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Ruben und Rachel, so zärtlich wie Tauben,
Ließen im Lieben sich Vorsicht nicht rauben,
Nicht folgten sie Amors wilden Befehlen,
Bis ruhig Bedenken vereint ihre Seelen.
Da arm sie waren, dünkt's ihnen nicht recht,
Durch hastige Liebe noch ärmer zu werden.
Crabbe.
Als nach jener unerwarteten Rettung vom gänzlichen Verderben, Wittwe Butler und Wittwer Deans immer noch mit der Armuth und dem ihnen zu Theil gewordenen harten Boden kämpften, schien es nachgerade, als würde Deans in dem Kampfe obsiegen, seine Verbündete aber unterliegen müssen. Jener war ein Mann, und noch in seinen besten Jahren; Wittwe Butler eine Frau von vorgerücktem Alter. Der Umstand zwar, daß Ruben aufwuchs, um seiner Großmutter Beistand zu leisten, und daß Jeanie als ein Mädchen wohl nur ihres Vaters Last vermehren konnte, schien einiges Gleichgewicht in die Schale zu bringen. Allein Vater Deans verstand das Ding besser; von dem Augenblick an, wo die Kleine allein gehen konnte, mußte sie ihm jeden Tag irgend ein Geschäft verrichten, das ihrem Alter und ihren Fähigkeiten angemessen war; und diese Thätigkeit, so wie die wiederholten Lehren und Ermahnungen des unermüdlichen Vaters gaben ihr schon als Kind etwas Ernstes, Festes und Besonnenes. Eine ungemein kräftige Gesundheit, frei von allen den Nervenübeln und andern Schwächen, die, den Körper in seinen edelsten Verrichtungen störend, so häufigen Einfluß auf das Gemüth haben, trug viel dazu bei, diese einfache Ruhe, diese sichre Entschlossenheit zu befestigen. Ruben hingegen war von schwachem Körperbau, und, nicht furchtsam zwar, aber besorglich, zaghaft und unsicher. Er hatte etwas von dem Wesen seiner Mutter ererbt, die früh an der Auszehrung starb. Er war ein bleicher, hagrer, schwächlicher Knabe, und zog, als Folge eines Falles, beim Gehen den einen Fuß etwas nach. Ueberdies war er das verzärtelte Kind einer liebevollen Großmutter, deren zu weit getriebene Sorgfalt ihm ein Mißtrauen in seine Kräfte gab, und zugleich die Neigung, seine eigne Wichtigkeit zu überschätzen, eine der schlimmsten Folgen thöricht-blinder Liebe gegen Kinder. Dieser Verschiedenheit ungeachtet hingen die Kinder fest an einander, aus Neigung noch mehr als aus Gewohnheit. Sie hüteten zusammen die Handvoll Schafe und zwei oder drei Kühe, die ihre Eltern nach der Gemeindewiese von Stummendeich hinaussandten, sich ein spärliches Futter zu suchen. Da saßen oft die beiden Kleinen unter einem blühenden Dornbusch, und ihre freundlichen Gesichterchen guckten dicht aneinander geschlossen unter demselben Tuch hervor, das sie als Schirm über ihre Köpfe gezogen, den Erguß der regenschwangern Wolke fürchtend, deren dunkler Schatten die Landschaft verfinsterte. Oder sie gingen miteinander zur Schule, und wenn unterwegs ein kleiner Bach zu durchwaten war, oder Hunde, Ochsen und andre gefahrvolle Abenteuer ihnen auf ihrer Wanderung begegneten, so empfing stets der Knabe von seiner Gefährtin das Beispiel und die Ermunterung, die sonst in dergleichen Fällen das männliche Geschlecht gern dem schwächern weiblichen zu ertheilen pflegt. Wenn sie hingegen auf den Bänken der Schulstube sitzend, des Lehrers Aufgaben mit einander auswendig lernten, konnte Ruben, ihr eben so überlegen an Schärfe des Geistes, als sie ihn an körperlicher Kraft und Gewandtheit übertraf, seiner kleinen Freundin jenen wohlwollenden Beistand in vollem Maaße vergelten. Er war unstreitig der beste Schüler in der kleinen Dorfschule, und seine Gemüthsart so mild, daß das lärmende Völkchen in derselben ihn eher bewunderte als beneidete, obgleich er der erklärte Liebling des Schulmeisters war. Besonders hegten einige Mädchen großes Verlangen, sich freundlich und hülfreich gegen den schwächlichen Knaben zu bezeigen, der es allen seinen Gefährten an Fleiß und Artigkeit so sehr zuvorthat. Ruben Butler's ganzes Wesen war von der Art, sowohl ihr Mitleid als ihre Bewunderung in Anspruch zu nehmen, Empfindungen, durch welche das weibliche Geschlecht, (wenigstens der bessere Theil desselben,) am leichtesten gewonnen wird.
