Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Funfzehntes Kapitel.


Jetzo schmaucht der Brand am Heerd,
Und das Käuzlein kreischt und jammert,
Daß der Krank' es ahnend hört,
Und sich fest ans Kissen klammert,
Jetzo gähnt Gewölb' und Grab,
Und entschlüpft den kalten Mauern,
Sieht man Geister auf und ab,
Sieht am Kirchhofszaun sie lauern.

Ein Sommernachtstraum.

Vor dem Thore des Palastes waren die Wachen verdoppelt. Everard fragte deshalb den Corporal, den er in der Halle mit seinen Soldaten fand, die Alle um ein großes, mit ausgeschnitzten Stühlen und Bänken, mit denen das Zimmer versehen war, unterhaltenes Feuer saßen oder schliefen.

»Ei freilich,« antwortete derselbe, »das Wacht-Corps wird, wie Ew. Gnaden sagen, durch den Dienst zu Tode geplagt, demohngeachtet hat die Furcht sich so unter uns erhoben, daß Niemand die Wache allein beziehen will. Wir haben jedoch einen oder zwei Außenposten aus Banbury und noch einem andern Orte hereingezogen, und bekommen Morgen Verstärkung aus Oxford.«

Everard setzte die genauen Forschungen hinsichtlich der Schildwachen fort, die sowohl im Innern, als außerhalb des Schlosses aufgestellt waren, und fand, daß da Alles unter Harrisons eignen Augen geschehen war, man die Regeln einer klugen Disciplin bei Vertheilung der Posten genau beobachtet hatte. Es blieb daher dem Obersten Everard nichts zu thun übrig, als, indem er an sein eignes Abentheuer dachte, zu empfehlen, daß noch eine Schildwache, und wenn man es für nöthig hielt, auch wohl zwei in der Halle oder dem Vorzimmer aufgestellt würde, von wo aus die lange Gallerie, in der ihm das Abentheuer begegnet war, und andere Reihen von Zimmern ausgingen. Der Corporal versprach ehrerbietig Gehorsam gegen seine Befehle. Die Bedienten, welche herbeigerufen wurden, erschienen ebenfalls in doppelter Anzahl. Everard verlangte zu wissen, ob die Commissarien zu Bett wären, oder ob er sie sprechen könnte.

»Sie sind allerdings in ihrem Schlafzimmer,« erwiederte einer der Leute, »aber ich glaube noch nicht ausgekleidet.«

»Was?« sagte Everard, »sind Oberst Desborough und Herr Bletson beide in demselben Schlafzimmer?«

»Ihre Gnaden wollten es so,« sagte derselbe, »und die Sekretäre ihrer Gnaden bleiben die ganze Nacht munter.«

»Es ist in dem Hause Mode geworden, die Wache zu verdoppeln,« sagte Wildrake. »Käme mir ein hübsches Hausmädchen vor Augen, so wollte ich mich wohl in die Weise schicken.«

»Still, Narr!« sagte Everard. – »Und wo sind der Bürgermeister und Herr Holdenough?«

»Der Bürgermeister ist zu Pferde hinter dem Reiter, der die Verstärkung aus Oxford holt, nach dem Flecken zurückgekehrt, und der Mann aus dem Glockenhause hat sich in dem Zimmer einquartiert, welches Oberst Desborough die vorige Nacht inne hatte, als demjenigen, in dem er am wahrscheinlichsten dem – Ew. Gnaden verstehen schon, begegnen wird. Der Herr erbarme sich unser, wir sind eine geplagte Familie.«

»Und wo sind denn General Harrisons Schlingel,« sagte Tomkins, »daß sie ihn nicht in sein Zimmer bringen?«

»Hier – hier – hier, Herr Tomkins,« sagten drei Bursche, die sich vorwärts drängten mit einem eben so bestürzten Gesicht, als alle Bewohner von Woodstock zu haben schienen.

»Fort also mit Euch,« sagte Tomkins – »sprecht nicht mit Sr. Gnaden – Ihr seht, er ist nicht bei Laune.«

»In der That,« bemerkte Oberst Everard, »er sieht ungewöhnlich bleich aus – seine Züge scheinen wie von einem Schlagfluß verzerrt, und so schnell er auch sprach, als wir hergingen, so hat er doch, seitdem wir ins Haus getreten sind, noch nicht den Mund aufgethan.«

»Es ist seine Weise so nach solchen Heimsuchungen,« sagte Tomkins. – »Gebt Sr. Gnaden den Arm, Zedekia und Jonathan, um ihn fortzuführen, ich will gleich nachkommen – Ihr, Nikodemus, bleibt bei mir – es ist nicht gut, allein zu gehen in diesem Hause.«

»Herr Tomkins,« sagte Everard, »ich habe von Ihnen oft, als von einem scharfsinnigen, klugen Manne reden hören – sagen Sie mir ehrlich, fürchten Sie wirklich, daß etwas Uebernatürliches dies Haus heimsucht?«

»Ich möchte mich nicht gern der Gefahr aussetzen, Herr,« sagte Tomkins sehr ernst; »wenn man meinen würdigen Herrn ansieht, so kann man daraus schließen, wie die Lebenden aussehen, wenn sie mit den Todten gesprochen haben.« Er verneigte sich tief, und empfahl sich. Everard ging in das Zimmer, welches die zwei übrigen Commissarien zu gegenseitiger Sicherheit mit einander bewohnten. Sie zogen sich eben aus, als er in ihr Zimmer trat. Beide fuhren zusammen, so wie die Thür aufging – beide freueten sich, als sie sahen, daß Niemand als Everard hereintrat.

