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In zwei Grundformen tritt innerhalb der menschheitlichen Geschichte religiöses Wesen auf. Denn indem religiöse Sachverhalte sich bieten: der Gott und die Heilstatsachen, der Kultus und die Kirche; indem das religiöse Individuum sich all solchem gegenüber aufnehmend oder schöpferisch verhält, nur sein eigenes Heil sucht oder sich selbstlos hingibt – ist eine Doppelströmung des religiösen Wesens eingeleitet, die an dessen fast vollkommener Spaltung münden kann. Auf der einen Seite steht die Objektivität der religiösen oder kirchlichen Tatsachen, eine in sich geschlossne, nach eigenen Gesetzen gebaute Welt, in ihrem Sinn und Wert ganz gleichgültig gegen das Individuum, das sie nur hinnehmen, nur zu ihr aufschauen kann. Auf der anderen Seite: die Religion ausschließlich in das innere Leben des Subjekts verlegt, vielleicht richtiger: als inneres Leben des Subjekts bestehend; jene Transzendenzen und Kulte mögen metaphysische Wirklichkeiten sein oder nicht – alles religiös Bedeutsame liegt jetzt ganz und gar in den Beschaffenheiten und Bewegtheiten der Einzelseele, die von jenen vielleicht ausgelöst werden, vielleicht aber auch ihnen erst Sinn und Leben verleihen. Dort bedeutet das Religiöse ein entschiedenes Gegenüber und sozusagen erst nachträgliches Sichaufnehmen zwischen Göttlichem und Seelischem, hier ein seelisches Leben selbst, aus einer tiefsten individuellen Produktivität und Selbstverantwortlichkeit strömend, das freilich in sich, als religiöses Sein, eine übersubjektive Weihe besitzt.
Die großartigste historische Verwirklichung jener Objektivität der religiösen Welt ist der Katholizismus; eine entsprechende kann für die andere Quellenrichtung des religiösen Daseins nicht aufgewiesen werden. Dies ist begreiflich. Denn die Gebilde, durch die die Religion etwas Historisches und Sichtbares wird: Dogma, Kultus, Kirche – kommen höchstens sekundär für den in Betracht, dem Religion in einem Erlebnis oder in einer Führung und Färbung des Lebens überhaupt oder in einem unmittelbaren Verhältnis der Seele zu Gott besteht, in einem Verhältnis, das als religiöses nur in der Seele selbst sich abspielen kann. Ersichtlich tritt diese Art der Religiosität nicht aus dem Individuum heraus und bildet deshalb kein geschichtliches Gesamtphänomen. Sie wird auch keineswegs vom Protestantismus repräsentiert. Denn auch dieser rechnet mit ganz objektiven religiösen Tatsachen, die ihren Sitz nicht in der religiösen Seele haben, sondern deren Objekt diese ist: mit dem Weltregiment eines persönlichen Gottes, mit der Erlösung, die Christus den Menschen gewonnen hat, mit Schicksalen, die der Seele durch die sachlich-religiöse Struktur des Daseins kommen. Würde die subjektive Religiosität wirklich ganz rein verwirklicht (was vielleicht nie geschieht, so wenig wie es eine bloß objektive Religion gibt; jede dieser Formen tritt vielmehr immer in einer gewissen Mischung mit der anderen auf) – so würde sie in dem Prozeß des Lebens selbst, in der Art, wie der religiöse Mensch in jeder Stunde lebt, bestehen, nicht aber in irgendwelchen Inhalten, in dem Glauben an irgendwelche Wirklichkeiten.
Diese beiden Gegenströmungen des religiösen Lebens überhaupt haben nun zwar die christliche Kunst nicht gerade mit parteimäßiger Schärfe unter sich aufgeteilt; allein ihre Reinheit und ihre Gemischtheit bilden eine Skala, auf der jegliches religiöse Bild einen bestimmten Platz findet. Die byzantinische Kunst setzt mit der völlig objektiven Darstellung der transszendenten Welt ein. In den Mosaiken von Ravenna werden die Personen und Symbole der christlichen Mysterien in ihrer metakosmischen Erhabenheit hingestellt, völlig gleichgültig gegen menschlich erlebende Subjekte, die Menschen dieser Religiosität, den Künstler einbegriffen, haben sich völlig entsubjektiviert, vor ihnen steht ein Götterhimmel, ungeheure selbstgenugsame Seinsmächte, zu deren Vorstellung individuelle Gefühle und Innenschicksale keinerlei Beziehung, weder als Ausgangs- noch als Mündungspunkte haben. Ihre sogenannte Unlebendigkeit bedeutet eben, daß sie von dem Lebensprozeß, als etwas Irdischem, getrennt sind, ist deshalb kein Manko, dem eine Hinzufügung abhelfen könnte; sie bezeichnet vielmehr, trotz der Negativität des Ausdruckes, die äußerste Positivität dieses religiös-künstlerischen Wesens, das sein logisches Gegenteil, die Richtung auf individuelles Leben, ablehnen muß. Im Trecento wird eine andere Stufe jener Skala erreicht. Bei Duccio, bei Orcagna und manchen geringeren ihrer Zeitgenossen strömt in die abgeschlossene Feierlichkeit des Heiligenbildes ein Ton lyrischer Menschlichkeit, das Transzendente ist nicht nur und schaltet als objektive Macht mit dem Menschen, sondern aus jenem kommt diesem eine eigene Bewegtheit entgegen, der Ausdruck des religiösen Lebens hat, wie zart und zurückhaltend auch noch immer, einen Weg in die Darstellung der transzendenten Tatsachen gefunden. Wieder verschiebt sich das Verhältnis zwischen objektiver und subjektiver Religiosität in den Formgebungen der Hochrenaissance. Deren größere Lebendigkeit und Naturalistik läßt nämlich die Darstellung keineswegs in höherem Grade als Äußerung einer innerlich-religiösen Dynamik erscheinen. Von Michelangelo, der in dieser Hinsicht eine ganz isolierte, untypische Stellung einnimmt, sehe ich ab. Aber Lionardo und Signorelli, Raffael und Fra Bartolommeo sind in ihren Heiligenbildern von einer erstaunlichen Objektivität: sie stehen für mein Gefühl diesem Pol der Skala näher als das Trecento es tat, so sehr dies gerade sich ebenso durch Ungelenkheit wie durch sakrale Würde vom Cinquecento unterscheidet. Man hat durchaus nicht mehr den Eindruck, daß irgendein religiöses Leben von sich aus zu diesen Kompositionen beigetragen hat; selbst wo nicht das rein malerische Interesse alle anderen seelischen Agentien unfühlbar gemacht hat, geht doch die religiöse Intention ausschließlich auf die Darstellung eines himmlischen oder historischen Daseins, die von dessen Zentrum, von seinem Eigenrecht her, aber nicht von der Frömmigkeit oder der Sehnsucht oder der Hingebung einer Seele her bestimmt ist. Die eigentümliche Fähigkeit des menschlichen Geistes, gewissermaßen von sich selbst absehend und aus dem ihm Gegenüberstehenden heraus zu denken oder anzuschauen, ist auch auf dem religiösen Gebiet mächtig und hat in der Renaissancekunst diese Macht vorbehaltlos bewährt. Ich rechne noch Rubens dazu, dessen Ildefonso-Altar, und zwar gerade wegen seiner vollkommenen Weltlichkeit, die religiöse Objektivität vielleicht auf ihren Gipfel hebt. Die Himmelsherrin zeigt dieselbe vornehme repräsentative Existenz wie der Fürst, der ihr huldigt, zwischen beiden ist eigentlich nur ein gradueller Unterschied innerhalb der gleichen, sozusagen nach unten hin isolierten Dimension, und daß die Darstellung des Göttlichen von einer menschlich-persönlichen Religiosität her bestimmt sein sollte, wäre hier ebenso unpassend erschienen, wie es nach der Anschauung der Zeit gewesen wäre, daß die Untertanen sich unmittelbar den Kaiser wählten – so daß entsprechend der Jesuit Oliva in seinen am päpstlichen Hof gehaltenen Predigten die Jungfrau als »Fürstin« oder als »Kaiserin« bezeichnete. Die absolute Erhabenheit des göttlichen Daseins ist hier zwar vermenschlicht, aber indem dies mit dem soziologischen Cachet der »Vornehmheit« geschieht, ist die Ablehnung jeder innerseelischen Religiosität des Subjektes, die sich in den künstlerischen Gestaltungen darlebe, fast in die Form der Offensive übergegangen.
An dem anderen Extrem dieser Skala steht Rembrandt. All seine religiösen Bilder, Radierungen, Zeichnungen haben nur ein einziges Thema: den religiösen Menschen. Die Gegenstände des Glaubens macht er nicht sichtbar, und wo er Jesus darstellt, hat er nie den Charakter transzendenter Realität, sondern empirisch menschlicher: den liebenden und den lehrenden, den in Gethsemane verzweifelnden und den leidenden. Das Dasein des Heiligen, dessen objektive Erhabenheit der Gläubige nur hinnehmen und von ihr angestrahlt sein kann, ist für Rembrandts Kunst verschwunden; das Religiöse, das er in künstlerische Erscheinung ruft, ist die Frömmigkeit, wie die Seele des Individuums sie in mancherlei Abwandlungen erzeugt. Mag diese Seele von jenseitigen Mächten erregt, von dem göttlichen Dasein umfaßt und bestimmt sein – nicht dies zeigt Rembrandt, sondern den Zustand, den sie, all dieses vorausgesetzt, nun in sich, mit ihren spezifischen Kräften hervorbringt, einen Zustand, der ausschließlich an menschlichen Seelen bestehen und sich an menschlich irdischen Leibern ausdrücken kann. Mögen alle jenseitigen Glaubensgegenstände existieren und innerhalb ihrer absoluten Macht der einzelne Mensch mit seinen Zuständen ein verwehendes Sandkorn und objektiv eine Gleichgültigkeit sein – Religion kann immer nur in einem Verhältnis einer menschlichen Seele zu diesen Jenseitigkeiten entstehen, und sie ist unter allen Umständen der Anteil, den diese Seele in das Verhältnis hineingibt und in dem es für sie besteht. Dies ist, in theoretischem Ausdruck, die Grundvoraussetzung von Rembrandts religiöser Kunst. Zum erstenmal in der Geschichte der Kunst ist diese Quellströmung der Religion zu reiner Herrschaft gebracht: daß sie, welches auch immer ihre Glaubensinhalte, ihre metaphysische Basis, ihre dogmatische Substanz sei, doch als Religion ein Tun oder ein Sosein der Menschenseele sei. In den wenigen Blättern, wo er Gottvater darstellt, ist dieser eigentlich unbedeutend, viel weniger tief und interessant, als die Menschen; natürlich – denn Gott selbst ist nicht fromm.
Nur etwa Fra Angelico könnte man daneben nennen, dem gleichfalls der fromme Mensch als solcher zum Darstellungsproblem wird. Allein schließlich ist doch auch bei ihm der religiöse Inhalt ein Allgemeines, das über den Individuen schwebt und erst in sie hineinwirkt, sie erleben ihn als ein Aufgenommenes; das Dogma ist hier doch noch zu eng in den rein seelischen Prozeß des Frommseins verwebt, als daß mehr als eine Vorahnung für das schlechthin überhistorische Gebilde der Frömmigkeit im Rembrandtschen Ausdruck sich bieten könnte. Im Mittelalter überhaupt ist die Frömmigkeit wie eine Substanz ausgegossen, die die einzelnen Menschen durchdringt – wobei natürlich in den religiösen Genies wie Franciscus und Eckhart die Eigenbewegung der Seele den objektiv gewordenen religiösen Werten entgegenkommt, aber gerade da, wo sie aus den letzten Tiefen der Subjektivität hervorbricht, dieses Zusammentreffen manchmal in nicht gefahrloser Weise verfehlt. Bei den religiösen Gestalten Rembrandts wird die Frömmigkeit jedesmal von neuem aus dem letzten Grund jeder Seele heraus erzeugt, die Menschen sind nicht mehr in einer objektiv frommen Welt, sondern in einer objektiv indifferenten Welt sind sie als Subjekte fromm. Die mittelalterliche Frömmigkeit ist immer noch unmittelbar mit ihrem transszendenten Gegenstand verbunden (gerade weil er in einer gewissen sinnlichen Empirie gegeben schien); würde diesen Menschen ihr Gott genommen, so würden sie – abgesehen von den religiösen Genies – nicht mehr fromm sein, was bei den Rembrandtschen nicht der Fall ist. Dagegen würden jene immer noch fromm bleiben, auch wenn es sozusagen kein irdisches Leben mit seinen Inhalten gäbe (was durch den Heiligen und das Klosterleben annähernd realisiert und bewiesen wurde), wobei man sich wieder, auf die Rembrandtschen Gestalten hindenkend, nichts Rechtes vorstellen kann. Diese sind vom Klosterprinzip, das die Lebensinhalte prinzipiell annulliert, so weit wie möglich entfernt. Unzählige Male stellt er biblische Szenen dar, die man mangels jedes dogmatischen, glaubensmäßigen Elementes scheinbar gar nicht für religiöse Kunst halten möchte: die Erlebnisse des Tobias, den barmherzigen Samariter, den verlorenen Sohn, die völlig kleinbürgerlich aufgefaßte Jugendgeschichte Jesu. Das Religiöse ist die Beschaffenheit dieser Menschen, die an ihnen von innen her ebenso haftet, wie daß sie klug oder dumm, lebhaft oder indolent sind. Mögen sie nun glauben oder tun, was sie wollen – sie haben die Frömmigkeit als eine Bestimmung ihres subjektiven Seins überhaupt, die gerade an ihrem inhaltlich ganz irdischen Verhalten um so deutlicher als Eigenfärbung ihrer Persönlichkeiten aufleuchtet.
Die Religiosität, so die Grundform des persönlichen Lebens überhaupt, bewirkt, daß jegliche Szene dieses Lebens der Ort eines religiösen Tones oder Wertes sein kann, ja muß; daß keine Stelle, die einer seiner Inhalte in den andern sachlichen Ordnungen einnimmt, zu einem Hindernis für seine religiöse Durchdringung werden kann. Hier haben wir das subjektive Gegenbild des Pantheismus. Daß in diesem das göttliche Sein unterschiedlos und vorbehaltlos alle Dinge und ihre Bedeutung trägt, übersetzt sich in das Verhältnis der religiösen Stimmung zu den Dingen des persönlichen Lebens – mit nicht prinzipieller, aber historischer Abgestuftheit und Relativierung zwischen kosmischen Absolutheiten und seelischen Personalitäten. Wie für Spinoza Gott die Ursache aller Dinge ist und sie nur durch ihn begriffen werden können – aber nicht als wäre er ein außenstehender Werkmeister, sondern weil von vornherein die Dinge nichts anderes sind als die Modifikationen der göttlichen Substanz, so ist in dem bescheidenen Lebensumkreis der Rembrandtschen Personen Religiosität nicht etwas, was zu einer andersartigen Selbständigkeit ihrer Handlungen und Erlebnisse noch hinzuträte, sondern von vornherein gehen ihnen diese sub specie religionis vor. Und wie der pantheistische Gott weder einzelne Eigenschaften hat, noch irgendeinen Punkt des Daseins mehr oder weniger als einen anderen tragen oder vergotten könnte, so geht die vitale Religiosität solcher Rembrandtschen Menschen nicht in die einzelnen Motive und Züge, in die man Religion sonst analysieren mag, auseinander. Und dieser innerlich einfachen Einheit der Lebensgestimmtheit entspricht es, kein Moment des Lebens vor dem andern auszuzeichnen; sondern dessen ganze Alltäglichkeit zu durchleuchten, denn das Licht kommt nicht von außen – was Verschiedenheiten seines Auffallens unvermeidlich machte – sondern von innen, jeden Weg gleichmäßig durchflutend, der sich überhaupt von dem Lebensfundament her in die Erscheinung hinein bahnt. Darum, wie diese Religion innerlich an allen Inhalten haftet, so haftet sie äußerlich an keinem.