Allein Ruben, von Natur zurückgezogen und blöde, dachte nicht daran, diese günstigen Gesinnungen zu benutzen. Seiner Jeanie einzig ergeben, schloß er sich um so fester an sie, da die warmen Lobsprüche des Lehrers ihm heitere Aussichten in die Zukunft eröffneten, und seinen Ehrgeiz weckten. Indessen machten die wissenschaftlichen Fortschritte des Knaben, (die für seine geringen Hülfsmittel bedeutend waren,) ihn minder fähig, seinen landwirthschaftlichen Obliegenheiten irgend einige Aufmerksamkeit zu widmen. Während er über den pons asinorum im Euclid nachsann, ließ er alles Vieh von der Gemeindeweide auf ein weites Erbsenfeld des Lord Stummendeich hinüberlaufen, und nur die eifrigen Bemühungen der entschlossenen Jeanie und ihres kleinen Hundes Staubfuß konnten großen Unfug und die schlimmen Folgen desselben verhüten. Sein Vorschreiten in der Kenntniß der Classiker war mit ähnlichen Unfällen bezeichnet. Er las Virgil vom Landbau, bis er nicht mehr Gerste vom Hafer zu unterscheiden wußte, und hätte beinahe die Aecker von Beersheba gänzlich verdorben, weil er sie nach der Vorschrift Columella's und Cato's des Censors bebauen wollte.
Dergleichen Mißgriffe betrübten die Großmutter gar sehr, und waren der guten Meinung nachtheilig, die Vater Deans von Ruben hatte.
»Ich sehe nicht, daß Ihr etwas anders aus dem einfältigen Burschen machen könntet, Nachbarin Butler,« sagte er zu der alten Frau, »als ihn zum geistlichen Stande erziehn. Tüchtige Prediger sind ohnedies nöthig in diesen bösen Zeiten, wo der Menschen Herzen so verhärtet gegen Gottes Wort sind, als wären sie Mühlsteine. Und glaubt mir, Euer armer Junge da wird niemals, wenn nicht ein Gesandter des Herrn, zu irgend einem nützlichen Stück Arbeit fähig sein. Ich übernehme es, ihm die Licenz zu verschaffen, wenn er so weit gekommen ist; in dem Vertrauen, er werde sich als ein würdiges Glied der Kirche beweisen, und sich nicht im Unflath ketzerischer Irrthümer und Uebertreibungen herumwälzen, sondern mit den Flügeln einer Taube emporsteigen aus dem angebornen Schmutz.«
Die arme Wittwe verschluckte die Beleidigung der Grundsätze ihres Mannes, welche in diesen Worten lag, und eilte Ruben aus der Stadtschule zu nehmen, die er jetzt besuchte, und ihn zu ermuntern, sich den damals vorzüglich gepflegten Zweigen der Wissenschaft, der Mathematik und Gottesgelahrtheit mit vollem Eifer zu widmen.
Jeanie Deans sollte nun den Gefährten ihrer Arbeiten, ihrer Lehrstunden und ihrer Erholung verlieren, und mit einem mehr als kindischen Gefühl sahen beide dieser Trennung entgegen. Allein sie waren jung, und ihre Hoffnungen lebendig, und so trennten sie sich wie solche, die ein Wiedersehn unter günstigern Umständen erwarten.
