Karl Simrock
Die Schildbürger
Karl Simrock

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Von großer Weisheit und hohem Verstand der Schildbürger und wie sie deßhalb von Fürsten und Herren vielfach von Hause abberufen wurden und dadurch daheim in Schaden geriethen.

Dieweil nun der erste Schildbürger ein so hochweiser und verständiger Mann gewesen, ist leicht zu erachten, daß er seine Kinder nicht wie das unvernünftige Vieh, welches keinen Herrn oder Meister hat, habe herumlaufen lasen, oder der Mutter, wie Viele zu thun pflegen, die Sorge befohlen: sondern ohne Zweifel ist er ein trefflicher Vater gewesen, der ihnen nichts Arges nachgesehen und weil er wußte, wie die Mütter, wenn ihnen die Sorge befohlen, ihre Kinder verwahrlosen, selbst alle Sorge über sie getragen, und sie zu allem Guten geführt und angeleitet habe.

Daher sie, die von ihrem getreuen Vater und Lehrmeister unterwiesen worden und fleißig gelernt hatten – wie denn die rechte Unterweisung und Lehre, zu welcher die Natur selbst den Grund legt, sehr viel thut, indem sie das einmal angefangene Werk welches sonst unvollkommen bliebe, zur Vollkommenheit führt, wenn das Lehren und das Lernen (welche beisammen sein müssen, so etwas Gutes daraus werden soll) mit dem Fundament, welches die Natur anfänglich gelegt, übereinkommen und sich eins mit dem andern verbindet und vereinbart – daher sie, sage ich, auch mit allen Gaben und Tugenden, vornehmlich mit Weisheit, aufs Höchste begabt und geziert, ja überschüttet wurden, so daß ihnen damals in der Welt (die doch so groß und weit ist, daß ihr Ende noch nicht gefunden worden, obgleich die unersättlichen Hispanier und Andere unendliche Arbeit und Kosten darauf gewendet) Niemand vorzusetzen; – was vorzusetzen? sage vielmehr zu vergleichen gewesen. Denn die weisen Leute waren zu derselben Zeit gar dünn gesäet und war nun ihrer Einer, wenn sich einmal Einer hervorthat und sehen ließ, gar ein seltenes Ding. Sie waren nicht so gemein, wie sie jetzt unter uns sind, wo ein Jeder, und gemeinlich die größten Thoren und Narren, weise sein und für klug gehalten werden will.

Der Ruhm und das Lob von diesem ihrem hohen Verstand und vortrefflicher Weisheit erscholl bald in allen umliegenden Städten, ja durch alle Lande breitete sich deren Glanz und Schein aus und ward Fürsten und Herren bekannt, wie denn ein so herrliches Licht sich nicht leichtlich verbergen läßt, sondern allzeit hervorleuchtet und seine Strahlen von sich wirft.

Daher es denn geschah, daß oftmals aus weit entlegenen Orten, von Kaisern, Königen, Fürsten, Herren und Städten stattliche Botschaften zu ihnen abgefertigt wurden, bei ihrer Weisheit in zweifelhaften und streitigen Fällen sich Raths zu erholen. Da war denn allezeit bei ihnen guter Rath überflüssig zu finden, weil sie ja voller Weisheit steckten. Man befand auch nie, daß ihre treuen Rathschläge ohne offenbaren Nutzen und Frommen verblieben, und nicht allzeit darauf erfolgt wäre, was man gesucht, sofern man sie befolgt und ausgeführt hatte, welches natürlich geschehen muß, wenn man etwas Gutes auszurichten begehrt. Solches brachte ihnen erst ein rechtes Lob bei Jedermänniglich und schuf ihnen einen großen Namen durch die ganze Welt.

Daher wurden sie denn auch mehrmals höchlich begabt und beschenkt, mit Gold, Silber, Edelgestein und andern kostbaren Sachen und Kleinodien, wie sie wohl werth waren; denn die Weisheit ward damals weit höher geschätzt als jetzunder, wo die Narren hervorgezogen und obenan, oft auch allein an der Herren Tafel gesetzt, die Weisen aber gering geschätzt, wo nicht gar verachtet und verstoßen werden. Aber das Alles schlugen sie, als weise und verständige Leute, nicht hoch an, hielten vielmehr dafür, wie auch gewiß und wahr, daß die Weisheit mit Geld und Gut nicht zu bezahlen sei, weil sie alles Andere um so viel übertreffe, als die helle lichte Sonne die andern Sterne übertrifft, welchen sie ihren Schein giebt. Denn:

Nichts übertrifft den weisen Mann,
Dem nie kein Gut gebrechen kann.
Ist reich, frei, schön und wird geehrt,
Trotz einem König, der's ihm wehrt.