Auf den Eindruck von diesem Verhalten hin aber Rembrandt einen »Mystiker« zu nennen, zeugt nicht eben von tiefem Eindringen in die Erscheinungen, die nun einmal den Namen der Mystik tragen. Deren Spezifisches nämlich – also jenseits dessen, was aus anderen Erscheinungskreisen ihr beigemischt zu sein pflegt – ist es, daß die innere Lebensbewegung als mit dem Göttlichen identisch empfunden wird. Setzt man ihr Wesen in das Geheimnisvolle, Dunkel-Tiefe, mit rationalen Begriffen nicht zu Erschöpfende, so begeht man die populäre Verwechslung des Mystischen mit dem Mysteriösen, das, als etwas rein Formales, allen möglichen Innerlichkeiten und Äußerlichkeiten zukommt. Daß das Erlebnis, aus dem eigensten Zentrum der Seele hervorbrechend, zugleich ein Ereignis des göttlichen Lebens ist (gewissermaßen nur auseinandergezogen in der Eckhartschen Lehre, daß Gott des Menschen so bedarf, wie der Mensch Gottes); daß der Mystiker die Gottheit nicht, als ein Objekt, erlebt, sondern daß er sie unmittelbar lebt und sich dazu keineswegs zu entselbsten braucht, sondern nur zu entindividualisieren (weil das Unterschiedliche der Individualität etwas Fremdes und Zufälliges um den Kern des Selbst herum ist); daß das Ich, ohne sich selbst zu verlassen, doch unendlich viel mehr ist, als ein bloßes Ich (wie es Plotin von der Ekstase sagt, mit ihr käme nicht der Gott in den Menschen, sondern zeigte gerade, daß er nicht zu kommen braucht, weil er immer in ihm wäre) – das ist das logisch freilich nicht zu bewältigende Wesen der Mystik. Aber dieses Aufschwellen der Seele über sich selbst liegt Rembrandt ganz fern. So wenig wie der Gott außerhalb des Menschen, bestimmt der Gott innerhalb des Menschen der Religiosität seiner Gestalten ihre unvergleichliche Färbung. Ihre Vertiefung, ihre weihevolle Ruhe oder ihre Erschütterung kommt nur ihrem in sich selbst ablaufenden Leben zu, gleichviel bei welchem äußeren oder inneren Ereignis sich all dies offenbare; gerade das Mehrsein-als-sie-selbst, das der Mystik eignet, ist jeder dieser Seelen fremd. Rembrandt ist kein Mystiker. Eher könnte man zugeben, daß eine christliche Lebensstimmung zu der Entwicklung dieser Frömmigkeit des einfachen Daseins neigte, für die ihrem Wesen nach (ob auch Rembrandts Bewußtsein nach, können wir nicht entscheiden) aller dogmatische Inhalt außer Betracht bleibt. Es liegt auch nicht fern, an Luther zu denken, der den Schnitt zwischen dem Heiligen und den Alltäglichkeiten des häuslichen Lebens zu beseitigen unternahm. »Knecht und Magd, wenn sie tun, was ihre Herrschaft sie heißt, so dienen sie Gott, und, sofern sie an Christum glauben, gefällt es Gott viel besser, wenn sie auch die Stube kehren oder Schuhe auswischen, denn aller Mönche Beten, Fasten, Messehalten und was sie mehr für hohe Gottesdienste rühmen.« Dennoch liegt auch hierin noch die dogmatische Präsumtion, auch hier ist die Frömmigkeit, obgleich so tief in den Grund des Lebens versenkt, daß sie auch dessen äußerste Peripherie noch erfaßt, ein Mittel zur Seligkeit (ich komme auf dieses Entscheidende gleich noch zu sprechen); es handelt sich nicht um die Frömmigkeit, die dem Tun als solchen einwohnt, weil der Tuende fromm ist, sondern er ist sozusagen doch nur sekundär fromm, weil er sich in eine göttlich verordnete, von einem bestimmten objektiven Glauben geleitete Lebensordnung einstellt. Dieser Unterschied ist sehr zart, aber darum nicht weniger scharf. Diesseitigkeitswerte und Jenseitigkeitswerte sind freilich mit dieser lutherischen Lehre in eine neue Nähe gebracht worden. Für das Religiös-Einzigartige aber jener Rembrandtschen Menschen (gleichviel ob es in ihnen noch mit Andersartigem gemischt und nicht mit ganz reiner Herrschaft auftrete) ist die Frage des Diesseits und Jenseits überhaupt nicht aufzuwerfen, da es ausschließlich Sache des seelischen Seins ist, das weder von der einen noch von der anderen Seite her bestimmt ist; insoweit haben die Menschen dieser stillen, familiären Bilder nicht Religion, als einen objektiven Lebensinhalt, sondern sie sind religiös.
Gewiß ist es eine ungeheure Leistung, die in den Tendenzen Plotins, teilweise des Christentums, Schellings und Hegels liegt: alle die empirischen Einzelheiten, Äußerlichkeiten, Zufälligkeiten des Lebens in die Region des Absoluten, des Heiligen, des absoluten Sinnes heraufzuheben; eigentlich liegt das überhaupt in der Richtung jeder kosmischen Metaphysik – so wenig es auch irgendwo durchgeführt sein mag. Eine Größe anderer Art aber liegt in der Umkehrung der Direktive: die ideelle Bedeutung, den überempirischen Wert auf die in ihrer Ebene belassenen einzelnen Lebensinhalte hinunterzuführen; die Dinge wurzeln weiter in der Erde, aber eben diese Wurzelung und Wirklichkeit zeigt sich als durchzogen von metaphysischer Feierlichkeit, von einem Sinn reiner Vernunft durchblutet. So war Sokrates, als er die Philosophie »vom Himmel auf die Erde herabführte« und in den täglichen Hantierungen der Menschen den Platz für einen vernunftmäßig normierenden Sinn ersah, so Kant, als er in der einfachen Pflichterfüllung den metaphysischen Wert des freien Ichs erkannte. Die frühen Frömmigkeitsmaler: Duccio, Orcagna, Fra Angelico folgten der ersteren Norm; das Irdische wurde entirdischt, um am Göttlichen teilzunehmen. Rembrandt aber ließ die Erscheinung im Zusammenhang des Irdischen ungestört, ließ dieses allenthalben Wirklichkeit bleiben, aber er zeigt die Weihe, den absoluten Wert auf, den es durch das immanente Moment der Frömmigkeit besitzt.
Darin also, daß Rembrandts Menschen von sich aus fromm sind, und nicht daher, daß sie in eine vorbestehende transzendente Ordnung eingestellt sind – darin haben sie das Definitivum ihres seelischen Lebenswertes; so daß, cum grano salis gesagt, die religiösen Objektivitäten, zu denen die Frömmigkeit sonst als Mittel und Weg, Vorbereitung und Würdigkeit, aufwärtsführte, ihrerseits nur Voraussetzungen und Bedingungen der Frömmigkeit sind. Nur als das Sprungbrett, von dem aus die Subjektivität zu jenen hinaufgelangte, erschien sonst die Frömmigkeit. Nun ist es umgekehrt, und es erschüttert die Bedeutung des so bestehenden religiösen Wertes nicht, wenn diese objektiven Inhalte etwa als bloß subjektive Gebilde angesprochen würden; mögen sie hier so und dort anders sein, historisch bedingt, abergläubisch phantastisch – ihr Subjektivsein ist jetzt gleichgültig, da sie nur Mittel oder Ausdruck, der als Bedingung angesehen wird, sind und sich deshalb an ihnen geltend macht, daß die gleiche Wirkung sich aus sehr mannigfaltigen Ursachen erheben kann. Das Objektive und Definitive bleibt die freischwebende und eben darum in sich absolut seinssichere Frömmigkeit der Seele. Darum zeigt sich die Drehung zwischen Mittel-Sein und Definitiv-Sein auch nach jeder andern Bedeutungsseite der Frömmigkeit hin. Goethe sagte einmal: »Frömmigkeit ist kein Zweck, sondern ein Mittel, um durch die reinste Gemütsruhe zur höchsten Kultur zu gelangen.« Dies eben gilt für Rembrandts religiöse Menschen nicht, diese »höchste Kultur« würde ihnen ziemlich fern liegen. Auch sie würde – der Ausdruck wird hier unvermeidlich etwas schief – ihnen ein Mittel sein, da ihnen tatsächlich die Frömmigkeit »Zweck«, der abschließende Wertpunkt ihres inneren Daseins ist.
Wo sonst eine Anschauungsweise religiöse Werte in menschlicher Form darstellte, wurde entweder der Mensch vergöttlicht oder der Gott vermenschlicht. Von dieser Alternative tritt Rembrandt fort, da das Religiöse in seiner Darstellung nicht die objektive Beziehung zwischen Mensch und Gott ist, sondern dasjenige inner-eigene Sein des Menschen, an das sich oder aus dem sich überhaupt erst die Beziehung zu seinem Gott knüpft.
Die Verwebung der Religiosität mit Lebensinhalten, die an und für sich anderen Ordnungen angehören, gibt einem Richtungsunterschied Raum, dessen Seiten sich in der einzelnen Erscheinung vielleicht nicht mit beweisbarer Sicherheit trennen lassen. Dennoch wird ihre Auseinanderhaltung die Gestimmtheit von Rembrandts religiöser Kunst verdeutlichen helfen. Die Frage, wie sich zu dem religiösen Grundbestand die Einzelheiten des empirischen Lebens verhalten und verhalten sollen, wird von der historisch-seelischen Tatsächlichkeit keineswegs eindeutig beantwortet. Wo eine substanzielle Objektivität des Dogmas besteht, da hat die religiöse Durchdringung des täglichen Verhaltens dieses noch immer in starren Formalismus geführt. Ist die überirdische Bedeutung des Daseins, seine Gesamtweihe, Gefühl und Metaphysik des Universums erst einmal in die Einzelvorstellungen religiöser Dogmatik eingegangen, so klafft zwischen diesen und den Einzelelementen und praktischen Vornahmen des äußeren Lebensverlaufes ein Abgrund, den offenbar kein organisches Zusammenwachsen mehr schließen, sondern nur eine religiös genannte Normierung dieser Vornahmen äußerlich überbrücken kann. Ich erinnere an die Lebensweise des Brahminen, des streng rituellen Juden, vieler Mönchsorden. Indem Speise und Trank, Zulässigkeit oder Unzulässigkeit jedes Verhaltens, die Ausführung jedes Handgriffs von religionswegen vorgeschrieben ist, bildet freilich der ganze Atomenhaufe unserer empirischen Handlungen eine religiöse Kontinuität; allein unverkennbar ist die Zufälligkeit, mit der an die jeweilige Grundüberzeugung vom Göttlichen gerade die so und so beschaffene äußere Lebensgestaltung angekettet ist. – Soll das spezifisch Religiöse in uns sich in einem inneren Zusammenhang mit dem Äußerlich-Praktischen zeigen, so fließt zunächst schon in dem letzteren eine Quelle religiöser Entwicklung. Es gibt nämlich unzählige Beziehungen zwischen Menschen, deren Gefühlsseiten, ohne den empirischen Bezirk dieser Beziehungen zu verlassen, eine nur als religiös zu bezeichnende Färbung haben. In der Erotik und in der Freundschaft, in Herrschaft und Dienst, in dem Verhältnis des Individuums zum Stamme und zur Familie, zum Stand und Vaterland, schließlich zur Menschheit; dann auch in dem zum Schicksal, zum Beruf, zur Pflicht, zu Idealen – allenthalben findet sich hier eine Mischung von Hingebung und Eigenleben, von Demut und Erhebung, von sinnlich warmer Nähe und scheuer Distanzierung, von Vertrauen und Preisgegebenheit, die zum Wesensbegriff des Religiösen gehört. Nicht als ob all dieses darum religiöse Fundierung oder Sanktion zu zeigen brauchte: sondern jene Gefühlselemente sind nur solche, die die religiöse Schöpfung, Gläubigkeit, Verhaltungsweise seelisch tragen, sobald sie sich nicht mehr an das Substrat jener empirischen Relationen binden, sondern sich ihren eigenen, nun jenseitigen Gegenstand schaffen: den Gott oder die Götter. In der ganzen Breite des empirischen Lebens und als seine immanenten Kräfte entwickeln sich religiöse Gefühle und Impulse, gleichviel ob sie diesen Namen tragen und ob sie sich zu den Sonderbegriffen, Sondergebilden der spezifischen »Religion« steigern und verselbständigen und sich nun von diesen ihre Weihe legitimieren lassen oder nicht. Die Lebensinhalte und ihre Verbindungen sind hier in einem gar nicht abschätzbaren Umfang die Quellen, die sich zu der religiösen Strömung vereinigen, diese gleicht einem chemischen Körper, dessen eigene und neue Eigenschaften sich in keinem der Elemente, die ihn zusammensetzen, finden. Die Verknüpfung zwischen der Religion und den empirischen Einzelheiten des Lebens vollzieht sich hier von diesen her, indem Religiosität und Religion nicht von sich aus da ist, sondern als der Charakter gewisser Binnenereignisse des Lebens sich aus diesem erhebt.
Neben der so laufenden Gerichtetheit jener Verknüpfung steht ihre andere funktionelle Möglichkeit: daß eine im reinen Sinne religiöse Gestimmtheit als Lebensgrundlage oder als Färbung der Lebensgrundlagen von vornherein vorhanden ist, eine Dynamik, die nicht erst als mannigfaltigste Gefühlskategorien durch das Leben verbreitet ist und als spezifisch religiöse erst aus diesen zusammenrinnt, sondern die sogleich nur religiös ist und von sich aus das Innere des Lebens und seine Äußerungen durchdringt oder in sich einzieht. Die Verbindung zwischen dem Religiösen und allem konkreten Tun und Geschehen wird hier von dem ersteren her geschlagen, das religiöse Verhalten und Gebilde entsteht nicht im Weiterwachsen und Sich-Vereinigen von Gefühlen und Impulsen, die das vorreligiöse, an Singularitäten sich vollziehende Dasein entwickelt, sondern nun ist es selber ein Primäres, das eben diese Singularitäten mit Richtung und Stimmung ausstattet. Innerhalb der Kunst wird der erstere Fall sich nur in Andeutungen aufzeigen lassen. Es gibt manche Stillleben und Landschaften, die eine Andacht zu dem dargestellten Dasein zeigen, eine Ahnung universeller Zusammenhänge, eine überschwengliche Seligkeit am Dasein, verknüpft mit einer Scheu vor seinen geheimen Tiefen – welches alles nicht aus religiösem Fundament aufzusteigen braucht, sondern entweder unmittelbar mit religiösem Wesen identisch ist oder sich zu ihm hin entwickelt. Die religiösen Bilder Rembrandts aber offenbaren die andere Richtung, in der das singulär anschauliche Dasein sich dem religiösen verknüpft. Dieses ist nun nicht Frucht, sondern Wurzel, und daß das Äußerliche, ja Banale der Erscheinungen religiös durchgeistet ist, ist kein ihnen selbst entsteigender Gewinn, sondern die sozusagen unvermeidliche Formung, die ihr apriorischer Wesensgrund, die Frömmigkeit, ihnen erteilt. Wie sollte nicht aus jeglichen Lebensinhalten, die von einem religiösen Lebensprozeß aufgenommen und gestaltet sind, die Religiosität wieder herausleuchten?
Hiermit ist eigentlich ausgesprochen, wo der Berührungspunkt von Rembrandts Porträtkunst und seiner religiösen Kunst liegt. Dieser Punkt liegt ziemlich tief unter der Oberfläche der beiden Gebiete; denn auf das erste Hinsehen scheinen sie ohne stärkere Beziehung nebeneinander zu stehen. Nun aber zeigt sich als das Gemeinsame: daß statt der gleichsam substanziellen, zu festen resultathaften Einheiten geronnenen Inhalte des Lebens der Prozeß des Lebens selbst zu Wesen und Absicht der Rembrandtschen Kunst geworden ist. Im Fall des Porträts betraf es die einzelnen Eigenschaften, Charakterzüge, zeitlich oder zeitlos beharrende Erscheinungen, zu denen der Lebensprozeß der Persönlichkeit kristallisierte, und die nun Rembrandts Menschendarstellung wie aufgelöst in den Fluktuationen eben dieses Prozesses zeigte. Dem entspricht im religiösen Gebiet das Verhältnis der dogmatischen Formulierungen, der fixierten Typen, der transzendenten Gebilde und ihrer Symbole zu dem Prozeß der Religiosität, zu dem religiösen Leben. Dieses mag in jenen seinen Niederschlag, seine Ausdrückbarkeit, seine geschlossene Anschaulichkeit finden; Rembrandt aber faßt es in seinem seelisch früheren Stadium, in oder vor dem Status nascendi jener Inhalte – gleichviel ob es, in der historisch-psychologischen Entwicklung, ihrer als Anregungen und Wegweisungen bereits bedarf. Nicht was der Mensch glaubt, nicht der besondere Inhalt des religiösen Lebens, sondern die Besonderheit des Lebens insoweit es religiös ist, bildet sein Problem. Im Porträt wie im religiösen Bild ist es das von der Seele getragene Geschehen, als reine Funktionalität, was er – und er allein unter allen Malern in der vollen Eindrucksstärke gerade dieses Momentes – zum Vortrag bringt; nur daß es im Porträt die Individualität des Lebens, in diesen Bildern dessen Religiosität ist. Wie dort die Individualität nicht als zeitlose Qualifiziertheit gefaßt ist, sondern als die Eigenform einer Lebensbewegtheit, die von dieser auch ideell nicht abzutrennen ist, so ist das Religiöse hier eine Art, auf die das Leben gelebt wird, in keiner Weise aber ein in einem Jenseits-seines-Prozesses Darstellbares. Daraus wird ohne weiteres verständlich, daß die Gestalten dieser religiösen Bilder nicht in derselben Art und in demselben Grad individuell wirken wie die Porträts. Denn das Leben wird hier auf eine andere der ihm immanenten Kategorien hin angesehen wie dort; das Gemeinsame aber ist, daß hier wie dort statt der Inhalte und Ergebnisse des Lebens sein ganz Primäres, funktionell Bestimmendes im Mittelpunkt der künstlerischen Absicht steht. Damit, daß in Rembrandts religiösen Bildern einfach die Frömmigkeit als ein stetiges Sosein der Menschen, an jeder beliebigen Einzelsituation bewährt, sich darstellt, wird der Religion die spezifische Wärme des Lebens gegeben, die ihr leicht entfliehen kann, wenn die Kunst sich entweder an die verselbständigten Gegenstände dieser Frömmigkeit oder an die besonders betonten Ereignisse und aufgegipfelten Lagen hält, die sich in der gleichsam äußeren Berührung des Lebens mit jenen Gegenständen ergeben.