Während Ruben Butler in den Hörsälen zu St. Andrews die einem Geistlichen nöthigen Kenntnisse erwarb, seinen Leib durch die Entbehrungen ertödtend, deren es bedurfte, indeß er Speise für seinen Geist suchte, fand sich seine Großmutter täglich weniger im Stande, ihrer kleinen Pachtung vorzustehn, und sah sich endlich gezwungen, sie gänzlich aufzugeben. Doch zeigte der neue Lord von Stummendeich sich ziemlich mild bei dieser Gelegenheit, und erlaubte ihr sogar, in dem Häuschen, wo sie so lange gelebt, wohnen zu bleiben. Nur machte er es sich zur Bedingung, nie einen Heller für Ausbesserungen herzugeben; denn was man von Gutmüthigkeit wahrnahm, zeigte sich immer nur auf eine leidende, aber keineswegs auf eine handelnde Weise.
Durch bessre Einsichten, eine regere Thätigkeit und andre blos zufällige Umstände, kam David Deans unterdessen ein wenig vorwärts in der Welt, erlangte einige Wohlhabenheit, den Ruf einer noch größern, und eine wachsende Neigung, was er besaß zu erhalten und zu vermehren; eine Neigung, um welche er sich bei ernstem Nachdenken selbst tadelte. Seine Kenntniß der Landwirthschaft machte ihn einigermaßen zum Liebling des Lords, der kein Vergnügen an thätigen oder geselligen Zeitvertreiben fand, und dieser pflegte seinen täglichen Spaziergang jedesmal mit einem Besuch in dem Häuschen zu Woodend zu beschließen.
Da er selbst ein Mensch von schwerfälligen Gedanken und verworren in seinen Aeußerungen war, so hatte er sich es angewöhnt, hier mit einem alten Tressenhut von seinem Vater her auf dem Kopfe und einer leeren Tabackspfeife im Munde, zu halben Stunden zu sitzen oder zu stehen, und der betriebsamen Jeanie Deans oder, »dem Mädel,« wie er sie nannte, bei dem Fortgang ihrer häuslichen Verrichtungen mit den Augen zu folgen. Die mündliche Unterhaltung fiel indessen dem Vater zu, Viehstand, Eggen, Pflüge und dergleichen war der gewöhnliche Inhalt derselben, nach Erschöpfung solcher Gegenstände David Deans denn auch oft Gelegenheit nahm, mit vollem Segel in die Fluth kirchlicher Streitsachen hinauszusteuern. Solchen Erörterungen hörte dann der Edelmann scheinbar mit großer Geduld zu, allein ohne auch nur eine einzige Sylbe darauf zu erwiedern, vielleicht gar, nach mancher Leute Vermuthung, ohne auch nur eine einzige Sylbe von dem zu verstehen, was der Redner vorbrachte. Dies letztere ward zwar von Deans steif und fest geleugnet, als eine Schmach sowohl für seine eignen Fähigkeiten, die verborgene Wahrheit an's Licht zu bringen, als auch für die Fassungskraft des Lords, der so Klares nicht begreifen sollte. Stummendeich, sagte er, sei keiner von den adeligen Laffen, die mit reichgestickten Kleidern und nachschleppenden Degen stolzirten, und lieber zu Rosse sitzend nach der Hölle kommen möchten, als mit bloßen Füßen in den Himmel gehn. Er sei nicht wie sein Vater, halte es nicht mit schlechter Gesellschaft, schwöre und trinke nicht, gehe nicht in Schauspielhäuser oder zu Tanzgelagen, breche den Sabbath nicht, zwinge nicht zu Eidleistungen oder Verpfändungen, und lasse den Leuten ihre Freiheit. – Er hänge ein bischen zu sehr an der Welt und an weltlichem Besitzthum, allein es sei doch ein leiser Hauch des Geistes auf ihn gekommen. So und auf ähnliche Weise sprach und dachte David von seinem adeligen Gönner.
Als Vater und als Mann von Verstand und Scharfblick mußte Deans die stete Richtung der Augen des Lords auf Jeanie gar wohl bemerken. Wichtiger als ihm war dieser Umstand jedoch einem andern Mitgliede seiner Familie, einer zweiten Genossin nämlich, mit welcher er zehn Jahre nach dem Tode der ersten das eheliche Band geknüpft. Ein Schritt, von dem einige glaubten, er habe ihn durch Uebereilung gemacht, denn im Allgemeinen war der fromme Deans kein Freund der Ehe, und betrachtete sie vielmehr als ein Uebel, in unserm unvollkommenen Zustande nothwendig, und deßhalb zu dulden, wodurch aber unser geistiger Fittig gelähmt würde, und unsre Seele an ihre Wohnung von Staub gefesselt. Solche Grundsätze konnten ihn jedoch nicht verhindern, sich zwei mal in dies gefährlich umstrickende Band einzulassen.
