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X

Nachmittags wartete Laugier abermals vergeblich auf dem Quai. Zwei Stunden.

Hierauf begab er sich, sehr aufgeregt, ins Hotel Ruhl, wo Fec, einer spontanen Eingebung folgend, ihm völlig außer sich mitteilte, Bichette habe soeben aus Monte Carlo telefoniert, daß Flinsparker sie im Auto entführt habe, sie sei verzweifelt ...

Laugier knirschte. Und er zitterte, als er vernahm, Bichette habe ihn grüßen lassen und die Befürchtung ausgesprochen, Flinsparkers Ziel könne Amerika sein.

»Auf!« schrie Laugier mit bebenden Lippen.

Fec raufte sich die Haare. »Und das gerade jetzt! Aber es ist immer so. Immer. Ah ...«

»Aber was denn nur,« geiferte Laugier.

»Eh ben, ich habe noch zehn Francs. Seit zwei Tagen warte ich auf die Überweisung.«

»Voila.« Laugier warf sein Portefeuille auf den Tisch. »Dreitausend Francs! Etwas mehr noch. Holen Sie Madame! Sofort! Und kommen Sie sogleich zurück! Wenn Sie noch Geld brauchen, telefonieren Sie!«

»Aber ...« Fec zögerte vor Überraschung.

»Ja, was denn noch!« Laugiers heiser gewordene Stimme überschlug sich. »Warum zaudern Sie? Wie können Sie überhaupt noch überlegen? Mensch! Punschoff!«

Fec riß, den Kopf abgewandt, an seinen Fingern: er erachtete es für ratsam, es Laugier schwer zu machen.

»Mon cher baron.« Laugier schob ihm jovial den Arm um die Schultern. »Eine unglückliche vergewaltigte Frau ruft um Hilfe. Ich würde nicht anders handeln, wenn es eine andere wäre. Und ... und sind Sie nicht mein Freund?«

Fec kniff die Augen fest zusammen und schüttelte Laugier kräftig die Hände.

»Ich war heute vormittag dreimal hier.« Laugier nahm, taktvoll ablenkend, seinen Hut vom Stuhl. »Ich wollte Sie warnen. Vor Flinsparker. ›Morgen habe ich die wilde Katze!‹ Das hat er öffentlich geäußert. Auch vor Watt-Wayler wollte ich Sie warnen. Er rast vor Wut. Ich verspreche Ihnen, ihn nicht aus den Augen zu lassen. Ich werde ... Halt, vielleicht wäre es am besten, wenn ich Sie begleite ...«

Fec hob beschwörend die Hände. »Bedenken Sie doch ...«

Laugier, der ebenso wenig wie Fec wußte, was es da zu bedenken gab, war es jedoch sofort zufrieden. »Ah, naturellement ... alors bonne chance, mon cher baron.«

Fec schüttelte ihm nochmals die Hand.

*

Nach fünf Kilometern hieß Fec den Chauffeur kehrtmachen, fuhr ins Hotel zurück und ließ die bis auf Kleinigkeiten bereits gepackten Koffer zum Bahnhof bringen.

Abends war er in Monte Carlo, stieg im Hotel de Paris ab und schrieb (das vereinbarte Zeichen für seine Ankunft) die Nummer seines Zimmers mit roter Kreide in die Ecke der Tür von Flinsparkers Appartement.

Um zehn ein halb erschien Bichette, gänzlich unerwartet, bei Fec, flog an seinen Hals und jauchzte gedämpft: »Fec, Fec, alles klappt! Alles klappt!«

»Welche Unvorsichtigkeit!« Fec hatte Mühe, sie zu beschwichtigen.

»Bah! Das ist eben der Elan!«

»Aber ich will hoffen – der letzte.«

Bichette hing sich zärtlich an seine Schultern. »Und wohin – nachher?«

»Florenz.«

»Richissimo!« Nach einem Kuß, der etwa zwei Minuten währte, lief Bichette, sich schnell losreißend, zur Tür. Plötzlich aber hielt sie, die Klinke in der Hand, inne, sah Fec sekundenlang durchdringend an und senkte dann den Kopf.

Fec, unklar unwillig und auch ein wenig ratlos, blickte weg. Als er wieder hinsah, war Bichette verschwunden.

