Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Zwölftes Kapitel.

Das Festessen des Prinzen Johann fand im Schlosse zu Ashby statt. Es war dies nicht dasselbe Gebäude, das noch heute dort das Auge des Reisenden auf sich zieht. Schloß und Stadt Ashby gehörten damals Roger Quincy, Grafen von Winchester, der zu jener Zeit im heiligen Lande weilte, aber inzwischen hatte Prinz Johann das Schloß mit Beschlag belegt und über den Grundbesitz ohne Bedenken verfügt. Jetzt kam es ihm darauf an, die Augen der großen Welt durch Luxus und Pracht zu blenden, und deshalb waren umfassende Vorkehrungen zur Veranstaltung eines überaus prunkvollen Gastmahles getroffen worden. Die Hofkuriere des Prinzen, die bei derartigen Gelegenheiten die königliche Vollmacht besaßen, hatten alles im Lande aufgeboten, was nur irgend zu der Tafel ihres Herrn zulässig war. Eine große Anzahl von Gästen war geladen worden, und da Prinz Johann darauf angewiesen war, die Stimme der Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, so waren neben dem normännischen Adel auch mehrere weniger hervorragende dänische und sächsische Familien zu Gaste gebeten worden.

Wenn man auch die Angelsachsen verachtete und knechtete, so konnten sie doch bei dem nunmehr mit Sicherheit bevorstehenden Bürgerkriege durch ihre große Zahl gefährlich werden, und die Klugheit gebot, sich wenigstens mit ihren Oberhäuptern auf guten Fuß zu stellen. Es war daher die feste Absicht des Prinzen, diese an seinem Tische seltenen Gäste aufs höflichste zu bewirten, und er behandelte mit der größten Zuvorkommenheit Cedric und Athelstane. Er äußerte liebenswürdig sein Bedauern über die Unpäßlichkeit der Lady Rowena. Cedric hatte dies als Grund angegeben, weshalb sie seiner gnädigen Einladung nicht Folge leisten könne. Cedric und Athelstane trugen beide die altsächsische Tracht, die zwar an sich nicht geschmacklos war und bei dieser festlichen Gelegenheit aus kostbaren Stoffen bestand, aber sie gab einen so hellen Kontrast zu dem Aufputz der anderen Gäste, daß sich Johann Fitzurses wegen Gewalt antun mußte, um nicht laut aufzulachen. Allen aber, die noch ein vernünftiges Urteil hatten, erschien der lange Mantel und die kurze Tunika, wie sie die Sachsen trugen, praktischer und kleidsamer als das weite Unterkleid der Normannen, das wie ein Fuhrmannskittel aussah; das enge Oberkleid darüber schien nur deshalb vorhanden zu sein, daß der Schneider allerlei Stickerei, Pelzwerk und Juwelenzierat darauf anbrachte, soviel man nur hatte, um damit zu prahlen.

Die Gäste saßen um die Tafel, die unter der Last der Leckerbissen fast zu brechen drohte. Die zahlreichen Köche des Prinzen hatten alle ihre Künste aufgeboten, um möglichst abwechslungsreiche Gerichte zu schaffen. Außer den Schüsseln, die mit einheimischen Erzeugnissen gefüllt waren, gab es fremdländische Delikatessen und Pasteten, Rosinenkuchen und Weißbrot, das damals nur auf den Tisch des höchsten Adels kam. Desgleichen waren die besten einheimischen und ausländischen Weine aufgetragen. Die Normannen liebten die Pracht, aber man konnte sie doch keineswegs ausschweifend nennen. Sie schwärmten wohl für ein üppiges Mahl, aber es wurde dabei weniger darauf gesehen, daß alles im Übermaß vorhanden war, vielmehr war die Hauptsache, daß alles vortrefflich zubereitet war, und der erste Vorzug war der Wohlgeschmack. Dagegen machten sie den von ihnen überwundenen Sachsen den Vorwurf der Völlerei und Gefräßigkeit – zwei Laster, die ihrer Meinung nach der niedrigen Natur des Sachsen eigen waren. Prinz Johann jedoch und das Heer seiner Schmeichler und Parasiten liebten auch in der Wonne des Zechens und Essens das Übermaß, und es ist eine allbekannte Tatsache, daß Prinz Johann an übermäßigem Genuß von Pfirsichen und jungem Biere gestorben ist. Dies war aber nur eine Ausnahme von der Regel.

