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»Was, bleibt der Kampf weg!« rief der Ritter aus.
»Wir müssen wohl dem Schauspiel ganz entsagen.«
»Ein solches Heer faßt keine Bretterwelt.«
– »So macht sie größer, oder kommt auf's Feld.«
Pope.
Der Schall des Jubelgeschreies verbreitete sich über die entlegenen Berge und Waldufer des Bosporus, und erstarb endlich in dem fernsten Wiederhall, als das Volk in der darauf folgenden Ruhe sich nach einer neuen Scene umsah, die würdig wäre, das gegenwärtige große Schauspiel zu zieren. Die Pause würde wahrscheinlich in einem neuen Geschrei geendigt haben: denn eine versammelte Menge liebt kein langes Schweigen, hätte nicht die Trompete der Waräger wiederholt die Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Die Töne hatten etwas Anregendes und doch Trauriges, etwas von der Musik des Kriegs und etwas von der Trauermusik, die feierliche Hinrichtungen anzukündigen pflegte; sie waren stark, hoch und langgehalten, gleichsam als wenn keine gewöhnlichen Menschenlungen sie hervorgebracht hätten.
Die Menge schien diese Töne zu kennen, welche kaiserliche Edikte traurigen Inhalts zu begleiten pflegten, z. B. Aufstände, Urtheile wegen Verraths und andere den Bewohnern von Constantinopel wichtige Neuigkeiten. Als die Trompete schwieg, ließ sich die Stimme des Herolds vor der Versammlung vernehmen.
Er begann in einem strengen und bewegten Ton, wie es sich zu Zeiten ereigne, daß das Volk seine Pflicht gegen den Herrscher, der ihm ein Vater sei, vergesse, und wie dann der Fürst gezwungen werde, statt des Oelzweigs der Gnade die Zuchtruthe anzuwenden.
»Es ist ein Glück,« fuhr der Herold fort, »wenn Gott selbst den Thron, der an Gnade und Gerechtigkeit dem seinigen gleicht, in Schutz nimmt, und zugleich das peinliche Geschäft seines irdischen Statthalters übernimmt, die Schuldigen zu bestrafen, während er demselben das angenehmere Geschäft überläßt, Denen, die verführt worden sind, zu verzeihen.
»Da dies der Fall ist, so erfahre denn Griechenland und die abhängigen Provinzen, daß ein Bösewicht, Agelastes genannt, der sich durch den Schein von tiefer Weisheit und strenger Tugend in die Gunst des Kaisers gesetzt hatte, den Plan gemacht hat, den Kaiser zu ermorden und die Verfassung zu stürzen. Dieser Mensch, der hinter der Maske der Weisheit die Lehren der Häretiker und die Laster des Lüstlings verbarg, fand Anhänger selbst unter des Kaisers Hofhalt und nahen Verwandten, und so bis zu den niederen Ständen herab; um das Volk aufzureizen, ließ er eine Menge falscher Gerüchte aussprengen, wie z. B. das von Ursels Tod und Blendung, von dessen Falschheit ihr Augenzeugen geworden seid.«
Das Volk, das bis jetzt schweigend zugehört hatte, brach hier in lauten Beifall aus. Kaum war Alles wieder ruhig geworden, so fuhr der lautsprechende Herold also fort: »Nicht Korah, Dathan und Abiram sind mit mehr Recht und unmittelbarer unter dem Strafgericht des erzürnten Gottes gefallen, als dieser Bösewicht Agelastes. Die starre Erde that den Mund auf, die Abtrünnigen Israels zu verschlingen, und dieser schlechte Mann hat, so viel man erfahren konnte, sein Leben einem bösen Geiste lassen müssen, den er selbst beschworen hatte. Durch diesen Geist ist, wie aus den Aussagen einer edlen Dame und anderer Weiber, die bei seinem Tode zugegen waren, Agelastes erdrosselt worden, was er durch seine abscheulichen Verbrechen wohl verdient hat. Ein solcher Tod auch eines schuldigen Mannes muß dem gütigen Herzen des Kaisers sehr peinlich sein, da er eine Strafe, die über diese Welt hinausreicht, erwarten läßt. Doch hat