In dieser letzteren Hinsicht ist es belehrend, sich über die innere Struktur des – außerhalb der Sixtinischen Kapelle – großartigsten religiösen Bildes der Klassik klarzuwerden: Lionardos Abendmahl. Das Unvergleichliche ist hier dies. Ein gewissermaßen äußeres Ereignis – das Wort: Einer unter euch ist, der mich verraten wird – kommt zugleich über eine Anzahl durchaus verschiedenartiger Menschen, und der dadurch ausgelöste Affekt bringt gerade eines jeden individuelle, charakterologische Sonderart zu höchster, unverkennlichster Offenbarung; es ist, als wären, trotz jener Verschiedenheit, die seelisch-körperlichen Elemente in ihnen so angeordnet, daß diese eine Erschütterung, gleichsam widerstandslos durch sie hindurchgehend, gerade ihre Verschiedenheiten an ihre Oberfläche treibt. Auf Raffaels Karton der Schlüsselverleihung ruft ebenfalls ein Wort die Ausdrucksantwort in jedem der Zwölf hervor. Allein diese Antwort mündet nicht an der Offenbarung des eigenen letzten Wesens eines jeden, sondern macht an demjenigen Ausdruck halt, der objektiv auf die Situation paßt, allenfalls mit etwas verteilten Rollen, während die Situation bei Lionardo nur die Gelegenheitsursache für das Entfalten der Individualität ist. Der Erfolg ist, daß diese im Cenacolo viel entschiedener und differenzierter hervortritt als in Rembrandts religiösen Bildern. Aber es ist nur wieder die Aufgipfelung zu diesem Moment oder auch zu statuarischer Zeitlosigkeit, in der diese äußerste, isolierende Charakterisierung der Einzelnen gelingt.
Die Soziologie solcher mehrfiguriger Bilder Rembrandts ist ein subtiles Problem. Wo eine Anzahl von Personen in einem Rahmen – in dessen unmittelbarem wie übertragenem Sinne – vergemeinsamt ist, fühlen wir in der Regel eine Einheit, die etwas Höheres und Unteilbareres ist, als die Summe ihrer Elemente: so ist der Staat noch etwas anderes als die Summe der Bürger, der Wille einer Gesamtheit mehr als die zusammengerechneten Einzelwillen; und in der Kunst bilden selbst Gruppen, die voneinander in jeder Hinsicht so verschieden sind wie Orcagnas Paradies und Tizians Assunta, jeweils eine Einheit, die irgendwie jenseits der individuellen Wesenheiten der Teilnehmer steht. Wo von den Gruppen eine sinnvoll einheitliche geometrische Form abstrahierbar ist, ist sie das äußerlichste Symbol dieser von den Elementen zwar gebildeten und getragenen, aber nicht pro rata in ihnen auffindbaren Gesamteinheit, deren unbezweifelhafte Fühlbarkeit oft schwer zu deuten ist. Diese im engeren Sinne soziologische Einheitsform zeigen Rembrandts Bilder nicht. Was wir an der Nachtwache schon feststellten: daß ihre Einheit sich ganz unmittelbar aus den Lebendigkeitssphären der einzelnen handelnden Personen zusammenwebt, kein selbständig übergreifendes, die Personen nur gleichsam als Glieder verwendendes Ganzes ist, das gilt auch für die religiösen Bilder; obgleich hier die Einheit der religiösen Stimmung leicht als eine Strömung erscheinen könnte, die sozusagen jenseits dieser Gruppe entspringt und sie zusammenhält, indem sie durch sie hindurchflutet. Allein dies wäre kein zutreffender Ausdruck des Sachverhaltes. Diese Stimmung vielmehr hat ganz und gar in dem Einzelnen ihren Ursprung, und die Einheit des Ganzen entstammt ausschließlich dem Zusammenwirken dieser rein persönlichen Sphären, das sich durch deren Inhaltsgleichheit reibungslos vollzieht. Das Ganze bleibt durchaus an die persönlichen Elemente in ihrer Individualität gebunden, und seine Einheit erfordert keine Herabsetzung der letzteren; daß auch in den italienischen Renaissancebildern keine solche fühlbar wird, liegt an der Ausgleichung der dominierenden Einheitsform des Ganzen durch die stolze Selbstbetonung der Persönlichkeiten. Rembrandt hält sich jenseits dieser ganzen Polarität, er bedarf keines ausgleichenden Herab- und Heraufsetzens der Personen, weil jede von vornherein in der gleichen Stimmung wie jede andere lebt. Hiermit kann er den dargestellten Augenblick viel mehr in das zeitlich fließende Gesamtleben der Personen hineinziehen, womit freilich jene, durch den Zusammenschlag mit der Situation erreichte Pointierung wegfällt. Gewonnen aber ist dadurch ein unvergleichlich gesteigerter religiöser Charakter des Werkes. Es ist höchst bemerkenswert, daß im Cenacolo trotz der Zusammengefaßtheit durch das eine Jesuswort, das wie eine kontinuierliche Welle durch all diese Menschen läuft, und trotz des wunderbar vollkommenen Rhythmus der Gesamtkomposition, jene Einheit nicht erreicht ist, wie sie etwa in Rembrandts Emmausbildern oder in den Radierungen der Grablegung und der Predigt Christi besteht. Die Personen ragen dort mit der monumental statuenhaften Aufgipfelung ihrer Individualität über die Gesamtheit hinaus, sie sind zunächst etwas für sich und werden erst nachträglich von jener, aus einer Quelle stammenden Erschüttertheit erfaßt. Allein dieses Maß, oder richtiger diese Art von Individualisierung verträgt sich nicht mit der Versenktheit in jene religiöse Stimmung, die sich über eine Gesamtheit ergießt und den einzelnen zu ihrem Gefäß macht, das sie bis zum Rande erfüllt. Nicht als ob etwa Religiosität Größe und Mächtigkeit ihrer Träger an und für sich ablehnte. Aber wie dort der auf seine Größe und Mächtigkeit stolze Renaissancemensch (ein Stolz, der nicht erst im Bewußtsein, sondern unmittelbar im Sein der Person liegt) auftritt, wie er sich in der formalen Geschlossenheit seines Soseins gibt – das ist nun einmal etwas neben dem spezifisch Religiösen. Dieses wohnt viel eher dem bewegten Leben ein, das nicht in stilisierter Selbstigkeit dasteht; das Leben ist, als ein fließendes, von dieser Schärfe der Umrisse frei, und daß in Rembrandts Bildern Frömmigkeit die Art ist, auf die das Individuum überhaupt lebt, das eben steht in gegenseitiger Bedingtheit mit der Einheit in ihrem Zusammengeführtsein. Wenn ich bei dem Cenacolo von der Welle sprach, die durch die Existenzen als deren Verbindung hindurchläuft, so sind diese bei Rembrandt ganz in die Welle untergetaucht, ganz aufgelöst in die Gemeinsamkeit eines Lebens; denn schon für sich hat jeder sein jetzt entscheidendes Sein nicht in der zu der klassisch geschlossenen Linie sich hebenden Selbstheit, sondern in der Flutung des Lebensprozesses, die sich widerstandsloser mit der andern mischt, demütiger, wenn man will, und doch ihrer Religiosität sichrer, weil diese nicht ein Zug einer sonst schon fertigen Persönlichkeit, sondern die Art ihres Lebens selbst ist.
In diesem religiösen Individualismus scheint sich eine in Rembrandts Umgebung gerade aufkommende Strömung fortzusetzen. In den Kreisen der niederländischen » Collegianten« des 17. Jahrhunderts begegnet ein starkes Mißtrauen gegen den Wert der bestehenden Kirchen, bis zur völligen Ablehnung des konfessionellen Typus überhaupt. Es entsteht ein religiöser Subjektivismus, der dem Individuum den größten Differenzierungsspielraum gewährt.
In diesem Fehlen des objektiven Allgemeincharakters der religiösen Werte liegt der tiefere Grund, aus dem Rembrandts Auffassung der religiösen Persönlichkeit von aller statuarischen Darstellbarkeit so gänzlich fern ist. Die Plastik ist die unindividuellste Kunst, sie ist – mindestens bis zu Rodin – die Kunst der allgemeinsten Formen. Daher wird begreiflich, daß in der romanischen Renaissance auch die Gestalten der Malerei oft, in gewissen Reihen sogar typisch, wie Statuen dastehen. Der Inhaltsallgemeinheit des Katholizismus entsprach die Formallgemeinheit der Kunst, während die Rembrandtsche Empfindungsweise, für die das Allgemeinheitsproblem keinen Sinn hat, der Formungsintention, die sich zur Plastik aufgipfelt, keinen Raum geben konnte. Es fehlt der Religiosität seiner Gestalten der Allgemeinheitscharakter nicht nur, weil er ein Abstraktes ist, nicht nur weil das religiöse Leben (im Gegensatz zu den religiösen Inhalten) nur an individuellen Trägern haften kann, sondern auch weil er ein Befehlendes, Vergewaltigendes gegenüber dem Einzelnen ist. Diese Rembrandtschen Menschen sind am weitesten von aller Religiosität des »Gesetzes« entfernt, das sich als ein allgemeines und das Individuum dominierendes, in der Kirche niedergeschlagen hat. Nicht nur ist das Gesetz etwas Allgemeines, sondern das Allgemeine ist auch Gesetz. An jenen ravennatischen Bildern der göttlichen und heiligen Wesen ist, soweit sie überhaupt einer Beziehung zum Menschlichen zugänglich sein mögen, gerade das Gesetzhafte der Religion, das Magistrale der Kirche, ein unübersehbarer Zug. Sie verkünden das Wahre und Absolute, das als solches das Allgemeine und das Gesetz in Einheit ist. Eben diese Einheit ist es, der die Rembrandtschen Gestalten ganz fern stehen, weil ihr Religiössein nicht die Ausstrahlung eines Inhalts ist (so wenig es einen solchen ablehnen mag), sondern ein Lebensprozeß, eine Funktion, die sich nur innerhalb des Individuums vollziehen kann. Höchst merkwürdig gestaltet sich dies in einigen seiner Jesus-Darstellungen. In mehreren Radierungen erscheint Jesus als Knabe: dürftig, von den Umgebenden fast erdrückt, oder in dem Berliner Bild der Samariterin: beinahe nur ein Schatten, substanzlos, gegenüber der kräftigen, gleichsam fest in der Erde wurzelnden Frau. Dennoch, sieht man auch nur einen Augenblick länger hin, so ist dieses schwache, wie schwankende Wesen doch das einzig wirklich feste, alle die andern, starken und substanziellen Gestalten sind ihm gegenüber unsicher und wie entwurzelt, als hätten nicht sie, sondern nur er den Boden unter den Füßen, auf dem der Mensch eigentlich stehen kann. Und dies ist nicht durch einen Strahl vom Transzendenten her erreicht, nicht dadurch, daß irgendeine Andeutung den Heiland als einer anderen Ordnung im objektiv-metaphysischen Sinne angehörig zeigte. Er hat nur die stärkere, die stärkste Religiosität, jene unbedingte Sicherheit als eine Qualität seines menschlichen Seins, die dem Menschen nur als eine Folge oder Seite seiner Religiosität zukommt.
Dies ist um so ergreifender, als in den ganz frühen Bildern, in denen er sich noch nicht zu dieser Religiosität hinempfunden hatte, Christus umgekehrt gerade als mächtige Persönlichkeit erscheint: der große, schöne, magische Mensch, der seine Umgebung äußerlich dominiert. Wie sehr die Abbiegung von dieser Linie in jene andere von vornherein in seinem eigensten Wesen angelegt sein mußte, zeigt sich daran, daß doch auch diese Richtung sich zu letzten religiösen Tiefen hätte entwickeln können. In gewissem, wenn auch etwas modifiziertem Sinne hat Grünewald dies aufgewiesen. In der Kreuzigung – der Colmarer wie der Karlsruher – und der Predelle ist Christus der Gigant, über menschliches Maß hinausragend, durch seine Größe wie unberührbar allem, was um ihn herum ist – und nun doch von menschlichen Mächten gefällt, völlig widerspruchsvoll und das unbegreiflichste Schicksal. Hier ist nicht mehr die Rede von Seele oder einem einzelnen seelischen Affekt. Hier ist die Größe der Existenz schlechthin zur Darstellung gebracht und das Geheimnisvolle oder Widersinnige, daß sie unterliegt, ist zwar religiös, aber eigentlich nur insofern als die Dunkelheit dieses Geschehens so undurchdringlich ist, daß es dadurch in den letzten Weltgrund hinabzureichen scheint. Diese Existenz, die sich in solchem äußeren Größenmaß symbolisiert, und ihr Schicksal stehen so paradox gegeneinander, daß eine Lösung von innen her gar nicht in Frage kommt, sondern daß nur eine metaphysische Idee, ein göttlicher Ratschluß diese ungeheure Spannung übergreifen kann. Nichts dergleichen bei Rembrandt. In seinen tiefsten religiösen Bildern ist die Erscheinung Jesu auf ein Maß gebracht, das sie völlig für die Seele durchdringbar, ihr Leben und ihr Schicksal durchaus von dieser her bestimmbar macht. In dem Bildertypus, auf den ich hindeutete, ist Jesus nur die gesteigertste von Rembrandts religiösen Gestalten, deren Unterschied gegen die nichtreligiösen ausschließlich von ihrer individuellen Innerlichkeit her gesetzt ist. Diese mag von einer Gnade, von irgendeiner aus dem Übermenschlichen fließenden Kraft getragen sein; allein danach fragt er nicht, er begrenzt sein Problem an dem seelischen Sein des Menschen, das seine vielleicht vorhandene Bedingtheit von jenseits her gänzlich in sein Leben aufgenommen hat und sie nicht mehr als solche noch besonders kenntlich macht.
Gerade diese Sicherheit des Lebensfundamentes, wie sie in der von Rembrandt ausgedrückten Religiosität liegt, enthebt deren Subjektivismus der bloßen Zufälligkeit, als wäre sie eine kommende und gehende »Stimmung«, die das Subjekt mit sich abzumachen hätte, ohne daß sie etwas im objektiven Sinne bedeutete. Das ganz Große und Einzige vielmehr scheint mir zu sein: daß hier das rein im Individuum verbleibende religiöse Verhalten als ein Ewigkeitswert fühlbar gemacht ist. Um diese Auffassung der Religion zu begreifen, darf die Objektivität ihrer Werte absolut nicht mehr von einer »Lokalisierung« außerhalb des Menschen bedingt sein. Die religiöse Beschaffenheit des Subjekts ist ja selbst etwas Objektives, ist ein Sein, das an und für sich metaphysische Bedeutung hat. Der schlechte, deklassierende Sinn des »Subjekts« entsteht nur, wo man seinen ganzen Sinn durch einen Gegensatz bedingt sein läßt, wo die Gewohnheit sinnlicher gebundenen Denkens es in ein Außereinander, Gegenüber, Groß und Klein einstellt. Die Erschütterungen und Ekstasen, die in anderen Darstellungen den Menschen angesichts einer Offenbarung, einer Erscheinung oder Botschaft vom Jenseits überkommen, mögen subjektiv, im Sinne des Vorübergehenden und, vom Subjekt selbst her gesehen, Zufälligen sein. Wo aber die religiöse Tatsächlichkeit in dem Sein des Subjekts oder vielmehr als das Sein des Subjekts verankert ist, da ist seine Religiosität eben selbst etwas Objektives, ein Wert, der, einmal gesetzt, das Dasein der Welt überhaupt und zeitlos um soviel wertvoller macht.