*

Fec begab sich zu Bett, konnte jedoch nicht einschlafen. Tausenderlei wogte ihm durch den Kopf. Es war ihm, als rotiere er um sich selber. Er vermochte sich nicht zu sehen. Noch viel weniger Bichette, deren Verhältnis zu ihm sich restlos klar zu machen ihm nicht gelingen wollte. Daß dies die eigentliche Ursache seiner Unruhe war, erkannte er endlich, als er bemerkte, daß Bichettes durchdringender Blick, kurz bevor sie ihn verlassen hatte, ihm peinigend oft wiederkehrte, ohne daß er imstande gewesen wäre, ihn sich zu erklären. Um es sich zu erleichtern, zwang er sich, gewisser Szenen, gewisser Gespräche sich zu erinnern, fand aber nichts Deutliches. Alles däuchte ihn mit einem Mal verworren. Trotz allem. Immer wieder, wenn eine Kette von Überlegungen abgerollt war, versuchte er, den Kopf hebend, Bichette gleichsam von innen her zu erblicken. Immer wieder vergeblich. Er grinste schließlich über sich selber und sagte plötzlich laut: »Warum kann ich es nicht? ... Ha, weil ich ja doch nichts weiter finden würde als ihre Photographie.«

Diese Verstiegenheit gefiel ihm so, daß er fast heiter wurde. Die Unruhe wich. Eine weiche wohlige Gleichgültigkeit durchsickerte ihn. Er lächelte und streckte seinen Körper. Als er im Begriff war, einzuschlafen, klopfte es leise.

Augenblicklich sprang er aus dem Bett und öffnete vorsichtig.

Bichette schlängelte sich durch die Tür. »Ich bins.«

Noch bevor Fec etwas hätte sagen können, steckte sie ihm zwei Finger in den Mund und spielte mit seiner Zunge.

Fec befreite sich ärgerlich. »Was fällt dir denn nur ein! Wenn jemand dich gesehen haben sollte!«

»Es hat mich aber niemand gesehen.«

»Die Gänge der großen Hotels sind nachts immer bewacht. Und wenn Flinsparker aufwacht? Was dann?«

»Der wacht nicht auf. O, was für ein Ballot! Aber nett ist er doch. Wirklich sehr nett.« Bichette betrachtete ein kleines Bild an der Wand.

Fec mußte lächeln. »Willst du mich eifersüchtig machen?«

»Ich will hoffen, daß du scherzst.«

Fec erstaunte, daß sie daran gezweifelt hatte, und beobachtete sie aufmerksam.

Bichette gewahrte es und warf ihre Hände in seine Haare. »Fec, sag, liebst du mich?« Sie streckte die Zunge weit heraus; es schien selbstironisch sein zu sollen, wirkte aber lediglich abstoßend.

»Bis zur Bewußtlosigkeit,« flüsterte Fec, absichtlich schauspielernd, und küßte höflich Bichettes nackten Hals.

In diesem Augenblick nahm er irgendwie wahr, roch er, sah er, schmeckte er, was zwischen Flinsparker und Bichette vorgefallen war, bevor sie sein Zimmer betreten hatte. Eine ihm wohl bekannte, von je unbegreifliche, gleichwohl aber stets wieder von neuem hinreißende Erregung bemächtigte sich seiner. Er atmete unregelmäßig und stoßweise. Seine Lippen auf Bichettes Rücken erzitterten.

»Das lasse ich mir gefallen.« Bichette zweifelte nicht, daß er sich verstelle, und hauchte erbost: »Aber weshalb diese Zurückhaltung? Sollte der Herr Baron vielleicht zögern, weil ...«

Fecs Sinne taumelten. »Ja, ja, ja, ja ... und was denn noch ...« Er riß sich Bichettes Mund heran, fühlte ihn noch heiß von dem Andern, ein schneller brennender Stich durchrann ihn, wurde weich und eine ferne feine Wut zugleich, sein Atem verlor sich, kam schwer und gebrochen wieder und stürzte ihn in einen wilden Biß.

Bichettes Schrei vergurgelte sich wollüstig. Da fühlte sie ihr Blut warm über die Haut laufen, stöhnte, schloß die Augen und öffnete gierig weit den Mund ...

Fec stammelte etwas. Sein linkes Bein schlenkerte ein wenig und machte ihn wanken. Und schon packte er Bichette und warf sie unter sich ...

*

» ... sagst du mir jetzt schon zum dritten Mal. Ich werde es genau so machen. Genau so.« Bichette verließ das Bidet. »Aber ...« Sie trocknete sich sorgfältig mit beiden Händen. »Aber weißt du, warum ich dich gefragt habe, ob du mich liebst?«

Fec bewegte gleichgültig eine Achsel.

