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Vom Stapel

Dort ist die Pforte zur Werft, und die Jahreszahl 1740 steht darüber.

Die Werft heißt »Zum silbernen Neptun«, und es ist mancher Kiel darauf gelegt, der unter dem Schutze des Meergottes mit dem Dreizack die See glücklich befahren und die goldenen Schätze fremder Zonen heimgebracht hat.

Ein hohes, luftiges Holzgitter scheidet die Werft von der öffentlichen Straße. Auf derselben erhebt sich in Form einer Figur ein kunstreich geschnitztes und mit einem schwärzlichen Silbergrau bemaltes Bild des Neptun. Er hält einen natürlichen Dreizack in der Hand, den er ganz ernsthaft schultert und so grimmig darein schaut wie ein Grenadier der alten Potsdamer Garde. An beiden Seiten des Einganges erheben sich ein paar schattige Linden, zu einem dichten Laubdache ineinander verwachsen; ein freundlich-bewegliches Bild in dieser starren Welt von Holz und Eisen.

Links vom Eingange steht das Haus des Zimmerbaases (Zimmermeister). Rein und glänzend wie ein niederländisches Küchenstück, woran die Weinreben sich festranken, und welches sich mit bunten Blumenbeeten umgeben hat. Ein Stück duftender Poesie in der lärmenden, tosenden Welt der Prosa. Dem Hause gegenüber, hart an der Straßenfront, steht ein bedachter Balkon mit einer Flaggenstange an jeder Seite. Es ist der Ehrenplatz für die Kaufherren und Kapitäne, welche hier bauen lassen, und die Zuflucht der Damen bei allen festlichen Gelegenheiten. Aber damit auf diesem praktischen Raume nichts verloren gehe für bloßen Tand, steht der Balkon auf dem platten Dache eines Schuppens, in welchem der sorgsame Baas kostbare Werkzeuge und Gerätschaften aufbewahrt.

Rings umher längs den abgrenzenden Zäunen erheben sich große Bretterschauer, worin ein endloses Scharwerken ist von früh bis spät. Drei mächtige Gangspille (Winden) stehen in einer Reihe nebeneinander. Mit diesen werden die Schiffe aus dem Wasser und die Helgen (Schiffsgerüst) hinaufgewunden, wenn sie beschädigt aus See kommen und einer gründlichen Ausbesserung bedürfen. An beiden Seiten dieser Werft liegen ein paar solcher Gesellen, verstürmt und verwittert. Einer von ihnen ist ein Mittelding von einer Barke und einem Vollschiff, eine der rätselhaften, jetzt ziemlich verschollenen Zimmerplatzideen, welche drei verschiedene Baustile zu einemverarbeiten, und denen das Genie des Meisters die Nachteile eines jeden angeeignet und deren Vorteile sorglich unterdrückt hat. Das zweite ist ein altes nordisches Fahrzeug, halb Galeas, halb Jacht, gut genug für eine Ladung Klippfisch und Lebertran. Es hat sich an einer der vaterländischen Schären die Nägelhaut geschrammt und sucht die empfangene Wunde hier nach Kräften vernarben zu lassen.

Aber zwischen diesen beiden Geschöpfen, die halb Ungeheuer, halb Mißgeburt, zwischen Himmel und Wasser herumschwimmen, prangt die Krone der Werft. Es ist das Meisterstück ihres Schöpfers. Eine Musterfregatte, vom ersten Kielholz neu aufgezimmert; die Augenweide aller vorübergehenden Kenner; die stille Sehnsucht manches mäßig bedachten Kapitäns.

Der Baas, der diesen Bau ersonnen und ins Leben gerufen hat, geht umher und läßt sein prüfendes Auge über den schlanken Bau hingleiten. Ihm zur Seite hält sich sein Werftmeister. Er hört auf die Anordnungen des wohlunterrichteten Herrn und gibt an schicklichen Stellen sein Wort dazu. Diesen beiden folgen die Meister der verschiedenen Gewerke, die bei dem Bau beschäftigt sind. Eine stattliche Zahl, denn welches Gewerk fehlte bei dem Schiffsbau, von dem Maurer, der unter dem Stapel, der eine Fregatte tragen soll, das Mauerwerk fertigt, bis zu dem Tapezierer, der mit seinen phantastischen Draperien von Samt und Seide die Damenkajüte in einen Feenpalast verwandelt.