Rebecca, seine Gattin, hatte keineswegs den nämlichen Abscheu vor dem Ehestande, und da sie in ihrem Kopfe Heirathen für alle Nachbarn in der Runde schloß, ermangelte sie nicht in ehelichen Gesprächen auf eine Verbindung des Lords mit ihrer Stieftochter hinzudeuten. Vater Deans pflegte die Stirn zu runzeln, und ihr mit einem langgedehnten Pah! zu antworten, wenn sie diesen Gegenstand berührte, doch nahm er gewöhnlich die Mütze und ging hinaus, den dämmernden Strahl wohlgefälligen Lächelns zu verbergen, der sich dann unwillkürlich über sein strenges Antlitz zog.
Seltne körperliche Reize waren es nicht, welche die stumme Aufmerksamkeit des Lords auf Jeanie Deans zogen. Sie war klein und eher ein wenig zu stark für ihre Höhe, hatte graue Augen, hellbraunes Haar, ein rundes, freundlich blickendes Gesicht, das die Sonne gefärbt; und ihr einziger vorzüglicher Reiz bestand in jenem milden Abglanz unaussprechlicher Heiterkeit und Ruhe, welche ein gutes Gewissen, wohlwollende Gefühle, ein zufriedner Sinn, und die regelmäßige Erfüllung all ihrer Pflichten über ihre Züge verbreiteten.
Dieser Schilderung zufolge konnte wohl unsere ländliche Heldin nichts sehr Zurückschreckendes in ihrem Wesen und Betragen haben; dennoch, war es nun einfältige Schüchternheit, oder Mangel an Entschlossenheit, oder ein Verkennen seines eignen Gemüthszustandes, kam der Lord von Stummendeich einen Tag, einen Monat, ein Jahr nach dem andern, Jeanie Deans' beseligenden Anblick zu genießen, ohne daß er die leiseste Andeutung gab, die Prophezeiungen der Stiefmutter erfüllen zu wollen.
Die gute Frau ward um so ungeduldiger über den langsamen Schritt dieses Liebeswerbers, da sie, nach einigen Jahren der Ehe, David Deans mit einer andern Tochter beschenkt hatte, die den Namen Euphemia, oder abgekürzt Effie führte. Denn Rebecca zog den verständigen Schluß, daß Jeanie, zur Lady Stummendeich erhoben, der Mitgift nicht bedürfe, wodurch die väterliche Habe gänzlich ihrer eignen Tochter zugewendet würde. Minder löbliche Mittel sind bereits von Stiefmüttern gebraucht worden, ihren Kindern ein Erbe zu sichern; allein Rebecca, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, suchte der kleinen Effie Bestes allein durch diese vortheilhafte Heirath der ältern Schwester zu befördern. Sie bediente sich deßhalb jeder weiblichen List innerhalb des Kreises ihrer einfachen Erfahrungen, den Lord zu einer Erklärung zu bringen; erlitt aber die Demüthigung, daß ihr Bestreben, gleich dem eines ungeschickten Anglers, die Forelle scheuchte, die sie zu fangen gedachte. Einmal insbesondere, als sie mit dem Lord über die Nothwendigkeit scherzte, dem Stummendeich'schen Hause eine Gebieterin zu geben, ward er so stutzig, daß weder Tressenhut und Tabackspfeife, noch der geistvolle Besitzer dieser Gegenstände, sich in vierzehn Tagen zu Woodend blicken ließen. Rebecca sah sich also genöthigt, den Lord seinem eigenen Schneckengang zu überlassen, nun durch die Erfahrung von des Todtengräbers Satze überzeugt, daß der dumme Esel nicht schneller gehe, wie man ihn auch prügeln mag.