dieser fürchterliche Ausgang das Gute, daß er den Kaiser der Nothwendigkeit überhebt, fernere Strafen zu verhängen, welche der Himmel selbst auf den Haupturheber der Verschwörung beschränkt zu haben scheint. Einige Aenderungen in Aemtern und Stellen sollen um der Sicherheit und guten Ordnung willen stattfinden; aber das Geheimniß, wer an diesem schrecklichen Verbrechen Theil genommen habe oder nicht, soll in der Brust der Meuterer verwahrt bleiben, da der Kaiser entschlossen ist, den Fehltritt derselben als eine vorübergehende Uebereilung zu verzeihen. Alle Schuldigen, die mich hören, mögen darum ruhig nach Hause gehen und sich überzeugt halten, daß außer ihrem Gewissen keine andere Strafe sie ereilen soll. Sie mögen sich freuen, daß der Allmächtige sie vor den Gedanken ihres eigenen Herzens gerettet hat, und auf die Worte der Schrift merken, auf daß sie Buße thun und nicht mehr sündigen, damit nicht ein Schlimmeres über sie komme.«
Die Stimme des Herolds schwieg, und von Neuem erschallten die Beifallsbezeigungen. Sie waren einstimmig: denn die Unzufriedenen sahen es ein, daß sie von der Gnade des Kaisers abhingen, da der Aufruf gezeigt hatte, daß Alexius die Schuldigen kenne, und da es in seiner Macht stand, nicht nur die Waräger, sondern auch die Apulier Tankreds gegen die Verschwornen loszulassen.
Der stämmige Stephanos, der Centurio Harpax und andere Meuterer von Stadt und Land schrien darum vor Allen, um dem Kaiser für seine Güte und dem Himmel für ihre Rettung zu danken.
Die Versammlung, über die entdeckte und vereitelte Verschwörung beruhigt, begann nun, wie es zu geschehen pflegt, an den Zweck zu denken, um dessentwillen man eigentlich gekommen war, und ein heimliches Flüstern, das nach und nach zum Murren wurde, zeigte die Unzufriedenheit der Bürger, daß man ihre Geduld so auf die Probe stelle.
Alexius errieth die Gedanken der Versammlung, und auf ein Zeichen seiner Hand bliesen die Trompeten ein Kriegssignal. »Robert, Graf von Paris,« sagte dann der Herold, »bist du hier persönlich oder durch einen ritterlichen Stellvertreter zugegen, um auf die Forderung seiner kaiserlichen Hoheit des Cäsars Nicephorus Briennius zu antworten?«
Der Kaiser glaubte Alles gethan zu haben, daß keiner der beiden Gegner auf den Aufruf antworten würde, und darum hatte er ein anderes Schauspiel in Bereitschaft, nämlich eine Anzahl Käfige mit wilden Thieren, die jetzt vor der Versammlung losgelassen werden sollten. Sein Erstaunen und seine Verlegenheit waren darum groß, als bei dem letzten Wort des Aufrufs Graf Robert von Paris erschien, völlig geharnischt, während sein ebenfalls geharnischtes Streitroß einstweilen außerhalb der Schranken zurückblieb.
Die Unruhe und Scham, die sich auf allen Gesichtern um den Kaiser zeigten, als sich kein Cäsar dem fürchterlichen Franken stellte, waren nicht lange zu bemerken. Kaum hatten die Herolde den Titel des Grafen von Paris geziemend angekündigt, und seinen Gegner zum Zweitenmal aufgefordert, als ein Mann, wie ein Waräger von der Leibwache gerüstet, in die Schranken sprang, und sich bereit erklärte, für den Cäsar Nicephorus Briennius und zur Ehre des Kaiserreichs zu kämpfen.
Alexius erblickte mit der größten Freude diesen unerwarteten Beistand, und gab dem kühnen Soldaten, der ihm so in der Stunde der Noth beisprang, gern seine Einwilligung, den gefährlichen Dienst als Kämpe zu leisten. Er that dies um so lieber, als er aus der Gestalt des Kriegers und aus seinem edlen Anstand seine Persönlichkeit zu errathen glaubte, in die er volles Vertrauen setzte. Nur Fürst Tankred machte Einwendungen.
