Heinrich Seidel
Kinkerlitzchen
Heinrich Seidel

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Das Halstuch.

Irgend jemand, ich glaube es war Gutzkow, hat einmal das Halstuch die »seidene Blüthe der männlichen Eleganz« genannt und damit schon darauf hingezielt, dass dieser geringe Theil der männlichen Kleidung den einzigen Ort darstellt, an dem fröhliche und schimmernde Farben noch ein bescheidenes und geduldetes Dasein führen. Freilich, es giebt Fanatiker der Respektabilität, die auch hier nur ein ernstes Schwarz oder ein feierliches Weiss oder allenfalls höchstens das indifferente Grau für angemessen erachten, und alle farbigen Bestrebungen an diesem Ort als untergeordnete Kundgebungen eines missleiteten Geschmackes mitleidig belächeln. Aber wie selbst das nüchterne und nützliche Kornfeld eingefasst wird von einem blumigen Feldrain, wo die farbigen Schmetterlinge spielen und die goldglänzenden Käfer blitzen, so hat sich auch die Menschheit den einzigen Ort nicht nehmen lassen, wo sie der heiteren Farbe ein bescheidenes Asyl gönnen darf und wo man dem letzten Funken längst entschwundener Pracht einsam zu glimmen gestattet. Denn unsere Vorfahren dachten anders über diese Frage, und deshalb richtet sich das farbenhungrige Auge des Malers so gerne in jene entlegenen Zeiten, wo die Menschheit den schönsten Schmuck der Kleidung, die Farbe, noch nicht verschmähte. Aber das neunzehnte Jahrhundert hat Alles hinweggelöscht. Die Zeit ist nicht so fern da man noch bunte Westen trug, und zwischen den Flügeln des Rockes ein schimmerndes Blau, ein heiteres Roth sich anmuthig hervorthat; allein auch dies ist heute entschwunden, und so jemand in der Jetztzeit zu einer farbigen Sammetweste sich hinreissen lässt, fällt er dem spöttischen Lächeln der Gesammtheit anheim und ernste Männer schütteln den Kopf über derlei windige Hasenfüssigkeit.

So bleibt denn Alles auf das Halstuch beschränkt, aber man darf wohl sagen, dass sich in dieser Beschränktheit ausser dem Farbenreichthum auch eine so grosse Fülle von Formen hervorgethan hat, je nach dem Charakter und der Liebhaberei des Trägers, dass dadurch dieser Gegenstand im höchsten Grade betrachtenswürdig geworden ist. Es giebt zwei Grenzformen die nach keiner Seite hin überschritten werden können und innerhalb derer alle übrigen sich befinden. Die eine wird bezeichnet durch den minimalen Knoten, bei dem das Halstuch zu einer Andeutung zusammengeschrumpft und gewissermassen zu einem rudimentären Organ geworden ist, die andere findet sich in der hypertrophischen Entwicklung des Halstuches zu dem sogenannten »Hemdenschoner«, der sich gefrässig über den ganzen Westenausschnitt hinweggebreitet hat. Nun ist der letztere Ausdruck allerdings nicht besonders glücklich gewählt, indem es weniger auf eine Schonung des Hemdes als vielmehr auf seine Verdeckung anzukommen scheint. Es soll Leute geben, die am Sonntag mit dem obengenannten Knoten anfangend, die Woche hindurch ihre Halstücher allmählich anwachsen lassen, bis sie am Freitag endlich der Alles verdeckenden Eigenschaft des »Hemdenschoners« sich erfreuen. Ja, es geht die Sage, dass Andere durch konsequente Anwendung dieses nützlichen Kleidungsstückes ihre Ausgaben für Wäsche auf ein Minimum reduzirt und dadurch eine nicht unwesentliche Vermehrung ihrer zeitlichen Güter erzielt haben.