»Nur um zu sehen, ob es dich noch ärgert.«

Fecs Lippen spielten mokant.

»Du hast dich doch nicht geärgert? Oder vielleicht doch?«

Fec liebkoste seine Hände.

»Fec!« Bichette wies, als sie seine Augen wieder sah, mit den ihren auf ihren nackten Körper. »Nennst du das vielleicht auch vorgemacht?«

Fec ergriff die Decke und legte sich in die Kissen zurück.

Bichette lief vor das Bett und drehte Fec ihre Schulter mit der Bißwunde vor die Augen. »Und was war das, hein?«

»Das war ...« Fec hielt, die Lippen geöffnet, lange inne. »Das weiß ich noch nicht.«

»Darf ich Sie bitten, Herr Baron, es mich wissen zu lassen, sobald Sie ...« Bichette sprang mit beiden Knien ins Bett.

»Du darfst.«

»Merci.« Bichette speichelte sich mit zwei Fingern die Wunde ein. »Was aber, wenn Flinsparker den Biß sieht?«

»Den wirst du ihm schon einreden.«

»Fec!«

»Was.«

»Weißt du es nicht vielleicht doch?«

»Was!«

»Warum du mich gebissen hast.«

»Nein.« Fec, keinerlei Zustände mehr fähig, zog sich die Decke bis an die Stirn.

»Fec!« Bichette riß sie ihm herunter.

»Was denn, zum Teufel!« Fec setzte sich zornig auf.

»V'lan, wie ist das mit dem Einsatz?« Bichette knüpfte, ohne ihn anzusehen, die Seidenbändchen an ihrem Hemd, das sie vom Stuhl genommen hatte.

Fec griff nach einer Zigarette.

»Fec, so hör doch!«

»Was denn nur.«

»Das mit dem Einsatz.«

»Was für ein Einsatz?«

»Nicht der an meinem Hemd.« Bichette kicherte selbstsicher. »Sondern der, der gar keiner ist. Und das Geld? Ist das kein Einsatz, hein?«

Fec rauchte amüsiert. »Du nimmst also doch an, ich könnte glauben, was ich zu äußern beliebe.« Er freute sich sogar auf ihre Antwort.

Bichette setzte sich gewichtig zurecht. »So entkommst du mir nicht. Das Geld ist ein Einsatz. Wenn auch das kein Einsatz sein soll, dann hast du dir blödsinnig widersprochen.« Sie begann, fest davon überzeugt, ihn in heftige innere Pein versetzt zu haben, ihre Haare zu ordnen.

Fec zerbiß lächelnd seine Zigarette und warf sie in eine Ecke. Dann schlug er sich mit der flachen Hand sachte auf den Schenkel und sang leise den Refrain eines Pariser Schlagers mit dem selbst unterlegten Text: »Rien que sa photo.«

»Fec, so was kann dir passieren?« Bichette stieß mit den Füßen nach ihm.

Fec war mit einem Mal alles zu viel. »Und jetzt bitte rasch fort!« Er wollte sie an der Hand aus dem Bett ziehen.

Aber Bichette warf sich geschickt neben ihn. »Cahin caha. Du wirst antworten.« Sie rieb ihren Körper so an dem seinen, daß sie ihren stärksten Zwang ausübte. »Übrigens keine Sorge! Der da drüben schläft den Schlaf des Gerollten.«

Fec gab nach, um nicht ängstlich zu erscheinen.

»Also, wie war das?«

Fec schob ihren Bauch von sich und raffte sich mühselig zusammen: es würde ihm schon irgendwie gelingen.

Bichette versetzte ihm mit dem Knie einen Stoß in die Hüfte. »Also?«

Ohne noch zu wissen, was er sagen wollte, begann Fec stockend: »Unser Einsatz besteht aus zwei Teilen ... die aber im Grunde eine unzertrennliche Einheit bilden. Der erste Teil ist ...: wir vertreiben uns, großen Beträgen nachjagend, am besten die Zeit ... solange wir noch nicht so viel haben, um uns die Zeit mit einer Rente vertreiben zu können ... Der zweite Teil ist ...: wir geben jetzt, arbeitend, weniger aus, als unsere künftige Rente wird betragen müssen ... denn wir werden, nicht arbeitend, weit mehr ausgeben müssen, um uns nicht zu langweilen ... Eh ben, ist dir das klar?«

Bichette machte ein zweifelhaftes Gesicht.