»Die Schranken,« sagte er, »ständen nur Rittern und Edeln offen; jedenfalls dürften sich nur Männer von edlerem Stand und Stamm darin schlagen; und er könne nicht still dazu schweigen, wenn man die Gesetze der Ritterschaft vergesse.«
»Laß den Grafen von Paris mein Gesicht betrachten,« sagte der Waräger, »und er soll dann sagen, ob er nicht durch sein Versprechen jede Einwendung in Hinsicht der Ungleichheit des Standes beseitigt hat, und laß ihn selbst erklären, ob er durch den Kampf mit mir mehr thun wird, als ein Versprechen erfüllen, durch welches er längst gebunden ist.«
Graf Robert kam auf diese Berufung heran, und erklärte, daß er sich ungeachtet der Verschiedenheit des Rangs durch sein feierlich gegebenes Wort gebunden glaubte, mit diesem tapferen Krieger in den Schranken zu kämpfen. Er bedauere zwar, wenn er die großen Tugenden und die großen Dienste erwäge, die ihm dieser Mann gezeigt und erwiesen habe, daß er sich mit demselben in einen blutigen Kampf einlassen solle; da indeß nichts so gewöhnlich wäre, als daß der Krieg den Freund dem Freund in mörderischen Schlachten entgegenstelle, so wolle auch er keinen Anstand nehmen, sein Versprechen zu erfüllen; auch glaube er seinem Stande nichts zu vergeben, wenn er sich mit einem so wohlbekannten und geachteten Krieger schlage, wie der tapfere Waräger Hereward wäre. Er fügte hinzu, daß er bereit sei, zu Fuß und mit der Streitaxt, der gewöhnlichen Waffe der Waräger, zu kämpfen.
Unbeweglich wie eine Statue hatte Hereward dieser Rede gelauscht; aber als der Graf von Paris endete, verbeugte er sich gegen ihn, und drückte ihm für sein männliches Benehmen in Erfüllung seines Versprechens Dank aus.
»Was wir thun sollen,« sagte Graf Robert mit einem Seufzer, den seine Kampfeslust nicht unterdrücken konnte, »laß uns bald thun; das Herz mag gerührt sein, aber die Hand muß ihre Schuldigkeit thun.«
Hereward gab ihm Beifall und bemerkte: »Laß uns keine Zeit verlieren, denn sie vergeht schnell.« Er faßte seine Axt und machte sich fertig.
»Ich bin ebenfalls fertig,« sagte Graf Robert von Paris, der sich mit der Waffe eines an den Schranken stehenden Warägers versehen hatte. Nun standen Beide kampfbereit, und ohne weitere Umstände begann das Gefecht.
Die ersten Schläge wurden mit großer Vorsicht geführt und parirt, und dem Fürsten Tankred und Anderen schien es, als wenn Graf Robert weit behutsamer wäre als gewöhnlich; doch beim Kampf und beim Essen wächst die Lust mit der Arbeit. Die größere Hitze wurde angefacht durch derbe Schläge, die auf beiden Seiten fielen, und die nicht so vollständig parirt worden waren, daß sie nicht blutige Spuren zurückgelassen hätten. Die Griechen sahen mit Erstaunen diesem ungewohnten Kampfe zu; sie hielten den Athem zurück, wenn die Streitenden zum Schlag ausholten, und erwarteten bei jedem Schlag einen der Gegner fallen zu sehen. Bis hierher hatten Beide gleiche Stärke und Gewandtheit gezeigt, doch waren nähere Kenner der Meinung, daß der Graf Robert nicht seine ganze Geschicklichkeit aufbiete, und allgemeinen Beifall fand die Bemerkung, daß er durch die Verzichtleistung auf einen Kampf zu Roß einen großen Vortheil verscherzt habe. Auf der anderen Seite ward bemerkt, daß der wackere Waräger mehrere Blößen, die ihm Graf Robert in der Hitze des Kampfes gegeben habe, unbenutzt gelassen habe.
Der Zufall schien endlich den bisher gleichen Kampf entscheiden zu wollen. Indem Graf Robert gegen die eine Seite seines Gegners eine Finte schlug, und die andere nicht gedeckte Seite desselben traf, bewirkte er, daß der Waräger taumelte, und zur Erde zu fallen schien. Das gewöhnliche Geräusch, das die Zuschauer bei einem schrecklichen und peinlichen Auftritt zu machen pflegen, indem sie den Athem zwischen den Zähnen durchziehen, wurde durch die ganze Versammlung gehört, während eine weibliche Stimme laut und eifrig schrie: »Graf Robert von Paris, vergiß heute nicht, daß du dein Leben dem Himmel und mir verdankst!« Der Graf war eben im Begriff, den Schlag zu wiederholen, als er diese Worte vernahm, und ihn seine Kampflust sichtlich verließ.