Mit einer Unverwandtheit, die schließlich peinlich werden mußte, wobei sie sich obendrein noch heimliche Zeichen untereinander gaben, beobachteten die normännischen Ritter und Adeligen das ungeschlachte Wesen Athelstanes und Cedrics bei der Tafel – ein ihnen ganz fremder Anblick. Während die Sachsen also mit geheimem Spott betrachtet wurden, ließen sie unwissentlich manche der Vorschriften außer acht, die für das Benehmen in Gesellschaften allgemein galten.

Indessen ging das lange Mahl zu Ende, und während fleißig der Becher kreiste, war das Gesprächsthema das Turnier, der unbekannte Sieger im Bogenschießen, der schwarze Ritter und der tapfere Ivanhoe, der die Ehre des Tages so teuer bezahlt hatte. Dabei herrschten Scherz und Lachen.

Nur die Stirn des Prinzen Johann war umwölkt, eine schwere Sorge schien auf seiner Seele zu lasten, und hätten ihn nicht seine Schranzen auf alles aufmerksam gemacht, so hätte er wohl nichts von dem gesehen, was um ihn her vorging. Wenn er in solcher Weise aufgerüttelt worden war, dann starrte er empor, stürzte einen Becher Wein hinunter und beteiligte sich mit einer abgerissenen, zusammenhanglos hingeworfenen Bemerkung an der Unterhaltung.

»Wir trinken diesen Becher,« rief er so einmal, »auf das Wohl Wilfrieds von Ivanhoe, des Siegers in diesem Turnier, und wir bedauern, daß er seiner Wunde wegen fern bleiben mußte. Jeder einzelne soll seinen Becher füllen und mir zu diesem Spruche Bescheid tun, vor allem Cedric von Rotherwood, der würdige Vater eines so hoffnungsvollen Sohnes.«

»Nein, Mylord,« versetzte Cedric, indem er seinen Becher unberührt ließ, »der ungehorsame Bursch, der meiner Befehle nicht achtet und den Sitten und Geflogenheiten meiner Väter abtrünnig wird, ist mein Sohn nicht mehr.«

»Es ist nicht möglich,« sagte Prinz Johann mit gut geheucheltem Erstaunen, »daß ein so tapferer Ritter ein ungehorsamer Sohn sei.«

»Und doch ist es mit Wilfried, wie ich sagte,« erwiderte Cedric. »Er hat sein väterliches Haus verlassen und ist unter den lustigen Adel an Euers Bruders Hof gegangen, dort hat er die Reiterkünste erlernt, von denen Ihr soviel Rühmens macht. Gegen meinen Willen und mein ausdrückliches Verbot ist er von mir gegangen.«

»Mein Bruder,« fuhr der Prinz fort, »hatte die Absicht, ihm die reiche Baronie Ivanhoe zu verleihen.«

»Er hat sie ihm verliehen, und es ist nicht mein geringster Groll, daß sich mein Sohn lehenspflichtigen Vasallen der Ländereien nennen ließ, auf denen seine Väter frei und unabhängig saßen.«

»Ihr werdet also, guter Cedric,« sagte der Prinz, »uns Eure Einwilligung geben, daß wir dieses Lehen an einen anderen übertragen. Sir Reginald Front-de-Boeuf,« er wendete sich an diesen Ritter, »wir denken, Ihr werdet Euch die reiche Baronie Ivanhoe so zu erhalten wissen, daß Sir Wilfried nicht wieder bei seinem Vater in Ungnade fällt, indem er das Lehen zurückbekommt.«

»Beim heiligen Anton,« rief der Riese, die Brauen finster runzelnd, »Eure Hoheit mögen mich für einen Sachsen halten, wenn mir Cedric, Wilfried oder der Beste, der je aus englischem Blute entsproß, diesen Besitz entreißen könnte, den ich Eurer Hoheit verdanke.«

»Wer Euch einen Sachsen nennt, Baron,« versetzte Cedric, »der erweist Euch eine ebenso große wie unverdiente Ehre.«

Front-de-Boeuf wollte antworten, aber bei Prinz Johann brach jetzt der Mutwille durch.

»Gewiß, Mylords,« spottete er, »Cedric hat recht. Seine Landsleute haben zweierlei vor uns voraus: sie haben längere Stammbäume und längere Mäntel.«

»Sie sind uns auch im Felde voraus,« setzte Malvoisin hinzu, »wie das Wild den Hunden.«

»Ihres edeln Anstandes und ihrer feinen Sitten nicht zu vergessen,« ergänzte Prior Aymer.

»Und ihrer Enthaltsamkeit und Mäßigkeit,« meinte Bracy, indem er ganz vergaß, daß ihm eine sächsische Braut in Aussicht gestellt worden war.

»Und des Mutes, den sie bei Hastings gezeigt haben,« sagte Brian de Bois-Guilbert.

