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Sechstes Kapitel.

Zur bestimmten Stunde stand Mannering im Trauerhause in der Südvorstadt, unter den leidtragenden Verwandten dritten, vierten, fünften und sechsten Gliedes, bemüht, seinem Gesichte jenen feierlichen Ausdruck zu geben, den er bei allen Anwesenden wahrnahm – jenen Anflug von Kummer und Herzeleid, als ob er in der Verstorbenen eine Schwester oder Mutter verloren hätte. Nach einer langen, feierlichen Stille fing unter den Versammelten die Unterhaltung an, aber so leise, als ob sie gefürchtet hätten, eine in den letzten Zügen lebende Person zu stören ... »Unsere gute, liebe Freundin,« sagte ein höchst gesetzter Herr, indem er kaum den Mund auftat, um sein Gesicht nicht aus den feierlichen Falten zu bringen, »unsere gute liebe Freundin hat doch für ein recht anständiges Begräbnis Sorge getragen, für ihre Lebensumstände wirklich recht passabel!«

»Ja,« antwortete der Angeredete, indem er die Augen zu schließen versuchte, »Fräulein Margarethe hat das Ihrige zusammenzuhalten verstanden.«

»Nichts Neues heute, Herr Oberst?« hob ein anderer, der sich tags zuvor mit Mannering bei Tisch getroffen, in einem so ernsten Tone an, als ob er den Tod seiner ganzen Familie zu verkünden gehabt hätte.

»Nichts Besonderes, Herr,« antwortete Mannering, den im Trauerhause vorherrschenden Ton anschlagend.

»Wie man hört,« sagte der erste wieder, mit der Miene eines Menschen, der über alles Bescheid weiß, »ist ein Testament vorhanden.«

»Was wird wohl die kleine Jenny bekommen?«

»Hundert Pfund und die alte Repetieruhr.«

»Wenig, blutwenig! Das arme Ding hat viel ausstehen müssen bei der alten Muhme. Aber auf anderer Leute Tod zu warten, ist halt immer ein schlimmes Ding.«

»Wir werden wohl,« nahm Mannerings Nachbar wieder das Wort, »mit unserm alten Freunde Tippu Sahib noch nicht fertig sein – er wird der Kompagnie wohl noch zu schaffen machen. – Bekannt mag's wohl auch schon sein, denn die indischen Papiere sollen, heißt's, gar keine Tendenz mehr zum Steigen haben.«

»Wenn sie bloß bald steigen wollten,« meinte Mannering.

»Die verstorbene Dame,« mischte sich ein anderer ins Gespräch, »hat indische Papiere besessen; ich weiß es daher, weil ich die Zinsen für sie abgehoben habe. Gut wäre es ja, wenn sich die Kuratoren und Erben beim Herrn Obersten Rat holen wollten, wie sich solche Papiere am besten an den Mann bringen lassen. Ich meinerseits bin der Ansicht –«

Der Zeremonienmeister trat zur Versammlung, um den Bahrtuchträgern ihre Plätze anzuweisen, und zwar je nach dem Verwandtschaftsgrade, in welchem der betreffende zu der Abgeschiedenen gestanden. Natürlich kam bei jedem der Ehrgeiz hierbei in Betracht, und so vorsichtig der Zeremonienmeister bei der Verteilung der Karten zu Werke ging, so ließ es sich doch nicht hindern, daß er hie und da einen kleinen Verstoß beging und daß unfreiwilliges Murren von verschiedenen Seiten laut wurde. Freund Dinmont aber, der sein Mißvergnügen nicht unterdrücken oder den zu der Feierlichkeit passenden Ton nicht finden konnte, gab Ursache zu mancherlei Aergernis: »Einen Zipfel vom Tuche oder eine Ecke vom Sarge hättet Ihr mich wohl auch tragen lassen können!« sagte er, und zwar um vieles lauter, als es die Rücksicht auf den Anstand gestattete ... »Wär bloß nichts zu erben da, – dann könnt ich bestimmt rechnen, daß ich den Sarg allein tragen müßte, soviel vornehmere Herrschaften jetzt auch hier sind, als meine Wenigkeit.«

