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Siebentes Kapitel.

Der Freund, den Richard Middlemas im Gasthaus zum Schwanen treffen wollte, war Tom Hillary, der vor einiger Zeit bei dem Staatssekretär Herrn Lawford als Schreiber angestellt gewesen war und mit er damals schon in Verkehr gestanden hatte. Tom Hillary wurde jetzt Kapitän betitelt, trug eine Uniform und führte eine kriegerische Sprache. Er schien viel Geld verdient zu haben. Er stand sogleich in hoher Achtung, da man erfuhr, daß er im Dienst der Ostindischen Gesellschaft stände – jener wunderbaren Gesellschaft von Kaufleuten, die man eigentlich passender Fürsten nennen könnte.

Ganz in der Stille legten um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Direktoren in Leadenhall-Street den Grund zu jenem gewaltigen Reiche, das jetzt ganz Europa und Asien durch seine riesige Ausdehnung und seine Macht in Verwunderung setzt. In England hatte man zuerst die märchenhaften Berichte von gewonnenen Schlachten und eroberten Städten im fernen Osten mit hellem Erstaunen vernommen. Das Erstaunen wurde noch größer, als Leute heimkehrten, die als Abenteuerer und Glücksritter ausgezogen waren und nun von orientalischem Reichtum und Luxus umgeben waren, daß selbst der Glanz des reichsten britischen Adels ihnen gegenüber farblos erschien.

In diesem neuentdeckten Eldorado hatte Hillary gearbeitet und zwar, wenn er selber die Wahrheit sagte, mit ganz nettem Erfolge, obwohl er noch bei weitem nicht soviel eingeheimst hatte, wie er beabsichtigte. Er sprach in der Tat davon, daß er sein Geld anlegen wolle, und erkundigte sich, ganz als ob er die augenblickliche Grille hätte, zu seinem bloßen Vergnügen ein Gut zu kaufen, bei seinem früheren Brotherrn, dem Stadtsekretär Lawford nach einem sumpfigen Landgut von 3000 Ackern, für das er 4000 Guineen anwenden wollte, wenn nur Reichtum an Wild und Gelegenheit zum Forellenfang vorhanden sei. Einen größeren Ankauf von Land, fügte er prahlerisch hinzu, wolle er jetzt zunächst nicht machen.

Augenblicklich sei es nur sein Zweck, ein paar tüchtige Burschen für sein Regiment oder vielmehr für seine Kompagnie anzuwerben, und da er auf all seinen Reisen nie schönere Menschen gesehen habe, als in Middlemas, so habe er seine Aushebung hier bewirken wollen.

Richard Middlemas erneuerte natürlich sogleich seine Beziehungen zu seinem ehemaligen Freunde, und Hillarys Reden hatten ihm jene Begeisterung für Indien eingeflößt, die wir ihn haben aussprechen hören. Es war nicht anders möglich, als daß ein junger Mann, der noch von der Welt nichts gesehen hatte und dabei von ungestümer Sinnesart war, sich von den glühenden Schilderungen Hillarys hinreißen ließ.

In seinen Beschreibungen wuchsen Paläste aus der Erde wie Pilze – Wälder von himmelhohen Bäumen und süß duftendem Gesträuch, wie sie der frostige Boden Europas nicht kannte, wimmelten von allem möglichen Wild vom Schakal bis zum Königstiger. Jeder Strom, von dem er sprach, floß über Goldsand, und jeder Palast, den er nannte, war herrlicher, als ihn eine Fata Morgana vorzugaukeln vermocht hätte. Seine Schilderungen selber schienen in Duft getaucht und seine Worte von Rosenessenz durchtränkt.