Darf man diese beiden eben genannten Formen als die äussersten Konsequenzen des geknoteten Halstuches auffassen, so bietet eine zweite Gattung, deren Grundform die Schleife bildet, nicht mindere Grössenunterschiede dar, die sich von einem fadendünnen Dingelchen bis zu einem mächtigen Industrieprodukt erstrecken, das an beiden Seiten des Halses gleich riesigen Handgriffen hervorragt, so dass man auf den Gedanken kommt, der Kopf sei zum Abschrauben eingerichtet.

Nach Feststellung dieser Grundformen und nach diesem Hinweis auf den Spielraum, der innerhalb dieser persönlichen Neigung des Einzelnen gelassen wird, möchte es nicht uninteressant erscheinen, zu untersuchen, inwiefern es möglich ist, aus Art und Farbe des gewählten Halstuches Rückschlüsse zu machen auf den Charakter und die Eigenschaften seines Trägers. Als die schönste und zugleich die einfachste Form muss man jene ansprechen, bei der ein weiches Tuch in einen geschickten Knoten gebunden, seine beiden Enden frei und gefällig herabhängen lässt. Diese Verananstaltung findet sich am häufigsten bei Künstlern und Kunstgenossen, aber auch bei denen, die es scheinen möchten und deshalb ihre Stärke in den äusseren Merkmalen suchen. Man darf nur an jene Maljünglinge erinnern, die ihre ganze Kraft in ihr wallendes Simsonsgelock konzentrirt zu haben scheinen, die mit Riesenhüten die Welt beschatten, geniale Halstücher und talentvolle Sammetröcke tragen und damit ihre künstlerische Leistungsfähigkeit erschöpft haben.

Eine zweite Form, der vorhergehenden in gewisser Weise ähnlich und doch wieder grundverschieden von ihr, repräsentirt das konservative Halstuch, das seinen Träger als einen Anhänger der guten alten Zeit und einen Verehrer der Sitte der Väter kennzeichnet. Es ist auch in einen Knoten gebunden, allein seine Enden sind kurz und hängen nicht herab, sondern werden seitwärts untergesteckt. In seiner weissen Spielart kennzeichnet es den evangelischen Pfarrer auf das deutlichste.

Auch farbige Extravaganzen sind zu verzeichnen und tragen zur Erheiterung der menschlichen Gesellschaft bei. So liebt es der strebsame Materialwaarenhandlungslehrling, in seinen spärlichen Freistunden maigrüne Handschuhe auf seine rothen Frosthände zu ziehen und an seinem Halse mit Himmelblau oder feurigem Morgenroth oder sonstigen vergnügten Naturfarben einen fröhlichen Schein von sich zu geben.

Es erscheint auch nicht überflüssig, einen Blick zu werfen auf die weisse oder schwarze Uniformschleife, die für festliche Gelegenheiten zur strengen Vorschrift geworden ist. Und da fallen uns zugleich zwei andere Auswüchse des Ungeschmacks in die Augen, vor denen die Muse stets und immer trauernd ihr Haupt verhüllt hat. Wann, o wann wird die Zeit kommen, die den abscheulichen Gabelschwanz, der jede festliche Männergesellschaft in eine Sammlung von mehr oder weniger eleganten Kellnern verwandelt, von der Erde vertilgt, wann wird der köstliche Augenblick da sein, wo man dem letzten Frackbesitzer den letzten Zilinderhut jauchzend antreibt?

Diese Zeit ist wohl noch fern, allein wir dürfen doch hoffen, dass wir einmal aus dem traurigen, eintönigen Schwarz herauskommen und einst in späteren, glücklichen Jahren die Kleidung der Männer in Form und Farbe nicht allein dem Princip der Nützlichkeit, sondern auch den Gesetzen der Schönheit Rechnung trägt. Und darum wollen wir den Rest von heiterer Farbe, der noch im Halstuche einsam zurückgeblieben ist, nicht als die letzte Aster betrachten, die den Winter ankündigt, sondern als das erste Veilchen, das den Frühling und den farbenreichen Sommer im Gefolge hat.


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