Dem derben Mann vom Lande, der mit seiner Meinung so gar nicht hinter dem Berge hielt, traf mancher böse Blick. Zum Glück setzte sich der Leichenzug bald in Bewegung und erreichte auch bald die Kirchhofspforte und, durch eine Reihe von müßigen Weibern, die ihre Kinder auf dem Arme hielten, und einem Schwarm von tobenden Jungen und Mädchen, den Erbbegräbnis-Platz der Familie Singleside, der mit einem eisernen Gitter eingefriedigt war, auf der einen Seite von einem Engel, der zwar die Nase und einen Flügel eingebüßt hatte, aber seinen Ehrenposten schon volle hundert Jahre rühmlich behauptete, auf der andern durch einen Cherub gehütet wurde, der aber von seinem Piedestal herabgeglitten war und zwischen Kletten, Schierling und Nesseln lag, die üppig um die Mauern der Gruft wuchsen. Kaum waren die sterblichen Reste der alten Dame in die Ahnengruft gesenkt, so trieben die ungeduldigen Verwandten die Mietskutscher zur Rückfahrt, weil es ihnen drum ging, endlich zu wissen, wie es sich mit dem Testament verhielt.

Wie in Lucians Fabel die trefflich abgerichteten Affen mit großem Beifall ein Trauerspiel aufführten, bis auf einmal durch eine Handvoll Nüsse, die ein Schalk auf die Bühne warf, der ganze theatralische Anstand gestört wurde und die natürlichen Leidenschaften der Schauspieler in einen höchst manierlichen Wetteifer ausarteten, gerade so weckte die bevorstehende Entscheidung unter den Erbschaftskandidaten Empfindungen, die höchst verschieden waren von denen, die sie wenige Minuten vorher zum Ausdruck gebracht hatten. Dieselben Augen, die eben erst andächtig zum Himmel oder demütig auf den Boden geblickt hatten schossen jetzt scharfe, inquisitorische Blicke in alle Ecken und Winkel, in alle Regale, Fächer, Kisten und Kasten; aber vergebens suchte man das vielerwähnte, mit Spannung erwartete Testament. In einem Winkel wurde ein Schuldschein über zwanzig Pfund gefunden mit dem Vermerk darauf, daß die fälligen Zinsen am letzten Martinstage bezahlt worden seien; im andern Winkel ein höchst wunderlicher Liebesbriefwechsel zwischen der Verstorbenen und einem Leutnant von der Infanterie mit Namen O'Kean, der mit einer Urkunde zusammengebunden war, die der lieben Verwandtschaft über die Umstände ausführlich Auskunft gab, die zur plötzlichen Auflösung des höchst prekären Verhältnisses Anlaß gewesen: sie war nämlich nichts anders als eine Schuldverschreibung des Leutnants über zweihundert Pfund, auf die kein Pfennig Zinsen bezahlt worden zu sein schien. In einem dritten Winkel lagen in einem halb vermoderten Pappkasten Münzen von allerlei Gepräge, Stückchen von zerbrochenem Gold und Silber, alte Ohrringe, Gelenke von Tabaksdosen, Brillenfassungen usw. Von einem letzten Willen aber war noch immer keine Spur zu entdecken, und Mannerings Hoffnung, daß die ihm von Glossin behändigte Urkunde tatsächlich die letzten Verfügungen der Verstorbenen enthalte, steigerte sich. Anwalt Pleydell aber trat jetzt ein und dämpfte die Hoffnung wieder um einige Grade ... »Ich kenne den Mann,« sagte er, »der den Fall in der Hand hat, und sein Verhalten läßt mich schließen, daß er manches mehr darüber weiß, als wir alle zusammen.«

