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Regatta

»Regatta! Regatta!«

Der laute Zuruf schallt von Deck zu Deck, von Boot zu Boot durch die ganze Seebucht.

»Regatta! Regatta!«

Die jungen Seeoffiziere und Matrosen rufen es sich einander zu. Die Fischer, die längs dem Strande wohnen, stimmen schmunzelnd ein, denn für sie ist es ein Tag, der manche klingende Flosse in ihr Netz jagt. Die Jungen rufen es auf den Straßen. Sie schwenken kleine Flaggen, sie bekämpfen sich mit kleinen Rudern; der Sieger jubelt aus voller Brust, der Besiegte ruft erbost: »Es gilt nicht!« und beginnt den schon entschiedenen Kampf von neuem.

Es ist eine prächtige Seebucht, in welcher sich dies alles vorbereitet. In ihrem Hintergrunde steigt von den mit Eichen und Buchen bekränzten Hügeln die Reede mit ihren leuchtenden Häusern zu Tale und macht am Hafendamm Front gegen den Mastenwald, der sich in doppelter und dreifacher Stadt ihr entgegenstellt. Nach rechts und links laufen die Straßen weiter. Dicht an dicht drängen sich die unzertrennlichen Begleiter einer Handelsstadt: Die achtstöckigen Speicher, die Arsenale der Kaufmannsflotten, die Magazine der Schiffshändler, die von Menschen wimmelnden Werkstätten der Segel- und Blockmacher, die langgestreckten Seilerbahnen, wo die Kabeltaue zusammengeschlagen werden, die Ankerschmieden mit den glühenden Essen und am Schlusse die Werften mit einer Reihe halbfertiger Briggs und Dreimaster auf den hochragenden Helgen. Und jenseits der letzten Werft, wo das geschäftige Treiben allgemach verstummt, liegen in duftigen Gärten und schattigen Parks die stolzen Landsitze mit dem säulenragenden Dache und das mit Weinranken umzogene bescheidene Schweizerhäuschen; erst nahe beieinander, dann sparsamer, bis sich ein letztes an den Saum des Waldes lehnt, der seinen Fuß keck in die aufrauschende See hineinschiebt.

Ein ununterbrochen ernstes, gemessenes Treiben ist auf diesen Hafendämmen und Lastbrücken. Ein stetes Kommen und Gehen. Keine Kurzweil, nur Geschäft. Kein Wort zu viel, kein Lot zu wenig: Zunge und Wageschale im steten Gleichgewicht. Aber heute ist es anders, denn die Sonne leuchtet hell, und morgen ist Regatta. Musik klingt auf allen Straßen. Junges Seevolk, Arm in Arm zu fünfen und sechsen, singen und lachen. Aus den geöffneten Fenstern wehen die Landesfarben, geschmückt mit Blumensträußen und Kränzen. In den Sälen des Ruderklubs wogt es auf und ab in dichtgedrängten Massen. Jeder will hören und sehen; und jeder hört und sieht, nur nicht das Rechte; denn die Herren vom Vorstand behalten das Beste für sich, und der Zeitungsschreiber macht seinen Artikel auf gut Glück.

Vor dem Eingange des Klubhauses drängt sich vieles Volk. Zwölf Ruderer, festlich gekleidet, harren samt ihren Schaluppenmeistern auf den Wink ihrer Oberen. Er wird ihnen erteilt, und sie gehen nun, zwei festverschlossene Kisten tragend, worin sich das Allerheiligste befindet, nach dem Hafen, einen langen Schweif von Neugierigen hinter sich herschleppend. Sie eilen die große Freitreppe hinab, springen in ihre Boote und rudern hinaus in die offene Bucht.

»Wohin geht ihr Kurs?«

Im Osten der Föhrde breitet sich ein lichter, von langen Baumreihen durchschnittener Wiesenplan zwischen zwei schattigen Parks aus. Das ist der Platz für die Zuschauer, die zur Regatta geladen sind. Auch hier ist Musik und Tanz, auch hier wehen Flaggen und Wimpel von hohen Mastbäumen und von leichten Zelten, deren geschäftige Wirte alles zu dem Empfange ihrer Gäste bereiten.