Da öffnet sich die äußere Werftpforte und herein schreitet ein stattlicher Herr, einfach und etwas nach altem Schnitte gekleidet. Aber die Stoffe sind kostbar und die Knöpfe an der Brokatweste von gediegenem Golde. Der Werft- und die Handwerksmeister treten zurück, und der Zimmerbaas geht mit dem Hute in der Hand seinem vornehmen Besuche entgegen.

Herr Ehrenfried Möller, achtbarer Handelsherr und Schiffsreeder dieser gesegneten Stadt und alleiniger Eigentümer der vor ihm auf dem Stapel liegenden neuen Fregatte, nimmt die dargebrachten Huldigungen wie einen schuldigen Tribut entgegen, indem er nachlässig den Hut lüftet und dann zu dem Balkon hinaufsteigt, wo er sich behaglich niederläßt, gefolgt von dem Werftherrn, der nach den Befehlen seines verehrten Gönners fragt.

»Lasse Er sich nicht stören, Baas. Komme nur, um ein wenig zuzusehen, wie es hier geht, und zu hören, ob ich bald daran denken kann, die Fregatte schwimmen zu sehen?«

»In vierzehn Tagen, Herr Möller, wie ich eben nach einer Besprechung mit den übrigen Meistern herauskalkuliert habe. In vierzehn Tagen kann es angehen.«

»Besinne Er sich wohl. Ich lasse jedem Mann vollkommen Zeit, sich auszusprechen. Aber wenn das Wort einmal gesprochen ist, muß es auch strikte gehalten werden. Er sagt also?«

»In vierzehn Tagen gewiß, Herr Möller, wenn uns Gott anders vor Sturmflut oder sonstigem Unglück bewahrt.«

»Spreche Er nicht so gotteslästerlich. Das macht der Heidenkerl, den Er über Seiner Empfangspforte stehen hat. Sollte ihn mit seiner Harpune nach Grönland schicken; da hat er Arbeit. Sonst aber ist Er ein fleißiger Mann, wie junge Anfänger sein sollen, aber leider Gottes nur selten sind. Fällt unser erstes Geschäft gut aus, wie ich wünsche und hoffe, bin ich nicht abgeneigt für ein zweites; denn tüchtigen und fleißigen Leuten muß man die Hand bieten.«

»Ich werde diese Güte durch reelles Handeln zu verdienen suchen.«

»Tue Er das. Und somit guten Morgen. Oder will Er noch etwas sagen?«

»Ich erlaube mir nur, zu fragen, ob Herr Möller vielleicht schon an einen Kapitän für das neue Schiff gedacht hat? Wo nicht ...«

»Sonst möchte Er mir einen von Seiner Freundschaft vorschlagen? Weiß Er, was ein kluger Schuster einmal getan hat?«

»Ich verstehe nicht ganz, Herr Möller.«

»Der blieb bei seinem Leisten, und das tue Er auch. Zweierlei Handwerk und ein Meister gibt eine Pfuscherwerkstatt. Also in vierzehn Tagen, halte Er sich daran.«

Herr Ehrenfried Möller entfernt sich rasch, und der Zimmerbaas tritt in das Haus, um den Ärger für sich in seiner Schreibstube zu überwinden.

Noch eine Stunde rastloser Tätigkeit. Ein ununterbrochenes Klettern auf den Gerüsten, ein Pochen und Hämmern, unten und oben. Die glühenden Pechkessel dampfen, und die feurige Lohe unter denselben schlägt hoch empor. Da springt einer der Lehrlinge nach dem Hause und zieht an dem, längs der Mauer herabhängenden Glockenstrang, daß es lange und hell über Werft und Strom klingt. Das Meiseln und Kalfatern, bis vor einer Sekunde noch eine ununterbrochene, lärmende Musik, verstummt plötzlich. Von allen Leitern und Gerüsten klettern sie herab und gehen lachend, scherzend und singend der Ausgangspforte zu. Manche, zu bequem, um einige Straßen entlang nach ihrer Suppe zu laufen, werfen sich in dem Schatten der Zäune nebeneinander hin und warten geduldig, bis ihre Hausfrauen mit dem sorgsam umhüllten Speisekorb anlangen.

Mittag!

Die Werft ist leer, und der Baas geht verdrießlich hin und her. Der Ärger ist noch nicht ganz überwunden.