Unter der übrigen Verwandtschaft schienen einige ganz besonderes Interesse an dem Verlaufe zu nehmen: Dinmont, nach wie vor mit der Reitpeitsche unterm Arme, beschränkte sich darauf, dem als Nachlaßverwalter eingesetzten Advokaten scharf über die Achsel zu gucken. Unweit von ihm stand, in einem streng korrekten Traueranzug, ein älterer Herr mit Namen Mac Casquill, ein weitläufiger Verwandter der Verstorbenen, der auf Berücksichtigung im Testamente deshalb Anspruch zu haben meinte, weil er mit ihr alle Sonntag im gleichen Kirchstuhl gesessen und alle Sonnabend abends mit ihr Cribbage gespielt, aber es immer so einzurichten gewußt hatte, daß nicht er, sondern sie gewann. Wieder ein anderer, der das Haar in einen Lederzopf geflochten trug, ein Tabakshändler und mütterlicherseits verwandt, meinte darum auf ein Miterbe rechnen zu dürfen, weil er der Verstorbenen auch nach der Preissteigerung während des Krieges ihre Schildpatt-Dose wöchentlich mit dem besten Raps ebenso billig geliefert hatte wie vordem, und weil sich die Verstorbene dabei ihm jedesmal bestens hatte empfehlen lassen.

Mannering interessierte im Grunde bloß eine Person: das arme Mädchen, das ihre ganze Jugendzeit der alten Mamsell geopfert hatte, immer der Spielball ihrer üblen Laune gewesen und alle Geschäfte und Arbeiten für sie hatte verrichten müssen. Auf sie hefteten sich aller Blicke mit Groll und Ungunst, einzig und allein Dinmont, den ehrlichen Bauer ausgenommen; denn alle erblickten in ihr eine Person, die ihnen das Erbe verkürzte, und dabei schien doch allein sie den Heimgang ihrer langjährigen Herrin aufrichtig zu beklagen.

»Zu verwundern wäre es doch,« meinte endlich in seiner Ehrlichkeit Dinmont zu dem Nachlaßverwalter, »wenn sie kein Testament gemacht haben sollte.«

»Abwarten, Freund, abwarten,« erwiderte dieser; »Fräulein Bertram war eine herzensgute, aber sehr kluge, umsichtige Dame, die sich immer an die rechten Leute zu wenden wußte, und wohl kaum mehr denn ein einziges Mal sich mit jemand befaßt hat, der ihres Vertrauens nicht würdig gewesen wäre.«

»Zehn gegen eins wette ich, daß er das, worauf wir alle warten, in der Tasche hat,« flüsterte Pleydell dem Obersten zu und wandte sich dann an den Verwalter mit den Worten: »Ich denke, Herr Kollege, wir machen die Sache kurz ab. Bitte, hier habe ich eine letztwillige Verfügung über Gut und Herrschaft Singleside, handschriftlich ausgestellt und auch unterschrieben vor mehr denn Jahresfrist von der Verstorbenen, laut welcher dasselbe nach ihrem Ableben auf Fräulein Lucy Bertram von Ellangowan fällt–«

Aller Blicke richteten sich mit einem Anfluge von Entsetzen ob der grausamen Enttäuschung auf Pleydell.

»Herr Kollege Protocol,« nahm Pleydell wieder das Wort, halb an diesen, halb an die Erb-Versammlung gerichtet, »wird uns zweifelsohne sagen, ob nach dieser Verfügung eine weitere getroffen worden oder nicht.«

»Mit Verlaub, Herr Kollege,« versetzte Protocol und griff nach der Schrift, um sie rasch zu überfliegen.

»Der Halunke,« flüsterte Pleydell dem Obersten zu, »wenn er sich so benimmt, kalt wie ein Frosch, steht's außer Zweifel, daß er was anderes in der Tasche hat.«

»Aber warum bringt er's nicht zum Vorschein?« fragte Mannering, dessen Geduld sich zu erschöpfen drohte.

