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Vorwort

Den wissenschaftlichen Versuchen, das Kunstwerk zu deuten und auszuwerten, sollte die Entscheidung zwischen zwei Wegerichtungen zugrunde liegen. Ihren Trennungspunkt bildet das Erlebnis der Kunst, die primäre, ungeteilte Tatsache, daß das Werk da ist und in dem Aufnehmenden seine unmittelbare Wirkung übt. Von hier nun geht die analytische Richtung gleichsam abwärts. Sie sucht einerseits nach den geschichtlichen Bedingungen, die das Werk sich in die Entwicklung der Kunst verständlich einordnen lassen; sie gewinnt andrerseits aus dem Kunstwerk seine einzelnen Wirkungsfaktoren heraus: die Straffheit oder Lockerung der Form, das Schema der Komposition, die Ausnutzung der Raumdimensionen, die Farbengebung, die Stoffwahl und vieles andere.

Aber dem wissenschaftlichen Gewissen ziemt Klarheit darüber, daß auf keinem von beiden Wegen das Verständnis des Kunstwerkes als solchen oder seiner tatsächlichen seelischen Bedeutung erreicht wird. Denn zunächst: jede historische Entwicklung setzt den Wert der Sachgehalte schon voraus, um derentwillen man sich überhaupt um ihre Geschichte kümmert. Weshalb wir für die Kunst Rembrandts, aber nicht für die eines beliebigen Stümpers, die geschichtliche Entwicklung erkunden, ist ersichtlich aus dieser Entwicklung selbst nicht zu entnehmen, sondern gründet in Wertempfindungen, die wir an diese Kunst selbst, gänzlich unabhängig von den Bedingungen ihres Gewordenseins, knüpfen. An sie, als gewordene oder daseiende, wendet sich nun allerdings die angedeutete ästhetische Analyse. Hätte sie aber auch jene Komponenten des Bildes zulänglichst herausgestellt, so wäre damit weder Schöpfung noch Eindruck des Kunstwerks voll erfaßt. Denn die fertige Kunsterscheinung freilich kann man unter vielerlei formale und inhaltliche Gesichtspunkte stellen und sie damit in lauter einzelne Eindrucksfaktoren zerlegen. Allein sie ist aus deren Zusammensetzung so wenig herstellbar und deshalb so wenig daraus verständlich, wie ein Körper als lebendiger aus den zerschnittenen Gliedern auf dem Seziertisch. Das ästhetische Nebeneinander ist ihr so wenig äquivalent wie das historische Nacheinander; denn entscheidend für sie ist etwas ganz anderes: die schöpferische Einheit, die sich jener Faktoren vielleicht als Mittel bedient, vielleicht an diesen ihre greifbare, analytisch beschreibliche Oberfläche besitzt. Es ist aber die größte Selbsttäuschung, das Wesen der Kunst und den Rang ihrer Werke als die Addierung jener Kategorien begreifen zu wollen. Ebensowenig ist der Eindruck des Kunstwerks gleich den summierten Eindrücken all der Seiten und Qualitäten seiner, die die sondernde Ästhetik heraushebt. Vielmehr, auch hier ist das Entscheidende etwas ganz Einheitliches, das sich aus oder über jenen Einzeleindrücken erhebt; und alle psychologische Analyse: wie diese und jene Farbe oder Farbengegensätzlichkeit wirke, wie leicht oder schwer wir gewisse Formen auffassen, welche Assoziationen sich an bestimmte Gegebenheiten anschließen, und alles Verwandte, läßt die schlechthin zentrale, seelische Wirkung draußen, die das künstlerische Erlebnis als solches ausmacht.