»Höre,« sagte Bletson, und zog ihn bei Seite, »hast Du je einen solchen Esel gesehen, wie Desborough? – Der Kerl ist so groß und breit, wie ein Ochse, »und dabei so furchtsam, wie ein Schaf. Er bestand darauf, daß ich hier schlafen sollte, um ihn zu beschützen. Wollen wir uns eine lustige Nacht machen, he? das können wir, wenn Du das dritte Bette einnimmst, das für Harrison bereitet war; der ist aber, wie ein Mondkalb, hinausgegangen, um sich in dem Woodstocker Park nach dem Thal von Armageddon umzusehen.«

»General Harrison ist eben jetzt mit mir zurückgekommen,« sagte Everard.

»Nun aber, so wahr ich lebe, in unser Zimmer darf er nicht,« rief Desborough, der seine Antwort gehört hatte. »Kein Mensch, der, so viel ich weiß, mit dem Teufel zur Nacht gegessen hat, kann ein Recht haben unter Christenmenschen zu schlafen.«

»Das ist auch gar nicht seine Absicht,« sagte Everard, »er schläft, wie ich höre, in einem besondern Zimmer und allein.«

»Nicht ganz allein, das wollt ich wohl behaupten,« sagte Desborough; »denn Harrison hat eine Art von Anziehungskraft für Kobolde – sie fliegen um ihn her, wie die Motten um ein Licht; aber ich bitte Dich, guter Everard, bleibe Du bei uns. Ich weiß nicht, wie es zugeht, aber ob Du gleich Deine Religion nicht immer im Munde führst, noch viele hochtrabende Worte darüber machst, wie Harrison – noch lange Predigten hältst, wie ein gewisser hochgeehrter Verwandter von mir, den ich nicht nennen mag, so ist mirs doch, als fühlte ich mich in Deiner Gesellschaft sicherer, als mit irgend einem von ihnen. Was diesen Bletson betrifft, so ist er ein solcher Lästerer, daß ich fürchte, der Teufel wird ihn holen, ehe der Tag graut.«

»Haben Sie je eine so armselige Memme gesehen?« sagte Bletson bei Seite zu Everard. »Bleiben Sie jedoch, mein verehrter Oberst – ich kenne Ihren Eifer, den Bedrängten beizustehn, und Sie sehen, Desborough ist in einem solchen Falle, daß er mehr als eines guten Beispiels in seiner Nähe bedarf, um ihn zu verhindern, an Geister und höllische Feinde zu denken.»

»Es thut mir sehr leid, daß ich Ihnen nicht dienen kann, meine Herrn,« sagte Everard; »aber ich habe mich schon darauf eingerichtet, die Nacht in Victor Lee's Zimmer zuzubringen, also wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, und wenn Sie ungestört ruhen wollen, so möchte ich Ihnen rathen, sich während der Nacht dem zu empfehlen, vor dem Nacht und Mittag gleich sind. Es war meine Absicht, noch heute Abend mit Ihnen über den Zweck meines Hierseyns zu sprechen; aber ich will das bis morgen aufschieben, wo ich dann im Stande zu seyn glaube, Ihnen sehr triftige Gründe anzugeben, um Woodstock zu verlassen.«

»Wir haben schon solcher Gründe genug,« sagte Desborough; »denn erstens kam ich hierher, um dem Staate zu dienen, wobei ich unstreitig einigen geringen Vortheil für meine Mühe davon getragen hätte; wenn ich aber wieder auf den Kopf gestülpt werde, wie die vorige Nacht, so bleibe ich nicht länger, und könnte ich auch eine Königskrone damit erwerben; denn ich weiß gewiß, mein Nacken würde die Last nicht tragen können.«

»Gute Nacht!« rief Everard, und wollte eben gehen, als Bletson sich dicht an ihn drängte und ihm zuflüsterte: »Höre, Oberst – Du kennst meine Freundschaft für Dich – ich bitte Dich flehentlich, laß die Thür Deines Zimmers offen, damit, wenn Dir eine Störung begegnet, ich Dich rufen höre und gleich bei Dir seyn kann. Thue es, theurer Everard, meine Besorgniß für Dich hält mich sonst wach; denn ich weiß, daß, ohngeachtet Deines trefflichen Verstandes, Du einige abergläubische Begriffe hegst, die wir mit der Muttermilch einsaugen, und die den Grund unserer Furcht in einer Lage, wie die gegenwärtige, ausmachen. Laß daher Deine Thür offen, wenn Du mich liebst, damit Du im Fall der Noth schnellen Beistand von mir erhalten kannst.«

»Mein Herr,« sagte Wildrake, »traut erstens der Bibel, und dann seinem guten Schwerte. Er hat keinen Begriff davon, daß der Teufel dadurch zu bannen ist, wenn zwei Menschen in Einem Zimmer liegen, noch weniger, daß das Daseyn des bösen Feindes durch die Freigeister der Rota wegdisputirt werden kann.«