Ein junger Seemann, frisch und kräftig anzuschauen wie das Element, dem er dient, landet an der Werft und sagt ärgerlich zu dem Werftherrn:

»Alles vorbei. Ich tue am besten, nach England zu gehen und auf einen Ostindier überzutreten.«

»Bist du toll, Ehlert Jansen. Von hier aus, wo dir so manche Hoffnung lacht, willst du nach Ostindien in die Javasümpfe oder in den Bombaynebel steigen? Ja, wenn es am Bord eines eigenen Schiffes ...«

Er schwieg plötzlich still, denn er erinnerte sich, daß er diesen seinen Jugendfreund zu der neuen Fregatte als Kapitän hatte vorschlagen wollen, und welche Antwort er bekam, noch ehe er sein Gesuch eigentlich angebracht hatte.

»Spare dir jede Mühe. Ich weiß, was ich weiß. War ein guter Platz, die Obersteuermannschaft auf der Alma.«

»So meinte ich.«

»Ich habe sie nicht mehr. Und darum komme ich eben mit Sack und Pack zu dir. Der Kapitän hat mir soeben den Abschied gegeben. Er sagt, es geschehe seinerseits mit großem Bedauern; aber Herr Ehrenfried Möller, als Eigner der ›Alma‹, habe es verlangt, weil er Schiffsoffiziere, die sich mit Wasserpartien ergötzten, nicht brauchen könne.«

»Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, daß ich ein Narr war und es noch bin. Vor längerer Zeit lag die ›Alma‹, da sie aus See kam, eine Meile stromab, wo unsere reiche Kaufmannschaft sich die schönen Landsitze erbaut hat. Mehrere junge Mädchen waren am Strande und bekamen Lust zu einer Wasserfahrt. Die ›Alma‹ wurde auch beschickt und um die Schaluppe gebeten. Da ich selbst nicht von Bord konnte, schickte ich den Untersteuermann mit dem Fahrzeuge ab. Der Zufall wollte, daß die Tochter unseres Patrons, die schöne Christine, wie die ganze Stadt sie nennt, in die Schaluppe der ›Alma‹ kam, diese über alles lobte und mit dem Offizier derselben sehr freundlich sprach. Das muß den Mann verwirrt haben, denn er sah mehr auf die Dame als auf sein Steuer, und da der Wind eben etwas scharf in die Segel setzte, legte sich die Schaluppe seitwärts und schöpfte Wasser. Alle schrien und fielen übereinander nach Lee, wodurch das Übel nur noch ärger wurde. Da besann ich mich nicht lange, sprang über Bord, und es gelang mir, die Mamsell Möller wohlbehalten ans Land zu bringen. Zum Dank dafür werde ich verabschiedet, und der Untersteuermann, der das alles verschuldete, bleibt ruhig am Bord.«

»Von dem allen habe ich nichts gewußt. Höre, Ehlert Jansen, damit kommt es mir nicht richtig vor. Herr Ehrenfried Möller ist hart und strenge, und nicht mit ihm zu spaßen. Aber einen Mann, der ihm sein Kind vor dem Ertrinken bewahrt, aus dem Dienst entlassen, das tut er nicht. Ich glaube, du sagst mir nicht die ganze Wahrheit. Es steckt noch etwas dahinter.«

»Was soll dahinter stecken?« entgegnete jener errötend. »Ich will nicht davon sprechen, daß ich auf der letzten Reise durch meine Entschlossenheit bei schwerem Wetter die ›Alma‹ samt Ladung und Mannschaft erhalten habe, denn das war meine Schuldigkeit. Herr Ehrenfried Möller weiß es und hat nicht einmal schönen Dank gesagt. Und nun entläßt er mich? Kann ich dafür, daß die Mamsell, als sie wieder zur Besinnung kam, sich tausend- und wieder tausendmal bei mir bedankte und viel mehr Aufhebens von der Sache machte, als sie wert war? Sie schenkte mir eine prächtige Uhr, die sie an einer Kette um den Hals trug; und hat auch ein sauberes Tuch nicht zurückgefordert, das sie verlor, und das ich aus dem Wasser fischte.«

»Höre du,« sagte der Werftherr. »Das ist eine ernsthafte Geschichte. Herr Ehrenfried Möller hat nur ein Kind und eine Million. Sie sprechen von einem Handelshause in Bremen oder Hamburg, wo es gerade ebenso ist. Die beiden Kinder und die beiden Millionen sollen ein Paar werden. Der Ehrenfried Möller ist besonders darauf aus. Siehe zu, was du tust. Und wie gefährlich es auch in Bombay oder auf Java ist, möchte ich selbst doch dazu lieber als zu einem Kreuzzuge in der Nähe herum raten.«