Dieses Erlebnis geht nun freilich, wie ich glaube, in die Formen wissenschaftlichen Erkennens überhaupt nicht ein. Das unmittelbare Gefühltwerden ist die einzige Art, auf die es da ist, und in ihr müssen wir es sozusagen unangerührt stehen lassen. Es bildet die Wasserscheide, an der eben zwei Richtungen der Kunsterkenntnis sich trennen. Während nämlich jene analytische Behandlung der einzelnen Bestimmungen des Kunstwerks und seines Aufgenommenwerdens gewissermaßen vor der schöpferischen und rezeptiven Erlebniseinheit stehen bleibt, beginnt nun hinter dieser eine andere Direktive der Betrachtung, die man die philosophische nennen mag. Sie setzt das Ganze des Kunstwerks, als Dasein und Erlebnis, voraus und sucht dieses nun in die ganze Weite der seelischen Bewegtheit, in die Höhe der Begrifflichkeit, in die Tiefe der weltgeschichtlichen Gegensätze einzustellen. Als Gegenstand solchen Versuches erscheint die Rembrandtsche Kunst deshalb besonders geeignet, weil sich ihr gegenüber, durch ihren objektiven Charakter tief begründet, jenes irrationale Erlebnis in größter, der Musik am nächsten kommenden Reinheit vollzieht; d. h. in der Unberührsamkeit seines eigenen Wesens durch die analysierende Ästhetik einerseits, durch das begrifflich und metaphysisch weiterführende Denken andrerseits. Gerade dadurch aber wird das Erlebnis als ein um so ungeteilteres, um so gleichmäßiger wirksames, zur Voraussetzung der Einzelprobleme, in denen auch dieses Denken sich zu bewegen hat.

Hierin liegt die Schranke von Erörterungen, die das Kunstwerk nicht historisch, technisch oder ästhetisch aufklären, sondern, als philosophische, dasjenige suchen, was man seinen Sinn nennen kann: die Verhältnisse zwischen seinem innersten Zentrum und dem äußersten Umkreis, in dem Welt und Leben von unsern Begriffen umschrieben werden. Denn jenes primäre Erlebnis des Kunstwerks, von dem dessen philosophische Weiterführungen genährt werden, ist nicht mit objektiver Eindeutigkeit festzulegen; es bleibt, soviel Theoretisches auch von ihm ausgehen mag, in der Form der Tatsache und ist der Theorie unzugängig – zwar nicht von zufälliger Willkür bestimmt, aber von einer immerhin individuellen Gerichtetheit die die philosophischen Linien von ihm aus in mannigfaltigster Richtung verlaufen läßt. Von jeder Gruppe solcher Linien kann man beanspruchen, daß sie zu letzten Entscheidungen führe, aber keine darf beanspruchen, zu den letzten zu führen.

Was mir von je als eine wesentliche Aufgabe der Philosophie erschien: von dem unmittelbar Einzelnen, dem einfach Gegebnen das Senkblei in die Schicht der letzten geistigen Bedeutsamkeiten zu schicken – das soll nun an der Erscheinung Rembrandts versucht werden. Die philosophischen Begriffe sollten nicht immer nur in ihrer eigenen Gesellschaft bleiben, sondern auch der Oberfläche des Daseins geben, was sie zu geben haben, und daran nicht, wie Hegel es tat, die Bedingung knüpfen, daß dies Dasein schon als unmittelbares in den philosophischen Adelsstand erhoben werde. Es bleibe vielmehr ruhig in seiner schlichten Tatsächlichkeit und unter deren unmittelbaren Gesetzen, und werde erst so von dem Netzwerk der Linien umfangen, die seine Verbindung mit dem Reich der Ideen vermitteln. Dies einfache Tatsächliche ist hier jenes Erlebnis des Kunstwerks, das ich als ein unauflöslich Primäres hinnehmen will. – Daß die daran angesetzten philosophischen Richtlinien sich durchaus in einem äußersten Punkte zu schneiden, sich also in ein philosophisches System einzuordnen hätten, ist ein monistisches Vorurteil, das dem – viel mehr funktionellen als substanziellen – Wesen der Philosophie widerspricht.

Aus dieser methodischen Einstellung einerseits, aus jener individuellen Bestimmtheit des als Wirklichkeit vorausgesetzten Erlebnisses andrerseits ergibt sich die angedeutete Schranke für den Anspruch dieser Untersuchungen: sie können nur verlangen, neben andern Ausgangspunkten und andern Wegerichtungen zu stehen und sich mit diesen andern selbst dann zu ergänzen, wenn sie ihnen widersprechen. Welche Erwartungen diese Blätter befriedigen oder unbefriedigt lassen, kann sich nur aus ihnen selbst, aber nicht aus ihrem Programm entscheiden; dieses soll nur, als Grenzsetzung, die Erwartungen davor schützen, der Unbefriedigtheit von vornherein zu verfallen.


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