Es mag nicht ganz leicht sein, den Unterschied dieses religiösen Wertes gegen den mystischen zu verstehen, den ich vorhin von Rembrandts Gestalten ablehnte. Es bedarf dazu eines weiteren Ausholens. Viel durchgängiger, als es im allgemeinen zugegeben wird, ist unser Wertbewußtsein relativistisch bestimmt; damit meine ich hier, daß wir gewissen letzten und absoluten Werten, sozusagen naiv, ihren Wertcharakter von einem doch noch Höheren, Umfassenden her erteilen oder legitimieren lassen. Der Wert sittlichen Tuns scheint gewiß, gerade je tiefer und reiner er gefaßt wird, völlig in sich zu ruhen und alle Bedingtheit, die ihm von außerhalb der sittlich wollenden Seele käme, abzulehnen. Dennoch haben die Denker, die für die Selbstherrlichkeit des Moralischen am unbedingtesten eintraten, seine Würde schließlich von der »Vernunft« hergeleitet, d. h. aus der Zugehörigkeit des einzelnen Handelns zu einem allgemeinen ideellen Reich von Normen und prinzipiellen Zusammenhängen. Noch so sehr mag, daß wir uns diesem Reich einordnen und seinen Gesetzen gehorchen, als die Bewährung unseres »eigentlichen Ich«, als der Sinn gerade der sittlichen Autonomie gepriesen werden – die Wurzel des sittlichen Wertes ist darum doch aus ihrem eigensten Selbstsein herausverlegt. Die Handlung ist dadurch, insoweit sie wertvoll ist, nicht ganz rein eben nur diese, sondern sie muß sich über ihre eigenen Grenzen ausdehnen und eine Bedeutung aufnehmen, die ihr von einem ideell vorbestehenden und gleichsam absoluteren Ganzen kommt. Mit der Wahrheit steht es nicht anders. Eine Erkenntnis scheint nur dann die genaueste und sicherste zu sein, wenn sie sich in ihren Grenzen, exakt im einzelnen aufzeigbar, mit denen ihres Gegenstandes deckt. Allein gerade die tieferen Theorien des Erkennens glauben dessen Wesen und Anspruch damit nicht erschöpft. Ihnen ist solche singulär festgestellte Richtigkeit erst Wahrheit, indem sie sich in die – prinzipielle – Ganzheit und Einheit alles Wahren überhaupt einstellt. Das kommt nicht zu der für sich legitimierten Einzelwahrheit noch hinzu, sondern diese besteht im genauen Sinne überhaupt nicht als solche; ihren Wert als Wahrheit erhält sie überhaupt nur dadurch, daß sie jenem Gesamtzusammenhang angehört. Die Exaktheit der Einzelfeststellung mag für das praktische Verfahren genügen. Aber dieses selbst findet nicht in den so bezeichneten Grenzen seine Rechtfertigung, sondern ist von vornherein sozusagen nur die Hülle, in die sich jene Wahrheitstotalität gerade an dieser Stelle, zu dieser Vereinzelung, kleidet. In diese Form reiht sich die mystische Religiosität ein. Sie konzentriert zwar das religiöse Leben durchaus nach innen, stellt es auf den letzten, am meisten sich selbst gehörenden Punkt der Seele, aber dennoch ist diese der Aufnahme des höchsten religiösen Wertes nur dadurch fähig, daß sie gleichsam mehr ist als sie selber, daß sie auch der Ort des göttlichen Lebens ist. Das Seelische und das Göttliche ist zwar ein unterschiedsloses Eines, aber diesem Einen kommt sein Wert von seinem Göttlich-Sein, nicht von seinem Seele-Sein. Trotz aller realen oder metaphysischen Ungetrenntheit ist es im ideellen Sinne doch die Relation, die dieses zu jenem hat, wodurch ihm sein religiöser Rang bestimmt wird. Hiergegen nun zeichnet sich die religiöse Stimmung Rembrandtscher Gestalten zart und deutlich ab. Das Spezifische ihres religiösen Wertes ist in ihre seelische Beschaffenheit ein- und in ihr aufgegangen, mögen sie außerdem zu dem objektiv Göttlichen auch die Relation der Gläubigkeit haben. Man kann das von aller Mystik wie auch von allem Theismus abgehobene (wenn auch natürlich nicht in abstrakter Isoliertheit bestehende) Element ihres religiösen Wesens mit einer gewissen Paradoxität so bezeichnen, daß sie in dieser Frömmigkeit leben würden, auch wenn kein Gott existierte oder geglaubt würde. Die Frömmigkeit hat ihren in anderen Erscheinungen bestehenden Relationscharakter abgestreift. Wie diese Frömmigkeit sich nicht nach außerhalb der Seele zu erstrecken braucht, so entlehnt sie auch ihren religiösen Wert nicht von außerhalb ihrer her. Wenn auch in der Mystik die Seele den vollen religiösen Wert in sich schließt, so ist das doch, weil sie unter dem Aspekt eines absoluten, überseelischen Göttlichen steht; an den Rembrandtschen Menschen aber ist dieser Wert überhaupt nicht einmal anders auszudrücken, als durch das reine Selbstleben ihrer Seelen, durch ihre ganz in sich selbst ruhende Frömmigkeit, die nicht zu stolz, sondern zu bescheiden ist, um sich von der göttlichen Absolutheit des Daseins überhaupt her legitimieren zu lassen.
Schwieriger vielleicht sind die Linien durch Begriffe sichtbar zu machen, die diese Religiosität von der calvinistischen trennen; doch ist der Versuch deshalb erforderlich, weil gerade die allgemeine Betontheit der individualistischen Momente im Calvinismus: der Verantwortung der Einzelseele, der ganz personalen Erwähltheit oder Verwerfung, der nur in der Einsamkeit der Seele empfundenen und sie zu individueller Betätigung aufrufenden Gnadenwirkung – weil alles dies der Rembrandtschen Empfindung vom religiösen Menschen verwandt und sie vielleicht gestaltet zu haben scheinen kann. Wenn ich die Grundposition Calvins (der spätere Calvinismus hat sie teilweise verschoben) richtig deute, so gilt gerade das Gegenteil davon. Calvins religiöse Ideenbildung rechnet mit zwei Elementen: dem heiligen und unbeschränkten Willen Gottes auf der einen Seite, der objektiven Ordnung der empirischen Menschenwelt auf der andern. Diese enthält das Leben der Gemeinde ebenso in sich wie den Beruf und die wirtschaftliche Nutztätigkeit des Einzelnen. Die große Synthese ist nun, daß die Lebensverhältnisse zu derjenigen Art von Vollendung geführt werden sollen, die von ihren eigenen, immanenten, rein sachlichen Normen und Forderungen her vorgezeichnet wird – und daß eben damit der Wille Gottes am besten erfüllt, die Gottgesegnetheit unseres Tuns am deutlichsten symbolisiert wird. Eine ganz neue Art der Lebenswertung kommt damit auf, die nach einander entgegengesetzten Seiten von der ursprünglich christlichen abweicht. Während für diese die irdischen Verfassungen da prinzipiell Gleichgültige waren, sind sie für Calvin einerseits der Ort des Sündenstandes und in einem Maße verdammungswürdig, für das jene erhabene Gleichgültigkeit gegen sie gar keinen Raum gab. Ebensowenig aber hatte sie solchen andrerseits für die merkwürdige Wertung der korrekten, irdisch pflichtmäßigen, materiell erfolgreichen Lebensordnung, die der Calvinismus nun doch, wenn auch durch allerhand spekulative Mittelglieder hindurch, ausbildete. Gewiß war der Wert dieser objektiven Ordnungen seiner ratio essendi nach durch den göttlichen Willen gesetzt; aber seine ratio cognoscendi mindestens entwickelte sich an dem Maße des praktischen Erfolges und an Forderungen, die das irdische Dasein nach seiner in sich geschlossenen normativen Logik durchweben und für den empirischen Aspekt auch dann durchweben würden, wenn es – etwas extrem ausgedrückt – gar keinen Gott gäbe. Der Calvinismus hat damit eine religionsphilosophisch nicht seltene Deutung des Verhältnisses zwischen Gott und dem naturgesetzlichen Dasein in die ethische und soziale Problematik übertragen. Man hat dieses Verhältnis nämlich so bezeichnet, daß Gott, nachdem er der Welt ihre Bewegungsgesetze einmal gegeben hätte, sozusagen von ihr zurückgetreten wäre und sie diesen, nun ihr eigenen, nun streng ausnahmslosen Gesetzen überlassen hätte; so daß diese Gesetze, ohne daß man auf ihren eigentlichen Urheber zurückgriffe, rein von der irdischen Ebene aus feststellbar und verständlich seien. So kommen zwar die Normen der Welt, wie sie als Welt sein soll, von Gott her, allein nun sind sie einmal in ihre irdische Heimat eingewurzelt und scheinen aus deren eigenen Tatsachen und Relationen herleitbar und von den Maßstäben sanktioniert, die der gleichsam von Gott besamte Boden von selbst hergibt. Die objektive irdische Ordnung, das objektiv pflichtmäßige und erfolgreiche Tun stehen für den Calvinismus gewiß nicht innerhalb des absoluten Wertes, der dem Göttlichen allein zukommt, allein sie haben – ich kann hier nur einen äußerlich widerspruchsvollen Ausdruck gebrauchen – einen absoluten Wert innerhalb des Relativen; einen Wert, der durchaus an dem objektiven Dasein dieser Ordnungen, an der Bestimmung des objektiven Weltbildes durch diese Betätigungen, diese Erfolge haftet. Das Gottesreich ist für den Calvinismus der Zweck schlechthin; aber um seinetwillen wird das Irdische behandelt, als ob es Zweck wäre. Zwischen diesen beiden Absolutheiten spannt sich für Calvin alle metaphysische Bedeutung. Das Individuum als solches ist von ihr ausgeschlossen, es ist nur die Brücke, über die hin, oder der unentbehrliche Stoff, an dem sich gleichsam der Verkehr jener beiden vollzieht. Es lebt, als wertbedeutend, durchaus nicht aus sich heraus, es hat innerhalb der Ebene der Relativität, die ihm zugewiesen ist, nicht die absolute Bedeutung, die in dieser vielmehr nur dem Sachwert, der überpersönlichen Struktur des Individuellen und vor allem des Gemeinschaftslebens zukommt. Es ist nun einmal der grundlegende Unterschied der Lebensauffassung: ob man Sinn und Bedeutung der Handlungen und Verhältnisse gleichsam aus der Tiefendimension der individuellen Wesenheit herausholt, ob deren subjektives Leben den eigentlichen Wert des Daseienden hergibt, Wurzel wie Zentrum des Interesses bildet – oder ob all diese Akzente, dies letzte Woher und Wohin der Werte an der Objektivität der Zustände, an einem Überpersönlichen haftet, ohne sich in das Eigenleben des Individuellen hineinzusenken. Indem nun der Calvinismus seinem entscheidenden Grundmotiv nach auf der letzteren Seite steht, stellt sich ihm die Religiosität der Rembrandtschen Menschen aufs entschiedenste entgegen. Noch einmal wiederholt sich hier der auf früheren Seiten so vielfach behandelte Gegensatz zwischen der Rembrandtschen Einstellung gegenüber den menschlichen Werten, die sich auf das Selbst-Sein der Individuen und ihr gleichsam um seiner selbst willen abrollendes Schicksal richtet – und der klassisch-romanischen, der es auf das Allgemeine, auf die begrifflich erfaßbare Formung ankommt; eine Wiederholung der letzten metaphysischen Motivierungen, mit entsprechenden Verschiebungen, die aber in dem Maße bezeichnend ist, in dem der klassisch-romanische Geist doch von dem calvinistischen getrennt ist, der sowohl nach der Seite der Transzendenz wie nach der der irdischen Praxis, in der einzigartigen Spannung und Einheit beider, über jenen hinausgeht. Bei der einen liegt der metaphysische Grundton auf der nach außen (nicht nur nach dem physischen Außen) hin ausgewirkten, zur allgemeinen Gesetzlichkeit entwickelten Form, bei der anderen in den objektiven Potenzen des göttlichen Willens und der irdischen, planmäßig erfolgreichen Ordnungen und Verhaltungsweisen. Ihr gemeinsames Widerspiel aber haben beide an dem Selbstwert der Bestimmung des Lebens, die rein von innen her erfolgt, aus dem Individualitätspunkt als letzter metaphysischer Formungsquelle und Wertinstanz heraus.
Wie ich nun, im Gegensatz zu all diesem wie zur Mystik, die in der Rembrandtschen Kunst lebende religiöse Einstellung deutete: daß sie bei ihm weder als ein Element noch als eine besondere Aufgipfelung des Lebens erscheint, sondern als die Art des Lebens dieser Menschen überhaupt; daß dieses subjektive religiöse Sein aber seine Bedeutung nicht in seiner psychologischen Wirklichkeit erschöpft, sondern selbst ein Metaphysisches ist, ein überzeitlicher Wert, der rein von der Innerlichkeit dieser zeitlichen Individuen getragen wird – diese Deutung sei noch nach einigen Seiten hin expliziert.
Erstens. Solcher Bedeutung der religiösen Seele liegt die der Seele überhaupt zugrunde. Wenn man Rembrandt von jeher als den »Maler der Seele« bezeichnet hat, so geht diese etwas sentimentale Formulierung zwar aus einem richtigen Eindruck hervor, aber dieser entfaltet seinen ganzen Sinn doch erst an der Aufzeigung seines Gegensatzes. Es ist eine eigentümliche Tatsache, daß die Philosophen, denen alles an der Totalität des Weltbildes, an dem systematischen Erfassen seiner Einheit liegt, fast durchgehends eine Gleichgültigkeit, auch wohl eine Abneigung gegen Psychologie zeigen. So vielfach auch das Motiv auftaucht, daß wir, gerade wenn wir uns in das Letzte und Tiefste des eigenen Seelengrundes versenken, den Grund des Daseins überhaupt oder den Punkt erreichen, wo uns Gott berührbar und zugängig ist, so ist dies doch gerade ein Überpflanzen der Seele in das Metaphysische, gerade ein Hinausgehen über das spezifisch Seelenhafte, das sie ganz in sich ist. Und so sehr man die Seele in die Welt verschlingen und als deren Entwicklungsgipfel verstehen oder umgekehrt die Welt in die Seele als deren Vorstellung und Erzeugnis hineinlegen mag – gerade wo die Seele rein als Seele lebt und empfunden wird, ist ein Sichausschließen zwischen ihr und der Welt da, das durch all jene Vermittelungen nicht dementiert, sondern gerade als ein erst zu Überwindendes gezeigt wird.
Nicht nur in Philosophien, sondern auch in den Religionen und den Künsten ist es so: wo die Ganzheit des Daseins in ihrer Breite oder ihrem objektiv eigenen Zentrum erfaßt, symbolisiert, dominiert werden soll, entgeht der Seele jener Sonderakzent, der von allen Dingen der Welt gerade nur ihr werden kann; andererseits, wo sie ihn findet, geht von ihr kein Weg zu dem Gefühl der Beherrschung, der Vorstellung des Kosmos. Gerade weil Rembrandt der »Maler der Seele« ist, fehlt seinen Gestalten – dies hat oben schon ein anderer Gegensatz begründet – jenes schwer definierbare Cachet des Kosmischen, wie es z. B. in vielen Gestalten Hodlers besteht, die sozusagen nicht – psychologisch – sich selbst, sondern irgendwie ein Kosmisches ausdrücken, dessen sie selbst wie alle anderen ein Teil sind; die Entscheidung über den künstlerischen oder seelischen Rang der einen und der anderen Kunst wird von dieser kategorialen Bestimmung nicht berührt. Sogar die Buddha-Gestalten mit ihrem Akosmismus, ihrem leidenschaftlich leidenschaftslosen Abweisen der Welt überhaupt haben eben damit zu dem tiefsten Begriff eben dieser Welt ein sehr entschiedenes, wenngleich negatives Verhältnis, und darum können sie leicht im psychologischen Sinne »seelenlos« erscheinen, während die Rembrandtsche Zentrierung alles Interesses in der Seele es weder im Gegenstand noch in der Vortragsweise zu solchem Verhältnis kommen läßt. Es gibt ein Bild von Rembrandt, in dem dies alles zu einem positiven Ausdruck gelangt: die »Auferstehung« in München. Im Vordergrunde taumeln die Kriegsknechte von der gehobenen Grabplatte herunter: das ganze sinnlose, teils gewalttätige, teils lächerliche Chaos des Irdischen. Darüber der Engel: in einer Flut unirdischen Glanzes, als hätte er die Tür des Himmels hinter sich aufgelassen, aus der ihm Glorien nachstürzen. Und nun, ganz in der Ecke, fast nur schattenhaft, wie aus der Ferne, hebt sich der Kopf Jesu mit schwer erkennbarem Ausdruck; und auf einmal wissen wir: hier ist die Seele, vor deren blassem, leidendem, noch von der Totenstarre halb gelähmtem Leben jene Erde und jener Himmel verbleichen und nichtig werden. Keinerlei sinnlich-malerische oder mystisch-religiöse Betonung liegt auf diesem Kopf, sondern das ganz Einfache: es ist die Seele, die als Seele nicht von dieser Welt ist – aber auch nicht von jener; jenseits des ungeheuren, alle sonstigen Daseinsmöglichkeiten umschließenden Gegensatzes, in den hier Erde und Himmel gestellt sind. Dies Bild, aus seinen dreißiger Jahren, ist wie ein Symbol und Programm seiner späteren höchsten Kunst; es offenbart, wie mit der Seele ein schlechthin Unvergleichliches gegeben ist, ein Dasein und ein Wert, jedem andern Dasein und Wert gegenüber souverän und gewissermaßen unberührbar, ein in sich wertvolles Reich des Subjektiven, dem freilich dem irdischen und vielleicht auch dem überirdischen Kosmos gegenüber das Einbeziehen und Einbezogenwerden abgeht. Aber nur diese Absolutheit des Prinzips Seele kann jene Religiosität tragen, deren metaphysischer Inhalt keine gegebene Heilstatsache, sondern das religiöse Leben der Seele selbst ist.
Zweitens. Daß die Religiosität der Rembrandtschen Darstellungen zwar genau so am Subjekt haftet wie dessen Leben selbst, weil sie eben nur die Art seines Lebens ist, daß sich aber an diesen Darstellungen dennoch eine Objektivität – wenn auch anderen Sinnes als etwa die der calvinischen Ordnungen und Tatergebnisse –, ein Überzufälliges und ideell Festes offenbart – das ist vielleicht noch von einer anders orientierten Basis aus zu begreifen.