Everard ergriff während dieser Rede seinen Freund beim Kragen, und schleppte ihn immer sprechend fort, bis sie beide in Victor Lee's Zimmer waren, wo sie schon bei einer frühern Gelegenheit geschlafen hatten. Selbst da hielt er noch Wildraken fest, bis der Bediente die Lichter hingestellt hatte und aus dem Zimmer entlassen war, dann ließ er ihn los, und sagte im Tone des Vorwurfs: »Bist Du nicht ein kluger und verständiger Mensch, der in Zeiten, wie diese, jede Gelegenheit sucht, einen Zank zu erheben, oder sich in einen Streit zu verwickeln? Pfui über Dich!«

»Ja, pfui! in der That,« sagte der Cavalier, »daß ich so ein armseliges zahmes Geschöpf bin, und mich so von einem Manne, der weder an Geburt noch an Erziehung höher steht als ich, hin und her werfen lasse. Ich sage Dir, Mark, Du machst keinen redlichen Gebrauch von dem, was Du vor mir voraus hast. Warum läßt Du mich nicht gehen, und auf meine eigne Weise leben und sterben?«

»Weil, ehe wir eine Woche getrennt wären, ich hören würde, daß Du gestorben wärest, nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Hund. Sage mir nur, Freund, was es für eine Tollheit war, über Harrison herzufallen, und sich dann wieder in einen nutzlosen Streit mit Bletson einzulassen?«

»Je nun, wir sind, glaube ich, in des Teufels Haus, und ich mag gern, wohin ich auch reise, dem Hauswirth sein Recht geben. Ihm Harrison oder Bletson geschickt zu haben, so zum Anbiß um seinen Appetit zu stillen, bis Crom« –

»Still, auch die steinernen Mauern haben Ohren,« sagte Everard, sich umsehend. »Hier steht Dein Nachttrunk. Sieh nach Deinen Waffen; denn wir müssen so behutsam seyn, als ob der Bluträcher hinter uns her wäre. Dort steht Dein Bett – und ich, wie Du siehst, habe eins in diesem Zimmer. Nur die Thür ist zwischen uns.«

»Die will ich offen lassen, im Fall Du nach Hülfe schreien solltest, wie jener Freigeist meint – aber wie hast Du das Alles so gut in Ordnung gebracht, guter Patron?«

»Ich gab dem Sekretär Tomkins Nachricht von meinem Vorhaben, hier zu schlafen.«

»Das ist ein seltsamer Bursch,« sagte Wildrake, »der muß, glaube ich, das Maaß von jedes Menschen Fuß haben – Alles scheint durch seine Hände zu gehen.«

»Er ist, wie ich glaube,« erwiederte Everard, »einer von den Menschen, die die Zeit gebildet – er hat eine allzeit fertige Gabe zu predigen und die Schrift auszulegen, welches ihn bei den Independenten in hoher Achtung erhält, und er empfiehlt sich auch den gemäßigtern Leuten durch seine Klugheit und Thätigkeit.«

»Ist seine Aufrichtigkeit je bezweifelt worden?« fragte Wildrake.

»Nie, so viel ich gehört,« sagte der Oberst, »im Gegentheil, er ist vertraulicher Weise der ehrliche Joseph und der getreue Tomkins genannt worden. Ich für mein Theil glaube, seine Aufrichtigkeit hat immer mit seinem Vortheil gleichen Schritt gehalten. – Doch trinke nur aus und gehe zu Bette. – Was! schon Alles in einem Zuge geleert?«

»Sapperment, ja – mein Gelübde verbietet mir ja mehr als einen Zug, aber fürchte nur nichts – dieser Nachttrunk wärmt mir nur das Gehirn, Beschwerden wird er mir nicht machen. Gieb mir nur Nachricht, wenn Du gestört wirst, es mag nun von einem Menschen oder von einem Teufel seyn, und verlaß Dich drauf, daß ich in einem Nu bei Dir bin.« Hiermit begab sich der Cavalier in sein Schlafgemach; Oberst Everard aber legte nur das Lästigere seines Anzugs ab, und warf sich fast völlig angekleidet auf das Bett.

