Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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X.

Die Spielkarten.

                Vom Dome zu Augsburg dröhnt so bang
Der Armensünderglocke Klang,
Zum Richtplatz wogt die Menge fort,
Schon wartet der rote Freimann dort.

Er wartet dort auf ein junges Blut,
Um das schier selber es leid ihm tut;
Ein junger Mörder fällt ihm anheim,
Der früh schon verkümmert des Lebens Keim.

Noch sitzt er im Turme – da klingt's hinein, –
Er fühlt, nun müss' es verblutet sein;
Das Herz zerbricht ihm, er bittet um Rast,
Sinnt, weint und betet, und wird gefaßt.

Nur noch ein Spiel Karten verlangt er dann,
Sie geben's befremdet dem armen Mann.
Er aber entfaltet's vor ihnen still,
Und spricht: »Ihr begreift wohl nicht, was ich will!

Seht diese Blätter! Wie ich sie hier
Gleichwie zum Scherz aufschlage vor mir,
So spiegeln sie treu mein Leben mir ab
Von meiner Wiege bis an mein Grab.

Hier Sieben! – Ich zählte sieben Jahr,
Als ich den Eltern schon bleichte das Haar;
Ich war ein wüster, trotziger Bub',
Der jedem gern eine Grube grub.

Hier Acht! – Acht Jahre zählt' ich nur,
Da ward ich ertappt auf Diebesspur.
Hier Neun! – Neun Jahre zählt' ich kaum,
Und nur mit Räubern raubt' ich im Traum.

Hier Zehn! – O zehntes Lebensjahr,
Du strahlst allein mir hell und klar
In meines Daseins Nacht hinein: –
O könnt' ich im zehnten Jahre noch sein!

Da sprengte beflissener Lehrer Hand
Des kalten Busens eisiges Band,
Auftaute mein Herz, ich erwuchs vom neu'n,
Ich lernte beten, ich lernte bereun!

Hier – Bube! – Ja – ja – die Buben, – nur sie
Zerstörten mir wieder die Harmonie,
Die Buben, die Freunde sich fälschlich genannt,
Sie haben das Herz mir wieder gewandt.

Sie rissen zum Spiele mich täuschend hin,
In diesen Blättern verlor sich mein Sinn! –
Da kamen die Damen – die Damen – seht,
Wie trefflich alles zusammengeht!

Die Damen mit ihrem Doppelgesicht,
Halb Höll', halb Himmel, ein Ganzes nur nicht,
Sie gruben künstlich vom Körper aus
Den Geist aus seinen Wurzeln heraus.

Die Eifersucht durchfuhr mir das Hirn
So scharf, wie mein Messer das Herz der Dirn',
Der Dame, die's wahrlich nicht verdient,
Daß nun mein Blut das ihrige sühnt!

Und nun – der König! Nun tret' ich bald
Vor ihn, den König, in seiner Gewalt,
Den ewigen, schrecklichen König der Welt,
Der gnädig die Tropfen der Reue zählt.

Seht hier das Daus, – o lächelt nicht!
Es ist die Karte, die alle sticht;
Das Daus sei meiner Reue Bild,
Sie möge gelten wenn nichts mehr gilt!

Nun werf' ich die Karten wieder zuhauf; –
Nun Schergen, brecht zum Richtplatz auf!
Ein Blatt gilt ewig, es ist die Reu':
Auf, Schergen, auf! Gott steh mir bei!«

Taschenspielerei.

        Die Zeit – ich hab' es selbst erfahren –
Ist eine Taschenspielerin,
Sie schlägt die Volte mit den Jahren,
Und blendet neckend Aug' und Sinn.

Da steht sie, hinterm grünen Tische
Der Erde, mit geübter Hand,
Vor sich ein schimmerndes Gemische
Von Flitterwerk und Zaubertand.

Und Dornen wandelt sie in Rosen,
Wohl öfter noch die Ros' in Dorn,
Und läßt um Nieten emsig losen
Und trübt zu Blut der Freude Born.

Und Kronen bröckelt sie zu Staube,
Und schmelzt den Staub zu Gold im Nu,
Und schickt die kaum gewürgte Taube
Des Friedens neubelebt uns zu.

Die Zeit – ich hab' es selbst erfahren –
Ist eine Taschenspielerin;
Sie nahm mir einmal meinen klaren,
Gesunden, lebensfrohen Sinn;

Und legt' ihn tändelnd untern Becher
Der Lieb' und sprach ein kurzes Wort,
Dann hob sie rasch den Zauberköcher, –
Mein klarer, froher Sinn war – fort.

Was ich dafür zurückerhalten,
War ein verkohlter Diamant;
Ich küßt', erschüttert durch ihr Walten,
Mit Tränen ihre Künstlerhand.


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