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Diese 1793 in Warschau erschienene Schrift fehlt in allen bisherigen Ausgaben der Werke Seume's. Unser Bemühen, ein Exemplar derselben aufzufinden, ist lange Zeit ein vergebenes gewesen, obgleich wir sowol in deutschen als russischen Bibliotheken deshalb Nachforschung hielten. Um so mehr gereicht es uns zur Genugthuung, daß wir noch vor dem Druck der Schlußbogen unserer Ausgabe in den Besitz der Schrift gelangt sind und es uns so noch möglich geworden ist, die in mannichfacher Beziehung interessante Arbeit Seume's seinen Verehrern mittheilen zu können. Der vollständige Titel des Originals lautet: »Ueber Prüfung und Bestimmung junger Leute zum Militär von J. G. Seume. Warschau, gedruckt bey P. Dufour, Königl. Hofrath und Hof-Buchdrucker«; dasselbe ist 80 Seiten stark, von welchen die Seiten 67 bis 80 das Gedicht »Ueber Glückseligkeit und Ehre« (Bd. V. S. 198 ff.) enthalten. – A. d. H.
Sr. Excellenz
dem Russisch-Kaiserlichen General en Chef, General-Gouverneur
und Ritter
Freiherrn von Igelström
unterthänig gewidmet
vom Verfasser.
Verehrungswürdiger Chef, Gnädiger Herr!
Die Ehre, welche ich habe, unter Ew. Excellenz Befehlen meine militärische Laufbahn zu beginnen, entschuldigt, wie ich hoffe, meine Kühnheit, daß ich diesen wenigen Bogen Ihren Namen vorzusetzen wage. Ich habe überdies sowol Ew. Excellenz Selbst als einigen andern würdigen Männern Ihrer Familie so wesentliche Verbindlichkeiten, daß ich diesen übrigens geringen Versuch doch als ein kleines öffentliches Denkmal meiner Erkenntlichkeit vorzulegen wünsche.
Niemand kann über meinen gewählten Gegenstand mehr kompetenter Richter sein als ein Mann, der sein Leben größtentheils unter den Waffen zugebracht hat und dessen militärischen Credit die große Monarchin durch Ihr Zutrauen festsetzt, das von der Einstimmung und dem Beifalle aller Sachkundigen des ganzen Nordens gerechtfertigt wird.
Mir würde es die schmeichelhafteste Belohnung sein, wenn einige meiner Gedanken über einen dem Militär nicht unwichtigen Punkt einigermaßen die Billigung meines Generals erhielten, welches für ihre Richtigkeit und Gründlichkeit hinlängliche Bürgschaft wäre. Mit dem tiefsten Gefühl des Danks und der Ehrfurcht bin ich
Gnädiger Herr,
Ew. Excellenz
Warschau 1793.
unterthäniger Diener Seume.
Es ist zu allen Zeiten nur der Wunsch und die Grille gutmüthiger Halbphilosophen gewesen, daß man in der Welt ohne Könige und Priester, ohne Aerzte und Soldaten leben könne; aber so lange Menschen Menschen sind, so lange die ewigen Widersprüche in ihren Neigungen, ihren metaphysischen, politischen und religiösen Meinungen nicht gehoben sind, welche ihrer schwachen Menschennatur so tief eingeerbt zu sein scheinen, so lange ist dem Schwerhinkenden immer ein Stab nöthig, damit er nicht in die erste Grube taumele oder sich blutig in die erste Dornhecke stürze.
Manches habe ich in und außer der Schule über Staatenbildungen, Staatenverhältnisse, Staatsrecht und Staatsklugheit gelesen und selbst gedacht, wenigstens zu denken geglaubt, und, wie vielleicht die Eitelkeit der Menschen überall immer besser sehen will als ihre Vorgänger, noch keinen Maßstab gefunden, der einer eingebildeten Vollkommenheit entspräche und den großen Forderungen ganz Gnüge leistete, die eine so große Menschenmasse, welche Staaten bildet, billig machen kann.
Weder Aristoteles noch Plato, weder Hobbes noch Grotius noch Hume; denn Macchiavell's Geist ist zum Glück von allen, selbst bösen Fürsten, öffentlich confiscirt, weil ihr eigenes Interesse doch einen guten Schein verlangt; am Allerwenigsten die jetzigen Schwindlinge an der Seine, so gut es Einige und so schurkisch es Andere unter ihnen meinen mögen, können uns eine Form darbieten, in welche wir glücklich einen neuen Staat zu gießen hoffen dürften. Hume, der kühne Zweifler, der gewiß keinem Priester und keinem Fürsten frohnte, dessen Namen so mancher witzige Krittler der Philosophie als Autorität anführt, sagt irgendwo mit dem tiefsten Gefühl der Menschlichkeit: Die beste Regierungsform ist immer die eingeführte, wenn eine neue Umschaffung die Nation dem Untergange nahe bringt, welches fast stets der Fall ist, wie die traurige Geschichte unsers Geschlechts beweiset. Ohne diese philosophische Speculation zu verfolgen, und ohne mich in eine Untersuchung über den Grad des Werths und den Rang der verschiedenen Verdienste in Staatsverhältnissen einzulassen, will ich sogleich meinem Zwecke näher rücken. Jeder meiner Leser ist unstreitig schon mit Abbt's vortrefflichem Buche »Vom Verdienste« bekannt, und ich verweise dahin alle Diejenigen, die diesen Punkt weitläuftger philosophisch gewürdiget haben wollen.
Daß der Kriegsstand von dem niedrigsten Individuum bis zum Chef die Achtung und die Aufmerksamkeit jedes Weltbürgers in dem ausgezeichnetesten Grade verdiene, lehrt die Geschichte mit blutigen Exempeln. Mag der Afterphilosoph grübeln und der Afterfromme wünschen: wir müssen die Menschen nehmen, wie sie sind, mit allem ihren Guten und ihrem Schlimmen, und das Erträgliche daraus sei unser Loos. Freilich lehrt uns die Vernunft, daß mit der Bildung eines Staats die Waffen nichts zu schaffen haben sollten; denn sie sind nur Werkzeuge der Erhaltung und Vertheidigung, und nicht der Schöpfung; aber da nun der Mensch kein Seraph ist, und selbst Seraphe hatten nach dem heiligen Mythus ihre Gefechte, so mag der Grund zum Gebäude gelegt sein, wie er wolle, wir müssen es vor Sturmwinden und Orkanen schützen, damit es nicht über uns zusammenschlage und uns zerschmettere. So manche bittere Klage ist schon über die stehenden Armeen geführt worden, manche mit ziemlichem Recht, manche mit Ungrund, wie der Graf Herzberg in mehrern Stellen seiner Schriften deutlich gezeigt hat. Der Soldat ist nothwendig nach allen politischen Einrichtungen der Staaten, nothwendig nach der menschlichen Natur. Wahr, er ist ein Uebel, aber ein kleines, um ein großes, ungeheueres zu entfernen und zurückzutreiben, und ein kleineres Uebel, das ein größeres Gute wirkt, ist in der Vergleichung selbsten gut. Von welcher Sache, von welcher noch so heiligen Wahrheit in der Welt hat nicht die Bosheit und die Kabale, die Pfafferei oder der Spottgeist einen verkehrten Gebrauch gemacht? Die Geschichte lehrt es in unzähligen Beispielen. Aber hat der Mann, der für Ruhe und Sicherheit, für Gesetz und Ordnung, für Herd und Vaterland sich jeder Gefahr bloßstellt; der im Winter vor Kälte zittert und im Sommer vor Gluth schwitzt und brennt; welcher wacht, wenn seine Brüder schlafen, der unter der Waffenlast schwer athmet, wenn sie ruhen; der dem Tode starr ins Auge sieht; der ihn in tausend Gestalten erblickt, in Feuerschlünden und auf der Schwertschärfe, auf der Gewehrspitze und im Pesthauche: hat ein Mann, der mit tiefem Menschengefühl Alles dieses muthig und unerschrocken sieht und thut – denn Vergnügen kann ihm bei seinem traurigen Handwerke nur das Gefühl seiner Pflicht geben, oder er müßte eine Hyänenseele haben – hat ein solcher Mann nicht relativen großen Werth für die Gesellschaft? Der Beifall und die Ehrenbezeugungen aller Zeitalter, aller Nationen und ihrer Vernünftigen haben ihm schon seinen Theil des schönen Gewinnstes festgesetzt und den ehrwürdigen Krieger für die gute Sache von dem Enthusiasten der Eroberungssucht und dem Menschenwürger unterschieden. Niemand wird bei Würdigung der Ansprüche auf Ehre Alexander und Alcibiades, Cäsar und Hermann, Soliman und Kastriot, Cromwell und Gustav Adolph zusammen in eine Wagschale legen; so sehr trennt die Gerechtigkeit der Geschichte den leidenschaftlichen Ruhmsüchtigen, den oft seine Neigung zum Bösewicht macht, von dem Beschützer der alten geheiligten Rechte der Menschheit und des Vertrags.