Eine langsame und feierliche Musik erweckte ihn aus dem Schlafe, und verlor sich, wie in der Ferne. Er fuhr auf und griff nach seinen Waffen, die er dicht bei sich fand. Sein in der Eile aufgeschlagenes Bett hatte keine Vorhänge, er konnte sich also ungehindert umsehen; da aber von dem Feuer im Kamin nichts mehr übrig war, als ein paar glühende Kohlen, ohngeachtet er vor dem Schlafengehn wieder Holz zugelegt hatte, so war es ihm unmöglich, etwas zu unterscheiden. Er fühlte daher, trotz seines natürlichen Muthes, jenes unerklärbare durchdringende Beben, welches das Gefühl einer nahen Gefahr, und die Ungewißheit über die Ursache und den Charakter derselben begleitet. So sehr er sich auch gegen den Glauben an übernatürliche Ereignisse sträubte, so war er doch, wie wir schon gesagt haben, nicht ganz ungläubig, wie denn vielleicht selbst in diesem skeptischeren Zeitalter. Viele weniger vollkommen und durchaus ungläubig in diesem Punkte sind, als sich dafür ausgeben. Ungewiß, ob er nicht von diesen Tönen geträumt hätte, die noch in seinen Ohren zu erklingen schienen, wollte er sich nicht gern dem Spott seines Freundes aussetzen, indem er ihn zu Hülfe rief. Er setzte sich daher im Bette aufrecht, nicht ohne jenes Prickeln der Nerven zu empfinden – dem sowohl der brave Mann als die Memme unterworfen ist, nur mit dem Unterschied, daß der Eine darunter zusammenknickt, wie die Rebe unter dem Hagelwetter, der Andere seine Kraft zusammennimmt, um es abzuschütteln, wie die Ceder vom Libanon ihre Zweige erheben soll, um den Schnee abzustreifen, der sich darauf anhäuft, Harrisons Geschichte kam, ihm zum Trotz, und ohngeachtet eines geheimen Verdachts, daß eine List darhinter stecke, in dieser stillen und einsamen Stunde ihm wieder in den Sinn. Harrison hatte, wie er sich erinnerte, die Erscheinung mit einem Umstande beschrieben, der eine andere Vorstellung bei dem Träumer voraussetzte, als seine eigenen Worte hatten hervorrufen können. – Das immer auf die Seite gedrückte blutige Tuch war also ein Umstand, der entweder seinem körperlichen Auge, oder seiner aufgeregten Phantasie damals gegenwärtig seyn mußte. Suchten denn also die Gemordeten die Wohnungen der Lebenden wieder auf, die sie mit allen ihren ungebüßten Sünden von der Weltbühne hinweggedrängt hatten? Und wenn sie dies thun, könnte da nicht dieselbe Erlaubniß, auch andere Heimsuchungen ähnlicher Art zur Warnung – zur Belehrung, zur Strafe gestatten? Unbesonnen und leichtgläubig, so war sein Schluß, sind diejenigen, die jede Erzählung der Art als Wahrheit annehmen, aber nicht minder unbesonnen möchte es seyn, der Macht des Schöpfers, über die Werke, die er geschaffen hat, Schranken zu setzen, und anzunehmen, daß mit Zulassung des Urhebers der Natur die Gesetze derselben in besonderen Fällen, und um hoher Zwecke willen, nicht auf eine Weile unterbrochen werden könnten.

Während diese Gedanken Everarden durch den Sinn gingen, gewannen Empfindungen, die ihm selbst da unbekannt waren, als er zuerst im rauhen gefahrvollen Schlachtgewühl stand, immermehr Raum in ihm. Er fürchtete, er wußte nicht was, und wo eine offenbare deutliche Gefahr nur seinen Muth erweckt hätte, vermehrte die völlige Ungewißheit seiner Lage nur seine Empfindungen einer drohenden Gefahr. Er fühlte ein fast unwiderstehliches Verlangen, aus dem Bette zu springen und frisches Brennholz auf die noch glühende Asche zu legen, indem er fast erwartete, bei dem Feuer einen seltsamen Anblick im Zimmer wahrzunehmen. Er gerieth auch stark in Versuchung, Wildraken zu wecken; aber die Scham, die noch stärker war, als die Furcht, unterdrückte dies Verlangen. Was! sollte Jemand denken können, daß Markham Everard, der für einen der besten Krieger galt, welche ein Schwert in diesem traurigen Kampfe gezogen – Markham Everard, der in so jungen Jahren einen so ausgezeichneten Rang in der Armee des Parlaments erhalten, sich fürchte, allein um Mitternacht in einem dämmerigen Zimmer zu bleiben? – Das sollte Niemand von ihm sagen.

Dies war jedoch kein Zauber, um damit den unfreundlichen Lauf seiner Gedanken zu hemmen. Die verschiedenen Sagen von Victor Lee's Zimmer, die er so oft als unbestimmte, unverbürgte und widersprechende Gerüchte verachtet, die früherer Aberglaube erzeugt, und geschwätzige Leichtgläubigkeit von Geschlecht zu Geschlecht überliefert, hatten doch etwas an sich, das nicht geeignet war, seine so unangenehm aufgeregten Nerven zur Ruhe zu bringen. Als er endlich der Ereignisse des nämlichen Nachmittags gedachte, der ihm auf die Kehle gedrückten Waffe, und des starken Arms, der ihn rückwärts auf den Fußboden hinwarf – so vermochte diese Erinnerung, indeß sie den Begriff vorbeischwebender Trugbilder und unkörperlicher Dolche widersprach, ihn ganz gewiß zu dem Glauben, daß in irgend einem Theile dieses geräumigen Gebäudes eine Parthei Cavaliers oder Uebelgesinnter verborgen sey, die sich in der Nacht erheben, die Wache überrumpeln, und an allen, aber an Harrison insbesondere, als einem der Königsmörder, jene Rache üben könnten, nach welcher die treuen Anhänger des hingeschlachteten Monarchen so eifrig dürsteten.