Die tiefere Kunstbetrachtung wird genau zwischen der Darstellung des Religiösen und der religiösen Darstellung scheiden, so viele Werke auch beides in Einheit zeigen mögen. Solche Scheidung, allen möglichen Kunstinhalten gegenüber erforderlich, ist öfter im Prinzip anerkannt, als in der tatsächlichen Betrachtung durchgeführt. Die dichterische oder malerische Darstellung einer stark sinnlichen Szene braucht keine sinnliche Darstellung zu sein, sondern kann rein artistisch formalen Wesens sein; umgekehrt kann die künstlerische Darstellung eines in dieser Hinsicht ganz indifferenten Inhaltes etwas sinnlich höchst Aufreizendes haben – z. B. gewisse Ornamente bei Aubrey Beardsley; sie wirkt dann in dieser Hinsicht wie Musik, die, jedes Vorstellungsinhaltes bar, äußerste sinnliche Erregtheit ausdrücken und hervorrufen kann. Die allgemeine Formel für dies Verhalten ist, daß bestimmte Daseinsinhalte, als Wirklichkeiten oder in der empirischen Welt erlebt, gewisse Qualitäten und Tönungen besitzen, die ihnen nicht mehr selbstverständlich zukommen, sobald sie in die Form der Kunst übergehen. Aber die Kunst kann ihrerseits in ihrer einzelnen Ausübung diese Eigenschaften besitzen oder nicht besitzen; die Kunstform als solche kann von ihnen durchdrungen sein, mag die Wirklichkeitsform des gleichen Inhaltes sie zeigen oder nicht. Nur auf die prinzipielle Erkenntnis kommt es also an, daß es religiöse Kunstwerke gibt, deren Gegenstand gar nicht religiös zu sein braucht, wie es, viel anerkannterer Weise, gänzlich irreligiöse gibt, deren Gegenstand religiös ist.
Vielleicht ist deshalb das Ergreifende von Rembrandts biblischen Darstellungen, die in unmittelbarem Anblick nur etwa eine kleinbürgerliche Milieuszene bieten, auch so auszudrücken: das Darstellen selbst, die künstlerische Funktion des Bildes, sozusagen die manuelle Führung von Nadel, Feder, Pinsel ist religiös durchgeistet; die Dynamik des Schaffens selbst hat den eigentümlichen Ton, den wir religiös nennen und der im Gebiet der historischen Frömmigkeit und des Transzendenten zu den eigentlichen »Gegenständen« der Religion kristallisiert. Es bedarf deshalb gar keiner religiösen Einzelheiten auf diesen Bildern; das Ganze ist religiös, da die apriorische Energie, die es erzeugt hat, religiös ist. So begründet sich von der Seite des Schöpfers her, was seine Schöpfungen zeigten: daß seine Gestalten nichts inhaltlich Religiöses zu tun brauchen, weil ihr Lebensprozeß seinen religiösen Charakter ganz von selbst auf jeden seiner Inhalte überträgt; diesem Verhältnis wird erst so seine tiefste, zeugende Schicht unterbaut. Daß die Vorwürfe dieser Bilder biblisch sind, ist nur Anregung und Erleichterung für den Maler, eben diese Funktion wirken zu lassen, für den Beschauer, sie zu fühlen. Die Art, wie sich hier die malerischen Möglichkeiten verhalten, entspricht gewissen Tatsachen aus der Geschichte der Vokalmusik. Im Lied wie in der Oper ist bei manchen Komponisten Text und Musik innerlich voneinander ganz unabhängig. Mozart komponiert sogar den elendesten Text, sicher, daß die selbständige Schönheit der Musik ihn überdeckt; hier und bei anderen bilden Worte und Töne zwar eine tatsächliche Einheit, stehen aber in ganz verschiedenen Bedeutungsreihen. Anders liegt es z B. bei Bach und später wieder besonders bei Schumann. Hier besteht eine solche Vertiefung in den Text, daß er, für den Eindruck, vollkommen bildsam erscheint; das Tiefste, was er an allgemeiner Stimmung hergeben kann, wird die Wurzel, aus der das Gesamtkunstwerk aufwächst; indem die Musik selbst von dieser Grundstimmung des Textes bestimmt ist, leitet sie ihm diese wieder zu: sein eigenes Wesen, gereinigt und gestärkt durch seine Ausformung in der Musik, umfaßt und gestaltet ihn von neuem. Jenes erste Verhältnis, übertragen auf den religiösen Gegenstand und seine malerische Darstellung, besteht etwa für die Hochrenaissance und für Rubens. Welche innere Bedeutung einer Madonna zukommt, ist für Raffael irrelevant, welche einer Kreuzabnahme, danach fragt Rubens nicht. Bei beiden verläßt sich die Malerei sozusagen auf sich selbst, so daß es an ihren Eindruck nicht rührt, wenn sie den Gegenstand in seiner Eigenbedeutung nur wie einen Fremdkörper enthält. Bei Rembrandt dagegen wird die Malerei selbst von dem allgemeinen Grundmotiv des dargestellten Vorganges, dem Religiös-Sein, getränkt, und durch das Medium des so bestimmten artistischen Prozesses wird der Vorgang wiederum in jenes einbezogen. Der Gegenstand wird durch das Kunstwerden hier so geformt und beseelt, daß er vollkommen in dessen Charakter aufgeht, während eben dieser Charakter der künstlerischen Funktion aus dem allgemeinsten Sinn des Gegenstandes, seine Einzelheit weit übergreifend, genährt ist.
Die Interpretation muß hier eine naheliegende subjektivische Irrung vermeiden. Es ist mit alledem nicht etwa behauptet, daß Rembrandt sozusagen als Privatperson ein religiöser Mensch gewesen wäre und diese Stimmung seines persönlichen Lebens auf die Erzeugnisse dieses Lebens übertragen hätte; wie er sich in dieser Hinsicht innerlich verhalten hat, wissen wir nicht, und die Indizien scheinen mir bei ihm mehr gegen als für eine sehr positive Religiosität zu sprechen. Höchstens könnte man an eine allgemeine, sozusagen undifferenzierte Lebenstiefe glauben, in die innere Entwicklung und äußere Schicksale ihn geführt hätten und die das subjektive persönliche Fundament dafür ausmacht, daß er als Maler – funktionell, als der Schöpfer dieser Bilder – religiös ist. Hier liegt noch einmal der Unterschied einerseits gegen den andern Maler der Frömmigkeit. Fra Angelico ist ganz unverkennbar persönlich ein frommes Kindergemüt gewesen, er hat mit einer Unmittelbarkeit, die man nicht in Hinsicht des Objektes, wohl aber des Subjektes Naturalismus nennen kann, seine reale Lebensstimmung in sein Werk hinein fortgesetzt, während, soweit wir sehen können, es bei Rembrandt nicht die persönliche Existenz, sondern der künstlerische Prozeß war, die Art des Konzipierens und Schaffens, die dem Werk die religiöse Durchdrungenheit gab. Darum verdankt das Werk diese auch, andrerseits, nicht einfach der realistischen Beobachtung frommer Persönlichkeiten. Seine Menschen wirken, wie ich früher ausführte, gewiß als solche, die von innen her in der religiösen Sphäre leben; allein unter dieser unmittelbaren Erscheinung liegt als funktionelles Apriori das, was man das religiöse Malen – im Unterschied gegen das Malen des Religiösen – nennen muß. Diese religiöse Charakterisiertheit haftet hier wirklich nur dem Malen an, sie ist dessen immanentes Gesetz und nicht eine eigene Lebensrealität, für die das Malen nur ein Ausdrucksmittel wäre. Es sind ja auch nicht nur die Figuren, an denen dies künstlerische Apriori sich im einzelnen darstellt, sondern die Gesamtheit des Bildes ist es: Licht und Luft, die Komposition und das ganze Milieu haben diese an singulären Punkten oft gar nicht aufzuweisende Stimmung des Religiösen. Ein solcher Charakter des Ganzen kann auch nur aus einem Ganzen kommen, d. h. aus einer allgemeinen stilistischen Geste der Produktion, unbeschadet, daß sie nur an einem bestimmten Problemkreis dieser Produktion sich äußert. Der malerische oder zeichnerische Vortrag hat den inneren Stil, die Bewegtheit, das Weihevolle, die Mischung des Dunkeln und des Lichten, der Unaussprechbarkeit und des naiv Selbstverständlichen –, welches alles Religiosität heißen muß; dieser Vortrag selbst ist also religiös, er hat nicht einfach Religion, weder als Bekenntnis einer persönlich realen Gläubigkeit noch als Wiedergabe beobachteter Religiosität noch als Darstellung an sich religiöser Inhalte (obgleich alles dieses außerdem vorliegen mag). Mir ist kein Schöpfer religiöser Kunstwerke bekannt, bei dem das religiöse Moment in dieser Schicht lokalisiert wäre, so frei von aller bloßen Gegebenheit, ein Formungsgesetz des Schaffens selbst, das also »allgemein und notwendig« in dem Geschaffenen anschaulich ist.
Drittens. Dies also ist sowohl in Hinsicht der Figuren wie der künstlerischen Gestaltung das Einzigartige an Rembrandts religiösen Darstellungen: daß Religion hier in ihrem seelisch funktionellen Sinne, als Religiosität erfaßt ist, unter Ausschaltung alles kirchlich Traditionellen und seines jenseitigen Inhaltes – und daß dieser primäre Subjektivismus sich durchaus als objektiver Wert zeigt, indem er einerseits an den Gestalten ein in sich Metaphysisches, die absolute Bedeutsamkeit der religiösen Seele, repräsentiert, andrerseits an der Kunst selbst zum Apriori geworden ist, das die volle Objektivität der Kunstform besitzt, den Bedingungen des objektiven Schaffens immanent ist. Rembrandt hat ein Mittel, diese Konstellation über die menschliche Individualität hinaus zu verwirklichen: das Licht. Dieses Licht verhält sich wie der religiöse Seinsausdruck Rembrandtscher Figuren, die die so bezeichnete Bedeutung unmittelbar an sich tragen, und nicht daraufhin, daß irgendein Transzendentes, ein dogmatischer Sachverhalt an ihnen sichtbar würde. Dieses Licht ist sozusagen als natürliche Wirklichkeit religiös, wie jene Menschen es als seelische Wirklichkeit sind. Wie sie bäuerisch, beschränkt, durchaus irdisch sind, aber ihre Religiosität in sich die metaphysische Weihe trägt oder an und für sich eine metaphysische Tatsache ist, so ist das Rembrandtsche Licht auf seinen religiösen Radierungen und Bildern etwas durchaus sinnlich Irdisches, gar nicht über sich hinaus Weisendes, aber als solches etwas Überempirisches, es ist die metaphysische Verklärung des anschaulichen Seins, die dieses nicht in eine höhere Ordnung hinaufhebt, sondern fühlbar macht, daß es selbst und unmittelbar eine höhere Ordnung ist, sobald es mit religiösen Augen angeschaut wird.
Damit ist nicht etwa Pantheismus gemeint, der ja überhaupt in den bildenden Künsten nur einen schwebenden, von fernher symbolisierenden Stimmungsausdruck finden kann – so sehr das Künstlertum als solches überhaupt in pantheistischen Voraussetzungen wurzelt. Der religiöse Pantheismus ist entweder die Versöhntheit eines Dualismus, dessen Spuren nicht völlig verwischt sind und auch nicht verwischt sein dürfen, damit die gewonnene Einheit fühlbar bleibe; oder er ist eine, offenere oder heimlichere, Verneinung der sinnlichen Wirklichkeit zugunsten der alleinigen Wirklichkeit des Absoluten. Beides liegt dem Verhalten Rembrandts ganz fern. Sein spezifisches Licht stammt zwar weder von der Sonne noch aus einer künstlichen Quelle, sondern aus der künstlerischen Phantasie, aber es hat auf deren Boden völlig den Charakter seelisch-sinnlicher Anschauung, und seine Weihe und daß es nicht von dieser Welt ist, ist eine Qualität, die es durchaus als Erscheinung dieser Welt, sozusagen als künstlerische Erfahrung besitzt. Man möchte hier eine Analogie mit historischen Wirklichkeiten erkennen. Sieht man das niederländische Volk an, wie es sich auf den Bauern- und Bürgerbildern darstellt: sinnenfroh, fest in der Erde wurzelnd, gutem Essen und Trinken von Herzen ergeben, so ist es eines der erschütterndsten Schauspiele, daß gerade diese Menschen für ideale Besitze, für ihre politische Freiheit und ihr religiöses Heil rückhaltlos den Tod und Schlimmeres als den Tod auf sich nahmen. Und fast erscheint dieses in vielen der Rembrandtschen religiösen Bilder und Radierungen symbolisiert: einfache Gestalten, ohne jede subjektive Phantastik, irdisch derb – und in sich schon jener immanenten Religiosität teilhaft, werden sie jetzt noch einmal vom Licht umgriffen, um eine Totalität zu tragen, die den gleichen Charakter der rein inneren Verklärtheit offenbart, des Irdischen, das ein Überirdisches ist, ohne über sich selbst hinauszugreifen. Bilder wie die »Ruhe auf der Flucht« im Haager Museum oder die Grisaille des »Barmherzigen Samariters« in Berlin sind schlechthin einzige Erscheinungen in der Geschichte des malerischen Ausdrucks. Wie die Musik des großen Komponisten allen einzelnen und begrifflichen Inhalt des Liedtextes übergreift und eben damit doch dessen letzten Sinn in absoluter Einheit und Reinheit ausspricht – so ist hier jede Besonderheit der fast unkenntlichen Figuren, jede Spezifikation des Vorgangs völlig in die Dramatik des Hellen und des Dunkeln aufgelöst, mit der die allgemeinste, metaphysische und innere Deutung des Ereignisses uns als Vision erschüttert. Dies Licht ist die religiöse Weihe, das Zeichen des Von-Gott-Seins in der Atmosphäre, in der räumlichen Welt um uns herum, deren nur innerlich eigene Qualität damit ausgedrückt ist.