»Ich erkenne die Schuld an,« sagte er, seine Streitaxt senkend und zwei Schritte von seinem Gegner zurücktretend, der verblüfft dastand, und sich von dem erhaltenen Schlage noch nicht erholt hatte. Auch er senkte seine Streitaxt und schien gespannt auf das zu warten, was nun erfolgen sollte. »Ich danke es dem Allmächtigen und der Engländerin Bertha,« sagte der tapfere Graf von Paris, »daß ich mich nicht als ein Undankbarer mit Blutschuld befleckt habe. – Ihr habt den Kampf gesehen, Herren,« sagte er zu Tankred und seinen Rittern, »und könnt auf Ehre bezeugen, daß er von beiden Seiten ehrenhaft und gleich war. Mein wackerer Gegner hat hoffentlich die Lust gebüßt, die mich mit ihm zu kämpfen zwang, und die gewiß ohne Haß und Falsch war. Ich meinerseits hege gegen ihn ein solches Dankgefühl, daß ich die Fortsetzung dieses Kampfes als eine sündliche und schändliche Handlung betrachten muß, wenn mich nicht Selbstvertheidigung dazu zwingt.«
Alexius nahm freudig diesen Friedensschluß an, den er so günstig nicht erwartet hatte, und senkte seinen Heroldsstab zum Zeichen, daß der Kampf geendigt sei. Obwohl Tankred darüber etwas befremdet, vielleicht selbst verdrossen war, daß ein gewöhnlicher Soldat von der Leibwache des Kaisers einem so berühmten Ritter so lange widerstanden hatte, so mußte er doch zugeben, daß der Kampf von beiden Seiten redlich und mit gleichem Vortheil geführt und ehrenhaft beschlossen worden sei. Da die Kreuzfahrer den Charakter des Grafen genau kannten, so vermutheten sie, daß er einen sehr wichtigen Grund gehabt haben müsse, um von seiner gewöhnlichen Handlungsweise abzuweichen, und den Kampf vor einer tödtlichen oder sehr ernsten Entscheidung zu beendigen. Das Edikt, das der Kaiser bei dieser Gelegenheit erließ, erhielt Gesetzeskraft; es wurde von den anwesenden Führern beglaubigt, und durch das Beifallsgeschrei der versammelten Zuschauer bestätigt und begrüßt.
Doch die wichtigste Person in der Versammlung war vielleicht der kühne Waräger, der so plötzlich zu kriegerischer Berühmtheit gelangt war, die er sich wegen der großen Schwierigkeit, die er beim Kampf gefunden, nicht vermuthet hatte, wiewohl ihm sein unerschütterlicher Muth dabei nicht untreu geworden war. Er stand in der Mitte der Schranken, sein Gesicht war geröthet von dem anstrengenden Kampf, vielleicht auch von der treuherzigen Gemüthern so eigenthümlichen Scham, die Blicke der Menge auf sich gerichtet zu sehen.
