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Elftes Kapitel.

Sir Piercie Shafton ritt in so flottem Tempo, wie es die Straße erlaubte, bis er das Tal von Glendearg überwunden und das breite Tal des Tweed gewonnen hatte. Bald erschien am jenseitigen Ufer das hohe graue Kloster zu Unsrer lieben Frau, dessen Türme und Zinnen die Strahlen der aufgehenden Sonne eben trafen. Er setzte seinen Ritt am nördlichen Ufer hinab fort, bis sie dem Wehr ungefähr gegenüber waren, wo Pater Philipp seine ungewöhnliche Wasserfahrt beendigt hatte. Ohne eigentlich zu wissen, wohin er seinen Ritt lenken sollte, war Sir Piercie bis hierher gekommen. Der Anblick des Klosters erinnerte ihn aber an die Gefahr seiner Lage und an die Notwendigkeit, einen festen Plan für seine Rettung zu fassen. Zudem nahm er jetzt auch wahr, daß seine Begleiterin bitterlich weinte und seufzte und das Haupt auf seine Schulter stützte.

»Schöne Molinara, was fehlt Dir?« fragte er. »Kann Piercie Shafton seine Dankbarkeit auf irgend eine Weise bezeigen?«

Mysie zeigte über den Strom, getraute sich aber nicht, den Blick dorthin zu richten.

»Sprich deutlich, edelste aller Jungfrauen, was Du mit Deinem Wink meinst?« sagte der Ritter.

»Dort drüben liegt meines Vaters Haus,« sagte Mysie schluchzend.

»Und ich führte Dich so weit hinweg von dieser Stätte Deiner Wiege?« rief Sir Piercie in dem Wahne, die Quelle ihres Kummers gefunden zu haben. »So steige denn ab, holde Mysinda,« denn so beliebte es ihm, sie umzutaufen, »oder wär es Dir lieber, wenn ich Dich heim zu Deinem kornmahlenden Vater brächte? Sprich ein Wort, Du Süße, und ich trotze gern allen Gefahren, die mir durch Mönch oder Müller drohen.«

Tief errötend schlug Mysie die Augen zu Boden, während Sir Piercie im Tone verlegener Artigkeit fortfuhr: »Weine doch nicht so, Du liebe Molinara, wir werden uns ja wiedersehen, wenigstens hoffe ich es fest und zuversichtlich.«

»Ach,« sagte Mysie, von deren Wangen jetzt das Scharlachrot wich, um langsam fahler Blässe Platz zu machen, »ich hab jetzt keine Heimat mehr.«

»Was? keine Heimat mehr?« rief Shafton. »Spricht meine Molinara das im Ernst, da doch drüben ihres Vaters Haus und Mühle steht?«

»Ach,« versetzte die Müllerstochter, »mein Vater ist doch der Abtei untertan. Ich aber habe den Abt beleidigt, und komme ich jetzt nach Hause, so bringt mich der Vater doch sicher um.«

»Ich schwöre Dir, meine teure Mysinda, er soll Dir nichts zu leid tun,« rief Sir Piercie. »Vergiß nicht, daß Dir ein Mann zu Dank verpflichtet bleibt, der das leiseste Unrecht zu rächen gewillt ist, das jemand Dir zufügen wollte!«

Hiermit sprang er vom Pferde, ergriff die Hand des Mädchens, blickte in ihre großen, schwarzen Augen, die an den seinigen mit einem Ausdruck hingen, den man auch unter dem Schleier mädchenhafter Verschämtheit nicht mißverstehen konnte, blickte auf die Wangen, die ein Hoffnungsstrahl wieder mit ihrer natürlichen Färbung zu beleben anfing, und auf ein Paar Lippen, die sich, Rosenknospen gleich, halb erschlossen und eine Reihe perlengleicher Zähne zeigten. Das war alles nicht ungefährlich anzuschauen, und so war es schließlich kein Wunder, daß der für solche Dinge überempfängliche Sir Piercie Shafton schließlich seine Frage, ob er seine Mysinda nach dem Vaterhaus zurückbringen solle, dahin änderte, ob etwa Mysinda willens sein sollte, mit ihm zu gehen. ... »Wenigstens so lange,« setzte er hinzu, »bis es mir möglich geworden, Mysinda, Euch an einen sichern Ort zu schaffen?« ... Darauf erteilte Mysinda keine Antwort, gab aber, errötend vor Scham und Freude, dadurch, daß sie ihr Bündel fester anzog, zu verstehen, daß sie dem Ritter aus dem Süden zu folgen bereit sei.