»Ich glaube, du hast recht, und ich will deinem Rate folgen. Mit dem nächsten Paketschiffe gehe ich nach England. Was habe ich nötig, mir dumme Dinge in den Kopf zu setzen.«

Der Kapitän der ›Alma‹ kam die Werft herauf und sagte zu seinem ehemaligen Offizier:

»Es ist mir noch eine besondere Order für Euch zugegangen. Ihr seid aus dem Dienst der ›Alma‹ entlassen, aber nicht aus dem Dienst des Hauses, bis die Verklarung belegt ist, welches längere Zeit dauern kann, da die Assekuranz Schwierigkeiten macht. Herr Ehrenfried Möller hat angeordnet, daß Euere Gage unverkürzt fortläuft, und läßt Euch wissen, daß Ihr weiterer Anweisung zu gewärtigen habt.«

»Und wenn ich das nicht will? Wie kann mir jemand noch Befehle erteilen, nachdem er mich entlassen hat?«

»Darüber streite ich nicht mit Euch. Nicht von dem, was er darf, sondern von dem, was Ihr tun müßt, ist dem erzürnten Manne gegenüber die Rede. Ihr habt sein Kind aus dem Wasser gezogen und ihr nachher alberne Dinge gesagt. Das war unklug von Euch. In dem Hause war bisher nur Lust und Fröhlichkeit, jetzt herrschen Verdruß und üble Laune in allen Ecken. Das kommt von Euern Wasserkünsten, die sich für einen ordentlichen Schiffsoffizier wenig passen.«

»Soll ich einen Menschen vor meinen sichtlichen Augen ertrinken lassen?«

»Ein ordentlicher Steuermann hält die Augen auf sein Schiff. Es wäre keiner in Gefahr gekommen zu ertrinken, wenn Ihr nicht die Schaluppe verborgtet. Übrigens habe ich nur den Auftrag unseres Patrons ausgerichtet, und alles andere geht mich nichts an.«

Der Kapitän entfernte sich, anscheinend sehr verdrießlich. Der Werftherr, der sich seinem Freunde gegenüber in einiger Verlegenheit befand, machte dieser dadurch ein Ende, daß er denselben in sein Haus führte, und Ehlert Jansen betrat das Zimmer, das ihm für einige Zeit zur Wohnung dienen sollte.

Mehrere Tage vergingen, und der Bau der Fregatte ging der Vollendung entgegen. Die Leute auf der Werft waren guter Dinge; denn sie wußten, daß die Bauherren bei solcher Gelegenheit ein übriges tun. Daneben flüsterte man sich zu, daß zu der bestimmten Zeit das Bremer Kind mit der Bremer Million eintreffen und Herr Ehrenfried Möller das neue Schiff zu Ehren seines künftigen Schwiegersohnes Johannes taufen werde. Bei der Taufe aber, nämlich bei der eines Schiffes, geht es naß her, und es dauert manchmal drei Tage, ehe eine geübte Kehle sich wieder gehörig trocken legt.

Ehlert Jansen ging trübselig umher und nahm an der allgemeinen Lust wenig teil. Nur gegen Abend verließ er zeitweise die Werft. Der Freund ahnte wohl, wohin die geheimen Gänge führten, aber er stellte sich, als merke er nichts; denn es ist eine mißliche Sache, davon zu reden, daß ein junger Mann hinter dem Rücken des Vaters die Tochter, wenn auch nur von weitem zu sehen sucht, und unbedacht eine Leidenschaft nährt, die nie an ein glückliches Ziel führen kann.

Da kamen plötzlich rasch aufeinander mehrere Briefe für Herrn Ehrenfried Möller persönlich und wurden in derselben Stunde noch beantwortet. Der alte Herr war ungewöhnlich geschäftig und zugleich sehr einsilbig. Niemand, der nicht mußte, kam in seine Nähe, selbst die Tochter nicht, die doch sonst des Vaters Liebling war und alles bei ihm ausrichten konnte.

Die vierzehn Tage waren vorüber und die Fregatte fertig. Der letzte Nagel ward eingeschlagen, alles wurde vorbereitet, um das neue Schiff am anderen Morgen mit höchster Flut vom Stapel zu lassen. Der Zimmerbaas hatte alle Hände voll zu tun und bat seinen Freund, ihn nur doch heute nicht zu verlassen, was dieser mit Widerstreben zusagte.