Hart am Wasser, wo die Strandmarken stehen, welche den ab- und zurudernden Booten als Signale dienen, erhebt sich das große Zelt der Klubgesellschaft mit Kränzen und Flaggen besät. Hier führt der Ökonom des Klubhauses sein eisernes Regiment. In der Mitte steht eine lange Tafel. Ihr schönster Schmuck ist ein aufrechtstehender, silberner Schild, auf welchem die Hauptpunkte des Rudergesetzes verzeichnet sind. Unfern davon der kunstreiche Festpokal, aus welchem den Siegern der Ehrentrunk zugebracht wird. An dem einen Ende der Tafel erhebt sich eine mit Blumen geschmückte Terrasse, auf welcher die Gewinne zur Prunkschau ausgestellt sind, die morgen die Sieger aus schönen Frauenhänden empfangen sollen. Als erster Preis erglänzt vor allem ein silbernes Boot mit goldenen Rudern und goldenem Steuer, dessen reiche Ankerkette den mit Brillanten besäten Anker hält.

Bewunderung und Staunen überall. Kaum noch zu bändigende Ungeduld unter den Bootsteuerern und ihren Ruderern. Gegenseitige Herausforderungen, keck hingeworfene Neckereien, spöttische Selbstverkleinerung, die von dem, was sie sagt, nichts meint als das gerade Gegenteil. Alles hüllt sich in das Gewand des Scherzes, ist aber jeden Augenblick bereit, sich in drohenden Ernst umzuwandeln.

»Wenn du mit dem silbernen Anker im Knopfloche morgen abend nach Hause kommst,« sagt der Vater zu seinem Sohne, »spreche ich dich los von meiner Zucht, und du kannst zusehen, wie du dir allein als rechtschaffener Kerl durch die Welt hilfst. Bleibst du aber der letzte oder mußt gar ausbrechen, brauchst du gar nicht wieder daher zu kommen, denn ich will nicht, daß die Leute mit Fingern auf uns zeigen sollen.«

Lehren, Ermahnungen, Bitten und Verheißungen werden erteilt, wo nur ein Paar zusammen stehen. Im schattigen Gebüsch, auf dem freien Wiesenplan, unter dem schützenden Dache der Zelte. Auch dort, wo die Flagge mit dem rot und weiß gewürfelten Damenbrett so lustig von dem Linnendache flattert, sitzen zwei junge Ruderer und hören aufmerksam den Ausspruch der ebenso jungen Wirtin, die zwischen ihnen Platz genommen hat, und von beiden zu einer Antwort gedrängt wird.

Es sind zwei kräftige, männlich schöne Gestalten, und die runde Blaujacke kleidet sie vortrefflich. Der eine trägt um den Leib eine leuchtende Orangeschärpe; die Farbe des Bootes, dem er dient. Die Schärpe des anderen ist weiß und grün, in schräg nebeneinander hinlaufenden schmalen Streifen.

»Sprich dich aus, Christine, offen und frei,« sagte der Weißgrüne. »Mehr verlange ich nicht. Sprich ohne Ansehn der Person und habe keine Furcht.«

»Furcht?« fragte sie mit aufgeworfenen Lippen. »Wäre mir gerade wie Furcht.«

»Und mir erst!« fiel der Mann mit der Orangebinde ein. »Aber ein Ende muß werden. Wir müssen eine bestimmte Antwort haben und lassen uns nicht länger hinhalten.«

»Darauf gebe ich dir die Hand,« sagte der Weißgrüne; »wenn ich auch sonst nichts mit dir zu teilen haben will.«

»Es geht auch wohl ohne Hand,« antwortete jener mürrisch, »Wir haben uns nichts zu sagen, und nur die Christine soll sprechen.«

Es war ein eigenes Dreiblatt, das um diesen Tisch saß. Nachbarskinder waren sie und hatten von frühester Jugend an zusammen gespielt. Christinens Eltern hielten einen kleinen Kram. Die beiden Knaben holten von den Alten, was das Haus bedurfte, und machten zugleich gute Nachbarschaft mit Christinen. Sie taten für ihre junge Freundin, was sie konnten, und diese nahm das Gebotene, ohne einem den Vorzug zu geben. So gingen nun die jungen Kerle endlich zur See, und wenn einer von der Reise wiederkam, brachte er der schönen Christine ein Geschenk mit. Diese dankte und ließ alles beim alten. Da kamen beide eines Tages von einer langen Fahrt zurück. Die Eltern Christinens waren gestorben und hatten ihr den Kram samt der dazu gehörenden kleinen Schenke verlassen. Aus dem spielenden Kinde war eine blühende Jungfrau geworden, und ihre Spielgenossen verwandelten sich in feurige Liebhaber. Sie aber blieb sich auch jetzt gleich, und wenn sie allzu lebhaft bestürmt wurde, wie gerade jetzt, am Vorabend der Regatta, ließ sie beide ganz zu Ende reden und sagte dann:

»Was wollt ihr? Ich habe es hundertmal gesagt und wiederhole es jetzt; ich ziehe keinen von euch dem anderen vor. Ihr könnt es nicht glauben, und es ist doch so. Ich soll einen von euch heiraten. Jeder von euch ist mir lieb von Kindheit an, aber ich bin keinem von euch so besonders zugetan, daß ich sagen möchte, dich mag ich vor allem gern. So weiß ich nun nicht, wen ich nehmen soll, um den anderen nicht weh zu tun.«

»Wenn ich dein Mann werde, will ich ihm noch mehr Freund sein, als ich es früher gewesen bin,« sagte der Weißgrüne. »Und von allen guten Dingen, die ich habe, gebe ich ihm die Hälfte, damit er es mit einer anderen teile, die ihn auch lieb haben wird, wenn er ihr sein Herz zuwendet.«

»Ich will nichts von dir!« rief die Orangebinde. »Aber kriegen sollst du, was ich nur habe und was ich in Zukunft noch verdiene, wenn mich die Christine nimmt.«

»Nun sind wir an derselben Stelle, wo wir schon so oft gehalten haben und dann nicht weiter können!« sagte die Christine, eine leichte Erregung rasch unterdrückend. »Würdet ihr euch untereinander vertragen, wagte ich es mit dem, der mir von euch bestimmt worden. Da ihr das aber nicht wollt, und die Sache zu Ende kommen muß, so will ich mich mit dem von euch beiden verloben, der mir morgen abend den besten Preis von der Regatta in dies Zelt bringt.«

Beide sprangen auf: »Ich bringe ihn dir!« riefen sie zugleich und eilten, ohne sich umzusehen, ins Freie.

Musik schallte ihnen entgegen. Zwei Bootgesellschaften zogen mit ihren Enblemen heran. Dem einen ward ein orangefarbenes, dem anderen ein weißgrünes Banner vorgetragen. Die beiden Ruderer schlossen sich den Ihrigen an, lautschlagenden Herzens, an nichts denkend als an den morgenden Sieg, in Gedanken den gewonnenen Preis vor sich her tragend.

Allmählich dämmert der Abend herein. Auf dem Spiegel der See glüht der letzte Schimmer des Tages. Die einzelnen Jollen und Schaluppen, die noch in der Föhrde kreuzen, kehren allgemach zu dem Strande zurück. Die Wimpel und Flaggen senken sich. Die Feuer verglimmen; die Lichter in den Zelten, die Fackeln vor denselben erlöschen. Die Fußgänger verschwinden von den Straßen, von Bord des Wachtschiffes, welches auf freiem Wasser am Eingange des Hafens liegt, donnert der Gutenachtschuß. Die Schildwachen auf Back und Schanze rufen: »Alles wohl!« und der Offizier vom Dienst beschreitet den Steuerbord des Halbdecks.

Alles ruht.

Aber mit dem anbrechenden Morgen erwacht das junge Leben mit doppelter Kraft. Schon am Abend vorher haben es der Hafenmeister und seine Gehilfen von Bord zu Bord angesagt, daß geflaggt werden müsse, und mit dem Aufgange der Sonne bedecken sich die Gaffeln und Toppe aller im Hafen ankernden Schiffe mit den Staatsflaggen. Die Verdecke sind blank und rein, und die Matrosen tragen ihre Sonntagsjacken. Der Kapitän weiß wohl, daß sein Volk am Tage der Regatta doch nichts tut, und darum läßt er es gutwillig laufen.

Mit der Minute wächst die Zahl der kleinen Fahrzeuge, die den Wasserspiegel bedecken. Die Spekulationsboote sind die ersten auf dem Platze. Das sind die schwimmenden Proviantmagazine mit Getränken und Lebensmitteln aller Art, einen Ruderer am Buge, einen Verkäufer auf der Mittelbank und hinten eine weiße Flagge, worin als Wahrzeichen eine bauchige Flasche mit einem Kranz von Würsten umgeben gemalt ist. Dazwischen kreuzen die langgestreckten Gondeln aus dem nahen Binnenwasser; mit einem hölzernen Dache, einen Tisch in der Mitte und um denselben die Mitglieder irgendeiner wandernden Kapelle mit Pauken, Trompeten und dicken Notenbüchern, ihren taktschlagenden Mästro an der Spitze.

