zurückzukehren. Das ist,« murmelte er, »die Verrätherstimme, die mich als Freund begrüßte, und dann boshaft meine Blendung befahl! Verdopple deine Strenge, wenn du willst, Comnenus – verschärfe, wenn du kannst, die Qualen meines Gefängnisses – aber da ich dein unmenschliches Heuchlergesicht nicht sehen kann, so erspare mir in Gnaden den Ton einer Stimme, die mir widerlicher ist, als die von Kröten und Schlangen und als Alles, was die Natur Verhaßtes und Ekelhaftes hat!«

Diese Rede wurde mit einem Eifer gesprochen, daß sich der Kaiser vergebens bemühte, sie zu unterbrechen, obwohl er sowohl als Douban und seine Tochter mehr hören mußten, als sie erwartet hatten.

»Erhebe dein Haupt, Vorwitziger,« sagte er, »und bezähme deine Zunge, ehe dich ihre Sprache gereuen muß. Schaue mich an, und sieh, ob ich hier nicht etwas habe, was dich für das Nebel, das mir deine Thorheit vorwirft, entschädigen kann.«

Bis jetzt hatte der Gefangene die Augen fest verschlossen gehalten, da er Alles, was er am vergangenen Abend gesehen zu haben sich erinnerte, als leere Einbildung oder als teuflisches Blendwerk betrachtete. Als seine Augen aber jetzt die stattliche Gestalt des Kaisers und seine anmuthige, von dem sanften Morgenschimmer angestrahlte Tochter erblickten, rief er mit hinsterbender Stimme: »Ich sehe! – ich sehe!« und sank ohnmächtig auf sein Kissen, während Douban ihm mit stärkenden Mitteln zu Hülfe eilte.

»Eine höchst wunderbare Heilung!« rief der Arzt aus; »und mein Wunsch wäre erreicht, wenn ich so ein wunderbares Stärkungsmittel besäße.«

»Thor!« sagte der Kaiser; »begreifst du nicht, daß das, dessen man nie beraubt war, leicht zurückgegeben werden kann? Man nahm eine schmerzhafte Operation mit ihm vor,« sagte er, seine Stimme dämpfend, »die ihn glauben machte, man habe ihn geblendet; und da nie Licht zu ihm drang oder doch nur ein ungewisses und schwaches, so bewirkte die ewige Dunkelheit, die ihn umgab, daß er sich wirklich des Gesichtes beraubt glaubte. Vielleicht willst du die Ursache wissen, warum ich ihn so täuschte? – Als Geblendeter galt er für unfähig zu herrschen, und sein Andenken mußte beim Volk vergessen werden, während ich mir durch Schonung seines Gesichts die Möglichkeit bewahrte, ihn im Fall der Noth aus seinem Kerker zu befreien, und seinen Muth und seine Fähigkeiten zum Besten des Reichs gegen andere Verschwörer zu benützen, wie nun geschehen soll«

»Und kann Ew. kaiserliche Hoheit hoffen,« sagte Douban, »das Herz und die Zuneigung dieses Mannes durch die ihm zugefügte Behandlung nicht verscherzt zu haben?«

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Kaiser; »das muß die Zukunft lehren. Doch es wird nicht mein Fehler sein, wenn Ursel Freiheit und Antheil an der Regierung, vielleicht eine heilige Verbindung mit unserem Blut und sein geschontes Gesicht, dessen ihn ein weniger bedenklicher Mann beraubt haben würde, für nichts rechnet.«

»Da das Ew. Hoheit Wille und Meinung ist,« sagte Douban, »so muß ich dafür und nicht dagegen handeln. Darum erlaubt mir Ew. Hoheit und die Prinzessin zu bitten, euch zu entfernen, auf daß ich Mittel anwende, die seinen erschütterten Geist beruhigen, und seinem Gesicht, dessen er so lang beraubt war, seine volle Stärke wiedergeben können.«

»Ganz wohl, Douban,« sagte der Kaiser; »nur bedenke, daß Ursel nicht eher völlig frei ist, bis er sich für mich erklärt hat. Und wenn ich auch keineswegs die Absicht habe, ihn wieder in seinen Kerker zurückzuschicken, so soll er doch wissen, daß, wenn er oder ein Anderer für ihn sich untersteht, sich in diesen unruhigen Zeiten an die Spitze einer Partei zu stellen, ich mein Ehrenwort darauf gebe, wie die Franken zu schwören pflegen, daß er den Streitäxten meiner Waräger nicht entlaufen soll. Sage ihm das, auf daß er und Alle, die an ihm Theil nehmen, sich darnach richten. Komm, Tochter, gehen wir weg, und lassen wir den Arzt bei seinem Kranken. Vergiß nicht, Douban, daß es nothwendig ist, mich den ersten Augenblick wissen zu lassen, wo der Kranke im Stande sein wird, sich vernünftig mit mir zu besprechen.«

Alexius und seine unvergleichliche Tochter zogen sich so zurück.



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