Sir Piercie Shafton machte nun die kostbare Kette mit dem Medaillon, deren bereits Erwähnung getan worden ist, von seinem Halse los und hing sie der schönen Mysinda um, ohne daß er sich an die Weigerung des Mädchens, sie zu nehmen kehrte, aber er mußte doch zuletzt dulden, daß sie die Kette wieder abnahm und in ihrem Bündel verbarg, mit dem ausdrücklichen Bemerken, sie nur so lange dort behalten zu wollen, bis Sir Piercie sich in Sicherheit befände; »denn die Mädchen in meiner Heimat,« sagte sie, »lassen sich von vornehmen Leuten nun einmal keine Geschenke machen, und um des heutigen Morgens eingedenk zu bleiben, bedarf es für mich keines Andenkens.«

Darauf setzten sie ihren Ritt fort. Mysie übernahm jetzt, gestützt auf die Ortskenntnis, die Führung, und Sir Piercie fand nun Muße, allerhand Anekdoten »vom Hofe Felicianas« zum besten zu geben, denen seine Begleiterin, obgleich sie kaum einen Begriff davon hatte, doch ein recht aufmerksames Ohr lieh.

So verging der Morgen, und am Mittag gelangten sie an einen andern Strom, an dessen Ufer sich ein altes Schloß, von Bäumen eingeschlossen, erhob. Unfern davon dehnte sich ein Dorf mit einer Kirche in der Mitte. »Dort sind zwei Wirtshäuser,« erklärte Mysie, »aber ich meine, für unsere Zwecke dürfte das geringere den Vorzug verdienen. Uebrigens ist mir dessen Wirt bekannt, denn er hat von meinem Vater Malz gekauft.«

Diese Mitteilung war nicht besonders glücklich für die Absicht, die Mysie verfolgte, denn ihr Begleiter, der infolge der muntern Unterhaltung, die sie zusammen unterwegs geführt hatten, allmählich dazu gelangt war, den zwischen ihm und seiner Begleiterin bestehenden Rangunterschied zu vergessen, wurde sich dessen hierdurch jäh wieder bewußt. Aber er ließ es sich nicht recht merken, am wenigsten hätte er ein Wort darüber fallen lassen mögen, denn für eine Müllerstochter war es ja doch nur natürlich, daß sie Bekanntschaft mit Leuten hatte, die mit ihrem Vater Geschäfte gemacht hatten; immerhin wäre es ihm unangenehm gewesen, und wer weiß, ob er seine Dankbarkeit bis zu solcher Selbstverleugnung ausgedehnt hätte, mit einer Müllerstochter hinter sich auf seinem Rosse durch das Dorf zu traben. Aber Mysie ersparte ihm jeden solchen Unglimpf, indem sie schon ein Stück vor dem Wirtshaus vom Pferde sprang und dem Wirt, der mit gaffendem Munde auf seine Schwelle trat, um einen so stattlichen Gast, wie den englischen Ritter, würdig zu begrüßen, flink ein geschickt ersonnenes Märchen aufband von einer Sendung des Klosters an den Hof von Schottland, und daß sie es auf den Wunsch ihres Vaters übernommen habe, den Ritter bis auf die rechte Straße zu führen, daß ihr aber unterwegs der Klepper müde geworden sei, und daß sie ihn deshalb im andern Dorfe auf der Waldseite gelassen habe. Ner Wirt möge vor allen Dingen nur für ein Abendbrot, wie es sich für einen solchen vornehmen Gast schicke, Sorge tragen, und wenn es in der Küche fehlen sollte, so sei sie gern bereit, auszuhelfen und so weiter, kurz, sie stopfte dem Wirt mit ihrer gewandten Zunge die Ohren so voll, daß er froh war, ihr zu entrinnen. Sir Piercie war schier außer sich vor Verwunderung über die Gewandtheit des Mädchens, sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, und setzte sich mit unsagbarer Erleichterung an das von ihr schneeweiß und mit allerhand Leckerbissen geschmackvoll gedeckte Tischchen in der obern Gaststube, der sogenannten »Herrenstube«; und die flinke, dienstbereite Art, wie sie die Speisen auftrug und vorlegte, und das Glas mit edlem Bordeaux füllte, der freundliche Blick, mit dem sie ihn aufforderte, recht tüchtig zuzulangen, da sie noch eine gar tüchtige Strecke vor sich hätten, konnte unmöglich verfehlen, den für Frauenschönheit und Anmut empfänglichen Sir Piercie für seine schöne Molinara noch höher zu begeistern. Aber sich mit an das Tischchen setzen und an dem Mahle teilzunehmen, dazu wollte sich Mysie, aller freundlichen Einladung des Ritters zum Trotz, nicht verstehen, sie verschwand vielmehr alsbald aus der Gaststube und überließ den Schönredner seinen stillen Betrachtungen darüber, wie dies Verschwinden zu erklären sei und ob er richtiger täte, sich darüber zu ärgern oder zu freuen. Er sollte darüber nicht lange im Zweifel sein, denn die Tür ging auf, und der Wirt trat ein mit der Meldung, das Pferd stehe für Seine Gnaden wieder bereit. Auf seine Frage, wo denn das Frauenzimmer, »ich meine das Mädchen«, stecke, fragte der Wirt:

»Die Mysie Happer? wie? Na, heimgegangen!«

»So, heim?« murmelte Sir Piercie, ein paarmal hastig durch das Zimmer schreitend, »heim? na, mag sie! wär sie länger geblieben, hätte sie mir doch nur Schererei gemacht und sich selbst Unehre! Wie konnte ich mir die Sache bloß so umständlich denken, sie los zu werden! Sicher lacht sie jetzt über mich bei irgend einem Bäuerlein und wird sich über meine Kette freuen als Aussteuerstück! Aber Mercie, Piercie Shafton! wie kannst Du Deiner Retterin die Gabe mißgönnen, die sie doch so sauer sich, verdient hat? ... Doch was lohnt alles weitre Grübeln? Herr Wirt, macht mir die Rechnung, und laßt mein Pferd vorführen!«

»Was die Rechnung anbetrifft,« erwiderte der Wirt stockend, »na, so hat sie das Mädel schon bezahlt; aber wenn Euer Gnaden noch etwas zutun wollen, so dürft ichs wohl nehmen, denn die Mysie, die handelt und ist genauer als ihr Vater ...«

»Was? die Rechnung schon beglichen?« Der Ritter schüttelte den Kopf, warf aber dem Wirt einen Rosenobel hin, der die Rechnung für damalige Zeit jedenfalls über das Doppelte glich, trat vor das Gasthaus hinaus, stieg zu Pferde und schlug den Weg in nördlicher Richtung ein, der ihm als der kürzeste nach Edinburg angegeben wurde.

»Hm, ihr Verschwinden hat schließlich noch einen ganz andern Grund gehabt. Was meinst Du, Piercie?« sprach er bei sich und strich sich wohlgefällig die Seite; »beten wir: Führe uns nicht in Versuchung! und freuen wir uns, daß wir uns nicht weiter erst eingelassen haben, so empfindlich mir wohl bald ihr Verlust werden dürfte,« setzte er hinzu, denn vor ihm dehnte sich, so weit er blickte, Moorgegend, die mit Gestrüpp eingefaßt und von zahllosen kleinen Hügeln bedeckt war; »solche Ariadne, mich durch die Schlupfwinkel dieses Gebirgslabyrinthes zu leiten, wäre freilich im Grunde nicht grade übel.«

Da erklang hinter ihm Pferdegetrappel, und als er sich umdrehte, sah er auf einem Nebenpfade hinter dem Dickicht hervor einen schmucken Burschen, kaum über Jungengrüße, auf einem Pony gesprengt kommen. Als derselbe die offne Straße gewonnen hatte, ritt er zu dem Ritter heran, den sein Aeußeres, die saubre Pagentracht und die kecke Miene bestachen, so daß er ihm die Frage stellte, wohin er wolle und von wo er käme. Der Page gab mit abgewandtem Gesicht die Antwort, daß er unterwegs nach Edinburg sei, sich in einem vornehmen Hause einen Dienst zu suchen.