Fec sprach nurmehr wie blindlings. »Selbstverständlich ist dieser Einsatz nur negativ. Sich vor Arbeit und Langeweile sicherstellen, ist allerdings kein Einsatz. Der wahre Einsatz ist unser Leben selber. Die Tatsache, daß wir selbst vor allem zu unserem Zeitvertreib gehören. Der Körper muß hergeben, was er herzugeben hat. Seine Genüsse sind echt. Da kann man sich nichts vormachen ... Gewiß, es ist letzthin auch kein Einsatz, zu leben. Aber wir wollen uns doch nicht aufhängen. Wir haben also trotz allem keinen Einsatz. Denn wir werden stets sinnlos drauflos leben. Wie es uns eben den größten Spaß macht, das meiste Vergnügen.«

Bichette hatte sich nicht bewegt und Fec unausgesetzt angestarrt. Jetzt riß sie auflachend ihren Blick los. »Fec, du dichtest schon wieder. Du spinnst ja, Fec.«

»Chut!« Fecs Augen wurden ganz klein. »Vielleicht bin ich überhaupt bloß mein eigenes Hirngespinst.« Kaum jedoch war es gesagt, als er auch schon darüber lächeln mußte.

Bichette schlug ihm klatschend auf den Hintern. »Nein, du bist mein süßer Gouapard ... mein süßer Gouapard ...«

Dieses Kosewort, das ihn bisher fast stets weich umnebelt hatte, trieb ihn jetzt innerlich auf. Mit allen Fibern suchte er nach einer Ablenkung. »Hast du Pimpi schon geantwortet?«

Bichette lag da, die Hände unterm Nacken, die Beine auf denen Fecs. »Was soll ich ihm schreiben?«

»Bitte erzähle mir jetzt, was du mit Ralix hattest.«

Bichette klemmte mißlaunig die Unterlippe zwischen die Zähne. »Ich hab so gar keine Lust dazu ... Aber schließlich ... Es war bei einer Balloterie in der Royal-Bar. Du weißt doch, die in der Rue Fontaine. Ich war, ich weiß selbst nicht warum, mit hinaufgegangen. Mit Harry, der überhaupt gern vornehm tut, das Kind. Aber mit Harry war schon lange Schluß. Couçi couça, und oben zogen sie mich sofort an einen Tisch. Und so ein dicker Ballot wollte mich dann auf der Straße in seinen Wagen zerren. Harry war verschwunden. Hatte wohl geroupt. Da stand auf einmal Ralix da. Vermutlich hat er auf Loute gewartet, die damals in der Royal arbeitete. Also, Ralix sagte dem Schwein bloß: ›Lassen Sie Madame gefälligst los!‹ Das genügte absolut. Denn der gute Junge sieht aus! Wie ein Zebra. Du kennst ihn ja. Oder nicht? Also, er ging dann mit zu mir. Das dauerte so ungefähr eine Woche. Dann hatte ich ihn satt. Er mich aber noch nicht. Außerdem hatte er die scheußliche Gewohnheit, im Bett zu singen. Nicht so wie du, manchmal ein bißchen. Sondern laut und alle fünf Minuten und die blödsinnigsten Opern. Aber hauptsächlich war er mir zu toc. Ich meine, durchtrieben ist er ja schon sehr und Courage hat er für drei, aber etwas fehlte mir bei ihm. Eben das, was immer fehlt. Es fehlt doch immer etwas, hein? Also, ich konnte ihn absolut nicht loskriegen. Beleidigungen, Beschimpfungen, Fußtritte – nichts zog. Einmal spuckte ich ihm bei ›Cyrano‹ auf der Terrasse vor allen Leuten ins Gesicht. Er schluckte den Speichel und grinste. Es war einfach nichts zu machen. Und ich hatte den ganzen Jus schon bis dorthinaus. Da mußte ich eben die letzte Pante loslassen und sandte dem langen Georges, dem Flic, der immer an der Ecke der Rue Blanche steht, einen kühlen Blick und tropfte ihm im nächsten Hauseingang so einige Anhaltspunkte auf die Hand und nach vier Tagen klemmten sie meinen Ralix ... V'lan.«