Es ist meine Absicht nicht, philosophische Untersuchungen in dem großen Felde dieser Gegend zu wagen; es würde dieses über meine jetzigen Kräfte sein. Ich habe mir blos vorgenommen, wie der Titel dieses Werkchens sagt, einige Bemerkungen über die Bestimmung junger Leute zum Militär zu machen. Es ist mir noch nichts über diesen Gegenstand zu Gesichte gekommen; indessen ist es leicht möglich, daß bei meiner so wenig ausgebreiteten Lectüre mir Manches entgangen ist, welches mich vielleicht meiner Mühe hätte überheben können; was ich aber nicht kenne, ist für mich so gut, als nicht existent. Man wird daher bei dem kleinen Versuche meine gute Absicht nicht mißkennen, dasjenige, was mir in dieser Materie richtig und wichtig zu sein schien, vorzüglich meinen Kameraden mitzutheilen. Vielleicht können auch Väter und Lehrer in ihren Beurtheilungen einigen Nutzen daraus schöpfen; und ich halte mich dadurch reichlich belohnt, und mein Unternehmen scheint also, gesetzt auch, daß ich persönliche Nebenabsichten dabei hätte, dem Publico hinlänglich gerechtfertigt zu sein.
Huart's Buch »Von der Prüfung der Köpfe« ist bekannt genug durch die Uebersetzung unsers scharfsinnigen Lessing's und sein Werth hinlänglich bestimmt. Es enthält unter dem Chaos physischer und metaphysischer Hypothesen manche gute richtige Bemerkung zur Bearbeitung und Bildung der Fähigkeiten junger Leute zu den verschiedenen Fächern ihrer Bestimmungen. Es ist aber Alles theils zu allgemein, theils das Nähere nach seiner Art zu sehr in ganz eigene Hypothesen gespannt und zu sehr in ganz eigene Formen geschmiedet, als daß wir jetzt für unser Jahrhundert großen Nutzen daraus ziehen könnten. Garve in seiner Untersuchung der Fähigkeiten ist blos abstrakt philosophisch, und scheint sich blos auf speculative Wissenschaften und schöne Künste einzuschränken, die wenigstens auf diesen Theil des praktischen Lebens nicht den nächsten Bezug haben. Was man hin und wieder in Kriegsbüchern findet, ist, so viel ich davon weiß, meistens aphoristisch. Ich will also, ohne Rücksicht zu nehmen, daß je etwas über diese Sache gedacht und geschrieben sei, einige meiner Gedanken und Bemerkungen so kurz und gut als möglich im Zusammenhange vorzustellen mich bemühen. Erstlich werde ich Einiges von dem Physischen sagen und sodann von dem Moralischen oder den Geisteseigenschaften eines jungen Kriegers sprechen.
Es ist eine allgemein richtig anerkannte Bemerkung der alten und neuen philosophischen Pädagogen, daß man die Erziehung der Kinder schon vor der Geburt, ja schon vor der Empfängniß anfangen müsse, weil die Constitution und jede moralische und physische Veränderung der Eltern Einfluß auf das künftige Menschenwesen nothwendig hat. Xenophon hat über diesen Punkt in seinem Aufsatze über die lacedämonische Republik und die Gesetze Lykurg's einige sehr scharfsinnige lehrreiche Anmerkungen. Was kann ein Embryo für Stamina empfangen, den die Eltern schon durch ihre eigene Schwachheit zum künftigen Siechlinge verdammen? Das Physische geht mit dem Moralischen meistens so sehr in einem Schritte, daß der Kosmopolit weinen möchte, wenn er das Menschengeschlecht durch die Seuche von tausend selbst erzeugten Krankheiten bis zu Pygmäen und Sterbelingen herabschwinden sieht. Der künftige Krieger muß einen starken, nervigten, dauerhaften, symmetrischen und geschickten Körper haben. Schwerlich wird er ihn von einem Vater erhalten, der seine Jugendkräfte in den Armen der Weichlichkeit und der Modevergnügungen verschwelgt hat. Stark, nervigt und dauerhaft muß der Körper des Soldaten sein, um mit dem Gewicht seiner Waffen leicht zu arbeiten, um der Last der Beschwerden nicht zu unterliegen, um Hitze und Kälte und alle Mühseligkeiten des Feldes ohne Nachtheil ertragen zu können; symmetrisch und geschickt, um alle ihm nöthigen Wendungen, Biegungen und gymnastischen Uebungen fertig und schnell zu machen und sich seine Waffen, wie die Römer sagten, gleichsam zu neuen Gliedern machen zu können. Ein Schwächling wird höchst selten ein guter Krieger werden, gesetzt auch, daß ihm sein Posten bei der Armee manche der härtesten, schwersten Arbeiten erspart. Doch zuweilen ist auch noch nicht alle Hoffnung verloren, aus einem schwachen Knaben einen gesunden, starken und festen Mann zu machen. Manches physische Hinderniß kann die gute Ausbildung der Körpertheile bei jungen Geschöpfen hemmen, aber manches dieser Hindernisse kann durch Gegenwirkung gehoben werden. Aerzte und Pädagogen werden hier Fälle genug mit ihren Gegenmitteln anführen können. Das gewöhnlichste, heilsamste Mittel, zärtliche Körper abzuhärten, ist nach und nach richtig geordnete strenge Diät und gemessene Bewegung. Der schwächliche Knabe von acht Jahren kann immer noch zu einem wackern Jünglinge wachsen: er kann seine Knochen stählen, seine Sehnen spannen, sein Fleisch fest und konsistent machen; aber wenn ein junger Mensch von sechzehn bis siebzehn Jahren, wo er in die Fronte treten soll, noch ein Siechling ist, so wagt er selbst das noch übrige Glück seines Lebens, und der Dienst riskirt an ihm einen Mann zu bekommen, der nicht allein selbst dazu nicht geschickt ist, sondern auch seine Kameraden durch seine schlaffe Lebensart leicht anstecken und verderben kann. Der Officier welcher nicht unter allen Beschwerlichkeiten, in der Ausdauer aller Strapazen des Dienstes, auf Märschen und im Schlachtfelde, in Hitze und Kälte, unter Hunger und Durst mit seinen Soldaten aushalten oder ihnen gar zum Muster dienen kann, wird nur halb so viel mit ihnen auszurichten im Stande sein als ein anderer, dessen Kräfte ihm Alles dieses erlauben. Dieser gewinnt durch die Gemeinschaft aller Beschwerlichkeiten und Gefahren ihre Liebe, ihr Zutrauen und ihre Anhänglichkeit, macht ihre Kräfte stark und läßt sie den drückendsten Mangel nicht fühlen; jener benimmt ihnen durch den Ausdruck seiner eigenen Schwachheit auch ihren Muth und vergrößert alle Gefahren. Der Mensch fühlt aus einer ihm unerklärbaren allgemeinen Sympathie sich immer einigermaßen analog mit dem Gegenstande, der vor oder neben ihm ist, wird groß und stark mit dem Großen und Starken und sinkt und wankt mit dem Schwachen und Ohnmächtigen; wenigstens ist dieses merklich der Fall der gemeinen Seelen. Wenn die Kräfte des Körpers sinken, sinkt meistens auch der Muth und die Hoffnung, weil allezeit bei dem Gefühl des Mangels der Kraft auch die Wahrscheinlichkeit sich vermindert, dem Feinde ein Gleiches bieten zu können. Daher finden wir, daß bei gleichen Vortheilen der Taktik, Waffenfertigkeit, der Position und der übrigen Umstände immer der ungleich Stärkere den Schwächern schlug; denn die Taktik ist weiter nichts als die Kunst, durch Hilfe der Mechanik den Kräften der Truppen eine so vortheilhafte Richtung und Wirkung zu geben, als sie ohne dieselbe nicht haben würden, und dadurch gleichsam sie zu vermehren. Miltiades mit seinen dreißigtausend Griechen bei Marathon war wirklich stärker als die vielen Myriaden Perser, welche er schlug und mit Schande zurück über den Hellespont nach Hause schickte. Seine Soldaten waren des Gewichts ihrer Waffen gewohnt und spielten mit ihren ehernen Schilden wie mit Wurfscheiben und mit ihren schweren Lanzen wie mit Thyrsusstäben. Ihr Arm war stark und groß ihr Muth, und der Krieg war ihnen Erholung; so strenge waren ihre Uebungen im Frieden. Die Römer waren allen Nationen an Körperkraft ebenso sehr überlegen, als sie sie an Muth und Enthusiasm für das Vaterland übertrafen, und sie standen in ihrer kolossalischen Größe fest gegen den Erdball, bis die Weichlichkeit ihre Sehnen erschlaffte, Epikur die Stoa einnahm, Disciplin und Strenge aus den Armeen verschwand und das Schicksal das blutige Unrecht, mit dem sie die Völker gedrückt hatten, über ihre Köpfe zurückführte. Die Gothen, Normänner und Araber durchzogen die in Schwelgerei und Aberglauben hingesunkenen Provinzen und gaben den Römern ein blutiges Vorspiel ihrer herannahenden gänzlichen politischen Vernichtung. Theodorich siegte in dem südlichen Europa ebensowol durch die Härte und Festigkeit seiner Krieger als durch die Klugheit seiner Unternehmungen, so wie Timur und Ghenkis den größten Theil Asiens, die reichsten gesegnetsten Provinzen des Erdbodens unterjochten.