»Bist wohl Deinem letzten Herrn entlaufen, daß Du Dir nicht getraust, mir ins Gesicht zu sehen?« fragte Sir Piercie.

»Wahrlich nicht,« erwiderte der Page beschämt, indem er sich herumdrehte und sein Gesicht auf einen Augenblick zeigte. Nur einen Blick hatte Sir Piercie auf das Gesicht geworfen, aber er hatte hingereicht, ihm zu offenbaren, daß sich in der Pagentracht niemand anders verbarg, als seine holde Molinara. Das gab ein gar fröhliches Wiedersehen, und Sir Piercie hatte über dem glücklichen Bewußtsein, seine schöne Ariadne wieder zu haben, rasch alte Bedenken vergessen, mit denen er sich noch eben das Herz beschwert hatte.

»Aber woher so schnell die Tracht? woher das Pony?« fragte dann Sir Piercie.

Die Tracht, erklärte ihm die schmucke Müllerstochter, habe sie geliehen von einem mit ihrem Vater befreundeten Krämer im Dorfe, es seien die Sonntagssachen seines Sohnes, der mit seinem Lehnsherrn ins Feld habe ziehen müssen, und den Klepper habe sie geliehen vom Gastwirt, bei dem sie eben eingekehrt seien. Der möge ihn von der Rechnung streichen, die er beim Vater noch zu begleichen habe.

»Aber da leidet doch der Vater Einbuße?« sagte Sir Piercie.

»Was müßt Ihr jetzt von meinem Vater reden?« erwiderte verdrießlich das Mädchen, setzte aber gleich hinzu, im Tone tiefen Schmerzes:

»Was der Vater heut sonst verloren, dürfte ihm wohl den Verlust aller übrigen Habe leicht machen.«

Daraufhin meinte der Ritter, daß ihn Ehre und Gewissen verpflichteten, dem Mädchen Vorhaltungen zu machen, welchen Gefahren sie sich aussetze, und daß die Schicklichkeit ihre Rückkehr ins Vaterhaus verlange. Das Mädchen hörte seinen wie immer blumenreichen Darlegungen aufmerksam zu, senkte das Haupt, wie jemand, der tiefen Gedanken nachhängt, blickte dann ihren Begleiter gefaßt an und antwortete dann mit Festigkeit, daß, wenn er ihrer Gesellschaft müde sei, er es nur sagen solle, dann werde ihm die Müllerstochter nicht weiter lästig fallen; gleichwie er den Weg jetzt nach Edinburg allein finden könne, würde auch sie wissen, wohin sie sich zu wenden habe, und was er ihr in ihrer persönlichen Sache zu erwähnen für notwendig meine, habe sie sich alles schon reiflich überlegt. »Bloß eins will ich noch beifügen,« schloß sie, »Ihr seid hier nicht in Eurem englischen Lande, wo, wie es heißt, gegen hoch und niedrig die gleichen Maße gelten für Recht und Unrecht, sondern in einem Lande, wo die Stärke des Armes entscheidet, wo ein gutes Maß Schlauheit die beste Verteidigungswehr ist. Die Gefahren, denen Ihr hier ausgesetzt seid, kurz gesagt, kenne ich besser als Ihr.«

Ein Seitenblick auf seinen Pagen zeigte dem Ritter, mit welchem Geschick derselbe sein Pferd zu führen wußte, ein andrer Blick, auf die kräftig entwickelten Muskeln, daß er auch in Kämpfen und Spielen geübt sein müsse, wenigstens doch seinen Mann zu stellen vermöchte, und so gelangte er, alles in allem erwogen, zu dem Schlusse, daß er mit seiner Begleiterin doch besser zurechtkommen werde als ohne sie.

Das Paar ritt nun weiter, wie am Morgen, den ganzen Tag. Noch als es zu dämmern anfing, war die schöne Molinara von der Seite des Ritters verschwunden, und er sah sie erst am andern Morgen wieder, als die Pferde geschirrt vor dem Wirtshause standen, wo er die Nacht über geweilt hatte.

»Ein seltsames Geschöpf!« sprach er bei sich, »bei meiner Ehre, ebenso sittsam wie klug und gebildet. Keine Frage! es wäre gemein, ihr Schimpf und Schande anzutun!«


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