Dann jene Unzahl von Seeleuten mit Glacéhandschuhen aus dem Stande der Landlubbers, die nicht zu dem Klub gehören, und von der Marine soviel wissen wie von dem Mondgebirge in Afrika. Sie haben ihre Taillen eingeschnürt und sehen in ihren runden Jacken aus, wie ein Schneidergeselle in der Admiralsuniform, Acht Tage haben sie heimlich Unterricht genommen in der Kunst, ein Boot zu steuern, aber als sie diese Kunst bewähren sollen, weisen die Steven ihrer Boote nach allen zweiunddreißig Strichen des Kompasses, und ein Dutzend derselben hat sich zu einem unentwirrbaren Knäuel ineinander geschlungen, den nur die Hafenrunde wieder auseinander zu bringen vermag.

Auf der Wiese ward es schon früh lebendig. In dem Zelte der Preisrichter ist das kleinste geordnet, und vor demselben sind sechs metallene Geschütze aufgestellt. Die Flaggen, Banner, Göschen und Wimpel der einzelnen Klubs wehen von hohen Mastbäumen, und die dazu gehörigen Mannschaften halten sich in der Nähe auf. Die Marken und Baaken, welche ausgelegt sind, werden noch mit einem letzten Kranze geziert, und neben jede legt sich ein Boot, worin sich ein Mann befindet, der genau die Distanz zu bestimmen hat, in welcher die um den Preis kämpfenden Boote seine Station passieren. Der Mann hat alles bei sich, was ihm an einem solchen Tage vonnöten: Ein scharfes Auge, einen Griffel nebst der auszufüllenden Liste, ein tüchtiges Paket Zigarren und den unerläßlichen Korb mit Wein.

Allgemeine Bewegung. Die Staatsschaluppe mit den Preisrichtern kommt. Weißgelockte Gestalten mit durchwetterten, von der Tropensonne gebräunten Gesichtern. Wohlgediente Kapitäne und Steuerleute, mit dem Hafenkapitän und dem Lotsenkommandeur als Präsidenten an der Spitze. Die Kanonen donnern ihnen den Salut entgegen; die Trompeten schmettern, die Pauken und Trommeln wirbeln lustig darein.

Die Direktoren des Klubs treten ihnen entgegen und führen sie nach dem Ehrenzelt. Der Älteste begrüßt die alten Seeratten mit einer Rede, und diese erwidern durch ihre Präsidenten, wobei der Hafenkapitän bald dem Lotsenkommandeur und bald der Lotsenkommandeur dem Hafenkapitän das Wort aus dem Munde nimmt, und beiden endlich begegnet, was sie auf dem blauen Wasser nie erlebten: sie stranden. Der Pokal wird gebracht; die gestrandeten Festredner flotten sich wieder und bringen sich dann in den hohen Lehnsesseln vor Anker.

Die Geschütze donnern aufs neue, und die Regatta beginnt.

Zwei achtruderige Boote. Die Clubherren rudern selbst. Eine halbe Meile bin und eine halbe Meile zurück, im stattlichen Bogen um das hinausgelegte weiße Boot mit der dunkelroten Flagge am Buge. Alle Ruderer weiß mit leichten Strohhüten. Boot Nummer eins rudert Steuerbord, Boot Nummer zwei backbord ab.

Dahin fliegen sie. Man sieht es, daß diese Ruderer keine gedungenen Matrosen sind. Junge Kapitäne und Steuerleute sitzen auf den Duchten (Querbänke); dazu die Söhne und Neffen stolzer Reeder und Schiffsmakler, die sich so gut zu der Aristokratie der Marine zählen als die gedienten Schiffsoffiziere. Alle Hälse strecken sich, alle Füße heben sich auf den Zehen. Die Hintersten drängen nach vorn, und die vordersten fallen ins Wasser. Hurra! Hurra! Ein endloser Jubel begleitet sie.

»Kommandeur!« sagt der Hafenkapitän zu seinem Nachbar. »Ich glaube, das Boot Nummer eins gewinnt. Mein Jakob hat das Steuer.«

»Ich glaube, es tut's nicht, Kapitän,« entgegnet der Lotsenkommandeur, sich behaglich zurücklegend. »Meiner Schwester ihr Jüngster steuert Nummer zwei.«

Der Bogen um das Signalboot ist beschrieben. Als sie genau vor der Flagge desselben waren, kreuzten sie die Ruder und warfen sie hoch zum seemännischen Ehrengruß. Dann ging es im gestreckten Laufe zurück, und genau in derselben Sekunde wippten die Ruder aus den Dollen, und die Boote schossen, ohne sich zu berühren, längs dem Bollwerk des Landungsplatzes. Alles Volk empfing sie mit einem nie endenden Jubelgeschrei. Der Sieg blieb unentschieden, aber alle waren fröhlich und guter Dinge; und nur des Hafenkapitäns Jakob sowie des Lotsenkommandeurs Schwestersohn vermochten nicht ganz zu unterdrücken, daß sie sich eigentlich das Weiße im Auge nicht gönnten.