Eine der vornehmsten und bei dem gemeinen Krieger gewiß die erste Eigenschaft des Soldaten ist, daß er auch körperlich Mann sei; und wie kann er das, wenn schon sein Vater ihm die Erbsünde der Schwachheit in der Zeugung mitgetheilt, oder er als ein seidener Zögling der Weichlichkeit in seinen Knabenjahren seine künftige Consistenz durch Quintessenzen der Apotheke oder der Confectbude zernichtet hat und seine Hand kaum zitternd die Feder führt, anstatt das Schwert zu ziehen. Die Geschichte der Völker und ihrer Revolutionen zeigt dieses, daß von dem Heerführer bis zum Troßbuben ein Schwächling im Kriege nirgends an seiner rechten Stelle stehe. Man sage ja nicht, daß unser jetziges Kriegssystem sehr viel geändert habe, und daß Muth und körperliche Festigkeit bei unserer unseligen Taktik nichts mehr entscheide. Die neuere Kriegsgeschichte hat Beispiele in Menge, es zu widerlegen. Ein Bataillon schwacher Halbsiechen wird trotz den Bajonnetten von jedem guten feindlichen Pulk Reiterei geworfen werden; kraftvolle, muthige, wohlgeübte entschlossene Leute jagen ihn mit blutigem Verlust zurück. Der Arm der Entnervten ist bei dem sechsten Schusse losgespannt, aber die Sehnen der abgehärteten Veteranen halten fest und werfen ununterbrochen Feuerhagel wie aus der Hölle in die Glieder der Feinde. Aber ich suche eine Sache zu verfechten, an welcher vermuthlich Niemand zweifelt. Nicht immer ist die größte Körpermasse auch das Maß der größten Stärke, Haltbarkeit und Dauer. Es ist vielmehr eine sehr richtige Bemerkung, daß übergroße schwerbeladene Maschinen, wie Horaz vom römischen Reiche sagt, meistens durch ihre eigene Last fallen. Man trifft Festigkeit der Knochen und Spannkraft der Sehnen fast immer mehr bei glücklichen Mittelstaturen als bei den patagonischen Figuren an, und die gigantischen Gallier, wie man sie dem Cäsar beschrieb, waren deswegen nicht die Krieger, die gegen die Legionen der Römer aushalten konnten.
Es braucht fast keiner Erinnerung, daß Officier und Soldaten von auffallenden körperlichen Fehlern frei sein müssen, da die Natur der Sache selbst es auch dem Kurzsichtigsten zeigt und die Uebereinstimmung aller Nationen bei ihren militärischen Werbungen dieses als das erste Requisit festgesetzt hat. Vegez, der trotz allen Beschuldigungen, die ihm gemacht werden, doch wol nicht bloßer Compilator war, hat darüber in seinem Werkchen manche sehr wahre Bemerkung für die Reform der damals schon herabgesunkenen römischen Kriegszucht. Ein Schwerhörender versteht das Commandowort nicht, und es fallen hundert Ereignisse auch außer der Fronte vor, wo das Schicksal einer ganzen Menge davon abhängt, daß ein Befehl schnell und richtig verstanden und ebenso ausgeführt werde; ein halbvernommener und übelverstandener Befehl kann aber durchaus nicht gut ausgeführt werden. Ein sehr respectabler preußischer Officier, der selbst bei der Schlacht gewesen ist, hat mir versichert, der große Verlust der Preußen in der Attake der russischen Batterien bei Zorndorf sei vorzüglich daher gekommen, weil der General, der den Angriff commandirte, ein sonst einsichtsvoller, würdiger Befehlshaber, wegen seiner Kurzsichtigkeit nicht die Position selbst sehen konnte, sondern auf Rapport seiner Adjutanten, die vielleicht nicht richtig gesehen oder nicht bestimmt genug rapportirt hatten, auf den bedingten Befehl des Königs sogleich der Reiterei Ordre zum Anrücken gab. Die Folge davon war, daß eine Menge der bravsten Soldaten und wackersten Officiere von den russischen Kartätschen niedergeschmettert wurden, ohne einen Säbelstreich thun zu können, und daß ein Regiment, welches ganz vollzählig an Mannschaft und Officieren ausgerückt war, von einem Stabskapitän wieder aus dem Feuer geführt wurde.
Es ist nicht der schöne Mann, der den guten Soldaten macht: der Soldat auf der Parade ist von dem Soldaten im Felde, auf dem Marsche und in der Schlacht unendlich verschieden. Aber doch ist immer sehr leicht zu hoffen, daß ein junger, schöner Mann voll blühender Gesundheit auch ein guter dauerhafter Soldat sein werde. Derjenige ist es, der den Ehrennamen eines Kriegers vorzugsweise verdient, dessen Knochen durch Arbeit gestählt sind, dessen Haut durch Frost und Hitze, Regen und Sturm die Milchfarbe der Liebesritter verloren, dessen Muth durch Gefahren immer größer geworden, der wenig hofft und nichts fürchtet als den Flecken, den Pflicht und Ehre durch sein Uebelverhalten bekommen könnten.