»Sprich zu mir, mein Kriegsmann,« sagte Alexius, von Dankgefühl gegen Hereward durchdrungen, »sprich zu deinem Kaiser wie ein Höherer, denn ein solcher bist du in diesem Augenblick, und sage ihm, auf welche Weise, und kostete es ihn die Hälfte seines Reichs, er dir es danken soll, daß du ihm das Leben gerettet hast, und, was mehr ist, die Ehre seines Landes, die du so männlich vertheidigt hast.«
»Herr,« antwortete Hereward, »Ew. kaiserliche Hoheit schätzt meine geringen Dienste zu hoch, und sollte sie dem edlen Grafen von Paris zuschreiben, weil derselbe erstens einen Gegner so geringen Standes angenommen, und zweitens den Sieg, den er durch einen zweiten Schlag hätte gewinnen können, großmüthig verschmäht hat: denn ich bekenne es hier vor Ew. Majestät, meinen Brüdern und den versammelten Griechen, daß meine Kraft erschöpft war, als der tapfere Graf großmüthig den Kampf beendigte.«
»Setze dich nicht selbst herab, redlicher Mann,« sagte Graf Robert; »denn ich schwöre es bei U. l. F. zu den gebrochenen Lanzen, daß der Kampf noch unentschieden war, als mich der Drang meiner Gefühle hinderte, ihn zum Schaden eines Gegners, dem ich so viel verdanke, fortzusetzen. Nimm darum die Belohnung an, welche dir die Großmuth deines Kaisers anbietet, und fürchte nicht, daß Jemand sage, du hättest sie nicht verdient: denn Robert von Paris wird es Jedem mit dem Schwert beweisen, daß sie wacker gewonnen worden sei.«
»Ihr seid zu groß und zu edel, Herr,« antwortete der Angelsachse, »als daß ich Euch widersprechen sollte, auch darf ich nicht über den Ausgang unseres Kampfes mit Euch streiten. Mein gnädiger Kaiser bietet mir edelmüthig eine Belohnung an; ich darf seine Großmuth nicht geringschätzen, wiewohl ich von Euch, Herr, und nicht von Sr. kaiserlichen Hoheit ein Geschenk verlangen möchte, das mir das liebste ist, das ich nennen kann.«
»Und das betrifft Bertha,« sagte der Graf, »die treue Dienerin meines Weibes?«
»So ist's,« sagte Hereward; »ich bin entschlossen, um meinen Abschied aus der Leibwache der Waräger nachzusuchen, und Ew. Herrlichkeit um die Erlaubniß zu bitten, unter Eurem Banner für die Eroberung Palästina's fechten zu dürfen, mit der Freiheit, von Zeit zu Zeit Bertha an meine Liebe zu erinnern. So kann ich am Ende hoffen, wieder in ein Land zurückzukehren, das mir stets lieber geblieben ist als alle anderen der Welt.«
»Dein Dienst, edler Krieger,« sagte der Graf, »soll mir so lieb sein wie der eines gebornen Grafen; und wenn ich dir eine Gelegenheit verschaffen kann, Ehre einzulegen, so will ich's mit Freuden thun. Ich will mit meinem Einfluß auf den König von England nicht großthun, aber etwas vermag ich bei ihm, und ich will ihm stark zusetzen, damit du dich in deinem Vaterlande niederlassen darfst.«
Der Kaiser begann nun zu reden: »Bezeuget es mir, Himmel und Erde, und ihr, meine getreuen Unterthanen, und ihr, meine tapferen Bundesgenossen, vor Allen aber du, mein kühner und getreuer Waräger, daß ich lieber den glänzendsten Edelstein aus meiner Krone verloren hätte, als dich aus meinen Diensten. Doch da du gehen willst, so will ich mich bestreben, dich mit solchen Zeichen der Erkenntlichkeit auszuzeichnen, daß Jedermann sehen soll, daß dir der Kaiser Alexius Comnenus mehr verdankt, als sein ganzes Reich zu zahlen vermag. Ihr, Herr Tankred und edle Führer, werdet diesen Abend bei mir speisen, und morgen euren heiligen Zug weiter fortsetzen! Ich erwarte, daß die beiden Kämpfer bei dieser Gelegenheit nicht fehlen werden. – Trompeten, gebt das Zeichen zum Aufbruch.«
Die Trompeten ertönten, und die verschiedenen Classen von bewaffneten oder unbewaffneten Zuschauern brachen im Durcheinander oder in geordneten Schaaren auf, um nach der Stadt zurückzukehren.