Der zweite Zug!

Sieben Boote stellen sich; jedes mit sechs Ruderern und einem Mann am Steuer. Die Mannschaft des ersten Bootes trägt sich grün und die des zweiten orange; die dritte und vierte rosa und hellblau, die fünfte, sechste und siebente purpur, dunkelblau und gelb. Ihre Flaggen und Staatsdecken sind von denselben Farben.

»Regenbogenregatta,« rufen alle wie aus einem Munde.

Alle Mann sitzen auf den Duchten und halten die Ruder hoch. Die Kanonen geben das Zeichen zur Abfahrt. Hunderte von Booten fliegen hinterdrein.

Und eine Fahrt folgt der anderen. Stets ein neues Bild mit überraschenden Verwandlungen, bis endlich der Mittag eintritt und die Ruderer, Herren wie Diener, sich nach Stand und Würden sammeln zum fröhlichen Mahl, jeder an dem Ort wo ihm die Stätte bereitet worden.

In Christinens Zelt mit der rot und weiß gewürfelten Flagge dampft der festtägliche Braten, und der rote Wein funkelt in den Gläsern. Unter den Gästen an ihrem Tische sitzen auch die Männer mit der Orange- und der weißgrünen Schärpe.

»Nun kommt es an uns!« sagt der erste, »wer sich einen der Wimpel von dem äußersten Seeboje holt, hat den silbernen Anker im Knopfloche.«

»Und dieser werde ich sein,« sagte der Weißgrüne. »Ich habe es heute nacht geträumt, und solche Träume werden wahr.«

Christine sah beide fest an; aber sie schwieg. Sie verstanden diesen Blick und schwiegen auch. Ein alter Bootführer mit weißem Kopfe, der ein Verwandter und Freund der Christine war, saß am untern Ende des Tisches und sagte zu seinen Nachbarn: »Die haben auch mehr Liebeskram im Kopfe als Gedanken, sonst müßten sie wissen, daß sie noch lange nicht kommen, sondern daß wir erst die Flaggenregatta haben.« Dann aber ging er zu der Christine und sagte bekümmert: »Du bringst dich um der beiden willen noch ins Unglück.«

Sie aber erwiderte: »Sie lieben mich beide, und ich bin beiden zu gleichem Danke verpflichtet. Ich kann nicht anders.«

Gleich darauf ertönte der Signalschuß. Schnell noch einen letzten Trunk und dann hinunter an den Rand der Föhrde. Die Flaggenregatta beginnt. Es ist kein Preis- oder Wettrudern, sondern eine Kunstfahrt in geschlossenen Gliedern. Eine Unzahl kleiner Boote findet sich zusammen. In jedem derselben sitzt ein Mann mit zwei leichten Rudern. Vom Buge weht eine einfarbige Flagge ab, die nach Umständen weggenommen und durch eine andere ersetzt werden kann.

Die Boote rudern ab. Eine doppelte Reihe, alle rot beflaggt, voran; dann folgen in gleicher Zahl die weißen, darauf die blauen.

»Hollands Flagge allzeit mit uns! Ein Hurra für Holland und seine braven Seeleute!« ruft es am Strande.

Ein Signal! Statt hintereinander, rudern die drei Farben nebeneinander hin und bilden die französische Trikolore. Ein neues Signal. Wiederum ziehen die drei Farben hintereinander; diesmal die blaue voran, und du Musikchöre längs dem Ufer spielen:

»Schleswig-Holstein, meerumschlungen!«

Da mischen sich die Roten und Gelben darein und bilden das Seebanner der Kastilianer. Und weiß und blau zeigen die stolze Flagge, mit der Portugals erlauchter Prinz einst den Ozean durchschnitt, um das Wappen der Braganzas an der Küste von Brasilien aufzupflanzen. In Blau und Gelb leuchtet das Flaggenband des Mälarsees und der gotländischen Küsten. Und Flagge auf Flagge entfaltet sich, und Zuruf auf Zuruf begrüßt sie, bis endlich die jüngste, nicht die letzte, sich den Harrenden zeigt. Dunkel wie die Nacht, womit das Geschick ihr Leben zur See lange umhüllte, ziehen in dichter Reihe die Boote mit den schwarzen Wimpeln heran. Aber noch ist die Mitte der Bahn nicht erreicht, da weichen sie auseinander, zwischen jedes schwarzbewimpelte Boot drängt sich ein zweites mit dem weißen Wimpel. Sie legen sich durcheinander, vier und vier, weiß und schwarz quadriert, und dringen im gemessenen Ruderschlage unbeirrt vorwärts, während ihre Mannschaft in ein lautes Hurra ausbricht und aus voller Brust singt:

»Ich bin ein Seemann mir zu Häupten rauschet
Die Preußenflagge mit dem Eisenkreuz.«

Vorüber die Flaggenregatta!

Alle kehren an das Land zurück. Da wird ein augenblickliches wirres Treiben. Die Bootsgasten drängen sich zwischen die dichten Reihen. Diesem wird geschmeichelt, jener wird getadelt. Hier helles Lachen, übertönt vom rauhen Fluch; dort heimliches Necken und absichtliches Höhnen, weiterhin kalter Spott oder warmes vom Herzen strömendes Lob. Dazwischen das Klappern der Zinnkannen und das Klingen der Gläser, bis endlich die Kanone von neuem das Zeichen gibt und der Ruf »Zur Seeboje!« erschallt.

Die Seeboje ist weit. Da, wo die Wasser der Föhrde sich von denen der offenbaren See scheiden, stehen zwei hell angestrichene Landmarken, und wo deren Peillinien nördlich und südlich sich kreuzen, liegt als Wahr- und Warnungszeichen für die fremden Segler eine große Boje vor schweren Ankern auf dem Steert einer Sandbank. Weitab steuert der sorgsame Lotse bei demselben vorüber, um das ihm anvertraute Schiff behalten binnen zu bringen. So ist die Seeboje still und vereinsamt, nur zur Hälfte aus dem strömenden Wasser schauend wie der Kopf eines aufhorchenden Hais. Aber heute ist auch sie festlich geschmückt. So weit sie Menschenhänden erreichbar, ist sie mit weißen Stäben bedeckt, und an jedem Stabe flattert ein weißer Wimpel. Es ist nicht leicht binnen einer gegebenen Frist bis zu dieser Stelle zu gelangen, und noch schwerer, ohne die Ruder einziehen zu dürfen, von der stets hin und her schwankenden, stets auf und ab tauchenden Seeboje einen der Wimpel im Fluge zu entführen. Und doch empfängt nur der, der sein Boot bei der Heimfahrt mit einem solchen schmücken kann, einen silbernen Anker im Knopfloch. Wer aber einen Wimpel heimbringt, woran nichts zerbrochen ist, selbst nicht der Zapfen, womit er an der Boje befestigt war, dem hängen sie den Anker an einer silbernen Kette um den Nacken.

»Abrudern!« lautet der Befehlsruf, und die dichtverschlungene Masse setzt sich in Bewegung. Einige sind schon anfangs weit voran; in lang ausgeholten Zügen jagen sie ihr Boot durch die kräuselnden Wellen. Andere sind besonnener. Sie geben nicht die ganze Kraft zuerst mit vollen Händen aus; sie rudern sich erst warm, um dann desto sicherer ihr Ziel zu erreichen. Als sich die Flottille in Bewegung setzte, war sie anzuschauen wie eine Möwenflucht, die bei einem plötzlichen Geräusch von dem Fuße der Düne aufflattert und seewärts zieht. Allmählich verschwimmen sie mit den Wellen, und es wird schwer, dem einzelnen zu folgen. Sie sind nicht mehr mit bloßen Augen zu unterscheiden. Fernröhre von allen Formen und Größen werden sichtbar. Alles Jungvolk klettert an Flaggenstangen und Mastbäumen hinauf, um den Gesichtskreis zu vergrößern. Aber endlich will auch das nicht ausreichen, und sie müssen sich in Geduld finden, bis die buntbeflaggten Argonauten heimkehren mit dem goldenen Widderfell.

Und sie kommen zurück. Nicht in Masse, wie sie abfuhren, sondern in kleinen Geschwadern, oft auch ein vereinzelter mit zerbrochenen vollen oder verlorenem Ruder, in vollster Havarie. Am Strande dichtgedrängt stehen die Freunde und Angehörigen der Wimpeljäger, voll Begier, den Lohn, den Bruder, den Geliebten zuerst zu entdecken und zu erspähen, ob von seinem Buge der weiße Wimpel weht.