Der erwartete Morgen brach an und strahlte im sonnigsten Blau. Das Haupt des silbernen Neptun am Eingange der Werft ward mit einer großen Blumenkrone geschmückt. Von dieser hingen grüne Festons herab, die sich kreuzförmig von Stab zu Stab um das ganze Gitter schlangen. Das Haus war blank und hell. Vor allem aber hatte sich der gegenüberliegende Balkon aufgeschmückt. Er war der Sammelplatz für alle Damen, die nicht Mut genug hatten, dem Ablaufen am Bord selbst beizuwohnen.

Das Schiff selbst war der bewunderte Gegenstand für alle Welt. Der Kupferboden glänzte hell, und der übrige Teil des Rumpfes bis zum Bregang war lackschwarz, der Bregang selbst aber, mit Harpeuse überstrichen, von schmalen weißen Linien eingefaßt. Die drei Maste des Schiffes waren eingesetzt, aber ohne Stengen (bewegliche Verlängerung des Mastbaums) und Takelwerk. Sie endeten mit den Marsen, und diese hatten sich mit Laubgewinden geschmückt. Flaggleinen hingen zu beiden Seiten der Maste herab, und auf ein gegebenes Zeichen bedeckte sich der ganze Bau von oben bis unten mit einem wallenden Flaggenmeer in den strahlendsten Farben. Über die Galerie weg wehte die Landesflagge, und von dieser ausgehend liefen rechts und links bis über den Besanmast hinaus die Plätze für die Paten, welche der Taufe beiwohnen sollten.

Schon mit dem frühesten war es rings umher lebendig. Auf den Schiffen, die in der Nähe der Werft lagen, fanden sich Neugierige ein, um von diesem günstigen Standpunkte aus das Schauspiel zu betrachten. Der Hafenmeister erschien in seinem Boote, um nachzusehen, ob irgend etwas im Wege sei, was beim Ablaufen des Schiffs hinderlich sein könnte. Sein Gesicht war voller Sonnenschein, und er hatte die Staatsuniform angelegt, denn er wußte wohl, daß er nachher an Bord geladen werde, um dem Taufschmause beizuwohnen. Je näher die Stunde heranrückte, je dichter wurde das Gedränge der Boote, meistens mit jungem, übermütigem Volke gefüllt, welches sich vorerst die Langeweile mit Wettrudern und anderer Kurzweil vertrieb. Alle Schiffe im Hafen hatten ihre Staatsflaggen aufgezogen. Es war Sonntag, so weit das Auge reichte; denn es lief eine neue Fregatte vom Stapel, und der reichste Reeder war ihr Bauherr.

Eine Stunde vor der höchsten Flut erschienen die eingeladenen Gäste, geführt von Herrn Ehrenfried Möller und dessen schöner Tochter. Die Herren stiegen auf Leitern mit breiten Stiegen zu Deck; die Damen fanden einen bequemen Lehnstuhl, worauf sie Platz nahmen und von einer leichten Winde in die Höhe getragen wurden. Der Baumeister des Schiffes stand auf dem Fallreep (Treppe) zum Empfange der Gäste bereit, und das Musikkorps, welches sich um den großen Mast geschart hatte, begrüßte sie mit schmetternder Fanfare.

Der letzte am Bord war Herr Ehrenfried Möller. Ehe er den Fuß auf die Leiter setzte, sah er sich im Kreise um und gewahrte den ehemaligen Obersteuermann der »Alma« mitten im Gedränge. Er winkte diesen herbei und sagte: »Komm Er mit an Bord; ich habe noch etwas mit Ihm abzumachen.« Ehlert Jansen folgte mit schwerem Herzen.

Alle waren versammelt, und der Geistliche erschien, um den neuen Bau einzusegnen. Alle hörten andächtig auf die eindringlichen Worte, am meisten aber Herr Ehrenfried Möller selbst, der ein rechter Mann aus der alten Schule noch voll des Glaubens war, daß ein noch so tüchtiges Menschenwerk nur dann erst recht gelingen könne, wenn es im Namen Gottes begonnen werde. Darum, als der Geistliche endete, sagte Herr Ehrenfried Möller aus voller Brust »Amen!« und »Amen!« wiederholten die Anwesenden mit feierlichem Ernste.