Ruben setzte unterdeß seine Studien in St. Andrews fort, und indem er Jüngere in dem, was er eben selbst gelernt, unterrichtete, gewann er die Mittel, sich in diesem Sitz der Gelehrsamkeit zu erhalten, und befestigte sich zugleich in den bereits erworbenen Kenntnissen. Auf solche Weise gelang es ihm, nicht nur seinen eignen einfachen Bedürfnissen abzuhelfen, sondern auch seine alte Großmutter beträchtlich zu unterstützen. Seine Fortschritte waren bedeutend, doch wurden sie wenig beachtet, wegen der stillen Bescheidenheit seines Wesens, die ihn unfähig machte, seine Gelehrsamkeit in einem glänzenden Lichte zu zeigen. Und so hatte denn Butler, wäre er zu Klagen geneigt gewesen, wohl wie mancher Andre von Mißgeschick, Zurücksetzung und Ungerechtigkeit zu sagen.
Er erhielt seine Licenz als Verkündiger des Evangeliums von einigen Lobsprüchen der Kirchenältesten begleitet; allein dies half ihm zu keiner Beförderung, und er mußte die Hütte von Beersheba zum Aufenthalt wählen, wo einige Lehrstunden in benachbarten Familien ihm ein kärgliches und unsichres Einkommen gewährten. Nachdem er die alte Pflegerin seiner Kindheit begrüßt hatte, war sein erster Besuch zu Woodend, wo Jeanie ihn mit einer warmen, von stets gehegten Erinnerungen zeugenden Herzlichkeit, Rebecca mit freundlicher Gastfreiheit und Vater Deans mit einer ihm ganz eigenthümlichen Art empfing.
So hoch David Deans auch die Geistlichkeit ehrte, stand doch nicht jedes einzelne Mitglied derselben in Ansehen bei ihm; und ein wenig eifersüchtig vielleicht, den so jung gekannten zur Würde eines Lehrers und Predigers erhoben zu sehen, griff er ihn augenblicklich mit verschiedenen Streitfragen an, um zu entdecken, ob er auch nicht in die Schlingen und Irrthümer der Zeit gefallen. Butler war ein Mann von strengen presbyterianischen Grundsätzen, auch vermied er gern, seinem alten Freunde durch das Bestreiten geringfügiger Nebendinge wehe zu thun; und er konnte daher hoffen, rein wie geläutertes Gold aus dem Schmelztiegel dieser Prüfungsfragen hervorzugehn. Allein einem so strengen Richter als David Deans war nicht leicht Genüge zu leisten.
Die alte Judith Butler war diesen Abend bis nach Woodend herüber gehumpelt, um die Glückwünsche wegen Rubens Heimkehr, und wegen seiner ungemeinen Gelehrsamkeit einzuernten, worauf sie selbst sich nicht wenig einbildete, und sie fand sich etwas gekränkt, als ihr alter Freund Deans nicht mit der Wärme, die sie erwartet, auf diesen Gegenstand einging. Im Anfange schwieg er, doch ohne unzufrieden zu scheinen, und erst nachdem Judith die Sache mehrmals in Anregung gebracht, äußerte er einige Mißbilligung.
»Ei, Nachbar Deans, ich dachte es würde Euch freuen, Ruben, den guten Jungen, wieder unter uns zu sehen.«
»Es ist mir auch lieb, Frau Butler,« erwiederte der Nachbar ganz kurz.