»Mein Jochen hat'n nicht,« sagt ein alter Schauermann verdrießlich. »Der Satansjunge soll mir acht Tage lang nichts tun als Werg zupfen.«

»Das ist'n Schimpf für den Jochen, Maat,« spricht bedenklich sein Nachbar.

»Und das da ist'n Schimpf für mich!« entgegnete der Alte, auf das wimpellose Boot zeigend.

»Ich glaube, Mutter,« flüstert eine schlank aufgewachsene Dirne mit munteren Augen, »das ist des Nachbars Boot – o nicht doch! – Sie sieht ja den ganz verkehrten Weg! – Das Boot, meine ich, mit dem gelben Kreuz am Steven. Es ist des Nachbars Boot, und darauf weht ein weißer Wimpel.«

»Es ist erstaunlich,« entgegnet die Alte, die mehr glaubt als sieht, »daß ein so alter Kerl wie der Nachbar ...«

»Ah!« unterbrach die Dirne kichernd. »Der Nachbar hat'n lahmen Arm und liegt zu Bette. Sein Boot rudert ja ...«

Aber indem rufen ein Dutzend Burschen einem ihrer glücklichen Genossen ein donnerndes Hurra zu, und die Mutter erfährt es diesmal nicht, wer des Nachbars Boot rudert.

Die Boote sind allesamt binnen. Christine schaut nach ihren Freunden aus. Sie hielten sich fern voneinander und auch von ihr. Beide waren später bis in die Nähe der Seeboje gelangt. Alle kamen ihnen bereits mit dem Rufe entgegen: »Die Wimpel sind alle! Es gibt nichts mehr zu fischen!« Beide standen bei den Maatschaften in Ansehen und wurden sonst oft um Rat gefragt. Aber heute beachtete sie keiner. Sie waren im Unglück, und nur die Sieger freuten sich einer allgemeinen Teilnahme.

Ein festlicher Marsch erschallte. Die Preisrichter traten aus dem Zelte, um die Sieger zu empfangen. Ihnen zur Seite standen die schönen Jungfrauen, welche den Glücklichen den erstrittenen Dank mit zierlich gesetzten Worten überreichen sollten.

Die Sonne war dem Untergange nahe und übergoß das lebenvolle Bild, das sich nunmehr entfaltete, mit Purpur und Gold. Die Sieger wurden nach der Reihe aufgerufen und mit Trompetenklang und Paukenwirbel begrüßt. Einer trug dem anderen die Namen der Glücklichen zu, und wer ein besonders tüchtiges Werk vollbrachte, mit dem wollte jeder bekannt oder gar befreundet sein, hatte er auch vorher nie ein Salzkorn mit ihm gegessen.

Christine trat zu ihren beiden Freunden und sagte:

»Ihr müßt euch das nicht so sehr zu Herzen nehmen. Wenn kein Wimpel mehr draußen war, konntet ihr keinen heimbringen. Was nicht in diesem Jahre geschah, kann im künftigen wahr werden, und ich halte euch Wort. Dessen seid gewiß.«

Ein dreifacher Trompetenstoß mahnte zu neuer Aufmerksamkeit. Die Preisrichter forderten die Wimpel von der Seeboje, und zwei Schiffsjungen erschienen mit Samtkissen, auf welchen die zwölf silbernen Anker befestigt waren. Die Ruderer traten mit ihrer Beute heran. Die Richter untersuchten, ob einige derselben ohne Havarie wären. Es fand sich nur einer, dem das Glück zuteil wurde, den Anker an einer silbernen Kette zu tragen.

»Weiter mit den Wimpeln!« sagte der Hafenkapitän, als er den letzten aus der Hand legte.

»Ist kein weiterer da!« entgegnete einer der Klubchefs, der das Heroldsamt bei der Regatta bekleidete.