Fec räusperte sich, langsam den Kopf hebend. »Weiß das jemand?«

Bichette sann nach. »Vielleicht Pimpi, vor dem ich zuvor einmal in meiner Wut damit gedroht hatte. Ralix aber weiß es nicht. Und auf den langen Georges kann ich mich verlassen. Aber es könnte sein, daß Ralix es vermutet. Sicher ist er auf keinen Fall. Denn die beiden andern, die meinetwegen geklemmt wurden, hatten Connerien gemacht. Weil sie glaubten, mit viel Geld könnten sie mich halten, diese Petsecs. Und Ralix weiß das so gut wie die andern.« Sie nahm, da Fec schweigend auf die Wand sah, mehrere Toilettegegenstände zu sich ins Bett und begann, ihre Achselhaare so nach vorne zu kämmen, daß kurze Haarzipfel sichtbar wurden. »Das ist meine Erfindung. Das lieben sie alle. Und zu glauben, daß es Gänse gibt, die sich rasieren.« Sie blickte, von Fecs Schweigen irritiert, finster auf. »Paßt dir vielleicht etwas nicht?«

Fec war für ihre Erzählung, die ihm unglaubwürdig vorkam, auf eine Erklärung nach der andern verfallen. Da keine ihm genügte, fragte er, fast befehlend: »Womit bist du denn zu halten?«

Bichette pfiff leise, um keinen Ausdruck in ihr Gesicht zu lassen. »Mit dir.«

Fec hüstelte, überzeugt von ihrer Absicht, ihn zu ärgern. »Bei mir also fehlt nichts? Alles da? Alles da?«

Bichette nahm ihre Knie in die Hände, zog sie vor die Brust und schaukelte sich. »Alles da! Alles da!«

»Famos!« Fec lachte.

»Schlingue!«

Nach einer langen Pause, während welcher Bichette an den Nägeln ihrer Füße herumschnitt, sagte Fec, der sich wieder eine Zigarette angezündet hatte, ganz unvermittelt: »Nichts da. Zwischen uns fehlt alles!«

Bichette schnitt mit ungeteilter Aufmerksamkeit weiter. »Fehlt alles. Warum nicht.«

» Damit bist du zu halten: – mit nichts.«

Bichette schien endlich mit ihrer Pédicure fertig zu sein. »Mit nichts?« Sie musterte der Reihe nach ihre Zehen. »Was sagtest du? Mit nichts? Wie ist das?«

Fec, der den Eindruck hatte, sehr wohl verstanden worden zu sein, wunderte sich, daß es ihn gleichwohl zum Sprechen drängte. »Mit nichts, das heißt – mit letzter Aufrichtigkeit. Damit, daß man dir sagt, daß auch sie ein Truc sein kann. Und daß es der beste wäre. Aber daß man auch darauf verzichten müsse, weil ...«

Bichette lauschte jetzt gespannt. » ... weil ...«

Fec wurde sich plötzlich so unerträglich, daß er nurmehr weitersprach, da er fühlte, er würde sich sonst noch unerträglicher. » ... weil dieser Verzicht eines der größten Vergnügen ist ... vielleicht das allergrößte. Aber dazu gehört, daß man der Suggestion des Geldes nicht erliegt. Und da schließlich auch der Genuß, in jeder Form, nur eine Spielart von Suggestion ist, läßt man sich so leicht überrumpeln. Suggestion ist nur Kraft, Energie. Suggestion ist das Leben selber. Man darf aber dem Leben in keiner seiner vielen Formen erliegen. Der tiefste feinste Genuß ist der Verzicht.«

Bichette legte die Hände leicht auf die Augen. »Vorhin sagtest du, die Genüsse des Körpers sind echt, da kann man sich nichts vormachen. Und jetzt sagst du, sie sind Suggestion. Wieder so ein blödsinniger Widerspruch.«

»Suggestion ist das Leben selber,« sagte Fec verbissen und müde.