Ich schließe das Physische und gehe zu dem Moralischen über oder zu den Gaben der Seele und des Geistes, die man an einem jungen Krieger zu erwarten berechtiget ist. Oft kämpft der Muth und die Geistesstärke mit allen physischen Hindernissen, und ein Mann von schwächlicher Gesundheit hebt sich unter seinen körperlichen Mängeln zum Helden empor; und oft ist ein Subject der herrlichsten schönsten Physik ungeachtet ein Feigling und in Rücksicht des Kriegs und der Verteidigung des Vaterlandes für Freunde und Vaterland verloren; ein Beweis, daß der Körper allein nicht den Soldaten macht, und daß der Kriegsmann ohne dazu gestimmte Seele ein Instrument ohne Saiten ist. Ich habe oft sagen gehört: Ein Genie steht überall an seinem rechten Orte; welches eine Unwahrheit ist, so groß, als sie nur je das oberflächliche Urtheil eines Anspruchmachers sagen kann, wenn ich anders den Begriff des Wortes Genie recht gefaßt und ihn von dem gewöhnlichen guten Kopfe richtig getrennt habe. Genie ist ein göttlicher Funke in der Seele eines Menschen, in irgend einem Fache mit unerhörtem Glück zu arbeiten. Es giebt also der Arten des Genies so viele, als es Fächer des menschlichen Erkenntnißvermögens und des menschlichen Wirkungskreises gießt, und Alexander der Kupferschmied kann in seinem Metier, in der Erfindung und Darstellung seiner Formen ebenso sehr ein Genie gewesen sein als Alexander der Macedonier in seinem Fache bei dem Uebergange über den Fluß Granikus und Milton in seinem »Verlornen Paradiese«. Nicht jeder gute fertige Kopf ist gleich ein Genie; und man theilt diesen Titel sehr verschwenderisch aus, wenn man einen Mann, der durch Fleiß, Application und Nachahmungsgeist es zu einem beträchtlichen Grade in einer Kunst gebracht hat, sogleich als ein Genie adelt. Wir haben der Genies in den verschiedenen Fächern sehr wenige und noch weniger der Universalköpfe; daher der Cäsarn ebenso wenige als der Homere. Wenn also ein junger Mann ein Kriegsgenie ist, so ist von ihm gar nicht mehr die Rede. Das Genie ist eine Lieblingsgabe des Himmels, die er in Jahrhunderten nur sehr sparsam austheilt; es durchspäht in seiner Sphäre sogleich alle Labyrinthe der Sache, zertrümmert Regeln und wird selbst der Maßstab neuer Grundsätze, zerbricht die alten Fesseln und öffnet seiner weitumfassenden Kraft ganz neue Schranken. Man mache die Anwendung auf alle Arten der Genies von Newton dem Weltenentdecker bis zum Pariser Modeschneider, dessen erfinderischer Kopf ein neues Modell von Frack erschafft und damit das südliche westliche und nördliche Europa beschenkt, und man wird die Richtigkeit der Bemerkung nirgends vermissen. Auch haben schon längst neuere Philosophen und Aesthetiker diese Sache gehöriger näherer Bestimmung gewürdiget. Wenn man in irgend einem Fache helle und treffliche Köpfe braucht, so ist es gewiß im Militär. Ein Dummkopf ist zu nichts gut, am Allerwenigsten zum Soldaten, wenn man ihn nicht als die allerletzte geringste Maschine in dem großen Triebwerke des Kriegs auf ewig brauchen will; und auch da ist ein Pinsel immer ein erbärmlicher Kerl, was auch manche politische Salbader darwider sagen mögen. Man muß sorgfältig Unwissenheit und Dummheit von einander unterscheiden. Freilich wird ein gemeiner Flintenträger mit Pufendorf's oder Leibnizens Wissenschaften und Begriffen nicht wohl an seiner Stelle stehen; indessen sehe ich nicht ein, welchen Nachtheil ihm und der Disciplin Pufendorf's und Leibnizens Geist bringen würde. Wer Gelegenheit gehabt hat, in Lagern, auf Märschen, auf Wachten, ja sogar bei Gefechten und im Treffen auch den gemeinen Mann der Armeen zu beobachten, der wird sicher bemerkt haben, welche Laune und Jovialität, welcher ächte, natürliche Witz und welche beißende Satire zuweilen unter der Gesellschaft durch die Glieder läuft, wenn auch das Gefühl ihrer Sittsamkeit nicht immer die Norm des Katechismus hält, die Wendungen nicht immer so fein gedrechselt und die Sentenzen nicht attisch gewürzt sind. Wenn also ein Vater seinen Sohn, gegen dessen Kopf und Herz die Natur stiefmütterlich gehandelt hat, zum Krieger, zum Vertheidiger seines Vaterlandes bestimmt, so verdammt er ihn entweder, ewig in den Subalternstellen herumzukriechen, oder setzt, wenn sein Interesse ihn trotz seines Stumpfsinns hervorzuziehen im Stande ist, das Vaterland in die größte Gefahr, indem er die wichtigsten Geschäfte in die Hände eines Mannes liefert, der weder Begriffe noch Selbstständigkeit genug hat, um seine Pflichten zu sehen und zu erfüllen. In allen übrigen Fächern des menschlichen Lebens, sagt der alte Cato bei dem Vegez über diesen Punkt, kann man die Fehler wieder gut machen, aber im Treffen folgt die Strafe augenblicklich unvermeidlich auf das Versehen, und ein solches Versehen gilt oft das Leben von Tausenden, das Schicksal der Schlacht, das Wohl des Vaterlandes. Man sage ja nicht, daß außer dem Heerführer bei großen Vorfällen alle Uebrigen Maschinen sind. Die dieses behaupten, können unmöglich einen richtigen Begriff von den taktischen Ausführungen haben; ihr ganzes System müßte denn grober Materialismus sein. Freilich braucht der Subaltern nicht immer, soll nicht immer den Plan des Ganzen übersehen; aber wer könnte ihn in seinem Gesichtskreise so sehr zur Drahtpuppe herabwürdigen, daß er sich von der Ordonnanz blind herumgängeln ließe, ohne sich um die Position, auch nicht einmal seines Corps, um ein Jota zu bekümmern, und von dem Zusammenhange so viel richtig zu vermuthen, als ihm die Kenntniß des Bodens und die Hauptlage der Parteien Anlaß geben können. Und es ist ja nicht immer große Schlacht. Der kleine Krieg hat tausend Vorfälle, wo auch der Subaltern, wo selbst der gemeine Mann auf seinem Posten eine Aufmerksamkeit und einen Scharfblick nöthig hat, der nicht das Loos der Stiefkinder der Natur geworden ist.
Wenn ein junger Mensch sich selbst zum Soldaten bestimmt, so ist immer Zehn gegen Eins zu wetten, daß er auch mit der Neigung die gehörigen Anlagen dazu von der Natur erhalten habe. Es gilt diese Vermuthung von der Bestimmung zu allen Metiers, vorausgesetzt, daß junge Leute vorher nur einige Kenntniß von dem Stande haben, den sie zu wählen gesonnen sind. Wenn aber Eltern ihre Söhne dem Militär zu widmen Willens sind, so müssen sie, das Körperliche gehörig erwogen, mit der größten Sorgfalt ihre Talente und Neigungen auszuspähen suchen, damit sie dieselben nicht in eine Laufbahn bringen, die künftig das Unglück ihres Lebens macht und wodurch sie dem Vaterlande höchstens nur mittelmäßige, verdrossene, lasse Vertheidiger geben. Man gebe Achtung, welche Studien und Wissenschaften dem jungen Kopfe vorzüglich behagen, in welchen er die meiste Nahrung, das meiste Vergnügen findet. Der Schmetterlingssammler, dem es noch bei dem Abendbrode bitter wurmt, daß ihm den Nachmittag ein schönes Pfauenauge durchgegangen ist, verspricht wol sehr wenig für die Kriegsschule. Wenn der Knabe lieber die Geschichtchen aus meiner Mutter, der Gans, als die Erzählung von Prinz Eugen's Heldenthaten hört, so hat ihn die Natur vermuthlich zum frommen christgläubigen Mönch, aber nicht zum Krieger gestempelt. Wenn er den Aristoteles dem Thucydides vorziehet, wenn er lieber Fleury's »Kirchengeschichte« als Voltaire's »Henriade«; lieber Bodmer's »Noachide« als Klopstock's »Hermann« liest, so mag er ein recht guter systematischer Amtsgelehrter in der Knotenperücke oder im Kragen vor den Gerichtsschranken werden, aber Soldat wird er schwerlich. Selbst Mathematik ist nicht immer eine sichere Gewährung für die Neigung und die Gaben eines jungen Menschen zum Militär. Mancher trockene Kopf demonstrirt sich an dem Pythagoreischen Lehrsatz wüste und berechnet Sinus, Tangenten und Parabeln, ohne es sich nur ein einziges Mal einfallen zu lassen, Anwendung davon auf ein Feldstück oder einen Bombenwurf zu machen. Wenn aber dem jungen Manne aus der Geschichte solche Stücke die meiste Beschäftigung geben, wo der Kriegsgeist irgend eines großen Mannes fast unüberwindliche Hindernisse übersteigt, wo die menschliche Natur in der größten Spannung der Kräfte des Körpers und der Seele mit dem Verhängnisse ringt; wenn ihm Leonidas mit seinen Spartanern bei Thermopylä mehr werth ist als alle sieben Weisen Griechenlands und alle philosophischen Secten; wenn seine Stirne glühet bei der Erzählung einer großen ruhmwürdigen That und er nach Wirkung dürstet: so hat die Natur ihm den Keim eingepflanzt, aus dem künftig der patriotische Krieger gezogen werden kann. Wenn er aus der Größenlehre das alltäglich Wahre übersieht und wie ein Falk an den Sätzen hängen bleibt, die Beziehung auf Taktik und Operation haben, wenn er dieselben enthusiastisch aus der trockenen Reihe der übrigen herausreißt und sie in seiner Phantasie zur Anwendung überträgt, so verspricht er die Absichten seines Vaters zu erfüllen, der in ihm dem Vaterlande einen wackeren Vertheidiger stellen will. Ein junger Kriegskopf wird sich vorzüglich mit Allem sehr gern beschäftigen, was seiner Seele Schwung, seinem Herzen Feuer, Enthusiasmus und Muth geben kann. In der Gemäldesammlung hat ein Scipio und Hannibal für ihn mehr Interesse als alle Magdalenenköpfe, ein schroffes Felsenstück mehr Anziehendes als die schönsten zauberischen Gegenden der Hirtenthäler. Er sieht lieber Shakespeare's »Macbeth«, und das blutige furchtbare Ende eines verirrten Ehrgeizigen als Moliere's launige beißende Stücke. Er lieset lieber die Reden der Feldherrn an ihre Soldaten vor der Schlacht und ihren schrecklichen Ausgang als Geßner's Idyllen und läßt sich immer lieber die Streitfrage der Pulvererfindung als der Buchdruckerkunst vortragen.