»Ja, wer kann's wissen,« erwiderte der Rechtsgelehrte; »warum beißt die Katze die gefangene Maus nicht gleich tot? Doch wohl nur, weil sie sich an dem Bewußtsein ihrer Ueberlegenheit weidet – vielleicht auch aus Lust am Necken und Tändeln« – dann wandte er sich zu dem Kollegen: »Nun, Herr Protocol, und Ihre Meinung zur Sache?«

»In aller Form Rechtens abgefaßt und vorschriftsmäßig beglaubigt, auch von Zeugen unterfertigt.«

»Aber durch eine spätere Verfügung, die Sie in Händen haben, überholt – nicht wahr?«

»Das könnte freilich wohl der Fall sein, Herr Kollege,« versetzte Protocol und nahm ein Bündel Schriften aus seinem blauen Beutel, das mit Bindfaden umschnürt und schwarz gesiegelt war. »Die Urkunde, die Sie präsentieren, Herr Kollege, datiert vom 1. Juni des Jahres 17 ... Diese hier aber,« schloß er, indem er die Siegel löste und das Papier langsam auseinanderfaltete, »vom 21. April des laufenden Jahres, ist also volle zehn Jahre jünger.«

»Wirklich und wahrhaftig« rief Pleydell, nach einem Blick auf das Datum – »das Dokument datiert von dem Monat, in welchem Ellangowans mißliche Lage allgemein offenbar wurde. Aber, bitte, lesen Sie es vor!«

Der letzte Wille der verstorbenen alten Mamsell war höchst unvermuteten Inhalts: Gut und Herrschaft Singleside samt allem Zubehör fiel an – an den Nachlaßverwalter, der jetzt die Stimme zu einem sanften, bescheidenen Pianissimo senkte – an Herrn Peter Protocol, in dessen Tüchtigkeit und Redlichkeit die Erblasserin immer das größte Vertrauen gesetzt habe – diese Worte wiederholte er mit der Beteuerung, daß sie Aufnahme in dem Schriftstück gefunden hätten auf ausdrückliches Verlangen seiner würdigen Freundin ... »jedoch nur als,« führ er darauf fort, »anvertrautes Depositum«, nach diesem Beisatze verkürzten sich die langen Gesichter der Zuhörer merklich – »und zwar unter nachbenannten Bedingungen und Bestimmungen ...« und in diesem Vorbehalt lag der Schwerpunkt ... Die erste Bedingung – der ein paar einleitende Worte über die direkte Abstammung der Erblasserin von dem alten Hause Ellangowan vorausgingen – lautete: Harry Bertram, Sohn und Erbe von Godfrey Bertram, Baron von Ellangowan, sei in frühester Kindheit seinen Eltern geraubt worden; sie aber, die Erblasserin, wisse bestimmt, daß Harry noch am Leben sei, aufhaltlich außerhalb Englands, und daß ihn die göttliche Vorsehung noch in das Erbe seiner Väter einsetzen werde. Sobald nun besagter Harry Bertram auftauche, solle Herr Peter Protocol verpflichtet und verbunden sein, ihm die gesamte Erbschaft, nach Abzug einer gemessenen Vergeltung für seine Mühewaltung, auszufolgen und zu überantworten. Bloß zwei Vermächtnisse waren noch ausgesetzt: eins von hundert Pfund für die alte Magd der Verstorbenen, die bei ihr immer einen großen Stein im Brett gehabt hatte – ein anderes in gleicher Höhe für Janet Gibson, – die, wie es im Testament hieß – von der Erblasserin erzogen worden sei, ohne daß sie irgendwelche Entschädigung dafür genossen – und der sie diese Summe vermache, damit sie die Möglichkeit gewänne, sich einem ehrsamen Lebensberufe zuzuwenden.