Nun erschien der Zimmerbaas samt den Meistern der Gewerke, die Teil gehabt am Bau, und reichte der Tochter des Reeders einen silbernen Becher, gefüllt mit edlem deutschen Weine. Sie trat an den Rand des Steuers und sagte zögernd:

»Nach dem Willen meines Vaters taufe ich dies gute Schiff, indem ich sein Steuer mit diesem guten Weine netze. Ich tue es im Namen Gottes und nenne dich, wie du fortan heißen sollst, Johannes. Heiße Johannes von dieser Stunde an, bis noch eine deiner Planken mit der andern zusammenhängt. Und überall, wo dein gesegneter Kiel landet, bringe und empfange er Freude und Heil. Es lebe der Johannes!«

Flinke Burschen hatten volle Gläser herumgereicht, und: »Der Johannes lebe hoch! Und dreimal hoch!« erklang es, übertönt von schmetternden Trompeten und von dem Jubel des Volkes am Strande und auf dem Strom, der sich fortwälzte von Gruppe zu Gruppe, von Deck zu Deck und nur erst allmählich verhallte.

Endlich beruhigte man sich. Der Baas fragte den Kaufherrn, ob es ihm jetzt genehm wäre? Nach erhaltener Erlaubnis eilte er nach unten und traf seine Anordnungen. Das ganze Werftkorps, bewaffnet mit mächtigen Äxten, umzingelte den Bau, um die Stützen wegzuschlagen, die das Schiff auf dem Helgen festhielten.

Alle Augen richteten sich auf den Baumeister.

Dieser ließ den letzten prüfenden Blick über den ganzen Rumpf hingleiten und rief laut:

»In Gottes Namen! An das Werk alle Mann!«

Dumpf fallen die Schläge in regelmäßiger Folge, »Ho! Hi! Ho!« Eine Stütze sinkt nach der anderen. Es ist, als ob ein leises Zittern durch den Rumpf fliegt, der sichtbar jedem Auge bisher regungslos lag.

Eine Totenstille ist überall auf Wasser und Land. Sie halten den Atem an sich. Die Furchtsamsten wechseln die Farbe und blicken seitwärts, denn es bedarf einer geringen, nicht zu berechnenden Kleinigkeit und das furchtbarste Unglück ...

Jetzt!

»Die letzten Stützen!« spricht der Meister laut und vernehmlich.

Noch drei Schläge, und abwärts vom Helgen saust das Schiff zwischen den Schmerbalken; erst zögernd, langsam, als fürchte es das feuchte Wellenbad, das ihm lustig entgegen rauscht, dann schneller und schneller, bis es den Wasserspiegel berührt und die Fluten zerteilt, die erschrocken zurückweichen vor dem ungestümen Gast, der sich tief hinabtaucht in das Element, dem er von jetzt ab unwandelbar angehört.

Eine geschickte Leitung des Steuers läßt das noch im vollen Gange befindliche Schiff einen leichten Bogen machen, und als es die gehörige Lage hat, fällt zum ersten Male der Anker vom Buge, und die aufgerollte Kette rasselt klirrend in die Tiefe.

Es ist geschehen. Eine Minute herrscht noch tiefe Ruhe am Bord; denn erst will jeder sich überzeugen, ob es Wirklichkeit ist, was blitzschnell an ihm vorüberflog. Dann aber ruft das Werftkorps ihm ein dreifaches Hurra nach, das vom Bord aus beantwortet wird und sich fortpflanzt, stromauf und stromab, wo noch eine Menschenkehle zu finden ist.

Fest liegt der stattliche »Johannes« vor seinem Anker, und der gepriesene Besitzer nimmt die Glückwünsche aller Personen entgegen, die am Bord versammelt sind. Der ganze Bau ist von Fahrzeugen umringt. Einige bringen geladene Gäste, andere warten geduldig, ob nicht sie ebenfalls die Reihe trifft, wenn auch nicht von der Kajüte, so doch vom Fockmast aus, denn diese Jollenführer, Schutenknechte und andere kleine Hafenpiraten haben eine stets trockene Gurgel und ein stets leeres Glas.

Herr Ehrenfried Möller hat mit Anstand gehört und erwidert. Jetzt aber macht er mit einem Male den Zeremonien ein Ende, indem er ruft:

»Danke, meine Damen! Danke, meine Herren! Ganz von mir so empfangen, wie von Ihnen gemeint. Es bleibt unter uns alles beim Alten. Nun aber wird es wohl Zeit sein, ein wenig an unsere Behaglichkeit zu denken, und ich bitte allerseits, mir zu folgen und vorlieb zu nehmen.«

Mit diesen Worten steigt Herr Ehrenfried Möller die Treppe zur Staatskajüte hinab, wo ein festliches Mahl für die Taufpaten hergerichtet ward.