Endlich kam es dazu, daß Fürsten und Herren, die ihrer in keiner Weise entrathen konnten, nicht mehr Botschaften zu ihnen senden wollten, sie um Rath zu fragen, vielmehr ein Jeder begehrte der Schildbürger einen selbst persönlich bei sich am Hofe und an seiner Tafel zu haben, damit er sich desselben bei vorfallenden Geschäften täglich bedienen und aus seinen Reden, als aus einem unerschöpflichen Brunnen des besten Wassers, die Weisheit lernen und schöpfen könnte. Wie denn einen Fürsten nichts mehr ziert, und er auch ein großes und theures Kleinod nicht haben kann, als allein die Weisheit; um welche, als das höchste Gut, das der Mensch in diesem Leben erlangen mag, der König Salomon so inniglich Gott gebeten, und die doch nicht besser zu gewinnen und, so viel nur menschenmöglich, durch Mittel zu erlangen, als wenn man in Betracht, daß –

Nachdem sich Einer gesellen thut,
Er gewißlich bös wird oder gut –

Leute um sich hat, bei welchen solche hohe Gabe leuchtet und scheint, sie anhört, ihrer weisen Reden wahrnimmt, sie behält und sich zu Nutzen macht. Wer Pech anrührt, der wird davon besudelt: warum sollte denn, wer sich zu Guten und Weisen gesellt, nicht auch gut und weise werden? Aber es ist nicht Noth, daß ich so viel davon sage.

Gemeldeter Ursachen willen wurden täglich aus der Schildbürger Zahl jetzt Einer, bald wieder Einer, jetzt Dieser, bald Jener beschickt und von Hause abgefordert in weit entlegene Lande, wo man ihrer Ankunft dringend benöthigt war. Und weil ihrer nicht so viel gewesen, daß Einer den Andern hätte können an seine Statt stellen, kam es in kurzer Zeit dahin, daß schier Keiner mehr einheimisch blieb, sondern alle von Haus abwesend waren. Also mußten die Weiber an der Männer Statt stehen, und für sie Alles verwesen und bestellen, den Feldbau, das Vieh und Alles, was sonst dem Manne zusteht, welches sie jedoch nicht eben ungern thaten, weil sie, die ohnedies allzeit den Männern nach dem Bart zu greifen begehren, hiedurch die Gewalt in die Hände bekamen und Meister Siemann daheim wurden.

Wie es aber noch heut zu Tage zu geschehen pflegt, daß Weiber-Arbeit und Gewinn gegen das, was die Männer arbeiten und gewinnen, gar gering ist, denn obgleich sie sich auf's Heftigste und Möglichste bemühen und zappeln, richten sie doch wenig damit aus; also erging es auch diesmal zu Schildburg. Doch gilt das nur, wenn die Weiber die Arbeit der Männer verrichten sollen; sonst sind die Arbeiten der Weiber und Männer also unterschieden, daß alle Männer zusammen nicht ein einziges Kindlein, wie klein es auch wäre, gebären könnten, sie müßten es denn ausbrüten, wie Jener die Käse, aus welchen er meinte Kälber auszuhecken[Siehe Hans Sachs: Das Kälberbrüten] . Dagegen müßte man viel Weiber haben, wenn man durch sie die feste Stadt Wien in Österreich (welche Gott der Herr zum Schutz der Christenheit lange Zeit schirmen und erhalten wolle) oder die namhafte Stadt Straßburg mit Gewalt gewinnen sollte. Denn aus Mangel des Bauens fingen die Feldgüter an zurückzugehen und baulos zu werden, sintemal des Herrn Fußtritte, welche allein den Acker recht düngen, darauf nicht gespürt wurden; das Vieh, das sonst nur durch des Herrn Auge recht fett wird, ward mager, verwildert und unnütz, Werkzeug und Geschirr verschliß und ward nicht gebessert noch wieder gemacht, Knechte und Mägde fielen in Ungehorsam und wollten nichts mehr schaffen noch thun, denn sie bildeten sich ein, weil die Herren und Meister nicht anheimisch wären, und man derselben doch nicht entrathen könnte, so stände es ihnen zu, unterdessen Herren und Meister zu sein. Welches Aller nicht zu verwundern war, denn, wie schon zum Theil vermeldet:

Des Herren Tritt den Acker düngt,
Des Herren Aug das Vieh verjüngt;
Des Herren Gegenwärtigkeit
Hält in Gehorsam Knecht und Maid,
Wohin der Herr nicht selber kommt,
Da wird gewiß nicht viel gefrommt.

In Summa, weil die frommen Schildbürger Jedermann begehrten zu dienen, und Alles richtig zu machen, was unrichtig war, nicht aus Geiz und um des lieben Geldes, sondern der gemeinen Wohlfahrt willen, so geriethen sie dadurch in verderblichen Schaden, und es erging ihnen wie denen, welche die Balgenden begehren zu scheiden und Frieden zu stiften. Denn:

Wenn, wo sich Tröpfe balgen,
Ein Mittler tritt herbei,
O Butter an den Galgen!
Nun sind der Tröpfe drei.

 << zurück weiter >>