Ein plötzliches Geschrei von Weibern machte, daß die aufbrechende Menge stillhielt, und Diejenigen, welche sich umsahen, erblickten zu ihrem großen Erstaunen den Orang-Utang Sylvan in den Schranken. Die Weiber und viele Männer, die an den häßlichen Anblick dieses Geschöpfes nicht gewöhnt waren, erhoben ein solches Angstgeschrei, daß das Thier darüber scheu wurde. Sylvan war in der Nacht aus dem Garten des Agelastes entwischt, hatte die Stadtmauer überstiegen, und sich in den Schranken in einem dunklen Winkel unter den Sitzen der Zuschauer versteckt. Durch den Lärm beim Aufbruch war er wahrscheinlich aus seinem Versteck vertrieben und veranlaßt worden, sich wider Willen öffentlich zu zeigen, wie der bekannte Polichinell, der am Ende des Stücks einen Kampf mit dem Teufel selbst beginnt, ein Auftritt, der das jugendliche Publikum des Hanswursts kaum mehr ängstigt, als es hier die plötzliche Erscheinung Sylvans that. Bogen und Speere wurden von beherzteren Kriegsleuten gegen ein Thier von so verdächtigem Aussehen gerichtet, dessen ungewöhnliche Größe und widriger Anblick die Meisten glauben ließ, es sei der Teufel selbst oder doch jener alte, heidnische Gott. Sylvan hatte so viel Welt- und Menschenkenntniß, daß er sich der Gefahr, die ihm von den Kriegsleuten drohte, wohl bewußt war; er sprang also auf Hereward, den er kannte, los, um Schutz zu suchen. Er faßte ihn beim Kleid, und suchte durch seine verdrehten Blicke und durch ein wildes Geschnatter seine Angst auszudrücken und Hülfe zu begehren. Hereward verstand das geängstigte Geschöpf, und sagte laut, indem er nach dem Thron des Kaisers blickte: »Armer Sünder, bring' deine Bitte an einer Stelle vor, wo heute so große und so absichtliche Vergehen verziehen worden sind, so wirst auch du, ich zweifle nicht daran, zumal da du nur halb vernünftig bist, Gnade finden.«
Das Thier ahmte, wie es seine Art ist, alsbald die bittende Stellung Herewards nach, und der Kaiser konnte sich trotz der ernsten Auftritte, die stattgefunden hatten, bei diesem possenhaften Zwischenspiel des Lachens nicht enthalten.
»Mein wackerer Hereward,« – er sagte beiseit: ich will ihn nicht mehr Edward nennen, wenn ich's vermeiden kann, – »du bist die Zuflucht der Hülfsbedürftigen, seien es Menschen oder Thiere, und jedes Gesuch, das durch deine Vermittlung bei mir angebracht wird, soll nicht umsonst gethan sein. Sorge dafür, guter Hereward,« – denn der Name war nun fest in des Kaisers Gedächtniß eingegraben – »daß man das Thier nach dem Blachernäpallaste zurückbringe; und wenn das geschehen ist, Freund, so vergiß nicht, mit deiner Bertha am Hofe zu erscheinen, um mit meinem Weib und meiner Tochter und anderen Gästen zu Abend zu speisen. Halte dich überzeugt, daß es keine Ehrenbezeigung gibt, die dir, so lange du bei uns bleibst, nicht angethan werden soll. – Und du, Achilles Tatius, nahe dich, und genieße derselben Gunst, die du vor dem heutigen Tage genossen hast. Die Anklage gegen dich ist in das Ohr eines Freundes geflüstert worden, der keinen Gebrauch davon machen wird, wofern nicht, was der Himmel verhüte! neue Fehltritte geschehen.«
Achilles Tatius beugte den Federbusch seines Helms bis auf die Mähne seines Pferdes herab, aber er hielt es für das Beste, keine Worte zu machen, und so sein Verbrechen und seine Begnadigung abgethan sein zu lassen.
Zum Zweitenmal setzte sich die Versammlung nach der Stadt in Bewegung, und keine zweite Störung hielt den Zug auf. Sylvan, von ein paar Warägern begleitet, die ihn wie einen Gefangenen führten, nahm seinen Weg nach den Gewölben des Blachernäpallastes, wo seine eigentliche Wohnung war.
Auf dem Weg nach der Stadt unterhielt sich Harpax, der bekannte Centurio der unsterblichen Leibwache mit einigen von seinen Soldaten und einigen Bürgern, die an der letzten Verschwörung Theil genommen hatten.
