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Sechzehntes Kapitel.

Ob du, verführt und falsch geleitet,
Auch lang gereist und lang geirrt,
Dein Gott hat dich doch stets geleitet,
Und stets sah er, was dich verwirrt.

Der Gerichtssaal.

Nach Verlauf von beinahe drei Viertelstunden, welche die Unsicherheit und Gefahr ihrer Lage wohl dreißigmal so lang erscheinen ließen, hörte man endlich die Stimme des jungen Hazlewood von draußen. »Hier bin ich,« rief er, »mit hinreichender Gesellschaft.«

»So kommen Sie herein,« antwortete Bertram, sehr froh, von seinem Posten abgelöst zu werden. Darauf trat Hazlewood ein, in Begleitung einiger Landleute, deren einer Diener des Friedensgerichts war. Sie hoben Hatteraick empor und trugen ihn auf ihren Armen, so weit dies die enge Wölbung des Eingangs gestattete; sodann legten sie ihn auf den Rücken und schleppten ihn weiter, so gut sie konnten, denn kein Zureden konnte ihn dazu bewegen, die Abführung durch seinen eignen Beistand zu erleichtern. Er lag so stumm und unthätig in ihren Händen, wie ein Leichnam, unfähig, ihrem Werke zu widerstehen, aber es eben so wenig unterstützend. Als er an das Tageslicht geschleppt und zwischen drei oder vier Männern aufrecht auf seine Füße gestellt war, (denn es waren noch einige Leute außen geblieben) schien er durch den plötzlichen Wechsel nach der Finsterniß seiner Höhle betäubt und geblendet. Während Andre die Entfernung der Meg Merrilies übernahmen, versuchten diejenigen, die bei Hatteraick blieben, diesen auf ein Felsenstück niederzusetzen, welches dicht bei der Stelle lag, welche die hohe Fluth bezeichnete. Ein heftiges Schaudern machte seine eisenfeste Gestalt einen Augenblick erzittern, während er sich der Absicht jener Leute widersetzte. »Nicht dort – Hagel! – ihr wollt mich doch nicht dort sitzen lassen?«

Dies waren die einzigen Worte, die er sprach; aber der Sinn derselben und der Ton tiefen Grauens, in welchem er sie äußerte, zeigte an, was in seinem Gemüthe vorging.

Als Meg Merrilies ebenfalls aus der Höhle gebracht war, was mit all' der Sorgfalt geschah, welche die Umstände gestatteten, berathschlagte man, wohin sie zu bringen sei. Hazlewood hatte nach einem Wundarzt geschickt, und schlug vor, man solle sie unterdessen zur nächsten Hütte bringen. Aber die Verwundete rief mit großem Ernst: »Nein, nein, nein! zum Kaim von Derncleugh – zum Kaim von Derncleugh – der Geist wird vom Leibe nicht frei, außer dort.«

»Man muß ihr nachgeben, denk'ich,« sagte Bertram; »ihre verwirrte Phantasie wird sonst das Wundfieber verschlimmern.«

Sie trugen sie daher nach jenem Gewölbe. Unterwegs schien ihr Geist mehr bei der eben erlebten Scene zu weilen, als bei dem nahen Tode. »Drei waren da gegen ihn – ich brachte die zwei – aber wer war der dritte? War er selber es, der wiederkam, um seine Rache selber zu vollbringen?«

Es war offenbar, daß das Erscheinen Hazlewood's, dessen Person zu erkennen ihr Hatteraick's Angriff nicht gestattete, einen starken Eindruck auf ihre Einbildungskraft hervorgebracht hatte. Sie kam oft wieder darauf zurück. Hazlewood erklärte Bertram seine unerwartete Ankunft und berichtete, daß er sie, nach Mannering's Andeutung, einige Zeit im Gesicht behalten habe; daß er, ihr Verschwinden in der Höhle beobachtend, nachgekrochen sei, um ihnen seine Gegenwart anzukündigen, als seine Hand im Finstern Dinmont's Bein ergriffen habe, wodurch fast eine Katastrophe herbeigeführt worden sei, welche nur die Geistesgegenwart und der Muth des kühnen Landmanns abwendete.