Der ehemalige Obersteuermann der ›Alma‹ war nicht wenig erstaunt, als sein früherer Kapitän ihn in das Zwischendeck führte, um ihm einige dort getroffene Einrichtungen zu zeigen, wie er sagte, und dann plötzlich mit ihm in die Staatskajüte trat, wo sie an dem untersten Ende der Festtafel ihren Platz fanden. Ehlert Jansen saß so, daß er sich dem Kaufherrn gerade gegenüber befand. Dieser blitzte ihn mit seinen durchdringenden Augen an und sprach dann ruhig mit seinem Nachbar weiter von den gleichgültigsten Dingen.

Die Festfreude war im Wachsen. Die Meister, welche bei dem Bau des Schiffes tätig gewesen, standen der Reihe nach auf und gaben ihre Sprüche zum besten. Zunächst der Baumeister, dann der Segelmacher, der Ankerschmied und die übrigen, je nach Stand und Würden. Zuletzt erhob sich ein stattlicher Herr und sagte:

»Ist es recht, daß wir hier an einer wohlbesetzten Tafel sitzen, und es uns wohl sein lassen, ohne daß wir des Täuflings gedenken, der uns allein zu diesem Feste verholfen hat. Christliche Taufpaten sind verbunden, für den Neugeborenen nach Kräften zu sorgen, und somit verlange ich, daß jeder von uns dem ›Johannes‹ ein Andenken mitgebe aus seine erste Reise, woran der Geber seine besten Wünsche knüpfe; daraus wird ein Talisman werden, der es sicher durch Stürme und Unwetter trägt bis in die spätesten Zeiten.«

Das waren Worte, die den lautesten Anklang fanden, und einer überbot den anderen, indem er dies oder jenes wertvolle Stück als Patengeschenk anbot. Einer versprach zum Kajütenschmuck ein köstliches Bild, das den heiligen Johannes vorstellte; ein anderer weihte zum würdigen Festgerät einen köstlichen silbernen Pokal von eines alten berühmten Meisters Hand gefertigt. Es häufte sich eine wahrhafte Schatzkammer voll Versprechungen. Die Damen verbanden sich, für eine Staatsflagge und für die neuen Decken der Staatsschaluppe zu sorgen. Als alle fertig waren, sagte der Herr, von dem die Aufforderung ausgegangen war:

»Freut mich, daß meine Ansprache einen so lebhaften Anklang gefunden hat, und so will ich denn auch keinen Augenblick auf mein Geschenk warten lassen, damit dem Worte die Tat folge.«

Auf seinen Wink setzte einer der Diener einen schmalen Kasten von hellpoliertem Holze mit silbernen Griffen vor ihm aus die Tafel. Mit einer gewissen Feierlichkeit nahm er ein stattliches Fernrohr aus demselben und sagte:

»Mit diesem Fernrohr beschenke ich den ›Johannes‹. Möge es ein steter Schmuck seiner Kajüte sein, und möge der Kapitän, wenn er durch dasselbe schaut, stets nur etwas gewahren, was seinem Schiffe heilbringend ist. Mit diesem Wunsche reiche ich mein Geschenk dar, und da hier am Bord bis jetzt noch kein Kapitän vorhanden, so lege ich dasselbe einstweilen in die Hände des wackeren Bauherrn nieder.«

Dieser dankte allen Anwesenden für ihre freundlichen Verheißungen, rühmte das dargebrachte Geschenk und sagte dann:

»Mein Freund hat recht. Es ist gegen die Ordnung, ein Schiff vom Stapel zu lassen, ohne einen Kapitän für dasselbe zu haben. Ich wartete auch nur aus gewissen Gründen, die Gesellschaft mit meiner Wahl bekannt zu machen. Jetzt eben sollte es geschehen. Steuermann Ehlert Jansen, komme Er einmal zu mir her.«

Der Steuermann wußte nicht, ob er wache oder träume. Sein ehemaliger Kapitän mußte ihn eindringlich mahnen, dem erhaltenen Befehle Folge zu leisten. Er stand vor dem Kaufherrn, ohne zu wissen, wie er dahin gelangt war, und hörte, wie dieser sagte:

»Ich habe Ihn neulich von der ›Alma‹ weggenommen, obgleich es mir wohlbekannt ist, daß er sie auf der letzten Reise vor dem Stranden bewahrt und mir so einen Teil meines Vermögens gerettet hat. Es ist dies geschehen, um Ihn näher kennen zu lernen und zu erfahren, ob sich etwas aus Ihm machen läßt. Er hat alle Eigenschaften, die zu einem guten Seemann gehören, und darum mache ich Ihn zum Kapitän des ›Johannes‹. Gebe Er mir den Handschlag, daß Er sich stets des Werkes annimmt, das ich jetzt in Seine Hand lege, und daß Er sich für des Schiffes Bestes unablässig bemühen will.«

Dem ehrlichen Burschen flimmerte es vor den Augen. Eine glühende Röte deckte sein Gesicht, und die Tränen traten ihm in die Augen.