Diese Gespräche fanden oft ihren Abschluß bei einer feinern Flasche Wein, als der Gasthof zum Schwanen hätte liefern können, denn Kapitän Hillary war ein Freund von gutem Leben und hatte sich Wein und andere Leckerbissen aus Edinburgh mitgebracht. Und Middlemas war verurteilt, von so reicher Tafel weg zu der Hausmannskost seines Pflegevaters zurückzukehren, wo alle Schönheit der anmutigen Marie ihn nicht dazu vermochte, seinen Abscheu vor der groben Kost zu überwinden oder den Widerwillen niederzukämpfen, mit dem er die Fragen über die Krankheitsfälle, die seiner Fürsorge anvertraut waren, beantwortete.

Die Hoffnung, von seinem Vater anerkannt zu werden, hatte Richard längst aufgegeben, und nach der rauhen Zurückweisung von seiten des Herrn von Moncada war er auch zu der Überzeugung gelangt, daß sein Großvater unerbittlich sei. Dennoch war sein Ehrgeiz noch nicht eingeschlummert, wenn ihn auch nicht mehr die Hoffnungen beseelten, denen er früher sich hingegeben hatte.

Das einzige Hindernis war die Liebe zu Marie Gray und die Verpflichtung, die er ihr gegenüber auf sich genommen hatte. Als er um die Liebe der Marie Gray warb, war der Beweggrund wohl aufrichtige Zuneigung, ja heftige Leidenschaft gewesen, andrerseits hatte dabei aber auch das Verlangen, seine Eitelkeit zu befriedigen, mitgewirkt. Es war ihm darum zu tun, den Preis davonzutragen, um den Hartley mit ihm zu ringen den Mut hatte. Auch von andern Leuten, die ihm an Rang und Vermögen überlegen waren, sah er Marie Gray viel umworben, auch diesen Anbetern den Preis streitig zu machen und den Rang abzulaufen, kitzelte seinen Ehrgeiz.

Indessen machte er sich jetzt sofort klar, daß seine Liebe zu der Tochter des Arztes ihn nicht von der Laufbahn, zu der er sich nun entschloß, ernstlich abhalten dürfe. Er versöhnte sein Gewissen mit diesem Beschluß, indem er sich vorhielt, es sei ja in ebendemselben Maße auch Mariens Interesse, die Hochzeit solange zu verschieben, bis er sein Glück gemacht hätte.

Nun hatte allerdings die Verachtung, die ihm Hartley offen gezeigt hatte, seinen zuversichtlichen Glauben in die Richtigkeit seiner Folgerungen und Entschlüsse sehr erschüttert und den Argwohn in ihm erweckt, er spiele doch eine sehr klägliche und unmännliche Rolle, wenn er das Schicksal dieses lieben und unglücklichen Mädchens, das Wohl und Wehe seiner Geliebten so ganz wie eine nichtige Angelegenheit abtue. In dieser Stimmung des Zweifels und der Unschlüssigkeit ging Richard ins Gasthaus zum Schwanen und wartete dort in Ungeduld auf seinen Freund, den Kapitän.

Als beide gemütlich bei einer Flasche Wein saßen, begann Middlemas mit der ihm eignen ebenso graziösen wie zielbewußten Vorsicht seinen Freund auszuhorchen, ob jemand, der in die Dienste der ostindischen Gesellschaft trete, Aussicht hätte, in nicht allzu langer Zeit Offizier zu werden.

»Wenn Ihr, mein teurer Freund,« antwortete Hillary, »die Absicht hegt, Hammelfleisch mit Brühe gegen die würzigen Suppen und Pasteten zu vertauschen, so kann ich nur sagen, Ihr werdet freilich zuerst als bloßer Kadett eintreten müssen, aber Ihr sollt schon auf der Überfahrt – bei allen Teufeln – wie mein eigner Bruder gehalten werden. Wenn wir aber erst in Madras angelangt sind, so werde ich Euch schon auf den rechten Weg bringen, um zu Ruhm und Reichtum zu gelangen. Ihr habt, glaube ich, eine Kleinigkeit an Geld – so etwa 1000 Pfd., was?«

»So annähernd, ja,« antwortete Richard.