»Dann,« sagte der Lotsenkommandeur, »sind nicht alle binnen gebracht. Die Seeboje ist mit zwölf Wimpeln besteckt gewesen, und hier sind nur elf. Hätte die Strömung auch einen derselben weggerissen, müßte der Zapfen, womit die Stange befestigt war, sichtbar geblieben sein, und das darf dem Auge eines Seemanns nicht entgehen.«

»Ein Wimpel fehlt!«

Dieser Ausspruch brachte eine elektrische Wirkung hervor. Die Richter sahen einander an und wußten nicht gleich, wie entscheiden. Da schwang sich einer der Herren auf einen erhöhten Platz und rief:

»Es wird ja wohl ein Bursche in der ganzen Flottille sein, der, trotz der hereinbrechenden Dämmerung, den Mut hat, den Wimpel zu holen, wenn man ihm nicht nur den Anker verspricht, sondern die silberne Kette dazu?«

Es war eine Frage; die rasch hingesprochene Meinung eines einzelnen. Die Menge nahm es für einen Beschluß und brach in ein nicht zu endendes Hurra aus. Auch Christine, welche sich noch in der Nähe ihrer Freunde befand, wurde von der allgemeinen Erregtheit fortgerissen. Aber sie unterdrückte das mächtig aufwallende Gefühl. Sie preßte die Hand gegen das lautschlagende Herz und blieb stumm. Ihr Auge streifte unwillkürlich den Freund mit der Orangebinde, und in diesem Blicke lag ein rätselhaftes Etwas. Beide sahen es nicht mehr, sie waren bereits auf dem Wege zu ihren Booten. Mit ihnen rüstete sich die ganze Schar zur Abfahrt. Manche standen schon mitten im Boot und schwangen die Ruder. Aber viele hielten mitten im Lösen der Fangleine inne und sahen bedenklich zu dem Himmel auf. Dieser hatte sich seltsam verändert. Die heitere Bläue, womit er sich während des Festes schmückte, sank der untergehenden Sonne nach, und ein drohendes Wetter braute aus der See auf. Von allen, die zur Abfahrt hasteten, blieben nur wenige beim Werke.

Die Herren im Zelte hatte das rasch ausgesprochene Wort eines der Ihrigen verwirrt. Als sie sich recht besannen und das verderbliche Wetter sahen, riefen sie aus, daß sie ihre Zustimmung verweigerten. Aber die wirklich entschlossenen Ruderer hörten es nicht. Sie waren schon mitten auf der Föhrde, umhüllt von der wachsenden Dämmerung, grollend empfangen von den heranstürzenden Wellen, die der Nordost vor sich her in die Seebucht jagte.

Und viele ließen es sich eine Warnung sein. Erst warf ein einzelner sein Boot herum; dann wieder einer und noch einer. Endlich waren nur noch die Bewerber Christinens draußen, und die zuletzt Heimkommenden sagten aus, daß sie beide frisch rudernd erblickt hätten, obgleich die anstürmenden Wellen sie weit von ihrem Kurse verschlagen hätten.

Der Sturm nahm überhand, vom Eingange der Seebucht her blitzte die Brandung wie ein unheimliches Silberglühen. Am Ufer wurden Fackeln angezündet und auf hohe Stangen gesteckt, helle Laternen brannten auf den Land- und Wassermarken, um den draußen Umherirrenden den nächtlichen Pfad zu zeigen. Aber sie kamen nicht.

Christine ging in ihr Zelt und weinte still vor sich hin. Die Stunden vergingen. Sie merkte nicht darauf. Die Menschen verliefen sich. Es war leer am Strande. Die Fackeln und Leuchten erloschen. Sie wußte es nicht.

Da schlug die Zeltdecke auseinander. Der Seemann mit der Orangeschärpe trat ein. In der Hand hielt er eine zerbrochene Wimpelstange mit einem weißen Fetzen daran.

»Hier ist der Preis!« sagte er mit zitternder Stimme.

Bei dem Tone dieser Stimme schrie Christine freudig auf. Ihr Gesicht glühte; ihre Augen leuchteten. Sie ging dem Freunde rasch entgegen und hielt ihm die Hand hin: »Ich bin bereit!«

»Ich nicht!« entgegnete er tonlos.

Sie sah ihn an. Sein Anblick erschreckte sie, und schwer rangen sich die Worte von ihren Lippen:

»Wie kommst du mir wieder?«

»Wir streckten beide zugleich die Hand nach der Stange aus. Da griff ich nach dem Vollbord seines Bootes, und er stürzte kopfüber in die See.«

»Jesus!« schrie Christine und sank bewußtlos nieder. Er entfernte sich mit zitternden Knien.

Regatta! Regatta!

Die glücklichen Sieger versammelten sich mit ihren Freunden zu einem fröhlichen Mahl. In den hell erleuchteten Sälen des Klubhauses herrschten Spiel, Tanz und Gesang. Die Becher kreisten. Hundert Geschichten voll Lust und Laune würzten die Feier.

Was aber in dem Zelte mit der weiß und rot gewürfelten Flagge geschehen war, erzählte niemand.

Regatta! Regatta!


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