Als die Zigeunerin bei dem Thurme anlangte, gab sie den Schlüssel her; und als man eintrat und im Begriff war, sie auf das Bett zu legen, sagte sie, mit ängstlich besorgter Stimme: »Nein, nein! nicht so, die Füße nach Morgen;« und sie schien zufrieden, als man ihr diese Lage gegeben, und sie gleich einem Leichnam hingelegt hatte.

»Ist kein Geistlicher in der Nähe,« sagte Bertram, »um dieser unglücklichen Frau beizustehn?«

Ein Herr, der Pfarrer des Kirchspiels, der Hazlewood's Lehrer gewesen war, hatte, gleich vielen andern, das Gerücht vernommen, daß der Mörder Kennedy's auf der nämlichen Stelle gefangen worden sei, wo er vor vielen Jahren die That verübte, und daß das Weib tödtlich verwundet worden. Aus Neugier, oder vielmehr in dem Gefühle, daß ihn seine Amtspflicht zu Scenen der Trübsal rufe, war dieser Herr zum Thurme von Derncleugh gekommen, wo er sich nun vorstellte. Zu gleicher Zeit kam der Wundarzt an, und wollte die Wunde untersuchen; aber Meg wies die Hilfe von Beiden zurück. »Was Menschen thun können, kann weder meinen Körper heilen, noch meine Seele retten. Laßt mich sprechen, was ich zu sagen habe, und dann mögt ihr euren Willen haben; ich werd' es nicht hindern. – Aber wo ist Henry Bertram?« – Die Umstehenden, denen dieser Name lange fremd gewesen war, starrten einander an. »Ja!« sagte sie mit stärkerer und rauherer Stimme, »ich sagte Henry Bertram von Ellangowan. Tretet aus dem Lichte, und laßt mich ihn sehen.«

Alle Augen richteten sich auf Bertram, der sich dem elenden Lager näherte. Die verwundete Frau nahm ihn bei der Hand. »Seht ihn an,« sagte sie, »wer von euch je seinen Vater oder seinen Großvater sah, und bezeugt, daß er ihr lebendiges Ebenbild ist.« Ein Gemurmel lief durch die Menge – die Aehnlichkeit war zu überraschend, als daß sie geläugnet werden konnte. »Und nun hört mich – und laßt jenen Mann,« (sie deutete auf Hatteraick, der in einiger Entfernung zwischen seinen Wächtern saß) »laßt ihn abläugnen, was ich sage, wenn er's kann. Das ist Henry Bertram, Sohn des Godfrey Bertram, einst Herr von Ellangowan; dieser junge Mann ist dasselbe Kind, welches Dirk Hatteraick von der Warrochspitze an dem Tage entführte, wo er den Zöllner mordete. Ich war dort gleich einem irren Geiste – denn mich verlangte, den Wald zu sehn, ehe wir die Gegend verließen. Ich rettete des Knaben Leben, und ich bat inständig, daß sie ihn mir überlassen möchten. Aber sie trugen ihn hinweg und er ist lange Zeit über'm Meer gewesen; und nun kommt er, sein Erbe zu nehmen, und was sollt' ihm widerstehen? – Ich schwur, das Geheimniß zu bewahren, bis er einundzwanzig Jahr alt sei – ich wußte, daß ihn dreimal sein Schicksal treffen mußte, bis dieser Tag kam – ich hielt den Schwur, den ich ihnen leistete – aber mir selbst that ich ein zweites Gelübde, daß ich ihn, wenn ich den Tag seiner Rückkehr erlebte, in seines Vaters Erbe einsetzen wollte, sollt' auch jeder Schritt über einen Todten gehn. Ich hab' auch diesen Eid gehalten, ich selbst werde ein Schritt sein – hier« (sie zeigte auf Hatteraick) »wird bald ein zweiter sein, und noch einige werden folgen.«