»Seit er seinen Großvater und seinen Vater verloren, hatte er keinen Freund in der Welt, der so väterlich gegen ihn gehandelt, als Ihr, Nachbar Deans.«
»Gott ist der einzige Vater der Vaterlosen,« sagte Deans, indem er an seine Mütze griff und aufwärts blickte. »Gebt dem Ehre, dem sie gebührt, nicht seinem unwürdigen Werkzeuge.«
»Ja, das ist Eure Art die Dinge zu wenden, und sicher wißt Ihr am besten wie es recht ist; aber ich weiß noch recht gut, wie Ihr einen Scheffel Mehl nach Beersheba sandtet, als in der Mühle zu Woodend selbst kein Stein mehr ganz war; ja, und ich weiß noch« –
»Laßt das, gute Frau,« unterbrach sie Deans, »solch ein Aufrechnen dient nur unsern innern Menschen aufzublähen mit seinen eignen eitlen Handlungen.«
»Nun, Nachbar, Ihr wißt es am besten – aber gewiß, Ihr freuet Euch auch, meinen Jungen wieder zu sehn. – Und, – wie das meinen alten Augen so wohl thut, er hat ordentlich eine frische Farbe jetzt, und den Fuß schleppt er auch nicht mehr nach, und er trägt seinen schwarzen Rock so gut wie der Pfarrer, und« –
»Ich freue mich herzlich, ihn gesund wieder zu sehn,« sagte Deans, »und ich wünsche ihm so viel Gutes, als wenn er mein eigner Sohn wäre. Aber ich fürchte, ich fürchte, Nachbarin, Euer Ruben ist noch nicht auf dem Wege der Gnade. Er hat zu viel weltliche Gelehrsamkeit; und bildet sich etwas darauf ein, daß er seine Lehre in einen Flitterstaat schöner Worte zu kleiden versteht. Trübsal jedoch kann ihn vielleicht von diesen Schlacken reinigen,« fügte er hinzu, als er die bekümmerte Miene der alten Judith bei diesem Ausspruch sah, »und er dann einst zu Eurer Freude ein helles Licht der Kirche werden.«
Und in der That war Butler nicht ganz frei von der Schwäche, sein Wissen zur Schau zu tragen, wo es nicht hingehörte; eine Folge seiner beschränkten Erziehung.
Nicht so streng als ihr Vater beurtheilte Jeanie Butler's freigebige Mittheilung seiner Kenntnisse, ja sie bewunderte sie vielmehr; vielleicht eben so wie Frauen Männer von Muth bewundern, weil ihnen selbst diese Eigenschaft abgeht. Die Verbindung ihrer Familien führte die beiden jungen Leute sehr oft zusammen; ihr früheres Verhältniß ward erneuert, doch auf eine Weise, die ihrem gegenwärtigen Alter ziemte; und sie sagten es sich endlich im Stillen einander zu, ein näheres Band zu knüpfen, sobald Butler ein sicheres, wenn auch mäßiges Einkommen habe. Dies war jedoch nicht so bald zu erlangen. Plan auf Plan wurde gemacht, und Plan auf Plan mißglückte. Jeanie's freundliche Wange verlor den ersten Hauch jugendlicher Frische; über Ruben's Stirn zog sich der Ernst des Mannes, und immer noch schien die Aussicht auf eine Versorgung so entfernt wie jemals. Zum Glück für die Liebenden waren ihre Gefühle nicht leidenschaftlich glühend oder schwärmerisch, und das Bewußtsein ihrer Pflicht ließ sie diese Verzögerung mit ruhiger Standhaftigkeit tragen.
Unterdessen führte die Zeit in ihrem Umlaufe, wie immer, große Veränderungen herbei. Stephan Butler's Wittwe ward zu ihren Vätern versammelt; und auch Rebecca, David Deans sorgliche Genossin, von ihren mannigfachen häuslichen Entwürfen abgerufen. Am Morgen nach ihrem Tode ging Butler, seinem alten Freunde und Wohlthäter einigen Trost zu bieten. Bei dieser Gelegenheit war er Zeuge des sonderbaren Kampfs zwischen der Gewalt natürlicher Zuneigung und der Festigkeit, mit welcher der Leidtragende jedem irdischen Ereigniß begegnen zu müssen glaubte.
Bei seiner Ankunft zu Woodend wies ihn Jeanie mit überfließenden Augen nach dem kleinen Küchengarten. »Dort,« flüsterte sie mit gebrochener Stimme, »ist mein armer Vater seit dem Unglück.« Ein wenig erschreckt hiedurch begab sich Butler nach dem Garten, und ging langsamen Schrittes auf seinen alten Freund zu, der, in einer kleinen Laube sitzend, in den tiefsten Schmerz versunken schien. Er erhob seine Augen mit einem finstern Ausdruck da Butler nahte, als ob die Störung ihm ärgerlich sei; als dieser aber zögernd schwankte, ob er vorwärts gehen oder sich entfernen sollte, stand Deans auf, und trat ihm mit Selbstbeherrschung und Würde entgegen.