Man kann das Problem nicht abweisen, wie sich die Betonung dieses höchst allgemeinen Elementes wohl zu der individualistischen Gerichtetheit der Rembrandtschen Kunst verhalte. Ich führte vorhin schon aus, daß die religiösen Figuren nicht die einsame Einzigkeit des Porträts zeigten. So wenig ihr religiöser Charakter von ihrem Leben getrennt, vielmehr nur dessen Modus ist, so ist es unleugbar selbst so eine angebbare Eigenschaft und als solche etwas Allgemeineres, Vielen gleichmäßig Anhaftendes; die Einzigkeit der Porträtgestalten beruhte gerade in der Nicht-Angebbarkeit irgendeines einzelnen Charakterzuges – denn sowie ein solcher zu bezeichnen ist, besteht er ideell außerhalb seines Trägers und ist nicht dessen alleinigem Besitze vorbehalten. Jene Lockerung des Individualitätsprinzips – mehr als Lockerung ist es nicht – setzt sich in der Bedeutung und Betonung des Lichtes fort. Die Individualität scheint zwar mit dem Licht in ein Allgemeines, Weltmäßiges aufgelöst, aber die Welt dieses Lichtes ist zunächst die Welt der Seele. Es ist, als hätte die Seelenhaftigkeit die Form der Individualität verlassen und wäre in diese tiefe wogende Dynamik von Licht und Schatten aufgegangen. Das ist nicht vom Subjekt her zu verstehen, als bedeutete es den Ausdruck für eine »Stimmung« des Schöpfers oder des Beschauers; dies lyrische Moment liegt fern. Auch ist die seelische Bedeutung dieses Lichtes nicht etwa eine »symbolische«. Für einige seiner landschaftlichen Bilder und Radierungen mag das gelten; da soll es gewisse differenzierte Affekte oder Ideen vorstellen und ist dadurch eigentlich mehr allegorisch als symbolisch. In jenen Darstellungen aber ist es unmittelbar religiöse Atmosphäre, religiöse Weltfärbung. Es symbolisiert nichts, während in anderen Gemälden etwa der vom geöffneten Himmel herunterzuckende Strahl oder das vom Christkind ausgehende Leuchten Symbole sind. Nur die Worte, in die man die künstlerische Tatsache notdürftig fassen mag, können nicht anders als symbolisch sein. Es ist also, als ob das Licht in sich selbst lebendig wäre, als ob Kampf und Frieden, Gegensatz und Verwandtschaft, Leidenschaft und Sanftmut dieses Kräftespiel von Licht und Dunkelheit unmittelbar trügen, nicht als ein Dahinterstehendes, das sich in diesem Spiel erst ausdrückte, sondern wie wir in der Statik und Dynamik unserer einzelnen Vorstellungen und Affekte einen tieferen Rhythmus des seelischen Lebens überhaupt wahrzunehmen meinen; dieser aber ist nicht der Drahtzieher oder das »Ding an sich« jener Phänomene, sondern ihre Kraft, ihre Lebendigkeit selbst und nur in dem reflektierenden Ausdruck von ihnen geschieden. Die immer auffallende »Wärme« des Rembrandtschen Lichtes ist mit dieser Lebendigkeit identisch; das Licht z. B. auf Correggios Heiliger Nacht hat dagegen etwas Mechanisches, es entspricht Newtons Vorstellung vom Licht, die Rembrandts dagegen der Goethes. Das Licht hat hier die intensive Tiefe, die Rhythmik der Gegensätze, das Fließende und Vibrierende, das wir sonst nur als die prinzipiellen Formen des seelischen Lebens kennen. Damit aber ist, ein so allgemeines Weltelement das Licht sonst auch sein mag, ihm eine gewissermaßen individualistische Wendung gegeben. Ich habe öfters hervorgehoben, daß jene eigentümliche Dimension des Empfindens, Anschauens, Bildens, die wir das Kosmische nennen, nicht der Ort Rembrandtscher Kunst sei, und daß man eben dies in Rembrandts Lichtbehandlung hat sehen wollen, halte ich für eine Mißdeutung. Es ist das Wesen des Kosmischen in seinem weitesten Sinne, auch über das Seelenprinzip hinüberzugreifen, ja dieses Überschreiten auch noch der seelischen Unendlichkeit, des weitesten und tiefsten aller benennbaren Weltelemente, bezeichnet erst seine eigentliche und volle Bedeutung. Von diesem absolut Weltmäßigen scheint mir Rembrandts Licht nicht Zeugnis abzulegen, wie allerdings etwa Correggios Domkuppel in Parma oder wie in anderer Formung der Goldglanz mancher Trecento-Bilder es tut. Auch in der Verwendung des Lichtes, das an sich weit über alle menschliche Individualisierung hinausreicht, bleibt Rembrandt immer in den Grenzen des seelischen Sinnes, der seelischen Dynamik. Wie die Seele seiner Porträtgestalten, so ist ihm auch das Licht ein in sich, in seiner eigenen innerlichen Bedeutung zentrierendes Sein. Es wendet sich nicht hinaus zu einer ihm kontinuierlich verknüpften oder von ihm repräsentierten Welt des Lichts, wie es aus Bildern von van Gogh aufleuchtet und in geringerem Maße aus manchen modernen französischen Impressionistenbildern. Gerade gegenüber den Bildern und Radierungen, die, auf gegenständliche Formen fast verzichtend, ausschließlich aus Licht und Schatten und ihren Relationen bestehen, möchte ich den Eindruck so schildern: daß man das Licht nicht als einen Teil der Lichtwelt überhaupt empfindet, sondern eben ausschließlich als das Licht dieses Vorganges, ein einmaliges, gerade nur an dieser Stelle lebendiges. Das hängt wohl mit dem vorhin Betonten zusammen, daß das spezifische Rembrandtsche Licht nicht von der Sonne oder von einer künstlichen Lichtquelle realistisch hergeleitet ist, sondern ein Erzeugnis seiner individuellen künstlerischen Phantasie ist. Deshalb besitzt es sozusagen keine Brücken zur Welt außerhalb seiner, sondern entfaltet und begrenzt sich ausschließlich innerhalb seines Rahmens. Und gerade so verhält es sich mit der Negation des Lichts. Die Finsternis auf einigen seiner Radierungen gehört nicht zu der Nacht des Weltteils, man spürt nicht, daß Nacht rings um die Bildszene herum und diese deshalb dunkel ist. Während sonst eine Erscheinung gegeben ist, die an sich ebenso im Hellen wie im Dunkeln stehen könnte, nur jetzt eben, weil überhaupt Nacht ist, verdunkelt wird, ist die Finsternis der Rembrandtschen Nachtstücke eine immanente Qualität des Bildinhaltes selbst; weil sie sich nur in ihm, durch ihn erzeugt, kann sie gar nicht über seine Grenzen hinausdunkeln, so wenig das Rembrandtsche Licht, weil es in und mit dem Bilde geboren ist, aus ihm herausquellen kann, um – wie in Manetschen und Liebermannschen Bildern – gleichsam in Rückprojektion als Empfängnis aus einer umgebenden Lichtwelt zu erscheinen. Gewiß ist das Licht, mit dem, statt mit der Linie der Gegenstände, gemalt wird, etwas Allgemeines; aber nicht das Allgemeine, das dieses Bild mit andern Bildern oder Dingen teilt, sondern das Allgemeine seiner selbst, es ist die Aufhebung der Einzelheiten durch die einfachste, reinste Ausdrucksmöglichkeit des Bild-Sinnes, aber nicht die Aufhebung seiner Eigenheit, seines in sich beschlossenen Für-sich-Seins. Man hat den Barockstil, als den spezifisch »malerischen«, im Gegensatz zum linearen Stil auch damit charakterisiert, daß dieser den Wertakzent auf die Grenzen der Dinge lege, in jenem aber die Erscheinung ins Unbegrenzte hinüberspiele. So scheint es auch bei Rembrandt zu liegen. Auch er löst die begrenzende Linie auf, und an die Stelle ihrer Eigenrichtung setzt er ein flirrendes, nach allen Richtungen schwingendes und vibrierendes Leben. Aber sein Unvergleichliches ist, daß die so angedeuteten Unendlichkeiten dem Bilde immanent sind, daß er sie, die von sich selbst her alle Festigkeiten auflösen, in das Innere des Bildes zurückgeknüpft hat. Es ist eine neue Festigkeit, an Stelle der unmittelbaren, an den Elementen haftenden: als oder durch absolute geistige Beherrschung der Gelöstheiten der Elemente. Bei manchen nachklassischen Malern führt das Verschwimmende, Grenzenlösende, Untastbare der Erscheinungen irgendwie aus dem Bilde heraus, wenn auch nicht im direkten Sinne eines räumlichen Heraustretens; wie aber Rembrandt das Licht im Bilde festhält und seine Unendlichkeit ausschließlich für dessen Innerlichkeit ausnutzt, indem es nur in ihm zu entspringen, nicht aber von irgendeinem andern Punkt hingeleitet zu sein scheint, so bannt er auch alles Sich-Verlaufende, den Umriß Überspringende seiner Gegenstände streng in den Bezirk des Bildes, leitet es, von jeder seiner Richtungen und Bedeutungen her, der geschlossenen Individualität dieses Bezirkes zu. Mit alledem gewinnt das Licht, metaphysisch gesprochen, bei ihm dieselbe Beseeltheitsform, die die Porträts zeigen. Was in diesen als Seele fühlbar ist, ist nicht ein Teil oder ein Wellenschlag einer mystischen Beseeltheit des Alls, wie es aus Gestalten der alt-ostasiatischen Kunst heraus fühlbar ist; es ist auch nicht die Erscheinung oder Vertretung des allgemeinsten Menschenschicksals in der ganzen Weite und Tiefe der Tragik, die mit dem Wesen des Menschen überhaupt geboren ist, wie es die Gestalten Michelangelos zeigen; sondern es ist die Seele, die in den Grenzen dieser Persönlichkeit und ihres Schicksals zu entspringen und sich auszuleben scheint. Nur daß diese Individualisiertheit sich in ihrer allgemeinsten Form darstellt, insofern keine Einzelheit eines angebbaren Inhaltes in die Sichtbarkeit tritt, sondern nur das sozusagen Funktionelle der Seele in ihrem reinsten innersten Leben, ihrer Beschaffenheit und schicksalsmäßigen Bestimmtheit. So also ist das Rembrandtsche Licht durchaus auf den Raum und Vorgang des jeweiligen Bildes beschränkt, aber es bedeutet (mindestens in den eigentlich nur aus Licht und Schatten, bei fast unerkennbaren Einzelheiten, bestehenden Kompositionen) die Hebung des Bildnisses über jedes Dies und Das hinaus in sein eigenes Allgemeinstes, in den höchstmöglichen Ausdruck seines reinen, sublimierten Wesens. Es ersetzt gleichsam die äußere Allgemeinheit durch die innere, es zeigt, wie ich schon sagte, nicht die Einheit des Bildes mit irgend etwas außerhalb seiner, sondern die letzte und einfachste Einheit des Bildes selbst. Dies ist der Zusammenhang, durch den hin das Rembrandtsche Licht jene einzigartige Beseeltheit erwirbt. Denn wie es von allem empirisch Gegebenen nur die Seele ist, die alles Mannigfaltigste in oder aus der Einheit ihres eigensten Lebens aufgehen läßt, so muß das Rembrandtsche Licht, um in die individuell abgeschlossene Einheit seines Lebens und Webens den ganzen Reichtum und die Schwingungsweite eines oft vielfigurigen religiösen Vorganges zu sammeln, eben diese sonst nur der Seele vorbehaltene Kraft besitzen: ein sachlich Mannigfaltiges in ein einheitlich Allgemeines zu formen, den Gegensatz von Individualität und Allgemeinheit von der ersteren her zu lösen.
Es erläutert diese Beziehungen, daß das Licht, wo es jene sozusagen abstraktere Allgemeinheit hat, sich überhaupt der Ganzheit des jeweiligen Bildes, seinem innerlichen und künstlerischen Sinne nicht so eng verbindet wie bei Rembrandt. In dem größten Teil der Barockmalerei tritt dies am entschiedensten hervor. Hier ist das Licht eigentlich nur ein zu der schon vorbestehenden Bildganzheit noch hinzugeborgtes Element, das gewisse, in jener schon angelegte Werte und Akzente, z. B, die Umrisse der Gestalten, klarer und vielleicht reizvoller zu machen hat. Wird bei den großen Malern des kosmischen Lichts durch dessen Bestand jenseits des Bildes eine geheimnisvolle Expansion der Schauung und Stimmung bewirkt, so wird bei dem mittleren Barockmaler an dieser Außerhalb-Existenz des Lichts nur um so deutlicher die gleichsam mechanische Zusammengesetztheit des Bildes aus einander wurzelfremden Elementen empfunden. Aber selbst bei Meistern der Farbe, außer bei Rembrandt, wirkt mindestens das Helldunkel als ein gleichsam funktionelles Mittel, um die substanzielle Farbe zu nuancieren, ihr Kräfte und Betonungen zu geben. Es steht aber durch seinen Charakter als Mittel irgendwie nicht ganz in der gleichen Schicht mit den eigentlich konstitutiven Farbwerten des Bildes. Dieses ideelle Außerhalb besteht für das Rembrandtsche Licht nicht. Es ist eben eine Lebendigkeit dieses einzelnen Bildes selbst, in derjenigen Einheit mit dessen sonstigen Elementen, die es nur in der Form der Individualität gibt; weshalb denn auch begreiflich die Farben innerhalb seines Helldunkels nicht zu der Reinheit und sozusagen partikularen Schönheit kommen, die die größere, nicht von der Individualitätsform aufgehobene Gesondertheit der Bildelemente ihnen erlauben kann.
Diese Individualität des Bildganzen muß, wie auf die Beziehung zu der umbestehenden Welt, auch auf die Sonderbetonung der Bildteile verzichten, weil nur so die Einheit entsteht, die auch von innen undurchbrechlich ist. Wie sehr das Rembrandtsche Licht diese trägt, wird gerade durch den Vergleich mit Caravaggio deutlich. Denn indem dieser Licht und Dunkelheit aufs stärkste benutzt, aber im wesentlichen um die einzelnen Bildelemente herauszuheben, entsteht doch nur ein schneidender Kontrast in gegenseitiger Begrenzung von Hell und Dunkel. Rembrandt dagegen, auf Partialakzentuierungen zugunsten der Individualität des Ganzen verzichtend, läßt es zu solcher Parteiung nicht kommen. Licht und Schatten sind ihm nicht, wie Caravaggio sie wegen der Individualisierung innerhalb des Bildes fast darzustellen scheint, feindliche Potenzen, sondern weil ihm nur das Ganze Individualität ist, sind sie ihm wie Geschwister, deren Wesensarten und Betätigungsbezirke sanft gleitend ineinander übergehen und die Gemeinsamkeit ihrer Herkunft – eben die alle Einzelheiten durchdringende Einheit des Bildes selbst – nie vergessen.
Wenn dieses Licht als rein innerlich mit der Bildindividualität solidarisches, deshalb weder kosmisch noch transzendent noch symbolisch sein kann, so lehnt es auch noch das letzte Hinausgreifen über eben diese Immanenz ab: die Beziehung zur äußeren Licht realität, zur Objektivität der Modellszene. Wie wir früher festgestellt haben, daß die Beseeltheit der Rembrandtschen Porträtgestalten nicht dadurch gewonnen ist, daß sie den Beschauer auf die Lebensrealität des Modells hinweisen, wie vielmehr in diesen, sich in sich selbst absolut genügenden Kunstwerken das Physische der Erscheinung mit der Beseeltheit identisch ist, so führt uns auch das Rembrandtsche Licht nicht auf ein solches hin, das eine entsprechende Realszene erleuchtet. Auch hier ist die Forderung an das reine Kunstwerk erfüllt, seine Wirkung aus sich selbst zu beziehen, und soviel von der Welt es auch in sich eingezogen hat, damit nicht wieder eine Brücke in die Welt hinaus zu schlagen, um sich aus ihr zu ergänzen.
Selbst ein so phantastisches Licht wie in Correggios Nacht erscheint als Reproduktion des Lichts, das zu dem ganzen von dem Bild wiedergegebenen Realvorgang gehört, sogar in der Beschränkung, daß es nicht einmal den Raum erleuchtet, sondern nur die Oberfläche der Akteure. Erst bei Rembrandt ist das Licht nur in dem Bilde selbst entsprungen, nur auf das malerisch Sichtbare bezogen, ohne daß man, durch dieses gleichsam hindurchsehend, einen entsprechenden Vorgang in der realen Welt zu imaginieren veranlaßt würde. Ja, dieses Immanente der Rembrandtschen Kunst und daß es schlechthin in der Sphäre seiner schöpferischen Beseeltheit verbleibt, das ist gerade dieser Irrealität des Lichts zuzuschreiben. Das wirkliche Licht, gleichmäßig über Gerechte und Ungerechte scheinend, das Abstehendste verbindend, überall in seiner Quelleinheit empfunden, dem Unvergleichbarsten doch eine Gleichmäßigkeit an Helligkeit und Schatten verleihend – dieses Licht setzt jedes Geschehende am ehesten mit all dem, was außerhalb seiner geschieht, in Beziehung, es ist insofern für das Einzelne ein im höchsten Maße realisierendes Element, verneint am stärksten die Abgeschlossenheit der Dinge in sich. Denn Wirklichkeit kommt den einzelnen Inhalten nur in dem Zusammenhang oder als der Zusammenhang mit der Welttotalität zu, es ist ein Relationsbegriff wie die Schwere, die das einzelne irdische Ding nur in der Wechselwirkung mit der Ganzheit des Erdkörpers gewinnt. Die Herstellung dieses Zusammenhanges, d. h. der Realität, ist, wie gesagt, eine der wesentlichen Funktionen des empirischen Lichts. Rembrandts Licht lehnt diese Funktion ab, durch die das Licht auf andern Bildern sich sozusagen über den Rahmen des Bildinhaltes hinausbegibt und damit diesen Inhalt selbst in die Realität außerhalb des Bildes einstellt. Dieser Hinweis auf das reale Modell fällt bei ihm fort, weil sein Licht nur das Licht dieses Bildes ist; dadurch ist das Bild mehr als irgend sonst der Realität enthoben, selbstgenugsam aus einer anderen Wurzel als der der Weltwirklichkeit gewachsen. Nur die lichtlosen Bilder des Trecento haben aus demselben, nur negativ gewendeten Grund diese Unwirklichkeit.
Angesichts der überwältigenden Tatsächlichkeit des natürlichen Lichtes ist das hier berührte Verhältnis des künstlerischen zu ihm vielleicht die tiefstgegründete Gelegenheit, in das Realismusproblem an seiner ganz entscheidenden Stelle einzutreten. Daß die auf das Licht gestellten Szenen bei Rembrandt in Hinsicht des Lichts mit sich abschließen, daß jede gleichsam ein sich selbst mit Licht speisender Kosmos ist, dies gerade entfernt sie am weitesten von dem Realismus, der im Kunstwerk die Spiegelung eines Stückes Wirklichkeit sieht; denn in jedem Stück Wirklichkeit ist das Licht ein Fragment oder Abkömmling des auch außerhalb seiner flutenden kosmischen Lichtes überhaupt. Gerade mit diesem Realismus ist die Theorie, daß die Kunst ein »Schein« ist, aufs engste verwandt.
Der Schein ist der Schein von Etwas, und zwar ein solcher, der das Etwas repräsentiert, der die Illusion von dessen Realität ebenso erweckt, wie die Wirklichkeit die wahre Vorstellung eben dieser. Der Akzent, den die Scheintheorie auf die Irrealität des Kunstwerkes legt, ist selbst nur ein Schein: ihr gemäß wäre das Entscheidende für die Kunst, daß sie durch eine scheinhafte Darstellung eben dieselbe Anschauung psychologisch erzeugt, die sonst von der Realität ausgeht. Ich habe dies oben für das Porträt in Gegenhaltung gegen die Photographie und dann wieder für die Bewegung im Bilde abgewiesen. Allein der Bezirk der Frage geht über diese Einzelfälle weit hinaus, denn sie lautet in ihrer allgemeinen Fassung: was sehen wir eigentlich an einem Bilde, das irgend etwas »darstellt«? – und hier stehen wir recht eigentlich im Zentrum der kunstphilosophischen Probleme.