Der Geistliche bemerkte jetzt, wie Schade es sei, daß diese Aussage nicht gehörig aufgezeichnet und niedergeschrieben worden wäre, und der Wundarzt hielt es für dringend nothwendig, endlich die Wunde zu untersuchen, statt die Frau durch Fragen zu erschöpfen. Als sie sah, daß man Hatteraick entfernte, um das Gemach dem Wundarzt ungestört zu seinen Operationen zu überlassen, rief sie laut, indem sie sich zugleich selbst auf dem Lager emporrichtete: »Dirk Hatteraick, wagt Ihr, mit meinem Blut an Euren Händen, ein Wort von dem zu läugnen, was mein entfliehender Athem kund gab?« – Er blickte sie mit dem Ausdrucke roher, boshafter Verstocktheit an, bewegte seine Lippen, sprach aber kein Wort. »So lebt wohl!« sagte sie, »und Gott vergeb' Euch, – Eure Hand hat meine Aussage besiegelt. – Als ich unter den Menschen lebte, war ich die wahnsinnige Zigeunerin, die gepeitscht, verbannt und gebrandmarkt wurde – die von Thür zu Thür bettelte, und wie ein räudiger Hund von Dorf zu Dorf gejagt wurde – wer würde da ihre Erzählung beachtet haben? – aber jetzt bin ich ein sterbendes Weib, und meine Worte werden nicht auf die Erde fallen, die bald mein Blut bedecken wird!«

Hier schwieg sie, und Alle verließen das Gemach, mit Ausnahme des Wundarztes und einiger Weiber. Nach kurzer Prüfung schüttelte er den Kopf und überließ seine Stelle neben der Sterbenden dem Geistlichen.

Ein Wagen, welcher leer nach Kippeltringan zurückkehrte, war auf der Straße von einem Gerichtsbeamten angehalten worden, damit man Hatteraick darin zum Gefängniß bringen könnte. Als der Kutscher vernahm, was zu Derncleugh vorging, überließ er seine Pferde der Aufsicht eines müßigen Knaben, da er mehr Vertrauen in die Jahre und das gute Benehmen der Pferde setzte, als auf den Hüter derselben; und darauf eilte er fort um zu sehen, »was für ein Spaß dort vorgehe.« Er langte bei der Schaar der Bauern und übrigen Umstehenden, deren Zahl sich immer vermehrte, gerade in dem Augenblicke an, als sie Hatteraick's rauhe Züge lange genug angestaunt hatten, und nun ihre Aufmerksamkeit auf Bertram richteten. Fast Alle, besonders die bejahrten Leute, welche Ellangowan in seinen bessern Tagen gesehen hatten, fühlten und bestätigten das, was Meg Merrilies aussagte. Aber die Schotten sind vorsichtige Leute; sie bedachten, daß ein Andrer im Besitz des Erbes war und daher drückten sie nur leise flüsternd ihre Empfindungen gegen einander aus. Unser Freund, Jock Jabos, der Postknecht, erzwang sich seinen Weg mitten durch den gedrängten Kreis; aber kaum warf er einen Blick auf Bertram, als er erstaunt zurückfuhr und mit feierlicher Stimme rief: »Wahrlich, der alte Ellangowan, von den Todten aufgestanden!«

Diese offene Kundgebung eines freien Zeugnisses war eben der fehlende Funke, der dem allgemeinen Gefühl nun Feuer geben sollte, und dieses machte sich in drei sehr bestimmt ausgesprochenen Ausrufen Luft: – »Bertram lebe hoch!« – »Lang lebe der Erbe von Ellangowan!« – »Gott gebe ihm sein Gut und lass' ihn unter uns leben, wie seine Vorfahren gethan haben!«

»Ich bin siebzig Jahr auf dem Gute gewesen,« sagte eine Person.

»Ich und die Meinigen siebenundsiebzig,« sagte ein Andrer; »ich muß ja wohl das Gesicht eines Bertram genau kennen.«

»Ich und die Meinigen waren seit dreihundert Jahren hier,« sagte ein andrer alter Mann, »und sollt' ich meine letzte Kuh verkaufen, ich muß den jungen Laird noch sein Recht erlangen sehn!«

Die Weiber, die sich immer des Wunderbaren freuen, und das zumal dann, wenn ein hübscher junger Mann Gegenstand der Erzählung ist, vermehrten das allgemeine Jubelgeschrei durch ihre gellenden Stimmen. »Segen über ihn! – er ist das wahre Ebenbild seines Vaters!« –

»Ach, daß seine arme Mutter, die aus Gram und Besorgniß um ihn starb, nicht diesen Tag erlebt hat!« riefen einige weibliche Stimmen.