Der Kaufherr wartete einen Augenblick; dann sagte er komisch zürnend:

»Es scheint mir, als ob Ihm mein Anerbieten nicht recht ist, dann tut es mir leid, Ihn inkommodiert zu haben.«

Da faßte sich Ehlert Jansen. Er drückte die Hand seines Wohltäters an sein Herz und rief aus voller Brust:

»Im Leben und im Tode der Ihrige, so wahr mir Gott helfe.«

»Nun, das ist ein Wort. Meine Damen und Herren, dies ist der Kapitän des ›Johannes‹, und ihm fließen zunächst alle Gaben zu, welche von Ihnen dem Schiffe zugedacht sind. Kapitän Jansen, nehme Er sich gefälligst zusammen und mache Er den Herrschaften, die hier versammelt sind, das Kompliment; denn von dieser Stunde an sind wir bei Ihm zu Gaste.«

Der neue Kapitän flog von einem Arm in den anderen. Bis vor wenigen Augenblicken hatte niemand auf den stillen, jungen Mann geachtet, ja seinen höflichen Gruß wohl kaum erwidert. Jetzt war er der Stern des Tages, der alleinige Mittelpunkt, um den sich alles drehte.

Die stürmische Erregung sänftigte sich allgemach. Die Gesellschaft zerstreute sich durch das Zwischendeck, das ebenfalls festlich ausgeschmückt war. Ehlert Jansen, der nach wie vor im wachen Traume umherging, stand unerwartet der Tochter seines Wohltäters gegenüber. Der junge Kapitän wagte es, ihr einige Worte zu sagen und erschrak fast, als er plötzlich die Stimme Ehrenfried Möllers ganz in der Nähe vernahm.

»Sammle Er sich, Kapitän. Unvermutet Glück oder Unglück ist wie eine unvorhergesehene Sturmbö, worauf ein ordentlicher Seemann stets gefaßt sein muß. Meint Er denn, ich hätte vergessen, für welche Tat ich Ihm verschuldet bin? Er hat mir die ›Alma‹ erhalten; er hat mir mein Kind gerettet, und ich habe beides wett gemacht, so gut ich konnte. Nun schulde ich Ihm noch eines ...«

Ehrenfried Möller hielt inne. Die Tochter warf sich stillschweigend in die Arme des Vaters. Der junge Kapitän schlug die Augen zu Boden.

»Er rettete mein Kind, und ich hätte sie doch bald verloren. Meint Er, ich sah es nicht, welche alberne Dinge Er sich in den Kopf setzte? Als ihr beide aber neulich abends glaubtet, ganz unbeachtet miteinander zu schwatzen ... weiß Er noch, was Er der Christine gesagt hat?«

Der junge Kapitän war nicht imstande, ein Wort zu sprechen.

»›Ich habe eingesehen,‹ sagte Er, ›daß ich unrecht hatte, einer Tochter hinter dem Rücken des Vaters nachzugehen. Verzeihen Sie mir und folgen Sie dem Manne, den der Vater Ihnen bestimmte. Ich verlasse die Stadt noch in diesen Tagen, und Sie werden mich bald vergessen.‹ Diese Worte habe ich behalten; darum ist Er von der ›Alma‹ entlassen, darum ist Er Kapitän des ›Johannes‹, und wenn Er mir denselben wohlbehalten von Brasilien heimbringt, wohin Er nächstens versegeln soll, sprechen wir weiter über diese Geschichte.«

Unterdessen ließ sich die Ungeduld der jungen Damen und Herren nicht länger bezähmen. Das ganze Oberdeck war geklart, und nichts hinderte den Beginn des Balles. Man kam von allen Seiten herbei, um mit der jungen Herrin des Schiffes den Reigen zu eröffnen.

»Das erste Paar bestimme ich!« rief Herr Ehrenfried Möller laut. »Kapitän Jansen, gebe Er meiner Tochter den Arm.«

Erstaunt sahen sich alle an. Eine solche Vertraulichkeit war noch keinem der Kapitäne des strengen Reeders gestattet worden. Das junge Paar aber flog die Treppe hinan, empfangen von schmetternden Trompeten und freudigen Winken und Grüßen.


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