»Ja,« sagte der Ringer Stephanos, »das sind mir schöne Sachen, daß uns so ein Dickkopf von Waräger Alle hinter das Licht geführt hat; das Glück ist uns von allen Enden so entgegen gewesen wie dem Schuster Coydon, als er mit mir im Circus kämpfen wollte. Ursel, dessen Tod so viel Lärm machte, untersteht sich, gar nicht todt zu sein; ja, was schlimmer ist, er lebt nicht für uns. Dieser Schlingel Hereward, der gestern nicht mehr war als ich – was sage ich? – mehr! – er war noch weit weniger – ein unbedeutender Garnichts in jeder Hinsicht! – ist nun mit Ehren, Lobsprüchen und Geschenken so vollgestopft, daß es ihm übel dabei werden muß, und unsere Brüder, der Cäsar und der Akoluthos, haben die Liebe und das Zutrauen des Kaisers verloren, und wenn man ihnen das Leben läßt, so sind sie nicht besser daran wie das zahme Federvieh, das man heute füttert, um es morgen an den Spieß oder in den Topf zu stecken.«
»Stephanos,« versetzte der Centurio, »dein Körper ist für die Palästra wie gemacht, aber dein Geist ist nicht so beschaffen, daß du am politischen Horizont das Wahre von dem bloß Wahrscheinlichen unterscheiden könntest. Wenn du bedenkst, in welche Gefahr sich ein Mann begibt, welcher der Verschwörung das Ohr leiht, so mußt du es auf alle Fälle als einen Vortheil rechnen, wenn er sein Leben und seine Würden dabei rettet. Und dies ist mit Achilles Tatius und dem Cäsar der Fall gewesen. Sie haben ihre hohen Stellen und Aemter behauptet, und brauchen nicht zu fürchten, daß der Kaiser ihnen künftig dieselben nehmen wird, da er dies nicht zu thun gewagt hat, als er sie auf frischer That ertappt hatte. Die Macht, die man ihnen gelassen hat, ist in der That unser; und es steht nicht zu vermuthen, daß sie ihre Bundesgenossen der Regierung verrathen werden. Wahrscheinlicher ist, daß sie dieselben im Andenken behalten werden, um zu gelegnerer Zeit den alten Bund zu erneuern. Drum laß den Muth nicht sinken, mein Circuskönig, und bedenke, daß du immer den großen Einfluß, den die Lieblinge des Amphitheaters bei den Bürgern von Constantinopel haben, behalten wirst.«
»Ich weiß nicht,« antwortete Stephanos, »aber es nagt mir das Herz ab, wenn ich sehe, daß ein hergelaufener Bettler das edelste Blut des Landes betrügt, den besten Athleten der Palästra nicht zu erwähnen, und nicht allein ohne Strafe für seinen Betrug abzieht sondern mit Lob, Ehre und Auszeichnung.«
»Wahr,« sagte Harpax; »indeß bedenke, Freund, daß er ganz gelegen abzieht. Er verläßt das Land, den Dienst in der Leibwache, wo er Beförderung und Auszeichnung hätte nachsuchen können. In einigen Tagen wird Hereward nicht viel mehr sein als ein abgedankter Soldat, der von dem schlechten Stück Brod lebt, das ihm sein Bettelgraf gibt, oder das er den Ungläubigen mit seiner Streitaxt abgewinnt. Was wird es ihm im Unglück, beim Gemetzel und in Hungersnoth nützen, daß er einmal mit dem Kaiser zu Nacht gegessen hat? Wir kennen Alexius Comnenus – er liebt es, sich mit Leuten, wie dieser Hereward ist, auf's freigebigste abzufinden; aber laß einmal eines Morgens die Nachricht ihn begrüßen, daß die Kreuzfahrer in Palästina eine Schlacht verloren haben, und daß sein alter Bekannter gefallen sei, o! mir ist, als sähe ich den verschmitzten Despoten dann spöttisch die Achseln zucken. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie leicht es sei, eines schönen Mädchens Gunst zu gewinnen, das bei einer vornehmen Dame im Dienst steht; auch sollte es nicht schwer halten, wenn anders ein Preisfechter nach so einem Dinge streben könnte, einen großen Affen zu erringen, der es einem möglich macht, wenn man ja Kleingeist genug dazu ist, auf solche Weise sein Brod zu verdienen, als Possenreißer von den Almosen hungriger Ritter zu leben. Aber wer einen solchen Kerl beneiden kann, der ist der Talente nicht würdig, die ihn über alle Zierden des Amphitheaters erheben.«
Diese sophistische Vernünftelei sagte dem groben Verstand des Preisfechters nur halb zu, und er antwortete: »Aber du vergissest, tapferer Centurio, daß diesem Waräger Hereward oder Edward, oder wie er heißt, eine große Summe Goldes versprochen ist.«
»Gut, daß du mich daran erinnerst,« sagte der Centurio; ›wenn du mir sagen wirst, daß das Versprechen erfüllt worden sei, so will ich zugeben, daß der Angelsachse Etwas erhalten hat, um was man ihn beneiden kann; so lang es aber ein bloßes Versprechen ist, mein wackerer Stephanos, ist es nicht mehr als der Schnee, der voriges Jahr gefallen ist. Darum sei getrost, edler Stephanos, und glaube nicht, daß unsere Sachen schlimm stehen, weil uns der heutige Tag entgegen war; laß deinen Muth nicht sinken, denn die Erfüllung unserer Hoffnung ist nicht aufgehoben sondern nur aufgeschoben.« So vertröstete der Veteran und Meuterer Harpax den niedergeschlagenen Stephanos auf eine bessere Zukunft.