Hierüber suchte er sich mit der Menge und Stellung der Wachen zu trösten, doch war er noch immer unzufrieden mit sich selbst, daß er nicht noch sorgfältigere Vorsicht gebraucht, und ein erpreßtes Versprechen des Schweigens gehalten, das so viele seiner Parthei der Gefahr des Ermordens Preis geben könne. Diese Gedanken, verbunden mit seiner Pflicht als Soldat, erweckten eine andere Folge von Betrachtungen. Er bedachte, daß alles, was er jetzt thun könne, sey, die Schildwachen zu visitiren und sich zu überzeugen, daß sie wach, munter auf ihrem Posten und so gestellt wären, daß sie zur Zeit der Noth bereit seyn könnten, einander zu unterstützen. –

»Dies schickt sich besser für mich,« dachte er, »als hier wie ein Kind zu liegen, und mich mit Alten-Weibermährchen abzuängstigen, über die ich als Knabe lachte. Wenn nun auch der alte Victor Lee ein tempelräuberischer Mann war, wie die gemeine Sage geht, und in dem Taufsteine, den er aus dem alten Palaste von Holyrood mitnahm, Bier brauete, indeß die Kirche und das Gebäude in Flammen aufloderten, wenn gleich sein ältester Sohn als Kind in demselben Gefäß zu Tode gebrüht wurde, wie viele Kirchen sind seit seiner Zeit eingeäschert, wie viele Taufsteine entweiht worden! So viele in der That, daß wenn die Rache des Himmels solche Uebertretungen auf eine übernatürliche Weise bestrafen wollte, kein Winkel in England, ja auch nicht die kleinste Pfarrkirche wäre, die nicht ihre Erscheinungen hätte. – Dies sind alles eitele Grillen, die nicht werth sind, gehegt zu werden, besonders von denen, die zu dem Glauben erzogen wurden, daß die Heiligkeit in der Absicht und der Handlung liegt, nicht in Gebäuden oder Taufsteinen, oder in der Form des Gottesdienstes.«

Während er so die Artikel seines calvinistischen Glaubens zusammenrief, schlug die große Thurmuhr (denn die schweigt selten bei dergleichen Erzählungen) drei, und gleich darauf folgte der heisere Ruf der Schildwachen durch Gewölbe und Gallerie, oben und unten, die einander anriefen, und wie gewöhnlich antworteten: »Alles ruhig!« Ihre Stimmen vermischten sich mit dem tiefen Summen der Glocke, doch hörten sie auf, ehe diese schwieg, und als sie ganz verschollen waren, vernahm man immer noch, obwohl kaum hörbar, das klingelnde Echo der gedehnten Glockenschläge. Noch ehe der letzte ferne Nachklang sich ganz in der Stille der Nacht verloren hatte, schien es, als würde er von neuem wieder erweckt, und anfangs konnte Everard kaum unterscheiden, ob ein neues Echo den verschwindenden Klang aufgefaßt habe, oder ob irgend ein anderer besonderer Ton das Schweigen, in welches die tiefen Glockentöne, nachdem sie aufgehört, die alte Wohnung und die Wälder umher versenkt hatten, wieder von neuem störe.

Aber der Zweifel war bald aufgehellt. Die musikalischen Töne, die sich mit dem hinschwindenden Echo der Glocke vermischt hatten, schienen sich Anfangs auszudehnen, nachher sie zu überleben. Eine wilde Melodie, die sich aus der Ferne erhob und immer lauter wurde, je näher sie kam, schien aus einem Zimmer in das Andere, aus dem Cabinet in die Gallerie, aus der Halle in das Schlafgemach durch die öden und entehrten Trümmer der alten Wohnung so mancher Fürsten zu ziehen; aber trotz ihres Annäherns schlug kein Soldat Lärm, noch wagte es einer der zahlreichen Gäste verschiedenen Standes, welche eine unfreundliche und furchtbare Nacht in diesem alten Gebäude zubrachten, einander die unerklärliche Ursache ihrer Besorgniß mitzutheilen.

Everards aufgeregter Gemüthszustand erlaubte ihm nicht, sich so leidend zu verhalten. Die Töne kamen so nah, daß es schien, als verrichteten sie in dem zunächst anstoßenden Zimmer ein feierliches Todtenamt, worauf er Lärm machte, indem er seinen treuen Begleiter und Freund Wildrake, der in dem nächsten Zimmer schlief, nur durch eine Thür von ihm getrennt, und diese noch dazu offen stehend, laut zurief:

»Wildrake! – Wildrake! – auf! –– auf! – Hörst Du nicht den Lärm?«

Kein Wildrake antwortete, obwohl die Musik, die nun im Zimmer klang, als ob die Spielenden wirklich darin gewesen wären, allein hätte hinreichend seyn können, einen Schlafenden zu wecken, auch ohne das Schreien seines Cameraden und Patrons.

»Aufruhr! – Roger Wildrake! – Aufruhr!« rief abermals Everard, indem er aus dem Bette stieg und nach seinen Waffen griff – »schaffe ein Licht und rufe Lärm.«

Keine Antwort erfolgte. Mit seiner Stimme schienen auch die musikalischen Töne dahin zu schwinden, und dieselbe sanfte Stimme, die seiner Meinung nach noch immer der von Alexia Lee glich, ließ sich in seinem Zimmer, und wie es ihm dünkte, gar nicht weit von ihm vernehmen.