Bichette ging zur Manicure über. »Vielleicht.«

Fec nahm die Zigarette, auf die er vergessen hatte, an die Lippen. Während er den Rauch langsam vor sich hin blies, dachte er laut: »Ja, unsere Abmachung ist ein Verzicht.«

»Und ein Genuß.«

Fecs Kinn zuckte erstaunt: er wußte mit einem Mal, daß Mißtrauen ihn gedrängt hatte, zu sprechen. Deshalb sagte er scharf: »Aber man ist auch so nicht sicher. Man ist niemals sicher. Eine Laune, ein Regenguß, ein Weib, eine schlechte Zigarette, weiß der Teufel, was es alles sein kann – und schon empfindet man den Verzicht auf den Verzicht als den höchsten Genuß und ça y est – der Andere ist erbärmlich gerollt.«

Bichette ließ die Scheere fallen. »Es geht eben alles.« Sie stellte die Finger spitz auf einander. » Alles.«

»Deshalb darf man sich auch auf nichts einlassen. Auf gar nichts.« Fec lächelte über den Widerspruch seiner Worte zu seiner Situation. Und er spottete fast, als er hinzufügte: »Für mich ist jeder mein erbittertster Feind. Jeder. Jeder. Jeder.«

Bichette blickte zur Seite. Die kleinen Finger jeder Hand bewegten sich nach oben. »Auch ich?«

Sekunden verstrichen, bevor Fec, mehr aus unbezwinglicher Neugierde als weil er wirklich daran glaubte, mit fester Stimme sagte: »Auch du.« Er legte die Zigarette weg.

Bichette schob sich langsam an ihn heran und ihren Arm hinter seinen Hals. Die Nägel der andern Hand gruben sich in seinen Schenkel. So zwang sie ihn mit ihrem Körper auf das Bett nieder. Dann öffnete sie ihre Lippen vor den seinen, schlürfte seinen Atem, gab ihm den ihren und stierte ihm mit weit aufgerissenen Augen zwischen die Brauen.

Es war Fec, als wollte sie ihn mit ihrem Atem töten. Er mußte, als er es dachte, die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu lächeln.

Da kniff Bichette ihn kurz in die Wange und hauchte: »Fec, du bist – duschnock.«

Er wußte nicht, was sie meinte. Aber es war ihm in diesem Augenblick lieber. So sehr war er von dessen schwerem seltenen Genuß erfüllt.

*

Fec hörte es fünf Uhr schlagen, als Bichette angekleidet war. Vag fiel es ihm auf, daß sie beide Male in ihrem Trotteur zu ihm gekommen war. Während er den Riegel sachte zurückschob, fragte Bichette leise: »Es bleibt also dabei?«

»Selbstverständlich. Du hast es doch in den Kamin gehängt?«

»Ja.«

Fec, an das vorhergegangene Gespräch denkend, verzog zweifelnd die Lippen. »Es ist eigentlich nicht viel. Wie viel sagtest du ...?«

»Ich konnte es nicht zählen.« Bichette blickte auf ihre Füße. »Weniger als fünfzehntausend schwerlich.«

»Steck es doch lieber schon jetzt in die Vase auf dem Korridor.«

Bichette nickte, ohne aufzublicken.

»Mach es sehr rasch! Am besten, während du dich einen Moment über die Brüstung lehnst, als hättest du irgendetwas bemerkt. Du mußt aber unter allen Umständen die Toilette wirklich benützen. Auch wenn du niemanden siehst.«

Bichette nickte mehrmals hastig, von einem Fuß auf den andern tretend.

*

»Um acht Uhr also. Und vergiß nicht, die Tür unversperrt zu lassen. Au revoir.«

Bichette winkte ihm ungelenk mit der Hand, während sie hinausschlüpfte.

Um acht Uhr morgens stürmte Fec in das Schlafzimmer Flinsparkers, einen Browning in der Hand, riß Bichette, die ganz jämmerlich schrie, aus dem Bett und brüllte: »Sie werden noch von mir hören!«

Flinsparker, der sich schlaftrunken in den Kissen aufzurichten versuchte, kam gar nicht dazu, zu erstaunen. Längst allein, begriff er erst den Zusammenhang.

Als das durch das Geschrei aufgescheuchte Personal im Korridor erschien, fand es ihn bereits leer und nur in einigen Türen verschlafen fragende Gesichter.

Schon in Nizza hatte Flinsparker Fec ein wenig beargwöhnt. Er zog es deshalb vor, den zweifellos beabsichtigten Eclat, der ihm auf jeden Fall sehr peinlich sein mußte, zu verhindern. Er sandte Fec nach einer Stunde durch seinen Chauffeur einen Scheck über zehntausend Francs, da er, wenn er refüsiert wurde, lediglich riskierte, die Riviera für den Rest der Saison meiden zu müssen.

Fec empfing den Brief mit dem Scheck, als er in der Loge des Portiers einige Anweisungen gab. Zehn Minuten später verließ er mit Bichette das Hotel.

Sie fuhren nach Mentone, wo Fec den Scheck einlöste.


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