Es ist keinesweges geradezu ein Zeichen eines künftigen Klosterkopfs oder eines bestaubten Pedanten, wenn der junge Mann in der alten Literatur und in Erlernung alter Sprachen Vergnügen findet, wenn ihn das Studium der Philosophie, der Musik oder der Dichtkunst beschäftiget. Friedrich der Zweite, den hoffentlich Niemand der Schulpedanterei beschuldigen wird, bedauerte es noch in seinem Alter, daß er nicht das Meisterwerk des Tacitus in der Grundsprache lesen konnte, da alle Übersetzungen von dem Genie dieses Schriftstellers und seiner kraftvollen Kürze so wenig liefern. Wenn aber ein junger Mensch aus den Alten nur müßige Varianten und Grammatik herausklaubet, wenn er den großen vortrefflichen Sinn ihrer Werke nicht stehet und fühlt, den Kern fallen läßt und an der Schale nagt, so scheint ihn fast die Natur zum Schulwurm und nur wenig zum Weltbürger gemacht zu haben. Der junge Soldat, den sein Schicksal zu einem Marlborough oder Turenne ziehen soll, wird von allen abstrakten Dingen nur so viel Theorie geflissentlich suchen, als ihm zur Praxe in seiner Sphäre nöthig ist, und das Uebrige blos als Unterhaltung in den Mußestunden ansehen und um in keinem Dinge gänzlich Idiot zu sein.
Der Soldat darf deswegen immer Philosoph, Dichter, Musiker sein, ebenso wie alle diese Köpfe Soldaten sein können. Friedrich war Alles. Wenn Horaz, der Odensänger, und der Secretär Karl's des Zwölften Memmen waren, so ist es nicht notwendige Folge, daß dieses auch alle ihre Collegen sein müssen. Sokrates war, wie bekannt, der bravste Krieger, der bei dem Rückzuge selbst seinem Schüler Alcibiades durch seinen Muth und seine Geistesgegenwart das Leben rettete; und wenn alle Athenienser bei Potidäa so wacker als der philosophische Glatzkopf gefochten hätten, so würde vermutlich das Treffen mehr zu ihrem Vortheil ausgefallen sein. Die Alten geben ihm das gerechteste Lob, ein Zeichen, daß Philosophie und Waffen nicht Antipoden sind. Cartes war ein braver Officier, ehe er ein großer Weltweiser wurde. Kleist, der Dichter, ist bekannt, und Kleist, den Krieger, nennt noch mancher alte Kamerad mit einem Ausbruch herzlicher, bitterer Wehmuth. Alle Unparteiischen halten Lager und Feldzüge für die beste pragmatische Bildung junger Leute zu jedem Fache. Mehrere alte Nationen, und besonders die Römer, nahmen in ihren Gesetzen darauf Rücksicht und machten es allen Candidaten zu Civilbedienungen zur Bedingung, daß sie in der Armee gewesen sein mußten; und unter den Neuern sind die Russen die ersten, die diesem weisen Beispiele folgen. Was Musik über Menschenseelen vermag, ist dem rauhesten Soldaten ebensowol bekannt als dem feinsten Psychologen, ob jener gleich nicht es so zierlich in ästhetischen Sätzen auflösen kann als dieser. Der Soldat kann also in allen diesen Fächern mit großem Vortheil für sein Hauptfach erfahren sein; wenn er es sich aber zum ersten Ehrenpunkt macht, in einem oder gar in mehrern ausgezeichneter Virtuos zu werden, so ist er wenigstens nicht mehr mit ganzer Seele der Soldat, der er ohne diese Grille gewesen sein würde.
Besonders bei der Wahl der Lectüre zeigt sich der künftige Mann. Wer den Varro dem Polybius vorzieht, wird als ein braver würdiger Mann auf seinem väterlichen Lande seinen Kohl bauen können, aber schwerlich künftig eine große Rolle in einem Kriegsspiele übernehmen. Wenn der Knabe, der mit dem Meßzeug seine Kameraden durch Felder und Wälder begleiten soll, an dem Bache sitzen bleibt, Kräuter sammelt, sie zergliedert und darüber Untersuchungen anstellt, so mag er vielleicht wol ein recht liebenswürdiger Hans Jacob Rousseau werden oder als Botanikus mit Cook um die Welt segeln, aber schwerlich wird er sich mit Cook brav und entschlossen schlagen. Wenn der Junge seine Geographie lieber in einer guten Karte als nach dem Compendium lernt, wenn er Lagen und Entfernungen mißt und sie in Märsche eintheilt, wenn er die Brücken der Flüsse und die Durchgänge der Bergketten sucht, wenn er bei den Producten mehr nach Korn und Stahl und Eisen als nach Gold und Seide fragt, wenn er neugieriger ist, von Gewehrfabriken und großen Tuchmanufacturen als von Nachmachung indischer Stoffe zu hören: so berechtigt er seinen Vater, der ihn zur Armee schicken will, zu Erwartungen; wenn er aber Schritt vor Schritt dem Büsching folgt, die Merkwürdigkeiten und Seltenheiten der Länder und Oerter an den Nägeln zählt, Errichtungen von Akademien, Theatern und Handelsinstituten studirt, den Geburtsort jedes Weines und das Grabmal jedes großen Mönchs weiß, den höchsten Thurm und die größte Glocke nennt: so mag er Antiquar, Prälat, Kaufmann oder auch Polizeimeister werden, der Kriegsdienst scheint nach eben angeführten Symptomen an ihm wol nicht viel zu verlieren.
Noch will ich über die Neigungen und das Benehmen junger Leute im Häuslichen und Gesellschaftlichen einige Bemerkungen beifügen, von denen ich glaube, daß sie in der Frage, ob sie zum Militär geschickt seien, etwas bestimmen können. Ein sehr gutes, vielversprechendes Zeichen ist für die Erwartung eines Vaters, der seinen Sohn dem Militär zu widmen gesonnen ist, wenn der junge Mensch immer friedlich, ernsthaft, ruhig und stille sich beträgt. Niemand wird darinne Widerspruch finden, wenn ich behaupte, daß kein Mensch den Frieden mehr lieben müsse als der Krieger. Ich verstehe hier nicht, daß er träumerisch und kopfhängerisch wie die Frömmelei und der Stumpfsinn daherschleiche, daß ihm Alles, was ihn umgiebt, ganz gleichgiltig sei, und daß er ohne alle Empfindung und Theilnahme auf die Gegenstände um sich kaum herumblicke: ich verstehe die feste Selbstbeständigkeit, daß ihn nichts aus den Schranken der Vernunft und Mäßigung herauszutreiben im Stande sei, daß er sich immer darinne selbst gleich bleibe. Der Zweck des Krieges ist Friede, und wehe Dem, dem der Zweck des Friedens Krieg ist! Es ist eine unselige Leidenschaft für ein Wölkchen Nebel von Ehre, Menschen opfern zu wollen, und Händel anzufachen, um sie mit Blute wieder zu schlichten; denn eine andere Schlichtung kennt der Soldat als Soldat nicht. Ernst ohne Pedanterei macht ihn bei Jedermann, bei Obern und Kameraden beliebt und setzt seine übrigen guten Eigenschaften in ein helleres vorteilhafteres Licht; deckt vielleicht zu seinem großen Nutzen manchen kleinen Fehler zu, den er ins Künftige durch wiederholte Bemühungen erst ablegen wird. Ernsthaftigkeit ist dem Kriegsmanne, was Beredsamkeit dem Volkslehrer ist. Schon auf seiner Stirne liest man, wie man sich gegen ihn zu benehmen hat und über welche Gegenstände und in welchem Tone man mit ihm sprechen müsse. Ruhe läßt ihn Alles reifer und genauer überlegen als leidenschaftliche Heftigkeit, und die künftige ruhige Aufmerksamkeit des Mannes zeigt sich schon in dem Knaben in den kleinsten Schattirungen seines kleinen Wirkungskreises. Der Knabe, der in der größten Hitze jede kleine Streitfrage mit scholastischer Impertinenz bis zum letzten Jota ausficht, wird vielleicht mit ersprießlicher Züchtigung ein guter spekulativer Philosoph oder ein fertiger Sachwalter werden, aber zum künftigen Soldaten fehlt ihm noch etwas Wesentliches. Schon im gewöhnlichen menschlichen Leben zieht Derjenige, der eine Sache kalt und unbefangen mit nichts als Wahrheitsliebe untersucht, immer das sicherste Loos, und der bescheidene Forscher setzt seine Spur selbst gegen den erbittertsten Widersacher fast immer mit Glück durch: wie sollte nicht Ruhe in den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens und der bürgerlichen Gesellschaft, von denen oft das Wohl oder das Wehe ganzer Staaten abhängt, die besten Mittel finden, der Gefahr, wenn sie zu übersteigen ist, die Stirne zu bieten, oder ihr mit Ehre zu entgehn, wenn sie alle physischen und moralischen Kräfte unsers Widerstandes überwiegt! Ich glaube oft schon selbst die Bemerkung gemacht zu haben, daß bei der Uebung oder der Ausführung kleiner Manöver allezeit diejenigen Officiere am Besten fuhren, die ohne Hitze mit strengem Ernst ihre Arbeiten verrichteten, sich ganz gleich blieben bei jedem verdrießlichen mißlungenen Versuche, ihre Leute nicht ihre üble Laune entgelten ließen, Fehler als Fehler gesetzmäßig strenge und nicht als Verbrechen bestraften, nicht Dutzende oder Schocke Teufel lächerlich zu Hilfe nahmen und mit Unsinn Flüche herdonnerten, über die der Soldat sich nur deswegen in die Brust warf, um das Lachen zu verbeißen. Ein Wort vom Fluchen.