»Aber wir wollen ihm zu dem Seinigen helfen,« riefen andere; »und ehe Glossin das Gut Ellangowan behauptet, wollen wir ihn mit unsern Nägeln herauskratzen!«

Andere drängten sich um Dinmont, der nicht faul war, zu sagen, was er von seinem Freunde wußte, und auch stolz auf die Ehre war, zu seiner Entdeckung beigetragen zu haben. Da er mehrere der anwesenden vornehmern Pächter kannte, so steigerte sein vielgeltendes Zeugniß die allgemeine Begeisterung bedeutend. Kurz, es war einer von den Augenblicken tiefer Rührung, wo der Frost des schottischen Volks wie eine Schneedecke hinwegschmilzt, daß dann die fluthenden Bäche Damm und Teich durchbrechen.

Das plötzliche Jubelgeschrei unterbrach die Gebete des Geistlichen; und Meg, die in einer krampfhaften Betäubung lag, wie sie der Endschaft vorauszugehen pflegt, fuhr plötzlich empor: – »Hört ihr's nicht? – hört ihr's nicht? – er wird anerkannt! – er wird anerkannt! das mußt' ich erleben. – Ich bin ein sündiges Weib; aber wenn mein Fluch das Unheil brachte, so hat es mein Segen gehoben! Und ich möchte nun wohl gern noch mehr gesagt haben. Aber es kann nicht sein. Halt« – fuhr sie fort, ihr Haupt nach dem Lichtschimmer richtend, welcher durch den schmalen Spalt brach, der als Fenster diente, »ist er nicht dort? – Geht aus dem Lichte, und laßt mich ihn noch einmal sehen. Aber es ruht nun Finsterniß auf meinen Augen,« sagte sie, zurücksinkend, nachdem sie starr in den leeren Raum geblickt hatte – »'s ist nun vorbei,

Hauch muß flieh'n,
Tod erschien!«

und auf ihr Strohlager zurücksinkend, verschied sie ohne einen Seufzer. Der Geistliche und der Wundarzt zeichneten sorgfältig Alles auf, was sie gesagt hatte, indem sie tief bedauerten, sie nicht umständlicher befragt zu haben; aber beide blieben moralisch überzeugt von der Wahrheit ihrer Eröffnungen.

Hazlewood war der erste, welcher Bertram zu der neuen Aussicht, seinen Namen und Rang in der Gesellschaft hergestellt zu sehen, Glück wünschte. Die umstehenden Leute, welche nun von Jock Jabos hörten, Bertram sei die Person, die ihn verwundet hatte, waren von seiner Großmuth überrascht und riefen auch seinen Namen, während sie Bertram jubelnd nannten.

Einige fragten jedoch den Postknecht, warum er Bertram nicht erkannt habe, als er ihn vor kurzem zu Kippeltringan sah? darauf gab er die sehr natürliche Antwort: »Ei, dachte ich denn damals an Ellangowan? – als sich aber jetzt das Geschrei erhob, der junge Laird sei gefunden, da fiel mir sogleich die Aehnlichkeit auf – man kann sich in ihm nicht irren, wenn man ihn nur ansieht.«