Tiefes Stillschweigen folgte auf die Verlesung. Der erste, der es brach, war Pleydell, der sich das Testament zur Einsichtnahme ausbat. Er las es durch, erklärte es für richtig abgefaßt und in Ordnung und gab es ohne alle Bemerkung zurück. Dann sagte er leise zu Mannering: »Ich glaube, Protocol ist nicht besser, aber auch nicht schlimmer als andere Leute; aber das alte Fräulein hat die ganze Geschichte so arrangiert, daß es ihm, wenn er noch kein Schurke ist, an Versuchung, es zu werden, nicht fehlen kann.«

»Na, das muß man sagen, so etwas ist noch nicht dagewesen!« rief Mac Casquill. »Eins, Herr Protocol, möchte ich noch wissen, wie ist denn die verblichene Dame darauf gekommen, einen Jungen noch bei Leben zu halten, der doch, wie jedermann weiß, schon vor Anno Tobak umgebracht worden ist?«

»Darüber kann ich nicht mehr aussagen, als Sie selbst hier in diesem Schriftstücke hinterlegt hat,« antwortete Protocol; »sie war eine brave und fromme Dame, die vielleicht in ihrem Glauben an den ewigen Gott und seine allwaltende Gerechtigkeit Gründe gefunden, an das Nochvorhandensein des besagten Ellangowan zu glauben.«

»Ich weiß es, was für Gründe sie dazu bestimmt haben,« fiel der Tabakshändler ein: »Jungfer Rebekka, die dort drüben sitzt, hat mir's wohl hundertmal im Leben gesagt, daß eine alte Zigeunerin ihr gesagt hätte, der Harry Bertram sei noch am Leben. Nicht wahr, Jungfer Rebekka, so verhält es sich? Was Sie Ihrer Dame, wozu ich Sie oft animiert und wofür ich Ihnen auch manche halbe Krone geschenkt, ans Herz legen sollten und wollten, das haben Sie freilich vergessen.«

»Daß ich nicht wüßte,« versetzte Rebekka mürrisch und mit einem Gesicht, das deutlich verriet, daß sie keine Lust hatte, sich an etwas erinnern zu lassen, was weder angenehm noch rühmlich für sie war.

Die Trauergesellschaft schickte sich zum Auseinandergehen an; Protocol übertrug der Hausmagd Rebekka die einstweilige Aufsicht über das Haus, das er, wie er sagte, in einigen Tagen zu vermieten denke; der ehrliche Dinmont, der sich auch nicht ganz ohne Hoffnung eingefunden, hatte die Zeit über ziemlich verdrossen im Lehnstuhle der Verstorbenen gesessen, die sicher außer sich geraten wäre, wenn sie mitangesehen, wie er den Plüschüberzug mit seiner Reitpeitsche traktierte, stand jetzt auf und setzte die Trauergesellschaft durch die Worte in Aufregung: »Was soll denn aber aus dem armen Dinge, der Janet Gibson, werden? So lange die Erbschaft noch in Aussicht stand, hat's Verwandtschaft von der Margareth schier geregnet; ich dächte, nun müssen wir zusehen, was für sie zu tun.«

Den Worten wohnte scheinbar eine geheime Wunderkraft inne, denn sie setzte die Beine fast sämtlicher Anwesenden in energische Bewegung, Alles fing an zu rennen und zu flüchten. Mac Casquill murmelte, er habe für Köpfe mehr als genug zu sorgen, und eröffnete diesen »Ausmarsch aus Aegypten.« Der Tabakshändler meinte, Herr Protocol habe ja das Legat auszuzahlen und werde sich um das Mädel schon kümmern; und lief so flink, daß er Mac Casquill fast umrannte.