Ueber das Fluchen scheinen selbst gute große Officiere uneinig zu sein. Einige glauben in der That, daß dem gemeinen Manne durch dergleichen Popanze Schrecken eingejagt werden müsse, um nicht zu oft seine Zuflucht zu thätigen Züchtigungen nehmen zu dürfen. Ohne mich eben an den Katechismus und die Gesetzbücher Moses zu halten, darf ich behaupten, daß die meisten dieser Ausdrücke entweder ganz ohne Sinn oder voll häßlichen Sinnes sind, und wie man Beides zum Mittel der Disciplin machen müsse, kann ich nicht begreifen; man müßte denn völlig der Meinung sein, daß Dummheit, Aberglaube und panisches Schrecken vor aller Ordonnanz die drei Haupttriebfedern zur Bravheit für den gemeinen Mann sein müßten; ein Irrthum, der sich einst fürchterlich lösen könnte, und leider schon oft gelöst hat, wie die Völkergeschichte durch mehrere Beispiele lehret. Wenn der Soldat gehörige Begriffe von seinem Dienst, seiner Pflicht und ihrer Verbindlichkeit hat und einsieht, wie nothwendig und festgewebt der Gehorsam jedes Einzelnen und also auch der seinige zur Festhaltung des Ganzen oder wenigstens zu seiner eigenen Sicherheit sei, so wird er sich nicht einfallen lassen, etwas zu wagen, was seine Kameraden und folglich auch ihn in Gefahr bringen könnte. Und wenn sich sein Verdruß oder seine Leidenschaften verirren sollten, so wird ihn doch kalte Strenge mit der eisernen Zucht gewiß eher zur Besinnung führen als nichtssagende Verwünschungen, welche das Gehirn nur noch mehr benebeln. Ich habe manche brave Officiere gekannt, die unter ihren Leuten das Muster der Disciplin und Ordnung aufstellten, die in den Kriegsübungen Alles mit der pünktlichsten Genauigkeit nahmen, die fürchterlich strenge gegen jeden Dienstfehler waren, die man aber fürchtete, ehrte und liebte, weil sie gerecht waren, und aus deren Munde ich nie einen Fluch gehört habe. Es ist jetzt nicht mehr die Zeit, wo man das Autosepha für den Officier aus dem Katechismus oder aus den Büchern Moses' holen kann; aber an ihre Vernunft und ihre Philosophie darf man doch appelliren, und hier werden sie das Lächerliche, Unsittliche und Unsinnige der Flüche gar nicht verkennen. Mancher junge Wildling hält es durchaus für militärisch nothwendig, einen reichhaltigen Vorrath ausgesuchter Kernflüche zu besitzen und gehörig vor der kleinen Fronte oder in Gesellschaft auszuspenden, damit Niemand die Aechtheit seiner Degenquaste in Zweifel ziehe.
Ich rechne ferner zu den guten Symptomen für die Kriegsbahn bei jungen Leuten einen edlen Stolz. Stolz ist Gefühl seines Werths und ist immer Tugend und lobenswerth; und da, wo er aufhört es zu sein und aus seiner Grenze tritt, wo man seinen Werth lächerlich überschätzt, verdient er nicht mehr diesen ehrenvollen Namen und wird aufgeblasene Selbstsucht, Einbildung, Hochmuth und Eigendünkel, welche zuweilen bis zur Geckerei steigen. Ich überlasse es den Weltweisen, diese Begriffe zu berichtigen, und sage meine Meinung, ohne damit unduldsam und zudringlich gegen Andere zu sein. Die Sache verdient wohl eine nähere Würdigung, und noch Keiner von Allen, die ich kenne, scheint hier ganz genau unterschieden zu haben, obgleich die Peripherie meiner philosophischen Belesenheit eben nicht groß ist und es folglich doch wol geschehen sein könnte. Nach dieser Bestimmung des Begriffes finde ich, daß Stolz bei dem Knaben, gesetzt auch, daß er dann und wann etwas an Dünkel und Eitelkeit grenzen sollte, viel verspricht, weil ihn die Philosophie, die künftige Vermehrung der Kenntnisse, die Ausbildung der Talente und die Einsicht, wie wenig der größte Polyhistor doch immer noch weiß, leicht in seine gehörigen Schranken zurückführen werden. Der Kopf, der in sich nichts fühlt, wird nicht stolz sein. Man mißbraucht den Ausdruck sehr oft und setzt Stolz, wo blos Einbildung, Phantasterei oder ähnliche schon erwähnte Ausdrücke stehen sollten. Der Knabe also, der dann erst wegen des Fehlers um Verzeihung bittet, wenn er ihn einsieht, sich nicht gleich von dem Machtworte des Hofmeisters niederschlagen läßt, der sodann immer noch mit einer gewissen edlen Freimüthigkeit ohne kriechende Niedrigkeit verspricht, künftig aufmerksamer und consequenter zu sein, ist Derjenige, von dem der Kriegsdienst gerechte Hoffnung haben darf. Der Knabe, der lieber eine Brodrinde im Winkel verzehret als sich zu einer wohlriechenden Wildpastete zu Gaste bettelt, der lieber mit dem Hute oder der Hand aus dem Bache schöpft als sich um ein Glas köstliches Getränke necken läßt, der unter keiner Strafe murret und über keine Belohnung jauchzt, dem schon jetzt seine Pflicht seine Pflicht gilt, und der sich um Alles links und rechts nur so viel zu bekümmern scheint, als in seinen Kram taugt, der keinen Schritt weicht, als bis ihn physische Gewalt oder Vernunftgründe aus seiner Haltung zwingen: ein solcher Knabe wird einst als Soldat mit der letzten Hartnäckigkeit seinen Posten behaupten und, wenn die Uebermacht ihn niederdrückt, den Feinden ein blutiges Monument seines militärischen Glaubens hinterlassen. Wenn der Junge schmeichlerisch an dem Arm des Hofmeisters hängt und nach oft wiederholten Weigerungen ihn noch immer um eine kleine Freiheit bittet, wenn er der Ruthe zu entgehen die Hände faltet und eine pädagogische Litanei singt, wenn er, um einen Fehler gut zu machen, einen neuen begeht oder ihn unter einem Winkelzuge, der der Lüge so ähnlich sieht, zu decken sucht: so mag er sich in die Schreibestube setzen, oder mit Bengel und Sebaldus Nothanker die Apokalypse studiren, in dem Handwerke der Waffen wird er durch eigene Selbstständigkeit nie etwas Bedeutendes leisten.