Auf einer berühmten Radierung seiner Mutter (angeblich von 1628) hat Rembrandt einen Pelzkragen angebracht, der ein wahres Wunder der Radierkunst ist: mit ein paar Dutzend minimaler, scheinbar regellos hingesetzter Strichelchen ist die einzigartige Stofflichkeit des Pelzwerks schlechthin überzeugend gegeben. Eine ganz kleine seiner Handzeichnungen stellt einen ländlichen, auf ein Gehölz zuführenden Weg dar. Hier ist die Streckung des eingezäunten Weges, die Entfernung bis zu dem Wäldchen, die Unermeßlichkeit des Luftraumes darüber mit unbegreiflich wenigen Strichen zur Anschauung gebracht, die Landschaft steht in völliger Festigkeit und Unzweideutigkeit da. Was liegt nun in diesen (natürlich beliebig ausgewählten) Fällen vor? Sehe ich mit dem inneren Auge einen wirklichen Pelzkragen und eine wirkliche Landschaft, etwa so, wie die Erinnerung mir solche Bilder, nachdem ich sie in empirischer Wirklichkeit erblickt habe, wieder vergegenwärtigt? Das Ziel des Kunstwerkes wäre dann eine von ihm irgendwie hervorgerufene innere Schauung von Wirklichkeit, und mit deren Erreichung wäre es selbst, in seiner Unmittelbarkeit, so belanglos wie die Brücke es ist, sobald sie ihre Funktion, überschritten zu werden, ausgeübt hat; so wäre tatsächlich das Kunstwerk ein »Schein«, erst von einer ihm jenseitigen Wirklichkeit Sinn, Wert, Substanz erhaltend, weil eine äußere Formgleichheit es mit dieser verbindet und ihm gewissermaßen das Recht zur seelischen Reproduktion der Wirklichkeit gibt. Ich stelle nun hier – wie früher bei einem spezielleren Anlaß – schlechtweg in Abrede, daß man beim Anblick jener Blätter sich einen »wirklichen« Pelzkragen oder Landweg »vorstellt«. Wie sollte denn diese wirkliche Landschaft aussehen? Hat sie, wie es einer solchen doch mindestens zukommt, grüne Vegetation und blauen Himmel? Ich kann, während ich die schwarz-weiße Zeichnung betrachte, absolut nichts dieser Art in meinem Bewußtsein finden; neben die Striche, die ich sinnlich sehe und zur Einheit zusammenfasse, stellt mir meine Phantasie nichts, was die Ausdehnung und Mannigfaltigkeit, die Farben und die Bewegtheit einer empirischen Landschaft hätte. Auch wüßte ich nicht, mit welchem Material das geschehen sollte; denn ich kenne keine genau gleiche Landschaft, so daß die Zeichnung den Dienst der Photographie einer solchen Szenerie leistete, und die Zusammenfügung aus einzelnen verstreuten Erinnerungsstücken ist eine Hypothese, die auch nur zu diskutieren ganz unsinnig wäre. Es kommt also das Objekt nicht einmal seelisch zustande, von dem die Zeichnung der bloße »Schein« wäre. Einen seltsamen Widerspruch begeht die Ästhetik, wenn sie im Kunstwerk ein Geschenk an uns, über unseren Wirklichkeitsbesitz hinaus, erblickt und zugleich voraussetzt, daß wir es von uns aus zur vollen Wirklichkeitsvorstellung ergänzen. Unmöglich kann das Schlagwort: Zeichnen ist Weglassen – die künstlerische Sprache als eine Art Telegrammstil erscheinen lassen, dessen Zusammengedrängtheiten wir ohne weiteres mit der Vollständigkeit des normalen Satzes ausstatten. Tatsächlich sehen wir an jenen Zeichnungen genau das, was auf dem Papier steht, und borgen ihm nicht, mit einer phantasiemäßigen Bedeutung des »Sehens«, noch ein substanzielles Plus aus einer anderen Ordnung der Dinge hinzu. Und wenn jenes tatsächliche Sehen doch einen anderen Gegenstand hat oder bildet, als eine Summe nebeneinanderstehender Striche, so ist dieses Andere oder dieses Mehr etwas dem unmittelbar Gesehenen Immanentes, eine bestimmte Art, das Dastehende zu sehen, eine funktionelle Beziehung von dessen Bestandstücken untereinander, niemals aber ein substanzielles Geschenk von Gnaden des Gedächtnisses. Wir sagen, daß wir hier einen Pelz, dort eine Landschaft »sehen« – und sicherlich ist dies mehr als eine sachlich unbegründete Ausdrucksübertragung. Ebenso zweifellos freilich können wir das nur auf Grund eines herangebrachten Wissens um diese Gegenstände – eines Wissens, das nun doch, wie im Widerspruch gegen das bisher Behauptete, aus anderweitig gemachten Wirklichkeitserfahrungen stammen muß. Diesen beiden, scheinbar einander entgegengesetzten Bedingungen also muß die Beantwortung der Frage: was sehen wir eigentlich am Kunstwerk? genugtun: sie muß einerseits das Kunstwerk als selbstgenugsames, keiner erborgten Ergänzung bedürftiges bestehen lassen, andrerseits aber begreiflich machen, wieso es zu dem, was wir in ihm zu »sehen« behaupten, doch nur durch Erfahrungen kommt, die aus der kunstfremden Sphäre der Wirklichkeit genommen sind.
Angesichts dieses Problems mache man sich klar, was wir denn an dem »realen« Gegenstande sehen. Sicherlich nicht das, was wir z. B. mit dem vollständigen Begriff eines Pelzkragens meinen. Im bloßen Sehen haben wir vielmehr einen farbigen Eindruck, der rein optisch und, bei Verzicht auf alle Tasterfahrungen, nicht dreidimensional-substanziell ist. Und daß er sich gegen die Umgebung als ein bestimmtes, in sich zusammenhängendes Etwas abhebt, ist auch nicht mit dem Hinsehen allein gegeben. Denn dieses zeigt nur das mannigfaltig gefärbte, in wechselndem Relief aufgebaute, dabei aber doch in sich kontinuierliche Oberflächenbild des ganzen jeweiligen Gesichtsfeldes. Der Pelzkragen, als eine für sich sinnvolle, von einem einheitlichen Begriff zusammengehaltene und ihn erfüllende Wesenheit, ist das Ergebnis von Herauslösungen und Synthesen, die von Berührungsgefühlen, Hantierungen, praktischen Zwecken, verstandesmäßigen Einordnungen, kurz von einer großen Menge seelischer Faktoren außer den optischen getragen werden. Wir sehen gar nicht, daß dies ein Pelzkragen ist, sondern wir haben einen optischen Eindruck, den wir auf Grund von Momenten ganz anderer Herkunft als Pelzkragen erfahren oder bezeichnen. Und nur wenn man unter dem »wirklichen« Pelzkragen jenen ganzen Komplex optischer und taktiler, substanzhafter, praktischer Momente versteht, kann man überhaupt den gezeichneten als einen »Schein« bezeichnen. Denn dann mag man ihm zutrauen, diese Gesamtvorstellung ebenso erwecken zu wollen, wie das tatsächlich dieser zugehörige Bild es tat; und dies müßte freilich Illusion heißen, weil nur an jenes andere Anschauungsbild, aber nicht an dieses, die Verbindungen sich ansetzen, die es in die Sphäre der Realität tragen. Innerhalb dieser Verbindungen und dieser Sphäre hat das optische Bild eine bestimmte Form. Sobald aber durch deren Anblick die Produktivität des Künstlers angeregt ist, geht aus ihr ein Gebilde hervor, für dessen Form diese Produktivität allein verantwortlich ist. Immerhin besitzt aus diesem Zusammenhang heraus diese Form mit jener eine Verwandtschaft, aber dies verhindert die innere Autonomie, die Eigenbestimmtheit des Wachstums der ersteren so wenig, wie ein Liebesgedicht darum weniger ein Erzeugnis der schlechthin selbständigen künstlerischen Keimkraft ist, weil es durch ein reales Liebeserlebnis ausgelöst ist und dessen Inhalt in seiner nun eigenen Form ausspricht, die mit der Form seines Erlebtwerdens in der Wirklichkeitssphäre gar nichts zu tun hat. Die künstlerische Vision und Ausgestaltung des Gebildes, das in jenen dreidimensionalen und praktischen Zusammenhängen ein »wirklicher« Pelzkragen ist, geht nach Ursprung, Form und Sinn genau so autochthon auf den künstlerischen Geist und seine schöpferischen Kategorien zurück, wie der dreidimensionale Pelzkragen auf all diejenigen genetischen und korrelativen Momente, auf die hin wir ihn einen »wirklichen« nennen.
Die Frage, welche Bedeutung der Inhalt oder Gegenstand des Kunstwerks für das Kunstwerk als solches hat, fordert, wie ich glaube, eine Antwort, die durch diese Festsetzung fundiert und verdeutlicht wird. Daß die Theorie des l'art pour l'art jede Bedeutung des Gegenstandes schlechthin in Abrede stellte – so daß der gemalte Kohlkopf und die gemalte Madonna als Kunstwerke a priori völlig gleichwertig seien –, war eine durchaus begreifliche Reaktion gegen eine Kunst, die sich zum Organ von anekdotischen, geschichtlichen, sentimentalen Mitteilungen machte oder die erhabenen und tiefen »Ideen« eine Bedeutsamkeit und einen Wert entlieh, um ein Bild damit auszuputzen. Wenn dem gegenüber das Schlagwort vom Kohlkopf und der Madonna aufkam, so war das Gerechtfertigte daran jedenfalls das Negative: es sei Unehrlichkeit und Verschiefung, dem Kunstwerk einen Reiz und eine Bedeutung zuzuschanzen, die aus anderen Wertprovinzen einfach herübergenommen, nicht durch Bearbeitung seines eigenen Bodens selbstverdient ist. Es ist derselbe unrechtmäßige Erwerb, wie wenn ein schlechter Dramatiker durch die Einführung großer historischer Persönlichkeiten seinem Stück ein Interesse sichert, das die Zuschauer schon aus ihren anderweitig erworbenen Geschichtskenntnissen heraus ins Theater mitbringen. Der Satz, daß der Gegenstand des Kunstwerks gleichgültig sei, hat den legitimen Sinn, daß Bedeutungen und Werte, die der Gegenstand innerhalb anderer, nicht-künstlerischer Ordnungen besitzt, dem künstlerischen Wert des Werkes nichts hinzutun dürfen und deshalb für ihn gleichgültig sind. Daß die Madonna in der kirchlichen Sphäre ein Gegenstand der Anbetung ist, geht das Kunstwerk als solches so wenig an, wie daß der Kohlkopf in der Sphäre der Praxis ein Gegenstand der Ernährung ist (wobei vorbehalten bleibt, daß die religiöse Empfindung jenseits ihrer psychologischen oder kirchlichen Realisierung zum Inhalt einer rein künstlerischen Gestaltung gewählt werden kann). Diese Gleichgültigkeit des Gegenstandes, die seinen außerhalb der Kunst gelegenen Sinn für diese betrifft, wird nun aber völlig unrichtig als eine Gleichgültigkeit gedeutet, die dem Gegenstand als reinem Inhalt des Kunstwerks zukommt, in der grenzsicheren Immanenz seiner künstlerischen Verwertung. Ihn auch in diesem Sinne für indifferent zu erklären, ist eine willkürliche Zerreißung der Einheit des Kunstwerks, die für kein in sie eingeschlossenes Element Gleichgültigkeit zuläßt. Es wäre doch auch sehr merkwürdig, wenn, während z. B. der Stoff des Dramas oder des Epos ein glücklich oder ein unglücklich gewählter, ein großer oder ein unbedeutender (rein seiner künstlerischen Dignität nach) sein kann, für die bildende Kunst diese Wertigkeit des Stoffes einfach versagen sollte. Diese scheinbar rein artistische Behauptung geht in Wirklichkeit auf eine naturalistische Undifferenziertheit zurück: man scheidet die Bedeutungen, die einen Gegenstand in der Kategorie der Realität bekleiden, nicht reinlich von den Funktionen, die er, zum Kunstwerk gebildet, ausübt, und lehnt die letzteren ab, weil man das Hineinspielen der ersteren zuläßt oder fürchtet. Die Madonna ist freilich nicht deshalb ein »würdigerer« Darstellungsgegenstand, weil sie angebetet, der Kohlkopf aber nur verspeist wird, sondern weil ihre Darstellung mehr Gelegenheit zur Entfaltung rein künstlerischer Qualitäten gibt. Würde etwa jemand die umgekehrte artistische Wertkonsequenz für diese Objekte behaupten und beweisen können, so wäre eben der Kohlkopf der würdigere Bildinhalt.
Dies scheint mir eine ganz klare Entscheidung, sobald man die Grundvoraussetzung annimmt, daß Wirklichkeit und Kunst zwei koordinierte Formungsmöglichkeiten für den identischen Inhalt sind. Die resultierenden Gebilde gehen einander nichts an, die Wertordnungen innerhalb der einen Kategorie fallen mit der der anderen gelegentlich zusammen, gelegentlich auseinander, und es ist deshalb ebenso schief, Bedeutungen und Gestaltungen eines Inhalts, insofern er wirklich ist, auf sein Bild als künstlerisch geformtes zu übertragen, wie es wäre, die Beziehungen, und Werte des letzteren zu Besitztümern oder zu Kriterien seiner Wirklichkeit zu machen.
Diese wesenhafte Äquivalenz oder Parallelität des realen und des künstlerischen Gebildes leidet natürlich nicht darunter, daß für die Einzelherstellung des letzteren die Anschauung des ersteren empirisch-psychologische Bedingung ist und jener vorangehen muß. Es verhält sich damit ungefähr wie mit den Figuren der geometrischen Wissenschaft. Der mathematische Kreis als solcher hat mit den runden Dingen in der realen Welt nicht das Geringste zu tun, er gehört einer fundamental und völlig anderen Ordnung an und ist in der empirisch-physischen überhaupt nicht herzustellen. Dennoch würde, wenn nicht in der letzteren irgendwie runde Dinge zu beobachten wären, wahrscheinlich niemand auf die Idee des mathematischen Kreises gekommen sein. Dies gilt gleichmäßig für den Schöpfer wie für den Beschauer. Dieser würde den Strichkomplex nicht begreifen – wie jener ihn nicht schaffen –, wenn er niemals einen wirklichen Pelzkragen gesehen hätte. Allein solche sozusagen technische Unentbehrlichkeit dieser Vermittlung stiftet zwischen ihr und der durch sie erreichten Wesenskategorie nicht die geringste notwendige Verbindung: das Sprungbrett ist doch nicht das Sprungziel, das freilich ohne jenes nicht zu gewinnen ist. Hier liegt der tiefste Irrtum des Historismus und Psychologismus, der sich in der naturalistischen Kunsttheorie wiederholt. Alle diese geistigen Richtungen, auf die mannigfaltigsten Inhalte bezogen, zeigen eine formale Verwandtschaft darin, daß sie ein erreichtes Resultat, ein zustandegekommenes Sein oder Werk, eine verwirklichte Kategorie in ihrer eigenen Qualität und Wesenheit an die Qualitäten und Wesenheiten binden, die den Bedingungen und realisierenden Vermietungen jener Erreichtheiten eigen sind. Daß es im Objektiven Inhalte oder Kategorien oder Welten gäbe, die nicht auseinander ableitbar sind, daß es im Subjektiven ein eigentlich schöpferisches Tun gäbe – das ist es, wogegen sich der letzte Sinn jener Theorien richtet. Für sie soll ein Sein oder ein Sinn, ein Wert oder eine Gestaltung durchaus nichts anderes sein, als was die Stationen, die das Werden durchgemacht hat, uns zu erkennen geben. Sie empfinden nicht, daß in jedem organischen und seelischen Werden ein zentraler, autonomer Trieb lebendig ist, mit dem die jedem Stadium vorangehenden Bedingungen und Ursachen gewissermaßen nur kooperieren; nicht von ihnen, sondern von jener inneren Entwicklung geht die eigentliche Zielbestimmung aus, und die letzteren aus einzelnen angebbaren Bedingungen zu konstruieren – eine Kultur aus den wirtschaftlichen Umständen, eine Idee aus Erfahrungen, ein Kunstwerk aus Natureindrücken – ist nicht sinnvoller, als die ausgebildete Körpergestalt aus den Nahrungsmitteln zu entwickeln, ohne die sie freilich nicht zustande gekommen wäre. Der Weg, auf dem wir zu den Gebilden der nicht-physischen Kategorien gelangen, hat mit dem Wesen des Zieles, das wir auf ihm gewinnen, so wenig zu tun, wie der Weg auf einen Berg mit der Aussicht von seinem Gipfel. Der Pelzkragen auf der Rembrandtschen Radierung ist nicht, wie eine Photographie es wäre, ein Oberflächenbild von demjenigen, den seine Mutter wirklich trug, sondern ist ein ebenso selbständiges, ebenso gleichsam aus eigener Wurzel gewachsenes Gebilde wie dieser, kein »Schein« einer Wirklichkeit, vielmehr der künstlerischen Welt und deren eigenen Kräften und Gesetzen angehörig und deshalb der Alternative: Wirklichkeit oder Schein – durchaus enthoben. Der Schein gehört noch der Wirklichkeit zu, wie der Schatten noch der Körperwelt, denn er ist nur durch sie; beide stehen, wenn auch gewissermaßen mit entgegengesetzten Vorzeichen, innerhalb derselben Ebene. Die Kunst aber lebt in einer anderen, mit jener sich nicht berührenden – gleichviel, ob der Künstler ebenso wie der Beschauer, um in sie zu gelangen, durch jene hindurchgehen muß. In dem Geschaffenen, das schließlich in unabhängiger Objektivität dasteht, sind die psychologischen Vorstadien und Bedingungen seines Geschaffenwerdens überwunden.