Hierauf versammelten sich die eingeladenen Gäste bei dem Kaiser zur Abendmahlzeit, und die allgemeine Fröhlichkeit, welche bei diesem Feste herrschte, ließ nicht vermuthen, welchen gefahrvollen Tag sie beschloß.
Die Abwesenheit der Gräfin Brenhilda bei den Vorgängen dieses Tags befremdete nicht wenig den Kaiser und Alle, die ihren unternehmenden Geist und den Antheil kannten, den sie an dem Ausgang des Kampfes nehmen mußte. Bertha hatte in der Frühe dem Grafen die Mittheilung gemacht, daß ihre Dame, von den Gemüthsbewegungen der vorhergehenden Tage erschöpft, nicht im Stande wäre, ihr Zimmer zu verlassen. Der tapfere Ritter verlor darum keine Zeit, seine getreue Gräfin von seinem Wohlsein zu überzeugen; und als er sich später beim Festmahl im Pallast eingefunden hatte, betrug er sich auf eine Weise, als ob das Andenken an des Kaisers früheres hinterlistiges Betragen gänzlich aus seinem Gedächtniß verschwunden sei. Freilich war es ihm nicht unbekannt, daß die Ritter des Fürsten Tankred nicht nur das Haus, in dem sich Brenhilda befand, sondern auch die Nachbarschaft des Blachernäpallastes strenge bewacht hielten, damit ihrem heldenmüthigen Führer und dem von ihnen hochgeschätzten Grafen Robert nichts Uebels begegnen möchte.
Es war Sitte bei den europäischen Rittern, daß man nach einem offenen Kampfe selten noch Groll nährte, und daß Alles, was vergeben war, auch vergessen wurde; aber bei der gegenwärtigen Gelegenheit machte es die große Menge von Truppen, die man versammelt hatte, den Kreuzfahrern zur Pflicht, auch ihrerseits auf der Hut zu sein.
Man kann es sich leicht denken, daß der Abend vorüber ging, ohne daß die Ceremonie mit den Löwen, die so viel Unheil veranlaßt hatten, erneuert wurde. Es wäre in der That ein Glück gewesen, wenn sich der gewaltige Kaiser von Griechenland und der ritterliche Graf von Paris schon früher hätten verständigen können. Den Kaiser hatte jetzt die Erfahrung gelehrt, daß sich die Franken nicht durch Maschinen und Spielzeug zusetzen ließen, und daß die Dinge, von denen sie nichts verstanden, statt ihnen Scheu und Verwunderung einzuflößen, nur Argwohn und Zorn bei ihnen erregten; auch dem Grafen Robert war es nicht entgangen, daß die Sitten der östlichen Völker anderer Art seien, und daß der Geist des Ritterthums oder, um in seiner Sprache zu reden, der Dienst Unserer lieben Frau von den gebrochenen Lanzen bei den Griechen in keiner so hohen Verehrung stände. Auch hatte Graf Robert eingesehen, daß Alexius Comnenus ein weiser und staatskluger Fürst sei, dessen Weisheit vielleicht zu viel mit List vermählt wäre, aber doch immer hinreiche, das Wohl seiner Unterthanen und seine eigene Gewalt mit großem Geschick zu sichern. Darum war er entschlossen, Alles mit Gleichmuth hinzunehmen, was ihm der Kaiser aus Höflichkeit oder im Scherz sagen könnte, und das gute Einverständniß, das den Christen so vortheilhaft sein könnte, nicht durch ein mürrisches und argwöhnisches Betragen zu stören. Diesem weisen Entschluß blieb der Graf von Paris den ganzen Abend getreu, wiewohl es ihm etwas schwer ankam: denn sein stolzes Gemüth war der Art, daß es gerne jedes Wort genau erwog, und gerne Alles übel nahm, was nur einigermaßen übel genommen werden konnte.