Die Hartnäckigkeit Hatteraick's war während des letzten Theils dieser Scene doch etwas erschüttert. Man sah, wie er die Augen niederschlug – wie er die gebundenen Hände zu heben suchte, um den Hut tiefer in's Gesicht zu ziehen – und wie er unruhig und ungeduldig nach der Straße blickte, als erwarte er den Wagen, der ihn von diesem Orte bringen sollte. Endlich ließ ihn Hazlewood, besorgt, daß sich die Volkswuth gegen den Gefangenen wenden möchte, in der Postkutsche nach Kippletringan bringen, um ihn Mac-Morlan zur Verfügung zu stellen; zugleich sandte er an diesen Herrn einen Boten ab, um ihn von dem Vorgefallenen zu unterrichten. »Und nun,« sagte er zu Bertram, »würde ich glücklich sein, wenn Sie mich nach Hazlewood begleiten wollten; da dies aber jetzt nicht so annehmlich sein dürfte, als es hoffentlich in wenigen Tagen sein wird, so müssen Sie mir erlauben, mit Ihnen nach Woodbourne zurückzukehren. Sie sind aber zu Fuße.« – »O, wenn der junge Laird mein Pferd nehmen wollte!« – »Oder meines,« – »Oder meines,« riefen ein halb Dutzend Stimmen – »Oder meines; er kann damit drei Meilen die Stunde ohne Peitsche und Sporn traben, und es gehört dem jungen Laird von diesem Augenblick, als Herrengebühr, wie man es von jeher nannte.«– Bertram nahm das Pferd endlich als Lehen und sagte der versammelten Menge seinen Dank für ihre guten Wünsche, worauf wieder mit Jubelgeschrei geantwortet wurde.

Während der glückliche Eigenthümer einen Burschen anwies, »den neuen Sattel zu holen,« ein Andrer, »das Thier ein Bischen glatt zu bürsten,« ein Dritter, »hinunter zu laufen und Dan Dunkieson's stählerne Steigbügel zu borgen,« wobei er zugleich sein Bedauern ausdrückte, »daß da keine Zeit übrig sei, das Vieh zu füttern, damit der junge Laird seine Kraft desto besser kennen lernen möchte,« – ging Bertram, den Geistlichen am Arm nehmend, in das Gewölbe, und schloß die Thür hinter sich zu. Schweigend schaute er einige Minuten auf Meg Merrilies' Körper, der vor ihm lag, mit den Zügen, noch markirter durch den Tod, aber noch immer den ernsten, kräftigen Charakter verrathend, mit dem sie im Leben ihre Herrschaft als wilde Herrin des gesetzlosen Volkes behauptet hatte, unter welchem sie geboren war. Der junge Krieger trocknete die Thränen, die ihm unwillkürlich in's Auge drangen, als er die Reste derjenigen sah, die als Opfer ihrer Treue gegen ihn und seine Familie gestorben war. Darauf ergriff er des Geistlichen Hand und fragte feierlich, ob sie fähig gewesen sei, seinen Gebeten die Aufmerksamkeit zu schenken, die einem Sterbenden zieme.

»Werther Herr,« sagte der gute Pfarrer, »ich hoffe, dies arme Weib hatte noch Besinnung genug, um den Inhalt meiner Gebete zu fühlen und Theil daran zu nehmen. Aber wir wollen bescheiden hoffen, daß wir nach der Gelegenheit, die wir zu religiösem und sittlichem Unterricht hatten, gerichtet werden. Sie mußte gewissermaßen als eine unbelehrte Heidin im Schooße eines christlichen Landes angesehen werden; auch müssen wir uns erinnern, daß die Fehler und Laster ihres in Unwissenheit zugebrachten Lebens durch Beispiele von uneigennütziger Treue, welche sie fast mit Heldenmuth bewahrte, ausgeglichen wurden. Ihm, der allein unsre Fehler und Irrthümer gegen unser Streben nach Tugend abwägen kann, empfehlen wir sie mit Ehrfurcht, aber nicht ohne Hoffnung.«

»Darf ich bitten,« sagte Bertram, »daß Sie jede anständige Form beim Begräbniß dieses armen Weibes gestatten werden? Ich habe noch eine Baarschaft, die ihr gehört, in meinen Händen, – auf alle Fälle werde ich für die Kosten verantwortlich sein – zu Woodbourne bin ich zu finden.« –

Dinmont, den einer seiner Bekannten mit einem Pferde versehen hatte, rief jetzt laut, daß Alles zu ihrer Rückkehr in Bereitschaft sei; nachdem Bertram und Hazlewood die Menge, die jetzt auf einige hundert gestiegen war, ernstlich ermahnt hatten, in ihrer Freude gute Ordnung zu halten, weil die geringsten Uebertretungen zum Nachtheil des jungen Laird ausgelegt werden könnten, wie sie ihn nannten, nahmen beide nunmehr Abschied, von dem Geschrei der Menge begleitet.