Weil die Kunst von dem tiefsten Punkt her, aus dem heraus sie überhaupt Kunst ist, mit Wirklichkeit nichts zu tun hat, die Frage nach ihrem Verhältnis zu dieser also prinzipiell falsch gestellt ist, wird die Gegensätzlichkeit in den Beantwortungen dieser Frage verständlich: gegenüber einer in sich widerspruchsvollen Frage kann das Ja ebenso wie das Nein wohl bis zur Widerlegung des Gegners, aber nicht bis zu positivem Beweise seiner selbst vordringen. Die Scheidung aber zwischen naturalistischer oder stilisierender (idealisierender, dekorativer, phantasiemäßiger) Kunst hat mit der hier behandelten: zwischen den Auffassungen der Kunst als Wirklichkeitsschein, Wirklichkeitsentnahme und als selbständigen Gebildes, schlechthin primärer Kategorie, von vornherein nichts gemein. Denn jene Frage betrifft nur die besonderen Gestaltungen innerhalb der Kunst, die unsere aber das Wesen der Kunst als ganzer; jene geht auf die morphologische Beziehung zwischen dem schließlich dastehenden Produkt und der den gleichen Inhalt tragenden Wirklichkeit, diese aber auf die Voraussetzung aller künstlerischen Erscheinungen überhaupt. –
Es liegt nahe, hier an das Grundmotiv der Platonischen Ideenlehre zu denken: das einzelne anschauliche Ding erschöpfe sein Wesen nicht in seiner einmaligen Realität, die Wirklichkeit sei sozusagen nicht ausreichend, um den Sinn der Dinge zu erzeugen und verständlich zu machen. Empirische Wirklichkeit sei vielmehr nur die flüchtige Form, in die sich die »Idee«, der wahre Gehalt, der wesentliche Sinn der Dinge kleidet. Nun mögen wir die metaphysischen Spekulationen Platos über die Ideen: daß ihnen eine substanzielle, ja die »eigentliche« Wirklichkeit zukäme, daß sie ein innerlich logisch zusammenhängendes Reich bilden – ohne weiteres ablehnen. Ihre tiefere Bedeutung, daß die Dinge einen von ihrer Wirklichkeit unabhängigen Sinn oder Inhalt haben, bleibt darum doch bestehen. Aber nun hätte Plato noch einen Schritt weitergehen können, zu der Erkenntnis, daß die empirische Wirklichkeit nicht die einzige Form ist, in der jener Sinn oder Inhalt der Dinge sich uns darstellt, daß er vielmehr auch in der Form der Kunst besteht. Der wirkliche Pelzkragen und der radierte Pelzkragen sind eine und dieselbe Wesenheit, auf zwei voneinander essenziell verschiedene und unabhängige Arten ausgedrückt. Kann man sich von der metaphysischen Belastetheit des Wortes freimachen, so ist es ganz legitim, zu sagen, daß die Idee des Pelzkragens von der Wirklichkeit und von der Kunst wie von zwei Sprachen ausgesprochen wird. Daß die erstere nun gleichsam unsere Muttersprache ist, daß wir die Seinsinhalte oder Ideen aus dieser, in der sie uns zuerst begegnen, in jene übersetzen müssen – diese seelisch-zeitliche Notwendigkeit ändert doch nichts an der Selbständigkeit und Fundamentalität jeder der beiden Sprachen; ändert nichts daran, daß jede den gleichen Inhalt mit ihren Vokabeln und nach ihrer Grammatik ausdrückt und diese Form nicht von der andern borgt – trotz jener psychologischen Anordnung, die angesichts der sachlichen Parallelität beider im letzten Grunde zufällig ist. Diese letztere ist das eigentliche Fundament, auf dem die paradoxe Theorie möglich wurde, daß nicht die Kunst die Natur nachbildet, sondern umgekehrt die Natur die Kunst. Das heißt, innerhalb jeder Epoche sähen die Menschen die Natur so, wie ihre Künstler es sie lehren. Wir erlebten unsere realen Schicksale in der Art und mit den Gefühlsreaktionen, die unsere Dichter uns vorempfunden hätten, wir erblickten im Anschaulichen die Farben und Formen, die unsere jeweiligen Maler uns suggerierten, und wären gegen andere innere Formungen der Anschauung völlig blind, usw. Ganz annehmbar oder nicht, jedenfalls ist diese Umkehrung des zeitlichen Verhältnisses zwischen Naturanschauung und Kunst ein zutreffendes Symbol dafür, daß keine Richtung dieses Verhältnisses innerlich notwendig ist, da jedes seiner Elemente für sich die autonome Aussprache eines ideellen Inhaltes ist, der uns freilich nur in der Form irgendeiner solchen Aussprache zugängig wird. Nicht in einem unmittelbaren Verhältnis zur Wirklichkeit erhebt sich die Kunst, nicht als eine Übertragung ihres Oberflächenscheines auf die Leinwand, sondern beide sind nur durch die Identität jenes Inhaltes verbunden, der an sich weder Natur noch Kunst ist. Darum treffen auch all die Ausdrücke für das Wesen der Kunst: sie sei Überwindung, Erlösung, Distanzierung, bewußte Selbsttäuschung – nicht ihr innereigenes Wesen. Denn dieses wäre so noch immer auf ihre Beziehung zum Wirklichen reduziert, auch wenn sie eine negative ist. Tatsächlich aber dient ihr diese Beziehung nur zum Gewinn des Inhalts, den sie, wenn sie ihn erst einmal der Wirklichkeitsform entrissen hat, zu einem ebenso wurzelhaft selbständigen Gebilde formt, wie jene es tut. Daß sie dann zu Erlösungen von der Wirklichkeit dient, ist etwas ebenso Sekundäres, wie daß ihre psychologische Genesis des Hinsehens auf die Wirklichkeit bedarf.
Damit ist nun endlich die Frage beantwortet: was sehen wir eigentlich in dem Kunstwerk, das eine gegebene Wirklichkeit darstellt? Es hat sich gezeigt, daß dieser letztere Ausdruck überhaupt nicht das wesenhafte, resultathafte Verhalten der Kunst bezeichnet, daß er vielmehr die psychologische Vorbedingtheit der Kunst, den für Schöpfer und Beschauer notwendigen Weg durch die Wirklichkeitsform der Inhalte hindurch für etwas Endgültiges ausgibt; infolge wovon dann nichts übrig bleibt, als das Kunstwerk für einen bloßen, von der Wirklichkeit abgeschöpften und sie psychologisch vertretenden Schein zu erklären. Die künstlerische Anschauung ist nicht dem Sachgehalt nach, sondern nur der psychologischen Bewußtseinsfolge nach ein Abgeleitetes, und sobald sie, produktiv und rezeptiv, gelungen ist, hat sie diese Bedingung ihres Werdens hinter sich gelassen. Neben den geistigen Energien, die die empirisch-reale Anschauung formen, stehen, in unabhängiger Äquivalenz, diejenigen, die das künstlerische Bild schaffen – dahingestellt, ob tiefere seelische oder metaphysische Schichten sie gemeinsam unterbauen. Ihr Inhalt ist, wo wir ihn mit dem gleichen Begriff bezeichnen, der identische, ohne daß er in der einen »wirklich«, in der andern nur abgespiegelt wäre und ohne daß er in transzendenter Selbständigkeit, wie die Platonischen Ideen im ὑπερουρανιος τοπος zu bestehen brauchte. Was wir Wirklichkeit nennen, ist auch nur eine Kategorie, in die ein Inhalt geformt wird, so ein völlig einheitliches Gebilde ergebend. Auch die Kunst ist nichts anderes, und wenn wir den Rembrandtschen Pelzkragen sehen, so sehen wir tatsächlich nur diese Striche, die nicht einen anderswo gegebenen und sich assoziativ vorschiebenden Pelzkragen »darstellen«, sondern genau so ein Pelzkragen »sind«, wie die einzelnen Haare des von Rembrandts Mutter getragenen zusammen ein Pelzkragen »sind«. Nur muß man an dieses »Sein« nicht gleich seine praktisch-reale Bedeutung binden, sondern es in seinem reinen Sinne fassen, in dem die Sprache es auch von der Radierung gebraucht: dies ist ein Pelzkragen, oder: ist eine Landschaft. Hat man erst einmal die Verwechslung der Vorbedingungen und Durchgangsstadien des Schaffens und Aufnehmens mit dessen sachlichem und definitivem Sinn und Inhalt durchschaut, so ist es keine Paradoxe mehr, daß wir im Kunstwerk das absolut Andere und das absolut Selbe wie in der Wirklichkeit erblicken. Es kann die Wirklichkeit gar nicht in sich hineinnehmen, weil es ja schon die völlig geschlossene, nach ihren eigenen Gesetzen völlig selbstgenugsame, jede andere deshalb prinzipiell von sich ausschließende Anschauung eben desselben Inhalts ist, der als »Wirklichkeit« eine nicht mehr und nicht weniger selbstgenugsame Anschauung geworden ist.
Wenden wir uns mit der zuvor gewonnenen Gesamtdeutung des Rembrandtschen Lichts zu seinem Sinn innerhalb der religiösen Kunst als solcher zurück, so ist mit ihr das Entscheidendste an Ablehnung alles dogmatischen Inhaltes vollzogen. Darum wüßte ich in der ganzen Kunst, mindestens bis zur Schwelle der modernsten, keine Bilder, die so wenig in den Kult hineingehörten, sich so wenig zu Kirchenbildern eigneten. Solange der biblische Vorgang immerhin noch der eigentliche Gegenstand der Darstellung ist, mögen seine personalen Träger ihre kirchlich traditionale Bedeutung ganz in die autonome des subjektiven Religiös-Seins aufheben – das Ganze, die Szene überhaupt bleibt noch die in der objektiv heiligen Überlieferung gegebene. Aber auch dies fällt jetzt fort, wo das Licht nicht mehr da ist, um jene Szene zu beleuchten, sondern umgekehrt nur das Licht in seiner selbstgenugsamen Dynamik, Tiefe, Gegensätzlichkeit der Gegenstand der Darstellung ist, zu dem der menschlich biblische Vorgang sozusagen die Gelegenheitsursache ist. Wie sich an den Individuen das ausdrückt, was über alle dogmatischen Daten hinwegreicht oder auch sie begründet: die Frömmigkeit schlechthin, die seelische Existenz in ihrer religiösen Bedeutung überhaupt – so ist nun der Vorgang als ganzer, sein Historisches, kirchlich Fixiertes auf das Allgemeinste, auf das Licht reduziert, die Gesamtstimmung gleichsam einer übersingulären Seele offenbarend, deren Religiosität dieses Stück Welt durchflutet, eine Religiosität ersichtlich, deren Aufschwünge und Vertiefungen, Schauer und Seligkeiten diesen wie jeden anderen konfessionellen Inhalt übergreifen, weil sie einen jeden als das schlechthin Allgemeine seines Wesens unterbauen.
Dies alles darf nicht so verstanden werden, als hätte Rembrandt die eigentliche und einzige religiöse Malerei geschaffen; im Gegenteil, das ganz Einzige dieser Kunst tritt erst an ihrem Gegensatz und seinem Rechte hervor: an der objektiv religiösen Kunst, an derjenigen, deren Voraussetzung das Bestehen religiöser Tatsachen und Werte außerhalb der individuellen Seele ist. Ich habe diesen Gegensatz zuvor skizziert und es erübrigt nur noch, einige Grenzen zu bezeichnen, die die Religiosität eben der individuellen Seele und ihr Ausdruck dadurch findet, daß sie auf sich selbst beschränkt ist, daß ihr religiöses Leben sich rein innerlich und ohne angedeutete Beziehung auf seine Transzendenz vollzieht. Es handelt sich nicht nur darum, daß die Kunst einer objektiven Religion die heiligen Wesen und Ereignisse in ihrem für sich bedeutsamen, von ihren zufälligen seelischen Reflexen gelösten Dasein darstellt; sondern gerade um diejenigen subjektiven Vorgänge in der gläubigen Seele, die durch die Betonung jener überweltlichen Welt, jener objektiven Heilstatsachen in ihr ausgelöst werden. Natürlich sind auch die Menschen der Rembrandtschen Religiosität vom Überirdischen als Ahnung, Gewißheit, Erschütterung erfüllt; allein die ihnen gegenüberstehende Existenz des Transzendenten ist für sie nicht das Primäre, sozusagen nicht das Substanzielle ihres religiösen Verhaltens, entscheidend bleibt immer der Strom, der aus der Seele selbst hervorbricht, ihr innerlich eigenes Sein als ihr religiöses Fatum. Aber eben darum hat der Bezirk auch der seelischen Erlebnisse in Rembrandts religiösen Darstellungen unverkennbare Lücken.
Es fehlt zunächst ein wesentliches Motiv des Christentums: die Hoffnung – ein Affekt, der freilich nur als positives Bezogensein auf ein Jenseitiges, Überseelisches in der Seele auflebt. Während über allen Figuren des Trecento das Paradies Dantes schwebt, während in den exzentrischen Bewegtheiten des Barock der Mensch sich förmlich in den Himmel hinaufreißt, ist bei Rembrandt weder Hoffnung noch Hoffnungslosigkeit, seine Gestalten stehen jenseits dieser Kategorie, die Seele hat sich aus den Überschwenglichkeiten von Himmel und Hölle auf das zurückgezogen, was im unmittelbareren Sinne als diese ihr Besitz ist. Auch die religiösen Erfahrungen des Erlösungsbedürfnisses und der Gnade sind diesen Gestalten nicht gegeben. Mögen die so bezeichneten seelischen Zuständlichkeiten sich auch aus den innerseelischen Kräften erzeugen, so gewinnen sie ihr spezifisches Wesen erst mit dem bewußten Hinsehen auf etwas außerhalb der Seele, wovon sie als ganze abhängig sei. Hier offenbart sich eine ganz weit ausgreifende Form des menschlichen Verhaltens. Wir mögen psychologisch davon überzeugt sein, daß es für uns nur immanentes Bewußtsein gibt, daß unsere Lebensinhalte nur Modifikationen des Selbstbewußtseins sind; und metaphysisch, daß alle unsere Erfahrungen und Wertgewinne nur auf dem Wege der Seele zu sich selbst liegen, daß sie nichts finden kann als was von vornherein ihr Eigentum war; so führt doch diese innere Entwicklung unzählige Male über Äußeres, und sie kann nun ihr Ziel und ihren gesteigertsten Wertpunkt – zugegeben selbst, daß diese ausschließlich in ihr selbst liegen –, überhaupt nicht direkt, sondern nur auf dem Umwege über etwas gewinnen, was sie als ein ihr Äußeres anerkennt. Dies wird damit zusammenhängen, daß es überhaupt das Wesen des Lebens ist, sozusagen über sich selbst hinauszugehen, jeden Moment über sich hinweggreifen zu lassen – in dem Selbsterhaltungstriebe, im Zeugen, im Vorstellen, im Willen. Dieses Über-sich-selbst-Weiterdrängen, Sich-aus-sich-selbst-Heraussetzen wird gewissermaßen rückläufig; nachdem es den Weg über die äußere und ideelle Objektivität gewonnen hat, kehrt das Leben in sich selbst zurück, mit Besitztümern und Reaktionen, die zwar nur ihm gelten, die es aber nur mit diesem Hindurchgehn durch das Andere erreichen oder erzeugen konnte. Angenommen, mit alledem kreiste die Seele doch in sich selbst, so wäre das Schwingen über sich selbst hinaus, das Schaffen des Andern, des Gegenüber, auf das die Seele erst reagiert – das wäre eben die Art ihres inneren Lebens. Nun gibt es gewiß Vollendungen der Seele, die ganz und gar in ihren Grenzen beschlossen bleiben, Werte des Seins, des Fühlens, des Sichentwickelns, des Ringens; und in der Atmosphäre und Intention solcher Werte hält sich die Religiosität, die Rembrandt ausdrückt. Nimmt man aber selbst an, daß es sich in aller Religion in Wirklichkeit nur um dieses Innerliche, um eine Art des Selbstlebens der Seele handle, und daß alle außerseelische Objektivität in ihr nur Mythos, nur Spiegelung, Hypostasierung, oder was sonst sei – so ist unleugbar, daß gewisse rein innerliche Erlebnisse eben nur zustande kommen, wo jene Atmosphäre der Immanenz durchbrochen wird und die Seele, mit einem zentrifugalen Akzent, auf objektive Gebilde hin und in der Form des Umweges über sie lebt. Nur so ist »Glaube« da – obgleich die »Gläubigkeit« ein rein innerseelisches Verhalten sein mag. Nur so können Hoffnung und Verworfensein, Erlösung und Gnade jeweils den religiösen Ausdruck beherrschen, gleichviel ob das Gegenüber, das all dieses bedingt, von einem andern als dem religiösen Standpunkt, z. B. von dem intellektuellen aus, als ein Gebilde der Seele selbst erscheint. Darum fehlt dieser Religiosität das Moment der Gefahr. All die furchtbaren Ungewißheiten, das Preisgegebensein, das Tasten ins Dunkle gibt es hier nicht, nicht die Gefährdung durch die absolute, vom Jenseits her kommende Forderung, die Michelangelos Leben zerriß und, in wie vielen Umsetzungen immer, auch in das Leben seiner Gestalten sich fortsetzte. Damit soll den Rembrandtschen kein philiströses Sicherheitsgefühl imputiert werden. Vielmehr, sie stehen ganz jenseits der Alternative von Gefährdung und Rettung, weil dies beides, nebst allen Erscheinungen der dadurch festgelegten Reihe, erst mit der Verlegung des religiösen Lebensakzentes auf den objektiven religiösen Gehalt auftritt. Wenn dieser Akzent auf dem subjektiven religiösen Prozeß ruht, mag dieser in sich noch so metaphysisch und ewigkeitswertig sein; sobald aber die Religiosität ihrem tiefsten Sinne nach eben nicht in der Form des Gegenüber von Subjekt und Objekt verläuft, fehlt die Voraussetzung für jene Affekte. Darum ist, daß sie sich nicht in der Rembrandtschen Kunst finden, nicht einfach ein Manko, sondern die notwendige und bestätigende Folge ihres Wesens, das sich polar und mit einzigartiger Entschiedenheit und Größe den Kunsttypen der objektiven Religion entgegensetzt.