Protocol rief ihm hinterher, freilich habe er daran gedacht, diese Sorge vorderhand auf sich zu nehmen, es möchte aber alles, was er für sie tue, bloß aus Barmherzigkeit getan gelten. Dinmont aber schüttelte seinen weiten Flausrock, wie ein Neufundlandhund seinen zottigen Pelz, wenn er aus dem Wasser kommt, und rief: »Schockschwerenot, Herr Protocol, sie soll Ihnen nicht zur Last fallen, sofern sie Lust hat, mit auf mein Gut im Hochland zu kommen. Fehlen soll es ihr bei uns an nichts; mit dem feinen Leben wird's freilich vorbei sein, und in Büchern zu lesen, wird's auch nichts geben, auch keine Stickerei oder Weißnähen, wie bei der alten Mamsell, bei der sie so lange gelebt hat. Aber sorgen will ich für alles, und die hundert Pfund sollen Sie ruhig in Verwahrsam behalten, Herr Protocol; ja, ich will sogar noch was dazu legen, wenn sich 'mal ein wackerer Bursche in unserm Tale finden sollte, der eine Hausfrau braucht und ein Auge auf sie wirft. Na, was meinen Sie zu dem Vorschlag, Janet? Aber reiten lernen mußt Du, Kind, denn von Kutschen gibt's noch keine bei uns im Tale; und falls Jungfer Rebekka sich Dir anschließen und Lust haben sollte, ein paar Monate bei uns zu bleiben, so lange Du Dich noch nicht heimisch bei uns fühlst, nun, so sollte es mir bloß recht sein.«

Rebekka knickste höflich und hielt auch die arme Waise dazu an, und als Dinmont zu ihr trat und ihr mit seiner rauhen Herzlichkeit zuredete, das Weinen zu lassen, fuhr der alte Pleydell mit allen fünf Fingern in seine Tabaksdose ... »Das ist Wasser auf meine Mühle,« meinte er zum Obersten – »darüber könnt ich schier Essen und Trinken vergessen – solch ehrliche Haut nach all dem Heuchelpack zu hören, ist Medizin für ein Menschenherz! Na, dafür muß ich ihm auch zum Ruin verhelfen. Ruhe findet er früher doch nicht! Na, Ihr da, aus dem Liddestale! Dandie, Charlie – oder wie Ihr heißt –«

Der Pächter froh, daß man sich mit ihm befaßte, wenn auch nur auf solche Art von oben her, drehte sich um und reichte dem Anwalt, vor dem er großen Respekt hatte, die Hand. »Na, wollt Ihr die Geschichte ruhen lassen?« fragte dieser.

»Nicht doch, lieber Herr Pleydell. Niemand büßt gern was ein, worauf er ein Recht hat, und läßt sich noch obendrein auslachen. Aber da es Ihnen nicht angenehm ist, sich damit zu befassen, – vielleicht auch, weil Sie es mit der Gegenpartei halten, nun, so muß ich mich schon nach einem andern umsehen.«

»Hab ich's nicht gesagt, Herr Oberst,« wandte sich Pleydell schmunzelnd an Mannering, um dann zu Dinmout zu sagen: »Nun, wenn Ihr durchaus nicht anders könnt, als Euch als Narr aufzuspielen, dann muß ich doch zusehen und sorgen, daß Ihr wohlfeil davonkommt und, wenn's angeht, auch als Sieger aus dem Prozesse hervorgeht. Schickt mir also Eure Papiere, und laßt mich weiter sorgen! Warum solltet Ihr schließlich nicht prozessieren? Genau so gut. Mann, wie Eure Altvordern brandschatzten und mordeten.«

»Das dächt ich auch, Herr Pleydell! Recht muß Recht bleiben – und hätte sich das Leben nicht so ganz umgestaltet, dann suchten wir auch keine andern Wege als unsere Altvordern. Heute heißt's: Recht bindet uns und muß uns lösen. Und wer bei uns nicht vor Gericht gestanden, der hat kein rechtes Ansehen.«

»Sehr gut, mein Lieber, sehr gut! Na, für heute Gott befohlen! Schickt mir Eure Papiere, und ich will zusehen, was sich tun läßt ... Bitte, Herr Oberst, wir haben hier nichts mehr zu schaffen.«

»Na,« rief Dinmont, indem er sich vergnügt die Schenkel klopfte – »jetzt ist mir die Hutweide sicher.«


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