»Junger Mann, nehmt es nicht zu Herzen, wenn die Gerechten hinweggenommen werden, denn sie entgehen den Uebeln dieser Welt. Weh über mich, vergösse ich eine Thräne um das Weib meines Busens, wenn ich Ströme weinen sollte um das Leid unsrer gebeugten Kirche.«
»Es ist mir tröstlich,« sagte Butler, »daß die Sorge für das allgemeine Wohl Euch Eure eigne Betrübniß vergessen läßt.«
»Vergessen, Ruben?« sagte der arme Deans, indem er sich die Augen wischte, »vergessen wird sie nimmer, so lange ich noch hienieden wandle; allein Er, der die Wunde schlägt, kann auch den Balsam senden. Und so gibt seine Gnade mir die Kraft, diesen schweren Verlust männlich zu tragen.«
Ungeachtet dieser erzwungenen Festigkeit aber, fühlte Deans den Tod seiner Gefährtin so tief, daß Woodend ihm verhaßt wurde, und er einen andern Aufenthalt zu wählen beschloß. Zu diesem Ende pachtete er bei St. Leonard's Felsen, zwischen Edinburg und dem Berge Arthurs-Sitz, ein einsames Häuschen mit weitläuftigen Wiesengründen, in der Absicht, dort die Kuhfütterung zu seinem Hauptgeschäft zu machen. Hierhin begab er sich mit seinen Kindern, und Jeanie's thätige Betriebsamkeit fand in diesem neuen, weitern Felde einen angemessenen Spielraum.
Sie hatte nun weniger Gelegenheit Butler zu sehen, der, nach mancher getäuschten Erwartung, endlich die untergeordnete Stelle des Gehülfen in einer etwas entfernteren Dorfschule hatte annehmen müssen. Hier zeichnete er sich aus, und wurde mit verschiedenen angesehenen Bürgern bekannt, die ihre Kinder aus einem oder dem andern Grunde in diesem Dörfchen erziehen ließen.
Butler's Aussichten schienen hiedurch günstiger zu werden, und bei jedem Besuch zu St. Leonard's nahm er eine Gelegenheit wahr, Jeanie etwas von seinen Hoffnungen zuzuflüstern. Doch waren diese Besuche selten, seltner sogar als die Pflichten seines Geschäfts es ihm gestatteten; denn obgleich Deans ihn immer gütig aufnahm, glaubte Ruben doch, er lese ihm seine Absicht auf dem Gesicht, und fürchtete, eine zu frühzeitige Erklärung könnte ihm ein bestimmtes Nein zuziehen. Es schien ihm deßhalb gerathen, nur so oft, und nicht öfter zu St. Leonard's einzusprechen, als eine alte Bekanntschaft und Nachbarschaft ihn berechtigte. Ein anderer Besuchender stellte sich indessen häufiger ein.
Als David Deans dem Lord von Stummendeich seinen Vorsatz, Woodend zu verlassen, mittheilte, stierte der Lord ihn an und sagte nichts. Er kam fortwährend zur gewohnten Stunde, ohne der Sache mit einem Wort zu erwähnen. Nur am Tage vor dem Abzug, als man bereits mit dem Hausgeräth zu räumen anfing, und den großen Heuwagen zu dessen Aufladung schon aus der Scheuer hervorgezogen, stierte der Lord wieder gar sehr, und man hörte den Ausruf von ihm: »Ei, ei, Leutchen!«
Sogar nachdem der Tag der Abreise vorüber war, fand sich der Lord von Stummendeich gegen Abend wie gewöhnlich vor der Hausthür zu Woodend ein, und schien so erstaunt, sie verschlossen zu finden, als ob ihm dies ganz unerwartet käme. »Du lieber Gott!« waren seine Worte bei dieser Gelegenheit, und man wußte, daß dieser Ausruf bei ihm von einer ungewöhnlichen Gemüthsregung zeuge. Bon diesem Augenblick an war Stummendeich ganz verändert, und die bisherige Regelmäßigkeit seiner Bewegungen gestört, wie die einer zerbrochenen Uhr. Dem ungleich gehenden Zeiger einer solchen ähnlich, wirbelte Stummendeich innerhalb der Gränzen seines kleinen Gebiets, wie auf einem Zifferblatt, mit ungewohnter Schnelligkeit umher. Keine Hütte, in die er nicht eintrat, kein Mädchen, das er nicht anstierte. Doch obgleich man bessere Pächterwohnungen dort fand als Woodend, und gewiß hübschere Mädchen als Jeanie Deans, wollte doch die Lücke in des Lords Zeit sich nicht so angenehm ausfüllen als sonst. Ihm gefiel kein Sitz so gut als die Fensterbank zu Woodend, und er mochte kein Gesicht so gern anstarren als das der Jeanie Deans. Nachdem er nun abermals und abermals in seinem kleinen Kreise umhergewirbelt, und dann eine Zeitlang im Stillstand geblieben, fiel es ihm ein, daß er eigentlich sich nicht fest auf einer Angel zu drehen habe, wie der Zeiger der Uhr, sondern die Fähigkeit besitze, seine Kreisbahn zu verändern und zu erweitern. Dieses Vorrecht geltend zu machen, kaufte er von einem hochländischen Viehtreiber einen Klepper, und stolperte mit dessen Beistand bis nach St. Leonard's hin.