»Das reicht gerade aus für Ausrüstung und Überfahrt,« sagte sein Freund. »Und wenn Ihr auch keinen Heller hättet, das wäre einerlei. Wenn ich nämlich einmal zu einem Freunde sage, ich will ihm beistehen, so bin ich nicht derjenige, der wieder zurücktritt aus Furcht, es wäre kein Geld da. Es ist aber gut, daß Ihr etwas Kapital habt, denn das ist doch wenigstens eine Grundlage.«

»Gewiß,« antwortete Richard, »Ich mag auch niemand zur Last fallen. Daß ich Euch die Wahrheit sage, ich beabsichtige mich vor meiner Abreise zu verheiraten. Dazu ist Geld nötig, wie Ihr Euch wohl denken könnt, ob nun meine Frau mitkommt oder ob sie hierbleibt, bis sie hört, ob ich mein Glück gemacht habe. Dann würde ich sogar mir von Euch eben noch ein paar Pfund borgen müssen.«

»Was den Teufel schwatzt Ihr da von Heiraten, Richard?« rief der Kapitän. »Ein schmucker, einundzwanzigjähriger Bursch wie Ihr, der sechs Fuß hoch aus seinen Schuhen herausragt, will sich's einfallen lassen, sich auf Lebenszeit zum Sklaven zu machen?«

»Besinnt Ihr Euch auf Marie, die Tochter meines Lehrherrn?« fragte Middlemas.

»Ach, die!« entgegnete Hillary. »Ist sie denn zu etwas zu gebrauchen?«

»Sie ist ein verständiges Mädchen. Sie ist das sanfteste, schlichteste und gefügigste Wesen auf Erden,« sagte der Verehrer.

»Na, dann taugt sie nichts,« sagte sein Berater. »Tut mir leid, Richard, aber dann ist sie nicht zu gebrauchen. Ich sage Euch, wir haben Weiber in Indien, die in dem Spektakeldasein dort eine Rolle spielen – ein paar habe ich selber gekannt, die haben ihre Männer vorwärts bugsiert, sonst wären sie bis zum jüngsten Tage im Dreck stecken geblieben. Laßt Euch sagen, es geht nur eins, entweder heiraten oder auf Indien verzichten, aber beides gibt's nicht! Wenn Ihr Euch freiwillig einen Klotz um den Hals hängt, so müßt Ihr es eben aufgeben, ein Wettrennen mitzumachen. Übrigens braucht Ihr nicht etwa zu denken, daß es gleich ein Ende mit Schrecken gibt, wenn Ihr mit dem Mädel brecht. Der Abschied wird freilich ein unangenehmer Auftritt werden, aber unter den indischen Weibern werdet Ihr sie bald vergessen. Für den Markt in Indien ist sie keine Ware, das kann ich Euch versichern.«

Der Einfluß, den der prahlerische und großmäulige Soldat auf Middlemas erlangt hatte, war bei aller Eigensinnigkeit des letztern von despotischer Art. Der Kapitän war dem jungen Manne an Bildung und Kenntnissen und Begabung durchaus unterlegen, aber jener hatte eine große Gewandtheit, ihm verlockende Aussichten vorzuspiegeln – Aussichten von jener Art, wie sie von Kindheit auf Richards Phantasie beherrscht hatten.

Als Bedingung des Dienstes, den er ihm zu erweisen sich bereit erklärte, nahm er ihm das Versprechen ab, unbedingt darüber Schweigen zu bewahren, daß er mit ihm nach Indien ginge und welche Pläne ihn dabei geleitet hätten.

Das versprach denn Richard auch. Die beiden Freunde trafen sogar die Verabredung, sich nicht mehr zusammen in Middlemas sehen zu lassen und auch nicht zusammen Middlemas zu verlassen. Der Kapitän wollte zuerst abreisen und Richard sollte ihn in Edinburgh treffen. Dort sollte er förmlich für den Dienst angeworben und alles geregelt werden, was zur Überfahrt nach Indien erforderlich wäre.


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