Auch eine gewisse stoische Härte und Selbstverleugnung, meistens im Gefolge dieses edlen Stolzes, sind die besten Vorbedeutungen für junge Leute, die sich dem Kriege bestimmen wollen. Sie werden nicht so stockstoisch sein, daß sie sich systematisch mit einigen Fablern der Alten einbilden sollten, Schmerz sei nicht Schmerz und Freude nicht Freude. Auch war dieses gewiß nie der Geist der ächten Stoa, so viel auch hin und wieder der redselige Cicero darüber geschrieben hat, der doch unter allen seinen Zeitgenossen der feigste Weichling war und einen großen Theil seines Lebens durchwinselte, bis er noch endlich in einem stoischen Raptus den Kopf zur Sänfte herausstreckte und sich von dem Tribun des Antonius ziemlich gelassen den Halswirbel trennen ließ. Von dem Capitol konnte er gegen den Catilina herabdonnern, da alle Stimmen und alle Hände Rom's zu seiner Verteidigung sich hoben und den Consul gegen den Angriff einer kleinen Rotte sicherten; aber in Cilicien hielt er die Zerstreuung einer Räuberbande, von der er selbst keinem entschlossenen Mörder starr ins Auge gesehen hatte, für eine Heldenthat, wegen welcher ihm der Senat den Triumph zuerkennen sollte. Die Lacedämonier waren unter den Alten Diejenigen, die sich in der Erziehung ihrer Söhne vorzüglich in dieser Rücksicht als die bravsten Krieger auszeichneten. Xenophon ist in seinem Aufsatz über ihre Republik und sonst gelegenheitlich voll von Beispielen der stoischen Härte und Standhaftigkeit der spartanischen Knaben, die sich lieber zergeißeln und zerfleischen ließen, als daß sie nur den geringsten Laut eines kleinmüthigen Schmerzes von sich gegeben hätten. Wenn der Knabe im Sommer keuchend die Geißblattlaube und im Winter zitternd den Ofen und den Kamin sucht, wenn der Nordwind ihn in das nächste Zimmer jagt und ein herannahendes Hagelwetter seinen Puls doppelt schnell durch die Adern treibt, so hat der Krieg von ihm sehr wenig Hoffnung. Wenn er aber unbekümmert, ob seine Haut milchweiß oder schwarzbraun werde, in der Sonnenhitze der Hundstage sich herumtummelt; wenn er im großen Horne halbnackt dem Eise zufliegt, ob ihm gleich die Muhme die Kleider versteckt; wenn er nach einem Falle trotzig das Blut von der Nase wischt und seinen Wettlauf weiter fortsetzt; wenn er, ohne Sorgen über des Feldschers Verband und der zärtlichen Schwester Wehklagen, seinen Weg fortschlendert: so verspricht er in sich dem Mars einen würdigen Zögling. Eine Weidmannsnacht im kalten Winter läßt ihn nicht wimmern, und ein Strohlager oder eine Diele macht ihn nicht den Verlust seines Flaumenbettes bejammern. Er hat nicht erst nöthig, sich die großen Männer der alten und neuen Geschichte vorzustellen, um ihnen nachzutreten: er findet in sich selbst Stimmung und Kraft genug, und ihr Beispiel ist ihm blos Bestärkung seines richtigen Ehrgefühls. Sodann rechne ich zu den guten Zeichen eine gewisse Gleichgültigkeit gegen Tisch und Küche. Wen der Hofmeister oder Papa mit dem Mangel einer Mahlzeit strafen kann, wer dabei noch etwas mehr als gekränktes Ehrgefühl leidet, der ist nicht für das Feld. Ein harte gefundene Brodrinde ist dem Knaben, den die Natur für den Krieg geschaffen hat, schon Ersatz für die Menge niedlicher Schüsseln, die der geschmackvolle Koch auf den väterlichen Tisch liefert, und Zwiebelröhren, Gartenrettige und Kohlrüben entschädigen ihn hinlänglich für eine Fleischpastete. Nicht als ob ihm nicht ein gutes Gericht lieber wäre als ein schlechtes und Haberlaib und Grützwurst schmackhafter als Kernbrod mit westphälischem Schinken: er wird aber doch bei jenen nicht hungern, so wenig als er bei der Schüssel von dreiunddreißig Quintessenzen schwelgen wird. Apitius wird nie ein Cäsar, wenn auch Cäsar zuweilen auf eine halbe Stunde Apitius sein dürfte. Einfache, schlechte, nahrhafte, feste Kost ist dem künftigen Soldaten immer die liebste, die sein gesunder Magen herrlich verarbeitet, bei der er sich immer leicht, wohl und munter findet, von keinen Uebelkeiten weiß und wie ein Hurone umherläuft, die seinen Knochen Mark und seinen Sehnen Spannkraft giebt, und die er sich in allen Verhältnissen selbst leicht zu verschaffen hoffen kann. Wehe dem Muttersöhnchen im Felde, das schon zu Hause über jedes Gericht mit Superfeinheit des Gaumens krittelt, das schon von ferne mit der Nase beurtelt, daß die Suppe oder der Reisbrei nicht mit ganz frischer Butter geschmelzt ist, und dem ein nicht nach seiner Methode gebackenes Brod oder zubereitetes Gericht sogleich Magendrücken und Uebelkeiten verursacht! Wie wird dem im Lager und auf Märschen laues, schlechtes Wasser behagen, der mit eklem Gaumen den Wertheimer und Johannisberger prüft und genau bestimmt, daß man ihm nicht von dem rechten Jahre gegeben habe? Der Krieg ist zwar immer eine gute Schule der Geduld, Zufriedenheit und Gnügsamkeit in jeder Rücksicht; aber wie sehr leidet der Dienst, wenn er in seine Zucht ganz rohe antipodische Schüler bekommt, bei denen die Weichlichkeit der Jugend alle Keime zu diesen Tugenden erstickt hat! Vortrefflich ist es, wenn Väter bei ihren Söhnen, überhaupt und vorzüglich bei denen, die sie dem Felde widmen wollen, alle Anlagen zu dieser Einfachheit und Schlichtheit der Lebensart finden; und ihre Pflicht erfordert es, sie darinnen durch Gründe und Beispiel immer mehr zu stärken und weiter zu bringen. Nicht der Soldat allein, sondern auch jeder Andere in bürgerlichen und häuslichen Verhältnissen wird die Wohlthätigkeit dieser Gewohnheit fühlen können; denn wer kann jedem die richtige Stunde und die Güte seiner Mahlzeit verassecuriren? Keine ist unter allen Leidenschaften kleiner und jämmerlicher, als der Sclav seines Gaumens und seines Bauchs zu sein.
Am Meisten verrathen den Knaben seine Spiele und seine Vergnügungen. Wenn Väter und Pädagogen, die ihren Kindern und Zöglingen richtige moralische Begriffe und Grundsätze eingepflanzt haben, nur auf diese Äußerung ihrer Neigungen, so versteckt sie auch zuweilen sein mögen, aufmerksam Achtung haben, so werden sie meistentheils den sichersten Schluß für die Bestimmung ihres künftigen Standes ziehen können und ihnen absichtlich geflissentlich nachhelfen, oder wenn individuelle Lage die Wahl unmöglich macht, ihnen frühzeitig entgegenarbeiten können. Ich verstehe unter diesen Spielen und Vergnügungen nicht die leeren Beschäftigungen der kleinen, noch halblallenden Kinder, bei denen jeder Gedanke noch in der Krise liegt, und die meistens sehr wenig mehr als bloßen Geschäftstrieb der jungen Menschenseele anzeigen, weil sich die Gedankenrichtung fast mit jedem Jahre der Kindheit durch die Verhältnisse nach der Einwirkung äußerer Gegenstände verändert; ich meine vielmehr ihre Lieblingsbeschäftigungen, ihre angenehmsten Erholungen in derjenigen Periode der Jugend, wo sie selbst schon anfangen, über Gelesenes, Gehörtes, Vorgetragenes und überhaupt über alle Gegenstände, die unter ihren Gesichtskreis fallen, Bemerkungen und Anwendungen zu machen. Wenn dann der junge Mensch mit dem Herrn Magister Kibbuz eine akademische Procession rothbemäntelter Professoren und bezepterter Pedellen lieber sieht als ein Regiment im Marsch oder eine Wachtparade, wenn er lieber die Luftpumpe als ein Gewehr anatomirt, wenn ihm ein zärtliches Violinenstück mehr Vergnügen macht als eine Feldmusik, wenn er lieber in den Concertsaal als auf den Exercierplatz geht, wenn er lieber in der Großmutter Bilderbuche blättert als mit seinen Kameraden Schlachten spielt: so mag er zu vielen andern Fächern Luft und herrliche Gaben besitzen, für das Militär scheint er mir verhältnißmäßig nicht viel zu versprechen.