Jeanie Deans, obgleich des Lords Anstarren so gewohnt, daß sie kaum mehr wußte, ob er da war oder nicht, hatte doch zuweilen gefürchtet, er könnte sein Sprachorgan einmal zu Hülfe rufen, um das, was seine Augen zu verstehen gaben, deutlicher zu machen. In diesem Falle, dachte sie, sei es um ihre Verbindung mit Butler geschehen. Des Lords tägliche Besuche waren ihr daher lästig, und als sie den Ort, wo sie ihre bisherige Lebenszeit zugebracht, verlassen mußte, diente es ihr zu nicht geringem Trost, daß sie doch nun Stummendeich, nebst seinem Tressenhut und seiner Tabackspfeife, zum letztenmal gesehn. Das arme Mädchen erwartete so wenig, daß er den Entschluß fassen könnte, ihr nachzukommen, als daß die zurückgelassenen Apfelbäume und Kohlstauden des Gartens zu Woodend eine solche Reise unternehmen würden. Mit dem größten Erstaunen sah sie daher, nachdem sie ungefähr eine Woche zu St. Leonard's gewesen, Stummendeich mit Tressenhut und Tabackspfeife ganz auf alte Weise ankommen, und mit der nämlichen Begrüßung: »Wie geht's, Jeanie? – Wo ist Vater Deans?« sich im Häuschen zu St. Leonard's beinahe eben so hinpflanzen, wie er es so lange und so regelmäßig zu Woodend gethan. Er saß aber kaum, als er mit einer ungewöhnlichen Redseligkeit hinzu setzte: »Jeanie, Jeanie, sage ich, Mädchen,« hier streckte er seine Hand mit gespreizten Fingern nach ihrer Schulter aus; doch auf so linkische Weise, daß sie wie eine Greifenklaue im Wappen in der Luft schweben blieb, als Jeanie sich vor seiner Berührung zurückzog. »Jeanie,« fuhr er in diesem Augenblick der Begeisterung fort, »Jeanie, sage ich, es ist ein schöner Tag draußen, und die Wege sind gut genug, wenn man Stiefel an hat.«
»Der Teufel ist in den schläfrigen Burschen gefahren!« murmelte Jeanie in sich hinein, »wer hätte denken sollen, der würde sich so weit herauswagen?« Und sie legte absichtlich etwas von dieser ungünstigen Gesinnung in ihren Ton und ihr Betragen gegen ihn, denn da der Vater entfernt war, und der Junker wunderbar schlau und lebendig blickte, so fürchtete sie, es könnte etwa gar zu einer Erklärung kommen.
Ihr Stirnrunzeln wirkte nach ihrer Absicht als ein niederschlagendes Mittel. Der Lord sank von diesem Tag an in seine alten schläfrigen Gewohnheiten zurück. Er besuchte Deans' Häuschen drei- oder vier mal die Woche, wenn es das Wetter erlaubte, dem Anscheine nach in keiner andern Absicht, als Jeanie Deans anzustarren, während David Deans sich in seiner gewohnten Beredsamkeit über die religiösen Streitigkeiten des Tages ausließ.