Während also die Höflinge des Prinzen seinem Beispiel folgten und jeder einzelne einen Pfeil des Spottes wider Cedric schoß, erglühte das Antlitz dieses Sachsen in Zorn und Grimm. Er warf wilde Blicke von einem zum andern, als ob es ihm bei den rasch aufeinanderfolgenden Beleidigungen nicht möglich sei, jedem einzelnen zu antworten. Er glich einem gereizten Stier, der, von seinen Peinigern umringt, nicht gleich aus ihrer Schar den herausfinden kann, an dem er sich rächen will. »Wie groß auch die Fehler meines Volkes sein mögen,« erwiderte er dann, »für einen Nichtswürdigen hätten sie den erklärt, der in seiner eigenen Halle beim kreisenden Becher einen friedlichen Gast – und das bin ich doch heute für Eure Hoheit – in solcher Weise behandelt hätte. Und was auch meine Väter bei Hastings für Unglück gehabt haben mögen,« setzte er hinzu, mit einem Blick auf Front-de-Boeuf und den Templer, »wer vor wenigen Stunden noch von der Lanze eines Sachsen aus dem Sattel geworfen wurde, sollte darüber lieber schweigen.«

»Meiner Treu, ein beißender Witz!« rief Prinz Johann. »Wie gefällt er Euch, Mylords? – Unsere sächsischen Untertanen nehmen zu an Geist und Kühnheit. Ich glaube, wir tun am besten daran, unsere Schiffe zu besteigen und nach der Normandie zurückzukehren.«

»Aus Furcht vor ihnen!« setzte Bracy lachend hinzu. »Brauchen wir doch nur zu unseren Speeren zu greifen, um diese Eber zu Paaren zu treiben.«

»Laßt ab von Euerm Gespött, ihr Herren Ritter,« sagte Fitzurse. »Es wäre wohlgetan, wenn Euer Hoheit dem edeln Cedric die Versicherung geben wollte, daß diese Scherzworte nicht darauf angelegt sind, ihn zu beleidigen. Sie mögen freilich im Ohre eines Fremden unsanft klingen.«

»Beleidigen!« rief Prinz Johann, indem er sogleich seine frühere Höflichkeit wieder annahm. »Wer wird mir zutrauen, daß ich es duldete, einen, der bei mir zu Gast ist, in meiner Gegenwart zu beleidigen? Hier fülle ich mein Glas und trinke auf das Wohl des edeln Cedric selber, da er auf die Gesundheit seines Sohnes nicht mittun will.«

Unter dem erheuchelten Beifall der Höflinge machte der Becher die Runde, aber der Sachse ließ sich keinen Sand in die Augen streuen. Wenn es ihm auch an Scharfsinn gebrach, so irrten sich doch alle, die des Glaubens waren, daß ihn diese leere Schmeichelei die Schmähungen vergessen lassen könnte. Er antwortete nicht, und als der Becher wieder beim Prinzen ankam, füllte ihn Johann abermals und rief: »Auf das Wohl des edeln Athelstane von Conningsburgh!«

Der dankte, und zum Beweis, daß er solche Ehre zu schätzen wisse, leerte er seinen gewaltigen Humpen mit einem Zuge.

»Und nun, Ihr Herren,« sagte der Prinz, den der Wein zu erhitzen begann, »haben wir unseren sächsischen Gästen Gerechtigkeit angedeihen lassen und erwarten nun, daß sie unsere Höflichkeit erwidern. – Würdiger Thane,« wandte er sich an Cedric, »nennt uns einen Normannen, dessen Name Euern Mund am wenigsten beflecken mag, und spült mit einem Becher Wein alle Bitternis hinunter, die noch auf Euern Lippen haften möchte.«

Bei diesen Worten des Prinzen war Fitzurse aufgestanden und hinter den Stuhl des Sachsen getreten. Er flüsterte ihm zu, er möge die Gelegenheit, die Mißstimmung zwischen beiden Stämmen beizulegen, nicht ungenützt vorüberlassen und jetzt den Namen des Prinzen nennen. Aber der Sachse achtete nicht auf diesen politischen Wink. Er füllte den Becher bis zum Rande und rief dem Prinzen zu:

»Eure Hoheit verlangt, ich soll einen Normannen nennen, der hier verdient, genannt zu werden. Das ist fürwahr nicht leicht. – Der Bedrückte soll ein Lob singen auf seinen Überwinder, während ihm doch alle Lasten der Knechtschaft schwer aufliegen. Doch will ich einen Normannen nennen, den ersten an Rang und Waffenruhm, den besten und edelsten seines Stammes. Falsch und ehrlos nenne ich die Lippen, die seinem wohlerworbenen Ruhme nicht Bescheid tun, und das will ich mit meinem Leben bekräftigen. – Und somit: es lebe Richard Löwenherz!«