Auch rechne ich noch zu den vortheilhaften Merkmalen in einem jungen Menschen für das Militär eine ununterbrochene Ordnung in seinen wesentlichen Geschäften und eine hartnäckige Pünktlichkeit in seinem Worte. Ich nenne dieses später, weil jeder Andere diesen Artikel ebenso nöthig und also mit dem Soldaten gemein hat; aber diesem ist er vorzüglich wichtig, je wichtiger, wohlthätiger oder gefährlicher für den Staat jederzeit seine Geschäfte sind. Ich verstehe durch Ordnung nicht jene kleinliche Aengstlichkeit, jenen widrigen Eigensinn, die gleichgiltigsten Dinge pedantisch an eine gewisse Gedankenschnur anzureihen, in dem Zimmer kein Blättchen Papier mehr rechts als links liegen zu lassen, keinen Strich in den netten niedlichen Schriftzügen zu ändern und keine neue Halsbinde auf einen alten Strumpf, bei Strafe des häuslichen Anathema, zu legen. Von dergleichen Leutchen sagt das Sprichwort mit Recht, daß sie Mücken seigen und Kameele verschlucken. Die Kleidung des Soldaten sei nett und reinlich, aber nicht geschnürt und geputzt. Die Sorge der Toilette überlasse er den Herren der Antichambre und den Mädchenjägern von Handwerk. Denn ein Mädchen, das man durch Anzug und Aufzug fangen kann, ist die Netze nicht werth, die man ihr legt. Es ist nicht Ordnung, wenn ein junger Mann eine halbe Stunde seine Schuhschnalle besieht, ob sie nicht eine Viertellinie zu schief gelegt sei; nicht Ordnung, wenn er mit dem Spiegel in der Hand den Haarvogt zwei Stunden über dem Meisterstück der Frisur geduldig brennen, kräuseln und drechseln läßt und sodann jedes Härchen mit Pariser Aesthetik mustert; nicht Ordnung, wenn er nach den Regeln der Trigonometrie eine halbe Stunde alle Falten der Halskrause abmißt und den Bedienten dreißigmal Dummkopf und Esel schilt, der nicht das Talent besitzt, die sinnreiche Phantasie des jungen Herrn auszuführen. Es ist Ordnung, wenn er alles Wesentliche zu bestimmter Zeit, mit bestimmter Pünktlichkeit, mit gehöriger Kürze besorgt, wenn er nichts auf morgen schuldig bleibt, was heute abgemacht werden sollte, wenn er keine Lücken in Geschäften läßt, die in den Verhältnissen des jungen Menschen ihm durchaus wichtig sind und noch wichtiger werden, da sie in Zukunft seinen Charakter bilden und ihm eine höchst wohlthätige oder höchst schädliche Richtung zu geben im Stande sind. Seine Worte müssen ihm heiliger sein als Eidschwüre am Hochaltare; und er wird lieber die größten Aufopferungen machen, lieber Alles wagen, als sein gegebenes Wort brechen, und dadurch seinen ganzen Charakter in dem Urtheile jedes Rechtschaffenen in ein höchst zweideutiges Licht setzen. Es ist bis jetzt immer noch ein besonderer Ehrenpunkt des Militärs, daß man das Wort eines Soldaten für unverbrüchlicher und einen Charakter für freier, offener, fester und männlicher – die feine Welt nennt es roher – hält als der meisten Uebrigen, die sich in den Labyrinthen der Höfe, den Winkeln der Schule und der Cabale der Rechtsschliche herumtreiben. Wo ist auch wol Vertrauen und Zuversicht auf gegebenes Wort nöthiger als bei dem Handwerke der Waffen, wo jeder Fehler fürchterliche Folgen haben kann und nicht allein den Kopf des Leichtsinnigen, sondern zugleich das Leben von tausend Andern in Gefahr des Verderbens stürzt. Wenn also ein junger Mensch mit der strengsten festesten Ordnung alle seine Geschäfte behandelt, mit seinem Versprechen nicht leicht ist, aber sodann hartnäckig dasselbe hält, so glaube ich, daß auch dieses ein sehr gutes, vorteilhaftes Zeichen sei, daß der Kriegsstand, wenn er sich demselben bestimmen will, etwas von ihm erwarten dürfe. Ich schließe diese kleine Schrift mit der Hoffnung, einige für Pädagogik nicht unwichtige Bemerkungen mitgetheilt zu haben. Nicht immer stehen bei jungen Leuten Neigung und Fähigkeit zu einer Sache in einem Verhältnisse; denn es ist, wie schon manche Psychologen richtig bemerkt haben, dieses sonderbare Bestreben in der Einrichtung unserer menschlichen Natur, daß wir immer am Meisten nach demjenigen jagen, was am Weitesten von uns entfernt ist, und dessen Erreichung uns außerordentliche Schwierigkeiten und Anstrengung kostet. Vielleicht liegt auch oft dabei eine stolze Anmaßung zu großen allgemeinen Kräften in uns zum Grunde. So will oft mit Gewalt der Mathematiker Dichter, der Künstler Polyhistor, der Redner Metaphysiker sein; und alle finden sich nicht selten höchlich beleidiget, wenn man ihnen das Compliment nicht nach ihrer Einbildung und Lieblingsgrille zuschneidet und es ihnen nicht in dem Fache bringt, in welchem sie glänzen – wollen. Zehn gegen Eins aber genommen wird man finden, daß Neigung und wenigstens einiger Grad von Tüchtigkeit zusammen gehen. Es ist also die Pflicht der Eltern und Führer, jungen Leuten das Fach, zu dem sie in ihnen Fähigkeiten und Neigung bemerken, mit Geschicklichkeit angenehm zu machen und es ihnen nicht durch Pedanterei jeder Art zu verleiden; denn sehr oft ist es blos die Schuld der Erzieher, wenn ihre Zöglinge zu dem Fache, in welchem sie etwas Großes leisten würden, sehr bald alle Lust verlieren und sich vielleicht ganz zufällig an eine Wissenschaft wagen, in der sie selten sich über das Gewöhnliche und Mittelmäßige erheben. Nichts ist häufiger, als daß man von einem jungen Menschen, der ein Wildling ist, dessen Leidenschaften unaufhaltsam wie ein Waldstrom daherbrausen und Alles, was widerstehen will, vor sich niederreihen, das erbauliche Prognostiken stellt: Er wird gewiß ein rechter Erzsoldat werden! Ich glaube allerdings, die beste Desperationscur für einen solchen Geist ist der Kriegsdienst, um entweder sich zu bessern oder – den Hals zu brechen; aber daß er mit jener Gemüthsverfassung als Soldat an seinem rechten Posten stehe, wird gewiß Niemand behaupten, der nur einigermaßen das Kriegswesen kennt oder nur vernünftig darüber nachzudenken fähig ist. Wenn der Unbändige diesen Stand wählt, so hat er eben die rechte Schule getroffen. Mancher dieser Herren ist zwar in dieser Rücksicht dem Dienste sehr viel Dank schuldig, weil er ihn noch zum vernünftigen, ernsthaften Manne gebildet oder gezüchtiget hat; aber ich zweifle, daß der Dienst ihm viel zu verdanken habe, und daß man dem Militär zu einem solchen Subject Glück wünschen dürfe.
Der Knabe also, welcher von Gesundheit glüht, dessen Nerven sich in Hitze und Kälte stählen, der selten den Spiegel zu seinem Rathgeber macht, sich weder um Milchhaut noch Sommerstecken bekümmert, dem schlechte Kost Lieblingsspeise ist, der nicht unter der Ruthe wimmert oder um sein Vesperbrod jammert, dessen Herz bei einem großen Gedanken und noch mehr bei einer großen und schönen Handlung sich zum Enthusiasmus hebt, der mehr handelt als spricht, dessen Wort wie ein Felsen steht, der Menschenliebe übt, ohne sie zu predigen, der keine Gefahr sucht, aber ihr starr ins Auge sieht, wenn sie erscheint, der sich immer gleich bleibt, dem der Anblick des Todes keine Gesichtsmuskel verändert, und der ohne Rücksicht durchaus hartnäckig, brav und rechtschaffen ist: dieser Knabe ist der geliebte Zögling für Feld und Lager. Von der Bildung zum Militär zu reden ist nicht meine Absicht und ein zu großes weitläufiges Feld, als daß ich mit Glück schon jetzt etwas darinne wagen sollte. Der Herr General Nicolai hat in seinem Buche über Bildung junger Officiere vortreffliche Anleitung gegeben, welche Kenntnisse und Wissenschaften einem jungen Kriegsmanne in seinem ehrenvollen Laufe den Weg bahnen, obgleich Mancher seine Forderung etwas übertrieben finden dürfte. Der General aber will auch keine Alltagsofficiere in seiner Bildung aufstellen, sondern junge Männer, die durch ihren Kopf und ihr Herz dem Dienste Ehre machen.