Als sie bei den zerstörten Hütten von Derncleugh vorüberritten, sagte Dinmont: »Gewiß, Capitain, wenn Ihr zu dem Eurigen kommt, vergeßt Ihr sicher nicht, hier ein Häuschen zu bauen; ich würde es wirklich selber thun, wenn's nicht in bessern Händen wäre. – Freilich möcht' ich nicht selber drin wohnen, nach dem was sie sagte; aber wahrhaftig, die alte Elsbeth wollt' ich hineinsetzen, die Todtengräberwittwe – ihres Gleichen ist vertraut mit Gräbern und Geistern und solchen Geschichten.«

Nach einem kurzen aber scharfen Ritte langten sie in Woodbourne an. Die Nachricht von ihrem Unternehmen war bereits weit und breit bekannt und alle Einwohner der Nachbarschaft empfingen sie auf dem freien Platze bei Woodbourne mit glückwünschendem Zuruf. »Daß du mich noch lebendig siehst,« sagte Bertram zu Lucy, die ihm zuerst entgegen eilte, obwohl ihr Juliens Blicke noch zuvorkamen, »das verdankst du nur diesen guten Freunden.«

Mit einem Erröthen, welches zugleich Vergnügen, Dankbarkeit und Verlegenheit ausdrückte, verbeugte sich Lucy gegen Hazlewood, Dinmont aber reichte sie unbefangen die Hand. Der ehrliche Pächter nahm sich im Uebermaaß seiner Freude größere Freiheit, als die dargebotene Hand gewähren sollte, denn er drückte seinen Dank auf der Lady Lippen, war jedoch sogleich über sein unzartes Benehmen selber betroffen. »Um's Himmels willen, Lady; ich bitt' um Verzeihung,« sagte er; »ich vergaß, daß Ihr keines von meinen Kindern seid – der Capitain ist aber so leutselig, man vergißt bei ihm, wer man ist.«

Jetzt kam der alte Pleydell herbei. »Ei, wenn Sporteln wie diese gezahlt werden« – sagte er – –

»Halt, halt, Mr. Pleydell,« sagte Julie, »Sie haben Ihre Gebühren voraus – gedenken Sie der letzten Nacht.«

»Nun, ich bekenne den Vorschuß,« sagte der Advokat; »aber ich werde doppelte Gebühren zu verlangen haben, von Miß Bertram und von Ihnen, wenn ich morgen das Verhör Dirk Hatteraick's beendigt haben werde – den will ich schon lenksam machen! – Sie werden es sehen, Oberst, und Sie, meine spröden Damen, sollen es hören, wenn Sie es nicht sehen mögen.«

»Ja, wenn wir nämlich Lust haben, darauf zu hören,« sagte Julie.

»Ja, und zwei gegen eins ist zu wetten,« sagte Pleydell, »daß Sie keine Lust haben werden? so denken Sie vermuthlich. Aber Ihre Neugierde lehrt Sie schon, die Ohren dann und wann zu brauchen.«

»Ich erkläre,« antwortete die muntere Julie, »daß solche zudringliche Herrchen, wie Sie, uns wohl bisweilen den Gebrauch unserer Finger lehren können.«

»Die bewahren Sie für das Klavier, meine Theure,« sagte der Rechtsgelehrte. »Das ist besser für uns Alle.«

Während dieses scherzhaften Geschwätzes stellte Oberst Mannering Bertram einen einfach und gutmüthig aussehenden Mann vor, welcher grauen Rock und Weste, Lederhosen und Stiefeln trug. »Dies, mein lieber Sir, ist Mr. Mac-Morlan.«

»Welchem,« sagte Bertram, ihn herzlich umarmend, »meine Schwester eine Heimath verdankte, als sie von all ihren natürlichen Freunden und Verwandten verlassen war.«

Jetzt drängte sich der Dominie vor, lachte seltsam, ließ einen diabolischen Laut hören, indem er zu pfeifen versuchte, und rannte endlich, da er seine Gefühle nicht zu überwältigen wußte, hinweg, um sich durch Weinen zu erleichtern.

Wir wollen nicht versuchen, die Herzensfreude und Heiterkeit dieses glücklichen Abends zu schildern.



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