Prinz Johann, der seinen eigenen Namen zu hören erwartet hatte, erstarrte, als er so plötzlich den Namen seines Bruders vernahm, dem er so schweres Unrecht zugefügt hatte. Mechanisch führte er den Becher zum Munde und setzte ihn schnell wieder ab, um zu beobachten, wie sich die Gesellschaft bei diesem Trinkspruche, auf den Bescheid zu tun ebenso heikel war, als ihm nicht zu entsprechen, benehmen würde. Mehrere alte und gewandte Höflinge machten es ebenso wie der Prinz, hoben den Becher und stellten ihn wieder hin. Einige, die edleren Sinnes waren, riefen: »Lang lebe König Richard, und möge er bald wiederkehren!« Nur wenige – darunter Front-de-Boeuf und der Templer – starrten in finsterem Unmut ihre Becher an, ohne sie zu berühren. Cedric weidete sich eine Weile an seinem Siege. Dann wandte er sich an seinen Gefährten. »Auf, edler Athelstane!« sagte er. »Wir haben nun dem Prinzen Johann alle Höflichkeit vergolten, wer mehr von unseren rauhen, sächsischen Sitten wissen will, der möge uns aufsuchen im Hause unserer Väter. Wir haben nun genug gesehen von königlichem Schmause und normannischer Höflichkeit.« Mit diesen Worten stand er auf und ging hinaus, und Athelstane und mehrere Gäste, die mit den Sachsen verwandt waren, folgten ihm.

»Bei den Gebeinen des heiligen Thomas!« sagte Prinz Johann. »Die sächsischen Bauernlümmel nehmen uns die besten Gäste mit weg und ziehen im Triumph ab.«

»Conclamatum est, poculatum est,« sagte Prior Aymer, »wir haben gelärmt und gezecht. – Nun ist es Zeit zum Aufbruch.«

»Der Mönch hat in dieser Nacht eine süße Beichte vor, darum hat er es so eilig,« sagte Bracy.

»Das ist nicht der Fall, Herr Ritter,« erwiderte der Abt. »Ich muß aber zusehen, daß ich heute noch ein paar Meilen von meiner Rückreise hinter mich bringen kann.«

»Sie brechen auf,« flüsterte der Prinz seinem Ratgeber Fitzurse zu, »ihre Angst greift den Ereignissen vor, und dieser feige Prior ist der erste, der von mir abfällt.«

»Seid ohne Sorge, Mylord,« versetzte Waldemar Fitzurse, »ich will ihm klar machen, daß wir ihn in York noch einmal sprechen müssen. – Herr Prior,« wandte er sich an Aymer, »ich habe zuvor noch ein paar Worte unter vier Augen mit Euch zu reden.«

Die übrigen Gäste waren nun fast alle gegangen, bis auf die, die zum Gefolge des Prinzen gehörten oder erklärte Anhänger seiner Partei waren.

»Dies ist also der Erfolg Eurer Ratschläge,« sagte der Prinz, den Blick voll Zorn auf Fitzurse heftend. »An meinem eigenen Tische bietet mir ein besoffener Sachse Trotz, und beim bloßen Namen meines Bruders fliehen die Leute vor mir, wie vor einem Aussätzigen.«

»Geduld, Sir,« entgegnete Fitzurse. »Ich könnte diese Bezichtigung Euch zurückgeben und Euern grenzenlosen Leichtsinn tadeln, der meine Pläne vereitelt hat. Doch jetzt ist keine Zeit zu Vorwürfen. Bracy und ich werden ohne Säumen zu diesen Memmen gehen und sie davon überzeugen, daß sie schon zu weit gegangen sind, um jetzt noch zurücktreten zu können.«

»Das wird vergebens sein,« sagte der Prinz, indem er mit großen Schritten heftig auf und nieder ging und mehr zu sich selber sprach. »Das wird nichts fruchten. Sie haben die schreibende Hand an der Wand gesehen, sie haben die Fußstapfen des Löwen im Sande gesehen, sie haben sein Brüllen durch den Wald schallen hören – nichts kann ihnen wieder Mut verleihen.«

»Wollte nur Gott,« sagte Fitzurse zu Bracy, »daß ihm selbst neuer Mut zu verleihen wäre! – Beim bloßen Namen seines Bruders kriegt er das Fieber. Wie unglücklich sind doch die Räte eines Prinzen, dem es zum Guten wie zum Bösen an Kraft und Energie gebricht.«


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