»Dein Gefährte wird nicht antworten,« sagte die leise sanfte Stimme. »Nur die hören den Tumult, deren Gewissen den Aufruf fühlt.«

»Schon wieder diese Mummerei!« sagte Everard. »Jetzt bin ich besser bewaffnet, als ich es vorhin war; und ohne den Ton jener Stimme hätte der Sprecher seine Spielerei theuer bezahlen sollen.«

Sonderbarer Weise, das müssen wir hier im Vorübergehen bemerken, verschwand bei Everard jeder Begriff von einem übernatürlichen Einfluß, und der Zauber, der ihn früher gefesselt hatte, schien gebrochen, in dem Augenblicke, wo er deutliche Töne einer Menschenstimme vernahm. So sehr hängt der Einfluß einer eingebildeten oder abergläubischen Furcht (wenigstens in Hinsicht auf verständige Leute) von dem ab, was allgemein oder zweideutig ist, und so schnell bringen bestimmte Töne und ausgesprochene Ideen ein richtiges Urtheil zurück in den Strom des gewöhnlichen Lebens. Die Stimme erwiederte, gleich als antworte sie gewissermaßen auf seine Gedanken sowohl, als auf seine Worte.

»Wir lachen über die Waffen, die, wie Du meinst, uns schrecken sollen. – Ueber die Schutzgeister von Woodstock haben sie keine Gewalt. Feure, wenn Du willst, und versuche die Wirkung Deiner Waffen. Aber wisse, es ist nicht unsere Absicht, Dir ein Leid zuzufügen – Du bist von Falken Art und von edeln Anlagen, obwohl Du ungezähmt und übel unterrichtet mit Geiern und Krähen zusammenhausest. Erhebe morgen Deinen Flug von hinnen; denn wenn Du länger bei den Fledermäusen, Eulen, Geiern und Raben weilst, welche hier zu nisten gedachten, so wirst Du unfehlbar ihr Schicksal theilen. Hinweg denn, daß diese Hallen gefegt und geschmückt werden mögen zum Empfange derer, die ein besseres Recht haben, sie zu bewohnen.«

Everard antwortete mit lauter Stimme: – »Noch einmal warne ich Euch, glaubt nicht, mich umsonst herauszufordern. Ich bin kein Kind, um mit Gespenstermährchen erschreckt zu werden, und so bewaffnet, wie ich bin, auch keine Memme, die durch Drohungen von Räubern zu beunruhigen wäre. Wenn ich einen Augenblick nachsichtig gegen Euch bin, so ist es, um theurer und irregeleiteter Freunde willen, die in diese gefährliche Gaukelei verflochten seyn können. Wißt, ich kann eine Schaar Soldaten rund um das Schloß sammeln, welche die innersten Winkel desselben nach den Urhebern dieses verwegnen Scherzes durchsuchen werden, und gelänge diese Nachsuchung auch nicht, so kostet es nur ein Paar Fässer Schießpulver, um das Gebäude zu einem Haufen Ruinen zu machen, und die Urheber eines so übelangebrachten Zeitvertreibs darunter zu begraben.«

»Ihr sprecht sehr stolz, Herr Oberster,« sagte eine andere Stimme, die jener rauheren und stärkeren glich, welche ihn in der Gallerie angeredet hatte. »Versucht Euren Muth in dieser Richtung.«

»Ihr solltet mich nicht zweimal herausfordern,« sagte Oberst Everard, »hätte ich nur einen Schimmer Licht, um zielen zu können.«

Wie er das sagte, ergoß sich auf einmal ein Lichtstrahl durch das Zimmer, mit einem Glanz, der ihn fast blendete, und zeigte ihm deutlich eine Gestalt, die einigermaßen Viktor Lee glich, wie er in seinem Bilde dargestellt war, an der einen Hand eine ganz verschleierte Dame, in der Andern seinen Commandostab haltend. Beide Gestalten waren belebt, und standen, wie es schien, sechs Fuß von ihm.

»Wäre die Frau nicht,« sagte Everard, »so wollte ich mich nicht auf eine so arge Weise herausfordern lassen.«

»Schone nicht um der weiblichen Gestalt willen, sondern thue, was Du vermagst,« erwiederte dieselbe Stimme. »Ich biete Dir Trotz.«

»Wiederhole Deine Ausforderung; wenn ich drei gezählt habe, so sollst Du den Lohn Deiner Unverschämtheit erhalten. Eins – mein Pistol ist gespannt – zwei – mein Ziel habe ich noch nie verfehlt – bei Allem, was heilig ist, ich feure los, wenn Ihr nicht geht. Sobald ich die nächste Zahl ausspreche, schieß ich Euch todt, da wo Ihr steht. Doch möcht ich ungern Blut vergießen – ich gebe Dir noch Raum zur Flucht – eins – zwei – drei

Everard zielte nach der Brust und feuerte los. Die Gestalt erhob ihren Arm zu einer höhnenden Bewegung, und ein lautes Gelächter entstand, indeß das schwächer werdende Licht über der Erscheinung des alten Ritters hin und her tanzend flimmerte, und dann verschwand. Everards Blut erstarrte. – »Wäre der aus menschlichem Stoffe gewesen, so mußte die Kugel ihn durchbohren – mit übernatürlichen Wesen zu kämpfen aber, habe ich weder den Willen noch die Macht.«

Das ihn drückende Gefühl war jetzt so heftig, daß es ihn fast einer Ohnmacht nahe brachte, Er tappte jedoch zum Kamin hin, und warf auf die noch immer glühende Asche eine Hand voll trocknes Holz. Es flackerte sogleich auf, und gewährte ihm Licht genug, um das Zimmer nach allen Richtungen hin zu besehen. Er blickte vorsichtig, fast schüchtern umher, wie wenn er erwartete, ein furchtbares Phantom sichtbar werden zu sehen. Aber er sahe nichts, als den alten Hausrath, das Lesepult und andere Dinge, die man in demselben Zustande, als bei Sir Heinrich Lee's Abreise, gelassen hatte. Er fühlte ein unbezwingbares Verlangen, das jedoch mit vielem Widerstreben gemischt war, das Bild des alten Ritters zu betrachten, dem die gesehene Gestalt so sehr glich. Er schwankte zwischen entgegengesetzten Gefühlen, ergriff aber endlich mit verzweifelter Entschlossenheit die Kerze, die er ausgelöscht hatte, und zündete sie wieder an, ehe das flackernde Feuer ganz hinschwand. Dies hielt er hinauf zu dem alten Bilde Victor Lee's, und sahe dasselbe mit eifriger Neugierde, nicht ohne eine Mischung von Furcht an. Fast kehrte das kindische Grauen seines frühern Lebens zurück, und es war ihm, als folge das strenge, blasse Auge des alten Kriegers dem seinen, und drohe ihm mit seiner Ungnade. Ob er sich nun gleich einen so abgeschmackten Glauben schnell ausredete, so sprachen sich doch die gemischten Empfindungen seines Gemüths in Worten aus, die halb an das alte Bild gerichtet schienen.

»Geist des Ahnherrn meiner Mutter,« sagte er, »diese alten Hallen mögen nun zum Wohle oder Wehe, von arglistigen Menschen oder von übernatürlichen Wesen beunruhigt werden, so bin ich entschlossen, sie morgen zu verlassen.«

»Es freut mich von Herzen, das zu vernehmen,« sagte eine Stimme hinter ihm.

Er drehete sich um, sahe eine lange weiße Gestalt mit einer Art von Turban auf dem Kopf, und packte sie sogleich, indem ihm das Licht dabei aus der Hand fiel.

»Dich wenigstens kann ich greifen,« sagte er.

»Greifen?« antwortete der, den er so fest gepackt hatte. – »Zum Teufel, mich dünkt, das könntest Du wissen, ohne mich zu erdrosseln; und wenn Du mich nicht losläßt, will ich Dir zeigen, daß zwei Leute sich mit einander herumbalgen können.«

»Roger Wildrake!« sagte Everard, ließ den Cavalier los, und trat zurück.

»Roger Wildrake? Nun freilich. Hieltst Du mich für Roger Bacon, der gekommen wäre, Dir den Teufel citiren zu helfen – es riecht wenigstens hier ganz verdammt nach Schwefel.«

»Das ist von dem Pistol, das ich abfeuerte. – Hörtest Du es nicht?«

»Ja freilich, es war ja das Erste, was mich weckte; – denn in der Nachtmütze, die ich da aufsetzte, habe ich geschlafen, wie ein Ratz – Y – ah! ist mir doch der Kopf noch ganz schwindlich.«

»Warum kamst Du denn nicht gleich? – Nie in meinem Leben braucht' ich mehr Hülfe.«

»Ich kam, so schnell ich nur konnte,« antwortete Wildrake; »aber es dauerte eine Weile, ehe ich mich besinnen konnte; denn ich träumte von dem verwünschten Schlachtfelde von Naseby – und dann war auch meine Thür zu, und wollte gar nicht aufgehen, bis ich endlich den Schlosser mit dem Fuße spielte, und sie aufsprengte.«

»Wie? sie war ja offen, als ich zu Bette ging,« sagte Everard

»Sie war aber doch zu, als ich aus dem Bette kam,« sagte Wildrake, »und mich wundert's, daß Du es nicht hörtest, als ich sie aufsprengte.«

»Ich war zu sehr mit etwas Anderem beschäftigt,« sagte Everard.

»Nun wohl,« sagte Wildrake, »aber was hat es denn gegeben? – Hier stehe ich kerzengerade und bereit zum Kampf, wenn diese gähnende Anwandlung es mir gestatten wird. – Der stärkste Trank, den ich je getrunken, verhält sich zu dem, welchen ich gestern Abend trank, wie ein Gerstenkorn gegen einen Scheffel voll Gerste – ich muß die wahre Quintessenz des Malzes getrunken haben – Y – ah!«

»Auch wohl etwas Opium darin, so scheint mirs?« sagte Everard.

»Sehr leicht möglich – sehr leicht möglich; – etwas Geringeres, als der Pistolenschuß, hätte mich nicht geweckt; mich, der ich nach einem gewöhnlichen Becher zum Nachttrunk so leise schlafe, wie ein Mädchen am ersten Mai, wenn sie auf den frühen Morgenstrahl wartet, um Thau zu sammeln. Aber was gedenkst Du zunächst zu thun?«

»Nichts,« antwortete Everard.

»Nichts?« fragte Wildrake erstaunt.

»Ich sage dieß,« antwortete Oberst Everard, »weniger zu Dir, als um Anderer willen, die mich vielleicht hören, daß ich noch diesen Morgen das Jagdschloß verlassen, und wo möglich auch die Commissarien entfernen will.«

»Horch,« sagte Wildrake, »hörst Du nicht ein Geräusch, wie der ferne Ton des Beifalls in einem Theater? Die Kobolde des Orts freuen sich über Deine Entfernung.«

»Ich will,« sagte Everard, »meinem Oheim Sir Heinrich Lee und seiner Familie Woodstock überlassen, wenn sie dahin zurückkehren wollen; nicht etwa, als schüchterten die Ränke, die bei dieser Gelegenheit hier gespielt wurden, mich so sehr ein, um dieß zu bewilligen, sondern bloß, weil das schon vom Anfang an mein Vorsatz war. Aber wer auch in diese Verschwörung verwickelt seyn mag,« fügte er mit lauterer Stimme hinzu, »möge sich warnen lassen, daß, obwohl sie bei einem Narren, wie Desborough, einem Träumer, wie Harrison, einer Memme, wie Bletson gelangen« –

Hier sprach eine Stimme ganz deutlich in ihrer Nähe – »oder einem weisen, mäßigen und entschlossenem Manne, wie Oberst Everard.«

»Beim Himmel, die Stimme kam von dem Bilde her,« rief Wildrake, sein Schwert ziehend, »ich will ihm die Stahlrüstung durchbohren.«

»Keine Gewalt,« sagte Everard, der bei der Unterbrechung zusammenfuhr, aber mit fester Stimme wieder anhub – »mögen die darin Verwickelten bedenken, daß, wenn auch diese Ränke für den Augenblick gelingen, doch, sobald die Sache genauer untersucht wird, Bestrafung Aller darauf erfolgen muß – die völlige Zertrümmerung von Woodstock und der unwiederbringliche Fall der Familie Lee. Alle, die damit zu thun haben, mögen dieß bedenken, und in Zeiten davon abstehen.«

Er hielt inne, und erwartete fast eine Antwort, aber es erfolgte keine.

»'s ist doch wunderlich,« sagte Wildrake, »aber – Y – ah, mein Gehirn kann es noch nicht fassen; es wirbelt mir darin herum, wie eine geröstete Brodschnitte in einer Bowle Muskateller; ich muß mich hinsetzen – Y – ah – und es mit Muße besprechen. – Großen Dank, Du guter Armsessel.«

Mit diesen Worten warf er sich, oder sank vielmehr nach und nach in einen großen Lehnsessel, den der gewichtige Sir Heinrich Lee oft eingenommen hatte, und war einen Augenblick darauf fest eingeschlafen. Everard war weit entfernt, dieselbe Neigung zum Schlafe zu fühlen, doch war er frei von der Besorgniß irgend einer weitern Heimsuchung in dieser Nacht; denn er hielt dafür, daß sein Versprechen, Woodstock zu räumen, denen, welche das Eindringen der Commissarien zu so seltsamen Maßregeln zu ihrer Vertreibung gebracht, aller Wahrscheinlichkeit nach bekannt geworden und von ihnen genehmigt worden wäre. Seine Meinung, die sich eine Zeitlang zu dem Glauben an etwas Uebernatürliches hingeneigt hatte, war jetzt zu der vernünftigeren Erklärungsweise zurückgekehrt, der nämlich, daß diese Unruhen eine Folge geschickter Combinationen wäre, zu denen ein Gebäude, wie Woodstock, sich so leicht eignete.

Er legte wieder Holz ans Feuer, zündete das Licht an, und den Zustand des armen Wildrake untersuchend, machte er es ihm so bequem in seinem Stuhle, als er nur konnte; denn der Cavalier rührte kein Glied. Daß bestätigte seinen Patron sehr in der Meinung, daß Ränke und eine Verschwörung darhinter stecke, denn Geister brauchen Niemandem einen Schlaftrunk zu geben. Er warf sich aufs Bett, und meinte, diese seltsamen Dinge wären nun vorüber, als eine sanfte und langsame Melodie wieder durch das Zimmer zog, und die Worte: »Gute Nacht – gute Nacht – gute Nacht« dreimal wiederholt wurden, und zwar immer leiser und ferner. Dieß überzeugte ihn, daß die Kobolde und er Waffenstillstand, wo nicht gar Friede geschlossen hätten, und daß er diese Nacht keine weiteren Störungen zu erwarten habe. Er hatte kaum den Muth, eine »gute Nacht« zu rufen; denn trotz aller seiner Ueberzeugung, daß die Sache eine Comödie sey, war sie doch sowohl ausgeführt, daß sie ein Gefühl von Furcht erweckte, gerade wie bei Aufführung einer tragischen Scene, von der die Zuschauer wissen, daß sie nicht wahr ist, und die doch ihre Leidenschaften durch ihre große Natürlichkeit aufregt. Endlich übermannte ihn der Schlaf, und verließ ihn nicht eher, als bis am hellen Tage des folgenden Morgens.


 << zurück weiter >>